Der Drogenhandel zwischen Lateinamerika und den USA gleiche einem Sandwich: Mexiko sei der Schinken, Kolumbien und die USA die beiden Brotscheiben. Sobald das belegte Brot auseinander gerissen werde, sei das Geschäft für alle futsch. Das Bild stammt von einem hohen mexikanischen Drogenfahnder. Aus den zartgrünen Kokablättern, die am Andenfuss oder im Amazonastiefland gedeihen, produzieren die Kolumbianer das Kokain. Dann wird der reine Stoff in Kiloportionen verpackt und an die Mexikaner weitergereicht. Diese sorgen dafür, dass der "weiße Schnee" unbeschadet den Grenzübertritt in die USA schafft, dahin, wo weltweit die meisten Konsumenten harter Drogen leben.
An der Karibikküste Kolumbiens bezahlt man für das Kilo Kokain 3.200 US-Dollar. Erreicht die Ware einmal Mexiko, so steigt der Wert um das Zweieinhalbfache auf 8.200 US-Dollar. In den Verbrauchermärkten in New York oder Los Angeles wird das Kilo später für 25.000 US-Dollar gehandelt. Gelingt es gar, eine Ladung via Madrid oder Amsterdam nach Europa zu bringen, dann liegt der Endverkaufspreis bei 75.000 bis 90.000 US-Dollar pro Kilo. Bei solchen Margen darf man sich für den sicheren Transport der illegalen Ware einiges einfallen und auch kosten lassen. Seit Jahren benutzen die Kokain-Kartelle als Handelsroute mit Vorliebe die schwer kontrollierbare, mit Schlupflöchern und Verstecken reichlich gesegnete karibische Inselwelt.
Näheres weiß man spätestens, seit den mexikanischen Behörden im vergangenen November ein Spitzenmann des Kartells von Juárez, Rizardo García Urquiza alias "El Doctor", in die Fänge ging. Bei Hausdurchsuchungen fand man Satellitentelefone, GPS- Ausrüstungen und detaillierte Meereskarten auf CDs und Festplatten. "El Doctor", ein Drogenhändler neuen Typs, der sein Geschäft wie jeder andere Manager eines international verzweigten Unternehmens unauffällig vom Schreibtisch in Mexiko-Stadt aus leitete, hatte zwei alternative maritime Transportrouten etabliert. Die eine führte, meist in internationalen Gewässern, durch den Pazifik; die andere verlief von den kolumbianischen Karibikhäfen Cartagena, Barranquilla und Santa Marta entlang der Küste Mittelamerikas. Monatlich sollen auf diese Weise fünf Tonnen Kokain von Kolumbien nach Mexiko geschleust worden sein.
Die Drogenbanden sind aufs Meer ausgewichen, nachdem die Luftüberwachung unter Anführung der USA von den Andenländern über die Karibik bis nach Mexiko immer feinmaschiger wurde. Die Kontrolle machte den Kleinflugzeugen, die lange Jahre als Drogenkuriere par excellence galten, das Leben unmöglich. In modifizierten Boeing-Maschinen hat die amerikanische Luftwaffe mobile Radarstationen eingerichtet. Die Awacs (Airborne warning and control system) sind rund um die Uhr in der Luft.
Jetzt will man auch dem wilden Treiben illegaler Schnellboote ein Ende bereiten. Vor den Küsten von Nicaragua und Honduras hat die US-Navy je ein Aufklärungsschiff stationiert. Weiter südlich steht eine Einheit der kolumbianischen Marine. Sobald ein Schnellboot auf den Radarschirmen auftaucht, werden die Küstenwachen in Nicaragua, Honduras oder Mexiko alarmiert. Amerikanische Helikopter nehmen die Verfolgung über internationalem Gewässer auf und treiben die Boote in Küstennähe. Dort verschwinden sie allerdings regelmäßig im Radarschatten von Inseln und Buchten.
Inmitten der paradiesischen Inselwelt, am Westrand des karibischen Beckens gelegen, hat die nicaraguanische Marine ihren eigenen vorgelagerten Stützpunkt eingerichtet. Von Cayo Miskito aus führt der schneidige Fregattenkapitän Fornos an der Spitze einer Hand voll junger Seesoldaten den ungleichen Kampf gegen die übermächtigen Drogenkartelle. Er "kontrolliert" die Meeresstraße zwischen dem Festland und den vorgelagerten Keys, wo die Miskitos seit Alters her ihrer Hauptbeschäftigung, dem Langustentauchen, nachgehen. Zwischen einem Tante-Emma-Laden und einem Kirchlein der Herrnhuter Brüdergemeinde steht ein - trotz blauschwarzer Tarnfarbe - weithin sichtbarer Wachtturm. Nach dem Vorbild seiner Nachbarn, den Miskito-Fischern, hat die Marine ihr aus Brettern und Balken aus gefertigtes Quartier auf Holzpfählen in den sichten Meeresgrund gebaut.
