4. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 30. November 2005
Beginn: 11.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich.
Auf der Ehrentribüne hat seine Exzellenz der Premierminister der Republik Singapur, Herr Lee, mit seiner Delegation Platz genommen.
Herr Premierminister, ich begrüße Sie herzlich im Namen der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wir freuen uns, dass Sie sich im Rahmen Ihres Besuches in Deutschland die Zeit genommen haben, den Deutschen Bundestag zu besuchen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen und erfolgreichen Aufenthalt in Deutschland.
Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Hermann Otto Solms feierte am 24. November 2005 seinen 65. Geburtstag.
Ich möchte ihm im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren und alles Gute wünschen. Es fängt wieder alles sehr einvernehmlich an.
Sodann teile ich Ihnen mit, dass der Kollege Dr. Günther Beckstein am 23. November 2005 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat.
- Es gibt irreversible Entscheidungen im Leben; diese gehört dazu. - Als Nachfolgerin begrüße ich die Kollegin Dorothee Mantel, die wir bereits aus der vergangenen Wahlperiode kennen, sehr herzlich.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. November 2003 zur Änderung des Europol-Übereinkommens und zur Änderung des Europol-Gesetzes
- Drucksache 16/30 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Betrieb elektronischer Mautsysteme (Mautsystemgesetz - MautSysG)
- Drucksache 16/32 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen (Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz - DlKonjStatG)
- Drucksache 16/36 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft u. Technologie
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten
- Drucksache 16/57 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Dr. Thea Dückert, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Hongkong als Zwischenschritt einer fairen und entwicklungsorientierten Welthandelsrunde
- Drucksache 16/86 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm
- Drucksache 16/105 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE: Hedgefondszulassung zurücknehmen
- Drucksache 16/113 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Anna Lührmann, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Abrissmoratorium für den Palast der Republik
- Drucksache 16/60 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abriss des Palastes der Republik stoppen
- Drucksache 16/98 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kontrollen
-Drucksache 16/111 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Konstituierung des Bundestages und seiner Ausschüsse, die wir heute Morgen vorgenommen haben, und nach der Wahl und Bildung der Bundesregierung beginnt nun die Erledigung der konkreten Aufgaben, für die wir gewählt sind. An der Ernsthaftigkeit der Bemühungen auf allen Seiten gibt es keinen Zweifel. Es wäre ganz schön, wenn wir uns dabei das Maß an Gelassenheit und auch an Fröhlichkeit aus den konstituierenden Sitzungen bewahren könnten, das auch im richtigen Leben bei der Bewältigung anspruchsvoller Aufgaben in der Regel hilft.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
mit anschließender Aussprache
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache nach der Regierungserklärung sechseinhalb Stunden, für die morgige zehn Stunden und für die am Freitag weitere drei Stunden vorgesehen.
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Zur Regierungserklärung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über die wir heute im Anschluss an die Generalaussprache abstimmen werden.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir aus aktuellem Anlass zunächst eine Bemerkung. Seit Freitag vergangener Woche werden im Irak eine deutsche Staatsangehörige und ihr irakischer Fahrer vermisst. Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse müssen wir davon ausgehen, dass die beiden entführt worden sind. Die Bundesregierung und - ich bin sicher - auch das gesamte Hohe Haus verurteilen diese Tat mit Entschiedenheit.
Eines ist für die Bundesregierung und, wie ich denke, auch für dieses Parlament klar: Wir lassen uns nicht erpressen.
Genauso klar ist: Alle Anstrengungen der Bundesregierung sind in dieser Situation darauf gerichtet, das Leben von Susanne Osthoff und ihres irakischen Begleiters zu schützen und ihre Freilassung zu erreichen. Unsere Gedanken sind in diesen Stunden und Tagen bei den Angehörigen und Freunden der Betroffenen. Wir fühlen mit ihnen. Sie sollen wissen: Alle Deutschen nehmen Anteil am Schicksal der Entführten und alle Deutschen empfinden eine tiefe Solidarität und Verbundenheit mit ihnen.
Ihnen allen möchte ich versichern: Die Bundesregierung unternimmt alles, was in ihrer Macht steht, um die deutsche Staatsangehörige und ihren Fahrer so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen.
Noch wissen wir nichts über die Motive oder die Hintergründe. Daher verbieten sich voreilige Schlussfolgerungen.
Aber es ist ganz grundsätzlich festzuhalten: Der internationale Terrorismus ist unverändert eine der größten Herausforderungen für die Staatengemeinschaft. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus dürfen wir nicht nachlassen. Er richtet sich gegen das, was uns wichtig ist und was den Kern unserer Zivilisation ausmacht: Er richtet sich gegen unser gesamtes Wertesystem, gegen Freiheit, Toleranz, Respekt und die Achtung der Menschenwürde, gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Würden wir diese Werte aufgeben, würden wir uns selbst aufgeben.
Meine Damen und Herren, noch etwas spüren wir in diesen Stunden, etwas, das unser Land auszeichnet: Vor dem Leid anderer verschließen wir weder unsere Augen noch unsere Herzen. Wir wissen, was Solidarität vermag. Wir haben erfahren, welche Kraft aus der Gemeinschaft und aus der Nächstenliebe erwachsen kann. Wir sind uns bewusst, dass ein Volk mehr ist als eine lose Ansammlung von Individuen, und wir wissen, dass ein Volk auch immer eine Schicksalsgemeinschaft ist. Wenn wir diese Erkenntnis beherzigen, können wir daraus Kraft und Zuversicht schöpfen, mit denen wir auch diese großen Herausforderungen meistern können.
Meine Damen und Herren, dieses Signal aus diesem Hohen Haus am Anfang der Debatte ist mir sehr wichtig. Wir haben uns nämlich zusammengefunden, um heute und in den nächsten Tagen die erste Regierungserklärung der neuen Bundesregierung zu diskutieren. Ich darf Sie zu Beginn fragen: Für wen mag das heute wohl die größte Überraschung sein? Wer hätte noch vor einigen Wochen und Monaten gedacht, dass heute eine große Koalition antritt, um unser Land gemeinsam in die Zukunft zu führen?
Wer hätte gedacht, dass SPD und Union so viel Verbindendes entdecken, dass sie ein dichtes Programm für vier Jahre vorlegen?
Wer hätte gedacht, dass mein Koalitionspartner von einem Parteivorsitzenden aus Brandenburg angeführt wird? Wer hätte gedacht, dass das höchste Regierungsamt schon in diesem Jahr einer Frau übertragen wird? Wer hätte das alles gedacht?
Das alles ist für viele von uns eine Überraschung und ich sage: manches davon auch für mich. Aber es ist nicht die größte Überraschung meines Lebens. Die größte Überraschung meines Lebens ist die Freiheit. Mit vielem habe ich gerechnet, aber nicht mit dem Geschenk der Freiheit vor meinem Rentenalter.
Alle Wege vor 1989 endeten an einer Mauer, die nur wenige Meter von diesem Platz entfernt unser Land für alle Zeit zu zerschneiden schien. Wenn Sie schon einmal in Ihrem Leben so positiv überrascht wurden, dann halten Sie vieles für möglich. Dabei möchte ich bleiben.
Ich habe die neue Koalition eine „Koalition der neuen Möglichkeiten“ genannt. Ich wünsche mir, dass sie unserem Land und allen Deutschen neue Möglichkeiten eröffnet, und ich wünsche mir, dass wir diese Chancen dann auch wirklich nutzen und wahrnehmen. Das heißt für mich konkret: Der Anspruch der neuen Bundesregierung an sich und an das Land ist nicht gering. Wir wollen die Voraussetzungen schaffen, dass Deutschland in zehn Jahren wieder zu den ersten drei in Europa gehört. Ich finde, das ist ein legitimer und wichtiger Anspruch.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz, die soziale Markwirtschaft, die duale Berufsausbildung, all das waren Ideen, die die Menschen in der gesamten Welt inspirierten. In Deutschland wurde das erste Auto gebaut und der erste Computer, in Deutschland wurde das Aspirin entwickelt. Von diesen Innovationen zehren wir noch heute. Warum soll uns das, was uns früher und was uns zu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland, in den ersten Gründerjahren, gelungen ist, heute, in den - wie ich sage - zweiten Gründerjahren, nicht wieder gelingen?
Lassen Sie uns also alle damit überraschen, was wir in diesem Lande können.
Eine große Koalition zweier unterschiedlicher Volksparteien eröffnet die ganz unerwartete Möglichkeit, zu fragen, was wir gemeinsam besser machen können - ohne uns dabei dauernd mit Schuldigkeiten aufzuhalten, ohne dauernd mit dem Finger auf den anderen zu zeigen und zu fragen, welchen Missstand der andere - natürlich ganz allein - herbeigeführt hat. Denn eines ist klar: Wir alle, ob wir es zugeben oder nicht, tragen Verantwortung dafür, dass wir heute die Möglichkeiten unseres Landes noch nicht voll ausschöpfen: Unser Wachstum kommt seit Jahren nicht mehr richtig in Schwung, die Verschuldung ist in erschreckende Höhen gestiegen, der Aufholprozess der neuen Bundesländer ist seit Jahren gestoppt und ohne den Automobilsektor wäre Deutschland nicht mehr ein solches Hightechland, wie ich mir das wünsche. PISA zeigt, dass wir an vielen Stellen nicht mehr einfach sagen können: Wir sind eine Bildungsnation. Den rapiden Wandel der Arbeitswelt haben wir noch nicht bewältigt. Deutschland ist nicht hinreichend auf die demographischen Veränderungen vorbereitet. Auch auf die Bedrohungen neuer Art und die fließenden Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit haben wir noch keine umfassenden Antworten gefunden.
Meine Damen und Herren, wir alle kennen die Probleme und ich kann sagen: Die große Koalition hat die Lage unseres Landes ehrlich analysiert und wir haben auch gemeinsam die Chance erkannt, die Möglichkeiten unseres Landes besser zu nutzen. Warum sollten wir nicht alle damit überraschen, was in diesem Land gelingen kann?
Wir wissen, wir haben dicke Bretter zu bohren: Wir wollen den Föderalismus neu ordnen, wir wollen den Arbeitsmarkt fit machen, wir wollen unsere Schulen und Hochschulen wieder an die Spitze führen, wir wollen unsere Verschuldung bändigen und unsere Gesundheits- und Renten- und Pflegesysteme in Ordnung bringen. Niemand kann uns daran hindern - außer wir selbst. Deshalb lassen Sie uns verzichten auf die eingeübten Rituale, auf die reflexhaften Aufschreie, wenn jemand etwas verändern will. Es sollte wirklich einmal möglich sein, dass wir in dieser großen Koalition dieses alles hinter uns lassen und neue Wege gehen.
Bei der Vorbereitung auf diese Regierungserklärung habe ich viel darüber nachgedacht, wie ich alle Gruppen erwähnen und würdigen kann, die für das Miteinander in unserem Land so wichtig sind. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften alle einzeln benennen soll. Ich habe mich am Ende dafür entschieden, auf eine solche Auflistung zu verzichten. Denn es geht nicht um Gruppen - es geht um uns alle, es geht um unser Gemeinwesen, um unsere gemeinsame Zukunft.
Überraschen wir uns deshalb damit, dass wir die großen Fragen nicht immer aufgegliedert nach Einzelfragen und -interessen angehen, sondern einmal im Zusammenhang. Überraschen wir uns damit, dass wir sachlich, fair, ehrlich alles angehen und gemeinsam lösen. Bei allen Aufgaben, die wir vor uns haben, sollten wir nicht vergessen: Frühere Generationen, die, die vor uns Probleme zu lösen hatten, hatten ungleich größere Probleme; denken wir an den Aufbau nach dem Krieg in West und Ost, denken wir an die historische Leistung der Ostdeutschen, friedlich eine Diktatur zu überwinden. Dagegen ist unsere heutige Lage beneidenswert.
Sicher: Licht und Schatten liegen an vielen Stellen sehr eng beieinander; ich nenne den Aufbau Ost. Aber festzuhalten bleibt doch: 15 Jahre nach der deutschen Einheit ist Gigantisches geleistet worden. Mit Transferzahlungen von jährlich 4 Prozent des Sozialprodukts ist es gelungen, die neuen Bundesländer wieder aufzubauen. Ich möchte von dieser Stelle aus allen in Deutschland danken, die zu diesem Prozess beigetragen haben.
Die Umwelt erholt sich, die Infrastruktur ist ausgebaut, in wenigen Tagen wird - das sei mir als Bewohnerin von Mecklenburg-Vorpommern gestattet zu sagen - das letzte Stück der Ostseeautobahn dem Verkehr übergeben. Das sind nur einige Beispiele dafür, was wir in 15 Jahren alles geschafft haben.
Auch sonst bietet unser Land großartige Voraussetzungen, die wir nun endlich nutzen sollten: Deutschland ist Exportweltmeister. In keinem Land in Europa werden mehr Patente angemeldet. Gerade wurde wieder ein deutscher Wissenschaftler mit einem Nobelpreis geehrt.
Unsere kulturelle Vielfalt ist einzigartig.
Deutschland ist das Land der Ideen, wie der Bundespräsident sagt. Zu einem Land der Ideen gehört nach meiner Auffassung eine Regierung der Taten. Und diese unsere Bundesregierung hat sich viele Taten vorgenommen.
Ein Vizekanzler einer früheren großen Koalition und späterer Bundeskanzler hat einmal gesagt: Mehr Demokratie wagen.
Ich weiß, dass dieser Satz viele, zum Teil sehr heftige Diskussionen ausgelöst hat. Aber ganz offensichtlich hat er den Ton der damaligen Zeit getroffen. Ich sage persönlich: Gerade in den Ohren der Menschen jenseits der Mauer klang er wie Musik. Gestatten Sie mir, diesen Satz heute zu ergänzen und uns zuzurufen: Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!
Lassen Sie uns die Wachstumsbremsen lösen! Lassen Sie uns uns selbst befreien von Bürokratie und altbackenen Verordnungen! Viele unserer europäischen Nachbarn zeigen uns doch, was möglich ist. Deutschland kann das, was andere können, auch; davon bin ich zutiefst überzeugt.
Schon die vergangene Regierung hatte Schritte eingeleitet, wodurch die Möglichkeiten, die unser Land hat, besser genutzt werden sollten. Jenseits aller parteipolitischen Differenzen - diese waren in den vergangenen Jahren nicht zu übersehen - möchte ich deshalb an dieser Stelle ausdrücklich eines tun: Ich möchte Bundeskanzler Schröder ganz persönlich dafür danken, dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er die Agenda gegen Widerstände durchgesetzt hat.
Damit hat er sich um unser Land verdient gemacht. Nicht zuletzt dafür möchte ich ihm im Namen aller Deutschen danken.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass ich nicht jede Gruppe einzeln benennen möchte, und zwar nur deshalb, damit mir niemand vorwerfen kann, ich hätte eine Gruppe vergessen. Aber eine Gruppe ist mir so wichtig, dass sie erwähnt werden muss - sie wird bei allen künftigen Fragen eine wichtige Rolle spielen -: Ich meine die Schwachen. Ich meine die Schwachen, die die Solidarität und die Hilfe von uns allen brauchen. Ich meine Kranke, Kinder und viele Ältere. Die Menschlichkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich daran, wie wir mit ihnen umgehen.
Wir, die neue Bundesregierung von Union und Sozialdemokraten, wollen unser Land so ertüchtigen, dass sich die Schwachen auch in Zukunft darauf verlassen können, dass sie nicht alleine gelassen werden, dass ihnen geholfen wird. Das ist unser Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.
Das beginnt bei der Absicherung der großen Lebensrisiken. Wir wollen die solidarische Altersversorgung erhalten. Aber wie wir wissen, wird der dritte Lebensabschnitt immer länger. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Antwort darauf zu geben und die gesetzliche Regelaltersgrenze der Rentenversicherung schrittweise auf 67 Jahre anzuheben. Das geschieht nicht sofort, sondern beginnt erst ab 2012 mit einer langen Übergangszeit. Wir haben daneben aber festgelegt, dass Menschen, die 45 Arbeitsjahre hinter sich haben, auch weiterhin abschlagsfrei mit 65 Jahren in Rente gehen können. Ich denke, damit haben wir uns eine ganz sinnvolle Regelung überlegt.
Wir haben das ausführlich diskutiert und gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen rechtzeitig darauf einstellen können. Verlässlichkeit soll das Markenzeichen dieser Bundesregierung sein. Wir werden das deshalb schon 2007 beschließen müssen. Dieses Vorhaben wird dann Hand in Hand mit besonderen Anstrengungen in Bezug auf Beschäftigungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen der Initiative 50 plus gehen. Wenn wir es nicht schaffen, dass auch die Älteren wieder die Chance haben, länger arbeiten zu können, dann werden wir in der Gesellschaft kein Verständnis dafür erhalten, dass wir die Lebensarbeitszeit insgesamt verlängern. Beides muss Hand in Hand gehen. Alles andere wird keine Akzeptanz finden.
Wir haben gesagt, dass wir die Rentnerinnen und Rentner mit einer Sicherungsklausel vor Rentenkürzungen schützen. Weil es aber dabei bleibt, dass sich die Rente auch in Zukunft im Grundsatz an der Lohnentwicklung orientiert, müssen wir gleichermaßen auch sagen, dass ausgebliebene Anpassungen in den kommenden Jahren nachgeholt werden. Das bedeutet, dass wir den Menschen - insbesondere denjenigen mit kleineren Renten - sehr viel zumuten. Ich weiß das. Ich sage aber auch: Wir haben darum gerungen, wie wir Gerechtigkeit zwischen den Älteren und den Jüngeren herstellen können. Ich halte es für besser, dass wir heute klar sagen, was wir können und was wir nicht können, um einen Ausgleich zwischen den Generationen auch als Vertrauensbasis für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, es gehört doch zur Ehrlichkeit, zu sagen - ich sage das für alle politischen Gruppen -, dass wir den Menschen dort zu oft Sicherheit vorgegaukelt haben, wo wir sie im Grunde nicht mehr garantieren konnten. Diesen Fehler wollen wir nicht wiederholen.
Deshalb werden wir auch die kapitalgedeckte Altersversorgung für junge Familien deutlich verbessern und das selbst genutzte Wohneigentum in die Altersversorgung integrieren. Ich glaube, damit sind zwei wesentliche Punkte gelungen, durch die die Menschen ihre freiwillige Vorsorge für ihr Alter verstärken werden. Insofern kann ich sagen: Wir sind bei der Rente und dem, was wir uns vorgenommen haben, einen ehrlichen, schwierigen, aber zukunftsträchtigen Weg gegangen.
Ich sage ganz ehrlich: Zur Wahrheit dieser Regierungserklärung gehört auch, dass uns das beim Gesundheitssystem noch nicht gelungen ist. Ich sage: „noch nicht“. Auch die Kranken sollen sich natürlich auf ein zuverlässiges Gesundheitssystem verlassen können. Sie alle wissen - darüber braucht man gar nicht hinwegzugehen -, Union und Sozialdemokraten haben mit der solidarischen Gesundheitsprämie auf der einen Seite und der Bürgerversicherung auf der anderen Seite bisher zwei völlig konträre Ansätze verfolgt. Ich sage auch sehr deutlich: Wir wollten in den Koalitionsverhandlungen keinen faulen Kompromiss auf die Schnelle erreichen.
Das heißt: Wir alle wissen, dass wir einen neuen Ansatz und ein leistungsfähiges und hoch qualifiziertes Gesundheitssystem brauchen, das für alle zugänglich ist. Es muss Beschäftigung ermöglichen, wettbewerbsfördernd sein, die Lasten solidarisch verteilen und Generationengerechtigkeit bieten. All diese Dinge wissen wir. Deshalb sind wir bereit und willens, mit einem neuen Ansatz im neuen Jahr eine Lösung hierfür zu finden, auch wenn das eine schwierige Aufgabe ist. Ich zumindest werde mich sehr dafür einsetzen.
Auf der Leistungsseite werden wir allerdings schnell Veränderungen vornehmen. Wir wollen mehr Vertragsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten von den Patienten über die Krankenkassen bis hin zu den Praxen und den Krankenhäusern. Bei der Arzneimittelversorgung kommen wir um weitere Maßnahmen zur Kostensenkung nicht herum. Insbesondere die forschende Pharmaindustrie muss bessere Standortbedingungen erhalten. Auch dafür haben wir Sorge getragen. Denn die Innovationskraft Deutschlands wird gerade von der forschenden Pharmaindustrie in ganz wesentlichem Umfang abhängen.
Genauso wie die Krankenversicherung bleibt auch die Pflegeversicherung ein zentraler Baustein der solidarischen Absicherung. Wir wollen, dass der Zweck und die Idee der Pflegeversicherung auch weiterhin gelebt werden können. Das heißt, dass wir das Umlageverfahren durch eine kapitalgedeckte Demographierücklage ergänzen werden. Das heißt auch, dass die private Pflegeversicherung zukünftig einen Beitrag zur Bewältigung der Solidarität leisten muss. Das muss fair geschehen; aber wir glauben, dass dies im Rahmen der Pflegeversicherung ein richtiger Schritt ist.
Wir tun das - ich wiederhole mich -, weil sich Alte, Kranke und Kinder auch in Zukunft darauf verlassen können müssen, dass ihnen geholfen wird und sie nicht alleine sind. Es geht dabei nicht nur um materielle Dinge, sondern das ist auch eine moralische Aufgabe.
Dabei wissen wir: Das Zusammenleben der Generationen hat sich in den letzten Jahren tief greifend verändert. Es gibt die traditionellen Familien; es gibt die so genannten Patchworkfamilien; es gibt allein erziehende Eltern. Ich sage es kurz und knapp: Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen.
