Wie Wissen produziert wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental gewandelt. Angewandte Forschung und Grundlagenforschung greifen immer öfter ineinander, zukunftsweisende Wissenschaften agieren über Fachgrenzen hinweg und naturwissenschaftliche For- schung paart sich immer öfter mit technologischen Entwicklungen. Das verändert auch die Forschungsförderung: Sie honoriert zunehmend vernetzte Forschung, die unter verschiedenen Labeln wie Programm-, Projekt- oder Clusterforschung auftritt.
Wenn Berend Denkena von "seinem" 40-Millionen-Projekt spricht, dann klingt das - zumindest für einen Forscher - ziemlich enthusiastisch. Denkena ist Ingenieurwissenschaftler an der Universität Hannover und Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) "Gentelligente Bauteile im Lebenszyklus", der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Ein "hervorragendes Instrument" nennt Denkena das SFB-Programm. "Denn es bietet genau das, was wir zur Erforschung neuer grundlegender Dinge brauchen: eine langfristige Perspektive und ein großes Umfeld." Auf zwölf Jahre ist das Projekt angelegt, das 14 Teilprojekte und mehrere Fächer umfasst. Am Ende stehen Bauteile, die untrennbar mit ihrer eigenen Historie verbunden sind, vergleichbar einer Zelle und ihrem Gencode. Damit können beispielsweise in sensiblen Bereichen wie der Flugzeugindustrie Bauteile auf ihre "Echtheit" geprüft und Falsifikate ausgeschieden werden. Wie Denkena forschen immer mehr Wissenschaftler im Rahmen eines Verbunds, vor allem in den Naturwissenschaften, deren Erkenntnisse meist mit teuren Verfahren und transdisziplinär "zwischen" den klassischen Fächern gewonnen werden. Diese komplexe Forschung erzeugt wiederum eigene komplexe "Fächer", die meist als Schlüsseldisziplinen Karriere machen, etwa die Systembiologie, die Wissen aus vielen Bereichen wie der Biologie oder Nanotechnologie integriert. Und weil Forschungscluster die Potenz besitzen, Themen zu lancieren, gelten sie oft auch als "Schöpfer" der Innovationsbereiche - eine falsche Schlussfolgerung.
Am Anfang neuer Forschungsfragen steht stets ein kreativer Geist, oft ein Einzelkämpfer, betont Beate Konze-Thomas, DFG-Abteilungsleiterin. "Wissenschaft ist keine Fabrikarbeit, erst entdeckt man Fragen, dann entwickelt man Papers, man wird eingeladen um diese zu vertreten." Und vielleicht erhält man sogar Geld für Forschung, aus der eines Tages ein Forschungsschwerpunkt reifen könnte. Dass Einzelprojekte strengen Auswahlverfahren unterzogen werden müssen, ist für Konze-Thomas selbstverständlich. "Durchschnittlich bleiben sieben von zehn Einzelanträgen auf der Strecke." Diese Förderung als "Gießkanne" zu denunzieren, sei deshalb absurd. "Es ist eher wie im Sport: Wer zum Spitzensportler taugt, erweist sich im Breitensport."
Sportlichen Ehrgeiz jedenfalls löst die neue, mit 1,9 Milliarden Euro für fünf Jahre ausgestattete Exzellenzinitiative aus. An diesem Wettbewerb, der "Leuchttürme der Wissenschaft" zum Strahlen bringen soll, beteiligten sich fast alle Universitäten in irgendeiner Form. "Noch nie zuvor habe ich erlebt, dass ein solcher Aufschwung durch die Unis ging", berichtet Max Einhäupl, Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Viele Hochschulen stellten Anträge gemeinsam mit außeruniversitären Instituten der Max-Planck-Gesellschaft oder der Helmholtz-Gemeinschaft. Diese gemeinsamen Projekte sind nicht nur wissenschaftlich fruchtbar, sie können auch das Bild der in internationalen Rankings schwach erscheinenden deutschen Universitäten korrigieren.
