Das Studium ist ein Weg mit Irrungen und Wirrungen. Viele Studenten kommen nicht ans Ziel. Manche biegen ab: Ein Fünftel kehrt seinem Studienfach den Rücken, ergab die 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes 2003. Andere geben auf: 25 Prozent der deutschen Studienanfänger brechen ihr Erststudium ohne Abschluss ab, zeigte die Studienabbruchstudie 2005 der Hochschul-Informations-System GmbH Hannover (HIS). Vor allem der hohe Anteil derjenigen, die dem Hochschulsystem ganz abhanden kommen, müsste den Verantwortlichen Sorgen bereiten. "Von vier Studienanfängern ist einer nicht erfolgreich", sagt Ulrich Heublein, Autor mehrerer HIS-Studien über Studienabbrecher und Mitarbeiter der HIS-Außenstelle in Leipzig. "Das ist eine enorme Verschwendung von Ressourcen - von Lebenszeit der Studierenden und Geld der Hochschulen." Doch im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit diesen Zahlen im Mittelfeld. Vielleicht liegt es daran, dass manche Hochschulen nicht sehr aufgeregt auf die Ergebnisse reagieren: "Der häufig beschworene Paradigmenwechsel, dass die Lehre an Bedeutung gewinnt, scheint mir nicht vollzogen zu sein", konstatiert Heublein. Immer noch würden Professoren nicht daran gemessen, wie viele Studenten sie zum Erfolg führten.
Die Studien deuten darauf hin, dass mehr Studenten am Ball bleiben, wenn sie klare Vorgaben in ihrem Fach erhalten: So gibt es an den Fachhochschulen weniger Studienabbrecher (22 Prozent) als an den Unis (26 Prozent). Laut Studienabbrecherstudie 2005 ist das mit den Studienbedingungen zu erklären: Stärkere Strukturierung, bessere Orientierung, intensiverer Praxisbezug, ein höherer Anteil von Studierenden mit Berufserfahrung und örtliche Zulassungsbeschränkungen tragen dazu bei, dass in Fachhochschulen vier Prozent weniger Studierende den Faden ihrer akademischen Ausbildung verlieren als an Universitäten.
Gravierender als die Hochschulformen sind für den Abbrecheranteil die Fächergruppen. Hier schwanken die Zahlen gewaltig. Abbruch-Spitzenreiter an der Uni sind die Sprach- und Kulturwissenschaften inklusive Sport. 35 Prozent der Studienanfänger machen keinen Abschluss. Als Gründe vermuten Heublein und seine Kollegen, dass die Studierenden Orientierungsprobleme haben und das unscharfe Berufsfeld und die unsicheren Arbeitsmarktchancen ihren Teil zu den hohen Abbrecherzahlen beitragen. Deutlich über 30 Prozent liegen auch die Abbrecherquoten in den Wirtschaftswissenschaften und der Informatik, sowie neuerdings im Maschinenbau und der Elektrotechnik. Dagegen brechen nur wenige ein Lehramtsstudium ab, auch bei den Rechtswissenschaften und der Pädagogik fallen diese Quoten. Primus ist die Medizin: Nur elf Prozent lassen hier ihren Abschluss sausen. Grund: die realistische Einschätzung der medizinischen Studieninhalte.
Gerade die lässt beim Sorgenkind der Fachhochschulen, der Fächergruppe Mathematik und Naturwissenschaften, zu wünschen übrig. 40 Prozent Abbrecher hat diese Gruppe zu verschmerzen. Die schlechte Bilanz fährt vor allem die Informatik ein, wo die Quote bei 39 Prozent der Studienanfänger, bei den Frauen sogar bei 49 Prozent liegt. "Nicht jeder, der gut mit dem Computer umgehen kann, ist für das Informatikstudium geeignet", sagt Heublein. Neben den falschen Studienerwartungen und der fehlenden Eignung sind es in diesem Fach vor allem die Leistungsanforderungen, die viele scheitern lassen. Auch in den Wirtschaftswissenschaften, der Elektrotechnik und neuerdings der Sozialwissenschaft müssen immer mehr FH-Studierende passen.
Bei den Fachwechseln bestätigt sich das Bild: Es sind dieselben Fachgruppen betroffen wie bei den Abbrechern. Und auch hier schwankt der Anteil stark: Nur sieben Prozent der Studienanfänger der Medizin wechseln ihr Fach, aber 55 Prozent der Sprach- und Kulturwissenschaftler. Was die Forscher erstaunt, ist der späte Zeitpunkt: Laut der 17. Sozialerhebung entscheidet sich ein Drittel aller Wechsler erst nach mehr als drei Semestern zu dem Schritt.