Ich will nicht, dass der Staat lenkend eingreift oder gar Lebensentwürfe vorschreibt. Aber ich will schon - das ist unser gemeinsames Anliegen -, dass der Staat gute Rahmenbedingungen schafft. Das heißt, dass junge Menschen ermutigt werden, sich für ein Leben mit Kindern zu entscheiden, und dass sie dazu nicht nur ermutigt werden, sondern dass sie sich auch entscheiden können.
Das hat aus meiner Sicht zuvörderst damit zu tun, ob es in diesem Land ein Klima der Zuversicht, des Mutes und der Perspektiven für das eigene Leben gibt. Aber es hat außerdem etwas mit sehr praktischen Fragen zu tun, nämlich mit ausreichenden und bezahlbaren Betreuungsmöglichkeiten. Sicher: Nach außen ist der Streit über die Entscheidung zwischen Kindererziehung und beruflichem Fortkommen der vergangenen Jahrzehnte nach vielen Diskussionen und Reden überwunden. Aber ich betone: nach außen.
Dennoch wissen wir, dass die Realität auch heute noch oft eine andere ist, dass die Widersprüche zwischen Arbeits- und Familienwelt nicht einfach verschwunden sind und es auch heute nicht selten noch immer eine Frage ist, ob sich eine Frau am Ende für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheiden kann oder ob sie sich zwischen Familie und Beruf entscheiden muss.
Die Politik will dabei helfen, dass diese Widersprüche nicht nur in Worten und Sonntagsreden überwunden werden, sondern zunehmend auch im täglichen Leben. Das werden wir tun, indem wir den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen vorantreiben. Bis 2010 sollen 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze vor allem für Kleinkinder entstehen. Die zugesagten Mittel allerdings - das betone ich - müssen den Kommunen real zur Verfügung gestellt werden, damit sie diese Aufgabe erfüllen können. Nach der Föderalismusreform wird das noch wichtiger.
Wir werden die Kinderbetreuung auch steuerlich besser fördern. Die Vielzahl von Familienleistungen wollen wir im Übrigen in einer Familienkasse bündeln, harmonisieren und organisatorisch zusammenfassen.
Aber an einem Problem in unserem Land können wir nicht vorbeisehen: Je besser die Ausbildung der jungen Frauen und Männer ist, desto seltener entscheiden sie sich für Kinder. Das kennen wir alle und das wird uns auch immer wieder erzählt. Eine Frau hat ein Studium absolviert, eine hervorragende Ausbildung machen können, möchte im Beruf Karriere machen und steht dann vor der Frage, wie sie diesen Berufswunsch mit ihrem Wunsch, eine Familie zu gründen, vereinbart.
Ich sage unumwunden: Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass dieser Konflikt ganz einfach und locker überwunden werden kann. Das kann er nicht. Aber seitens der Politik können wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, diesen Konflikt ein wenig zu mildern. Genau das haben wir getan, indem wir uns entschlossen haben, ein Elterngeld einzuführen. Es wird erstmals als Einkommensersatz ausgestaltet und zusätzlich mit einer Väterkomponente verbunden. Das ist ein neuartiger Ansatz in beide Richtungen. Ich ahne schon jetzt, welche Diskussionen er hervorrufen wird. Doch die Betriebe - das sage ich ganz ausdrücklich - sollen sich stärker als bisher in der Pflicht sehen, auch einmal die Väter zeitweise freizustellen, und zwar, wo immer dies möglich ist, ohne berufliche Nachteile. Dieser sanfte Druck ist unumgänglich.
Ich nenne ein weiteres Stichwort aus unserem Familienprogramm, das mir sehr wichtig ist: die Mehrgenerationenhäuser. Ich halte es für eines der spannendsten Projekte der Familien- und Gesellschaftspolitik in einer Zeit der Änderung der Altersstruktur in unserer Gesellschaft. Wir wissen, dass die Anforderungen an Mobilität im Berufsleben auf der einen Seite und der Wunsch nach Fürsorge innerhalb der Familie auf der anderen Seite heute oft nicht miteinander vereinbar sind. Deshalb gelingt es oft nicht, dass die pflegebedürftigen Eltern am gleichen Ort wie die Kinder wohnen oder dass sich die Großeltern um die Enkel kümmern können.
Mit Mehrgenerationenhäusern - wir müssen diesen Weg symbolisch gehen, um immer wieder deutlich zu machen, dass es andere Formen des Zusammenlebens gibt - können wir Menschen aus der Vereinsamung herausführen. Wir können eine Plattform für bürgerschaftliches Engagement schaffen und zeigen, dass sich die Generationen mit ihren Erfahrungen im Miteinander der Starken und Schwachen unserer Gesellschaft etwas zu sagen haben. Deshalb ist das mehr als irgendein Projekt; es ist vielmehr eine Pforte für uns, um zu lernen, in einer sich verändernden Gesellschaft miteinander menschlich zu leben.
Ich habe über die vermeintlich Schwachen gesprochen. Wir wissen, dass sie in Wahrheit oft stark sind und einen unverzichtbaren Beitrag für sich selbst und unser Gemeinwesen leisten können. Dies zu erkennen und auch zu nutzen macht den Wert von Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft aus.
Ich bin davon überzeugt: Wir müssen uns in jeder Generation neu besinnen, was gerecht und was ungerecht ist. Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird. Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache verkleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen.
Ungerecht ist auch, wenn wir Menschen entmündigen und ihnen die Möglichkeit nehmen, ihre eigenen Kräfte zu entdecken. Deshalb brauchen wir eine neue Gerechtigkeit.
Jeder von uns kennt in seinem Bekanntenkreis Menschen, denen es wirklich schlecht geht und die unsere Hilfe dringend brauchen. Aber wir alle kennen auch Menschen, die diese Hilfsbereitschaft einfach ausnutzen.
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle ganz konkret werden: Diese Regierung bekennt sich ausdrücklich zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. SPD und Union haben diesen Schritt von Anfang an grundsätzlich für richtig gehalten. Das schließt unterschiedliche Auffassungen, zum Beispiel über die Rolle der Kommunen, nicht aus. Aber wir werden diesen Schritt nicht nur gemeinsam gehen, sondern wir werden auch dafür Sorge tragen, dass es in diesem Bereich mehr Gerechtigkeit und weniger Missbrauch geben wird. Deshalb werden wir die Reform der Bundesagentur für Arbeit fortsetzen. Bei der Vermittlungsarbeit sind - das kann mit Recht festgestellt werden - in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Wir werden auch, wo immer möglich, Arbeit finanzieren statt Nichtarbeit.
Denn Arbeit heißt, wie wir alle wissen, mehr als Einkommen und Geld; Arbeit bedeutet vielmehr Würde und Selbstachtung für die betroffenen Menschen.
Aber nicht immer - auch das gehört zur Wahrheit - wird nur das in Anspruch genommen, was nach Sinn und Zweck den Empfängern gesetzlich zusteht. Deshalb werden wir die Regelungen so ändern, dass Kinder unter 25 Jahren zunächst einmal von ihren Eltern unterhalten werden, bevor die Gemeinschaft eintritt. Solidarität in der Gesellschaft kann keine Einbahnstraße sein. Sie müssen immer bedenken: Das alles wird von den Steuerzahlern bezahlt, die jeden Morgen zur Arbeit gehen und ein Recht darauf haben, dass auch andere ihre Verpflichtungen einhalten.
Mehr Gerechtigkeit in diesem Bereich bedeutet aber auch, dass der Maßstab, das Arbeitslosengeld II einfach in zwei Zonen - Ost und West - aufzuteilen, so nicht trägt. Deshalb wird die so genannte Regelleistung beim Arbeitslosengeld II Ost an die des Westens angeglichen.
Alles in allem haben wir uns in der Arbeitsmarktpolitik vorgenommen, knapp 4 Milliarden Euro einzusparen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, aber es ist ein wichtiger Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.
Wir führen - das richte ich an alle Landräte und Kommunalpolitiker - derzeit sehr intensive Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern, um bei der Revisionsklausel, was die Kosten für die soziale Grundsicherung angeht, noch ein Einvernehmen zu erzielen. Wir werden dabei an dem Ziel, die Kommunen um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten, wie wir es versprochen haben, festhalten und das muss auch die Basis für die Verhandlungen über die Jahre 2006 und 2007 sein.
Wir müssen - das wissen wir alle angesichts der kurzen Zeit, in der die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe erst wirkt - den Grundsatz „Fördern und Fordern“ umfassend umsetzen. Wir haben heute noch nicht den Zustand erreicht, dass die Menschen, die zum Teil weniger Leistungen bekommen, den Eindruck haben, dass sie wirklich eine zusätzliche Chance erhalten haben. Das muss durchgesetzt werden. Ansonsten wird die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine allgemeine Akzeptanz finden.
Wenn wir ein Land sein wollen, in dem wir ein Herz für Schwache haben, dann brauchen wir auch ein Herz für Leistung und auch ein Herz für mehr Leistung. Wir müssen stärker anerkennen, wenn sich Menschen engagieren, wenn sie etwas leisten und wenn sie etwas aufbauen. Diese Menschen verdienen nicht unseren Neid, sondern unsere Dankbarkeit.
Denn mehr Freiheit möglich zu machen heißt: Wir können den Schwachen dann und nur dann etwas abgeben, wenn wir mehr Starke haben, die alle anderen mitziehen.
Die neue Regierung wird sich genau aus diesem Grund in ganz besonderer Weise für den Mittelstand einsetzen; denn dort lassen sich die meisten Quellen der Innovation finden. Dort ist der Jobmotor am wirkungsvollsten und werden die meisten Ausbildungsplätze bereitgestellt.
Wir werden die Wachstumskräfte des Mittelstandes sehr gezielt stärken. Wir wollen zum 1. Januar 2008 eine rechtsformneutrale Unternehmensteuerreform in Kraft setzen, das heißt endlich eine Lösung - das ist in Zeiten der Globalisierung in Deutschland von extremer Bedeutung -, bei der die Personengesellschaften, die Familienbetriebe, die gleichen steuerliche Möglichkeiten haben wie die Körperschaften, wie die ganz Großen. Die Lösung dieser Aufgabe haben wir uns - das sage ich ganz unumwunden - seit zehn Jahren vorgenommen, wo immer wir gemeinsam oder nicht gemeinsam politisch tätig waren. Aber wir haben diese Aufgabe nie gelöst. Deshalb sage ich ausdrücklich: Diese Regierung will diese Aufgabe lösen. Genau dies kann eine Möglichkeit der großen Koalition sein, sich auf die Sache zu konzentrieren, damit wir nicht im parteipolitischen Hickhack aneinander geraten.
Für die Übergangszeit, in der wir die Rechtsformneutralität noch nicht erreicht haben, wollen wir die Abschreibungsmöglichkeiten befristet verbessern. Wir wollen durch die Verbesserung der Istbesteuerung einen kleinen Beitrag zur Entlastung des Mittelstandes leisten, der durch die 13. Beitragserhebung im kommenden Jahr stärker belastet wird. Wir wollen des Weiteren - das halte ich für ausgesprochen wichtig; das ist ein klares Signal - eine reduzierte Erbschaftsteuer für Familienbetriebe; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das sind drei Dinge, die wir für den Mittelstand tun.
Meiner Meinung nach können wir am meisten beim Bürokratieabbau leisten. Wir wissen, dass kleine und mittlere Unternehmen etwa vier bis sechs Prozent ihres Umsatzes nur für die Deckung von Bürokratiekosten ausgeben. Wir werden uns das genau anschauen und erst einmal lernen, Bürokratiekosten zu berechnen und zu bemessen. Wir nehmen uns klare Reduktionsziele vor. Andere Länder, zum Beispiel die Niederlande oder Großbritannien, haben uns das schon vorgemacht. Wir machen einen Small-Companies-Act, wie das auf Neudeutsch heißt, also ein Gesetz für kleine Unternehmen, das ganz konkret zu weniger Kontroll- und Überprüfungspflichten, einfacheren Formularen und nicht dauernd zu neuen Statistiken führt. Dann haben wir für den Mittelstand in Deutschland wirklich etwas erreicht. Dies wird eine ganz besonders wichtige Aufgabe sein, deren Lösung wir vom Kanzleramt aus steuern werden.
Wir haben uns vorgenommen, die EU-Richtlinien im Grundsatz nur noch eins zu eins umzusetzen.
Ich halte das für ausgesprochen wichtig. Ich weiß, dass das Gegenstand vieler politischer Debatten und Entscheidungen war. Jeder muss in diesem Land begreifen: Wenn wir uns zusätzlich zu dem, was wir in Europa vereinbaren - das ist oft schon bürokratisch genug; das muss ich leider sagen -, Lasten aufbürden, dann haben wir gegenüber unseren europäischen Mitbewerbern keine fairen Chancen. Wir wollen aber bei aller Freundschaft zu allen anderen Ländern, dass in Deutschland Arbeitsplätze entstehen. Das ist die Aufgabe einer Bundesregierung. Dafür müssen wir sorgen.
Das heißt also, dass wir eine Politik mit einem Grundverständnis machen werden, das darauf beruht, dass die Vorschriften, die wir machen, für die Menschen da sind und nicht die Menschen zur Erfüllung der Vorschriften. So können wir den Starken im Lande wieder helfen und dann auch den Schwachen in diesem Lande. Das muss unser Grundverständnis sein. Daran müssen wir alles prüfen. Das hat gar nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit ganz praktischem menschlichem Sachverstand.
Ich bin davon überzeugt, dass uns das gelingen kann. Es gibt viele tüchtige Vorbilder. Ich habe vor einigen Wochen etwas sehr selbstverständliches gesagt. Ich habe gesagt: Ich will Deutschland dienen. - Ich kenne viele Menschen, die dem Land, anderen Menschen und der Gemeinschaft dienen - selbstlos und ohne dass davon groß Notiz genommen wird. Diese Menschen müssen unser Vorbild, das Vorbild für diese Bundesregierung sein. Die Anerkennung des Nächsten in der Gemeinde, im Wohngebiet, in der Schule oder im Betrieb - das alles hat etwas damit zu tun, ob wir das schaffen, was wir oft eine lebendige Bürgergesellschaft nennen. Das ehrenamtliche Engagement ist ein unersetzbarer Bestandteil dieser Bürgergesellschaft. Wo immer es geht, wollen wir dieses ehrenamtliche Engagement stärken. Genau das, was viele Menschen in ungezählten Kultur-, Musik- und Gesangvereinen in ihrer Freizeit tun, hält unsere Gesellschaft zusammen. Bei allen Rechtsansprüchen, die wir uns durch Gesetze setzen, müssen wir immer bedenken, dass noch ausreichend Spielraum genau für dieses ehrenamtliche Engagement bleibt. Ansonsten geht unserer Gesellschaft ganz Wesentliches verloren. Ich zumindest bin davon zutiefst überzeugt.
Unsere Kultur ist die Grundlage unseres Zusammenhaltes. Deshalb ist Kulturförderung für diese Bundesregierung keine Subvention. Dieser Begriff - ich sage das ausdrücklich - verbietet sich an dieser Stelle.
Sie ist eine Investition, und zwar eine Investition in ein lebenswertes Deutschland.
Natürlich regelt unsere Verfassung die Förderung von Kunst und Kultur. Sie ist primär den Ländern zugeordnet. Das wissen wir. Aber ich sage ebenso deutlich, dass der Bund auch in Zukunft eine Reihe ganz wichtiger Kulturaufgaben wahrnehmen wird.
Deutschland - und nicht nur die Summe der 16 Bundesländer - ist schließlich eine europäische Kulturnation.
Diese Bundesregierung - das hat etwas mit unserem historischem Verständnis zu tun - wird wie die Regierung zuvor auch einen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes der Vertriebenen leisten. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um an das Unrecht der Vertreibung zu erinnern, und wir werden dies im europäischen Kontext tun. Aus meiner Sicht bietet die gemeinsame Erklärung der Präsidenten Rau und Kwásniewski eine gute Grundlage dafür, dass wir einen gemeinsamen und nicht einen trennenden Weg finden werden. Ich sage hier sehr persönlich: Auf meinen Reisen, die ich in die entsprechenden Länder mache, werde ich mich sehr dafür einsetzen, dass uns dies gelingt. Das hat etwas mit unserem eigenen historischen Selbstverständnis zu tun. Es hat aber auch etwas mit dem Vertrauen anderer in uns zu tun. Deshalb muss beides zusammengebracht werden. Ich bin der Überzeugung: Das geht und das können wir schaffen.
Meine Regierung ist Anwalt aller Deutschen wie aller in Deutschland lebenden Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir werden deswegen mit allem Nachdruck, wo immer es erforderlich ist, gegen jede Form von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus kämpfen.
Die Initiativen der Bürgergesellschaft, die sich hier engagieren, haben unsere volle Unterstützung. Wir sind ein tolerantes, wir sind ein weltoffenes Land. Deutschland ist zugleich ein Land, das seine Traditionen und seine Kultur pflegt. Das eine kann es ohne das andere nicht geben; denn Heimat gibt gerade in Zeiten des sehr schnellen Wandels, in denen wir leben, den Halt, den die Menschen brauchen, jedem Einzelnen und unserem Land als Ganzem. Deshalb haben wir nicht ohne Grund unserem Koalitionsvertrag den Titel „Gemeinsam für Deutschland“ gegeben. Parallelgesellschaften, in denen die grundlegenden Werte des Zusammenlebens in unserem Land nicht geachtet werden, passen nicht in dieses Denken.
Deshalb ist Integration eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit. Mit der Ansiedelung der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt habe ich sehr bewusst ein Signal gesetzt, dass dies eine gesamtpolitische Aufgabe ist, der wir große Beachtung schenken wollen.
Ich bin der Überzeugung, dass Integration nur gelingen kann, wenn ausländische Kinder konsequent dazu gebracht werden und auch die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen. Wir werden deshalb gerade in den Schulen das Erlernen der deutschen Sprache fördern. Besser gesagt, wir werden die Länder in ihrem Bemühen unterstützen, dass Kinder nur dann in die Schule kommen dürfen, wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind. Ansonsten haben sie vom ersten Schultag an nicht die Chancen, die wir ihnen geben müssen, um auch ihnen ein gutes Leben in unserem Land zu ermöglichen.
Wir brauchen einen Dialog mit dem Islam. Wir müssen einander verstehen lernen; das gehört dazu. Wir müssen im Übrigen darauf achten, dass wir unsere eigene Religion, das Christentum, ausreichend verstehen, soweit wir Christen sind - das gilt auch für andere, die anderen Religionen anhängen -; denn einen Dialog der Kulturen kann man nur führen, wenn man sich seiner eigenen Kultur auch wirklich bewusst ist.
Wir werden das offen und ehrlich tun. Wir werden vor allen Dingen Differenzen eindeutig benennen, wo immer sie auftreten.
Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich - ich sage dies auch als Frau -: Zwangsverheiratungen oder Ehrenmorde - beides schreckliche Begriffe - haben nichts, aber auch gar nichts mit Ehre zu tun und sie haben auch gar nichts in unserer Gesellschaft zu suchen.
Wir können sie nicht dulden, wir wollen sie nicht dulden. Wir werden das deutlich machen.
Sicher kann jeder von uns selbst etwas für unsere Gemeinschaft tun. Vieles kann von dem Einzelnen besser als vom Staat erreicht werden. Aber der Einzelne hat ein Anrecht darauf, dass der Staat auch ihn in die Lage versetzt, seine eigenen Kräfte zu entfalten. Viele Menschen werden heute - das müssen wir ganz klar sehen - an ihrem Einsatz, am Einbringen ihrer Möglichkeiten gehindert, weil das größte Problem, mit dem unser Land zu kämpfen hat - die Arbeitslosigkeit -, nicht ausreichend gelöst ist. Wir haben die höchste Zahl an Langzeitarbeitslosen, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat, und das muss sich wieder ändern.
Im Übrigen werden wir von den Menschen als Regierung und als die diese Regierung tragenden Fraktionen zum Schluss an genau dieser Frage gemessen werden: Haben wir hier etwas erreicht oder haben wir nichts erreicht? Diesem Anspruch wollen wir uns auch stellen. Ich sage ganz ausdrücklich: Das muss unser Ziel sein.
Wir wissen, dass die Politik keine Arbeitsplätze schaffen kann; aber sie kann Rahmenbedingungen stellen. Wir haben sehr viel über diese Rahmenbedingungen gesprochen. Wir wissen, dass damit zusammenhängt, dass Menschen in Würde leben können. Deshalb haben wir uns einiges vorgenommen.
Erstens. Seit über drei Jahrzehnten steigen die gesetzlichen Lohnzusatzkosten bzw. verharren auf einem internationalen Höchstniveau. Wir wollen das ändern; deshalb wollen wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte senken. Einen Prozentpunkt sollen Strukturmaßnahmen innerhalb der Bundesagentur für Arbeit erbringen. Ein weiterer Prozentpunkt soll durch den Einsatz eines Punktes Mehrwertsteuer finanziert werden. Es ist im Übrigen erfreulich, dass die Länder an dieser Stelle auf ihren Anteil an der Mehrwertsteuer verzichten werden.
Wir wollen die Lohnzusatzkosten in dieser Legislaturperiode dauerhaft unter 40 Prozent halten.
Zweitens. Deutschland muss den Wandel zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft schaffen. Wir werden deshalb die privaten Haushalte im Grundsatz als Arbeitgeber anerkennen. Jeder, der den politischen Streit der vergangenen Jahrzehnte verfolgt hat, weiß, dass hier eine lange ideologische Auseinandersetzung zu Ende geht. Wir werden sowohl für die Abrechnung von Handwerkerleistungen als auch für die Frage der Kinderbetreuung als auch für andere haushaltsnahen Dienstleistungen den Haushalt als Arbeitgeber installieren. Das wird ein Umdenken in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft in Deutschland bedeuten. Ich finde das richtig, ich finde das erfreulich. Lassen Sie uns das Ganze mit Freude angehen.
