Er ist eine illustre, schillernde Figur: Silvio Berlusconi polarisiert die Gemüter ähnlich wie US-Präsident George W. Bush. Er ist Bauunternehmer, Mediengewaltiger, Fußball- und Regierungschef, gar der am längsten amtierende Italiens. Und er hat viele Gesichter: charmant und glamourös, egozentrisch und ein wenig diabolisch. Wer ist dieser Berlusconi, der nach Ansicht des Literatur-Nobelpreisträgers Dario Fo in Italien "Macchiavelli in die Praxis umgesetzt" hat? Sind die Reaktionen auf dieses Phänomen bloße Dämonisierung einer Operetten-Lachnummer oder stellt der Mann mit dem gefrorenen Grienen eine veritable Gefahr für die Demokratie dar, einen neuen Duce-Typus im medialen Gewand?
Berlusconi wurde zur fleischgewordenen Legende: vom Animateur auf Kreuzfahrtschiffen zum Polit- und Medienmogul - derart, dass es irgendwann auch für den "kleinen Italiener" zu viel sein musste, da die Diskrepanz zwischen seiner Verkaufskosmetik und der wirtschaftlich-sozialen Realität im Lande unübersehbar werden musste. Da wurden seit dem revolutionären Umbruch zu Beginn der 90er-Jahre, der die alte korrupte Parteienherrschaft Italiens hinwegfegte, mit Schmutzkampagnen die Kritiker Berlusconis, tapfer gegen Mafia-Kriminalität ermittelnde Staatsanwälte, Journalisten, Oppositionelle und Volkshelden wie der Mailänder Richter di Pietro in einer Schmierenkomödie von Berlusconi ergebenen Parlamentariern und von Berlusconi kontrollierten Medien "erledigt".
Und das Volk der nach den Griechen zweitältesten Kulturnation Europas schien es hinzunehmen, in zynischer Manipulation und massenmedialer Verblödung? Nicht ganz, sagt der amerikanische Journalist Alexander Stille in seiner an Orson Welles' Filmerfolg erinnernden Biografie "Citizen Berlusconi". Als Leitfaden seiner Politik verfügt dieser "lediglich" über den mit Eifer verfochtenen Willen zur Beseitigung, zumindest zur Schwächung sämtlicher Instanzen - vor allem der Presse, Justiz und des Parlaments, die seinem Wirtschaftsimperium im Wege stehen. Und, so eine weitere These Stilles, Berlusconi sah sich schließlich gezwungen als Politiker anzutreten, nachdem seine Gönner wie der Sozialist Bettino Craxi, einer der korruptesten Politiker Italiens, und die ganze Parteienlandschaft im Strudel der Korruptionsaffären versanken und sein Imperium vom Zerfall bedroht schien.
So stellte er kurzerhand eine den Fußballslogan "Forza Italia" usurpierende Politik-Truppe zusammen und kürte sich dank seiner Macht über Privatmedien zum "massimo leader" vom Apennin. Er gewann zweimal die Wahlen, um sich dann als Premier offen daran zu begeben, Gesetze nach seinem Gusto zu schneidern, das Staatsfernsehen und andere Institutionen mit Gefolgsleuten zu durchsetzen.
Allein die Liste seiner Verwicklungen in Affären würde jeden Platz sprengen. Es dürfte in der westlichen Welt keinen Regierungschef geben, gegen den so viele Gerichtsverfahren anhängig sind. Doch immer wieder konnte er durch Tricks und Gesetzesänderungen der rechtskräftigen Verurteilung entgehen. Bis heute ist nicht bekannt, wem die vielen anonymen Holdings, die seine Firmengruppe kontrollieren, wirklich gehören, von wem die Anschubfinanzierungen wirklich kamen. "Alles gehört mir und meiner Familie", gibt Berlusconi darauf gern zum Besten. Die Frage ist nur: der eigenen oder einer größeren "Familie"?
Die Berlusconi-Story ist ohne Zweifel eines der großen Polit-Abenteuer dieser Zeit. Der Mann liegt mit zirka zwölf Milliarden Dollar auf Platz 25 der Liste der Reichsten dieser Welt. Sein sagenhaftes Vermögen hat sich während seiner Amtszeit noch fabelhafter vermehrt.
Alexander Stille lässt keinen Zweifel daran - und bringt ausreichend Belege für seine These, dass Berlusconi, ein "Pionier des permanenten Wahlkampfs in Europa", "de facto eine Demokratie neuen Stils" praktiziert, "eine Art plebiszitäre oder direkte Demokratie". Sein Rezept: "Geld + Medien + Personenkult + persönliche Macht."
Alexander Stille
Citizen Berlusconi.
Verlag C.H. Beck, München 2006; 383 S., 24,90 Euro