Starker Tobak für die geschätzten 4.500 Lobbyis-ten im Umfeld des Bundestages, deren Arbeit seit der Bundestagswahl im vergangenen September nicht einfacher geworden ist. Zu rot-grünen Regierungszeiten hätten die Lobbyvertreter die Union gegen die SPD munitioniert, während der 16 Jahre der schwarz-gelben Ära seien die Sozialdemokraten deren bevorzugte Ansprechpartner gewesen, spotten Politiker der schwarz-roten Koalition seither. Lobbying ist unter Merkel/Müntefering schwerer geworden.
DDie Lobbyisten wissen um ihr ramponiertes Ansehen, das sie in Teilen der Politik und Gesellschaft haben. Als Interessenvertreter versuchen sie Einfluss auf die Meinungsbildung demokratisch gewählter Abgeordneter zu nehmen. Ein legitimes Anliegen, wie ein Blick ins Gesetzbuch zeigt. Darin ist ein möglicher Konflikt zwischen den parlamentarischen Pflichten und privaten Interessen normiert. Paragraf 44 a des Abgeordnetengesetzes (AbG) regelt die Ausübung des Mandats, verbietet Parlamentariern die Annahme anderer als der gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder anderer Vermögensvorteile: "Unzulässig ist insbesondere die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, die nur deshalb gewährt werden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Leistenden im Bundestag erwartet wird."
Der Gesetzgeber hat also das Problem grundsätzlich erkannt. In einer Anlage zur Geschäftsordnung des Bundestages ist zusätzlich festgelegt: "Der Präsident des Bundestages führt eine öffentliche Liste, in der alle Verbände, die Interessen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten, eingetragen werden". Zudem sind die Abgeordneten an Verhaltensregeln gebunden, die zur Offenlegung von Beruf (Tätigkeit neben dem Mandat), Einkünften, Spenden und Zuwendungen verpflichten (Paragraf 44 b AbG). Diese Informationen werden im Amtlichen Handbuch des Bundestages veröffentlicht. Wird dagegen verstoßen, muss nach Paragraf 44 a AbG mit Sanktionen gerechnet werden: "Werden anzeigepflichtige Tätigkeiten oder Einkünfte nicht angezeigt, kann das Präsidium ein Ordnungsgeld bis zur Höhe der Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung festsetzen."
Lobbyismus ist somit längst kein Tabuthema mehr im politischen System. Spätestens seit dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin hat sich das Parlament zu einem offensiven Umgang mit dem Thema Lobbyismus entschlossen. Ursächlich waren eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie Gehälteraffären im nordrhein-westfälischen und niedersächsischen Landtag. Die Folge waren die im vergangenen Sommer beschlossenen schärferen Regeln für Nebentätigkeiten von Abgeordneten des Bundestages.
Danach müssen Nebeneinkünfte in Einkommensstufen bis 3.500, 7.000 und mehr als 7.000 Euro im Monat veröffentlicht werden. Lediglich der Bundestagspräsident, dem die zusätzlichen Einnahmen gemeldet werden müssen, kennt ihre genaue Höhe. Die mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedete Neuregelung bestimmt, dass "die Ausübung des Mandats" im "Mittelpunkt der Tätigkeit" eines Abgeordneten zu stehen hat. Mehrere Parlamentarier haben vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Novellierung geklagt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) will die Höhe der Nebeneinkünfte erst veröffentlichen, wenn das Gericht entschieden hat.
Zu den Klägern gehört auch der FDP-Abgeordnete und mittelständische Unternehmer Heinrich Kolb. Er sieht in einer Offenlegung der Nebeneinkünfte eine Benachteiligung von Selbstständigen. Konkurrenten könnten Rückschlüsse auf die Ertragslage seines Unternehmens ziehen. Auch andere Kläger, darunter der CDU-Politiker Friedrich Merz, verweisen darauf, Mandatsträger hätten wie jeder Bürger ein Recht auf Privatsphäre und Geschäftsgeheimnisse. In Artikel 38 des Grundgesetzes ist das freie Mandat des Abgeordneten normiert: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."
"Mit der neuen Veröffentlichungspflicht erhalten wir Bürger endlich wichtige Informationen, mit denen wir Lobbyisten im Parlament identifizieren können", begrüßte "Transparency International" die verschärften Regeln. Lobbyisten im Parlament? In der Vergangenheit war der Lobbyist stets als Person definiert worden, die auf den politischen Entscheidungsprozess Einfluss nehmen will, ohne durch ein demokratisches Mandat legitimiert zu sein. Seit einigen Jahren werden verschiedentlich auch Mandatsträger als "Lobbyisten" bezeichnet, die hohe Nebeneinkünfte erhalten und umfangreiche Nebentätigkeiten ausüben. Der Begriff "Lobbyist" ist also entscheidend erweitert worden. Von "Nebenerwerbspolitikern" ist bereits die Rede.
Die Begriffserweiterung erfährt noch eine Nuancierung durch die Forderung aus der Opposition nach einem "Verhaltenskodex für ausscheidende Regierungsmitglieder". Ausgelöst wurde die Debatte durch den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der im November 2005 aus dem Amt geschieden war. Schröder war bald nach Niederlegung seines Bundestagsmandats Aufsichtsratschef des russischen Gazprom-Konzerns geworden. Als anstößig wurde vielfach bewertet, dass in dessen Regierungszeit die staatliche Bürgschaft für einen möglichen Kredit an Gazprom zugesagt wurde.
FDP, LINKE und Grüne plädieren für eine gewisse Schamfrist, während der es früheren Mitgliedern einer Bundesregierung untersagt sein soll, eine Beschäftigung in Unternehmen aufzunehmen, die einen engen Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in der Regierung nahe legt. Unter Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird eine analoge Anwendung des Bundesbeamtengesetzes (BBG) auf frühere Regierungsmitglieder diskutiert. Nach Paragraf 69 a BBG können Ruhestandsbeamten und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen Tätigkeiten nach Beendigung des aktiven Beamtenverhältnisses untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass dienstliche Interessen beeinträchtigt werden.
Und die Lobbyisten ohne Mandat? Sie sind offenbar dabei, sich dem veränderten Umfeld anzupassen. Eine Minderheit (noch?) geht in die Offensive. Degepol, die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, bemüht sich um ein klareres Profil der Branche und um ein verbessertes Image des Berufsstandes. Mitglieder des Verbandes verpflichten sich, einen Verhaltenskodex einzuhalten. Darin heißt es unter der Überschrift "Keine finanziellen Anreize: Degepol-Mitglieder üben zur Kommunikation und Realisierung von Interessen keinen unlauteren oder ungesetzlichen Einfluss aus, insbesondere weder durch direkte oder indirekte finanzielle Anreize." Degepol solle als Gütesiegel der Branche weiter ausgebaut werden, versicherte Verbandschef Dominik Meier in einem Interview.