Auch bei den Abbrechern ist nicht die Verwirrung der ersten Uni-Monate maßgeblich: "Es dauert fast vier Jahre bis ein Studium beendet wird", berichtet Heublein. Einer der wichtigsten Gründe: das fehlende Geld. "Schon bevor die Studiengebühren eingeführt worden sind, gibt es einen nicht geringen Teil der Studierenden, die aus finanziellen Gründen abbrechen." Andere wichtige Ursachen für das vorzeitige Ende der akademischen Karriere sind mangelnde Motivation, berufliche Neuorientierung, ein Angebot vom Arbeitsmarkt, Prüfungsangst, Schwangerschaft, der mangelnde Praxisbezug des Studiums und zu einem kleinen Teil psychische Krankheiten. Heublein sieht drei Gruppen von Studierenden als besonders gefährdet. Erstens: Studierende aus "bildungsärmeren Schichten", die viel jobben müssen, um sich ihre Existenz zu sichern. Zweitens: Studierende mit schlechtem Abitur, denen die Konzentrationsfähigkeit fehle und die aus der Motivation mit dem Studium begonnen haben, bald viel Geld zu verdienen. Drittens: Frauen und Männer, deren Studienerwartung nicht erfüllt wurde. "Zum Beispiel Germanistikstudentinnen, die dachten, sie könnten den ganzen Tag Hermann Hesse lesen und die dann auf einmal Grammatikdiskussionen führen sollen." Dramatisch ist die Situation ausländischer Studierender. Neueste Befragungen hätten gezeigt, dass "höchstens die Hälfte der ausländischen Studierenden in unserem System erfolgreich ist", so Heublein. Über die Hälfte bricht also das Studium ab. Die Gründe reichen dabei von geringen Deutschkenntnissen, schlechter Betreuung und Finanzierungsproblemen bis hin zur schwierigen sozialen Integration. Die genauen Ergebnisse sollen Anfang dieses Jahres publiziert werden.
In Bezug auf die deutschen Studienabbrecher liegt für Heublein ein wichtiger Teil des Problems darin, dass "eine Hochschul-,Reife' weniger denn je besteht". Die Abiturienten entschieden sich deshalb nicht selten für das für sie falsche Fach oder den für sie falschen Lebensweg einer akademischen Laufbahn. Die Hochschulen sollten darauf mit genaueren Informationen über die Anforderungen ihrer Fächer reagieren und den Einsteigern "Selbsttests" anbieten. Der HIS-Mitarbeiter schlägt außerdem einen offenen Einstieg in das Studium in einer einsemestrigen Collegephase vor, nach der die Studierenden sich entscheiden müssen, welches Fach sie wählen wollen.
Dass mehr gezielte Beratung der Hochschulen das Abbrecherproblem mildern könnte, glaubt auch Achim Meyer auf der Heyde. "Diese Beratung muss frühzeitig, am besten schon in der Schule beginnen", fordert der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes. Derzeit gibt es bei den 61 deutschen Studentenwerken 41 psychologische Beratungsstellen und 43 Sozialberatungen, die in Fragen einer existenziellen Studienkrise weiterhelfen können. Knapp 64.800 Einzelgespräche hatten die psychologischen Beratungen 2003/2004 zu verzeichnen, 46.000 Einzelgespräche die Sozialberatungen. Und in Zukunft? "Meine Befürchtung ist, dass der Druck auf die Studierenden mit den neuen Studienstrukturen steigt", sagt Meyer auf der Heyde. "Wir gehen davon aus, dass die Beratung dann an Bedeutung gewinnt."
Das kann Wilfried Schumann, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle von Universität und Studentenwerk Oldenburg, nur bestätigen: Seit der Einführung der Bachelorstudiengänge 2004/2005 haben sich die Anforderungen an seine Beratungsstelle verändert. Ein Drittel der Einzelberatungen dreht sich in Oldenburg um studienbezogene Konflikte. Doch während früher das strukturierte Arbeiten in der großen Freiheit des Studiums oft das Problem war, spielen jetzt verstärkt Sorgen wegen des hohen Zeit- und Leistungsdrucks eine Rolle. Viele Studenten könnten keine Prioritäten setzen und überforderten sich, so Schumann. In der Beratungsstelle suchen sie Coaching, einen Ort, an dem sie sich unbefangen aussprechen können und Hilfe für die Alltagsbewältigung. "Es geht nicht mehr um die großen Sinnfragen", sagt Schumann, "sondern darum, wie man das Arbeitspensum bewältigen kann und dabei gesund bleibt." Vor allem der finanzielle Druck sorge dafür, dass die Studierenden früher Hilfe suchten. Schumanns Bilanz: "Die neue Studienstruktur ist das reinste Arbeitsbeschaffungsprogramm für uns."
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.