Das Parlament Unternehmen wissen über Kundenkarten und das so genannnte Scoring immer mehr über die Verbraucher. Haben Sie Grund, sich Sorgen zu machen?
Rena Tangens Sicher. Die Verbraucher geben mit ihren Einkäufen ja sehr viel von sich preis. Zwar scheint der einzelne Kauf von Kaffee oder Orangensaft nicht so vertraulich und bedeutend zu sein. Aber wenn ihr kompletter Einkaufszettel über Jahre hinweg gespeichert und ausgewertet wird, erhalten diese Daten eine neue und potenziell gefährliche Qualität.
Das Parlament Warum?
Rena Tangens Sie geben detailliert Auskunft über ihren individuellen Lebensstil. Wenn jemand billige Wurst, Bier, Boulevardzeitung und Windeln kauft, landet er in einer anderen Kategorie als derjenige, die Antipasti, guten Wein und "Die Zeit" kauft. Wer einen schlechten Scorewert hat, bekommt keine günstigen Versicherungen oder Handyverträge angeboten oder wird möglicherweise als Mieter abgelehnt. Ein automatisiertes Vorurteilssystem, das nicht nur intransparent, sondern auch unsozial ist. In den USA gibt es bereits Konzepte zur Preisdiskriminierung im Supermarkt, das heißt, reiche Kunden, von denen man sich weitere Umsätze erhofft, bekommen günstigere Preise als weniger wohlhabende Kunden - für dieselbe Ware wohlgemerkt.
Das Parlament Wie sinnvoll ist die Einwilligung der Kunden angesichts dieser nahezu unüberschaubaren Verwendungsvielfalt der verarbeiteten Daten?
Rena Tangens Grundsätzlich kann man nicht von einer informierten Einwilligung sprechen, da den meisten Verbraucherinnen nicht klar ist, was ihre Einwilligung nach sich zieht. Tchibo direct zum Beispiel arbeitet mit juristischen Fußangeln. Das Unternehmen sagt in seinen Datenschutzbestimmungen, dass Daten "grundsätzlich" nicht an "unberechtigte" Dritte weitergegeben werden. Juristisch bedeutet dies, dass es Ausnahmen gibt. Tatsächlich werden die Tchibo-Kundendaten von AZ direct, einer Bertelsmann-Tochter, auf dem kommerziellen Adressmarkt angeboten. Wenn Tchibo-Kunden das wüssten, würden sie nicht zustimmen.
Das Parlament Marktwirtschaftlich betrachtet würde ein Produkt weniger Erfolg haben, wenn es den Bedürfnissen der Kunden nach Privatsphäre nicht entspricht. Doch was ist, wenn es wie bei den RFID-Tickets zur Fußball-Weltmeisterschaft keine Wahlmöglichkeit gibt?
Rena Tangens Der DFB hat bei den WM-Tickets seine Monopolstellung rücksichtslos ausgenutzt - zugunsten seines Sponsoren Philips. Die Fans hatten keine andere Wahl. Sie wurden missbraucht, um die RFID-Technik in Deutschland salonfähig zu machen.
Das Parlament Ginge es auch anders?
Rena Tangens Ich glaube, dass der Datenschutz ein positives Verkaufsargument sein kann. Eine Handelskette könnte ja bewusst einen einfachen Umsatzrabatt vergeben und damit werben, dass sie auf persönliche Daten verzichtet. Immer mehr Menschen ist der Datenschutz wichtig. Sie würden sich für diese Alternative entscheiden.
Das Parlament Wo sehen Sie die Grenzen für Selbstregulierung?
Rena Tangens Eine Selbstregulierung der Wirtschaft, die nicht einmal einen AGB-Status (allgemeine Geschäftsbedingungen, d. Red.) bei den Firmen hat, bringt keinerlei Verbindlichkeit für die Verbraucher. Es ist aber nicht einzusehen, warum Firmen sich gegen eine wirksame Datenschutzgesetzgebung wehren, wenn sie keine unlauteren Absichten haben. Denn die Gesetze schützen auch sie - nicht nur vor der böswilligen Konkurrenz, die den Datenschutz missachtet, sondern auch vor den eigenen Aktionären, die zur Gewinnmaximierung eine Vermarktung der Kundendaten einklagen könnten. Microsoft hat das verstanden - der Softwarekonzern ist mittlerweile in den USA ein engagierter Verfechter strengerer Privacy-Gesetze.
Das Parlament Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hält eine Selbstregulierung im RFID-Bereich für sinnvoll. Was meinen Sie?
Rena Tangens Sehen Sie, es gab bisher keine Selbstregulierung der Wirtschaft, die funktioniert hätte - denken Sie doch nur mal an die Mehrwegquote. Gerade bei den RFID-Chips aber reicht eine Selbstregulierung auf keinen Fall, da die Möglichkeiten der Datenauswertung hierbei immens sind. Ich denke, dass es angesichts dessen dringend notwendig ist, die ungezielte Datensammlung endlich gesetzlich zu regulieren.
Das Parlament Wie können sich Bürger am wirksamsten schützen?
Rena Tangens Der erste Grundsatz ist die Datensparsamkeit: Das heißt, man sollte niemals Daten von sich preisgeben, die für einen Vorgang nicht gebraucht werden, etwa das Geburtsdatum, das häufig ohne Grund abgefragt wird. Außerdem gilt: Immer in bar bezahlen, keine Kundenkarten annehmen und nicht bei Preisausschreiben mitmachen. Aber selbst wenn man das befolgt, ist es oft bereits unmöglich, sich zu bewegen, ohne eine Datenspur zu hinterlassen. Daher sollten sich Bürger auch weitergehend für ihre Rechte engagieren, also Politiker, Medien und Firmen auf Datenschutz ansprechen und Organisationen unterstützen, die sich dafür einsetzen.
Mehr Informationen über den Datenschutzverein gibt es unter: www.foebud.de