Das Unterrichten spornte die Imageberaterin an, sie hatte Erfolg bei den Schülern, so als ob "sie Weisheiten mit Löffeln verteilen" würde. Jetzt ist aus den Seminarideen ein anschaulicher Film mit dem Titel "Aussehen, Auftreten, Ausstrahlung - Imagework" geworden, den Lehrer im Unterricht einsetzen können. Passend zum Schulalltag ist der Film in Themenkomplexe von jeweils zehn Minuten unterteilt.
Seit Jahren beklagen sich Lehrer, Arbeitgeber und viele Eltern über den Verfall simpelster Verhaltens- und Höflichkeitsregeln, es fehlten vielen Schülern einfachste Grundsätze des Benehmens. Eindeutige Ursachen sind schwer auszumachen, doch gerne machen viele Wissenschaftler und Praktiker die Generation der "68er" verantwortlich: Sie hätten mit ihrem antiautoritären Erziehungsstil, ihrem Laisser-faire, den Kindern zu viel Freiraum gegeben und dabei die Erziehungshoheit an den Fernseher verloren. Zudem hätten auch Eltern immer weniger Ahnung vom Einmaleins der Manieren und würden daher zu wenig Orientierung bieten. Nun müssten vor allem die Schulen in Person des Lehrers ausbaden, dass es an den einfachsten Regeln fehle.
"Der Lehrer wird im Unterschied zu früher nicht mehr als Autoritätsperson anerkannt. Das fängt schon bei Erstklässlern an", sagt Grundschullehrerin Barbara Jacob aus München, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer (ABJ). Wenn sich ein Mitschüler beispielsweise an der Federtasche eines anderen vergriffen habe, würden die Kinder als Reaktion häufig nur das Mittel körperlicher Gewalt kennen. Und wenn es dann mal einen Verweis gebe, so Jacob, habe sie als Lehrerin nicht nur die Schüler, sondern auch gleich die Eltern gegen sich. Barbara Jacob berichtet von Schülern, die zu ihr kommen und sich darüber wundern, dass die angekündigten Konsequenzen des Lehrers auch tatsächlich erfolgten.
Für den Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann, der gerade an der 15. Ausgabe der Shell-Jugendstudie schreibt ("Jugend und Reformen"), ist klar, dass den heranwachsenden Kindern soziale, kulturelle und wirtschaftliche "Leitplanken" fehlen. Natürlich habe man heutzutage viel mehr Entwicklungsmöglichkeiten als in einer Zeit enger gesellschaftlicher Vorstellungen wie vor 40 und 50 Jahren, einer Ära, in der Lebens- und Karrierewege meist durch die Herkunft vorgegeben waren. "Aber was nutzt Ihnen ein Geländewagen, wenn ich keine Orientierung habe." Bei einem Drittel der Familien in Deutschland, schätzt Hurrelmann, geht es "drunter und drüber. Die haben überhaupt keinen Plan und keine Struktur." Der Familienverbund ist lockerer geworden und damit ist nicht mehr selbstverständlich, dass Werte verinnerlicht werden. "Was früher implizit aus den Familien mitgebracht wurde, muss man heute von außen in die Familien hineintragen." Seit fünf Jahren beobachtet er, dass die Gesellschaft sich zunehmend für das Thema Manieren und Auftreten interessiert. Das passierte nicht zufällig genau zu jenem Zeitpunkt als die New-Economy-Blase platzte, ist Hurrelmann überzeugt. Denn mit dem Crash ging auch jene Stilepoche mit einem Schlag zu Ende, die Unternehmertypen geprägt hatten, die kaum Wert auf Tradition und Kleiderordnungen gelegt hatten.