Auch die EU setzt mit ihren Forschungsrahmenprogrammen (FRP) auf Forschungsallianzen, die Europas Wettbewerbsfähigkeit steigern sollen. Künftig will die EU-Kommission die amerikanische Praxis "zweckgerichteter" Grundlagenforschung verstärkt fördern. Denn die Vereinigten Staaten, Weltmeister massiver Programmförderung, haben mit dieser eher nutzenorientierten "Frontier Research" in den Schlüsseldisziplinen meist die Nase vorn. Nun fürchten europäische Forscher, dass politische Signale gesetzt werden, die möglicherweise die Autonomie des eben erst installierten EU-Forschungsrats einschränken könnten. "Die Cluster-Idee ist richtig. Forschungsverbünde aber müssen sich an Projekten entfalten und dürfen nicht vorgegeben sein", warnt denn auch Christiane Ebel-Gabriel, die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz.
Insgesamt aber ist die Wissenschaft - und damit wohl auch deren Förderung - erfolgreich, gemessen jedenfalls an der Zahl der Forscher aus Deutschland, die an ausländischen Elite-Unis arbeiten, an den eingeheimsten Preisen, inklusive der Nobelpreise oder an den zum Patent angemeldeten Erfindungen, die heute zu einem erheblichen Teil aus Schlüsseltechnologien großer Forschungscluster stammen. Nach den USA mit rund 28 Prozent (32.000) führt Deutschland die Liste der Anmeldungen beim Europäischen Patentamt EPO mit 20 Prozent (23.000) an.
Die Unterstützung von Verbund- und Einzelprojekten zahlt sich offensichtlich aus. "Deutschland hat die Weichen richtig gestellt", bestätigt Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, die einen ihrer Förderschwerpunkte auf Nachwuchsprogramme legt. Dieser in Deutschland zunehmend beachtete Förderbereich sichert nicht nur der Wissenschaft die "Primetime" - die kreativste Lebenszeit - junger Forscher, sondern öffnet auch herausragendem Nachwuchs die Tür zur Spitzengruppe der jeweiligen "Scientific Community". Wichtig aber ist, betont Krull, dass jene, die positiv evaluiert worden sind, prinzipiell die Perspektive auf eine reguläre Professur erhalten, vergleichbar dem "Tenure Track" in den USA.
Am hehren Ziel, dass Staat und Wirtschaft bis 2010 drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investieren, will die neue Bundesregierung festhalten. Positiv wird sich auch die angekündigte Vollkostenfinanzierung der Hochschulforschung auswirken, prognostiziert Einhäupl. Noch tragen Hochschulen die Infrastrukturkosten aus ihrem Haushalt, was die Akquisition von Drittmitteln limitiert. Denn mit steigenden Drittmitteln sinkt der Grundmittel-Anteil je Projekt.
Das weit verbreitete Unbehagen an der deutschen Forschungslandschaft liegt weder an einer verfehlten Förderpolitik, noch zwangsläufig an fehlenden Mitteln. André Steynmeyer sichtet die Gründe für die Abwanderung viel versprechender Nachwuchswissenschaftler eher in atmosphärischen Störungen. Auch er fühlt sich an der University of California wohler als an deutschen Hochschulen, die Wesen und Bedeutung einer guten Corporate Identity ignorierten. Anders beispielsweise das exklusive Institute for Advanced Study in Princeton, das 1930 gegründet und dessen Mitglied Albert Einstein wurde. Wie an vielen bekannten angelsächsischen Universitäten irisiert in Princeton ein besonderes Flair, ein Hauch Ehrfurcht vor Erkenntnissuche und Leichtigkeit des Denkens, meilenweit entfernt vom wenig inspirierenden Schmuddellook vieler hiesiger Universitäten.
Das Beispiel Princeton zeigt aber auch, was das in Deutschland wenig entwickelte Forschungssponsoring teilweise zu leisten imstande: In dieser privat gestifteten und allein der Forschungsfreiheit gewidmeten Oase bringen renommierte Wissenschaftler ohne Druck die Forschung entscheidend voran. Das bestätigt: Wichtigstes Förderprinzip ist die Stärkung der Autonomie von Wissenschaft und Forschung.