Der Ort hätte kaum symbolischer gewählt sein können: Verlässt man den Großen Protokollsaal des Bundestages, blickt man geradewegs in den Plenarsaal. In dem saß am 24. Februar eine einsame Besuchergruppe auf der Tribüne und blickte wie die mehr als 150 Gäste einer Buchpräsentation nebenan auf die leeren Ränge. Und obwohl der Bundestag ohnehin nicht tagte, konnte sich so mancher den Kommentar nicht verkneifen: Sitzen vielleicht jene, die hier sitzen sollten, lieber in einem verschwiegenen Hinterzimmer - mit Vertretern eines Industrieverbands, eines Stromkonzerns oder der Krankenkassen?
Möglich, dass der Fernsehjournalist Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth gerade deshalb in den Bundestag gekommen sind, um ihr Werk vorzustellen: "Die fünfte Gewalt - Lobbyismus in Deutschland" heißt es, und beschreibt auf 368 Seiten nicht nur den immer stärker werdenden Einfluss von Interessengruppen auf die Politik, sondern auch den oft laxen Umgang der Politik mit der Einflussnahme mächtiger Dritter. Ein Beispiel: Verhandlungen zur Gesundheitsreform, die einschlägigen Fachpolitiker sitzen am Tisch. Einer von ihnen wird im Anschluss wie folgt zitiert: "Da saßen einzelne Abgeordnete (...) und haben nur noch den Briefkopf der Papiere abgedeckt, mit deren Hilfe sie dann (...) Veränderungen - wie etwa Einschnitte bei der Pharmaindustrie, den Apothekern, den Ärzten und so weiter - verhindern wollten. Absender waren die Pharmaindustrie, die Apothekerschaft oder die Ärzte." Viele Beispiele ließen sich ergänzen, in denen Lobbyisten im Vorfeld parlamentarischer Entscheidungen massiv versuchen, Einfluss zu nehmen - längst nicht immer erfolglos. 1.800 Organisationen und 4.500 Interessenvertreter hat der Bundestag registriert, damit wird rein rechnerisch jeder Abgeordnete von sieben Lobbyisten aufgesucht. Die kommen allerdings, das attestieren auch die Autoren der "Fünften Gewalt", in den seltensten Fällen einfach nur als plumpe Forderer. Stattdessen sind die Lobby-Vertreter häufig auch die einzigen Experten auf immer komplexer werdenden Feldern der Gesetzgebung, wie etwa in der Gentechnologie.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erteilte etwaigen Forderungen nach einem Zutrittsverbot für Lobbyvertreter daher eine klare Absage: Organisierte Interessen verhindern zu wollen, sei nicht wirklichkeitsnah, so Lammert, und "übrigens auch nicht wünschenswert." Es sei sogar durchaus vernünftig, dass Interessen in den Gesetzgebungsprozess einflössen: "Es wäre kein schierer Vorteil, wenn die Gesetzgeber die Regelung immer komplexerer Sachverhalte ohne Kenntnis von real vorhandenen Interessen formulieren wollten." Die Frage, die sich immer wieder stelle, sei nur: "Was ist der angemessene Umgang?"
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts vertrat dazu eine klare Position: Gefahren, sagte Hans-Jürgen Papier, drohten erstens immer dort, wo wirtschaftliche Potenz entscheide, wessen Interessen vertreten würden und wessen nicht. Papier warnte daher auch vor der Inanspruchnahme von Lobbyisten als Experten im vorparlamentarischen Bereich. Ob "Hartz-", "Rürup-" oder "Süssmuth"-Kommission, "Nationaler Ethikrat" oder "Bündnis für Arbeit": Keine dieser Runden, konstatierte Papier, habe Gesetzgebungskompetenz. "Vom Volk gewählt und dem Volk verantwortlich", erinnerte er, "sind nicht mehr oder weniger prominente Lobbyisten, sondern die Mandatsträger in den Parlamenten." Und weil das so ist, gab der oberste Gesetzeshüter den vom Volk Gewählten gleich zwei gute Ratschläge mit ins Wochenende. Erstens: "Gegen die Verlagerung in außerparlamentarische Gremien kann man sich wehren." Zweitens: "Zu kritikloser Übernahme von Lobbyisten-Papieren ist niemand gezwungen."