Seit vorigem Jahr unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Bundesagentur zur Förderung der Wissenschaften, erstmals ein gemeinsames Doktorandenkolleg von Hochschul- und Industrieforschung, und zwar zwischen der Universität Erlangen-Nürnberg und dem Chemieunternehmen Degussa. Es geht um neue Werkstoffe. Das Betreuerteam der Nachwuchskräfte besteht aus zwei Hochschullehrern und einem Firmenexperten. Die Doktoranden lernen gleichzeitig in der Uni und im neuen Science-to-Business-Center Nanotronics, für das das Unternehmen in den nächsten vier Jahren 50 Millionen Euro ausgeben wird. In diesem Center finden die Spitzenstudenten die technische Infrastruktur und die praktische Herausforderung, neue Nanopartikel für Innovationen zu entwickeln, zum Beispiel für effizientere Autobatterien.
Das Beispiel zeigt: Die Zukunft der Hochtechnologie und der von ihr geprägten Wirtschaft und Gesellschaft beruht im Wesentlichen auf einem Zusammenspiel zu dritt: zwischen der Wissenschaft, innovativen Unternehmen und dem Staat. Dass der Staat mitfördert, ist praktisch eine Selbstverständlichkeit, wie sich bei der Bildung der neuen Bundesregierung zeigte: Streit gab es höchstens darum, inwieweit das Bundeswirtschaftsministerium oder das Bundesforschungsministerium zuständig sein soll. Schließlich landete etwa die Raumfahrt beim Wirtschaftsminister - wie das übrigens auch in Frankreich der Fall ist. Schon immer ist im Wirtschaftsressort die Energieforschung auf Bundesebene angesiedelt, vom Atomstrom bis zur Windkraft und der Wärmedämmung im Wohnungsbau - eine alternative Beheimatung unter dem Dach des Umweltministeriums wäre denkbar, ist aber unrealistisch: Denn trotz aller Sachnähe ist Forschungsförderung eben immer ein erstrangiges Politikum.
Das zeigte sich nicht zuletzt auch in der "Föderalismusdebatte" des vergangenen Jahres. Vorläufig schälte sich heraus: Forschung von nationaler und internationaler Bedeutung ist und bleibt ein Förderobjekt des Bundes. Dem Staat fällt die Aufgabe zu, Forschungs- und Entwicklungs-(FuE)Projekte möglichst im vorwettbewerblichen, jedenfalls besonders risikoreichen Stadium zu unterstützen. Nötigenfalls hat er auch einen ethischen Rahmen zu setzen, wie er das mit dem "Nationalen Ethikrat" für das Forschungsfeld mit embryonalen Stammzellen vom Menschen getan hat.
Die technologische Forschung bietet heute mehr als 350.000 hochqualifizierten Kräften in Deutschland zukunftssichere Vollzeit-Arbeitsplätze. Sechs von sieben arbeiten in Unternehmen, der siebte im öffentlichen Dienst. FuE haben einen Anteil von zweieinhalb Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Der Durchschnitt in der Europäischen Union liegt deutlich darunter bei zwei Prozent.
Jährlich fließen rund 16 Milliarden Euro Steuergelder in Forschung und Technologie. Das ist ein Drittel der gesamtwirtschaftlichen Aufwendungen dafür. Sie stammen also weit überwiegend aus dem Unternehmensbereich. Eine wissenschaftliche Untersuchung des Bundesforschungsministeriums stellt fest: "In der langfristigen Betrachtung der FuE-Forschung in Deutschland zeigt sich deutlich die immer stärkere Verlagerung auf den Unternehmenssektor als nachhaltigste Finanzierungsquelle." Der Staat ist mit acht Prozent an der Unternehmens-FuE beteiligt. Diese Quote liegt niedriger als in der US-Wirtschaft oder Partnerländern im Binnenmarkt der Europäischen Union wie Italien, Frankreich und Großbritannien. Dort fällt nicht zuletzt die militärische Forschung mit ins Gewicht - wobei sie gerade in Amerika auch viele zivil nutzbare Innovationen mit umfasst, zum Beispiel auf dem Felde von Sprachcomputern oder der automatischen Fremdsprachenübersetzung von Telefongesprächen.
