Ein Bild wie aus Hollywood: Vor 2.500 Angehörigen und Freunden nahmen am 9. Juli 2005 auf der Hofgartenwiese vor der Universität Bonn 700 Absolventinnen und Absolventen in Talar und Barett ihre Abschluss-Urkunden entgegen. Als "Teil einer neuen Universitätskultur der Gemeinschaft und Partnerschaft über die Studienzeit hinaus" bezeichnete Rektor Matthias Winiger die Feierlichkeiten im Rahmen eines großen Universitätsfestes.
Die Bonner Anleihe bei der amerikanischen Tradition der "caps and gowns" ist ein Beispiel dafür, wie sich deutsche Universitäten um eine engere Bindung ihrer Studienabgänger bemühen. Ein weiterer Beleg ist die wachsende Zahl von Alumni-Initiativen in Deutschland. "Alumni" steht im Lateinischen für Zöglinge und bezeichnet heute meist Abgänger einer Hochschule. Alumni-Vereinigungen fördern den Austausch unter Ex-Kommilitonen, aber auch den Kontakt der Ehemaligen zu Studierenden und Lehrenden.
Die Hochschulen haben ihre Absolventen nicht ohne Grund entdeckt: Seit sie im globalisierten Wettbewerb um Drittmittel, aber auch um qualifiziertes Lehrpersonal und Studierende stehen und sich Rankings und Evaluationsprozessen unterziehen müssen, spielen Marketing und Markenbildung eine immer wichtigere Rolle. Wie schön wäre es da, wenn zufriedene Abgänger den Ruf ihrer Alma Mater in die Welt trügen.
Aber die positive Identifikation mit der ehemaligen Ausbildungsstätte ist in Deutschland eher Mangelware. Im Gegenteil: Vor allem an anonymen Massenunis drückte sich die Beziehung zu den Studierenden lange in einer Matrikelnummer und überfüllten Seminaren aus. Man sei doch nur ein "Klotz am Bein der Professoren" gewesen, erinnert sich Christian Kramberg, Vorsitzender des Verbandes Alumni-Clubs.net, der Plattform für die stetig wachsende Zahl von Ehemaligen-Organisationen im deutschsprachigen Raum sein will.
Bis vor einem halben Jahr saß Kramberg auch im Vorstand von AbsolventUM: Der 1995 gegründete Verein an der Universität Mannheim gilt als Musterfall erfolgreicher Alumni-Arbeit in Deutschland und wurde dafür 2001 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet. In der AbsolventUM-Geschäftsstelle kümmern sich zwei Festangestellte und fünf Studierende um mehr als 4.000 zahlende Mitglieder und 39 Regionalgruppen auf allen Kontinenten, von Chicago, Hawaii und New York über Sao Paolo und Kapstadt bis Shanghai, Singapur, Sydney. Eine eigene Marketinggesellschaft mit Kramberg als Geschäftsführer kümmert sich um die kommerziellen Aktivitäten von Verein und Universität, aber auch um die Pflege von Firmenkontakten. Neu eingerichtet wurde eine Stelle fürs Fundraising.
Damit widmet sich die Uni Mannheim den Alumni weit professioneller als viele deutsche Hochschulen. Trotzdem, im Vergleich zu den USA, wo das Zugehörigkeitsgefühl schon während des Studiums intensiv gepflegt wird, ist Deutschland weit im Hintertreffen. In den Staaten haben Alumni-Clubs nicht nur an Elite-Universitäten eine lange Tradition. Auch kleine Unis und Colleges werben im Internet mit Aktivitäten für "alumni & friends". Die Ehemaligen tragen ihre Verbundenheit gerne zur Schau - das Hochschul-Logo prangt auf Autoaufklebern, Kleidungsstücken, Kreditkarten und natürlich dem "class ring".
Ebenso selbstverständlich engagieren sich viele amerikanische Absolventen für ihre Hochschule - ehrenamtlich und auch finanziell. Spenden, Drittmittel und Stiftungen sind ein wichtiges finanzielles Standbein für US-Universitäten, die Elite-Unis beschäftigen sogar Hunderte Mitarbeiter fürs Fundraising. Die Pflege der Alumni-Kontakte ist da ein wichtiger Teil des Geschäfts.
