Panketal ist eine Gemeinde am Berliner Stadtrand, im Landkreis Barnim. Hier im Bundestagswahlkreis 59 hat Petra Bierwirth (SPD) bei der jüngsten Wahl knapp das Direktmandat vor Dagmar Enkelmann, der parlamentarischen Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag, errungen. Einfamilienhäuser prägen das Ortsbild, die Vorgärten sind gepflegt. Über 18.000 Einwohner hat die Gemeinde mittlerweile. Neue Wohngebiete sind entstanden, die Gemeinde investiert in Kitas und Schulen. Ein ruhiger Ort zum Wohnen und Schlafen vor den Toren Berlins, dem so genannten "Speckgürtel".
Der 20. November ist ein grauer, feuchter Tag. Rudolf Schröder und Tatjana Sterneberg machen sich auf den Weg nach Panketal. An diesem Abend sollen in der Gemeindevertretung die Ergebnisse der Überprüfung der Gemeindevertreter auf offizielle oder inoffizielle Tätigkeit für das MfS bekannt gegeben und diskutiert werden. Drei Gemeindevertreter von der PDS-Fraktion haben mit dem MfS zusammengearbeitet, so das Ergebnis. Schröder und Sterneberg kennen solche Termine. Es sind die kleinen Ereignisse, fern einer großen Öffentlichkeit, wo um die Wahrheit gekämpft wird. Aufarbeitung lokal, irgendwie.
Ihren Kampf führen beide seit Jahren. Beide saßen in Stasi-Gefängnissen und Zuchthäusern. Sie wurden isoliert und mit Schlägen, Kälte, Mangelernährung und Psychopharmaka gequält, bis die Bundesrepublik sie freikaufte. Für Tatjana Sterneberg ist dieses Kapitel ihres Lebens nicht vorbei: "Das tägliche Leben ist für mich die tägliche Auseinandersetzung mit den Bildern der Vergangenheit und den Folgen des Terrors." Deshalb sind sie gekommen: um aufzupassen, dass die Wahrheit nicht verdreht wird und sich nicht die Täter als Opfer darstellen.
So wie es im April dieses Jahres geschah, als ehemalige Stasi-Offiziere in ihrer Hochburg Berlin-Lichtenberg ihre neuen Bücher präsentierten. Tatjana Sterneberg ist damals aufgestanden, um ihre Wahrheit kundzutun. Die Offiziere von einst hatten dafür nur ein müdes Schmunzeln übrig, obwohl das Fernsehen da war und viele Pressevertreter.
In Panketal ist alles einige Nummern kleiner, ruhiger. Rudolf Schröder hat in einer Kiste 3.000 Seiten kopierter Stasi-Akten über sich mitgebracht. Vor Beginn der Gemeindevertretersitzung spricht er darüber mit den Lokalparlamentariern und den Panketaler Bürgern. Man ist interessiert an den Gästen aus Berlin und ihren Geschichten. Nur die Damen und Herren von der PDS tun so, als ob sie von allem nichts merken. Inzwischen ist auch Jürgen Breitbarth eingetroffen. Wegen eines Flugblattes kam er in das Stasi-Gefängnis nach Berlin-Hohenschönhausen. Heute führt er Besucher durch die dunklen Keller und Zellen der "Gedenkstätte Hohenschönhausen".
Als die Sitzung beginnt, stellt die PDS den Antrag, den Tageordnungspunkt vom öffentlichen Teil der Tagesordnung zu nehmen. Man habe doch schon im Vormonat über alles in nichtöffentlicher Sitzung gesprochen. Das Publikum ist irritiert. Die Mehrheit lehnt ab. Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit die Gemeindevertretung beschlossen hat, eine Überprüfung durchzuführen. Jetzt will man auch die Debatte darüber - und zwar öffentlich.
Was jetzt kommt, kann man als ein kurzes, aber heftiges Gewitter bezeichnen. Den Auftakt macht ein junger Mann von der CDU-Fraktion. Er sagt: "Die Stasi zu unterstützen bedeutete, an der Unterdrückung des eigenen Volkes mitzuwirken. Es bedeutete, sich mit denen gemein zu machen, die dafür verantwortlich waren, dass Millionen von Deutschen in Unfreiheit lebten. Darin liegt der moralische und politische Vorwurf einer Zusammenarbeit mit der Stasi." Etliche Bürger im Publikum klatschen. Dann spricht ein Sozialdemokrat. Er macht darauf aufmerksam, dass man es ernst nehmen müsse mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. "Was sollen die Menschen in 20 oder 30 Jahren denn sonst von uns denken?"
Jetzt ist die PDS an der Reihe, die drei belasteten Gemeindevertreter können sich äußeren. Einer versucht sich als Opfer darzustellen, das nur versucht habe, allen zu helfen - ohne böse Absicht. Ein anderer geht auf seine Stasi-Verstrickung überhaupt ein, belässt es bei allgemeinen Ausführungen. Der Dritte meint zwar, dass er heute vieles anders sieht, spielt seine eigene Rolle aber herunter. Das Publikum ist empört. "Ruhe" und "Du hast deine Familie verraten" ist zu hören. Die Sitzungsleitung bittet um Mäßigung. Dann hat wieder die CDU das Wort und der Redner beginnt aus den Stasi-Akten der drei PDS-Gemeindevertreter vorzulesen. Die hält es jetzt nicht mehr auf ihren Sitzen. "Hören Sie auf, das ist illegal!" Mitleid hat das Publikum mit ihnen nicht. "Getroffene Hunde bellen", fällt einem Besucher der Sitzung dazu ein.
Als es ruhiger wird, fragt ein Gemeindevertreter von Bündnis 90/Die Grünen nach den politischen Konsequenzen des Abends. Schließlich habe einer der betroffenen Gemeindevertreter den Vorsitz im Kulturausschuss inne, ein anderer sei stellvertretender Vorsitzender der Gemeindevertretung. Doch so weit will der Bürgermeister dann doch nicht gehen. Er stellt selbst einen Geschäftsordnungsantrag auf das Ende der Debatte; ihm ist anzumerken, dass er zurück zur Kommunalpolitik will. Zurück zum Straßenbau, zu Schulen und Kitas. Weg von dieser schwierigen Geschichte. Die Mehrheit folgt ihm. Die Ergebnisse der Stasi-Überprüfung werden jetzt im Amtsblatt veröffentlicht. Das beschauliche Panketal hat seine Ruhe.
Für Rudolf Schröder, Tatjana Sterneberg und Jürgen Breitbarth hat der Abend keine Überraschungen gebracht. Sie kennen den Kreislauf von Vorwürfen, Argumentationen und Rechtfertigungen. Trotzdem ist Jürgen Breitbarth zufrieden: "Natürlich ist Panketal nur eine kleine Gemeinde und nicht die große Welt. Aber dass diese Diskussionen hier so engagiert geführt werden, ist wichtig. Auch wenn sie vielleicht nicht sofort etwas verändert: Zumindest wird damit ein Zeichen gesetzt."
Der Autor ist Mitglied der CDU-Fraktion im Panketaler Gemeinderat.