Das Parlament: Sie haben den Begriff "Hidden Champions" geprägt - es geht um Mittelständler, die trotz ihrer geringen Größe im Weltmarkt an der Spitze stehen. Wer sind diese "heimlichen Gewinner"?
Hermann Simon: Dazu gehören beispielsweise Haribo, Schwan-Stabilo Cosmetics, die Wirtgen Gruppe, Enercon oder Kärcher. Diese und all die anderen heimlichen Gewinner haben eine sehr ehrgeizige Einstellung gegenüber globalem Wettbewerb, sie sind außerordentlich erfolgreich und pflegen einen besonderen Führungs- und Managementstil. Mit teilweise 70 bis 90 Prozent Marktanteil in ihren jeweiligen Branchen nehmen sie Positionen ein, von denen multinationale Großkonzerne nur träumen können.
Das Parlament: Bedeutet ehrgeizig in diesem Fall risikobereit?
Hermann Simon: Nein, sie sind nicht risikobereiter als andere, es sind vielmehr drei Faktoren, die ihren Erfolg ausmachen: Erstens legen sie die eigene Meßlatte für ihre Produkte, Erfindungen und Ziele von Anfang an sehr hoch. Zweitens konzentrieren sie sich auf kleine Marktsegmente und verzetteln sich nicht durch Firmenzukäufe oder den Einstieg in branchenfremde Bereiche. Die Tetra GmbH beispielsweise ist auf Zierfischfutter spezialisiert, mit 50 Prozent Marktanteil ist sie Weltmarktführer. Und drittens bleiben solche Firmen zwar mit ihrer Zentrale am Standort Deutschland, sind aber mental und in der Praxis global players. Auf diese Weise schaffen sie für ihre oft unauffälligen Produkte einen großen, weltweiten Absatzmarkt. Sie profitieren enorm vom Export, er macht zum Teil 80 bis 90 Prozent ihres Umsatzes aus.
Das Parlament: Wie sieht dieser besondere Führungsstil aus, den Sie eben erwähnten?
Hermann Simon: Die Führung der heimlichen Gewinner ist ambivalent. Sie ist autoritär, wenn es um Unternehmensprinzipien, Unternehmensziele und Unternehmenswerte geht. In der Umsetzung hingegen sind die Mitarbeiter stark beteiligt und eigenverantwortlich. Wir haben herausgefunden, dass sie vier bis fünf mal so viele Kundenkontakte haben wie in einem Großunternehmen, dadurch kennen sie die Bedürfnisse der Kunden viel besser. Hinzu kommt: Die Kontinuität der Führung ist extrem hoch - im Schnitt bleiben die Spitzenkräfte 22 Jahre dabei. Während die Mitarbeiterfluktuation bundesweit jährlich bei 8 Prozent liegt, wechseln bei den Champions nur 2,3 Prozent der Beschäftigten pro Jahr den Job. Dabei gilt aber auch: Wer nicht zum Unternehmen passt, geht schon in der Probezeit, die anderen finden dort einen Job für den Rest ihres Arbeitslebens.
Das Parlament: Das klingt ja nach heiler Welt. Wenn schon Konzerne wie Siemens, Telekom oder Airbus tief in der Krise stecken und tausende Mitarbeiter entlassen, dann kann es dem Mittelstand und den stillen Stars doch kaum so gut gehen?
Hermann Simon: Natürlich sind Zulieferer oder Leiharbeitsfirmen von großen Konzernkrisen betroffen, aber in der Regel sind gerade die Hidden Champions sehr unabhängig - auch vom Dollarkurs. Das erscheint widersinnig, weil sie gleichzeitig den Großteil ihres Umsatzes mit Exporten machen, aber ihre Stärke liegt in ihrer Marktstellung: ihre Produkte sind nicht ersetzbar. Meist liefern sie Komplettlösungen, machen alles alleine und lassen wenig extern fertigen. Außerdem haben viele von diesen Firmen 30 bis 40 Patente je hundert Mitarbeiter. Zum Vergleich: Bei Siemens kommen zehn Patente auf hundert Beschäftigte.
