Keineswegs ausgeschlossen ist, dass die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) an die Macht zurückkehrt. Vor sechs Jahren hatte die ehemalige Staatspartei nach 71 Jahren erstmals ihr Regierungsmonopol verloren, doch stellt sie noch immer die meisten Gouverneure in den Bundesstaaten und ist die stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus und im Senat. Auch blieb die Partei, deren einstiges Herrschaftssystem von dem peruanischen Schriftsteller Mario Vargas Llosa als "die perfekte Diktatur" beschrieben wurde, von den Korruptionsskandalen unberührt, welche die mexikanische Politik in den letzten Monaten erschütterten.
Doch hinter den Kulissen gärt es, weil der Wandel hin zu einer pluralistischen Partei mit demokratischen Strukturen ausblieb. Dies zeigte sich auch bei der Wahl des Präsidentschaftskandidaten, bei der Roberto Madrazo - einer der alten Parteiwölfe - den aussichtsreichen und eher dem Reformflügel zugeneigten
Arturo Montiel ausschaltete. Madrazo kann sich auf ein dichtes Geflecht von in Jahrzehnten gewachsenen Abhängigkeiten stützen und auf das große Potenzial traditioneller PRI-Wähler. "PRI - si", zu dieser traditionellen Devise könnten nun auch wieder viele zurück-kehren, die nach der Wahl vor sechs Jahren auf einen radikaleren Wandel und eine schnellere Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse gehofft hatten.
Auf diese Enttäuschten setzt auch der in den Umfragen knapp vorn liegende Linkspopulist Andrés Manuel López Obrador, den seine Anhänger nur liebevoll Amlo nennen. Der Kandidat der linksorientierten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) ist vor allem in der Hauptstadt populär, die er von 2000 bis 2005 als Bürgermeister regierte. In dieser Zeit hat er eine Grundrente für alle über 70-Jährigen eingeführt, zinsgünstige Wohnungsbauprogramme für die in den Elendsvierteln lebenden Hauptstädter erlassen und den Straßenbau in der Megametropole mit bemerkenswerter Geschwindigkeit vorangetrieben.
Als nach bisher nicht völlig aufgeklärten Korruptionsvorwürfen im vergangenen Jahr die Staatsanwaltschaft mit einem für Mexiko unüblichen Eifer ein Verfahren gegen López Obrador betrieb, kam es vielerorts zu machtvollen Solidaritätskundgebungen für den bedrängten Bürgermeister. Allein in Mexiko-Stadt versammelten sich über eine Million Menschen zur wahrscheinlich größten Demonstration in der Geschichte Mexikos. Nicht nur die PRD-Anhänger wollten verhindern, dass das politische Establishment per Richterbeschluss den unbequemen Konkurrenten von einer Kandidatur ausschließt. Am Ende sprach Präsident Fox ein Machtwort, und der Fall wurde zu den Akten gelegt, nicht zuletzt weil die Beliebtheit des Bürgermeisters bei seinen Landsleuten durch die Dauerdebatte jeden Tag größer wurde.
Dieser Vorsprung ist allerdings geschrumpft. Sein mit der Präsidentschaftskandidatur verbundener Abschied von der Stadtregierung als auch die Rücknahme seines Versprechens, die Todesstrafe wieder einzuführen, wie es viele der unter einer dramatischen Kriminalität leidenden Hauptstädter fordern, kosteten ihn Sympathie. Dazu kommt, dass die im Vorfeld der Wahlen wieder aktiv gewordenen Zapatisten gegen die PRD und ihren Kandidaten mobil machen. Vor allem die Verbalattack-en von Rebellenführer "Marcos" könnten das Image von López Obrador als Kandidat der Linken in den kommenden Monaten nachhaltig beschädigen.
