Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will es, die Gewerkschaft der Polizei will es und auch der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm hat sich dafür ausgesprochen: Sie alle fordern, Deutschlands Autobahnmautsystem zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen.
Datenschützer sehen in der Forderung einen Vertrauensbruch: "Das System wurde nur akzeptiert, weil gesetzlich festgelegt wurde, die Mautdaten ausschließlich zum Zweck der Mautentrichtung zu nutzen", sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. "Es ist immer wieder das gleiche Spiel der Sicherheitsbehörden", kritisiert auch Sönke Hilbrans, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, den Ausbau des Überwachungsapparates. Erst werde eine technische Infrastruktur mit der Begleitmusik der res- triktiven Nutzung eingeführt, um dann die Restriktionen Stück für Stück fallen zu lassen. "Aus Sicht des Datenschutzes ist das katastrophal", sagt Hilbrans. So wie die Telefonüberwachung zunächst nur bei schweren Straftaten zulässig war, könnte auch die permanente Beobachtung der Autofahrer zum Alltagswerkzeug für Ermittler werden.
Die dafür nötige Technologie steckt schon heute im deutschen Mautsystem, bestätigen Branchenkenner. Doch bevor es als ein flächendeckendes Überwachungsnetz genutzt werden kann, müsste eine Reihe gesetzlicher, vertraglicher und technischer Hürden genommen werden.
Aus technischer Sicht haben Experten wenig Zweifel daran, dass das ausgetüftelte deutsche Mautsystem zu einem Fahndungssystem erweitert werden kann. Der Aufwand dafür ist überschaubar. "Die Umstellung des Systems auf eine komplette Überwachung würde etwa sechs Monate dauern", sagt ein Technik-Insider von Toll Collect.
Auf rechtlicher Seite müsste der Betreibervertrag mit Toll Collect um die neuen Aufgaben ergänzt werden. Schwieriger dürfte es jedoch sein, das im Jahr 2002 eingeführte Autobahnmautgesetz zu ändern. Es schließt durch eine strikte Zweckbindung die Verwendung der Mautdaten jenseits der Abrechnungszwecke aus. Das gilt auch für deren Weitergabe zum Beispiel an die Polizei. "Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig", heißt es im Paragraf 7 des Autobahnmautgesetzes.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind weder die rechtlichen noch die technischen Voraussetzungen für die permanente Rasterfahndung erfüllt. "Unser Mautsystem ist ein Zahlungssystem und kein Ortungssystem", betont Reinhard Fraenkel. Er ist Datenschutzbeauftragter beim Mautbetreiber Toll Collect. "Wir können heute nicht auf Knopfdruck sagen, wo sich ein LKW befindet", sagt Fraenkel.
Bislang ist das Mautsystem darauf programmiert, nur LKWs ab zwölf Tonnen Gesamtgewicht zu beachten. PKWs und kleinere LKWs werden aussortiert, weil sie (noch) nicht mautpflichtig sind.
90 Prozent aller Spediteure bezahlen ihre Maut mittlerweile automatisch. Dafür haben sie ihre LKWs mit so genannten "Onboard Units" (OBU) ausgerüstet, die die Maut automatisch mit der Toll Collect Zentrale per Mobilfunk-SMS abrechnen. Mehr als 500.000 OBUs wurden bislang installiert, darunter 180.000 in ausländischen LKWs. Fahrer ohne OBU können sich an bundesweit 3.500 Automaten Einzeltickets kaufen oder per Internet buchen.
"Die Ortung eines LKW ist nicht vorgesehen, denn die OBUs senden keine Positionsdaten des Fahrzeuges an die Toll Collect-Zentrale", sagt Reinhard Fraenkel. Nur sporadisch - etwa alle 200 Kilometer oder wenn 20 Euro Maut angefallen sind - schickt das Gerät eine verschlüsselte SMS mit den Strecken- und Fahrzeugdaten an die Toll Collect-Zentrale. Nur im Nachhinein kann gesagt werden, wo sich ein LKW auf der Autobahn befunden hat. Ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht ermitteln, da nur der Beginn einer mautpflichtigen Fahrt gespeichert wird.
Mehr Kopfzerbrechen als die OBUs dürften Datenschützern die 300 fest installierten Kontrollbrücken bereiten. Ihre Hauptaufgabe ist es, Mautpreller zu erkennen. Wie sie das machen, weckt nicht nur bei passionierten Datenschützern Big Brother-Ängste.
Die technisch ausgetüftelten Kontrollpunkte analysieren vollautomatisch den gesamten Autobahnverkehr und sind wahre Datenstaubsauger. Kein Fahrzeug auf deutschen Autobahnen bleibt von den Mautbrück- en unbemerkt. Jedes Fahrzeug - egal ob PKW oder LKW - wird bei der Durchfahrt zwei Mal fotografiert und per Laser vermessen. Mit Hilfe einer Bildanalyse pickt sich der Computer nur die mautpflichtigen LKWs über 12 Tonnen Gewicht heraus und erkennt blitzschnell deren Nummernschilder. 50 bis 100 Kennzeichen kann so eine Brücke pro Sekunde erfassen.
Jede Durchfahrt eines LKW melden die Mautbrück- en mit fahrzeug- und streckenbezogenen Daten online in die Toll Collect-Zentrale. So entsteht schon heute ein lückenloser Datenbestand, in dem die Fahrten aller LKW über 12 Tonnen auf deutschen Autobahnen mit Angaben zu Kennzeichen, Tag, Ort und Zeitpunkt gespeichert sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die PKW-Maut kommt und auch deren Bewegungsdaten in der Toll Collect- Zentrale gespeichert werden.
Mit Hilfe dieser Mautdaten könnten dann auch noch nach Jahren von jedermann die Autobahnfahrten nachvollzogen werden, denn schon aus Gründen der Buchhaltung müssen die Daten aufbewahrt werden. "Alle Mautdaten inklusive der Kennzeichen werden beim Bundesamt für Güterverkehr für mindestens drei Jahre gespeichert", bestätigt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. "Sicherheitsdienste lecken sich nach solchen Daten die Finger", sagt Sönke Hilbrans.
Die Vorschriften im Autobahnmautgesetz zu lock- ern ist für eine permanente, automatisierte Fahndung nicht einmal unbedingt nötig. Denn einige Bundesländer haben schon jetzt dafür die gesetzliche Grundlage vorweggenommen. Im Lauf der letzten Monate wurden in Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein die Landespolizeigesetze entsprechend geändert. "Dort ist es schon jetzt zulässig, dass Kennzeichen automatisch gescannt werden und mit Fahndungsdateien abgeglichen werden", sagt Schleswig Holsteins oberster Datenschützer Thilo Weichert. Anders als beim Autobahnmautsystem werden die Daten dort nicht langfris- tig gespeichert. Dennoch sehen Datenschützer darin einen Rechtsbruch: "Es ist und bleibt unzulässig, das Verhalten der Bürger ohne Anlass zu erfassen", sagt Datenschützer Hilbrans.
Falls auch für die Toll Collect-Infrastruktur in Zukunft die gesetzliche Grundlage für den automatischen Abgleich von Kennzeichen und Fahndungslisten folgt, kündigen Datenschützer schon jetzt ihren Widerstand an. "Jede Nutzung der Toll Collect-Daten jenseits der Abrechnung macht es wahrscheinlicher, dass Datenschützer ihren Bedenken auch vor den Verfassungsgerichten erfolgreich Gehör verschaffen", prophezeit Sönke Hilbrans.
Der Autor ist Redakteur der "tageszeitung" im Ressort Wissenschaft und Umwelt in Berlin.