Vollkornbrot, eine Flasche italienischer Rotwein, drei Becher Naturjoghurt, eine Packung Toilettenpapier und dazu die Tageszeitung: Nacheinander zieht die Kassiererin die Einkäufe am Scanner vorbei. Sie schaut nur einmal kurz auf, um eine wichtige Frage zu stellen: "Haben Sie eine Bonuskarte?" "Natürlich", sagt der Kunde, greift nach der Geldbörse und reicht ihr eine bunte Plastikkarte.
Fast die Hälfte aller Deutschen besitzt eine Kundenkarte und sammelt damit eifrig Punkte, Meilen oder Digits. Täglich, nahezu bei jedem Einkauf. Genauso oft geben sie damit aber auch eine Vielzahl von Daten preis: zum Beispiel wann und wo sie eingekauft haben. Auch Produkt und Stückzahl werden erfasst. Welche Angaben aber die Kartenanbieter genau speichern, weiß die Mehrheit der Konsumenten nicht. Doch das scheint sie nicht zu schrecken: Allein 28 Millionen Deutsche waren im vergangenen Jahr nach Angaben des Betreibers beim Payback-System angemeldet - dem Marktführer unter den Rabattkartenanbietern -, 24 Millionen beim Konkurrenten Happy Digits. Es ist der Rabatt, der sie lockt. Durchschnittlich zwischen 0,25 bis 3 Prozent sparen die Kunden damit, wie die Stiftung Warentest in einer Studie ausgerechnet hat. Nicht gerade üppig, doch das Geschäft funktioniert: Für das Geld, das die Kunden bei beteiligten Partnerunternehmen des Rabattkartenanbieters ausgeben, bekommen die Kunden ein virtuelles Guthaben auf ihrem Kundenkarten-Konto gutgeschrieben. Ab einer bestimmten Höhe können sie schließlich die gesammelten Bonuspunkte gegen Prämien oder Einkaufsgutscheine einlösen.
Seit der Einführung von Kundenkarten in den 90er- Jahren mahnen Verbraucherschützer jedoch, Nutzen und Nachteile bewusst gegeneinander abzuwägen. Datenschützer monieren, dass mit den Kundenkarten sensible Angaben gespeichert werden, die für das Vergeben von Rabatten gar nicht nötig sind. Mehr noch: Kundenkarten täuschten vor, eine Rabattkarte zu sein, dienten aber einzig dazu, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Verbrauchern zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, ohne dass diese darüber informiert würden, so formulierte es der Bürgerrechtsverein FoeBud (Verein zur Förderung des öffentlichen und unbewegten Datenverkehrs) und verlieh Payback deswegen im Jahr 2000 den so genannten BigBrother-Award. "Mit riesigem Werbeaufwand und großer Reichweite wird hier eine äußerst gefährliche Struktur aufgebaut", begründete der Verein damals die Nominierung, "Konsumgewohnheiten von Bürgern werden so ausgeforscht, ausgewertet und auf unabsehbare Zeit gespeichert".
Wie viel Weitsicht der Verein bewies, zeigt ein Gutachten, das von den Verbraucherzentralen 2003 bei dem unabhängigen Landesinstitut Schleswig-Holstein in Auftrag gegeben wurde: Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass alle untersuchten Kundenbindungssysteme den datenschutzrechtlichen Anforderungen nicht vollständig genügen.
Schon bei der Anmeldung bei Payback, Happy Digits oder anderen Bounskartenprogrammen werden Pflichtangaben wie Name oder Adresse abgefragt. Bei vielen muss man auch das vollständige Geburtsdatum nennen, was gar nicht erforderlich ist. Wer außerdem Angaben zum Einkommen, zur Anzahl der Kinder und deren Geburtsdatum macht, kann zusätzliche Punkte sammeln oder sogar Reisen gewinnen. Gegen solche Lockangebote klagte der Bundesverband Verbraucherzentralen bereits mit Erfolg: Im April stoppte das Landgericht Köln eine Aktion von Happy Digits. Dem Unternehmen wurde es danach untersagt, Karten für die Fußballweltmeisterschaft zu verlosen, wenn die Teilnahme davon abhängig gemacht wird, dass Verbraucherdaten weitergegeben und für Werbezwecke verwendet werden dürfen.