Von Zeit zur Zeit glückt Kapitän Forno ein goldener Fischzug, dann nämlich, wenn ihm und seiner Mannschaft eines der kolumbianischen Schnellboote in die Fänge geht. Im Volksmund heißen die bis zu zehn Meter langen, mit drei potenten Außenbordmotoren bestückten Boote "Eduardoños", so benannt nach der kolumbianischen Herstellerfirma, der Marktführerin in dieser Kategorie von Meeresvehikeln. Den ersten "Eduardoño", den Kapitän Forno aufgriff, konfiszierte er und stellte ihn kurzerhand in den Dienst der Marine. Seither kann er die Kolumbianer mit gleich langem Spieß bekämpfen. Ins Netz gegangen waren damals fünf Kolumbianer schwarzer Hautfarbe mit mehr als einer Tonne Kokain. Dies war eine Ausnahme. Wenn sich die Drogenhändler verfolgt fühlen, werfen sie in der Regel ihre Fracht ins Meer, um sich mit leerem Boot als verirrte Seefahrer auszugeben. Über Funk alarmieren sie honduranische Mittelsmänner, die sich aufmachen, den Miskito-Indios die aufgefischte Ware abzukaufen. Stören ein paar Dorfpolizisten die Operation, wird nicht lange gefackelt: Sie erhalten ein großzügiges Schweigegeld.
Der Drogenhandel hat Dorfschaften wie Tawasakia, Ninayari oder Lidaukra, die über Jahrhunderte von Gott und dem nicaraguanischen Staat vergessenen Miskito-Siedlungen um Sandy Bay, in die Neuzeit katapultiert. Wer ein paar Kilo Kokain geschickt versilbert, ist ein gemachter Mann. Am Morgen den Strand entlang laufen auf der Suche nach dem kostbaren Treibgut ist die Lieblingsbeschäftigung vieler junger Miskito-Indios, den "strolling boys", den schlendernden Burschen. Hier, an der nicaraguanischen Atlantikküste diktiert das Kokaingeschäft seine eigene Kultur. Niemand scheut sich, den neuen Reichtum zur Schau zu stellen. Zuerst schmückt man sich mit Goldzähnen, dicken Armbändern, Ohrringen und schweren goldenen Halsketten. Dann ersetzt ein rassiger Außenbordmotor, vorzugsweise der Marke Yamaha und mit nicht weniger als 75 PS, das alte Segel. Die traditionelle "panga", das aus einem Baumstamm gefertigte Kanu, weicht dem modischen Kunststoffboot.
Wer es wirklich geschafft hat - und wohl auch eine permanente Geschäftsbeziehung zur Drogenmafia pflegt -, der baut sich als weit sichtbares Zeichen neuen Wohlstands eine zünftige Villa, mit Säulen und Veranden geschmückt und statt aus Holz aus Beton gefertigt. Zeledón López, ein von der Taucherkrankheit heimgesuchter, an das Haus gebundener Miskito, verfolgt die Entwicklung um ihn herum mit großer Sorge. Das Drogengeld habe die Gemeinde vergiftet. Es gebe mehr Alkohol und Gewalt, und die Lebenskosten seien ins Unermessliche gestiegen. Die Jungen glaubten an das schnelle Geld, gingen auf die Jagd nach angeschwemmten Kokainpaketen und vergäßen dabei, dass nur ehrliches Tauchen und Fischen die Miskitos am Leben erhalte, sagt der Indio aus Sandy Bay resigniert.
Die amerikanischen Drogenfahnder schätzen, dass rund drei Viertel allen Kokains, das für die USA bestimmt ist, via Zentralamerika und Mexiko verschoben wird. Das restliche Viertel sucht seinen Weg über die Inselstaaten der Karibik. 90 Prozent des beschlagnahmten Kokains wurde in Schiffen und Booten gefunden, die nicht kommerzielle Fracht mitführten, vor allem in Schnellbooten. In seinem Bericht über den Drogenhandel für das Jahr 2004 bezeichnet das US-Außenministerium in der Karibik die Bahamas, die Dominikanische Republik, Haiti und Jamaica als bedeutende Transitländer für Drogen. Es sind auch kriminelle Banden dieser Länder, die neben mexikanischen und kolumbianischen Kartellen als wichtigste Drogengroßhändler auf den Verbrauchermärkten in den USA auftreten.
Der Autor ist Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ)
in Mexiko-Stadt.