Drittens. Wir wissen, dass gerade gering Qualifizierte in unserem Land unglaubliche Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung, und zwar zu regulären Löhnen, zu finden. Es geht hierbei nicht um irgendeine Statistik der Bundesagentur für Arbeit, sondern es geht um etwa 2 Millionen Menschen in unserem Land, für die wir uns Gedanken über die Frage machen müssen: In welcher Art und Weise können wir diese Menschen wieder in Lohn und Brot bringen? Deshalb werden wir das Thema Kombilohn im Niedriglohnsektor aufgreifen. Wir werden uns darum bemühen, genau an dieser Stelle eine Lösung zu finden, bei der eine Lohnleistung durch eine staatliche Leistung ergänzt wird.
Wir wissen, dass das Fragen berührt - wir haben das auch in unserem Koalitionsvertrag niedergelegt - wie Entsendegesetz, Mindestlohn, Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Das gehört zu den kompliziertesten Themen. Aber ich habe in den Koalitionsverhandlungen gespürt, dass der Wille da ist, diese 2 Millionen Menschen nicht einfach zu vergessen, sondern sich um vernünftige Lösungen zu bemühen. Dafür lohnt es sich auch, in den nächsten Monaten zu arbeiten.
Viertens. Wir werden moderate Reformen im Bereich des Arbeitsrechts durchführen. Wir müssen immer wieder schauen: Wo sind Hürden, die Menschen den Weg in die Arbeitswelt versperren? Wir müssen lernen, dies möglichst vorurteilsfrei zu betrachten. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass es uns gelungen ist, beim Kündigungsschutz die Wartezeit von bis zu 24 Monaten einzuführen, das heißt, Kündigungsschutz gilt dann erst nach 24 Monaten. Ich glaube, dass das für kleine Betriebe bessere Möglichkeiten bietet, Menschen einzustellen und ein Wagnis einzugehen, sodass nicht die Menschen an dieser Stelle sozusagen draußen gelassen werden.
- Ich höre schon das Gegrummel. - Wir können natürlich so weitermachen. Wir können so tun, als ob bestehende Sicherheiten wirklich Sicherheit bieten. Wir können aber auch einfach einmal fragen, ob wir das, was andere Länder mit guten Erfahrungen machen, nicht auch tun sollten. Wir können doch das, was wir hören, wenn wir bei unserer Abgeordnetentätigkeit im Wahlkreis den Handwerksmeister fragen: „Warum lassen Sie Ihre Leute Überstunden machen? Warum stellen Sie nicht einen zusätzlich ein?“, einfach einmal bedenken und neue Wege gehen. Nach ein paar Jahren können wir schauen, ob es sich bewährt hat oder nicht und ob wir daraus Erfolge machen können. Wir sind das den Menschen in diesem Lande schuldig. Bei über 4 Millionen Arbeitslosen muss man auch einmal neue Wege gehen. Ich zumindest bin davon völlig überzeugt.
Fünftens. Wir werden den Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs weiterführen. Ich möchte mich hier ausdrücklich dafür bedanken, dass die Wirtschaft, insbesondere das Handwerk und die Kammern, hierzu einen riesigen Beitrag geleistet haben. Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin in jedem Jahr 30 000 neue Ausbildungsplätze brauchen. Wir müssen uns auch ganz intensiv der Tatsache annehmen, dass viele junge Leute nicht ausbildungsfähig sind, wenn sie von der Schule kommen. Das erfordert ein enges Zusammenwirken von Bund und Ländern an dieser Stelle;
denn man kann sich nicht damit abfinden, dass teure Schulausbildung nicht zur Ausbildungsfähigkeit der jungen Menschen führt.
In der Frage der betrieblichen Bündnisse - jeder weiß, dass wir darüber im Wahlkampf sehr unterschiedlicher Meinung waren und es auch weiter sind; das gehört zur Wahrheit dazu - müssen wir weiterhin schauen, wie wir im Rahmen der Tarifautonomie - ich betone ausdrücklich, dass niemand in dieser Koalition die Tarifautonomie infrage stellt - ein höheres Maß an Flexibilität erreichen. Ich will ausdrücklich sagen: Es geschieht einiges bei den Gewerkschaften. Unser ganzes Tun sollte darauf gerichtet sein, Gewerkschaften zu ermuntern, da, wo das heute noch nicht geschieht, weiterzugehen und mehr Flexibilität zu schaffen. Die Erfahrungen von denen, die das getan haben, sind positiv. Genau dieser Weg muss von uns weiter gegangen werden oder es müssen zunächst Gespräche darüber geführt werden.
Die beste Reform des Arbeitsmarkts hilft wenig - auch das wissen wir -, wenn wir uns nicht auf eines besinnen, nämlich auf das, was uns als Land - ich habe das am Anfang gesagt - immer wieder stark gemacht hat: Das sind Bildung und Innovation. Sie sind mehr denn je der Rohstoff unseres Landes, der Rohstoff der Deutschen. Wir wissen: Wir müssen besser sein als andere, und zwar immer so viel besser, wie wir teurer sind. Wir wollen teurer sein, weil wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Deshalb ist unser Ziel nicht, im Wettbewerb um die niedrigsten Löhne mitzuhalten; das können wir nicht. Vielmehr müssen wir besser sein als andere und Bildung nach vorn bringen. Herkunft darf in diesem Land nicht die Zukunft der jungen Menschen bestimmen. Das muss unser Anspruch sein.
Meine Damen und Herren, an guten Traditionen mangelt es nicht, weder bei unserer Schulbildung, wie man an ihrem Ruf erkennt, noch bei der Berufsbildung. Das System der dualen Berufsausbildung ist fast so bedeutend wie „Made in Germany“ bei der Produktherstellung. „Trained in Germany“ könnte wieder ein Markenzeichen von uns werden. Wir wissen aber auch, weil es uns die PISA-Studie vor Augen geführt hat: Wir sind nicht so Spitze, wie wir es eigentlich gerne wären. An der zweiten PISA-Studie zeigt sich allerdings, dass, wenn sich Länder anstrengen - ich nenne als Beispiel das Land Sachsen-Anhalt -, innerhalb von wenigen Jahren ein deutlicher Fortschritt erreicht werden kann. Wir wissen ja an vielen Stellen, wo die Probleme liegen. Es ist wichtig, dass wir die Bildungschancen verbessern. Deshalb hat der Bund einmalig - wir werden das fortsetzen - ein Programm zum Ausbau von Ganztagsschulen aufgelegt, damit wir auch in diesem Bereich besser vorankommen. Ich hoffe, dass das nach der Föderalismusreform von den Ländern in entsprechender Weise fortgesetzt wird.
Ich sage das mit großem Ernst: Ich glaube, noch nie hat ein Koalitionsvertrag in Deutschland so sehr auf Innovation und Technologiefreundlichkeit in Zukunftsbranchen gesetzt. Die finanzielle Ausstattung für die nächsten Jahre, das Ziel, die Ausgaben für Forschung, Technologie und Entwicklung bis zum Jahr 2010 auf 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, wozu der Staat mit 1 Prozent seinen Beitrag leisten wird, zeigt deutlich: Diese Verpflichtung sucht ihresgleichen. Wir werden sie ganz strikt umsetzen. Dabei wollen wir vor allen Dingen darauf achten, dass das Geld in Wissenschaft und Technik sinnvoll eingesetzt wird. Der Staat darf nicht glauben, er wisse selber, was da am besten zu tun sei, sondern wir müssen die Begutachtung durch die Wissenschaftsorganisationen in den Vordergrund rücken. Wir müssen auf die Freiheit der Entwicklungsmöglichkeiten in der Nano-, Bio- und Informationstechnologie setzen. Wir müssen auch auf Leuchtturmprojekte setzen, mit denen wir in der Welt beweisen können, auf welchen Gebieten wir vorne sind. Ich nenne als Beispiele hoch effiziente Kraftwerke, die elektronische Gesundheitskarte, die Weiterentwicklung der Brennstoffzelle und - darüber haben wir lange genug gesprochen - den Aufbau einer Transrapidreferenzstrecke. Es wäre schön, wenn es auch an dieser Stelle weiterginge.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung auch einige heiße Eisen angepackt. Wir werden noch einmal das Regelwerk für die Grüne Gentechnologie überarbeiten und wir werden bessere Möglichkeiten für unsere chemische Industrie schaffen. Der Herr Bundesumweltminister hatte gestern das Vergnügen, in Brüssel genau darüber zu verhandeln. Wir werden die Initiative „Partner für Innovation“ fortführen. Ich persönlich werde einen Rat für Innovation und Wachstum, über den ich schon vor einigen Monaten gesprochen habe, einrichten, weil ich glaube, dass die Tatsache - dessen muss sich die Politik im gesamten Hause bewusst sein -, dass sich das Wissen auf der Welt innerhalb von vier Jahren verdoppelt, bei uns mental noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Wir alle - das gilt auch für mich persönlich - haben an vielen Stellen Mühe, die technischen Entwicklungen so zu verstehen, dass wir in der Lage wären, zu erkennen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen wir schaffen müssen. Wir sollten so ehrlich sein, das zuzugeben, und im Dialog mit den Wissenschaftlern und Entwicklern von diesen lernen.
Meine Damen und Herren, wir wissen: Als modernes Industrieland, als Dienstleistungsgesellschaft, als Wissensgesellschaft werden wir nicht bestehen können, wenn wir nicht ein modernes Infrastrukturland sind. Das hat auch etwas mit unseren Verkehrsnetzen zu tun. Wir werden in den nächsten vier Jahren 4,3 Milliarden Euro mehr für Verkehrsinfrastrukturprojekte ausgeben. Wir werden die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Wir werden nicht nur, wie das in der Vergangenheit der Fall war, das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz für die neuen Bundesländer weiterführen, sondern für ganz Deutschland ein umfassendes Planungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen. Das wird schwierige Beratungen erfordern. Aber wenn man sieht, wie europäische Mittel zum Beispiel in Spanien in Windeseile verbaut werden, während wir Menschen um Arbeitschancen bringen, weil wir für bestimmte Infrastrukturprojekte Jahrzehnte brauchen, dann kann ich nur sagen: Wir sind es den Menschen in diesem Lande schuldig, dass wir uns an dieser Stelle anstrengen und schauen, wie wir hier schneller vorankommen können.
Wir wissen, dass die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit unseres Landes ohne eine zukunftsweisende Energiepolitik nicht denkbar ist. Wir haben unterschiedliche Auffassungen über die Nutzung der Kernenergie. Aber wir haben uns - das finde ich wichtig - auf eine Gesamtstrategie in der Energiepolitik sowie darauf geeinigt, dass wir uns über den Energiemix Gedanken machen.
Das heißt natürlich auch, dass wir ein deutliches Plädoyer für erneuerbare Energien abgeben. Wir werden das Erneuerbare-Energien-Gesetz in der Grundstruktur fortführen, aber wir werden - auch das gehört zur Ehrlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern - die wirtschaftliche Effizienz der einzelnen Vergütungen bis 2007 überprüfen. Wir werden schauen, was grundlastfähig ist und wohin das Geld gehen muss. Ich glaube, wir werden das in guter Gemeinsamkeit schaffen. Ziel ist ein energiepolitisches Gesamtkonzept mit einem ausgewogenen Energiemix.
Ich werde Anfang des Jahres zu einem nationalen Energiegipfel einladen, um einmal alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Die Probleme müssen auf den Tisch gelegt werden. Denn wir wissen, es gibt auch unter den verschiedenen Anbietern vielerlei Widersprüche.
Wir werden ein sehr anspruchsvolles Programm zur energetischen Gebäudesanierung auflegen. Dieses Programm wird nicht nur der Bauwirtschaft neue Impulse geben - das ist der eine Aspekt -, sondern es wird auch - davon bin ich zutiefst überzeugt - dem einzelnen Bürger deutlich machen, welchen Beitrag er zur verbesserten Effizienz bei der Energieversorgung, also auch bei der Reduktion von Kohlendioxidemissionen, leisten kann. Wir haben uns bis jetzt viel zu viel auf die Industrie konzentriert. Es ist gut, dass wir jetzt auch den privaten Bereich hinzunehmen.
Wir werden die Regeln für den Emissionshandel überarbeiten. Ich sage ausdrücklich, dass dieser ein gutes Instrument ist. Aber wir werden in der zweiten Phase, also ab 2008, schauen müssen, dass die Anreize für die Modernisierung unseres Kraftwerksparks erhalten bleiben. Wir werden dafür sorgen müssen, dass die energieintensive Industrie nicht aus Deutschland abwandert und dass wirtschaftliches Wachstum weiter möglich ist.
Ich werde - das sage ich auch in Richtung des Umweltministers - auf meinen Auslandsreisen sehr bewusst die Klimaschutzprojekte, die nach dem Kiotoprotokoll gerade für die Entwicklungsländer von außerordentlicher Bedeutung sind, als technologisches Know-how der Bundesrepublik Deutschland propagieren. Technologieexport und Klimaschutz liegen heute ganz eng beieinander. Ich glaube, hier können wir unsere Rolle als Exportweltmeister deutlich machen.
An einer Stelle ist der Knoten im Grunde schon durchgeschlagen worden, bevor die große Koalition ihre Arbeit aufgenommen hat: das ist die Föderalismusreform, also die Neuordnung unseres föderalen Staatsaufbaus, die allerdings noch umgesetzt werden muss. Ich glaube, diese Reform ist zum einen gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Denn sie können dann wieder besser verstehen, wo die Verantwortlichkeiten liegen, wer für was verantwortlich ist. Sie ist zum anderen aber auch im internationalen Wettbewerb notwendig, um schnellere Entscheidungsmechanismen durchzusetzen. An einem entsprechenden Mangel leiden wir heute. Föderalismus darf keine Bremse, sondern Föderalismus muss ein Mehrgewinn für den Standort Deutschland sein. Genau das wollen wir durchsetzen.
Wir werden in Absprache mit den Freien Demokraten einen weiteren Schritt gehen. Wir werden im nächsten Jahr prüfen, wie auch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern grundsätzlich neu geordnet werden können. Denn - auch das gehört zur Wahrheit - eine Föderalismusreform ohne die Neuordnung der Finanzbeziehungen ist zwar ein erster wichtiger, aber noch kein endgültiger Schritt.
Ich weiß, dass dies schwer ist. Aber lassen Sie uns solche anspruchsvollen Aufgaben angehen.
Wir wissen: Ohne einen Fortschritt beim Aufbau Ost wird es kein gesundes Wachstum in ganz Deutschland geben. Wir brauchen dieses Wachstum für das innere Gleichgewicht unseres Landes. Deshalb müssen wir die hohe Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen die Abwanderung aus den neuen Bundesländern stoppen und hier das Notwendige tun. Das heißt, wir müssen den neuen Ländern, wo immer es möglich ist - europarechtlich und auf anderen Gebieten -, mehr Freiheiten geben, Freiheiten, um mit den Geldern, die im Zusammenhang mit dem Solidarpakt II zur Verfügung gestellt werden, möglichst viele sinnvolle Investitionen zu tätigen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir auch in den neuen Bundesländern vorankommen.
Mehr Freiheit möglich machen für neue Gerechtigkeit: All diese Neuausrichtungen vom Arbeitsmarkt bis zum Aufbau Ost gehören zusammen. Sie dienen einem langfristigen Ziel: Wir wollen Deutschland stärken und wieder zum Motor in Europa machen. Die Gestaltung dieses Wandels, den wir dringend brauchen, ist ohne Vertrauen und ohne das Bewusstsein, dass sich die Menschen auf die Politik verlassen können, undenkbar. Deshalb ist einer dieser Vertrauensbeweise gegenüber den Menschen eine solide Finanzpolitik, eine gute, solide Situation bei unseren Staatsfinanzen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen dazu einen Wandel, einen Kurswechsel in der Haushaltspolitik. Ich sage ganz ausdrücklich: Die Ursachen, die Anfänge dieser Fehlentwicklung liegen weit zurück. Die lassen sich im Übrigen ganz gut bei der ersten großen Koalition verorten.
- Da können Sie noch klatschen. - Deshalb wäre es schön, wenn die zweite große Koalition diesen Kurswechsel schafft. Wir haben die Weichen dafür sehr gut und entschlossen gestellt.
Wir brauchen eine langfristige Konsolidierungsstrategie. Dabei hat für uns das Reformieren und Investieren zeitlichen Vorrang. Wir haben die Abfolge der Schritte unseres politischen Handelns sehr gut vereinbart. Am Ende wird aus diesem politischen Konzept ein Dreiklang: sanieren, reformieren, investieren.
Wir werden durch einen Zukunftsfonds in Höhe von 25 Milliarden Euro Investitionen in Schwerpunktbereiche über die Legislaturperiode möglich machen. Ich habe den Bereich Mittelstand genannt. Ich nenne weiterhin die Verkehrsinfrastruktur, Forschung und Technologie, die Förderung des Haushalts als Arbeitgeber und die Förderung von Familien. Dies sind fünf Projektbereiche, bei denen die Menschen sehen: Wir können Schwerpunkte setzen; wir sind entschlossen, etwas zu investieren.
Aber ohne eine Sanierung der Haushalte kommen wir natürlich nicht zurande. Deshalb umfasst unsere Haushaltskonsolidierung, dass wir einerseits - ich habe darüber gesprochen - die Arbeitsmarktkosten reduzieren. Wir werden die Zuschüsse an die sozialen Sicherungssysteme begrenzen. Dies wird eine schwierige Aufgabe, die nur zu schaffen ist, wenn wir Strukturreformen durchführen.
Andererseits wird die öffentliche Verwaltung einen substanziellen Solidarbeitrag dazu leisten. Ich nenne die Größe von 1 Milliarde Euro, die der Bund im öffentlichen Bereich einsparen wird. Wir merken schon jetzt, dass wir über die Details sicherlich noch lange zu diskutieren haben werden. Aber es bleibt die Verpflichtung, 1 Milliarde Euro einzusparen. Auch wir als Politiker werden dazu unseren Beitrag leisten.
Wir werden Steuerförderungstatbestände reduzieren; wir haben damit gestern im Kabinett begonnen. Wir werden ab 2007 den Spitzensteuersatz für nicht gewerbliche - ich betone: nicht gewerbliche - sehr hohe Einkommen auf 45 Prozent erhöhen.
Ich will nicht verhehlen: Die für uns alle schwierigste Entscheidung war die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um 3 Prozentpunkte ab 2007. Umso wichtiger ist es, dass zum einen 1 Prozentpunkt für die Senkung der Lohnzusatzkosten eingesetzt wird, um Arbeitsplätze wettbewerbsfähiger zu machen, und dass zum anderen der niedrige Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Lebensmittel, den öffentlichen Personennahverkehr und Kulturgüter erhalten bleibt. Auch darüber haben wir uns viele Gedanken gemacht und dann diesen Entschluss gefasst.
Meine Damen und Herren, ich sage ausdrücklich: Ich und wir alle wissen, dass für viele Menschen die Entscheidung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, und die weiteren Konsolidierungspläne in Bezug auf unseren Haushalt tief greifende Einschnitte bedeuten. Wir wissen, dass wir den Menschen an dieser Stelle viel abverlangen. Wir wissen auch, dass die Bürgerinnen und Bürger deshalb eine Gegenleistung erwarten können.
Diese Gegenleistung liegt für mich auf der Hand: Wenn wir solide Staatsfinanzen schaffen, dann beenden wir das Leben von der Substanz. Zur Generationengerechtigkeit gehört auch, dass wir die Augen nicht davor verschließen dürfen, dass wir mit allen Schulden, die wir neu machen, zukünftigen Generationen Spielräume rauben. Wer ernsthaft von Nachhaltigkeit spricht, muss sich diesem Problem widmen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir in Europa einen Stabilitäts- und Wachstumspakt haben, den wir natürlich auch erfüllen wollen. Das hat etwas mit dem moralischen Anspruch unserer Politik, generationengerecht zu sein, und der Ernsthaftigkeit zu tun. Deshalb werden wir das entschlossen umsetzen.
Deutschland ist Exportweltmeister. Deutschland muss sich, wenn es Exportweltmeister bleiben will, dem freien Welthandel öffnen, auch wenn das in vielen Bereichen schwer fällt. Nach einer Regierungswoche kann ich sagen, dass wir bereits einen ersten Erfolg errungen haben. Wir haben am Beispiel der Zuckermarktordnung innerhalb der Europäischen Union gezeigt - -
- Ja, Frau Künast, das geht auch ohne Sie.
Es ist sogar so, Frau Künast, dass Herr Sonnleitner dies lobt und es trotzdem gut ist für die WTO-Verhandlung. Das ist das Erstaunliche.
Wir sind gut vorbereitet auf die WTO-Verhandlung, die wir noch im Dezember zu führen haben. Ich sage ausdrücklich: Ein Gegeneinander von moderner Landwirtschaft und Verbraucherschutz gehört mit dieser Regierung der Vergangenheit an. Das soll unser Markenzeichen sein.
Unser Motto in Bezug auf den Verbraucherschutz lautet: Null Toleranz gegenüber denjenigen, die das Vertrauen der Verbraucher mit Füßen treten. Deshalb darf uns der Skandal, das Handeln mit verdorbenem Fleisch, so lange nicht ruhen lassen, bis wir an dieser Stelle alle Schwachstellen beseitigt haben. Ansonsten wird es für die deutsche Lebensmittelwirtschaft ganz schwierig.
