Tadschikistan. Dort wo "die Front" beginnt, fließt träge der Fluss Pjanj durch die Ebene, erschöpft von seiner Reise, die an den Gletschern des Pamir-Gebirges beginnt. In seinem seichten Wasser bilden sich braune Inseln, an seinem Ufer steht das Schilf. Drüben auf der anderen Seite leuchten Baumwollfelder, am Horizont Berge. Afghanistan. Von dort kommt der Feind. Er kommt in Booten, in Autos und Lastern über Brücken, und manchmal fliegt er nachts einfach in Hubschraubern über den Fluss hinweg.
Kommandeur Halimow hat den Befehl, den Feind zu stoppen, er soll mit seinen Soldaten die Drogen - Opium und Heroin - aufspüren, die über Tadschikis-tan nach Russland und Westeuropa geschmuggelt werden. Seine Männer haben Zäune aus Stacheldraht und Wachtürme errichtet, sie stehen Tag und Nacht am Fluss auf Posten. Das Land zu schützen, ist ihre heilige Pflicht, sagen die Generäle. Seit vergangenem Sommer bewacht die tadschikische Armee die 1.344 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan, nicht mehr die russischen Verbündeten. Der Kampf gegen die Drogen ist jetzt nationale Aufgabe, Tadschikistan braucht Erfolge, die es der internationalen Öffentlichkeit präsentieren kann, weshalb Zahlen eine große Rolle spielen.
Fast 180 Kilometer lang sei der Grenzabschnitt, den seine Einheit bewache, sagt Halimow, seine Männer hätten in knapp vier Monaten ein Dutzend illegale Grenzübertritte vereitelt, dabei 36 Kalaschnikows sichergestellt und vor allem 57 Kilogramm Opium beschlagnahmt. Halimow steht im Hof seiner Kaserne im kleinen Ort Pjanj, zwischen den Wohnblocks hängen Frauen Wäsche auf, Kinder spielen Verstecken und Fangen. Früher haben hier russische Soldatenfamilien gelebt. Häuser, Fahrzeuge, Waffen, alles hätten seine Leute nach einer Übereinkunft mit den Vorgängern übernommen, erzählt Halimow. "Selbst die Uniformen." Und so ziert das russische Wappen die Mützen seiner Soldaten.
Unten am Fluss, im Schilf versteckt, hat seine Truppe ein kleines Fort gebaut. Hinter Maschinengewehren verschanzt, beobachtet die Besatzung die andere Seite, Afghanistan, aus dem fast 80 Prozent des Heroins in Deutschland stammen. Wenn dort die Mohnfelder geerntet werden, kommen die Schmuggler. Sie sind gut ausgerüstet, steuern schnelle Landrover und besitzen sogar Flugzeuge und Hubschrauber. Halimows Leute spähen mit veralteten Nachtsichtgeräten in die Dunkelheit und fahren in klapprigen Jeeps staubige Feldwege ab. Wenn das Wetter schlecht ist, haben die Soldaten im Fort keine Funkverbindung.
Die Europäische Union und die USA wollen in den kommenden Jahren die Grenztruppen mit 25 Millionen Euro für eine neue Ausrüstung unterstützen. Doch die Gegner von Kommandeur Halimow sind nicht mit mehr PS und störungsfreiem Empfang zu besiegen. Die Drogenschmuggler haben einen mächtigen Verbündeten - die Armut in Tadschikistan.
Schon in der Sowjetunion galt das Gebirgsland an der Grenze zu China als rückständig und wurde mit Milliarden Dollar von der Moskauer Zentrale unterstützt. Nach der Unabhängigkeit 1991 stürzte es in einen grausamen Bürgerkrieg. Anders als bei den Nachbarn Kirgisien oder Usbekistan konnte sich der Chef der kommunistischen Partei nicht als neuer Präsident behaupten. Die Milizen des alten Regimes, die "Jurtschikis", kämpften gegen islamistische Kriegsherren, die "Wovtschikis". Beide plünderten Städte und Dörfer und ermordeten fast 60.000 Menschen. Am Ende des Krieges 1997 stand der ehemalige kommunistische Parteifunktionär Emomali Rachmonow als neuer Präsident fest.
Sein zerstörtes Land rechnet die Weltbank zu den 30 ärmsten Ländern der Welt. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt bei 190 Dollar im Jahr. Im Vergleich dazu kommt Moldawien, eines der ärmsten Länder Europas, auf 590 Dollar. Da ist die Versuchung groß, im Drogenhandel zu Geld zu kommen.
Die Gewinnspannen sind enorm. Im nordafghanischen Kundus kostet ein Kilogramm Heroin 1.500 Dollar, in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe steigt der Preis schon auf 20.000 Dollar, in Moskau auf knapp 100.000 Dollar und in Westeuropa werden 250.000 Dollar bezahlt.
Auch Rustam Nasarow kennt Zahlen. Er ist Direktor der tadschikischen Anti-Drogen-Behörde in Duschanbe, und soll den Kampf gegen den Feind aus Afghanis-tan organisieren. Nasarow sitzt in einem klimatisierten Konferenzraum und erklärt, dass er in den vergangenen fünf Jahren 43 Tonnen Rauschgift beschlagnahmt habe, davon 22 Tonnen Heroin. "Die Route über Tadschikistan ist wichtiger als die über Usbekistan oder Turkmenistan." Die Drogen werden in Autos und Lastern über Russland, Weißrussland und die Ukraine nach Mitteleuropa transportiert. Dieser Weg wird nach Schätzungen von Europol noch an Bedeutung gewinnen, da die Türkei und Bulgarien in den vergangenen Jahren große Erfolge gegen den Schmuggel erzielt haben. Auf der so genannten Balkanroute über die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Serbien-Montenegro, Ungarn, Tschechien und Österreich sind 2004 knapp 4,5 gegenüber 2,6 Tonnen Heroin 2003 sichergestellt worden. Auf solche Verluste reagieren die großen internationalen Schmugglerbanden, die sich vom Anbau des Opiums bis zur Verteilung des Heroins um alles kümmern, schnell und flexibel. Auf Rustam Nasarow wird viel Arbeit zu kommen.