Diese Einwilligungserklärungen, mit denen der Kunde seine Daten für Werbung und Marktforschung zur Verfügung stellt, sind häufig mangelhaft: Die Teilnahme des Kunden an dem Bonussystem hängt nur zu oft von seiner Einwilligung ab, personenbezogene Daten herauszugeben. Verbraucherschützer sprechen dann von einem Verstoß gegen das Kopplungsverbot. Sie kritisieren aber auch Einwilligungserklärungen, die den Kunden zwar formell die Wahl geben, aber sie durch ein so genanntes "Opt-out" erschweren. Der Kunde muss hier extra die Einwilligung durchstreichen oder ankreuzen. Das erfordert stets eine sorgfältige Prüfung - das Risiko liegt auf Seiten des Kunden.
Auch dagegen klagte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erfolgreich: Im März erklärte das Landesgericht München, die Opt-out-Klausel des Kundenkartenanbieters Payback für unwirksam. Diese Praxis stelle eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher dar, begründete das Gericht seine Entscheidung. Payback hat zwar Berufung eingelegt, doch die Verbraucherzentralen hoffen, dass das Urteil dennoch Signalwirkung hat.
Doch nicht nur bei der Anmeldung, auch beim Einsatz der Kundenkarte werden mehr Daten gespeichert als notwendig. So erheben auch die Partnerunternehmen der Kundenkartenanbieter - also Supermärkte, Warenhäuser oder Telefongesellschaften - Angaben zur gekauften Ware. Payback versicherte zwar bereits, hier würden nur Warengruppen gespeichert, niemand könne nachvollziehen, wer wie viele Flaschen Wein oder welche Marke Toilettenpapier gekauft habe. Und auch bei Happy Digits heißt es, eine Entschlüsselung sei viel zu aufwändig. Doch diese Aussagen zweifeln Verbraucherschützer an (siehe Interview mit Rena Tangens auf Seite 13). Das Wissen nämlich ist bares Geld wert: Zwar ist die Information, wer welchen Kaffee oder welches Waschmittel kauft, banal. Doch Daten, die in Mengen gesammelt werden, lassen vielfältige Schlüsse zu, etwa auf das Einkommen. Da die Angaben auch lange gespeichert werden, können diese später zu einem aussagekräftigen Profil verdichtet werden.
Die meisten Kunden sehen darin offenbar kein Problem, was Verbraucherschützer wie Patrick von Braunmühl wundert: "Gegen Datenerhebungen des Staates, wie etwa die Volkszählung, haben sich die Bürger noch in den 80er-Jahren massiv gewehrt", sagt der Leiter des Fachbereichs Wirtschaft im vzbv, "mit der Datensammlerei der Unternehmen jedoch gehen die Leute heute erstaunlich locker um."
Ein Fehler mit bisweilen unangenehmen Folgen: Es lässt sich zum Beispiel nicht ausschließen, dass Daten, die von Unternehmen für Marketingzwecke gesammelt wurden, auch im Rahmen des Kreditscorings, also bei der Bonitätsprüfung für die Kreditvergabe, von Banken und Versicherungen herangezogen werden. Und auch der Staat könne, so von Braunmühl, im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen Zugriff auf solche Daten bekommen. "Das kann für Nutzungsdaten im Internet ebenso gelten wie für Verbindungsdaten in der Telekommunikation."
Doch all das ist nach Meinung vieler Verbraucherschützer nur die Spitze des Eisbergs. Denn durch die RFID-Technologie, könnte sich unser Alltag nochmals komplett verändern. Hätte in Zukunft jedes Produkt einen implantierten Chip, etwa Kleidung oder Schuhe, könnten auch deren Informationen jederzeit lesbar sein - schon beim Betreten eines Supermarktes. So könnten in Windeseile noch viel größere Datenmengen als zuvor erhoben und verknüpft werden. Ein Schlaraffenland für Marketingforscher. Ein Horrorszenario für Daten- und Verbraucherschützer.
Deshalb drängen auch die Verbraucherschutzverbände in Deutschland auf eine Verbesserung der Datenschutzgesetze, um die Souveränität der Verbraucher über ihre persönlichen Daten in der Praxis sicherzustellen. "Notwendig wären zunächst die Verankerung des Opt-in Prinzips und ein Kopplungsverbot zwischen der Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken und dem Angebot bestimmter Dienste", findet von Braunmühl. Sinnvoll wäre zudem ein so genanntes Datenschutzauditgesetz, nachdem Unternehmen ihre Datenverarbeitungsprozesse durch unabhängige Stellen überprüfen lassen müssten. "Doch auch die Einhaltung der Gesetze müsste effektiver kontrolliert und Verstöße wirksamer geahndet werden", fordert der Verbraucherschützer. Derzeit jedoch führt die Europäische Kommission erstmal ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland durch. Vorwurf: Die über die Einhaltung der Datenschutzgesetze wachenden Stellen seien vom Staat nicht ausreichend unabhängig, wie es die EU-Datenschutzrichtlinie fordert.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.