In Sachsen jemanden zu finden, der von den neuen Möglichkeiten einer Juniorprofessur begeistert ist, ist schier unmöglich. Denn in Sachsen gibt es offiziell gar keine Juniorprofessoren. Das Land hatte zusammen mit den anderen Freistaaten Bayern und Thüringen erfolgreich gegen das Hochschulrahmengesetz geklagt, im wesentlichen deshalb, weil man sich in die Länderkompetenz für Hochschulfragen nicht hineinreden lassen wollte. Faktisch gibt es sie nun aber doch, nur dass sie sich nicht "Juniorprofessoren" nennen dürfen, sondern als wissenschaftliche Mitarbeiter fungieren - und bis zu einer endgültigen Festlegung im Landeshochschulgesetz nicht wissen, ob sie sich nun habilitieren müssen, um endgültig Professor werden zu können oder nicht.
Zum Beispiel Matthias Wagner vom Institut für experimentelle Physik an der Bergakademie Freiberg. Im schwedischen Linköping promoviert, musste er erst einmal im Atlas nachschlagen, wo Freiberg in Sachsen überhaupt liegt. Die Stellenausschreibung klang attraktiv: Der Juniorprofessor sollte eine Arbeitsgruppe aufbauen, Geld für die notwendigen Sachmittel kamen vom Bund. "Mich hat die Vorstellung fasziniert, nicht als Sklave eines Professors weiter forschen zu müssen." Wagners Schwerpunkt ist die Halbleiterdiagnostik, speziell die Materialprüfung. Die Freiheit, wirklich seine eigene Arbeit zu tun und nicht einem anderen zuarbeiten zu müssen, schätzt der 36-Jährige auch nach zwei Jahren noch. Ob er nun einen Professorentitel führen darf oder nicht, ist ihm völlig gleich: "Auf internationalen Konferenzen zählt der Titel nicht, eher schon bei deutschen Firmen."
Allerdings erwiesen sich die Vorstellungen, was die materielle Ausstattung seines Arbeitsplatzes betrifft, doch als Blütenträume. Mit den 60.000 Euro, die jede Uni pro Juniorprofessur bekommt, sind in der experimentellen Physik keine großen Sprünge zu machen. Das reicht für die Versuchsanordnungen, nicht aber für das Personal, das sie überwachen muss. Die fünffache Summe wäre nach Wagners Vorstellungen dafür notwendig gewesen. Nun ist der Nachwuchsforscher also zumindest in diesem Punkt doch wieder abhängig vom Lehrstuhlinhaber.
Was ihn aber noch mehr wurmt, ist die Tatsache, dass er keine Doktoranden betreuen darf, was als Qualitätsnachweis für spätere Bewerbungen wichtig wäre. Laut Hochschulgesetz ist das besonders qualifizierten Personen zwar möglich, aber nach der Promotionsordnung der Bergakademie Freiberg dürfen nur ordentliche Hochschullehrer Doktoranden betreuen. Da kommt dann doch wieder die Habilitation ins Spiel.
Ein völlig überflüssiger Fleißnachweis, findet der Betriebswirt Thomas Steger von der TU Chemnitz. "In meinem Fach wird sich die Habilitation bis 2020 überlebt haben. Die Kollegen aus Asien und der englischsprachigen Welt starren immer fassungslos auf die dicken Bücher und fragen: Was tust du da?" Für den gebürtigen Schweizer ist das langwierige Habilitationsverfahren der Hauptgrund für die Schwierigkeiten deutscher Wissenschaftler, mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können. "Man wird 30 und hat noch nie kompetitiv geforscht und publiziert, sondern das geschrieben, was der Professor vor Ort lesen will." Wem die Wildbahn des freien Publizierens gänzlich unbekannt sei, der könne bei den Blindgutachten der international renommierten Fachblätter sein Cannae erleben - "und das zehrt am Selbstbewusstsein".
Davon haben Juniorprofessoren eigentlich ziemlich viel, und das verdanken sie der Tatsache, dass sie im Grunde genommen an der Uni nichts anderes tun, als die gut bestallten Professoren auch - nur dass sie, wie Thomas Steger - nach BAT II a Ost entlohnt werden, "wie als kleiner wissenschaftlicher Assistent, der ich vor zwölf Jahren schon war".
Da hilft auch die gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung seiner Arbeit nach drei Jahren nicht, die Steger soeben hinter sich gebracht hat. Ein fünf bis sechs Seiten langes Gutachten sei dabei herausgekommen - "keine Ahnung, was da zählt und wofür das gut ist", zumal man in Sachsen ja eigentlich keine Überprüfung der Juniorprofessoren vornehmen müsste, weil es sie doch irgendwie nicht gibt. Nein, offene Ablehnung spürt auch Thomas Steger nicht an der Uni, nur eine gewisse Ignoranz bei den ordentlichen Professoren und teilweise Futterneid beim Mittelbau. Die herkömmlichen Assistenten haben nun mal keinen eigenen Etat für Sachmittel und bekommen dann vielleicht nur mit, dass bei den Betriebswirten plötzlich ganz viele Computer angeschafft wurden, weil der Juniorprofessor Anfang Dezember seine Stelle angetreten hatte und bis zum Ende des Haushaltsjahres unmöglich das ganze ihm zustehende Geld ausgeben konnte. "Aber eine ordentliche Hängeregistratur zu bekommen, war ein Problem, weil die nicht im Beschaffungsplan vorkommt", kommentiert Steger die bürokratischen Folgen des öffentlichen Haushaltsrechtes. Immerhin kann er im Gegenzug zu seiner Computerspende bei der Institutsleitung mit Entgegenkommen in personellen Fragen rechnen.
Ansonsten fühlt Steger sich zwar frei, aber gleichzeitig auch ohne Einfluss. Der Fakultätsrat steht den Juniorprofessoren in Chemnitz zwar noch offen, aber im entscheidenden Konvent wollen die ordentlichen Professoren unter sich sein. Auch deshalb wäre Thomas Steger für eine Klärung der Rechtslage dankbar. Zur Sicherheit hat er doch noch eine Reihe seiner wissenschaftlichen Aufsätze zu einer Habilitationsschrift zusammengefasst und eingereicht - 2020 ist eben noch sehr weit.
Zu riskant findet es auch Andrea Walther, auf eine Habilitation zu verzichten. Die Mathematikerin an der TU Dresden war ursprünglich aus genau diesem Grund begeistert von der Juniorprofessur. Heute bemängelt sie neben dem faktischen Zwang zur Habilitation auch die fehlenden Personalmittel. Dass sie sich trotzdem durch Drittmittel mit zwei Doktoranden und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Forschungsgruppe aufbauen konnte, verdankt sie nur sich selbst. "Bestimmt war die Kombination Frau und Ost in diesem Fall von Vorteil", meint Andrea Walther mit Blick auf die Flut an Förderanträgen, die bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingehen.
Nüchtern analysiert sie auch ihre Gesamtlage: "Man sitzt zwischen allen Stühlen", ist Professor und auch wieder nicht, soll primär forschen, aber auch lehren, was kein größeres Problem sein müsste, zöge das nicht einen Rattenschwanz an Bürokratie hinter sich her. Aber alles nicht so schlimm, findet Andrea Walther, solange man die Freiheit beim Forschen hat. Diese Freiheit war ihr wichtiger, als ein höheres Einkommen in der freien Wirtschaft. Auch weil sie bereits Mutter ist und das zweite Kind bald zur Welt kommt. Aber froh, dass sie nicht den Unterhalt für die Familie verdienen muss, ist die Wissenschaftlerin auch.