Nun besinnt man sich wieder auf die Benimmschule von Adolph Freiherr von Knigge, den Manieren-Urvater aus der Zeit der Aufklärung. Er war in den Jahrzehnten nach 1968 in Verruf und Vergessenheit geraten; galt als spießig und antiquiert. Dabei bemühte sich Knigge, die Überlegenheit des an Werten orientierten Bürgertums gegenüber dem dekadenten Adel zu beweisen. Sein Hauptwerk "Über den Umgang mit Menschen" ist fast 220 Jahre alt, wurde immer wieder aktualisiert und bietet heute auch im Internet (www.knigge.de) Antworten zu alltäglichen Verhaltensweisen. "Knigge ist nicht das Schlechteste", sagt Imageberaterin Sabine Schwind von Egelstein, selbst Mitglied im Knigge-Beirat. "Wir brauchen eine modernisierte Form des Benehmens", und nennt vier Bereiche, an denen sich gute Manieren ablesen lassen: Umgang am und mit dem Telefon, vor allem dem Mobilfon in Gegenwart anderer, Tischkultur ("Wenn ich nur das Niveau Biergarten kenne, komme ich im Restaurant ins Schwitzen."), Kleidung und schließlich die Sprache. "Kinder sollen sich nicht wie Erwachsene benehmen. Aber sie sollen lernen, zu differenzieren." Für sie ist es elementar, dass die Schüler Verständnis für andere entwickeln, sich in die Situation anderer hineinversetzen können und nicht nur auf die eigene Außendarstellung fixiert sind.
Nach dem ersten Benimmkurs konnte sich Schwind von Egelstein vor lauter Aufträgen kaum noch retten. "Ich hatte jeden Tag zwei, drei Nachfragen - das ging irgendwann nicht mehr." Deswegen hat sie den Film "Imagework" (siehe Kasten) ins Leben gerufen, der vom Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), mitproduziert und mitfinanziert wurde. Er wendet sich vor allem an Schüler, die vor dem Übergang ins Berufsleben, also in die Welt der Erwachsenen, stehen. Der Film soll nun bundesweit an den Schulen gezeigt werden. "Wir hoffen auf drei Millionen Schüler pro Schuljahr", sagt FWU-Vorsitzender Uwe Haass. Er hat sich selbst in den Kursen von Sabine Schwind von Egelstein überzeugt, wie sehr das Thema die Schüler interessiert. "Da war es mucksmäuschenstill."
Doch gibt es auch Vorbehalte, da die Kurse in der Regel freiwillig und einmalig sind. Das Prinzip greife zu kurz, kritisiert Barbara Jacob. "Man muss dauerhaft von der ersten Klasse an die richtige Verhaltensschulung in den Unterricht einbauen", fordert die Lehrerin. Für sie wären ohnehin Kurse für die Eltern angebracht. "Und die sollten besucht werden, bevor die Kinder eingeschult werden."
Auch die Vorsitzende des Münchner Gesamtelternbeirats, Isabel Zacharias, kritisiert den Ansatz, dem Problem der schlechten Manieren mit Kursen à la Knigge Herr werden zu wollen. Das sei "zu kurz gedacht". Dabei würde nur an Symptomen herumkuriert. Ebenso skeptisch steht sie Versuchen gegenüber, zur Steigerung von Disziplin und "Corporate Identity", Schuluniformen oder gar Hymnen einzuführen, wie etwa am renommierten Internat Salem geschehen. Sie plädiert für die Einführung eines Faches, das sich "Menschenkunde" nennen könnte. "Und zwar schon ab dem Kindergarten." Im Übrigen glaubt sie, dass die Lehrer ihrem komplexer gewordenen Erziehungsauftrag nur gerecht werden könnten, "wenn die Ganztagsschule kommt".
Einen Versuch nach dem Modell der begleitenden Verhaltensanleitung im Unterricht hat das Saarland mit dem Projekt "Respekt & Co" schon vor gut zwei Jahren beschritten. Hier hat ein runder Tisch aus Lehrern und Politikern, Unternehmern und Polizisten Materialien zusammengestellt. Die Lehrer können sich Material je nach Bedarf aus dem Internet herunterladen (aktion-respekt.saarland.de/) und im Unterricht einbauen. Der Stoff ist so aufbereitet, dass er in drei Stufen für die Klassen drei bis acht verwendet werden kann. "Wir haben eine bundesweite Nachfrage, sogar Schulen aus der Schweiz und Österreich haben sich erkundigt", sagt eine Sprecherin des saarländischen Kultusministeriums.
Sabine Schwind von Egelstein hofft, dass der Unterrichtsbedarf der Schulen mit dem Film und der beiliegenden DVD weitgehend gedeckt ist. Andererseits will sie für die besonders hartnäckigen Fälle vorsorgen: Sie plant, im Laufe des Jahres einen Pool von Trainern für Schulen zu gründen, die dann den Kids beibringen, was Eltern versäumt haben.