Meine Damen und Herren, Sie sehen an all dem, was ich aufgeführt habe, dass wir uns viel vorgenommen haben. Wir sind auch ganz sicher, dass viel möglich ist. Wir haben uns viel vorgenommen, weil wir wissen, dass wir wirtschaftlich wieder stark werden können und dann auch das leben können, was die soziale Marktwirtschaft in unserem Land groß gemacht hat. Dann können wir nämlich den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital weiter ausgleichen und denen helfen, die sich heute noch auf der Schattenseite des Lebens befinden.
Wir können dann aber auch noch etwas anderes schaffen: Wir können wieder ein starker Partner in Europa und in der Welt werden. Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf Werte und sie ist Interessenpolitik. Eine Politik in deutschem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperationen mit unseren Partnern. Ich weiß, dass unsere Partner große Erwartungen an uns richten. Das haben ich und auch der Außenminister in den ersten Tagen unserer Tätigkeit bei unseren Besuchen in Paris, Brüssel, London und vielen anderen Ländern der Europäischen Union ganz deutlich gespürt. Die Erwartungen an Deutschland in diesem Bereich sind so immens, weil sich Europa im Augenblick in einer tiefen Krise befindet. Im Kern gründet diese Krise - das ist meine Überzeugung - auf fehlendem gegenseitigen Vertrauen. Es gab schwere Rückschläge bezüglich des Verfassungsvertrages. Hinsichtlich der Finanzen der Europäischen Union gibt es starke Interessenkonflikte zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Der Lissabon-Prozess, der Prozess, Europa zum dynamischsten Kontinent der Welt zu machen, ist bei weitem nicht so vorangekommen, wie er hätte vorankommen müssen. Im Fortgang der Erweiterung der Europäischen Union stellen sich drängende Grundsatzfragen: Wie weit reicht Europa? Was ist Sinn und Zweck der europäischen Einigung?
Ich glaube, es hat keinen Sinn, um diese Krise herumzureden, auch heute nicht. Es kommt vielmehr darauf an, sie zu meistern. Wir können sie aber nur gemeinsam mit unseren Nachbarn, mit unseren Partnern meistern, und zwar den großen und den kleinen. Ich glaube, dass Deutschlands Aufgabe auch aufgrund seiner geografischen Lage darin bestehen sollte, Mittler und ausgleichender Faktor zu sein. Genau dies werden der Außenminister und ich am Freitag praktizieren, wenn wir nach Polen reisen, zu unserem zweiten großen Nachbarn.
Ich weiß, dass auf dem Dezembergipfel der Europäischen Union große Aufgaben lasten, dass große Erwartungen daran gestellt werden. Wir werden im Zusammenhang mit der finanziellen Vorausschau natürlich für eine Lösung eintreten, die im gesamteuropäischen Interesse liegt und nicht gleich dem Revisionszwang ausgesetzt ist. Deutschland ist - das sage ich ausdrücklich - zu einem vernünftigen Kompromiss bereit und wird dazu auch seinen Beitrag leisten. Klar ist aber auch, dass wir als neue Bundesregierung die deutschen Interessen mit allem Nachdruck vertreten werden. Das heißt: Eine finanzielle Überforderung kann es angesichts unserer Haushaltslage, angesichts unserer eigenen Probleme nicht geben. Auch das haben wir allen Partnern gesagt.
Europa hat sich mit den Lissabon-Verabredungen weit reichende Ziele gesetzt. Wir brauchen einen Erfolg und wir brauchen diesen Erfolg, indem wir Reformen durchführen. Hier bündeln sich im Übrigen unsere innenpolitischen Anstrengungen mit dem, was in Europa stattfindet. Ich will ausdrücklich sagen - wir haben das in diesem Hause viel zu wenig beachtet -: Die jetzige Kommission und auch gerade der deutsche Kommissar Günter Verheugen haben in der Europäischen Union etwas gemacht, was es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat - ich sage: eigentlich noch nie -: Sie haben sich Richtlinien angeschaut und haben gefragt: Sind die noch notwendig? Brauchen wir bestimmte neue Projekte oder sind sie für den Lissabon-Prozess, also für eine dynamische Entwicklung, schädlich? Es handelt sich um über 60 Richtlinien, die damit erst einmal vom Tisch sind oder die verändert werden. Ich bin dafür ausgesprochen dankbar. Europa kann nicht bestehen, indem man sagt: Das eine gibt es und dann kommt immer etwas hinzu, geschehe auf der Welt, was es wolle. - Der Schritt, den ich oben beschrieben habe, muss von Deutschland unterstützt werden.
Wir wollen den Verfassungsvertrag, auch wenn das heute zum Teil illusorisch erscheint, zu einem Erfolg machen. Ohne ein eigenes Selbstverständnis ist Europa nicht möglich. Das ist ein dickes Brett, das zu bohren sein wird. Aber wir haben uns in unserer Koalitionsvereinbarung hierzu ausdrücklich bekannt.
Europa ist - auch das wissen wir - ohne die Unterstützung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht möglich. Wir müssen darauf achten, dass die Menschen nicht den Eindruck haben, sie würden überfordert. Deshalb müssen wir ganz besonders Wert darauf legen, dass Staaten, die der Europäischen Union beitreten werden, alle Bedingungen uneingeschränkt erfüllen müssen. Das muss die Voraussetzung sein, wenn wir Erweiterungen der Europäischen Union vornehmen wollen.
So haben wir es auch in unserer Koalitionsvereinbarung festgelegt: Die am 3. Oktober 2005 aufgenommenen Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei mit dem Ziel des Beitritts sind ein Prozess mit offenem Ende, der keinen Automatismus begründet und dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt. Sollte die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in der Lage sein, alle mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten, so muss die Türkei in einer Weise, die ihr privilegiertes Verhältnis zur Europäischen Union weiterentwickelt - das wollen wir alle -, möglichst eng an die europäischen Strukturen gebunden werden. Das ist eine Aufgabe, die sich über die nächsten Jahre erstrecken wird. Wir stehen zu den Vereinbarungen, so wie sie von der Vorgängerregierung getroffen wurden. „Pacta sunt servanda“ muss das Prinzip europäischen Vertrauens sein. Aber dieser Prozess wird mit besonderer Aufmerksamkeit zu beobachten sein.
Die Menschen in Europa erwarten von uns natürlich, dass sie auf die bestehenden Herausforderungen eine Antwort bekommen; das sind Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, Bürgerkriege und internationale Kriminalität. Deshalb kann ich mit Blick auf unser politisches Programm sagen, dass die große Koalition an dieser Stelle mehr Gemeinsamkeiten gefunden hat als jede andere denkbare politische Konstellation.
Das ist nicht in jedem Bereich so. Aber für den Bereich der inneren Sicherheit sage ich das aus voller Überzeugung. Hier haben wir einige Dinge hinbekommen, die ich ausgesprochen wichtig finde: Das Bundeskriminalamt wird zur Abwehr von Terrorgefahren Präventivbefugnisse erhalten. Mit der Kronzeugenregelung verbessern wir den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Opferschutz geht vor Täterschutz.
- Es ist ja klar, dass da welche mit den Köpfen schütteln. Trotzdem geht Opferschutz vor Täterschutz. Wir werden das ganz konsequent umsetzen. Deshalb werden wir auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen solche Jugendliche einführen, die wegen schwerster Gewalttaten verurteilt worden sind. Man kann da nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern muss sich dem Problem widmen. Das erwarten die Menschen von uns, und das zu Recht.
Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit - das spüren wir alle - werden immer fließender. Deshalb brauchen wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik innerhalb der Europäischen Union, und das auf der Grundlage einer europäischen Sicherheitsstrategie. Europa muss - danach werden uns die Bürgerinnen und Bürger fragen - sicherheitspolitisch handlungsfähig sein. Das ist kein Ersatz - ich sage das ausdrücklich -, sondern eine Ergänzung des bewährten Bündnisses NATO. Es geht darum, den europäischen Pfeiler der Allianz und damit die Allianz insgesamt zu stärken. Denn die NATO ist und bleibt der stärkste Anker unserer gemeinsamen Sicherheit. Sie ist das strategische Konsultations- und Koordinierungsforum und wo sie das nicht ist, müssen wir, auch wir in Deutschland, einen Beitrag dazu leisten, dass sie es wieder wird. Ich habe das bei meinem Besuch in Brüssel sehr deutlich gemacht.
Ich sage auch ganz bewusst: Das ist kein Gegensatz dazu, dass wir ein selbstbewusstes Europa sein wollen. Ein selbstbewusstes Europa muss aber ein starker und vor allen Dingen auch ein einiger Partner sein, wenn es darum geht, die Interessen von Sicherheit, Frieden und Menschenrechten durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich sage deshalb auch: Lassen Sie die Schlachten der Vergangenheit ruhen. Die Schlachten sind geschlagen. Aber für die Zukunft gilt: Die neue Bundesregierung wird sich mit aller Kraft für ein enges, ehrliches, offenes und vertrauensvolles Verhältnis in der transatlantischen Partnerschaft einsetzen. Diese Partnerschaft der Wertegemeinschaft der westlichen Welt ist ein hohes - ich sage: ein kaum zu überschätzendes - Gut.
Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang auch darauf vertrauen können - der Bundesaußenminister ist heute aus den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekommen -, dass die amerikanische Regierung die Besorgnis in Europa ernst nimmt und jüngste Berichte zu angeblichen CIA-Gefängnissen und illegalen Flügen, wie auch gegenüber dem Außenminister zugesagt, kurzfristig aufklären wird.
- Wissen Sie, es ist auch dramatisch, welche Entwicklung Sie genommen haben.
Meine Damen und Herren, wir fühlen uns im Blick auf die transatlantische Partnerschaft den gleichen Werten verpflichtet - das ist viel in dieser Welt -: Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Toleranz. Anders gesagt: Wir haben das gleiche Verständnis von der Würde des Menschen. Das schweißt uns zusammen und bildet auch das Fundament.
Aber zum Selbstverständnis dieser Wertegemeinschaft und zum Selbstverständnis, das wir von uns und anderen Menschen haben, zählt auch, dass wir bei Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen, gegenüber niemandem auf der Welt, und seien es noch so hoffnungsvolle Handelspartner und noch so wichtige Staaten für Stabilität und Sicherheit.
Ich sehe - das sage ich ausdrücklich - zwischen Kooperation, die notwendig ist, und dem Einhalten der Menschenrechte oder dem Benennen dessen, was wir unter Menschenrechten verstehen, keine Kluft, die nicht zu überbrücken wäre. Es geht hier um Ehrlichkeit im Dialog. Das macht Beziehungen nicht unmöglich. So ist jedenfalls meine Erfahrung.
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Deutschland ist noch nie so sicher und so frei gewesen wie heute. Dennoch - ich habe das am Anfang gesagt - leben wir in einer Welt voller Herausforderungen: Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, zerfallende Staaten, extreme Armut, Epidemien und Umweltzerstörung. All das bedroht unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.
Wir brauchen deshalb unsere Partnerschaften in der Welt dringender denn je. Ich möchte hier beispielhaft die Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland als eine strategische Partnerschaft nennen. Russland ist ein wichtiger Wirtschaftspartner. Aber Russland ist genauso ein Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und natürlich als Land für die politische Stabilität Europas unverzichtbar. Wir haben ein ganz besonderes Interesse daran, dass der Modernisierungsprozess in Russland gelingt. Wir werden das in unseren außenpolitischen Kontakten deutlich machen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns mit Kräften für Frieden und Stabilität im Nahen Osten einsetzen. Wir schauen natürlich mit besonderer Sorge in diesen Tagen auf den Irak, aber genauso auf die Entwicklung im Iran. Trotz der Rückschläge in letzter Zeit wird sich die Bundesregierung weiter im Drei-plus-Eins-Prozess engagieren. Dieser Prozess muss fortgeführt werden. Ich sehe zu ihm keine Alternative. Aber ich kann den Iran nur davor warnen, sich der Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft und der IAEO zu entziehen. Was gegenüber Israel seitens des Iran gesagt wurde, ist in jeder Hinsicht absolut inakzeptabel. Der Iran muss wissen, dass wir das nicht hinnehmen.
Deutschland steht zu Israel in einer ganz besonderen Verantwortung. Wir haben in diesem Jahr den 40. Jahrestag der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen begangen. Für die neue Bundesregierung möchte ich deshalb bei dieser Gelegenheit das Existenzrecht Israels und das Recht seiner Bürgerinnen und Bürger, in sicheren Grenzen frei von Terror, Angst und Gewalt zu leben, ausdrücklich bekräftigen.
Ebenso bekräftigen möchte ich allerdings das Recht des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat,
der Seite an Seite mit Israel in Sicherheit und anerkannten Grenzen lebt. Das wäre auch ein klares Signal gegen Terrorismus.
Meine Damen und Herren, deutsche Außenpolitik bewährt sich im konkreten Handeln. Auf dem Balkan, in Afghanistan und an vielen anderen Orten tragen deutsche Soldaten, Polizisten, Diplomaten und Entwicklungshelfer unter erheblichen Gefahren zu Frieden und Stabilität bei. Was das im äußersten Fall bedeuten kann, das haben wir gerade wieder in Afghanistan schmerzlich erleben müssen. Deshalb möchte ich all denen, die Deutschland im Ausland vertreten, einen ganz besonderen Dank sagen und eine ganz besondere Anerkennung für ihren mutigen Einsatz aussprechen. Sie sind in verschiedenen Funktionen wichtige Botschafter unseres Landes.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz, mit über 6 000 Soldaten auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika oder jetzt in humanitärer Mission in Pakistan. Die Bundeswehr kann sich glücklicherweise auf die breite Unterstützung dieser Regierung, des Parlaments und der Gesellschaft verlassen. Die Soldatinnen und Soldaten haben sie auch verdient; denn sie brauchen sie für ihren Einsatz.
Unser Anspruch, in der Welt mitzusprechen und mitzuentscheiden, und unsere Bereitschaft zum Mitwirken bedingen sich. Die neue Bundesregierung wird darauf achten, dass die Ziele und Fähigkeiten der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik immer in einem Gleichgewicht bleiben. Deshalb werden wir den Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee konsequent fortsetzen. Der Kernauftrag der Bundeswehr aus der Verfassung, die Landesverteidigung, bleibt dabei natürlich unverändert gültig. Wir werden auch an den Beschlüssen zur Struktur und Stationierung der Bundeswehr festhalten. Die Bundesregierung bekennt sich zur allgemeinen Wehrpflicht.
Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als die für unser Land beste Wehrform erwiesen, gerade auch mit Blick auf die Beziehung zu den Parlamentariern. Ich glaube, dass es an dieser Stelle ganz wichtig ist, eine Bundeswehr zu haben, die sich sicher sein kann, dass sie eine tiefe Verankerung in der deutschen Bevölkerung hat.
Wir werden Ende nächsten Jahres ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik veröffentlichen, erstmals wieder nach mehr als zehn Jahren. Ich denke, dann ist es höchste Zeit, wieder ausführlich über ein solches Grundlagendokument zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Bundeswehr zu diskutieren.
Angesichts der Globalisierung nimmt die Bedeutung der internationalen Institutionen zu. Für uns - das ist unser gemeinsames Verständnis - muss die UNO der zentrale Ort der Konfliktlösung werden und dies dann auch bleiben.
Hier liegt eine wichtige Aufgabe vor uns. Wir werden uns bemühen - ich halte es für ganz wichtig, dass wir das schaffen -, bei der Reform der UNO gemeinsame europäische Positionen durchzusetzen. Wir bleiben bereit, mit der Übernahme eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich sage aber ausdrücklich: Die Reform der UNO kann nicht auf die Frage des Sicherheitsrates reduziert werden,
sondern sie geht weit darüber hinaus. Die Frage, welche Rolle die UNO in den nächsten Jahrzehnten einnimmt, wird von existenzieller strategischer Bedeutung für eine global zusammenwachsende Welt sein.
Denn, meine Damen und Herren, die Stärkung der internationalen Institutionen ist angesichts der Globalisierung lebensnotwendig. Eine Politik, die den Anspruch erhebt, die Globalisierung zu gestalten - diesen Anspruch müssen wir erheben, auch wenn viele Menschen den Eindruck haben, Politik könne das nicht mehr -, darf nicht über internationale Institutionen hinweggehen, sondern sie muss die internationalen Institutionen dazu befähigen, die Globalisierung auch zu gestalten.
Wir sagen: Die soziale Marktwirtschaft hat sich als großer Erfolg für uns alle und als Vorbild für andere erwiesen; das ist ein schöner Satz, aber die Fragen, ob wir das durchsetzen können und in welcher Weise die internationalen Organisationen agieren - ich kann das an der Welthandelsorganisation festmachen -, sind damit nicht beantwortet.
Die meisten Menschen haben nicht den Eindruck, dass wir heute über die Möglichkeiten verfügen, weltweit das zu vertreten, was uns an sozialem Ausgleich der freien Wirtschaft - in Form der sozialen Marktwirtschaft - wichtig ist, sondern sie haben Angst, dass davon für sie nichts mehr übrig bleibt. Deshalb ist die Gestaltungskraft von Politik nicht mehr nur national notwendig, sondern auch bei der Ausprägung internationaler Organisationen, und dem wird sich diese Bundesregierung ganz wesentlich verpflichtet fühlen.
Dieses Wertverständnis von Politik leitet uns natürlich auch bei der Entwicklungszusammenarbeit. Wir wissen, dass uns die Probleme zu Hause erreichen, wenn wir sie nicht woanders lösen. Dafür brauchen wir natürlich Geld. Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet, bis 2006 0,33 Prozent, bis 2010 mindestens 0,51 Prozent und bis 2015 die ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen.
Ich weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchsvolle Ziele. Aber wir müssen lernen: Die Probleme ereilen uns im Inland, wenn wir es nicht schaffen, die Probleme anderswo einer Lösung zuzuführen.
Meine Damen und Herren, aus all dem, was ich gesagt habe, wird deutlich: Wir haben uns viel vorgenommen - weil wir sicher sind, dass vieles möglich ist und weil wir auch wissen, dass viele Menschen vieles erwarten. Diese Koalition will Rituale überwinden und neue Wege aufzeigen. Viele werden sagen: Diese Koalition, die geht ja viele kleine Schritte und nicht den einen großen. Ich erwidere ihnen: Ja, genau so machen wir das. Denn wir glauben, dass auch das ein moderner Ansatz sein kann. Es hat sich herausgestellt, dass die Vernetzung von vielen kleinen Computern, an vielen Stellen, effektiver ist als der eine Großrechner - der Erfolg des Internets beruht auf genau dieser Philosophie. Deshalb werden wir eine Regierung sein, die diese vielen kleinen Schritte ganz bewusst in Angriff nimmt. Wir werden uns nicht drücken vor dem Handeln, wir werden eine Regierung der Taten sein. Wir wissen, dass wir auch Rückschläge werden hinnehmen müssen. Aber wir werden eines zeigen: Wir haben große Möglichkeiten in diesem Land. Deutschland ist voller Chancen, nach innen wie nach außen.
Fragen wir deshalb nicht zuerst, was nicht geht oder was schon immer so war; fragen wir zuerst, was geht, und suchen wir nach dem, was noch nie so gemacht wurde. Haben wir den Mut, das dann aber auch wirklich durchzusetzen! Überraschen wir uns also damit, was möglich ist, überraschen wir uns damit, was wir können! Stellen wir unter Beweis, dass wir unser Land gemeinsam nach vorn bringen, mit Mut und Menschlichkeit! Denn Deutschland kann mehr und ich bin überzeugt, Deutschland kann es schaffen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Für die Opposition erhält als Erster das Wort der Vorsitzende der FDP, Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte für die liberale Opposition in diesem Hause zunächst etwas über die beiden schrecklichen Entführungen im Irak sagen. Frau Bundeskanzlerin, ich möchte hier klar erklären, dass wir uns Ihren Äußerungen zu dieser Entführung in vollem Umfange anschließen. Hier stehen wir alle beieinander und zueinander und die Regierung hat das volle Vertrauen auch der Opposition, dass sie hier richtig handelt.
Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und den Damen und Herren Ministern gratulieren wir zur Wahl bzw. zur Ernennung. Wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand und, weil es um unser Land insgesamt geht, auch viel Erfolg.
Wir Freidemokraten werden hier im Deutschen Bundestag eine Opposition sein, die hart in der Sache ist, verbindlich im Umgang und bei den Ergebnissen konstruktiv. Wir kennen unsere Verantwortung; das haben Sie in den jüngsten Gesprächen zur Föderalismusreform gemerkt. Wir Freidemokraten sind hier im Deutschen Bundestag in der Opposition, sind aber in fünf Landesregierungen vertreten. Damit haben die Liberalen im Bundesrat übrigens Einfluss auf genauso viele Stimmen wie der Juniorpartner in dieser Bundesregierung, die Sozialdemokraten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte mit einem Zitat beginnen:
Eine Opposition ist in ihren Qualitäten nicht dann staatserhaltend, wenn sie eine wohlwollende Beurteilung durch die Bundesregierung oder durch ihre Parteien findet. ... Die Opposition ist die Begrenzung der Regierungsmacht und die Verhütung ihrer Totalherrschaft.
Das waren die Worte des Oppositionsführers Kurt Schumacher am 21. September 1949 im Deutschen Bundestag.
Was damals galt, bei einer Stimme Mehrheit, das gilt umso mehr bei der Begrenzung der Regierungsmacht einer so genannten großen Koalition. Gerade in Zeiten einer großen Koalition kommt auch auf die Opposition eine besondere Verantwortung zu. Diese werden wir wahrnehmen.
Die Macht einer Regierung leitet sich nicht von der Zahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag ab. Macht ist in der Demokratie eine Frage des Vertrauens und der Anerkennung durch die Bürgerinnen und Bürger. In punkto Vertrauen und Anerkennung muss sich die so genannte große Koalition ihren Namen erst noch verdienen.
