Die erfreuliche Nachricht: Der Arbeitsmarkt für Akademiker verheißt Gutes. Der Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft benötigt einen steigenden Bedarf an exzellent ausgebildetem Nachwuchs, der von den vorhandenen Fachkräften nicht gedeckt werden kann. Die steigende Bedeutung von Forschung, Entwicklung, Beratung und Lehre wirkt sich vor allem auf die Nachfrage nach Beschäftigten mit Hochschulabschluss aus.
Die Zahl der Studienanfänger sank 2005 um rund zwei Prozent auf 351.900 (2003: 358.700). Der Anteil der Studienanfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung liegt für das Studienjahr 2005 bei 36,7 Prozent gegenüber 37,1 Prozent im Vorjahr. Mit anderen Worten: Auch künftig dürften es hoch Qualifizierte mangels Konkurrenz vergleichsweise leicht haben, die gewünschte Tätigkeit zu ergattern. Der demografische Wandel tut sein Übriges: "In den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten scheiden geburtenstarke Jahrgänge sukzessive aus dem Erwerbsleben aus", schreiben Jutta Allmendinger und Franziska Schreyer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Buch "Karriere ohne Vorlage". "Sie könnten nur dann halbwegs ausreichend ersetzt werden, wenn die nachrückenden geburtenschwachen Jahrgänge deutlich besser qualifiziert sein würden als frühere Kohorten."
Das aber sei nicht der Fall. Die Bildungsexpansion sei in Deutschland trotz PISA seit Beginn der 90er-Jahre zum Stillstand gekommen. Die Arbeitsmarktlage verschärfe sich durch die geringe Bereitschaft der Wirtschaft, ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen. Sie gelten Unternehmen als wenig flexibel. "Hier manifestiert sich ein recht verschwenderischer Umgang mit den Ressourcen Alter, Erfahrung und Engagement", befanden Wissenschaftler der TU Dresden vor einem Jahr. Das Dilemma liege in einem "Jugendlichkeitswahn der betrieblichen Personalrekrutierung". Was für Arbeitnehmer jenseits der 45 eine alarmierende Nachricht ist, verheißt jungen Menschen, die sich auf hohem Niveau bilden - und das fortwährend - rosige Perspektiven. "Die Datenlage ist eindeutig", so Allmendinger und Schreyer. "Je höher die Qualifikation, desto niedriger ist das Arbeitslosigkeitsrisiko."
Eine akademische Ausbildung schützt zwar nicht vor Arbeitslosigkeit, sie mindert die Wahrscheinlichkeit aber auf ein Minimum, in Zahlen: auf knapp vier Prozent. Denn das ist die Arbeitslosenquote unter Akademikern, wobei Frauen häufiger (4,7 Prozent) betroffen sind als Männer (3,5 Prozent). Quoten, die bei Arbeitsmarktexperten unter "Vollbeschäftigung" rangieren. Das ändert nichts an der Tatsache, dass älteren Arbeitslosen nur selten die Rückkehr ins Angestelltendasein gelingt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat gegenüber dem Jahr 2004 einen Rückgang der arbeitslosen Akademiker um 0,3 Prozent ausgemacht. Dennoch liegen zwischen einzelnen Fachbereichen teils eklatante Unterschiede. Im Trend liegen die Ingenieure (Rückgang um 0,8 Prozent), die allerdings mit knapp 65.000 in der Absolutzahl die weitaus meisten Arbeitslosen stellen. Wie ist es dann zu erklären, dass der Verband der Vertreter deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), von einem "personellen Engpass" redet? "Wir suchen bodenständige Entwickler mit konzeptionellen Fähigkeiten, die breit genug aufgestellt sein müssen", sagt Jürgen Rautert, Technik-Vorstand von Heidelberger Druck. Älteren wird so viel fachliche Mobilität nicht zugetraut. Sie bilden nicht von ungefähr das Gros der arbeitslosen Ingenieure.
Bei Lehrern und Geisteswissenschaftlern ist die Arbeitslosigkeit kaum gestiegen. Rund 32.000 von ihnen suchen derzeit eine Stelle. Auffallend ist der Anstieg der Arbeitslosen in der Sozialpflege (+12,9 Prozent). Auch die Juristen beklagen einen Negativkurs (+6,3 Prozent), während die Stimmung bei Publizisten steigt (-3,2 Prozent).