Nicht nur wegen der anderen Spendenkultur in Deutschland können hiesige Hochschulen kaum auf finanzielle Großzügigkeit ihrer Absolventen hoffen, es fehlt vor allem die emotionale Basis. "Um Alumni langfristig zu binden, müssen wir schon während des Studiums eine Beziehung aufbauen. Und da stehen wir in Deutschland noch ganz am Anfang", meint Irmela Lord, Geschäftsführerin des 2001 gegründeten Alumni-Clubs Bonn. Sie ist nicht allein mit der Erkenntnis, dass Alumni-Arbeit weit vor dem Examen beginnen muss - Stichwort "Friendraising".
Auch jenseits von Spenden und Sponsoren könnten deutsche Hochschulen profitieren, wenn sich die Absolventen stärker einbringen würden. Alumni können beispielsweise helfen, qualifizierte Studierende und renommierte Wissenschaftler zu gewinnen, oder sich in der Region, bei Wirtschaft und Politik für ihre Alma Mater einsetzen. Sie können in Unternehmen den Weg für Praktikanten und Doktoranden bereiten, sich an der Uni als Mentor engagieren oder bei der Entwicklung neuer Curricula helfen.
Solche Förderer, die übrigens keineswegs einer Elite angehören müssen, gewinnt man nicht mit der Basis-Version der Alumni-Arbeit - einer kostenlosen lebenslangen E-mail-Adresse und Informationen über Aktivitäten und Entwicklungen der Hochschule per E-mail oder jährlichem Alumni-Magazin. Das sei "Einweg-Kommunikation", kritisiert Markus Langer, der sich am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh mit Projekten zu Alumni und Hochschulbindung befasst.
Wer eine Beziehung zum beiderseitigen Nutzen aufbauen will, muss den Alumni mehr bieten: Bei der Vernetzung helfen Internetdatenbanken, in denen Mitglieder nach ehemaligen Kommilitonen oder nach Ansprechpartnern beim Wunscharbeitgeber suchen können. Persönliche Kontakte lassen sich durch Stammtische oder Jahrestreffen pflegen. Als Ausdruck von Wertschätzung eignen sich spezielle Alumni-Veranstaltungen oder auch Angebote zur wissenschaftlichen Weiterbildung.
Handfeste Vorteile bringt ein "Career Service", wie ihn zum Beispiel die TU München und die Ruhr-Uni Bochum anbieten - mit Informationen rund um den Berufseinstieg, Job- und Praktikumsbörsen und Beratung für Existenzgründer und Erfinder. An der Uni Potsdam umfasst das Angebot auch die Beratung zur individuellen Karriereplanung und ein Mentoringprogramm zur Förderung von Fach- und Führungspotenzialen.
Welche Leistungen den Mitglieder gefallen, testen viele Vereinigungen aber auch noch aus: Die Kreditkarte mit Universitätsmotiv, die der Alumni-Club Bonn vermittelt, wird wegen mangelnder Nachfrage wieder aus dem Angebot genommen, so Geschäftsführerin Irmela Lord. In Bonn erwägt man auch, zusätzlich zum Club mit Jahresbeitrag ein kostenfreies Netzwerk mit eingeschränkten Leistungen zu bieten - auch um zum Beispiel die Mitgliedschaft in Ländern jenseits der Euro-Zone zu erleichtern.
Markus Langer vom CHE verweist dagegen darauf, dass die Verbundenheit in kostenpflichtigen Organisationen in der Regel größer ist als in lockeren Netzwerken. Die Leistungsfähigkeit der Alumni-Vereinigungen hänge im übrigen auch davon ab, ob sie zentral auf Hochschulebene angesiedelt sind, vielleicht sogar als Stabsstelle der Universität, oder auf der Ebene einzelner Fachbereiche, Institute oder Studiengänge. Zentrale Alumni-Vereinigungen gibt es unter anderem an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und den Universitäten in Kiel, Karlsruhe und Göttingen, dezentrale zum Beispiel an der Bauhaus-Universität in Weimar, der Ludwigs-Maximilians-Universität München, der Freien Universität Berlin und der Uni Frankfurt.
Sowohl Markus Langer am CHE wie Christian Kramberg von Alumni-Clubs.net erwarten einen Entwicklungsschub der Alumni-Kultur an deutschen Universitäten. Wegen der Vereinheitlichung der europäischen Hochschullandschaft - Bologna-Prozess -, aber auch wegen der anstehenden Studiengebühren bleibt dafür in Deutschland nach Krambergs Einschätzung nicht viel Zeit. "In wenigen Jahren wird es neue Berufsbilder wie Alumni Manager oder Career Service Manager an unseren Unis geben."
Die Autorin arbeitet als Journalistin in Köln.