Ich glaube auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird nicht aufgehen, wenn die Bundeskanzlerin aus der Not eine Tugend machen will, nach dem Motto: Zu großen Schritten ist die große Koalition nicht fähig, deswegen sind kleine Schritte in Wahrheit die klügste Lösung. - Das, was Sie machen, bleibt eine Politik der Trippelschritte,
auch wenn Sie das rhetorisch verbrämen. Das ist in Zeiten der Globalisierung für Deutschland zu wenig.
Manche Regierungsmitglieder haben darum gebeten, dass der neuen Bundesregierung eine faire Chance zu geben sei. So soll es auch sein. Aber auch eine Schonfrist für die ersten 100 Tage bedeutet nicht, dass sich die Opposition einer Bewertung der Entscheidungen in diesem Zeitraum enthält. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben mit dieser Regierung eine Chance, wenn Sie Ihren inneren Überzeugungen folgen. Wenn Sie über diese Koalitionsvereinbarung des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht hinausgehen, dann wird diese Bundesregierung vor der Geschichte genauso scheitern, wie Rot-Grün gescheitert ist.
Es reicht nicht aus, hier zu sagen: „Mehr Freiheit wagen!“ Es müssen auch die Taten folgen,
bei der Gesundheitspolitik, bei der Forschung, bei der Steuerpolitik. Steuern zu erhöhen heißt nicht, mehr Freiheit zu wagen. Steuererhöhungen sind ein Stück mehr Unfreiheit für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
Was jetzt nötig ist, das schreibt der Sachverständigenrat in seinem Herbstgutachten von vor wenigen Wochen:
Erstens. Die Eingriffe des Staates sollen zugunsten von mehr marktwirtschaftlichen Elementen und von mehr Eigenverantwortung zurückgeführt werden. - Diese Regierung hingegen vertraut auf den teuren und wohlwollenden Staat.
Zweitens. Der Staat muss sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. - Diese Regierung hingegen verwechselt den schlanken noch immer mit dem schwachen Staat.
Drittens. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen sollte alleine über die Ausgabenseite erfolgen, indem konsumtive Ausgaben gekürzt werden. - Sie hingegen beschließen in diesem Koalitionsvertrag das größte Steuererhöhungsprogramm in der Geschichte unserer Republik.
Viertens. Die Abgabenlast von Haushalten und Unternehmen darf nicht steigen, sondern sie muss mittelfristig zurückgeführt werden. - Sie hingegen stopfen mit dem Abbau von Steuervergünstigungen die Haushaltslöcher, anstatt die Steuersätze damit zu senken.
Fünftens. Die Arbeitsanreize müssen stärker werden. Dies erfordert Änderungen in der Steuer- und Sozialpolitik. - Ihre Regierung hingegen klammert, angefangen bei den betrieblichen Bündnissen bis hin zur Gesundheitsreform, das Entscheidende unverändert aus.
Auch der ehrliche Hinweis, man sei sich da und dort nicht einig, ändert nichts an Ihrer Verantwortung. Das Eingeständnis einer Regierung, dass sie hier und dort nicht weiterkommt, weil man sich nicht einig ist, ist für die Betroffenen in keiner Weise tröstlich, wenn die Krankenkassen- und Rentenbeiträge weiter steigen, wodurch die Lohnzusatzkosten nach oben gehen, wenn die Steuerlast entsprechend angehoben wird und wenn es keine betrieblichen Bündnisse gibt. Sie sagen, Sie seien sich in der Energiepolitik einig, mit Ausnahme der Kernenergie. Ja, wenn man sich bei der Kernenergie nicht einig ist, dann kann man weiß Gott nicht von Einigkeit im Grundsatz bei der Energiepolitik sprechen.
Der Bundespräsident hat in seiner ersten Rede in diesem Jahr das Motto „Arbeit hat Vorfahrt“ ausgegeben. Die Koalitionsvereinbarung gibt vielem Vorfahrt - manch Sinnigem und manch Unsinnigem -, nur der Arbeit eben nicht. Durch Steuererhöhungen sowie durch Einmalerlöse wollen Sie von 2006 bis 2009 - an dem, was gedruckt wurde, muss man sie messen - 150 Milliarden Euro mehr einnehmen. Die echten Minderausgaben sollen in diesem Zeitraum aber nur 15 Milliarden Euro betragen. Hier geht es nur noch um die Finanzierung des „Weiter so!“. Wie man bei einer Einnahmeverbesserung von 150 Milliarden Euro und gleichzeitiger Ausgabenkürzung von 15 Milliarden Euro, also bei einem Verhältnis von zehn zu eins, von einer sparsamen Regierung reden kann, bleibt das Geheimnis manchen Kommentators.
Das komplizierte Steuersystem wird nicht vereinfacht. Die Sozialversicherungssysteme werden weder mutig noch grundsätzlich reformiert, stattdessen wird mehr Geld hineingegeben.
Die letzte Regierung ist doch nicht an dem gescheitert, was sie getan hat, die letzte Regierung ist zuerst an dem gescheitert, was sie nicht getan hat, an dem Hin und Her und an der eigenen Zögerlichkeit. Das darf sich nicht wiederholen. Deswegen ist es übrigens auch beunruhigend, dass Sie gleich in der ersten Regierungserklärung um Verständnis für das Prinzip Nachbessern und die Trippelschritte bitten.
Diese große Koalition ist eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners. Der kleinste gemeinsame Nenner regiert Deutschland. Mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner lassen sich in Deutschland aber weder Aufbruchstimmung noch ein Neuanfang bewirken.
Das, was ich Ihnen hier sage und vortrage, ist ja nicht die Einzelmeinung einer böswilligen Opposition oder von schlecht gelaunten Journalisten. Ich möchte ein paar Zitate in diese Debatte einführen.
Erstes Zitat:
Mit der großen Koalition kann sich nichts Tiefgreifendes ändern ... Das ist völlig ausgeschlossen.
Das sagt nicht etwa Herr Kollege Gysi, das sagt Roland Koch.
Nächstes Zitat:
Deutschland bekommt eine große Koalition, die zur Lösung der jetzigen Aufgaben eigentlich nicht geeignet ist.
Das sagt nicht etwa Frau Künast, sondern das sagt Günther Oettinger.
Zitat:
Es bleibt der Eindruck, dass die Union wenige Tage nach der Wahl das Gegenteil zu allem sagt, was sie früher für richtig gehalten hat ... Für die Steuerpolitik können Sie sagen: So viel SPD war nie.
Das sagt nicht etwa Hermann Otto Solms, das sagt Friedrich Merz. Den wird man in diesem Hause ja noch zitieren dürfen.
Sie haben darum gebeten, dass die Regierung eine faire Chance bekommt. Aber auch die Opposition bittet um eine faire Chance, nämlich darum, dass die große Koalition als Regierung nicht gleich auch noch die Aufgaben der Opposition mit erledigen will. Das würde uns nämlich nicht voranbringen.
Das Wahlergebnis hat zwei zusammengebracht, die nicht zusammenkommen wollten. Aber das allein kann nicht alles rechtfertigen.
Was vor der Wahl grundfalsch war, kann nach der Wahl nicht grundrichtig sein. Ich zitiere hier den Herrn Kollegen und Vizekanzler Müntefering, der noch im August dieses Jahres wörtlich gesagt hat:
So, wie die Wirtschaftslage bei uns ist, ist es ein völlig falscher Weg, den Binnenmarkt durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu belasten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, im Wahlkampf haben Sie in jeder Stadt Deutschlands ein Plakat aufgehängt, auf dem es hieß: „2 % Merkelsteuer auf alles“. Jetzt kommen nicht nur 2 Prozent Merkel-Steuer, sondern obendrauf noch 1 Prozent Münte-Steuer. Das ist die Lage in diesem Lande.
Es ist nicht einmal politik- oder kompromisstheoretisch nachvollziehbar, wie Sie zu diesem Ergebnis gekommen sind. Wenn man Verträge schließt, ist es normalerweise so, dass man sich dann, wenn der eine die eine Meinung und der andere eine andere Meinung vertritt, in der Mitte trifft. - Nicht so bei der großen Koalition! Die Union sagt: „2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung!“, die SPD sagt „Keine Mehrwertsteuererhöhung!“ und dann trifft man sich mutig bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozent. Das ist wirklich nur noch peinlich.
Weil Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, an dieser Stelle mit Fröhlichkeit über Ihre Verlegenheit hinwegtäuschen wollen, möchte ich Ihnen eines sagen: Wenn wir aus Koalitionsverhandlungen nicht mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozent, sondern um gleich 3 Prozent herausgekommen wären, kann ich nur erahnen, welchen Tanz Sie in diesem Haus aufgeführt hätten. Dagegen sind wir richtig zurückhaltend.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, weil Sie jetzt ebenfalls Ihre Fröhlichkeit entdeckt haben, möchte ich auf Folgendes aufmerksam machen: In der Kabinettssitzung gestern hat man sich auf die Streichung der Eigenheimzulage verständigt. Ich erinnere mich an Debatten in diesem Hause, bei denen wir von der rechten Seite dieses Hauses alle gemeinsam gesagt haben: Ja, die steuerlichen Ausnahmetatbestände müssen gestrichen werden, aber sie dürfen nicht für das Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden, sondern sie müssen in die Senkung der Steuersätze investiert werden, sonst ist das für die Bürgerinnen und Bürger unterm Strich eine fette Steuererhöhung. - Genau das tun Sie jetzt. Nicht Freiheit und Vorfahrt für Arbeit diktieren Ihre Politik, sondern es wird eine Politik nach Kassen- und Haushaltslage gemacht. Weil Sie sich an echte Strukturveränderungen nicht heranwagen und Sie sich nicht einig sind, müssen diese Verträge bei Ihnen zulasten Dritter geschlossen werden, nämlich zulasten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
Übrigens: Ein Musterbeispiel für das, was in Zeiten einer großen Koalition einem Kampf von David gegen Goliath gleicht, war die erste Pressekonferenz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Da stellen sich Bundeskanzlerin und Vizekanzler auf der Bundespressekonferenz hin und erzählen vor einigen Hundert Journalisten, wie stolz sie seien, dass sie sich einig geworden sind. Im selben Atemzug verkünden sie, sie hätten nicht einmal mehr die Absicht, den nächsten Haushalt verfassungskonform aufzustellen, sich also ans Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu halten. - Dieses Vorhaben ist - Sie müssen schon selber nicken, weil Sie wissen, dass ich Recht habe - Gott sei Dank von vielen Kräften und auch von der Opposition verhindert worden. Jetzt müssen Sie den Weg des Grundgesetzes gehen. Darüber freuen wir uns. Das zeigt auch, dass David im Kampf gegen Goliath nicht machtlos ist.
Sie sagen, man müsse von den Bürgern viel verlangen. Das ist zwar richtig, aber wenn man Menschen für einen Weg gewinnen will, dann muss die Politik auch mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn man Zivildienst- und Wehrdienstleistenden das Weihnachtsgeld in Höhe von 172 Euro streichen will,
dann passt das nicht mit der Erhöhung der Zahl der Minister und Staatssekretäre zusammen.
Wenn eine Bundesregierung von allen Deutschen Sparsamkeit verlangt, dann ist eine Regierung mit 70 Mitgliedern überdimensioniert. Ein Ministerium, zwei Bundesminister und drei Parlamentarische Staatssekretäre mehr - wer so handelt und redet, der trinkt selber Wein und predigt der Bevölkerung Wasser. Auch das passt nicht zur Glaubwürdigkeit einer neuen Zeit, die Sie angemahnt haben.
Wir brauchen eine Politik, die konsequent auf Wachstum und Reformen statt auf ein „Weiter so“ setzt. Wir haben heute in einem Antrag zum wiederholten Male in diesem Hause darauf hingewiesen, dass Steuersenkung und Steuervereinfachung zusammengehören und dass die Finanzierung entsprechender Maßnahmen auch möglich ist.
Es war übrigens eben eine drollige Begegnung, als sich die Bundeskanzlerin dankbar an die Herren Ministerpräsidenten gewandt und bemerkt hat, wie schön es doch sei, dass sie auf ihren Anteil an der Mehrwertsteuer verzichtet hätten. Aber der deutschen Öffentlichkeit sei dann auch die komplette Wahrheit genannt: Bei 1 Prozent der Einnahmen verzichten die Länder - pfiffig und auch raffiniert, wie sie sind - auf ihren Anteil; bei den 2 Prozent langen sie natürlich genauso zu. Nicht, dass sich in der deutschen Öffentlichkeit ein falscher Eindruck durchsetzt: Dort auf der Länderbank sitzt nicht Mutter Teresa; die Ministerpräsidenten haben vielmehr ihre Interessen - auch die finanzpolitischen - eiskalt ausverhandelt. Das will ich an dieser Stelle festhalten.
- An dieser Stelle auch Sie nicht, Herr Platzeck.
Die Konjunktur zieht nur dann an, wenn auf dem Arbeitsmarkt positive Signale gesetzt werden. Was Sie für die Probezeit vereinbart haben, ist zu wenig. Wir haben gemeinsam regelmäßig über die betrieblichen Bündnisse und die Notwendigkeit des Aufbruchs der Tarifkartelle gesprochen. Leider haben Sie selber heute eingestanden: Können wir nicht, schaffen wir nicht!
Die Reform der sozialen Sicherungssysteme ist nicht nur nötig, sondern auch möglich. Das haben wir gerade heute gesehen, da die Rente zum ersten Mal überhaupt nur noch unter Inanspruchnahme eines Überbrückungsgelds ausgezahlt werden kann. In Wahrheit haben wir bei der Rente noch eine Schwankungsreserve - die eiserne Reserve - von zwei Tagen.
Was das Gesundheitswesen angeht, wissen wir, dass die Kassen zum 1. Januar die Beiträge erhöhen wollen. Sie aber sagen uns hier: Wir werden uns im nächsten Jahr mal wegen der Gesundheitspolitik zusammensetzen; das konnten wir gemeinsam leider nicht schaffen. - Das ist für Deutschland zu wenig!
Sie haben ausgeführt, dass wir eine Qualifizierungs- und Technologieoffensive brauchen. Darin unterstützen wir Sie, insbesondere, wenn Sie bei der Biotechnologie Fortschritte erzielen. Auch bei der Grünen Gentechnik werden Sie uns an Ihrer Seite haben.
Ich betone auch ausdrücklich: Es ist richtig, dass Sie sich eine neue Allianz der Familien- und Bildungspolitik zum Ziel gesetzt haben. Auch wir sind der Überzeugung, dass die Globalisierung in erster Linie im Wettbewerb der Bildungssysteme entschieden wird.
Sie sagten aber auch, wir bräuchten ein anderes Klima in Deutschland, keine Neidgesellschaft; Spitzenleistungen müssten anerkannt werden. Sie haben aber gerade das glatte Gegenteil beschlossen: Nachdem zum 1. Januar der Spitzensteuersatz gesenkt worden ist, wird er jetzt, wenige Monate später, zum Jahresende gleich wieder erhöht. Das Ganze nennen Sie „Erhöhung des Spitzensteuersatzes“. In Wahrheit ist es nichts anderes als die Reichensteuer, wie sie Herr Müntefering mit seiner Heuschreckendebatte in die Diskussion eingeführt hat. Wer eine solche Heuschreckendebatte führt und dann mit einer Reichensteuer darauf antwortet, der sorgt dafür, dass Arbeitsplätze entstehen - in Österreich und anderen Nachbarländern, aber nicht bei uns in Deutschland. Anerkennungskultur heißt auch, Leistungen anzuerkennen, statt sie mit Strafzetteln zu verfolgen.
Wenn Sie beim Bürokratieabbau vorankommen, werden wir Sie dabei begleiten und unterstützen. Wenn aus dem positiven Ansatz des Elterngeldes nicht neue Schulden, sondern neue Chancen für die Kinder entstehen, werden wir diesen Vorschlag unterstützen.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit 400 Anträgen im Deutschen Bundestag gezeigt, dass wir in der Lage sind, konkrete Einsparungen vorzuschlagen und zu vertreten. Wir haben als Liberale eine besondere Verantwortung bei den Themen Bürgerrechte und Rechtsstaat. Diese dürfen in einer großen Koalition nicht unter die Räder kommen. Wir werden dafür sorgen, dass es einen vernünftigen Ausgleich zwischen Bürgerfreiheit und Bürgersicherheit geben wird.
Zum Schluss, meine sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Anwesende, Frau Bundeskanzlerin: Wir, CDU/CSU und FDP, haben am 1. September dieses Jahres, kurz vor der Wahl, beim so genannten Oppositionsgipfel ein gemeinsames Programm vorgelegt. Dieses hatte die Überschrift „Deutschland braucht den Wechsel“ und trägt die Unterschriften von Angela Merkel, Edmund Stoiber und meiner Person. Wir haben damals nicht einen Personalwechsel gemeint, sondern einen Politikwechsel gewollt.
An einem Politikwechsel werden wir weiter arbeiten. Das heißt, dass Privat vor dem Staat kommt und dass die Freiheit unseren Wohlstand besser sichert als jede ideologische Gleichmacherei. Unsere Alternative in diesem Hause ist, auf die Kraft der Freiheit zu setzen.
Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung zu allem ein bisschen und zu jedem etwas gesagt. Aber das ist für Deutschland nicht genug.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
Dr. Peter Struck (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, im Namen der SPD-Fraktion gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Amtsübernahme und wünsche Ihnen und unserem Land eine erfolgreiche Regierungszeit.
Ich danke Ihnen, Frau Merkel, auch für die Anerkennung der wichtigen Reformschritte, die Gerhard Schröder eingeleitet hat. Er hat das Land in schwieriger Zeit erfolgreich gelenkt.
Herr Kollege Kauder, der Beifall in Ihren Reihen, als Frau Merkel Herrn Schröder gelobt hat, war ein bisschen schwach.
Sie müssen noch einiges lernen. Aber ich gebe zu, dass es auch für uns eine ungewohnte Situation ist, Frau Merkel Beifall zu zollen. Wir werden das im Laufe der Zeit noch lernen.
Frau Merkel, Ihre Regierungserklärung ist ein solider Grundstock, auf den wir in den nächsten vier Jahren setzen können. Meine Fraktion wird mit dem für Parlamentarier notwendigen Selbstbewusstsein dazu beitragen, dass es vier erfolgreiche Jahre für Deutschland werden.
Deutschland genießt bei unseren Nachbarn und Partnern hohes Ansehen. Dazu hat Gerhard Schröder entschieden beigetragen. Deutschland ist ein verlässlicher Partner. Als jemand, der zuletzt für einen wichtigen Teil der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Verantwortung getragen hat, weiß ich, wovon ich rede. In den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik hat es schon in der Vergangenheit eine große Übereinstimmung zwischen uns gegeben, übrigens auch mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion. Ich denke dabei an die gemeinsame Verantwortung für die Friedenseinsätze der Bundeswehr und - anknüpfend an Ihre Bemerkung, Frau Merkel, und an die des Kollegen Westerwelle - die Hilfen für den Irak, die fortgesetzt werden müssen. Unser Land darf sich einer Erpressung nicht beugen.
Herr Westerwelle, es war ja zu erwarten, dass Sie gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung argumentieren werden. Ich hätte mir ebenfalls eine andere Lösung gewünscht. Aber Koalitionsverhandlungen sind keine „Wünsch dir was“-Veranstaltungen. Das hätten auch Sie übrigens gemerkt, wenn Sie die Chance gehabt hätten, Koalitionsverhandlungen zu führen. Aber der Wähler hat Ihnen diese Chance nicht gegeben.
Die Mehrwertsteuer wird erst 2007 erhöht und nicht schon nächstes Jahr, wie im Wahlprogramm der Union angekündigt. Das hat den Vorteil, dass im kommenden Jahr der Aufschwung nicht gestört wird und die eine oder andere Anschaffung vielleicht im kommenden Jahr vorgezogen wird. Die Grundnahrungsmittel bleiben bei der Mehrwertsteuererhöhung außen vor; das sollten wir festhalten. Es bleibt bei 7 Prozent. Es wird keine Erhöhung in diesem Bereich geben. Wir müssen die Handlungsfähigkeit des Staates wiedergewinnen. Dazu muss die Einnahmebasis verbessert werden. Das ist völlig unstrittig. Ein Teil der Mehrwertsteuererhöhung wird natürlich den Bürgern durch die niedrigeren Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zurückgegeben und die Lohnnebenkosten können so gesenkt werden.
Seit einer Woche ist die Bundesregierung im Amt. Es ist die zweite große Koalition in der Geschichte unseres Landes. Die zweite nicht nur in zeitlicher Reihenfolge, auch in ihrer Größe lassen die Wähler der Opposition mehr Platz. Bei der ersten großen Koalition gab es mit der FDP-Fraktion eine relativ kleine Opposition.
Geschichte wiederholt sich nicht. Die große Koalition Merkel/Müntefering lässt sich nicht eins zu eins auf Kiesinger/Brandt übertragen. Dennoch bin ich überzeugt: So wie die erste große Koalition Deutschland gut getan hat, wird dem Land auch die zweite große Koalition gut tun.
Wir wollen ihren Erfolg, so wie Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt seinerzeit diesen Erfolg wollten. Damals wie heute gilt Willy Brandts Forderung an das Bündnis der Volksparteien: nicht die heiligen Kühe der anderen schlachten, sondern immer den größten gemeinsamen Nenner suchen, weil - so hat Willy Brandt das damals gesagt - die Koalition zum Erfolg werden soll, zum Erfolg werden muss.
Die große Koalition ist auch deshalb gut, weil die Reformblockade im Bundesrat aufgelöst wird und Bund und Länder Deutschland endlich gemeinsam reformieren können. Wir wären schon ein gutes Stück weiter, wenn der Bundesrat nicht wichtige Entscheidungen seinerzeit über Jahre hinweg blockiert hätte.