Mit besonderer Spannung verfolgt man die Entwick-lung von Lopez Obrador auch in Washington. Dort sorgt man sich, dass auch Mexiko noch von dem gegenwärtigen kontinentalen Linksdrift erfasst werden könnte und setzt deshalb auf Felipe Calderón Hinojosa, den pragmatischen und wirtschaftsfreundlichen Kandidaten der regierenden Partei der Nationalen Aktion (PAN). Ursprünglich hatte alles danach ausgesehen, dass Innenminister Santiago Creel für die Pa-nistas ins Rennen ginge. Doch stolperte er über die undurchsichtige Vergabe von Lizenzen für Spielcasinos an eine Tochterfirma des Fernsehsenders Televisa. Weil Creel auch als Favorit von Präsident Fox galt, kann seine Niederlage auch als Votum über die mangelnden Führungsqualitäten des Staatschefs gewertet werden. In jedem Fall bescherte die Kandidatur von Felipe Calderón der konservativen PAN einen spürbaren Sympathiesprung. Der ehemalige Energieminister, der auch jahrelang Generalsekretär und Vorsitzender seiner Partei war, wird allerdings bisher eher unterschätzt. Nicht zuletzt, weil er fast jedem zweiten Mexikaner unbekannt ist. Damit hat er aber auch die Möglichkeit, sich in den kommenden Monaten bei seinen Landsleuten als neue, unabhängige Alternative zu profilieren.
Dreh- und Angelpunkt dabei ist, ob es ihm gelingt, von den Erfolgen seines Parteifreundes Fox zu profitieren und sich gleichzeitig von dessen Schwächen zu distanzieren. Zu diesen gehören neben den Skandalen, in die das Ehepaar Fox verwickelt war, vor allem das Unvermögen, politische Allianzen zu schmieden, um die gemachten Versprechen zu erfüllen.
So kamen Steuer- und Energiereform nicht voran, obwohl Analysten davon ausgehen, dass dies eine zusätzliche Wachstumssteigerung von jährlich 1,5 Prozent bringen würde. Keine Chancen hatte auch die angestrebte Reform des staatlichen Rentensystems. Obwohl jeder vierte Mexikaner keinerlei Altersversicherung hat, muss der Staat der Rentenkasse immer mehr Geld zuschießen, weil Millionen Staatsangestellte bereits nach 25 Jahren mit 135 Prozent ihres letzten Gehaltes in Pension gehen können.
Vor dem Hintergrund dieser weiter offenen Aufgaben, vor denen die neu zu wählende Regierung steht, ist die Bedeutung der gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen nicht zu unterschätzen. Denn nach der Parteienpräferenz liegen PAN und PRI derzeit gleichauf, nur wenige Prozentpunkte vor der linken PRD. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass dem neuen Präsidenten wieder ein von der Opposition dominierter Kongress gegenübersteht.
Man kann nur hoffen, dass die großen Parteien in der kommenden Legislaturperiode endlich auch zu einem Dialog bereit sein werden, der den Wählern mehr Vertrauen in den demokratischen Prozess geben könnte. Diesen eingeleitet und stabilisiert zu haben zählt zu den wichtigsten Erfolgen der Fox-Regierung. Dazu kommt eine solide Wirtschaftsentwick-lung. Inflation und Zinsen sind so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht, die Devisenreserven höher denn je, und das Wirtschaftswachstum liegt bei vier Prozent, was allerdings nicht ausreicht, die großen sozialen Probleme des Landes zu lösen. Allerdings wurden in der Amtszeit von Vicente Fox auch zahlreiche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung eingeleitet wie der Bau von Sozialwohnungen und die Vergabe von Millionen Stipendien sowie kostenlosen Schulbüchern. Gleichzeitig ging die Foxregierung konsequent gegen die Drogenmafia vor. Zehntausende "Narcos" wurden aus dem Verkehr gezogen, darunter auch führende Köpfe wie der Mafiachef Chapo Guzmán aus dem nördlichen Bundesstaat Sinaloa.
Die Fortsetzung dieses Weges, die Rückkehr zur vertrauten Vergangenheit oder angesichts der noch immer großen Probleme ein radikaler, globalisierungskritischer Linkskurs sind die Alternativen, zwischen denen sich die mexikanischen Wähler im Juli entscheiden müssen. Bis dahin wird es sehr wahrscheinlich einen der heftigsten Wahlkämpfe in der mexikanischen Geschichte geben. Wer dann am Ende die Nase vorn haben wird, könnte für Mexiko und Lateinamerika weitaus bedeutender als ein Regierungswechsel sein.