Seine Behörde hat fast 350 Mitarbeiter, sie wird seit 1999 von den Vereinten Nationen unterstützt und erhält bis Ende 2006 noch 4,5 Millionen Dollar. Nasarow schätzt, dass er bisher vielleicht 30 Prozent der geschmuggelten Drogen aufspürt. Besonders stolz ist er auf das Labor im fünften Stock des alten Bürogebäudes. Die neuen Computer sind von Dell und Compaq, Mikroskope und Feinwaagen kommen aus Deutschland, und der Gas-Chromatograph, der die genaue Zusammensetzung des Rauschgifts bestimmt, ist auch erst wenig Monate alt.
An der Wand neben Schränken mit Mörsern und Salzsäurefläschchen hängen Urkunden von Fortbildungskursen des deutschen Bundeskriminalamts und der englischen Drug Agency. Ihr Besitzer, Bachtier Karimow, leitet das Labor, der Chemiker analysiert seit Jahren die Drogen aus Afghanistan. Früher hat er vor allem Opium untersucht, heute immer mehr Heroin. Die Afghanen bereiten das rohe Opium auf, um sich höhere Profite zu sichern. In dutzenden Hinterhöfen wird in alten Ölfässern zentnerweise Opium mit Kalk aufgekocht, und die abgeschöpfte Masse durch Essigsäureanhydrid in das weiße Heroinpulver verwandelt.
"Die Qualität des Heroins wird immer besser", sagt Karimow. Er kann genau feststellen, aus welcher Gegend die Drogen kommen, die Analysen sind Routine. Aber eigentlich muss Karimow nur auf die Verpackung der Päckchen schauen. Darauf ist eine Karte Afghanis-tans und der Stempel des Produzenten abgebildet. Jeder weiß, wer sich hinter den Stempeln verbirgt. Warum aber werden dann die Drogenhändler nicht festgenommen? Ihre Labore nicht zerstört? Bachtier Karimow zuckt mit den Schultern, und sein Chef Rus-tam Nasarow sagt, dass Afghanistan eben ein schwieriges Land sei.
In diesem schwierigen Land hat der afghanische Präsident Hamid Karsai den Opiumanbau unter Gefängnisstrafe gestellt, doch die Mohnfelder am Hindukusch blühen weiter. Karsai hat keine Macht und keine Mittel, das Verbot in den Anbaugebieten der Paschtunen-Provinzen Helmand und Nangahar oder in der von afghanischen Tadschiken bewohnten Bergregion Badachschan durchzusetzen. Auch die in Afghanistan stationierten Truppen der Amerikaner und der Nato weichen dem Konflikt mit den lokalen Führern und ehemaligen Warlords aus, die sich den Drogenhandel untereinander aufgeteilt haben. Die Angst des Westens ist groß, im instabilen Land könne es zu neuen Kämpfen kommen. Zwar zeigten Satellitenbilder nach Angaben des Drogenkontroll-Programms der Vereinten Nationen (UNDCP), dass 2005 das erste Mal seit 2001 knapp 20 Prozent weniger Mohnfelder gepflanzt worden sind. Europol aber hält das für ein rein taktisches Entgegenkommen der Drogenbosse gegenüber der Regierung Karsai. Auch der Versuch der UNDCP, Bauern Geld für den Anbau von Weizen statt Schlafmohn zu zahlen, war nicht erfolgreich. Im Drogenanbau steckt einfach mehr Geld. Ein Hektar Mohn ergibt einen Zentner Opium, und das bringt 10.000 bis 15.000 Dollar ein.
Es wäre schön, wenn die internationale Gemeinschaft den Drogenanbau in Afghanistan stärker bekämpfen würde, sagt Außenminister Talbak Nasarow. "Weniger Drogen bedeuten für uns weniger Schmuggel." Nasarow bittet an einen mächtigen Tisch in seinem Amtsitz im Zentrum Duschanbes und erklärt, dass sich Tadschikistan auch weiter dem Kampf gegen die Drogen verschreiben werde. "Wir unternehmen alle Anstrengungen, unsere Grenztruppen und unsere Polizei gut auszurüsten." Allerdings seien die Mittel beschränkt, ohne Hilfe aus dem Ausland könne es keine Fortschritte geben. "Der Drogenhandel gefährdet unsere Entwicklung."
Eine Einschätzung, die viele internationale Beobachter in Duschanbe teilen. Eine UNDCP-Studie sieht im Schmuggel die wichtigste Ursache für die wachsende Kriminalität in Tadschikistan. Die Drogenmafia, gestützt auf die traditionellen Clanstrukturen, unterwandere den Staat. Die "International Crisis Group" vermutet, dass Militärs, Justizbeamte, selbst hohe Regierungsvertreter am Drogengeschäft verdienen. Das schmutzige Geld heizt die Korruption an. In einem Land, in dem ein Arzt drei und eine Lehrerin fünf Dollar im Monat verdienen, ist fast alles käuflich. Informationen, Stillschweigen, Wegschauen. In ein korruptes System aber fließen keine ausländischen Inves-titionen, die die Energiewirtschaft oder der Baumwollanbau dringend brauchen. So wächst die Armut. Für die Schmuggler ist das eine gute Nachricht, für die Soldaten am Fluss Pjanj nicht.