Ein Porsche Cayenne und ein Basar haben eigentlich nichts miteinander zu tun - Autos werden dort normalerweise nicht verkauft. Für Hans-Werner Sinn aber, den Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, ist der gedankliche Sprung vom luxuriösen Geländewagen zum orientalischen Handelsplatz nicht gar so weit. Dass große Teile dieses als "Made in Germany" angepriesenen Wagens in der Slowakei hergestellt werden, zeigt für Sinn beispielhaft die Entwicklung Deutschlands vom Produktionsstandort zum Handelsland - zur "Basar-Ökonomie". Die Wertschöpfung der Industrie wandere ins Ausland, zurück bleibe ein Warenumschlagplatz mit angeschlossenem Sozialstaat.
Seine Basar-These, die durchaus einen globalisierungskritischen Unterton trägt, hat Sinn zum ersten Mal Ende 2003 aufgestellt. Je mehr er sie in der Folge zu untermauern versuchte, umso heftiger wurde die Kritik seiner Kollegen. Mit ein bisschen Abstand lässt sich sagen: Das Phänomen, auf das Sinn hinweisen wollte, existiert. Und: Die Teilnehmer der teils erregten Debatte waren sich im Kern einig, redeten aber oft aneinander vorbei. Sinns Ausgangspunkt war die Frage: Warum bleibt die Arbeitslosigkeit hoch und das Wirtschaftswachstum schwach, obwohl Deutschland so viele Waren exportiert wie kein anderes Land der Welt? Einen Teil seiner Antwort fand der Ökonom in der Außenhandelsstatistik: Sie verzeichnet seit Jahren stark steigende Importe von so genannten Vorleistungen - Gütern, die im Ausland hergestellt und in Deutschland weiter verarbeitet werden.
"Chinesen und Polen machen die niederen industriellen Fließbandarbeiten, und wir reservieren die höherwertigen und besser bezahlten Tätigkeiten für uns", schlussfolgerte Sinn. Er gab die Schuld daran den Gewerkschaften und dem Sozialstaat: Die Löhne in Deutschland seien zu hoch und die Lohnfindung zu unflexibel. Unternehmen ersetzten deshalb teure Arbeitskräfte durch Maschinen oder verlegten die Arbeit ins billigere Ausland. Im Ergebnis sinke die Zahl der Industriearbeitsplätze stärker, als die deutsche Volkswirtschaft verkraften könne. Die Kritiker des Münchner Ökonomen argumentierten anders: Er habe zwar recht damit, dass immer mehr Vorleistungen importiert werden. Der Verlust an Wertschöpfung, der dadurch entstehe, werde durch den Export der aus den Vorprodukten hergestellten Waren aber mehr als ausgeglichen. Deutschland profitiere von der Entwicklung, denn deutsche Produkte blieben preislich auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig - der gut laufende Export schaffe unter dem Strich mehr neue Arbeitsplätze, weil das Entstehen neuer Arbeitsplätze weniger von außenwirtschaftlichen Faktoren abhängt als von der Fähigkeit der Unternehmen, neue Märkte zu erschließen. Deutsche Unternehmen machen sich durch Produktionsverlagerung schlicht die internationale Arbeitsteilung zunutze.
Letzteres bestreitet Sinn nicht grundsätzlich. Konsens herrscht zwischen ihm und seinen Kritikern auch darin, dass vor allem Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation auf der Strecke bleiben, wenn Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern. Sie, die inzwischen die große Mehrheit der Arbeitssuchenden ausmachen, finden auch bei noch so starkem Exportboom keine neue Stelle. Die Arbeitsplätze, die durch den Außenhandel vor allem im Dienstleistungsbereich entstehen, verlangen nach höheren, zumindest aber anderen Qualifikationen, als Industriearbeiter sie haben.
Im Grunde war die Diskussion um die Basar-Ökonomie eine Scheindebatte um einen unglücklich gewählten Begriff. Sie hätte allerdings auch eine andere Richtung gebraucht. Es hätte nicht um die Frage gehen sollen, ob sich Deutschland vom Industriestandort zum Dienstleistungsland entwickelt, sondern wie man diesen Wandel gestaltet - und zwar so, dass der Widerspruch zwischen dem Exporterfolg und der desaströsen Lage am Arbeitsmarkt aufgelöst wird. Dazu aber haben Sinn und seine Kritiker erstaunlich wenig beigetragen. Sinn selbst empfiehlt noch immer das alte Rezept, die Löhne für einfache Tätigkeiten sinken zu lassen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Andere Ökonomen wollen dagegen durch höhere Löhne die Binnenkaufkraft stärken. Auf die Idee, über Bildung oder Qualifizierung von Arbeitnehmern zu reden, kam im Zusammenhang mit der Basar-Ökonomie niemand. Inzwischen hat sich das geändert - spät genug.
Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung "Die Welt".