New London, Connecticut im Oktober. Da hängt er nun als Hampelmann, mit grüner Krawatte und schwarzem Anzug, genau so gekleidet wie sein Strippenzieher. George W. Bush thront über ihm, ein Bündel Geldscheine und das Holzkreuz für die Marionette in der Hand, sein Lakai Joe Liebermann guckt fröhlich durch die Schnüre hindurch, die seine Arme und Beine fernsteuern. Alles Pappmaché und Fotomontage natürlich, kunstvoll drappiert an einer langen Latte, die die Demonstranten in die Höhe halten.
Worte überflüssig. Joseph Lieberman, der demokratische Senator aus Connecticut als Handlanger des amerikanischen Präsidenten, dieses Thema wiederholt sich oft an diesem Abend, vor den Toren des Garde Arts Centers in New London wie auch im Kundgebungssaal.
Das ehemalige Lichtspielhaus in diesem kleinen, zweieinhalb Autostunden nordöstlich von New York City an der Atlantikküste gelegenen Ort ist ein sorgsam restauriertes Refugium aus den 20er-Jahren. Seine Stifter dachten damals, man könne mit orientalischen Verzierungen das Volk von der Depression ablenken, es entführen in eine fremde, schöne Welt. Nicht nur mit den Filmen auf der übergroßen Leinwand, sondern auch mit prachtvoll-bunten Wand- und Deckenverzierungen, die aus einem imaginären marokkanischen Palast entlehnt zu sein scheinen.
Am heutigen Abend jedoch dient der Saal keinen Cineasten und auch keinen Schauspielern. In der Mitte der Bühne stehen nur drei Barhocker an kleinen Tischen, Requisiten für die letzte Debatte im Kampf um den am 7. November freien Senatssitz des US-Bundesstaates.
Es ist leicht, Joe Lieberman nicht zu mögen. Der Mann gehört seit 18 Jahren zum Polit-Establishment Washingtons, gerade läuft seine dritte Legislaturperiode als Senator aus. In dieser Zeit legte der kleine weißhaarige Mann sich eine aalglatte Souveränität zu. Seinem Gegenüber vermittelt er bisweilen den Eindruck, er schwebe in seiner eigenen Welt und höre ihm nicht zu. Obwohl Moderator George Stephanopoulos vom Fernsehsender ABC deutlich macht, dass keine Eingangsstatements vorgesehen sind, springt der mit den Fußspitzen unablässig wippende Lieberman auf stoppt seine Rede erst nach drei Minuten wieder. Zwischendrin zielt er mit seinem Zeigefinger auf vermeintliche Bekannte im Publikum wie ein Losverkäufer auf dem Jahrmarkt auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.
Was Lieberman zuviel hat an schlüpfrigem Politikercharme, bräuchte sein Herausforderer Ned Lamont dringend. Der millionenschwere Geschäftsmann, dessen Hände unablässig zittern, wirkt, als habe er Al Gore den Besenstiel geklaut und sich selbst in den Anzug gesteckt. Wenn er zurückkehrt an seinen Hocker, muss man Angst haben, er falle vor laufenden Kameras hinunter.
Dritter im Bunde ist Alan Schlesinger, der Republikaner, der sich am heutigen Abend auf die Rolle des Klassenkaspers verlegt hat. Als es um die Frage geht, wie mit illegalen mexikanischen Immigranten verfahren werden soll, sagt er: "Joe will ihnen Amnestie geben, Ned ein Stipendium, ich einen Tritt in den Hintern." Er kann es sich leisten, die 1.500 im Theater mit seinen Späßschen zu necken: Er hat sowieso keine Chance zu gewinnen.
Die Republikaner stellten ihn aus Verlegenheit auf. Hinter den Kulissen halten sie Lieberman die Daumen. Oder unterstützen ihn offen. So wie das Dutzend Vertreter der Young Republicans, die geschniegelt und gebügelt vor dem Theater stehen und "Go Joe"-Schilder in die kalte Herbstnacht halten.
