Die wechselvolle Geschichte der Demokratie zu schreiben, ist ein höchst ambitioniertes Projekt. Demokratien entstehen, entwickeln sich und gehen wieder unter. Sie sind labile politische Ordnungsformen, stets gefährdet, und dennoch werden mit ihnen viele (Menschheits-)Hoffnungen verbunden. Wer glaubt, dass es nur eine bestimmte Form der Demokratie gibt, irrt - so befand es schon Aristoteles vor mehr als 2.000 Jahren.
Die Demokratie wurde im antiken Griechenland geboren. Mit den Namen Kleisthenes und Perikles verbindet man noch heute die Blütezeit der athenischen Demokratie. Mit der Vernichtung der Flotte der Athener im Krieg zwischen Griechenland und Mazedonien endete die antike Epoche der Demokratie. Mit ihr verschwand auch für lange Zeit das Modell der Demokratie von der historischen Bildfläche.
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich der Begriff der Demokratie wieder durch und verband sich mit Hoffnungen auf ein freies und gerechtes politisches Ordnungsmodell, in dem alle Bürger einen Anspruch auf politische Beteiligung haben. Dass die Demokratie bis dahin keinen guten Namen hatte, lag an der Überlieferung des Aristoteles, der wie sein Lehrmeister Platon diese Staatsform in ihrer reinen, direkten Versammlungsform für eine "Pöbelherrschaft" und das Volk in seiner großen Mehrheit für verführbar hielt. Demokratien schienen unbeständig und krisenanfällig zu sein, auch konnte die Herrschaft der Mehrheit zur Unterdrückung der Minderheit führen.
Rom war keine Demokratie, sondern dem Namen nach eine Republik und in Wirklichkeit die Herrschaft von Patriziat und Nobilität. Die Selbstregierung der Bürger überlebte dann in der Folge als "Republik" in den freien Stadtstaaten Norditaliens, in Florenz, Padua und Venedig und zu einem guten Teil in den freien Reichsstädten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Erst mit den großen bürgerlichen Revolutionen in Nordamerika und in Frankreich konnte sich die Herrschaft des Volkes, zunächst der männlichen, dann zunehmend auch der weiblichen Bürger, im territorialen Flächenstaat durchsetzen.
Im 20. Jahrhundert wurde das allgemeine Wahlrecht realisiert. Die Demokratie erlebte aber auch Verfall und Niedergang und den Aufstieg totalitärer Regime. Mit den Revolutionen von 1989/90 nahm die Zahl der Demokratien in Europa, aber auch in anderen Regionen der Welt, wieder zu. Doch von einem Triumphzug der Demokratie ist nicht zu sprechen.
Richard Saage unternimmt es, die Geschichte der Demokratie nicht nur als eine Begriffs- und Ideengeschichte, sondern zugleich als eine Real- und Sozialgeschichte zu schreiben. Etwas irreführend ist von "Demokratietheorien" die Rede. Denn es geht dem Autor mit diesem Buch keineswegs allein nur um theoretische Konzepte, sondern er zeigt die Entstehung, den Verlauf und die Sozialgeschichte der antiken Demokratie auf, skizziert die langsame Herausentwicklung der Demokratie in der Neuzeit, bevor er sich mit der Demokratie, ihren Konzeptionen, ihrer Entwicklung und ihrem Scheitern seit der Französischen Revolution auseinandersetzt.
Saage wählt eine genuin (sozial-)historische Betrachtungsweise. Ihn interessieren Trägergruppen, Konflikte und Kämpfe um die Demokratie. Er kann überzeugend zeigen, wie historisch bedingt die politischen Konzeptionen und die intellektuellen Reflektionen der Demokratie sind. Die athenische, direkte Demokratie ist eine ganz andere als die moderne, repräsentative Demokratie, und die Herausforderung und Gefährdung einer Demokratie im Zeitalter der Globalisierung ist wieder von anderer Art, als es die Überlebenskämpfe der Demokratie im 20. Jahrhundert waren.
Die nüchterne historische Analyse zeigt die Gefährdungen und die Labilität der Demokratie, schützt aber auch vor schnellen Abgesängen, die zur Zeit schon wieder mit der Rede vom "Ende der Demokratie" oder der Ausrufung eines "postdemokratischen Zeitalters" angestimmt werden. Demokratien sind immer bedroht, von externen Einflüssen genauso wie von internen Entwicklungen, aber sie sind auch lernfähige politische Systeme.
Saages Buch ist im besten Sinne ein Lehrbuch, das uns über die Entstehung, die Entwicklung und die Gefährdungslagen der Demokratie informiert. Sicher, man hätte sich gewünscht, dass nicht einmal mehr der übliche Fehler der deutschen Demokratieliteratur wiederholt wird, direkt von der Antike in die Moderne zu springen, so, als wenn es dazwischen nichts gegeben habe, das mit bürgerschaftlicher Selbstregierung zu tun gehabt hätte.
So bleibt die gesamte Theorietradition des Republikanismus, die einen erheblichen Beitrag zur Demokratiegeschichte geliefert hat, außen vor. Auch hat die primär sozialgeschichtliche Perspektive den Blick auf die soziomoralischen und kulturellen, die systematischen Voraussetzungen der Demokratie verstellt. Ebenfalls hätten die Ergebnisse der neueren und vergleichenden empirischen Demokratieforschung stärker berücksichtigt werden können.
Doch sind dies keine Einwendungen, die Saages klare und genaue Darstellung im Kern treffen. Sein konsequenter historischer Zugriff, vor allem auf die Entwicklung und das Denken der Demokratie im 19. und 20. Jahrhundert, überzeugt.
Richard Saage: Demokratietheorien. Historische Prozesse, theoretische Entwicklung, soziotechnische Bedingungen. Eine Einführung. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005; 325 S., 24,90 Euro