Aber das ist jetzt Geschichte und jetzt gilt es etwas Gutes aus dieser neuen Konstellation zu machen. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben.
Der Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss, kein fauler, sondern ein fairer Kompromiss.
Wir alle haben uns zurückgenommen, damit das Land vorankommt. Wir alle sind für den ganzen Koalitionsvertrag verantwortlich. Keiner kann sich nur die Rosinen herauspicken.
Diese neu gewählte Bundesregierung ist eine Arbeitsregierung, eine Koalition des Machbaren. Das wird schon am Umfang des Koalitionsvertrages deutlich. Von A wie Arbeitsmarktreform bis Z wie Zölle werden die Handlungsfelder beschrieben. Das mag dem einen oder anderen nicht sexy genug sein. Vielleicht wird auch die große Linie vermisst.
Aber Politik muss immer praktisch und konkret für die Menschen sein.
Es geht uns in der Koalition darum, die Probleme des Landes zu lösen, den Menschen ein besseres Leben zu bescheren und Deutschland in eine gute Zukunft zu führen.
Kurz gesagt: Es geht um ehrliche und solide Arbeit, ohne Schnörkel und ohne Schleifchen. Die Umsetzung dieses Koalitionsvertrages verlangt Disziplin und Verlässlichkeit. Die Art und Weise, wie vor allem Frau Merkel und Franz Müntefering den Vertrag ausgearbeitet haben, hat Vertrauen geprägt, das für die nächsten vier Jahre unser Verhältnis bestimmt.
Die neue Bundesregierung steht vor großen und wichtigen Weichenstellungen für die Entwicklung unseres Landes. Sie kann dabei auf dem Fundament aufbauen, das die alte Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder gelegt hat. Mit der Agenda 2010 wurden wichtige und richtige Entscheidungen getroffen. Daran werden wir in unserer Arbeit anknüpfen. Wir bekennen uns nachdrücklich zur Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der Grundsicherung für Arbeitssuchende.
Alle Arbeitssuchenden erhalten eine Chance. Bislang wurden junge Menschen, die noch nie gearbeitet haben, und Menschen, die sehr lange arbeitslos waren, auf ein Abstellgleis geschoben. Sie bekamen zwar Geld, aber es gab keine Regelung, wie sie wieder Arbeit finden konnten. Seit dem 1. Januar ist das anders. Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger nehmen wieder an der Arbeitsvermittlung teil. Auch das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.
Es gibt Hilfe aus einer Hand. Mit der Zusammenlegung der sozialen Systeme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hat jeder größere Chancen und auch einen neuen persönlichen Ansprechpartner. Arbeitssuchende sind keine Nummern mehr. Es wird sich intensiv um sie gekümmert. Ein Betreuungsschlüssel von 1 : 75 für Jugendliche und junge Erwachsene ist bereits nahezu überall verwirklicht. Das ist auch ein Erfolg der Maßnahmen, die seit 1. Januar dieses Jahres wirken.
Natürlich ist die Frage der Arbeitsmarktreform heftig umstritten gewesen. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen darüber diskutiert. Wir müssen ein solch komplexes und umfangreiches Reformvorhaben flexibel anpassen und verbessern. Daher werden wir verschiedene Maßnahmen optimieren und Missbrauchsmöglichkeiten einschränken.
Wir beginnen die Arbeit nicht an einem Nullpunkt. Die SPD-geführte Bundesregierung hat wichtige Impulse für die Reform des Landes gegeben - zusammen mit unserem damaligen Koalitionspartner Die Grünen, dem ich unseren Respekt aussprechen möchte.
Wir wollen Sie nicht vergessen.
Wir werden am Pakt für Ausbildung festhalten und dazu beitragen, dass kein junger Mensch von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit fällt. Die neue Bundesregierung wird den Weg beim Abbau von Steuersubventionen und Steuervergünstigungen fortsetzen und darf dabei auch auf die Unterstützung des Bundesrates hoffen. Wir werden die 4 Milliarden Euro für das Ganztagsschulprogramm bis Ende der Legislaturperiode zur Verfügung stellen.
Auch das Tagesbetreuungsausbaugesetz, abgekürzt TAG - das muss ich erst einmal lernen -
- vielen Dank -, das eine bessere Betreuung der unter dreijährigen Kinder gewährleistet, wird weiterentwickelt.
Außerdem halten wir am Ausbau der erneuerbaren Energien fest.
Wir werden dafür sorgen, dass deren Anteil erhöht wird. Wenn wir das Ziel erreichen, Herr Kollege Kauder, dass bis zum Jahre 2010 der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bei mindestens 12,5 Prozent liegt, dann brauchen wir uns über die Kernenergie nicht mehr zu streiten und dann können Sie das vergessen, was Sie bisher wollten. Einverstanden?
Die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre war erfolgreich. Sie festigt und stützt nachhaltig den Wachstumskurs der deutschen Wirtschaft, die im dritten Quartal 2005 kalenderbereinigt um 1,4 Prozent gewachsen ist. Der deutsche Sachverständigenrat hat die alte Bundesregierung für die wichtigen und weit reichenden Reformen ausdrücklich gelobt. Dazu hat Holger Schmieding, Chefvolkswirt Europa der Bank of America, gesagt: „Die Wirtschaft steht am Anfang eines klassischen Aufschwungs.“ Wir werden diesen Aufschwung befördern, und zwar mit unseren Maßnahmen, die wir in der Koalition vereinbart haben.
Ein nicht geringer Teil unserer Probleme in der Vergangenheit ist der gegenseitigen Blockade von Bundestag und Bundesrat geschuldet. Ich freue mich, dass Matthias Platzeck da ist, auch wenn er nicht derjenige ist, den ich ansprechen möchte. Die anderen, die damals blockiert haben, sind leider schon weg. Insofern muss ich ihm mitgeben: Sie sind nicht gemeint, Herr Ministerpräsident, wenn ich das sagen darf.
Unsere Aufgabe wird es sein, die Handlungsfähigkeit des Staates neu sicherzustellen und diesen Missstand zu beseitigen. Es geht darum, Entscheidungen schneller zu treffen und Zuständigkeiten klarer zu regeln. Da sind wir uns mit der Opposition doch einig. Deshalb ist die Reform der föderalen Ordnung nicht nur eine Spielwiese der Verfassungsjuristen, sondern von zentraler Bedeutung für die Handlungsfähigkeit des Staates. Wenn wir die Änderungen bis zur Jahresmitte im Gesetzblatt stehen haben, dann sind wir ein großes und wichtiges Stück weiter, dann können wir auf die Reform der föderalen Ordnung stolz sein.
Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe von Meldungen über die Frage gelesen, wie lange diese Koalition halten soll. Manche fragen sich, ob das Ganze wirklich vier Jahre hält. Dieses Bündnis ist aus meiner Sicht eine ganz solide Sache, eine solide Vereinbarung.
Wir wollen in dieser Legislaturperiode zusammenarbeiten, und zwar für volle vier Jahre. Dann entscheiden die Wähler neu.
Ich jedenfalls werde gemeinsam mit Volker Kauder - wenn der jetzt zuhört; das muss er noch lernen - -
- Ich wiederhole den Beginn meines Satzes: Ich jedenfalls werde in diesen vier Jahren mit Volker Kauder gemeinsam alles tun, um die Koalitionsfraktionen in die Lage zu versetzen, diesem Bündnis zu einem Erfolg zu verhelfen.
Das heißt, dass die Fraktionen selbstbewusst alles das prüfen werden, was die Regierung vorlegt. Die Regierung weiß das. Dafür ist das Parlament da. Frau Bundeskanzlerin, es ist so, dass nicht alles, was Sie wünschen, vom Parlament auch so beschlossen wird.
Es gilt nach wie vor das alte strucksche Gesetz: Kein Gesetz kommt so raus, wie es hier reingekommen ist. - Dafür sind wir da.
Aber natürlich stehen wir zu unseren Verpflichtungen im Koalitionsvertrag. Mit diesem Koalitionsvertrag haben wir ein gutes Beispiel gegeben. Wir haben uns bewegt. Die Volksparteien sind aus den Gräben herausgekommen. Das reicht aber nicht. Auch die gesellschaftlichen Gruppen, die Verbände, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften, müssen aus den Gräben heraus, genauso wie wir aus den Gräben herausgekommen sind. Das Land braucht den offenen Dialog.
Das Land braucht auch die Bereitschaft, Eigeninteressen hintanzustellen. Die Summierung von Lobbyinteressen macht noch nicht das Gemeinwohlinteresse aus.
Wir werden und können uns nicht jeder Gruppe mit ihren Wünschen beugen. Jeder muss in diesem Dialog Verantwortung übernehmen. Niemand sollte sich auf die Zuschauerrolle zurückziehen. Wir, SPD, CDU und CSU, können den gesetzlichen Rahmen für mehr Arbeit und Beschäftigung schaffen, aber andere müssen bereit sein, ihn zu nutzen. Wir wollen Fortschritt für unser Land und wir laden alle ein, diesen Weg mit uns zu gehen. Er wird ein Erfolg für Deutschland.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke, das Wort.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Geiselnahme verbietet jede Polemik. Wir alle haben von diesem schrecklichen Ereignis gestern erfahren. Wir drücken unsere Hoffnung aus, dass es Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und der gesamten Regierung gelingt, wenigstens das Leben dieser beiden zu retten, nachdem im Irak schon so viele sinnlos getötet worden sind. Es wäre ungeheuer wichtig, das Leben unserer Mitbürgerin und ihres Kraftfahrers zu retten.
Aber natürlich lohnt es sich in diesem Zusammenhang - nicht nur in diesem, sondern auch in jedem anderen -, über Außenpolitik zu streiten, weil es unterschiedliche Ansätze in unserer Gesellschaft gibt. Wir stehen vor der Tatsache, dass die Bundesregierung ihr Verhältnis zum Völkerrecht und zum Krieg klären muss.
Es ist von den USA - nicht nur von den USA, auch in unserem Land - immer wieder erklärt worden, man müsse einen Krieg gegen den Terror führen. Ich habe festgestellt: Der Krieg, der da geführt wird, egal wo, führt nicht zu weniger Terror, sondern zu mehr Terror. Wir müssen raus aus dieser Spirale der gegenseitigen Gewalt.
Das Verhältnis der Regierung Schröder/Fischer war diesbezüglich nicht bestimmt, nicht klar. Sie hat das Völkerrecht beim Jugoslawienkrieg verletzt. Sie hat dann beim Irakkrieg auf dem Völkerrecht bestanden. Deshalb sage ich: Wir brauchen hier ein klares Verhältnis. Das muss ein Ja zum Völkerrecht sein;
denn nur das Völkerrecht kann die Macht der USA in gewissen Grenzen beschneiden, kann die USA einschränken.
Wir haben noch einen zweiten Kampf der USA. Wir haben eine Weltwirtschaft. Also gibt es auch eine Weltpolitik. Die Frage ist: Wer macht Weltpolitik, die UNO oder die USA? Das ist die Auseinandersetzung, die gegenwärtig geführt wird. Dazu sage ich: Unsere Regierung - Sie, Frau Bundeskanzlerin - muss sich für die Geltung des Völkerrechts einsetzen. Das bedeutet dann aber auch, dass man in schwierigen Situationen, wie damals in Jugoslawien, zum Bruch des Völkerrechts Nein sagt.
Die USA negieren das Völkerrecht, wie wir das beim Irakkrieg erlebt haben. Sie haben noch eine andere Schwierigkeit: Das ist ihr eigenes inneres Recht.
Das kann auch Präsident Bush nicht so schnell ändern; denn es ist über Jahrzehnte entstanden und gewachsen. Die Gefangenenlager, die sie auf Guantanamo, in Kuba und, wie wir jetzt erfahren, auch in anderen Ländern eingerichtet haben, dienen dem Zweck, ihr eigenes Recht gegenüber den Gefangenen nicht gelten zu lassen. Das ist dreist!
Dass, wie man jetzt hört, auch deutsche Flughäfen zu diesem Zweck missbraucht worden sind, ist ein starkes Stück. Entschuldigen Sie, dass ich meine Zweifel habe, wenn die Regierung sagt, sie habe davon nichts gewusst. Bei der hohen Sicherheit auf unseren Flughäfen kann ich mir nicht vorstellen, wie so etwas heimlich funktionieren soll, sodass eine Regierung davon nichts erfährt. Aufklärung ist dringend geboten.
Ich habe gesagt, dass das Völkerrecht auch dazu dient, die Macht der Stärksten zu begrenzen. Wenn das so ist, brauchen wir in dieser Situation gegenüber Präsident Bush starke, klare und deutliche Worte statt Zurückhaltung.
Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, zusammen mit Herrn Müntefering einen Koalitionsvertrag vorgelegt. Ich glaube, es wird leider eine große Koalition zur Verschärfung statt zur Lösung ökonomischer, arbeitsmarktpolitischer, sozialer und kultureller Probleme in unserer Gesellschaft. Verschärft setzen Sie den falschen Kurs der SPD/Grünen-Regierung fort.
Sie, Herr Struck, haben eben davon gesprochen, dass es eine erfolgreiche ökonomische Politik gegeben habe. Aber 5 Millionen Arbeitslose sind der Beweis dafür, dass die Politik nicht erfolgreich war.
Im Mittelpunkt Ihres Koalitionsvertrages steht die Haushaltskonsolidierung, mit der Sie allerdings erst 2007 anfangen wollen, weil Sie hoffen, dass 2006 irgendein Aufschwung kommt, der Ihnen nutzen könnte. Ich glaube, solche Tricks funktionieren im Privatleben nicht und sie funktionieren auch in der Politik und der Gesellschaft nicht.
Sie wollen wieder Einsparungen im sozialen und im investiven Bereich vornehmen. Damit sparen Sie die Gesellschaft kaputt.
Sie haben zu Recht, Frau Bundeskanzlerin, auf die Chancen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Staatssozialismus hingewiesen. Damit waren Chancen verbunden; das stimmt. Aber wir können doch nicht leugnen, dass es Vertreterinnen und Vertreter des Kapitals gibt, die seitdem denken, der Sozialstaatskompromiss sei vorbei und sie könnten schrittweise zurück zum Turbokapitalismus. Dagegen muss sich die Politik doch wehren. Selbst die Union hätte, wie ich meine, sagen müssen: Das Primat der Politik auch über Wirtschaftsinteressen ist und bleibt uns wichtiger. - Erst recht hätte das die Sozialdemokratie sagen müssen. Aber Sie haben es nicht gesagt.
Welchen Weg ist die vorherige Regierung gegangen? Sie haben die Körperschaftsteuer von 42 Prozent auf 25 Prozent gesenkt. Die Kapitalgesellschaften haben sich wie verrückt gefreut. Natürlich fehlten Milliarden im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland. Die drittgrößte Einnahmequelle Deutschlands haben Sie so geschröpft, dass noch zwei Jahre ausgezahlt werden musste. - Das ist übrigens damals auch von der Union kritisiert worden. - Erst danach waren allmählich wieder Einnahmen zu verzeichnen, aber viel schwächer als vorher.
Sie haben die Veräußerungsgewinnsteuer abgeschafft. „Veräußerungsgewinnsteuer“ klingt kompliziert. Wenn eine Kapitalgesellschaft etwas verkauft, erzielt sie einen Kaufpreis. Auf dieses Geld muss sie eine Steuer bezahlen - bzw. musste sie unter Kohl. Die SPD hat diese Steuer völlig abgeschafft und dafür die Steuern bei den Handwerkern verdoppelt. Das war ihre ökonomische Politik.
Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer - ich bitte Sie! - von 53 Prozent auf 42 Prozent, also um 11 Prozentpunkte, gesenkt, so stark wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das sind übrigens 11 Milliarden Euro Einnahmen weniger pro Jahr. Das ist eine ganze Menge, die man da so einfach an die Besser- und Bestverdienenden weggibt. Und was machen Sie dann? Dann stellen Sie sich vor die Kranken, Alten und Arbeitslosen hin und sagen: Es tut uns furchtbar Leid, aber wir haben kein Geld und müssen bei euch sparen. - Das ist unredlich, unfair und nicht solidarisch.
Auch die Reallöhne sind in Ihrer Regierungszeit gesunken; das muss man ebenfalls sehen.
Diese Politik will die neue Regierung nun fortsetzen. Ich weiß, dass auch die FDP Anhänger dieser Politik ist, sogar noch konsequenter als die Regierung. Aber ich glaube, das Ganze geht in eine völlig falsche Richtung. Wir setzen etwas anderes dagegen: Nur steigende Reallöhne, nur mehr soziale Gerechtigkeit führen auch zu einer wirtschaftlichen Belebung; denn unsere Binnennachfrage ist eine Katastrophe und muss gestärkt werden. Dass wir Exportweltmeister sind, nutzt den Arbeitslosen gar nichts.
Sie haben gesagt, Sie wollen eine Unternehmensteuerreform machen; wir erfahren aber erst 2007, welche. Da darf man ja sehr gespannt sein. Mal sehen, ob Sie die Gewinne, die im Unternehmen bleiben, anders behandeln als die, die herausgenommen werden.
Es gäbe da viele Möglichkeiten, was man verbessern könnte. Wir werden es abwarten.
Wir begrüßen Ihre neuen Abschreibungsvorstellungen. Sie enthalten etwas Positives.
- Wir können durchaus lesen. - Ich sage Ihnen aber auch, dass Sie nicht den Mut haben, auch nur von einem Konzern in Deutschland 1 Euro mehr Steuern zu verlangen. Das zeigt das klägliche Verhalten der Politik gegenüber der Wirtschaft. Das ist nicht hinnehmbar. So kommen wir mit dieser Bundesrepublik nicht weiter.
Es wird immer behauptet, wir hätten die höchsten Quoten. Ich habe mir einmal die Zahlen angesehen. Die Steuerquote im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt beträgt 20 Prozent. Damit liegen wir als eines der wirtschaftlich stärksten Länder auf dem vorletzten Platz in Europa. Geringere Steuern hat nur noch die Slowakei. Dann wird gesagt, man müsse auch die Lohnnebenkosten sehen. Also haben wir sie addiert und landen bei 34,6 Prozent. Damit liegen wir, Frau Bundeskanzlerin, auf Platz 16 nach Griechenland, nach Spanien und nach Großbritannien. Das ist doch ein Skandal. So können wir unsere Probleme nicht lösen.
Solidarität erfordert auch, dass die mit mehr Eigentum und mehr Vermögen mehr leisten als andere.
Ich komme zur Vermögensteuer. In Deutschland werden Steuern in Höhe von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf das Vermögen gezahlt. Wissen Sie, was die „Financial Times Deutschland“ geschrieben hat, welche Länder weniger von ihren Reichen verlangen? - Mexiko, Tschechien, Slowakei und Österreich. Für mich sind das keine Vorbilder.
Andere Länder, selbst die USA, verlangen deutlich mehr von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern als wir. Hätten wir die Eigentums- und die Vermögensteuern der USA, hätten wir Mehreinnahmen in Höhe von 50 Milliarden Euro im Jahr. Damit könnte man eine ganze Menge anfangen.
Wie sehen also Ihre Lösungsvorschläge aus? Sie sagen, ab 1. Januar 2007 soll die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht werden. Alle wissen, das belastet die unteren sozialen Schichten und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer viel mehr als andere Schichten. Das ist ökonomisch eine riesige Katastrophe. Ich könnte jetzt alle Argumente der SPD aus dem Wahlkampf wiederholen. Dies war doch Ihr zentrales Wahlkampfthema. Jeder kennt das Plakat, mit dem Sie gegen die „Merkelsteuer“ polemisiert haben.
In Bezug auf den gefundenen Kompromiss hat Herr Westerwelle völlig Recht. Ich dachte in meiner Naivität, dass Sie sich in der Mitte, also auf eine Erhöhung um 1 Prozentpunkt, verständigen würden. Nein, Sie erhöhen die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. Heute sagen Sie sogar, es sei erforderlich und völlig unmöglich, etwas anderes zu tun. Dann sollten Sie wenigstens sagen, dass Sie im Wahlkampf gelogen haben. Denn das ist wirklich ein Wahlbetrug.
Ich habe mir das einmal angesehen: Wenn wir die Steuerquote und die Lohnnebenkostenquote von Frankreich hätten - dort sind es 10 Prozent mehr als bei uns -, dann hätten wir jährlich Mehreinnahmen in Höhe von 220 Milliarden Euro. Ich bitte Sie, eine Sekunde darüber nachzudenken, dass wir über Nullrunden bei Rente, über Kürzungen bei Arbeitslosen und über Zuzahlungen bei Kranken gar nicht diskutieren müssten, wenn wir diese Art von Steuergerechtigkeit in Deutschland einführten.
Lassen Sie mich auch etwas zur Arbeitsmarktpolitik sagen. Wir fanden von Anfang an den Weg bezüglich Arbeitslosengeld II und Hartz IV im Kern, abgesehen von ein paar Einzelumständen, für falsch. Wir haben immer gesagt, dass die dahinter stehenden Ideen falsch sind.
Ich werde von meinem Beispiel nicht abrücken. Ein Ingenieur, der 50 Jahre alt ist und der 25 Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, bekommt ein Jahr lang Arbeitslosengeld I, das nach seinem Einkommen berechnet wird. Nach diesem Jahr bekommt er nur noch einen lächerlichen Betrag in Höhe des Arbeitslosengeldes II. Aber nicht nur das! Der Gesetzgeber verlangt auch noch, dass sein Sparvermögen, seine Altersversorgung, seine Wohnung und sein Auto nur das Niveau wie bei einem Sozialhilfeempfänger haben dürfen. Wenn er darüber liegt, weil er sich den Lebensstandard eines Ingenieurs aufgebaut hat, bekommt er gar nichts. Das darf man Armut per Gesetz nennen. In einer so reichen Gesellschaft wie der unseren ist das nicht hinnehmbar.
