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Rainder Steenblock trifft Gediminas Krocas in dessen Übersetzerbüro in Berlin-Schmöckwitz
Vor kurzem hat Gediminas Krocas für den Verband Deutscher Schornsteinfeger übersetzt. Die brauchten jemanden, der Russisch spricht. Gediminas Krocas ist Litauer, 1957 in Šakiai geboren und dort aufgewachsen. Damals war Litauen eine Sowjetrepublik. Also spricht der Dolmetscher Krocas Litauisch und Russisch gleichermaßen perfekt. Und Deutsch fast perfekt. Obwohl die Sprache nicht einfach ist. Das Deutsche verlangt dem sehr schnell sprechenden und humorvollen Mann Geduld ab. Da die Verben meist am Ende eines Satzes stehen, muss man beim Dolmetschen warten, bis der Satz vollständig gesprochen ist. Es ist für jemanden mit viel Temperament eine Geduldsprobe zu warten, ob nun jemand „geboren” oder „gestorben” ist, ob es „geknallt” oder „gefunkt” hat.
Gediminas Krocas hat in seinem Leben schon viel gemacht und geschafft. Er hat in Vilnius Geschichte und Pädagogik studiert, danach zwei Jahre in einem Jugendgefängnis gearbeitet, er war Komsomolsekretär und später Abteilungsleiter im Ministerium für Bildung und Kultur.
1990 kam die Unabhängigkeit, und für den damals 33-Jährigen stand alles auf Neuanfang. Aufgewachsen und gelebt im Sozialismus, musste nun Marktwirtschaft gelernt werden. Das war nicht einfach. „Ich fühlte mich damals zutiefst verletzt”, sagt er. „Gelernt, studiert, gearbeitet, und nichts hatte mehr Gültigkeit.” Gediminas Krocas studierte ein zweites Mal: Außenhandel an der Universität Vilnius. Dort lernte er seine spätere Frau kennen, eine Deutsche, die Baltistik studierte. 1992 ging der Litauer nach Deutschland und auch das war am Anfang schwer. Es war fremd und anders und unwägbar. Gediminas Krocas hat für verschiedene Unternehmen gearbeitet, er war schließlich Spezialist für die baltischen Staaten und für Handel dazu. Durch seine Erfahrung und Landeskenntnis half er, Kontakte aufzubauen, bis alle Beziehungen gut funktionierten. Dies waren jedoch meist Aufgaben auf Zeit. Seit drei Jahren arbeitet Gediminas Krocas als freiberuflicher Dolmetscher und Übersetzer. Seine Frau hat das gut funktionierende Büro aufgebaut und er hat sie dabei als litauischer Muttersprachler tatkräftig unterstützt.
Der Abgeordnete Rainder Steenblock von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist ein eher ruhiger Mann. Er spricht — das ist eine Schätzung — nur halb so schnell wie Gediminas Krocas. Also hört er erst einmal zu. Berührungspunkte sind schnell gefunden. „Sie haben doch auch Pädagogik studiert”, sagt der Litauer. Und dann reden beide aber über Rumänien und Hermannstadt. Weil der Abgeordnete in seiner Eigenschaft als Europapolitiker oft dort ist und weil Gediminas Krocas die Gegend aus seiner Tätigkeit im Außenhandel wie seine Westentasche kennt. Aber was ist mit Litauen?
Auch eine Verbindung. Als Umweltminister Schleswig-Holsteins habe er, sagt der Abgeordnete, viel mit den baltischen Staaten zu tun gehabt. Die Ostsee sei die Verbindung gewesen. Aber erst 2004 war Rainder Steenblock für einen längeren Aufenthalt in Litauen, die anderen baltischen Staaten kannte er da bereits. Und nun können die beiden Europäer gemeinsam schwärmen. Über die Kurische Nehrung zum Beispiel, eine knapp hundert Kilometer lange Landzunge, deren größerer Teil heute zu Russland gehört. Über Kaliningrad, die russische Exklave zwischen Polen und Litauen. Gediminas Krocas kann nicht umhin, jetzt einen kurzweiligen Vortrag über die Kurorte in seiner Heimat zu halten, und Rainder Steenblock macht den Eindruck, als würde er — sollte jemals eine Kur angesagt sein — auf jeden Fall Kurgast in Litauen werden. „Das müssen Sie tun”, sagt Krocas, „ich gebe Ihnen Adressen.”
Alles entwickle sich in den drei Staaten des Baltikums unglaublich schnell. Das sagen beide Männer übereinstimmend. „Ich fahre zweimal im Jahr nach Hause”, erzählt Gediminas Krocas, „und die Häuser wachsen dort in den Himmel. Inzwischen fehlen Arbeitskräfte, weil in den neunziger Jahren viele Menschen fortgegangen sind und jetzt Arbeit da ist.”
Rainder Steenblock (links) trifft
Gediminas Krocas in dessen Übersetzerbüro in
Berlin-Schmöckwitz (© DBT/studio kohlmeier)
„Es ist eine spannende Entwicklung”, sagt der Abgeordnete, „alles laufe sehr professionell ab. Was die Integration in die Europäische Union anbelangt, da sind die baltischen Staaten vorbildhaft.” Das stelle er immer wieder auf seinen Reisen fest, als Mitglied der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe und des Europaausschusses.
Gediminas Krocas macht den Eindruck, als zeigte er dem Parlamentarier am liebsten gleich sein Heimatland in aller Pracht. Erst alle Kurorte, dann die Kurische Nehrung und dann noch ein ganzer Tag Natur. „Wir gehen Pilze suchen”, schlägt er vor. Das scheint in Litauen Volkssport und Existenzgrundlage zugleich zu sein. Ein litauisches Sprichwort über die Region „Dzukija” sagt: „Wenn nicht Pilze, wenn nicht Beeren — nackt die Dzuken-Mädchen wären.”
Rainder Steenblock wartete beim Gegenbesuch des Litauers in Schleswig-Holstein mit zwei Meeren auf. Nord- und Ostsee, danach der Nationalpark Wattenmeer, für den er als Minister gekämpft hat, ein Besuch beim Baltic Jazzfestival und ein Tag für das Tor zur Welt: Hamburg.
Der Dolmetscher und der Abgeordnete wissen nun mehr voneinander. Gediminas Krocas lädt noch zu einem kleinen Imbiss ein, den er vorbereitet hat. Und da redet man dann weiter über die Welt und das Leben und die Angelegenheiten, wie sie sich entwickelt haben. Gar nicht so schlecht.
Fläche: 65.300
Quadratkilometer
Einwohner: rund 3,4 Millionen
Währung: Litas
Hauptstadt: Vilnius
Amtssprache: Litauisch
Staatsform: Republik
Nationalhymne: Tautiška
Giesm? („Das Nationallied”)
Kfz-Kennzeichen: LT
Telefonvorwahl: +370
EU-Mitglied seit: 1. Mai 2004
Nationalfeiertag: 16. Februar (Wiederherstellung
der Souveränität 1918), 6. Juli (Staatsgründung
1253)
Interessant: Am Strand von Litauen gibt es die
größten Bernsteinvorkommen der Welt.
Fraktion: Bündnis
90/Die Grünen
Geboren: 29. Februar 1948 in Leer
(Niedersachsen)
Wohnort: Kölln-Reisiek
(Schleswig-Holstein)
Ausbildung: Studium der Psychologie,
Pädagogik und Politik
Beruf: Diplom-Psychologe, Landesminister a. D.
Stv. Vorsitzender der Deutsch-Zyprischen Parlamentariergruppe
rainder.steenblock@bundestag.de
www.raindersteenblock.de
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Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 11. Mai 2007