Das Parlament: Und durch diese Unabhängigkeit überstehen sie auch längere Wirtschaftsflauten?
Hermann Simon: Ja. Solche Konjunkturschwächen spüren sie natürlich auch, aber es haut sie nicht um.
Das Parlament: Trotzdem scheint die Unternehmensstrategie, alles gleichsam im Alleingang zu schaffen, kaum zu globalisierten Märken zu passen.
Hermann Simon: Das mag so scheinen, aber dieser Weg ist äußerst erfolgreich. Die Hidden Champions verlassen sich auf die eigenen Stärken. Sie halten nicht viel von strategischen Allianzen und lagern ihre Aktivitäten - wenn überhaupt - nur sehr vorsichtig aus. Im Gegenteil: Sie bauen oft sogar ihre eigenen Maschinen, um einzigartige Kompetenzen zu schaffen, die sie natürlich geheim halten. Das macht sie unabhängig. Mein Eindruck in unseren Untersuchungen ist immer wieder, dass diese Unternehmens-Chefs vor allem auf gesunden Menschenverstand und Ausdauer setzen und nicht auf moderne Management-Schlagwörter wie Reengineering oder Benchmarking.
Das Parlament: Die heimlichen Weltmarktführer sind sehr wichtig für den Standort Deutschland, und sie gedeihen. Vielleicht sind also die Standortbedingungen hierzulande doch nicht so schlecht?
Hermann Simon: Sie könnten deutlich besser sein! Natürlich haben auch diese Firmen mit hohen Lohn- und Arbeitskosten oder Bürokratie zu kämpfen. In der Folge bleibt oft nur die Zentrale hier, während ihre Beschäftigtenzahl im Ausland deutlich stärker als in Deutschland wächst. Nur wenige hochspezialisierte Branchen bleiben vollständig hier, weil sie nur hier ihre Spitzenkräfte finden. Beispielsweise hat der Windenergie-Anlagenbauer Enercon, weltweit die Nummer drei, fast 7.000 Mitarbeiter in Deutschland.
Das Parlament: Mit welchen Schwierigkeiten haben die Hidden Champions als Teil der mittelständischen Wirtschaft außerdem zu kämpfen?
Hermann Simon: Anders als viele Mittelständler sind sie nicht so sehr auf Bankkredite angewiesen, weil sie eine Eigenkapitalbasis von im Schnitt 40 Prozent haben. Das ist also kaum ein Problem. Aber gerade die familiengeführten Unternehmen haben oft Nachfolgeprobleme. Und: Weil die meisten so beständig sind, müssen sie aufpassen, nicht vom technischen Fortschritt überrollt zu werden. Faber Castell etwa machte bis Mitte der 70er-Jahre dicke Gewinne mit Rechenschiebern - dann kamen die Taschenrechner auf. Das sind die Kehrseiten einer zu starken Fokussierung auf bestimmte Produkte.
Das Parlament: Was können Firmen, die noch nicht Weltmarktführer sind, von den heimlichen Gewinnern lernen?
Hermann Simon: Die wichtigste Lektion: Man muss seinen eigenen Weg gehen. Starke und beständige Führerschaft bildet dafür die Grundlage. Man muss sich auf die eigene Stärken verlassen, auf rigorose Auswahl der Belegschaft und hohe Innovationskraft. All diese Kompetenzen sollten auf einen engen Produktbereich ausgerichtet sein, das aber weltweit. Nicht Lehrbuchmarketing, sondern Kundennähe und Verlässlichkeit bringen die heimlichen Gewinner an die Spitze.
Das Interview führte Eva Haacke. Sie ist Korrespondentin bei der "WirtschaftsWoche".