Der deutsche Maschinenbau hat ein Luxusproblem: Er kann nicht so wachsen, wie er möchte, weil es ihm zu gut geht. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt, die Produktion läuft auf Hochtouren. Die Branche ist so stark ausgelastet wie seit 1990 nicht mehr. Der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Dieter Brucklacher, würde gerne die Prognose für dieses Jahr wegen der guten Auftragslage ein weiteres Mal anheben. Doch davor stehen die Kapazitätsengpässe. So bleibt er bei seiner Aussage, dass die Maschinenbaubranche - Deutschlands größter Industriearbeitgeber -in diesem Jahr um 5 Prozent auf rund 153 Milliarden Euro Umsatz wachsen wird.
Die Branche wird damit eine neue Rekordmarke setzen, nachdem sie schon 2004 einen neuen Höchststand mit einem Anstieg im Produktionsvolumen von real 4 Prozent erreicht hatte. Auch im nächsten Jahr visieren die meist mittelständischen und nicht selten von Familien gesteuerten Unternehmen der Branche Wachstum an. Der Auftragsbestand reicht weit in das Jahr 2007 hinein. VDMA-Präsident Brucklacher, für seine Vorsicht bekannt, erwartet einen Zuwachs von 2 Prozent. Damit ist 2007 das vierte dynamische Jahr in Folge. Das ist untypisch für eine zyklisch geprägte Industrie, die normalerweise spätestens nach drei Jahren wieder mit einer Abkühlung rechnen muss.
Zu verdanken hat die Branche diesen Boom dem Auslandsgeschäft. Trotz allem Unken über die Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland exportieren die rund 6.000 Unternehmen des Maschinenbaus in alle Welt. Und sie sind in der Regel Marktführer. Ob Antriebs- oder Verpackungstechnik, ob Druckmaschinen oder Fördertechnik: 21 der 31 Fachbereiche beanspruchen im internationalen Handel die Spitzenposition, fünf weitere den je zweiten Platz. Deutschland ist hinter den USA und Japan der drittgrößte Maschinenbauer der Welt.
Der internationale Erfolg steht in scharfem Gegensatz zu den manchmal überzogenen Klagen von Unternehmen und Verbandsvertretern über zu hohe Lohnkosten in Deutschland, zu starre Entlohnungssysteme und Tarifverträge, über zu starke Arbeitsmarktregulierungen und die Steuern. Der deutsche Maschinenbau zeigt: Internationaler Erfolg geht trotzdem. Fast drei Viertel ihrer Produktion exportieren die Unternehmen ins Ausland. Die Unternehmen agieren im Gegensatz zu behäbigen Großkonzernen aufgrund schlanker Strukturen sehr flexibel. Mit schnellen Reaktionen auf Marktveränderungen können sie besser auf Kundenwünsche eingehen. Ihr Vorteil gegenüber Konkurrenten aus dem Ausland besteht darin, dass sie qualitativ hochwertige und vor allem exakt auf kundenspezifische Anforderungen zugeschnittene Anlagen fertigen, während etwa asiatische Konkurrenten eher Standardprodukte anbieten.
Solche hoch entwickelten Produkte haben ihren Preis - den die Kunden zu zahlen bereit sind. Das schützt die deutschen Produzenten aber nicht davor, ein striktes Kostenmanagement durchzuziehen. Forschung und Entwicklung erfolgen in Deutschland. Komplizierte Produktion ebenfalls, genau wie die Konfiguration sowie Teile der Montage, sofern hohe Qualifikation verlangt ist. Sobald es aber um einfache Zulieferkomponenten oder Produkte geht, verlagern die Unternehmen die Fertigung zunehmend nach Osteuropa oder Asien. Die Firmen sehen in dieser internationalen Arbeitsteilung die Möglichkeit, auch an deutschen Standorten wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt immer mehr Unternehmen, die einfache Maschinen in der Nähe ihrer Absatzmärkte in Billiglohnländern fertigen lassen; in China, zunehmend in Indien oder in Osteuropa. Qualität aus Deutschland, Massenware aus dem Rest der Welt - das ist das Rezept.
Die Massenproduktion sollte dabei niemand gering schätzen. Sie wird immer mehr von den Konkurrenten aus asiatischen Ländern bestimmt. China ist als viertgrößter Maschinenbauer den Deutschen bereits auf den Versen; Südkorea und Russland nehmen hinter Italien, Frankreich und Großbritannien in der Statistik Rang acht beziehungsweise neun ein. Die Deutschen können sich nicht mehr darauf verlassen, dass das "Made in China" nur auf minderwertigen Plagiaten westlicher Technologien klebt. Experten schätzen, dass aus Fernost schon sehr bald qualitativ gute Angebote auf die Weltmärkte kommen werden, die dann auf Eigenentwicklungen beruhen. Darauf müssen sich auch die Deutschen einstellen. Kundenspezifische und hochwertige Produkte sind ihre Stärke. Um aber Marktanteile zu halten, müssen sie auch "Brot-und-Butter"-Maschinen anbieten.
Hier besteht durchaus die Gefahr, dass sich manche Unternehmen auf ausgefeilte, hoch technisierte Anlagen kaprizieren, die aufwendig entwickelt und teuer, zu teuer angeboten werden - am Markt vorbei. Der scheint keine Grenzen zu kennen. Neben dem florierenden Auslandsgeschäft springt auch die Konjunktur in Deutschland an. Sie hat den Maschinenbauern in diesem Jahr ein kräftiges Plus bei der Nachfrage beschert. Der jahrelange Investitionsstau in der Industrie beginnt sich aufzulösen. Im Jahresverlauf sind die Bestelllungen aus dem Inland schneller gewachsen als aus dem Ausland.
Das zeigt sich auch am Arbeitsmarkt: Zum Jahresende wird die Industrie 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben und insgesamt mehr als 874.000 Menschen beschäftigen. Es könnten angesichts der Kapazitätsengpässe noch mehr sein. Doch das Risiko ist den Arbeitgebern angesichts der "Überregulierung der Arbeitsmärkte" insbesondere beim Kündigungsschutz, so VDMA-Präsident Brucklacher, zu groß. Sie stellen lieber teuer bezahlte Leiharbeiter anstettelle von Festangestellten ein. "Die Unternehmen zahlen eine Prämie, um eine Festanstellung zu vermeiden, weil sie so mehr Flexibilität wahren können", sagt der Präsident - und das in der Tat ein wirkliches Luxusproblem.
Der Autor ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".