Gerhard Schröder hat in einem Punkt Recht gehabt. Er hat im Wahlkampf gesagt, dass gerade die Jungen besser gestellt sind. Das stimmte auch. Die Jungen waren besser gestellt. Aber was vereinbaren Sie jetzt miteinander? Sie vereinbaren, die Besserstellung der Jungen wieder zurückzunehmen, indem Sie sagen, dass es keinen Anspruch bis zum 25. Lebensjahr gibt. Ich möchte, dass wir über folgenden Widerspruch nachdenken. Das Grundgesetz regelt die Volljährigkeit. Im Strafrecht ist festgelegt, ab wann man voll strafmündig ist. Das Zivilrecht regelt, ab wann man zivilrechtlich voll belangt werden kann. Dem 24-Jährigen wird also gesagt, dass er voll verantwortlich ist. Aber wenn er arbeitslos wird, soll er zu Mami und Papi gehen, weil er für Sie sozusagen noch minderjährig ist und Sie für seinen Lebensunterhalt nicht aufkommen wollen. Das ist nicht hinnehmbar. Das ist ein Widerspruch in sich.
Nun haben Sie gesagt, sie wollten beim Arbeitslosengeld II und den übrigen Kosten noch einmal 4 Milliarden Euro einsparen. Folgendes ist ja interessant: Sie haben - das weiß kaum jemand - durch die Bundesagentur für Arbeit eine Art Subventionierung des Bundeshaushalts festgelegt. Sie haben nämlich gesagt: Für all diejenigen, die in dem einen Jahr, in dem sie Arbeitslosengeld I beziehen, nicht vermittelt werden - das sind die meisten -, muss die Bundesagentur 10 000 Euro an den Bund zahlen. Damit kommt er auf eine Einnahme von über 5 Milliarden Euro. Jetzt habe ich gedacht: Da kürzen Sie irgendetwas. Nein, da kürzen Sie natürlich nicht. Auf diese Einnahme bestehen Sie.
Aber Sie wollen 4 Milliarden einsparen. Das geht wieder zulasten der Arbeitslosen, zulasten einer, wie ich meine, völlig falschen Gruppe. Deutlich über 90 Prozent unserer Arbeitslosen wollen arbeiten. Dass es einzelne Ausnahmen gibt, braucht mir niemand zu erzählen; das weiß auch ich. Das ist aber nicht unser gesellschaftliches Problem. Unser gesellschaftliches Problem sind diejenigen, die Erwerbsarbeit - auch zur Wahrung ihrer Würde - wollen und keine reale Chance dazu haben. Daran muss sich etwas ändern.
Jetzt haben Sie noch festgelegt, dass der Rentenbeitrag, der für die Arbeitslosen gezahlt wird, gesenkt wird. Es ist völlig klar: Dann bekommen diese nur Minirenten und wir haben später das Problem der Altersarmut. Das hilft uns doch nicht weiter. Wir verlagern hier ein Problem auf die nächste Generation.
Die Rentnerinnen und Rentner sollen jetzt vier Nullrunden durchmachen. Zwei Nullrunden haben sie schon hinter sich. Es gab sogar erstmalig eine Bruttorentenkürzung und dann eine Nettorentenkürzung durch Beitragserhöhungen. Nullrunden bei Mehrwertsteuererhöhungen und anderen Kostensteigerungen sind natürlich in Wirklichkeit Nettorentenkürzungen - und das sechs Jahre lang; das muss man sich einmal überlegen. Dass Sie in einer Gesellschaft, die so reich ist, in den letzten Jahren ihren großen Konzernen sowie den Besser- und Bestverdienenden alle möglichen Geschenke machen konnten, bei den Rentnerinnen und Rentnern aber sagen: „Wir haben kein Geld“, ist nicht hinnehmbar.
Es soll ja noch die Rentenformel verändert werden und dann wollen Sie das Renteneintrittsalter anheben. Sie wollen das langfristig tun. Sie betonen immer, dass die Menschen älter werden. Das stimmt; den demographischen Faktor sehen auch wir. Warum erwähnen Sie aber nicht einmal, wie sehr die Produktivität gestiegen ist? Daimler-Benz brauchte vor 20 Jahren für einen bestimmten Produktionsgang vier Arbeitskräfte; heute wird dafür nur noch eine Arbeitskraft benötigt. Das heißt, wenn damals vier Arbeitskräfte vier Rentner mit ernähren konnten, müsste das heute angesichts der Produktivitätsentwicklung einer können. Aber die Lohnentwicklung und anderes haben damit nicht Schritt gehalten. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.
Wir sind die einzige große Industriegesellschaft mit einem Rückgang der Reallöhne um 0,9 Prozent in den letzten Jahren. Ich bitte Sie: Selbst in den USA haben die Reallöhne um 15 Prozent zugenommen. In Großbritannien und in Skandinavien sind sie um über 20 Prozent gestiegen. In anderen Ländern - sie mögen sich ansonsten sehr voneinander unterscheiden - gibt es eine völlig andere Entwicklung als in Deutschland. Sie behaupten aber im Ernst, Sie hätten als Einzige Recht und gingen den wahren Weg.
Ich sage Ihnen: Dieser Weg ist auch ökonomisch eine Katastrophe. Ohne eine höhere Kaufkraft und mehr Zuversicht der Bevölkerung wird es keine Rettung für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland geben. Wir werden vielmehr weiter höchste Insolvenzzahlen haben.
Nun gibt es ja seit ewigen Zeiten den Streit zwischen Angebot und Nachfrage. Der Linken wird immer vorgeworfen, sie denke nur an die Nachfrage, und wir werfen den Konservativen immer vor, sie würden nur an das Angebot denken. Es hilft nichts: Man muss einfach beides sehen.
- Nur, Herr Benneter, Ihre liebe Regierung hat über sieben Jahre ausschließlich die Angebotsseite behandelt, statt einmal auch die Nachfrage zu erhöhen, wie es übrigens auch im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen dringend erforderlich gewesen wäre.
Deshalb sage ich Ihnen: Sie werden sich um die Nachfrageseite in Deutschland kümmern müssen, wenn Sie die Wirtschaft stärken und mehr soziale Gerechtigkeit schaffen wollen. Wir machen das nicht aus rein ideologischen Gründen. Wir denken dabei auch ökonomisch; aber wir wollen natürlich - das ist unser Ziel als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten -, dass es den Menschen in dieser Gesellschaft besser geht. Man sollte nicht einerseits Wasser predigen und andererseits Wein trinken. Wir haben gesagt: Wir predigen wenigstens auch Wein.
Das ist der Unterschied. Wir wollen, dass es den Leuten besser geht. Sie wollen das für viele nicht mehr erreichen. Das ist nicht hinnehmbar.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind eine Frau.
- Das ist erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; das wird man doch wohl mal erwähnen dürfen. - Ich hätte mir von Ihnen zwei, drei lohnende Sätze zur Gleichstellungspolitik in dieser Gesellschaft gewünscht.
Ich habe nichts dazu gehört; das finde ich schade.
Sie kommen aus Ostdeutschland. Da hätte ich mir gewünscht, dass Sie das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse Ost und West zumindest nicht aufgeben.
Das steht aber kein einziges Mal im Koalitionsvertrag und Sie haben es auch kein einziges Mal geäußert. Wenn Sie schon nicht sagen können, wann in Ost und West gleicher Lohn für gleiche Arbeit bezogen wird, dann geben Sie doch nicht auch noch das Ziel auf.
Wir erwarten von Ihnen zumindest einen Fahrplan, in dem Sie sagen, in welchen Schritten Sie dieses Ziel erreichen wollen. Alle Verteuerungen, zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer, werden sich im Osten noch verheerender auswirken als im Westen. Das kennen wir von früher. Deshalb muss man darauf hinweisen.
Ich glaube auch, dass wir Investitionen brauchen. Sie sprechen gerne vom Zukunftsfonds. Ich sage Ihnen nur: Eine Schummelei geht nicht. Sie können nicht immer mit Jahresbeträgen operieren, aber, wenn es um den Zukunftsfonds geht, von dem Vierjahresbetrag reden. Es geht um 6 Milliarden Euro pro Jahr; das muss man hinzufügen. Dies ist zumeist Geld, das auch sonst ausgegeben worden wäre, mag es auch vernünftige Investitionen darunter geben. Wenn Sie aber in die Verkehrsinfrastruktur investieren wollen, können Sie nicht gleichzeitig die Zuschläge für Bus und Bahn reduzieren. Damit würden Sie nämlich Ihrem eigenen Programm einen Schlag ins Gesicht versetzen.
Frau Bundeskanzlerin -
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
- ein letzter Satz -, Sie sind wohl für längere Zeit einmalig in Ihrem Amt, sowohl als Frau als auch als Ostdeutsche. Das werden wir nach Ihnen so schnell nicht wieder erleben. Irgendwann müssen Sie aber aufhören, entweder freiwillig oder weil Sie müssen.
Sie sollten sich überlegen, dass es doch dann schön wäre, sagen zu können: Die Gesellschaft ist friedlicher geworden. Die Gleichstellung der Geschlechter ist vorangekommen. Die soziale Gerechtigkeit hat zugenommen. Die Angleichung von Ost an West hat zugenommen. - Wenn Sie all das sagen wollen, müssten Sie allerdings von Ihrem Koalitionsvertrag abgehen und Ihre heutige Regierungserklärung weitgehend vergessen. Da Sie dies wahrscheinlich nicht tun werden, befürchte ich das Gegenteil.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Land hat wieder eine handlungsfähige Regierung - das ist eine gute Nachricht für unser Land und für die Menschen -
und Angela Merkel hat als erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland das Steuer übernommen. Darüber freuen wir uns als Union ganz besonders.
Ich gratuliere allen Mitgliedern der Bundesregierung und unserer Bundeskanzlerin. Ich wünsche Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, viel Erfolg und für Ihre Arbeit Gottes Segen.
Die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, sind groß. Die Menschen wissen das. Massenarbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demographischer Wandel, das fortschreitende Zusammenwachsen der globalen Wirtschaft und die neue Konkurrenz durch dynamisch wachsende und erfolgshungrige Volkswirtschaften in Ostasien haben erhebliche Auswirkungen auf unser Land. Wer sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen will, wird sich gegenüber diesen Entwicklungen nicht behaupten können. Wir hingegen gestalten als Regierungskoalition das Heute, um das Morgen zu gewinnen.
Bevölkerungsrückgang und Überalterung sind Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wenn unsere Systeme der sozialen Sicherung sowohl heute lebenden als auch zukünftigen Generationen eine stabile Perspektive bieten sollen, dann müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen.
Noch dramatischer stellt sich die Situation der öffentlichen Haushalte dar. Wir spüren, dass die gewaltige Staatsverschuldung der Politik fast den Atem nimmt. Sie beschränkt die Handlungs- und Freiheitsräume kommender Generationen. Ein finanzpolitisches „Weiter so!“ wäre ein Verrat an der Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Die Sanierung unserer Staatsfinanzen wird deshalb vordringliche Aufgabe der neuen Regierung sein. Dies ist im Koalitionsvertrag auch ganz klar und deutlich geregelt.
Diese Ausgangslage zeigt die schwierige Aufgabe, die vor uns liegt. Aber wir glauben an dieses Land und seine Zukunft. Deutschland hat gute Grundlagen: innovative Unternehmen, eine bedeutende Forschungslandschaft. Das größte Potenzial unseres Landes aber sind die Menschen, gerade die jungen Menschen. Sie müssen durch die Politik dieser Regierung wieder Zukunftsperspektiven erhalten und Zuversicht schöpfen können.
Manchmal erinnert mich Deutschland an den gefesselten Riesen Gulliver, kraftstrotzend und doch bewegungsunfähig. Wir wollen in dieser Regierungskoalition einen Beitrag dazu leisten, Gulliver zu entfesseln und die in unserem Land steckenden Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen. Wir werden unseren Bürgerinnen und Bürgern neue Chancen eröffnen. Deutschland kann mehr - diese Regierung wird dazu einen Beitrag leisten.
Viele Menschen machen sich wegen der schwierigen Lage unseres Landes Sorgen - das kann ich gut verstehen. Was Angela Merkel aber heute als Regierungsprogramm vorgestellt hat, vermittelt Zuversicht, Optimismus, Zukunft. Mit Mut und Menschlichkeit stellt sich diese Regierung den Herausforderungen unserer Zeit.
Wir haben alle Chancen. Wir können immer noch aus eigener Kraft die in unserem Land angelegten Möglichkeiten entfalten, um Wohlstand und Freiheit auch in Zukunft zu sichern und den Menschen wieder eine Perspektive zu geben.
Auch wenn es sich bei der großen Koalition um ein Bündnis auf Zeit handelt, geht es uns nicht um eine Politik für den Augenblick. Wenn wir Seifenblase auf Seifenblase aufsteigen ließen, um den Launen der Demoskopie und den Partikularinteressen der Lobbyisten zu gefallen, könnte dies einen Unterhaltungseffekt haben; den Erwartungen unserer Bürgerinnen und Bürger würden wir damit nicht gerecht werden. Verantwortliche Politik heißt, auch über den Tag - über diese Legislaturperiode - hinaus zu schauen. Dazu sind wir in dieser großen Koalition bereit.
Ein Beispiel für diese Politik über den Augenblick hinaus ist die Reform unserer bundesstaatlichen Ordnung. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer Regierungserklärung klar und deutlich gesagt: Wir werden das föderale System erneuern und die Kompetenzen von Bund und Ländern entflechten, klare Verantwortlichkeiten festlegen und das Prinzip der Subsidiarität stärken.
Ein weiteres Beispiel ist die Gesundheitspolitik. Union und SPD sind mit unterschiedlichen Konzepten angetreten. Aber beide Seiten eint die Überzeugung, dass unser Gesundheitssystem wieder auf eine tragfähige Basis gestellt werden muss. Deswegen, Herr Kollege Westerwelle, haben wir gerade nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, was auch möglich gewesen wäre. Vielmehr wollen wir in den nächsten Wochen und Monaten eine zukunftsfähige Lösung finden.
Wenn ich an manche Arbeit der vergangenen Regierung denke - das will ich als einzigen Hinweis geben -, dann muss ich sagen: Sich ein bisschen mehr Zeit zu lassen ist besser, als Schnellschüsse zu machen, die man hinterher nachbessern muss.
Die Gesundheitspolitik ist aber auch, Herr Kollege Struck, ein Beispiel dafür - wir wollen sie ja zur Führungsaufgabe machen, was richtig ist -, dass wir es noch lernen müssen, zunächst intern miteinander zu reden, bevor wir öffentlich Vorschläge machen.
Wir wollen den Erfolg der Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel. Peter Struck und ich werden dazu, zusammen mit unseren Fraktionen im Deutschen Bundestag, den Beitrag leisten, der notwendig ist.
Die Verhandlungen der letzten Wochen haben gezeigt, dass es trotz politischer Gegnerschaft möglich gewesen ist, für eine Wahlperiode ein Regierungsprogramm aufzustellen. Nach einem harten Wahlkampf ist uns das allen am Anfang nicht leicht gefallen. Aber die Erkenntnis, dass Menschen und Land vor der Parteipolitik rangieren, hat zu diesem Regierungsbündnis geführt. Damit bekennen sich Union und SPD zu ihrer staatspolitischen Verantwortung.
Natürlich ist in den letzten Wochen das Verständnis füreinander gewachsen. Das menschlich gute Klima der Verhandlungen ist entscheidende Vertrauensbasis für diese Regierung.
Aber es gibt nach wie vor Unterschiede zwischen Union und SPD.
Bei aller guten Zusammenarbeit: Wir bleiben unterschiedliche Parteien und wir bleiben unterschiedliche Fraktionen.
Die Parteien dieser Koalition haben mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen um den Gestaltungsauftrag für unser Land geworben. Trotz konkreter Einigungen und trotz der Koalitionsvereinbarung, die wir getroffen haben, haben wir aber unsere bleibenden Überzeugungen.
Leitbild der Union ist das christliche Menschenbild. Es ist geprägt durch unverfügbare personale Würde, Freiheitsbegabung, Unvollkommenheit und den Bezug zu einer Gemeinschaft, in der sich das Leben des Einzelnen verwirklicht. Einen bevormundenden Staat, der den Menschen gängelt, seine Entfaltungsräume einengt und in alle Lebensbereiche regelnd eingreift, lehnen wir ab.
Aus der Unvollkommenheit und Gemeinschaftsbezogenheit des Einzelnen erwächst für uns wiederum die Pflicht, denen zu helfen, die es schwerer im Leben haben. Wir werden die Schwachen nicht allein lassen, sondern ihnen Lebenschancen eröffnen. Das ist unser Verständnis von Solidarität.
Jeder ist aber auch gefordert, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen die Menschen zu Freiheit und Eigenverantwortung ermutigen. Verantwortung für sich und Verantwortung für andere müssen unsere Gesellschaft prägen. Das verlangt von uns allen, nicht nur an die Maximierung des eigenen Vorteils zu denken, sondern auch das Wohl der Allgemeinheit im Blick zu haben.
Um eine solche Haltung zu fördern brauchen wir eine Bildung, die sich nicht verkürzt als Berufsbildung versteht. Im Begriff Bildung steckt das Wort Bild. Damit ist das Menschenbild gemeint, an dem sich alle pädagogischen Anstrengungen orientieren müssen. In einer Zeit zunehmender Beliebigkeit und moralischer Orientierungslosigkeit werden sich CDU und CSU für ein Bildungssystem einsetzen, das auf dem Bild einer verantwortlichen Persönlichkeit beruht und einen Wertekompass vermittelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist das zentrale und größte Anliegen der großen Koalition. Daran werden wir gemessen. Massenarbeitslosigkeit steht ebenso für die gesellschaftliche Ausgrenzung des Einzelnen und seiner Familie wie für die Erosion der Finanz- und Sozialsysteme. Das gilt für ganz Deutschland. Das gilt insbesondere aber auch für die Menschen in den neuen Ländern. Deshalb hat der weitere Aufbau Ost für uns eine ganz besondere Bedeutung und ist in der Koalitionsvereinbarung zentral benannt.
Vorfahrt für Arbeit, Vorfahrt für Rahmenbedingungen, die wirtschaftlichen Aufbruch möglich machen und die Produktivkräfte unseres Landes entfalten, das hat die Union vor der Wahl versprochen und das werden wir jetzt in der großen Koalition umsetzen. Wir begrüßen deshalb ganz besonders die getroffenen Vereinbarungen zur Entlastung des Mittelstandes und zum Abbau bürokratischer Fesseln, die Neuregelung des Kündigungsschutzes und die Vereinbarung zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen vor allem für die mittelständische Wirtschaft. Das alles sind richtige und notwendige Entscheidungen. Ich verhehle nicht, dass wir uns an diesem Punkt - auch die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen - noch etwas mehr hätten vorstellen können.
Vor allem die Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um zwei volle Prozentpunkte leistet einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Lohnzusatzkosten. Wir werden das Ziel, das sich schon viele vorgenommen haben, erreichen, nämlich dass wir bei den Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent kommen. Das ist ein Erfolg, den diese Regierung zu verbuchen haben wird.
Die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen, um den wirtschaftlichen Aufbruch möglich zu machen, müssen auch andere mithelfen. Ich sage ganz deutlich: Gefordert ist jetzt auch die Wirtschaft. Sie muss die neuen Spielräume nutzen und stärker investieren. Aber auch die Gewerkschaften haben eine Verantwortung, dabei zu helfen, dass wir in unserem Land vorankommen.
Grundlage verantwortlicher Politik sind geordnete Staatsfinanzen.
Die Lage der öffentlichen Haushalte ist dramatisch. Die Personal- und Zinsausgaben, die Sozialausgaben des Bundes übersteigen in diesem Jahr voraussichtlich die Steuereinnahmen. Wir zahlen also die Zinsen mit neuen Schulden. So darf es nicht weitergehen. Wir können zukünftigen Generationen keine unzumutbaren Belastungen aufbürden und wir dürfen nicht zulassen, dass die Zukunftsperspektiven der zukünftigen Generationen und der jungen Menschen immer mehr verbaut werden.
Wir haben deshalb vereinbart - dies kann man nicht oft genug sagen -, entschlossen zu sparen und vor allem auch gleichermaßen entschlossen Subventionen abzubauen. Diese Maßnahmen sind für eine nachhaltige Gesundung des Bundeshaushalts unabdingbar.
Nachhaltigkeit im Sinne einer Stärkung der Chancen junger Generationen spielt sich vor allem im Bereich der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ab, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir stehen deshalb fest hinter dem Programm der Bundesregierung, bis zum Jahr 2007 die Haushaltskonsolidierung durchzusetzen. Mit diesen Anstrengungen werden wir 2007 wieder einen verfassungskonformen Haushalt erreichen und auch das Defizitkriterium von Maastricht einhalten. Dies erreichen wir leider nicht allein durch Einsparungen. Das wurde allen Beteiligten in den Koalitionsverhandlungen schnell klar. Aber wir verfolgen ein Ziel, das allen nützt. Wir leisten damit ein Stück Zukunftssicherung im Interesse der Menschen in unserem Land, insbesondere im Interesse der nachwachsenden, jungen Generationen.
Die Zukunft unseres Landes, gerade seine wirtschaftliche Zukunft, liegt in den Köpfen unserer Menschen. Nur an der Spitze des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts wird unser rohstoffarmes Land seine Zukunftschancen wahren können. Die Neugier und den Erfindergeist unserer Forscher dürfen wir nicht bürokratisch ersticken. Wir müssen Möglichkeitsräume schaffen, in denen sich wissenschaftliche Spitzenleistungen entfalten können.
