Da die Vorzeichen so frostig waren, wirkte Lech Kaczynskis Lächeln in Berlin wie Tauwetter: der Besuch des polnischen Staatspräsidenten an der Spree Anfang März wurde unterm Strich von deutscher wie polnischer Seite als Erfolg angesehen. Zuvor hatten Kaczynskis deutliche Vorbehalte gegenüber Deutschland in einem Spiegel-Interview für Aufregung gesorgt.
In den Gesprächen mit Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde eine "Entschärfung" der beiden wichtigsten Streitfragen ins Auge gefasst: So scheint die Umsetzung des "Zent-rums gegen Vertreibungen" nach den Vorstellungen der Vertriebenenchefin und CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach wieder in weite Ferne zu
rücken. Hingegen wird das von der SPD vorgeschlagene und europäischer ausgerichtete Netzwerk "Erinnerung und Solidarität" wohl die Grundlage für kommende deutsch-polnische Gespräche über den Komplex "Vertreibung" sein. Auch das Problem der umstrittenen deutsch-russischen Gaspipeline durch die Ostsee, die Polen umgeht, soll mit Hilfe eines bilateralen Expertenaustauschs entschärft werden. Dass solche Gespräche bereits stattfanden, wurde auf offizieller Ebene von polnischer Seite nicht erwähnt. Ka-czynskis Idee einer "Energie-NATO", in der östliche EU-Mitglieder Beistand erhalten sollen, falls Russland ihnen den Gashahn zudrehen sollte, fand in der deutschen Presse ebenso wenig Zustimmung wie die Erweiterung der EU bis in den Kaukasus. Kritik von polnischer Seite erregte wiederum die Unterbrechung des Vortrags Kaczynskis an der Berliner Humboldt-Universität durch eine deutsch-polnische Gruppe von Homosexuellen, die den polnischen Präsidenten wegen seiner homophoben Haltung beschimpfte.
Weniger Aufmerksamkeit wurde bislang einer neuen möglichen Quelle des Ärgers geschenkt: Nach Gesprächen mit Vertretern der in Deutschland lebenden Polen, der "Polonia", meinte Kaczynski in einem Interview mit der "Welt am Sonntag", Polen würden in Deutschland mangels Polnischunterrichts in den Schulen in die "Assimilation getrieben". Mit einer Forderung nach einem nationalen Minderheitenstatus und einem staatlich finanzierten Unterricht in der Muttersprache frischte Kaczynski das alte Postulat des damaligen Präsidenten Lech Walesa von Anfang der 90er-Jahre wieder auf. Dabei ist der Status und die Zugehörigkeit der etwa zwei Millionen polnischsprachigen Menschen in Deutschland recht komplex - Kaczynski versteht seine Kritik jedoch simplifizierend als "Verteidigung der nationalen Interessen".
Die Verteidigung nationaler Interessen wird auch in der polnischen Innenpolitik umgesetzt, weitaus hemdsärmeliger. Mit Parteichef Jaroslaw Kaczynski - dem Zwillingsbruder des Präsidenten - an der Spitze will die seit November als Minderheit regierende "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ihre Vorstellungen von Ordnung durchsetzen. Die angestrebte "vierte Republik" soll nun von den roten Seilschaften aus Geschäftsleuten, Geheimdienstmitarbeitern und postkommunistischen Politikern gereingt werden. Dabei wird eine Politik der "kontollierten Krise" forciert, so der konservativ-liberale Oppositionspolitiker Bronislaw Komorowski. Ein Stil der Polarisierung, bei dem die Welt in Mitstreiter und Gegner geteilt wird. Zu den ersteren gehören die rechtsklerikale Liga polnischer Familien (LPR) und die Partei "Selbstverteidigung", eine vormalige Bauernpartei, fest in der Hand des robus-ten Populisten Andrzej Lepper.
Da der ursprünglich vorgesehene Koalitionspartner "Bürgerliche Plattform" (PO) mit der Wahlsiegerin PiS keine Regierung bilden wollte, versucht die PiS mit wackeliger Zustimmung der beiden radikalen Parteien zu regieren. Um deren Gegenstimmen im Parlament zu verhindern, droht die PiS stets mit der Auflösung des Parlaments und vorgeschobenen Neuwahlen, in denen die beiden kleineren Bündnispartner laut Umfragen mit Verlusten rechnen müssen. Als lockere Verbindung besteht derzeit ein Anfang Februar geschlossener "Pakt der Stabilität", eine Art Abkommen zwischen der Regierungspartei und den beiden radikalen Verbündeten.