Besonders bitter stellt sich die Lage für Informatik-Unternehmen dar. Mangels Masse greift die deutsche Wirtschaft häufiger als ihr lieb ist auf ausländische Fachkräfte zurück. Aufgrund personeller Engpässe sehen sich 30 Prozent der IT-Unternehmen genötigt, Experten im Ausland zu rekrutieren. Dem vorhandenen Personal hierzulande fehle es häufig an interkultureller Kompetenz. Laut Angelika Rosenzweig, Mitglied der Geschäftsleitung bei Cisco Systems, steht die Ausbildung in der Pflicht: "Wie arbeitet ein Mensch in einem US-amerikanischen Unternehmen? Welche Besonderheiten sind zu berücksichtigen? Solchen Fragen wird an deutschen Hochschulen noch viel zu selten nachgegangen."
Überhaupt nehmen die Anforderungen von Unternehmen an ihre Mitarbeiter zu - und das bei oftmals reduzierten Ausbildungszeiten (das Bachelorstudium dauert in der Regel nur sechs Semester). Exzellente Fachkenntnisse werden vorausgesetzt, außerfachliche Kompetenzen gefordert. "Das erlaubt Unternehmen, auch bei verringertem Personalbestand ihre Mitarbeiter flexibel einzusetzen, wenn die Anforderungen des Marktes dies verlangen", heißt es im Jahresbericht 2005 der Bundesagentur für Arbeit.
Wenig motivierend ist die Entwicklung bei den Einkommen. Die Einstiegsgehälter der ersten Bachelorabsolventen sind niedriger als die von Diplomabsolventen. So erzielten Universitätsabgänger mit dem Bachelor in den Fachbereichen Ingenieurwissenschaften, Informatik und Wirtschaftswissenschaften mit einem durchschnittlichen Brutto-Jahreseinkommen von 32.400 Euro ein rund 7.000 Euro geringeres Einkommen als ihre Fachkollegen mit Diplom. Die Einkommen der Magisterabsolventen und der Absolventen in Pädagogik sowie der Sprach- und Kulturwissenschaften liegen nur halb so hoch.
Das Zusammenrücken Europas kommt der neuen Zahlungsmoral entgegen: Viele deutsche Unternehmen versuchen, die Löhne osteuropäischen Standards anzunähern. Geringere Bezahlung in Kombination mit erhöhtem Leistungsdruck und neuen Arbeitsstrukturen könnten künftig viele Schulabgänger vom Studium fernhalten. Die Streiks der Krankenhausärzte sind ein Vorgeschmack auf das, was auch anderen Akademikergruppen blühen könnte: hohe Verantwortung bei steigender Arbeitsbelastung und weitgehender Missachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten bei wenig angemessener Entlohnung. "Viele Medizinstudenten sehen in der Kliniktätigkeit nur noch eine unumgängliche Zeit bis zur eigenen Praxiserfahrung", weiß Prof. Roland Multhaupt von der Fachhochschule Münster. Schon heute planten acht Prozent der Nachwuchsärzte, in einen fachfremdem Beruf zu wechseln.
Ein Übel, das immer mehr um sich greift, hat bereits einen Namen: "Generation Praktikant". Zahlreiche Unternehmen beschäftigen junge Akademiker als billige, oft kostenfreie Angestellte. "Mitarbeiter von Hochschulteams der Bundesagentur für Arbeit berichten von einer Zunahme unbezahlter oder nicht Existenz sichernd bezahlter Praktika ,fertiger' Hochschulabsolventen", so Allmendinger und Schreyer. Ein Potsdamer Student berichtet, er habe bei einem Praktikantenjob einen jungen Vorgesetzten gehabt, der selbst Praktikant war. Überhaupt kommen "unsicher Beschäftigte" immer mehr in Mode. Knapp ein Viertel der deutschen Hochschulabsolventen hat rund vier Jahre nach dem Examen befristete Verträge.
Für Karl-Heinz Kohn, Dozent an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Schwerin und Mitwirkender des Netzwerkes "Wege ins Studium", kein Grund, vor einem Studium zu scheuen. "Es geht völlig an der Realität vorbei, zu glauben, dass sich hohe Bildungsinvestitionen nicht auszahlten. Die Medien neigen dazu, Negativtrends aufzubauschen," was in Berichten über "Dr. Arbeitslos" gipfele. Exakte Prognosen zum akademischen Arbeitsmarkt unterlägen jedoch immer dem "Pi-Mal-Daumen-Prinzip". Kohn: "Alle Versuche, mit Arbeitsmarktprognostik so etwas wie ein Frühwarnsystem aufzubauen, um Fragen wie "Wann brauchen wir wo mehr Absolventen und wann wo weniger?" zu beantworten, sind gescheitert. Es funktioniert nicht, weil der Übergang zwischen akademischen Abschlüssen und dazu passenden Berufsfeldern viel zu komplex ist."
Der Autor ist Redakteur bei den "VDI-Nachrichten".