Als Weng kürzlich in einer großen deutschen Tageszeitung die traurige Aussage einer jungen Studentin aus Kamerun las, sie vermisse das ihr aus der Heimat vertraute Lachen auf der Straße und in der Familie, musste der 24-Jährige schmunzeln: "An der Bonner Universität erlebe ich das ganz anders. Hier wird gelacht, geflachst - und studiert." Von Kälte jedenfalls könne keine Rede sein. "Vielleicht aber", so fügt der junge Mann hinzu, "liegt es ja auch nur am Rheinland."
Weng ist einer von gut 4.000 so genannten Bildungsausländern, die sich bei ihrer Studienortwahl für die einstige Bundeshauptstadt entschieden haben. "Bildungsausländer" - der Begriff stört den Chinesen ein wenig. "Ich fühle mich nicht als Ausländer, so gut bin ich hier aufgenommen worden", berichtet er. Natürlich aber weiß er, was der Begriff aussagt. Bezeichnet er doch all jene jungen Menschen, die eigens zum Studium nach Deutschland gekommen sind.
Knapp 187.000 Studenten aus dem Ausland bereichern nach der Ende vergangenen Jahres vorgestellten Bilanz des Statistischen Bundesamtes derzeit die deutschen Hochschulen - doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Das Image der Exoten haben die Gäste aus aller Herren Länder längst verloren, machen sie doch zehn Prozent aller Studenten in Deutschland aus.
Internationalität, das wissen die Hochschulen, ist unverzichtbar für Lehre und Forschung. "Bildungsausländer sind eine absolute Bereicherung, bringen andere Sichtweisen und Erfahrungen aus ihren Kulturen ein", sagt etwa Eva Bezzeg-Frölich vom Internationalen Zentrum der Bonner Uni. Als Beispiel führt sie die Biotechnologie an und kann sich lebhaft die Diskussion im Seminar zwischen Studenten aus in dieser Frage eher zurückhaltenden Nationen wie Deutschland und England sowie einem Kommilitonen aus Korea auf der anderen Seite vorstellen.
Globalisierung heißt das Stichwort, das die Vorgaben für Lehre und Forschung liefert. "Die Ausbildung für den internationalen Arbeitsmarkt muss den Kontakt zu einem ausländischen Gastdozenten, zum ausländischen Professor beinhalten", weiß Ute Symanski vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD). Längst verlangen deutsche Arbeitgeber von potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Fähigkeit, sich in interkulturellen Teams bewegen und verständigen zu können.
Besonders stark hat sich Qualität deutscher Hoch- und Fachhochschulen und die Attraktivität der Standorte auch dank intensiver und cleverer Marketingstrategien "made in Germany" in China herumgesprochen. Knapp 26.000 Wissbegierige sind derzeit hierzulande eingeschrieben. Statistiker beobachteten einen sprunghaften Anstieg seit der Jahrtausendwende, der sich jedoch leicht abzuschwächen beginnt. Gründe für die allmähliche Stagnation gibt es einige. Die Zahl der Studienplätze in China wuchs, und so mancher Heimkehrer warnte vor überzogenen Illusionen: Er hatte erfahren müssen, dass das Studium in Deutschland doch nicht so leicht ist, wie zuvor geglaubt.
Weniger laut wird eine weitere Ursache genannt. Die auf Initiative des DAAD in China eingerichtete Akademische Prüfstelle hält so manchen Chinesen vom "Auswanderungsgesuch" ab. Dort nämlich werden die im Land der untergehenden Sonne erworbenen Zugangsberechtigungen genau unter die Lupe genommen.
Neben Polen und Bulgarien sind auch die Zahlen der Studierenden aus anderen ost-, mitteleuropäischen und baltischen Staaten, die seit 2004 neue EU-Mitglieder oder Beitrittskandidaten sind (Tschechien, Rumänien, Ungarn) in den vergangenen fünf Jahren stetig angewachsen. Allerdings fürchten Experten, der Trend könne sich angesichts drohender oder gar schon eingeführter Studiengebühren bald umkehren. Die könnten, vorausgesetzt die Politik hält Wort, zwar dazu beitragen, die Qualität der Lehre zu verbessern, hoffen die Universitäten. Zugleich aber fürchten sie, dass 500 Euro pro Semester den Geldbeutel mancher Eltern in ärmeren Ländern überstrapazieren. Und so mehren sich die Stimmen, die eine neue Kultur von Universitätsstipendien einfordern. Denn, so warnen Insider, Deutschland könne es sich nicht leisten, "auf den fähigen Studenten aus Nigeria" zu verzichten.
