Das Geschäft mit Werbebriefen boomt: Fast 12 Milliarden Euro haben Unternehmen in Deutschland im Jahr 2004 für adressierte Re-klamesendungen ausgegeben - Tendenz steigend. Hinter der Direktmarketingbranche stehen rund 50.000 Arbeitsplätze. Unternehmen stecken mitunter jeden zweiten Werbe-Euro in das so genannte Direktmarketing.
Wer Adressen sucht, wird schnell fündig. Über das Internet offerieren Dutzende Firmen ihre Datenbankbestände. Die Bertelsmann-Tochter AZ Direct beispielsweise nennt 37 Millionen Privatadressen ihr eigen und berechnet bei Abnahme von mindestens 5.000 Anschriften 12 Cent pro Datensatz. Telefonnummern, sofern vorhanden, kosten extra: 5 Cent pro Anschrift.
Der Interessent kann den Empfängerkreis genau eingrenzen: Will er Upper-Class-Männer aus Hamburg-Blankenese mit Interesse an Bildungsthemen oder vielleicht lieber Gewinnspielteilnehmer aus Mehrfamilienhäusern in Osnabrück mit geringer Kaufkraft? All das lässt sich über die Abfragekriterien leicht herausfinden. "Erfahren Sie neben der Adresse des Neukunden auch, wie groß sein Interesse an Kunst oder Kultur ist, oder wie sportinteressiert er ist", bewirbt etwa AZ Direct seine Datenbank.
Über besonders große Datensätze verfügen auch die Deutsche Post (57 Millionen Adressen), Schober (50 Millionen) und die Allianzbeteiligung Bürgel (36 Millionen). Doch weil ein Unternehmen allein kaum einen so großen Datenbestand aufbauen kann, arbeiten die Adresshändler eng zusammen und kaufen und verkaufen Datensätze untereinander.
Es gibt verschiedene Wege einer Privatadresse in eine solche Datenbank. "Nach dem Bundesdatenschutzgesetz ist es erlaubt, Daten, die im Geschäftsverkehr anfallen, auch für Werbezwecke zu verwenden", sagt Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz. Ein zweiwöchiges Probeabo einer Tageszeitung genügt also. Beispielsweise könne ein Verlag seine Abonnentenkartei anderen für Werbezwecke zur Verfügung stellen, sofern der Betroffene dem nicht widersprochen habe, erklärt Schaar.
Wenig bekannt ist, dass je nach Landesrecht auch Behörden Privatadressen an Unternehmen herausrücken dürfen, beispielsweise an Adressbuchverlage oder sogar an Zeitungen, wenn diese über runde Geburtstage berichten wollen.
Dass es ein explizites Widerspruchsrecht gegen die werbliche Nutzung von Adressen gibt, ist vielen Bürgern nicht bewusst. Sie können auch Auskunft darüber verlangen, welche ihrer Daten überhaupt von einem Unternehmen gespeichert sind. "Ganz beliebt zur Adressgenerierung sind Gewinnspiele oder so genannte Verbraucherumfragen, die teilweise von dubiosen Instituten durchgeführt werden", so Peter Schaar. Derartige Gewinnspiele werden von darauf spezialisierten Dienstleistern wie Burda Direct angeboten. "Mit responsestarken, titelaffinen Gewinnspielen ergänzen wir unser Portfolio und schaffen für Sie Synergien im Hinblick auf Adressgenerierung und Zusatzerlöse", heißt es in der Selbstdarstellung.
Auf dem milliardenschweren Markt des Direktmarketings verlieren selbst renommierte Großunternehmen immer mal wieder den Datenschutz aus den Augen. Selbst eine Krankenkasse hat schon mit den Daten ihrer Kunden gehandelt, wofür sie anschließend eine Rüge vom Bundesversicherungsamt bekam. Die Gmünder Ersatzkasse hatte im Frühjahr 2004 etwa 200.000 ihrer 1,3 Millionen Mitglieder Werbung für einen Diät-Ratgeber zugesandt und "wärmstens" den Kauf des Buches empfohlen. "Viele Firmen arbeiten mit allen Mitteln, um an Kundendaten heranzukommen", kommentiert Verbraucherschützer Patrick von Braunmühl solche Aktionen.