Der Löwenanteil der deutschen Steuergelder fließt in die Universitäten und andere öffentliche Think-tanks und Labors, also vor allem in die Grundlagenforschung und die Nachwuchsförderung. Der Bund fördert die Hochschulforschung vor allem über die Deutsche Forschungsgemeinschaft, eine Selbstverwaltungs- einrichtung der Wissenschaftler. Tragende Säulen der außeruniversitären Grundlagenforschung sind die Max-Planck-Gesellschaft, die deutsche Nobelpreis-Schmiede und die 15 Großforschungsanlagen der Helmholtz-Gemeinschaft wie etwa das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY). In der Leibniz-Gemeinschaft sind 79 selbständige Institute unterschiedlicher Disziplinen vom Deutschen Primatenzentrum (Aids-Forschung) bis zu Wirtschaftsforschungsinstituten lose miteinander verknüpft, davon allein 34 in den neuen Bundesländern. Die Fraunhofer-Gesellschaft mit 57 inländischen und mehreren Instituten im Ausland betreibt und unterstützt speziell angewandte Forschung. Sie ist bestrebt, zwei Drittel ihres Haushalts auf dem freien Markt einzuwerben.
Die staatliche Förderung in Deutschland wirkt sich breit gestreut aus. Sie kommt jedem sechsten Industrieunternehmen zugute. Das offene Geheimnis dieser Breitenwirkung sind Forschungsverbünde zwischen Wissenschaft und Wirtschaft (Public Private Partnership). In Förderschwerpunkten wie der Fertigungstechnik, der Informatik, der Mikrosystemtechnik und der Materialforschung werden praktisch ausschließlich solche Kooperationen vom Staat unterstützt. Auf jeden Euro von "Vater Staat" legt die forschende Industrie mehr als einen weiteren Euro drauf.
Bis 2010 will die Europäische Union zum technologischen Weltmarktführer werden. Nationale Technologiepolitik muss sich entsprechend verstärkt auf internationale Kooperationen "im EU-Forschungsraum" einstellen, erklärt Staatssekretär Frieder Meyer-Krahmer vom Bundesforschungsministerium. Der "Rahmenplan für Forschung und technologische Entwicklung" der EU umfasst gegenwärtig rund 4 Milliarden Euro im Jahr, hauptsächlich für anwendungsorientierte, innovative Forschungsvorhaben. Was und wer zum Zuge kommt, entscheidet sich im Wettbewerb unter innovativen Projektideen. Das Gesamtbudget entspricht den Summen, die der deutsche Fahrzeugbau in einem Jahr für FuE ausgibt. "Wichtiger als alles Geld ist die Tatsache, dass Brüssel mit diesen Anreizen die staatlichen Grenzen überspringt und damit auch die öffentliche Forschungsförderung dem internationalen Wettstreit aussetzt", sagt Horst Soboll, Leiter Forschungspolitik bei Daimler Chrysler. "Das führt zur Leistungssteigerung und Spitzenqualität, die im globalen wissenschaftlich-technologischen Wettbewerb mit den USA und Japan unentbehrlich sind."
Dieser Wettstreit führt unvermeidlich zum weltweiten Wettbewerb um die besten Nachwuchstalente. Ed Michaels von der Beratungsfirma McKinsey prägte dafür schon 1998 das Schlagwort vom "War for Talents". Der erfordert nicht nur exzellente Forschung, sondern zugleich ein weltweites Forschungsmarketing. Das führt der Deutsche Akademische Austauschdienst für das Bundesforschungsministerium durch, zum Beispiel im vergangenen November mit einer Rundreise an brasilianische Universitäten. Einheimische und deutsche Experten erörterten etwa "Forschungsergebnisse in ausgewählten Bereichen der Nanotechnologie", also der Welt im Allerkleinsten. Im Publikum Studenten, Nachwuchswissenschaftler und Hochschullehrer, die wissen wollten, wie weit Deutschland in den innovativen Wissenschaften ist, wo die reizvollsten Studienstandorte und Arbeitsmöglichkeiten sind. Am Ende der Veranstaltung in der Uni Campinas bedankt sich ein örtlicher Kollege bei einem deutschen aus München: "Schön, dass Sie hier waren - nächste Woche kommen die Japaner, ich bin schon gespannt, was die zu bieten haben."
Doch es gibt immerhin noch eine fachliche wie forschungspolitische deutsche Trumpfkarte, die andere Länder nicht haben: die Alexander von Humboldt-Stiftung mit ihren jährlich rund 1.500 Spitzen-Stipendiaten aus aller Welt, die wirksamsten Promotoren von und für Wissenschaft made in Germany.