Das Parlament: Warum sind Studiengebühren aus Ihrer Sicht das richtige Instrument, damit ein neuer Geist in eine verkrustete Bildungsanstalt einziehen kann?
Andreas Pinkwart: Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen, dass Bildung ein kostbares Gut ist, mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss - und zwar auf beiden Seiten, also Hochschullehrer wie Studierende. Studienbeiträge helfen zu erreichen, dass wir endlich kürzere Studienzeiten, weniger Abbrecher und durch eine bessere Qualität der Lehre auch eine bessere Qualität der Abschlüsse bekommen.
Das Parlament: Sind diese Studiengebühren nicht nur ein Schritt, der deutlich macht, dass sich Bildungsangebote zu Produkten entwickeln, die gekauft werden müssen, wie andere Produkte auch?
Andreas Pinkwart: Den Produktvergleich halte ich für sehr schwierig, weil wir an unseren Hochschulen von der ganz wesentlich aus der Humboldtschen Tradition zu Recht abgeleiteten Freiheit von Forschung und Lehre ausgehen. Es geht nicht nur darum, dass wir Wissen vermitteln, sondern es geht auch darum, Persönlichkeit zu entwickeln und Kreativitätsräume zu erschließen. Das ist unerlässlich, wenn wir unsere Gesellschaft lebenswert und unsere Wirtschaft international wettbewerbsfähig erhalten wollen. Auf der anderen Seite müssen wir in einer so dynamischen Wissensgesellschaft immer höhere Aufwendungen tätigen, um echte Qualität in der Ausbildung anzubieten. Wir streben beim Studium keine Kostendeckung an, davon sind wir weit entfernt. Wir ermöglichen einen Beitrag, der deutlich macht, dass die Studierenden die Angebote der Hochschule möglichst intensiv für sich nutzen sollten. Außerdem geht es auch darum, in den Hochschulen selbst den Blick dafür zu schärfen, dass die Studenten nicht als Last empfunden werden, sondern als der kostbarste Faktor einer Hochschule. Sie sind unser Zukunftspotenzial und der Staat stellt sehr viel Mittel für ihre Ausbildung bereit. Er wird in Zukunft sogar noch mehr Mittel dafür bereitstellen müssen. Insofern kommt es auch darauf an, dass unsere Hochschulen effektiv mit diesem Geld umgehen. Und da kann es nicht sein, dass Studenten in gewissen Studiengängen im Durchschnitt 14 oder 15 Semester studieren. Das ist international weder wettbewerbsfähig, noch ist es im Interesse eines effektiven Umgangs mit öffentlichen Geldern hinnehmbar.
Das Parlament: Verstößt die geplante Einführung bereits zum Sommersemester 2007 für alle Studierenden aber nicht gegen den Vertrauensschutz für bereits Immatrikulierte, die sich in dem Bewusstsein eingeschrieben haben, ein kostenfreies Studium absolvieren zu können? Ist der Gleichheitsgrundsatz gewahrt?
Andreas Pinkwart: Ich sehe den Vertrauensschutz als gegeben an. Wir haben ja bereits im Landtagswahlkampf die Einführung von Studienbeiträgen angekündigt. Das wissen auch diejenigen, die in Nordrhein-Westfalen in dieser Zeit ein Studium aufgenommen haben. Wir haben darüber hinaus verfassungsrechtlich prüfen lassen, welche Frist nach Inkrafttreten des Gesetzes für einen Vertrauensschutz notwendig ist. Für uns ist wichtig: Jeder, der bereits studiert, muss unabhängig von seiner aktuellen finanziellen Situation oder der seiner Eltern weiter studieren können. Das stellen wir sicher, weil jeder einen Anspruch auf ein zinsgünstiges Darlehen von der NRW-Bank hat. Erst zwei Jahre nach Studienende muss mit der Rückzahlung begonnen werden - und das auch nur, sofern ein hinreichendes Einkommen erzielt wird. Das heißt, diese Studienbeiträge sind auch denen zumutbar, die schon im Studium sind, weil sie die aktuelle Einkommenssituation nicht berühren.
Das Parlament: Sind bis zu 500 Euro sozialverträglich unter Studienbedingungen, die zum Teil katastrophal sind?
Andreas Pinkwart: Man muss sehen, dass Studienanfänger bislang aufgrund der sehr langen Studiendauer und einer niedrigen Erfolgsquote ein viel höheres Risiko tragen - auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, mit allen Rückwirkungen auf ihre soziale Situation. Wenn wir durch die Studienbeiträge die Studienbedingungen verbessern, das Studium planbarer und schneller machen, dann wird ein Studium gerade für bildungsfernere Schichten attraktiver. Übrigens sind genau die Kinder aus einkommensschwächeren Familien bislang an deutschen Hochschulen trotz des kostenfreien Studiums unterrepräsentiert - auch im internationalen Vergleich. Dazu kommt: In NRW werden zwei Drittel der BAföG-Empfänger keine Studienbeiträge entrichten müssen, weil ihre Rück-zahlungsverpflichtung aus dem Darlehensanteil des BAföG bereits so hoch ist, dass sie durch Studienbeiträge nicht weiter belastet werden. Das stellen wir sicher, indem wir feste Obergrenzen definieren: Kein BAföG-Empfänger hat bei Ende des Studiums mehr als 10.000 Euro zurückzuzahlen. BAföG, Studienbeiträge und Zinsen inklusive.