Gegen die Lamont-Anhänger sind sie hoffnungslos in der Unterzahl. Die haben es sogar fertig gebracht, eine kleine Demonstration zu organisieren: Angeführt von Dudelsack-Bläsern biegen sie um die Hausecke und machen direkt vor dem Arts Center Halt. Mitten drin die Bush-Lieberman-Marionette und ein Pick-up-Laster mit zwei überlebensgroßen Pappköpfen auf der Ladefläche. "The Kiss" (Der Kuss") verkündet ein Plakat an der Seite des Autos. Und weiter: "Stick with Joe and you're stuck with Bush" (Halte zu Joe und Bush bleibt dir erhalten).
Dieser Kuss, den der Präsident nach seiner Rede an die Nation im vergangenen Jahr Lieberman auf die Wange drückte, ist längst zum Symbolbild geworden für die Nähe des demokratischen Senators zum Zent-rum der Macht. Auch seine bis vor kurzem so unerschütterliche Unterstützung des Irakkrieges ist bekannt.
Nun ist die Nation kriegsmüde und die Demokraten entdecken ihre neue Wut auf jene in ihren Reihen, die damals im Herbst 2002 Bush die Erlaubnis für den Einmarsch in den Irak erteilten. Anders ist es nicht zu erklären, dass der politisch völlig unbeleckte Lamont in den Vorwahlen Lieberman ausstach, der nun als Unabhängiger antreten und hoffen muss, dass er genügend Stimmen aus dem rechten Spektrum seiner Partei einsammelt - auch bei den Republikanern.
Im Augenblick sieht es ganz gut aus: Die Umfragen sehen ihn zwei Wochen vor der Entscheidung zwischen acht und 16 Prozentpunkte vor Lamont. Das wiederum verfolgen die Demokraten in Washington mit gemischten Gefühlen. Einerseits wissen sie mit Lamont nichts anzufangen, der bei jeder Gelegenheit auf "die da in Washington" schimpft und verspricht, aufzuräumen, wenn er es denn bis in die Hauptstadt schafft. Andererseits könnte ausgerechnet Lieberman die entscheidende Stimme sein, die den Demokraten fehlt, um die Republikaner als stärkste Fraktion im Senat wieder abzulösen. Bislang versichert dessen Büro, er werde in einem solchen Fall zu seinen alten Parteifreunden halten.
Aber es wäre nicht das erste Mal, dass ein Politiker den Verlockungen der Gegenseite nachgibt. Also halten sich die meisten Demokraten raus.
Trotzdem löchern die Reporter Lamonts Sprecherin Liz Dupont-Diehl wieder einmal mit der Frage, wa-rum Bill Clinton nicht längst gekommen sei, um dem Kandidaten zur Seite zu springen. Alle stehen im kalten Wind hinter dem Gebäude des Studentenwerks der University of Hartford. Gerade hat Lamont vor gut 200 Menschen in der Cafeteria eine Rede gehalten. Wieder einmal ging es fast ausschließlich um den Irak - und um Lieberman. Der verhalte sich wie Richard Nixon 1969, als der sich weigerte, die US-Truppen aus Vietnam abzuziehen, behauptet Lamont.
"Der Irakkrieg war Joes ureigenste Wahl und er ist einer seiner unerschütterlichsten und stärksten Unterstützer." Das Publikum klatscht begeistert. Fragen beantwortet Lamont nicht, er schüttelt noch ein paar Hände, dann düst er weg.
Draußen spricht ihn ein junger Mann an, Zamil Al Zamil, ein Iraker mit amerikanischem Pass. Er glaube, Lamonts Forderung, die US-Truppen in zwölf bis 18 Monaten aus dem Irak abzuziehen, sei falsch. "Wir brauchen mehr Zeit", sagt er. Die Sicherheitskräfte versuchen, ihn abzuschotten. Lamont sagt noch: "Wir sind dort länger als wir im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Es ist an der Zeit."