Bezeichnenderweise wurde die Schließung des Pakts allein von "Radio Maryja" und dem Fernsehsender "Trwam" übertragen, während andere Medienvertreter draußen bleiben mussten. "Radio Maryja" und "Trwam" sind die Medien des umstrittenen Priesters Tadeusz Rydzyk, dessen TV-Sender sich mittlerweile zu einer Art Staatsfernsehen entwickelt hat, in dem die PiS-Politiker frei von kritischen Fragen ihre Politik erklären können. Dies zum Ärger aller anderer Parteien und auch der polnischen Kirchenführung, die mit den politischen Aktivitäten des Priesters nicht konform geht, der aber der Wille zum Eingreifen fehlt.
Daran fehlt es den PiS-Politikern allerdings nicht. Staatliche Strukturen sollen "gereinigt", umgewandelt und mit neuen Vollmachten versehen werden. In den höheren Polizeirängen und anderen Behörden werden die Sessel geschoben, etwa zehn Botschafter müssen wegen Geheimdienstkontakten oder allzu großer Nähe zur damaligen kommunistischen Einheitspartei bald ihren Abschied nehmen, darunter auch der Botschafter in Berlin, Andrzej Byrt.
Ein Institut für Erziehung soll das Schulwesen verändern und ein neues Unterrichtsfach "Patriotismus" einführen, dem Vize-Finanzminister Cezary Mech winkt ein unkündbares Super-Aufsichtsamt über die Finanzmärkte und das vorgesehene "Antikorruptionsamt" soll mit Polizeibefugnissen und Zugang zu geheimsten Akten ausgestattet werden.
"Anständige Leute können ruhig schlafen", beruhigte der Justizminister Zbigniew Ziobro mehrfach zu Begin der Regierungszeit. Doch der Rest muss nicht nur um seine Nachtruhe fürchten, sondern auch davon ausgehen, sich vor einer der vielen Untersuchungskommissionen verantworten zu müssen.
Als "Ober"-Untersuchungskommission gilt dabei die geplante "Wahrheit und Gerechtigkeit" die sich mit dem politischen Unrecht der Kommunisten und Postkommunisten auseinandersetzten will. Vorgesehen sind auch Kommissionen über die Unabhängigkeit der Medien und der Banken. Letztere soll schon diese Woche mit der Arbeit beginnen. Auf der Anklagebank wird dann Leszek Balcerowicz stehen, der Vater der polnischen Finanzreform, Transformator der polnischen Wirtschaft und heute Chef der Nationalbank. Er hatte es kürzlich gewagt, bei einer Unterredung mit der italienischen Bank UniCredito den Vizefinanzminister Cesary Mech wegen Parteilichkeit auszuschließen. Die polnische Regierung will die Fusion der beiden Banken Pekao und BPH, an der die italienische Bank Anteile hält, verhindern. Das würde jedoch gegen die Kapitalverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt verstoßen.
Die Regierung will neben der Untersuchung des umstrittenen Ausschlusses von Mech prüfen, wie es dazu gekommen ist, dass Zweidrittel der polnischen Banken von ausländischem Kapital kontrolliert sind. "Balcerowicz muss gehen" war lange der Sprechgesang der Gegner des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft, ein Credo des Populisten Andrzej Lepper. Nun wird die rechtskonservative PiS dessen Wunsch vielleicht in die Tat umsetzen. Balcerowicz selbst spricht von "politischer Rache". Immerhin unterstützen etwa 40 Prozent der Polen eine Verantwortung Balcerowiczs vor einem Ausschuss. Bei einer Verurteilung dürfte die Unabhängigkeit der Nationalbank in Gefahr sein, so viele Experten. Donald Tusk, konservativ-liberaler Oppositionsführer, drückte es plastischer aus: "Fürchtet um eure Geldbörsen!" rief er im Fernsehen den Bürgern zu. Ein Appell, der auch bei vielen unpolitischen Polen wirkt.