Das Parlament: Als eine Folge der Studiengebühren sollen Universitäten und Fachhochschulen, die die versprochene Leistung nicht liefern, Studenten bereits gezahlte Gebühren zurückzahlen. Sie stellen sich ein neu einzurichtendes Schiedsgremium vor, das über solche Fälle entscheidet. Wie praktikabel ist ein solches Verfahren überhaupt?
Andreas Pinkwart: Das werden wir genau beobachten, aber ich bin sehr optimistisch. In der Schiedskommission sitzen zur Hälfte Studierende, was sicherstellt, dass die Beschwerden sehr ernsthaft und schnell geprüft werden. Wenn organisatorische Mängel den Studienerfolg in einem Semester maßgeblich beeinträchtigen, zum Beispiel weil kein Laborplatz frei ist, kann dieses Gremium der Hochschule empfehlen, den Studienbeitrag zu erlassen oder zu ermäßigen. Das ist die so genannte "Geld-zurück-Garantie", die einen Paradigmenwechsel einleitet: Erstmals haben Studierende, die schlechte Studienbedingungen vorfinden, einen echten Ansprechpartner für ihre Beschwerden. Und die werden nicht ungehört verhallen, dessen bin ich mir sicher, auch wenn wir auf ein individuelles Klagerecht bewusst verzichtet haben.
Das Parlament: Ist diese Idee ist nicht auch ein Wagnis mit offenem Ausgang?
Andreas Pinkwart: Das ist ein Versuch, auch ein Stück Innovation. Wir haben damit zum ersten Mal in NRW ein Instrument der partnerschaftlichen Qualitätsoptimierung. Eine Hochschule, die sehr viel Wert auf Reputation legt, ist nicht nur an Rankings interessiert, sondern auch daran, wie viele Fälle überhaupt dieser Kommission vorgelegt werden. Ich hoffe, dass die Hochschulen den Ehrgeiz entwickeln, möglichst wenig Beschwerden zu erhalten und diejenigen Mängel, die offen gelegt werden, schnell abzustellen. Wenn das klappt, haben wir ein wichtiges Instrument für das hochschulinterne Qualitätsmanagement geschaffen, eine Art Frühwarnsystem für organisatorische Defizite.
Das Parlament: Können Sie eigentlich garantieren, dass das Geld aus den Studiengebühren den Hochschulen im vollem Umfang zur Verfügung stehen wird?
Andreas Pinkwart: Ja, wir werden parallel zur Verabschiedung des Studienbeitragsgesetzes einen Zukunftspakt verabschieden. Das Haushaltsrecht ist ja das Königsrecht des Parlamentes. Der Landtag wird eine Erklärung abgeben, dass die Hochschulen auf der Grundlage des bestehenden Qualitätspaktes in dieser Legislaturperiode für die Studienbeiträge keine kompensatorischen Kürzungen erfahren. Damit ist sichergestellt, dass es sich um echte Zusatzeinnahmen für die Hochschulen handelt. In Zeiten schwierigster Haushaltslage ist das nicht selbstverständlich. Wir machen übrigens schon 2006 Ernst mit der Devise: Alles Geld, das von Studierenden kommt, steht den Hochschulen zur Verfügung. Die Vorgängerregierung wollte die Einnahmen aus den derzeitigen Langzeitstudiengebühren zur Hälfte dem Finanzminister geben. Das haben wir rückgängig gemacht. Alles, was die Hochschulen 2006 aus den Langzeitstudien einnehmen, behalten sie auch. Wir sind zum Fairplay bereit.
Das Parlament: 23 Prozent der Einnahmen aus Gebühren sollen in einen Ausfallfonds fließen, der für nicht zurückgezahlte Studiendarlehen einspringt. Wälzt damit der Staat die Verantwortung für die Darlehensabwicklung nicht an die Hochschule ab?
Andreas Pinkwart: Der Ausfallfonds ist das Herzstück der sozialverträglichen Gestaltung. Er springt ein, wenn ein Darlehen nicht vom Studierenden getilgt wird - entweder, weil er sich als BAföG-Empfänger nicht beteiligen muss oder weil er als Absolvent über kein hinreichendes Einkommen verfügt. Würden wir das Kreditausfallrisiko nicht über diesen Ausgleichsfonds organisieren, dann müsste sich das in einem deutlich erhöhten Zinssatz niederschlagen.