Zu verteidigen gilt es nicht nur Internationalität und Qualität. Gerne würden deutsche Hochschulen auch künftig von sich behaupten, im Konzert der ganz Großen mitzuspielen. Schließlich beschert ihnen ihre Attraktivität und Leistungsfähigkeit Rang drei hinter den USA und Großbritannien. Eine optimale Platzierung, glaubt doch niemand wirklich daran, die beiden Nationen als beliebteste Studienländer verdrängen zu können. Deren Stipendiensysteme und ihr Image gelten als unschlagbare Pluspunkte. Oder, wie der junge Student aus Bonn einräumt: "Eigentlich sind das traditionell die Länder, wo junge Menschen hingehen."
Er hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Ihn störten die 6.000 Euro, die angehende Studenten aus nicht EU-Staaten mangels studienbegleitender Jobs zur Deckung ihres Unterhalts vorweisen müssen, ebenso wenig wie die vergleichsweise lange Studiendauer und die hohe Abbrecherquote in Deutschland. Die liegt bei rund 25 Prozent. Da zieht so mancher Bildungsausländer das angloamerikanische System vor, dass den Erfolg berechenbarer macht. Dort drohen den Studenten und Studentinnen im Masterstudiengang praktisch keine Misserfolgserlebnisse.
Eine eindeutige Umorientierung in Richtung Bachelor und Master, die dazu beitragen sollen, die Attraktivität europäischer Hochschulen gegenüber dem angelsächsischen Hochschulraum zu steigern, ist in Deutschland noch nicht festzustellen. Ungebrochen ist die Beliebtheit der "herkömmlichen" Studiengänge. 49 Prozent der Studienanfänger immatrikulierten sich an Universitäten und entsprechenden Hochschulen in Diplom- oder Magisterstudiengänge. Wie aus einer Studie der Hochschul-Informations-System-GmbH (HIS) hervorgeht, hat mehr als die Hälfte der Studienanfänger des Wintersemesters 2004/2005 den Bachelor bei der Studienwahl nicht in Betracht gezogen.
Mit sechs Prozent gleich hoch ist der Anteil deutscher Studenten und Bildungsausländer, die im Wintersemester 2004/05 Bachelorstudiengänge belegten. Gravierend jedoch fällt der Unterschied bei der Akzeptanz der Masterstudiengänge aus. Während sich nur ein Prozent der deutschen Studenten dafür entscheiden konnte, taten dies acht Prozent ihrer Kommilitonen aus dem Ausland.
Die Gefahren, die Deutschlands führender Position in der Beliebtheitsskala drohen können, sind erkannt. Eine fachlich bessere Betreuung und die Abkehr vom Einzelkämpfertum unter den Studenten werden vorangetrieben. Noch aber überwiegen die Standortvorteile. Schließlich eilt Deutschland der Ruf voraus, eine qualitativ gute Ausbildung, ein breites Fächerspektrum sowie attraktive Standorte mit hoher Lebensqualität zu erschwinglichen Preisen anbieten zu können. Besondere Anziehungskraft üben seit Jahren München, Berlin, Heidelberg, Aachen, Frankfurt und Bonn aus.
In der ehemaligen Bundeshauptstadt blickt man auch nach dem Wegzug der Bundesregierung selbstbewusst nach vorne. Die bundesweit ausgegebene Devise der Profilbildung kommt eigener Einschätzung zufolge durchaus gelegen. "Wir sind eine Forschungsuniversität und damit attraktiv für Gäste aus dem Ausland", heißt es im Internationalen Zentrum.
Aufmerksam wird nicht nur am Rhein verfolgt, wohin sich die Studieninteressen der jungen Menschen jenseits deutscher Grenzen entwickeln. Volkswirtschaft, Germanistik, Diplom-Übersetzer, Rechtswissenschaften und Informatik werden von ihnen in Bonn besonders gern belegt. Bundesweit wird ein Trend zu den mathematisch/naturwissenschaftlichen Fächern registriert. Geradezu von einem Boom sprechen die Statistiker bei der Wahl des Wirtschaftsingenieurwesens an den Fachhochschulen. Bonns jungen Gast aus China wundert das wenig. "Da darf man nach dem Studium auch auf einen Job hoffen", sagt Weng.
Der Autor ist Journalist in Bonn, Agentur für Bildung.