Warum ist mir Europa so heilig, wenn ich es aus der Ferne sehe, und warum so profan, alltäglich, ja geradezu langweilig, kaum dass ich wieder hier bin?" Filmregisseur und -produzent Wim Wenders, in Deutschland geboren und nach langen Jahren in den USA zurückgekehrt, formulierte auf der Konferenz "Europa eine Seele geben", was wohl viele Menschen empfinden, wenn sie an Europa denken. Verbundenheit wird eher aus der Distanz empfunden. Kritik an der EU ist der Normalfall: Zu bürokratisch, zu fern, zu wenig greifbar lauten die häufigs- ten Vorwürfe. Sinnlos anmutende Verordnungen wie etwa über die Größe von Bananen oder Salatgurken lassen die Bürger Europas stöhnen oder spotten.
Mehr als 500 Teilnehmer diskutierten vom 17. bis 19. November in Berlin, wie die "Kraft der Kultur" dazu genutzt werden kann, den europäischen Einigungsprozess weiter voranzubringen. Denn der Vorwurf des "Bürokratiemonsters EU" verstellt nach Meinung nicht nur vieler Kulturschaffender leicht den Blick da- rauf, was die Staaten Europas im Kern verbindet und zusammenhält: Werte wie Humanismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit etwa. Doch das scheinen viele Bürger nicht mit der EU zu verbinden.
Mit der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und in den Niederlanden hat der europäische Einigungsprozess einen empfindlichen Dämpfer bekommen. Was aber vermissen die Bürger? Was fehlt Europa? Eine Seele, befand der frühere Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, und forderte, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Damit meinte der französische Politiker, Europa müsse mit Werten und Kultur belebt werden.
Dieses Ziel verfolgt seit etwa zwei Jahren eine Initiative von Kulturschaffenden, zu der auch der deutsche Soziologe und Schriftsteller Wolf Lepenies, der niederländische Kulturunternehmer Steve Austen oder Klaus-Peter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gehören. Zusammen mit einem Kuratorium, dem neben Richard von Weizsäcker 17 weitere deutsche und europäische Politiker angehören, hat sich die Initiative Jacques Delors berühmten Ausspruch zum Motto gemacht und setzt deshalb bewusst auf die kulturellen Stärken des Kontinents. Denn sie ist schließlich "unser aller Lebensweise", wie Richard von Weizsäcker sein Kulturverständnis in der Eröffnungsrede umschrieb. "Kultur ist unsere Art, freiheitlich und human zusammenzuleben. Sie liegt der Politik und der Wirtschaft, dem Lokalen und dem Feuilleton zugrunde."
Den Dialog und den kulturellen Austausch will die Initiatorengruppe deshalb besonders fördern - nicht nur zwischen Politikern, sondern zwischen allen Bürgern Europas - ganz besonders den jungen. Der Grund für dieses Engagement liegt auf der Hand: "Der Prozess der Einigung braucht eine Seele, damit er nicht nur äußerlich vorankommt, sondern auch qualitative Fortschritte macht, die ihn erst stabilisieren können", formulierte es Volker Hassemer, Sprecher der Initiative "Europa eine Seele geben".
Doch kann Kultur tatsächlich zum Kitt der Europäischen Union werden? Indem man den Dialog sucht: Etwa auf einer Konferenz, zu der die Initiative "Europa eine Seele geben" seit 2004 nun schon zum zweiten Mal Politiker, Kulturschaffende sowie Wirtschafts- und Medienvertreter nach Berlin eingeladen hatte. Wie Europa eine Seele bekommen kann, ist für den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso klar: Europas Kultur fuße auf gemeinsamen Freiheitswerten wie Humanismus und Demokratie, so Barroso in seiner Rede: Aber diese Werte seien weltweit durch "Fanatismus, Fundamentalismus und Intoleranz" bedroht. Europa müsse sich dieser Werte besinnen, mahnte der EU-Politiker, und dürfe sie auch nicht im Kampf gegen den Terrorismus preisgeben: "Sie sind nicht verhandelbar!" Einen ganz konkreten Vorschlag, wie eine europäische Zivilgesellschaft wachsen kann, machte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Er sprach sich dafür aus, den direkten Dialog und Austausch durch ein Netzwerk der Kulturhauptstädte zu fördern. Dadurch, dass glücklicherweise nicht nur Hauptstädte, sondern auch Städte in der Provinz Kulturhauptstadt werden könnten, so Lammert, sei die Chance zu einem Netzwerk zwischen den unterschiedlichsten Städten und Regionen Europa entstanden. Hier könnten sie Erfahrungen austauschen und direkt beraten, wie man Kunst und Kultur besser fördern könne.
Problematisch sieht Hans-Gert Pöttering, Mitglied des Europäischen Parlaments, den Einfluss der Medien, besonders des Fernsehens: Für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit sei es wichtig, dass europäische Politik in den nationalen Medien ein deutlicheres Profil bekomme und präsenter werde. Es gebe Talkshows im deutschen Fernsehen, zu denen niemals Abgeordnete des EU-Parlaments eingeladen würden, kritisierte der Christdemokrat. "Die Begründung dafür lautet schlicht: Die kennt doch niemand."
Die portugiesische Kulturministerin Isabel Pires de Lima fordert deshalb, die Medien "stärker mit ins Boot" zu nehmen. Mehrsprachige Medien sollten künftig stärker gefördert werden, ebenso die Übersetzung von nationalen Werken: "Die Medien, aber auch der Film und die Literatur können uns helfen, eine europäische Kultur zu fördern." Und das hieße auch, Europa endlich eine Seele zu geben.