Essenziell für den Erfolg von Werbebriefen ist die Qualität der Daten. Je höher diese ist, umso geringer sind die Streuverluste. Eine besondere Rolle spielt dabei die Deutsche Post. Ihre Umzugsdatei, die auch aus Nachsendeaufträgen gespeist wird, umfasst 38 Millionen nicht mehr gültige Adressen. Daneben enthält die Postreferenz-Datei 57 Millionen aktive Empfänger - ein wahrer Datenschatz.
Damit die Daten immer up-to-date bleiben, schickt die Post sogar Mitarbeiter mit aktuellen Adresslisten in die Treppenhäuser, um nicht mehr aktuelle Datensätze anhand der Namen an den Briefkästen auszusortieren. Adresshändler wiederum können sich ihre Datenbank von der Post auffrischen lassen, wie es im Branchenjargon heißt. Dabei werden veraltete Anschriften aussortiert und, falls bekannt, durch neue ersetzt.
Datenschützer Schaar hat nichts gegen diese Praxis: "Die Post sagt, dass sie selbst ein Interesse hat, Sendungen, also auch Werbebriefe, richtig zu adressieren, weil ansonsten die Irrläufer überand nehmen. Das kann ich nachvollziehen."
Adressen werden nicht nur aufgefrischt, sondern auch vermietet. Schaar hält das zwar für "eine datenschutzfreundlichere Variante, weil die Daten dann nicht noch mal weiter übermittelt werden". Auf der anderen Seite sei es für den Betroffenen dadurch noch undurchsichtiger, weil für ihn gar nicht klar werde, wie seine Adresse zum Werbebriefversender gekommen sei.
Der Deutsche Direktmarketingverband (DDV) hat eigene Qualitäts- und Leistungsstandards und einen Ehrendkodex verabschiedet, um den mitunter schlechten Ruf der Branche bei den Bürgern zu verbessern. DDV-Mitgliedsunternehen verpflichten sich beispielsweise zur Einhaltung der Datenschutzgesetze und zu einem "verbraucherfreundlichen Direktmarketing". So müssen Werbetreibende die Herkunft von gekauften oder gemieteten Adressen angeben, sofern die Betroffenen dies verlangen. Auch die Robinsonliste, in der Bürger ihre Anschrift hinterlegen können, wenn sie keine oder nur bestimmte Werbung per Post erhalten wollen, wird vom DDV verwaltet.
Ein hundertprozentiger Schutz vor Werbepost ist die Robinsonliste freilich nicht, Verbraucher, die von Reklamebriefen genervt sind, bleibt letztlich nur ein schriftlicher Widerspruch beim Absender des Briefes. Der Berliner Datenschutzbeauftragte empfiehlt dafür folgende Formulierung: "Ich widerspreche der Nutzung oder Übermittlung meiner Daten für Werbezwecke oder für die Markt- oder Meinungsforschung (Paragraf 28 Absatz 4 Bundesdatenschutzgesetz)."
Die Unternehmen sind verpflichtet, den Widerspruch zu akzeptieren und, falls verlangt, auch Auskunft über die Herkunft der Adressdaten zu geben. Geschieht das nicht, dann handelt es sich um einen Datenschutzverstoß. "Dann würde ich mich an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden", empfiehlt Peter Schaar.
Wenn es um den Datenschutz in Privatunternehmen geht, muss der Bürger das jeweilige Datenschutzgesetz seines Bundeslandes konsultieren, denn beim Schutz der privaten Daten kocht jedes Land sein eigenes Süppchen. Zuständig ist entweder ein Regierungspräsidium, der Landesdatenschutzbeauftragte oder eine andere Behörde. Die ganz dreisten Verstöße gegen die Datenschutzregeln kann man in den Jahresberichten der Datenschützer nachlesen.