Das Parlament: Die Studierendenzahlen werden bis 2014 drastisch zunehmen. Die Hochschulen sprechen von einem drohenden Kollaps. Es fehlt vor allem an Geld. Was ist im Landeshaushalt an Zuwächsen möglich, um die Hochschulen zu stützen?
Andreas Pinkwart: Es geht jetzt darum, dass die Hochschulen die Einnahmen aus den Studienbeiträgen und der Exzellenzinitiative nutzen, um ihre Attraktivität zu steigern. Dann müssen wir sehen, wie wir in Zukunft mit ausländischen Studierenden verfahren. Legen wir mehr Wert auf Exzellenz? Denken wir wieder mehr in Qualität als in Quantität? Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist, dass wir zu modernen Finanzierungsmodellen und stärkeren Partnerschaften mit der Wirtschaft kommen. Die Hochschulen brauchen Entwicklungskonzepte, die es ihnen ermöglichen, mit ihren Liegenschaften wirtschaftlicher umzugehen und den Sanierungsstau aufzulösen. Falls die Studierendenzahlen tatsächlich stark ansteigen, muss auch der Bund seine Ausgleichsfunktion wahrnehmen. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt, dass Hochschulsonderprogramme möglich bleiben und mich sehr gefreut, dass die neue Bundesbildungsministerin das auch so sieht. Eines darf jedenfalls nicht passieren: Die steigenden Studierendenzahlen dürfen in einigen Jahren nicht die erarbeiteten Qualitätssprünge zunichte machen. Das können wir uns nicht leisten.
Das Parlament: Sind Hochschulfusionen eine Möglichkeit, Kosten zu senken und mehr Effeiktivität zu ereichen?
Andreas Pinkwart: Wir müssen auf jeden Fall von der Bauchladenmentalität wegkommen. Nicht alle müssen alles machen. Ich bin ein starker Befürworter eines pluralen Bildungs- und Wissenschaftssystems, in denen Orchideenfächer zwingend auch ihren Stand haben müssen. Aber Orchideenfächer kann ich insbesondere dann auf Dauer sichern und auch fördern, in dem ich die Kraft aufbringe, diese Fächer an einigen Standorten zu konzentrieren, ja auch zur Weltspitze zu führen. Hier wird es darauf ankommen, dass wir die Hochschulen darin unterstützen, eigene Schwerpunkte herauszuarbeiten und ein echtes Profil in gewissen Disziplinen zu finden. Dann kann man in einem auch regional-räumlichen Verbund die unterschiedlichen Stärken zu einem Gesamtangebot bündeln, mit dem man auch international auftreten kann. Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen machen zum Beispiel gemeinsames Marketing in New York. Sie haben dort ein gemeinsames Büro. Um exzellent zu sein, müssen wir Mittel konzentrieren und nicht mit der Gießkanne verteilen.
Das Parlament: Aber brauchen dafür Hochschulen nicht mehr rechtliche Autonomie?
Andreas Pinkwart: Ja, absolut. Wir arbeiten in Nordrhein-Westfalen mit Hochdruck an unserem Hochschulfreiheitsgesetz, das den Hochschulen dann wirklich eine umfassende Autonomie gibt. Dazu gehört die Möglichkeit zu schnellen Berufungsverfahren zu kommen, die Hochschulen unternehmerisch zu führen und wissenschaftlich ein eigenes Profil zu entfalten. Das wird die Hochschulen stärken. Hinzu kommt die Exzellenzinitiative, deren Wirkung man gar nicht hoch genug bewerten kann, weil sie die starken Fachbereiche und Universitäten weiter stärken wird. Die Exzellenzinitiative wird dazu beitragen, dass wir in Deutschland wieder mehrere Universitäten haben werden, die auch international im vorderen Feld mitspielen. Derzeit kann das leider kaum eine Uni. Unter den besten 30 Hochschulen der Welt ist keine aus Deutschland.
Das Parlament: Vieles ist noch im Entstehen, schon manches in dieser altehrwürdigen Institution in Bewegung geraten; erfolgreich in Bewegung geraten?
Andreas Pinkwart: Viele Hochschulen haben in den letzten Jahren schon erhebliche interne Anpassungsprozesse, zum Teil gegen heftigste Widerstände in den einzelnen Fachbereichen durchgesetzt. Da sind natürlich die Hochschulen, die über starke Rektorate verfügen, weiter als andere. Es ist bei den Hochschulen wie bei allen anderen Institutionen in einer globalisierten Welt auch: Nicht die großen schlagen die kleinen, sondern die schnellen die langsamen. Diejenigen - das zeigt auch manche private Hochschulgründung der letzten Jahre wie Vallendar bei Koblenz - sind erfolgreich, die schnell und konsequent sind. Dort wird Leistung nicht als Körperverletzung empfunden. Wenn wir es jetzt schaffen, den Hochschulen die Freiheitsräume zu geben und sie vom Gängelband der Bürokratie zu befreien, damit sie auch hinreichend schnell und flexibel agieren können, dann werden wir erleben, dass der deutsche Wissenschaftsraum hochattraktiv werden wird.