Vom Erfindungsreichtum und Forschergeist unserer Spitzenwissenschaftler in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen profitieren wir alle. Die Koalition wird ein Klima schaffen, in dem Spitzenleistungen gedeihen können. Deshalb ist es gut, dass wir uns darauf geeinigt haben, die Mittel für Forschung und Entwicklung deutlich anzuheben.
Aber es geht nicht nur um die Spitze. Als Unionsfraktion setzen wir uns auch für die Schaffung von Bedingungen ein, die gerade den Schwachen den Zugang zu qualifizierter Bildung eröffnen. Bildung ist der Schlüssel zu sozialem Aufstieg, zu Wohlstand sowie zu gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf es so nicht weitergehen wie in den letzten Jahren: dass der Bildungserfolg der Kinder immer mehr vom Bildungshintergrund und der sozialen Situation ihrer Eltern abhängt. Das ist ein sozialpolitisches Armutszeugnis und in gleichem Maße eine Verschwendung von Ressourcen.
Soziale Gerechtigkeit hat viele Fassetten und viele Ausprägungen. Eines ist für mich aber klar: Ein Land ist nur dann wirklich sozial gerecht, wenn der Zugang zu Bildung und sozialem Aufstieg tatsächlich auch Kindern aus einfachen Verhältnissen ermöglicht wird.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt in besonderem Maße für ausländische Zuwanderer und deren Kinder. Bildung eröffnet diesen Menschen Wege aus der gesellschaftlichen Isolierung und ermöglicht Integration.
Die zum Teil schon vorhandenen Angebote, etwa im Bereich der Ganztagsschule, müssen ausgebaut werden. Das betrifft ganz besonders den frühen Erwerb von Deutschkenntnissen. Wer die deutsche Sprache bei der Einschulung nicht beherrscht, ist auf dem Weg zum Bildungsverlierer. Die Angebote, die wir machen, müssen genutzt werden. Ich sage ganz deutlich: Es gibt auch eine Verantwortung der Eltern für die Zukunft ihrer Kinder.
Integration ist keine Einbahnstraße.
Die Zukunft einer Gesellschaft liegt vor allem in ihren Kindern. In Deutschland aber werden zu wenige Kinder geboren. Wir wollen die Menschen durch eine familienfreundliche Politik wieder ermutigen, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Die Familie ist der zentrale Ort, an dem heranwachsende junge Menschen Eigenverantwortung und Verantwortung für andere erlernen. Wir werden uns für die Schaffung eines kinderfreundlichen Klimas in unserem Land einsetzen, die Familien schützen und ihre Entfaltungsmöglichkeiten sichern.
Wir begreifen Deutschland als Zukunftsgemeinschaft. Keimzelle und Grundlage dieser Zukunftsgemeinschaft sind die Familien. Sie sind nach wie vor die wichtigste Form des Zusammenlebens. Das Füreinandereinstehen in den Familien ist Grundlage für die Solidarität der Zukunftsgemeinschaft.
Mit dem Koalitionsvertrag stellen wir in diesem Sinn die richtigen Weichen. Deshalb werden wir daran mitwirken, ein qualitätsorientiertes und bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungsangebot für Kinder aller Altersklassen zu schaffen. Um Familien besser als bisher zu fördern, wollen wir die verschiedenen Leistungen in einer Familienkasse bündeln und damit für mehr Transparenz und Effizienz sorgen. Schließlich ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine unserer großen Zukunftsaufgaben. Viele Unternehmer wissen, welche Vorteile eine größere Familienfreundlichkeit bietet. Familien bringen Gewinn - auch unternehmerischen Gewinn. Ich fordere die Betriebe und Unternehmen deshalb auf, Familienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen der deutschen Wirtschaft zu machen.
Meine Damen und Herren, Reformen im Innern sind Teil unserer Arbeit für Europa; daran hat uns nicht zuletzt der Bundespräsident in den vergangenen Monaten immer wieder erinnert. Sie sind auch die Voraussetzung für das Überleben der sozialen Marktwirtschaft unter den Bedingungen globaler Märkte. Der Markt ist kein Selbstzweck - im Mittelpunkt allen Wirtschaftens steht immer der Mensch. Der Mensch darf nicht zum Objekt werden, aber angesichts der weltwirtschaftlichen Verflechtungen kann dieses Prinzip kein Staat mehr allein garantieren. Daher müssen wir mit unseren internationalen Partnern eine weltwirtschaftliche Rahmenordnung gestalten. Sie muss Freiheit und Eigentum schützen und gleichzeitig den Menschen im Mittelpunkt halten. Auch die globale Wirtschaft braucht moralische Maßstäbe und klare Regeln. Wir werden Sie, Frau Bundeskanzlerin, bei der Gestaltung dieser Aufgabe nach Kräften unterstützen.
Nach dem Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden müssen wir uns um Europa kümmern - wir können nicht einfach weitermachen, als wäre nichts passiert. Schwärmerische Europaromantik hilft uns dabei aber nicht weiter: Es ist Zeit für eine nüchterne Europapolitik. Wir müssen den Menschen klipp und klar sagen, wohin die Reise geht und - das sage ich auch ganz deutlich - wohin nicht. Wir dürfen nicht länger so tun, als ließen sich permanente Erweiterung und Vertiefung problemlos miteinander vereinbaren.
Die Menschen haben längst durchschaut, dass es im Gebälk knirscht. Aber der Verfassungsvertrag enthält viele Ansätze, die in die richtige Richtung weisen; deshalb werden wir auch weiter für ihn werben. Wir müssen die Bürokratie in Europa abbauen, anstatt sie auszuweiten. Deshalb begrüße ich, dass die Bundesregierung Richtlinien und Verordnungen eins zu eins umsetzen und nicht wie in der Vergangenheit immer wieder draufsatteln wird. So tragen wir dazu bei, dass sich Europa von der Bürokratie ab- und den Menschen wieder zuwendet.
Zur Vertrauensbildung nach innen wie nach außen gehört auch, dass wir endlich wieder Wort halten beim europäischen Stabilitätspakt. Wir haben zugesagt, dass wir die Stabilitätskriterien im Jahr 2007 wieder erfüllen werden. Wir werden den Beitrag dazu leisten, dass sich unsere Partner in der Europäischen Union auf dieses Versprechen verlassen können; das wäre auch ein guter Start in die deutsche Ratspräsidentschaft, die wir im ersten Halbjahr 2007 übernehmen.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert, Fraktion Die Linke.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Nein. - Wir stehen zu Europa, aber Europa ist für uns keine bloße Freihandelszone, sondern immer auch eine Wertegemeinschaft; davon werden wir uns bei allen anstehenden Erweiterungsverhandlungen auch leiten lassen.
Verlässlichkeit ist das wichtigste Kapital für unsere außenpolitischen Beziehungen. Die beiden wichtigsten Pfeiler unserer Außenpolitik sind die Einbindung in die Europäische Union und die transatlantische Partnerschaft. Europa und die Vereinigten Staaten gehören derselben Wertegemeinschaft an: Uns eint das Streben, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte weltweit zu fördern, und gemeinsam verbunden sind wir auch in unserem Bekenntnis zur Freundschaft mit Israel. Für die Wahrnehmung unserer außenpolitischen Interessen brauchen wir Europa und Amerika. In der Sicherheitspolitik, in Bosnien und Afghanistan, im Nahen Osten und bei der Bekämpfung terroristischer Bedrohungen, beim Klimaschutz, zur Sicherung der Energieversorgung und der Außenwirtschaft und bei den WTO-Verhandlungen - ohne Partner kann Deutschland seine weltpolitischen Interessen nicht durchsetzen. Wir, die Unionsfraktion, stehen für verlässliche und stabile Beziehungen zu unseren Partnern.
Dass wir heute in Freiheit leben können, verdanken wir auch unseren amerikanischen Freunden.
Frieden und Freiheit zu erhalten und durchzusetzen, das war schon immer eine unserer Aufgaben. Dafür steht aber auch im 50. Jahr unsere Bundeswehr. Der Dienst der Soldatinnen und Soldaten verdient unseren ganzen Respekt.
Wir begreifen Deutschland als Zukunftsgemeinschaft. Daher denken wir über den Augenblick hinaus und wollen in den nächsten vier Jahren die Weichen für eine Politik stellen, die auch den kommenden Generationen gerecht wird.
Wir werden es nicht allen Recht machen können. Aber alle gemeinsam entwickelten Lösungen, auch die, die auf den ersten Blick schmerzhaft sind, sind von der Verantwortung für die langfristige Zukunftsfähigkeit Deutschlands getragen. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Aber die Politik braucht auch die Unterstützung der Bürger. Durch eine konsequente Politik werden wir um das Vertrauen der Menschen werben. Wir wissen, dass wir uns durch gute und erfolgreiche Arbeit dieses Vertrauen verdienen müssen.
Wir brauchen aber auch Menschen - das sage ich mit allem Nachdruck -, die anpacken, die sich beteiligen. Weglaufen ist das Gegenteil davon, Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Das gilt im Besonderen für unsere Eliten. Mitmachen heißt das Gebot der Stunde! Wer mitmacht, dient Deutschland. Wer mitmacht, ist ein Patriot.
Deutschland ist ein großartiges Land mit großartigen Menschen. Wir können aber noch mehr. Bringen wir das Staatsschiff in Fahrt! Die Mannschaft steht bereit. Der Kurs ist klar. Lassen Sie uns gemeinsam die Segel setzen. Wir wollen den Erfolg der Regierung Merkel. Wir wollen den Erfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und SPD. Also: Wagen wir es miteinander!
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Ilja Seifert, Fraktion Die Linke.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident! - Der Kollege Kauder hat wiederholt, was schon die Kanzlerin in ihrer Rede sagte und was in der Koalitionsvereinbarung steht, dass Sie nämlich großen Wert darauf legen, EU-Richtlinien eins zu eins umzusetzen. Was bedeutet das genau? Das möchte ich uns einmal vergegenwärtigen: Es geht Ihnen doch um die Antidiskriminierungsrichtlinie und speziell darum, dass nicht draufgesattelt werden darf. Sie müssen, wie ich finde, der Öffentlichkeit dann aber auch sagen, dass Sie wollen, dass Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Jüdinnen und Juden weiterhin diskriminiert werden dürfen.
Das ist nicht akzeptabel. Das bedeutet aber eine Umsetzung eins zu eins. Dies wollte ich hier einmal darstellen.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundeskanzlerin Merkel! Auch wir, die Fraktion der Grünen, denken an diesem Tag an die Geiselnahme im Irak. Wir haben die Hoffnung und die Zuversicht, dass die Bundesregierung jenseits allen Parteienstreits still und geräuschlos das Beste tut, was man in dieser Situation tun kann.
Frau Merkel, wenn man Ihre Reden, die Sie in den letzten Jahren, die Sie in Leipzig und im Juli und September hier im Parlament gehalten haben, gehört hat und mit Ihrer Regierungserklärung von heute vergleicht, dann kann man nur sagen: Wie sich die Zeiten ändern. In den vergangenen Reden, die Sie in diesem Hause gehalten haben, haben Sie geschildert, dass wir, wenn sich in Deutschland bei den Steuern, in der Arbeitsmarktpolitik und in allen anderen Bereichen im Kern nicht grundsätzlich etwas ändert, auf einen Abgrund zurasen. Heute stellen Sie sich hier hin, zollen dem Bundeskanzler Respekt für die Agenda, sind für kleine Schritte und sagen, etwas Großes müsse es nicht sein. Sie machen eine Tugend aus den kleinen Schritten. Damit werde Deutschland wieder auf die Beine kommen. Wie haben Sie Ihre Meinung in dieser kurzen Zeit nur so stark ändern können, Frau Merkel, dass die Grundsatzreden Vergangenheit sind und Sie jetzt die Politik der kleinen Schritte gehen wollen?
Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts gegen klug gewählte kleine Schritte. Die Richtung muss aber klar sein. Da ich den Koalitionsvertrag studiert und mir Ihre Regierungserklärung heute angehört habe, kann ich für meine Fraktion feststellen, dass Sie dieser Koalition mit Ihrer Politik für die Bundesrepublik Deutschland keine Richtung haben geben können.
Das waren Häppchen für jeden, der vorbeikommt. Am Schluss weiß man nicht, was es Gescheites zum Essen geben soll. Ihre Rede war eine Aneinanderreihung von einzelnen Punkten.
Ich möchte darauf eingehen, was aus unserer Sicht unzureichend war. Erstens zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir wollen einmal festhalten, dass Sie in Ihrer Regierungserklärung und im Koalitionsvertrag eine sehr riskante Wette auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland eingegangen sind. Sie sagen, dass die Angst vor den einschneidenden Maßnahmen und vor der Steuererhöhung zum 1. Januar 2007 die Menschen im Land so beeindrucken wird, dass sie im Jahre 2006 vehement konsumieren werden, womit die Konjunkturprobleme der Bundesrepublik Deutschland gelöst werden.
Dies halte ich für zu riskant und auch für falsch; denn Sie haben keinen vernünftigen Grund dafür genannt, warum Menschen, die vor dem sozialen Abstieg Angst haben, in diesem Jahr mehr ausgeben sollen. Nur weil es im nächsten Jahr noch schlimmer kommen wird, ist kein vernünftiger Grund. Sie sind eine richtig riskante Ökonomiewette eingegangen.
Es gibt historische Beispiele: Japan hat es im Jahre 1979 zum Beispiel genauso gemacht. Die damalige Umsatzsteuererhöhung hat zu einer langjährigen konjunkturellen Krise geführt, von der man sich nicht mehr erholt hat.
Zweitens. Wir glauben auch nicht, dass Ihre Ansage, die Lohnnebenkosten würden unter 40 Prozent sinken, wirklich stimmt.
Wenn Sie sie um 2 Prozent senken können, werden wir bei 40,3 Prozent sein; denn die Arbeitnehmer tragen die 0,9 Prozentpunkte in der Krankenversicherung seit diesem Jahr alleine. Sie wollen die versicherungsfremden Leistungen wieder in die gesetzliche Krankenversicherung hineinnehmen. Ich glaube nicht, dass Sie das einsparen können. Dadurch werden die Lohnnebenkosten bei der gesetzlichen Krankenversicherung wieder um 0,5 Prozent steigen. Das heißt: Sie senken auf der einen Seite und sorgen für Anstiege auf der anderen Seite. Deswegen kann dieses Rezept nach unserer Überzeugung nicht aufgehen.
Frau Merkel, Sie haben immer wieder versucht - ich finde richtig, dass Sie das tun -, über die Wertehaltung Ihrer Politik zu sprechen. Sie haben die Freiheit in den Vordergrund gerückt und auch von Gerechtigkeit gesprochen. Ich will das gerne aufnehmen, weil wir uns in solchen Debatten darüber auseinander setzen müssen.
Zunächst will ich sagen: Wer hier das Wort Freiheit in den Mund nimmt, der darf zu den Bürgerrechten nicht schweigen, wie Sie das getan haben.
Freiheit hat nur dann einen Sinn, wenn die Bürger auch genügend Rechte und Möglichkeiten haben, ihre Freiheit gegenüber dem Staat zu verwirklichen. Wir dürfen nicht nur abstrakt über Freiheit reden, sondern wir müssen auch über die Frage sprechen, ob jeder Einzelne die Möglichkeit hat, seine Selbstbestimmung, die angewandte Freiheit, auch in Anspruch zu nehmen.
Als Aufgabe der Politik sehe ich es an, dass sie diese Möglichkeit schaffen muss. Sie tun es an keiner Stelle.
Ich will Ihnen ein Beispiel für die Freiheit aus der Wirtschaft nennen, die Sie nur mit Entbürokratisierung identifiziert haben. Zu einem freien Wirtschaften in diesem Land gehört, dass wir in Deutschland einen echten Wettbewerb haben. Dann müssen Sie aber einmal sagen, was Sie tun wollen, damit in wirklich allen Bereichen unserer Wirtschaft echte Märkte und nicht nur Monopole oder Oligopole herrschen. Dazu haben Sie kein Wort gesagt, obwohl Sie in den Grundsatzreden immer über Ludwig Erhard und die Ordnungspolitik in der Marktwirtschaft reden. Sie hätten dann auch etwas zur Stromwirtschaft sagen müssen, die durch überhöhte Durchleitungsgebühren alles andere als Wettbewerb in diesem Land möglich macht.
Daneben hätten Sie auch etwas zum Schienenverkehr sagen müssen. Es geht ja gerade darum, die Bahnreform so zu vollenden, dass alle Zugang zum Netz haben und ein echter Wettbewerb entsteht. Schließlich hätten Sie dann auch etwas zum Wettbewerb im Gesundheitssystem sagen müssen, der nur dann zu realisieren ist, wenn wir energisch gegen die Lobbys kämpfen, die sich am Gesundheitssystem einen dicken Hals verdienen können.
Ich bin schon jetzt gespannt, was Michael Glos - er hat sich irrtümlicherweise ja auch in die Tradition von Ludwig Erhard stellen lassen - im Hinblick auf den Wettbewerb im Mediensektor tun wird, der nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine Kernfrage der Demokratie ist. Ein echter Wettbewerb im Mediensektor ist nämlich das Gefäß, innerhalb dessen sich eine demokratische Meinungsbildung entfalten kann.
Hier darf man nicht vorschnell vor denjenigen in die Knie gehen, die im Wahlkampf für eine gute Presse gesorgt oder der Partei Geld gespendet haben, sondern es muss für alle Teilnehmer des Marktes Wettbewerb hergestellt werden. Das ist die Realisierung von Freiheit, über die wir sprechen müssen.
Kommen wir zu den Stichworten Freiheit und Gerechtigkeit. Frau Merkel, ich finde, Sie haben zum Thema der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft zu wenig gesagt. Längst existiert das Problem in unserer Gesellschaft, dass sich ein Teil der Menschen systematisch ausgegrenzt fühlt und keine Chance mehr sieht, wieder in Erwerbsarbeit oder in eine Weiter- oder Fortbildung zu kommen, also am gesellschaftlichen Geschehen teilzuhaben. Es reicht nicht, von hier aus zu erklären, liebe Frau Merkel, dass Sie Ihr Herz für die Schwachen entdeckt haben. Für diese abstrakte Formulierung werden Sie von jedem in diesem Haus Unterstützung bekommen. Aber die Frage ist, was das konkret heißt, welche neuen Formen der Armutssicherung Sie anstreben. Das ist die spannende Frage. Wie kann die Grundsicherung in einer Gesellschaft aussehen, die in den letzten Jahren Produktivitätsgewinne nicht mehr in neue Arbeitsplätze investiert hat? Hier wird jetzt ein anderer Weg gegangen.
Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel. Ein Problem ist, dass viele Dauerarbeitslose nicht sehen, wie sie wieder in Erwerbsarbeit kommen, weil aufgrund der niedrigen Löhne die Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt zu hoch sind. In diesem Punkt sind wir uns einig. Unter dem Stichwort „Ein Herz für Schwache“ erklären Sie: Wir müssen einmal über Kombilöhne diskutieren. Wo leben Sie denn eigentlich? Wie lange diskutieren und experimentieren wir in der Bundesrepublik Deutschland bereits über und mit Kombilöhnen? Wir müssen die Lohnnebenkosten im Bereich der unteren Einkommensgruppen, also für Niedrigqualifizierte, nach einem Progressivmodell senken. Es wäre viel klüger, bei den Lohnnebenkosten langsam auf die Zahl von 40 Prozent zu kommen und damit die Arbeit für Menschen mit niedriger Qualifikation zu ermöglichen und vor allem die vielen Dienstleistungsarbeitsplätze zu schaffen, die in Deutschland existieren würden, wenn die Zugangsbarrieren zu diesem Arbeitsmarkt nicht so hoch wären.
Sie haben auch von Vertrauen gesprochen. In diesem Zusammenhang will ich ein Thema ansprechen, dass Sie nicht erwähnt haben, nämlich den Verbraucherschutz. Wir sagen klar, Herr Seehofer: Wir wollen in Deutschland kein stinkendes Fleisch.
Dafür müssen wir etwas tun. Wir müssen die Kontrollen in den Ländern verstärken. Wir müssen die wirtschaftliche Selbstkontrolle ausbauen. Wir brauchen ein klares Verbraucherinformationsgesetz, das es ermöglicht, Ross und Reiter zu nennen, wenn jemand solche Produkte auf den Markt bringt oder sie annimmt und weiterverkauft.
Ich frage Herrn Seehofer und Frau Merkel: Warum haben Sie unseren Gesetzentwurf im Bundesrat zweimal blockiert, der dies möglich gemacht hätte?
Ich komme zu dem Punkt, der mich in Ihren Ausführungen am meisten gestört hat. Sie haben beim Innovationsprozess keine Richtung vorgegeben. Sie haben zum Beispiel eine Strategie zum Klimaschutz, die wir mit dem Stichwort „Weg vom Öl“ zusammenfassen, gar nicht erwähnt. Das ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Strategie, um von den idiotisch hohen Ölkosten wegzukommen. Das ist auch eine Strategie zur Sicherheitspolitik; denn Öl ist ein international umkämpfter Rohstoff. Dazu hätte ich gerne etwas von Ihnen gehört. Ich hätte gerne gewusst, wie es in der Energiepolitik über das Erreichte hinaus weitergeht.
Ich hätte auch gerne gehört, welche neuen Konzepte Sie in der Verkehrspolitik haben. Ich sage Ihnen klipp und klar: Wenn wir nicht auch der Automobilindustrie in Deutschland klare Rahmenbedingungen setzen, dann wird dieser Industriezweig seinen Beitrag zum Klimaschutz und zum Thema „Weg vom Öl“ nicht von selber leisten. Beim Thema Rußfilter haben wir das Versagen der Industrie in den letzten Jahren erleben können.
Ich möchte nicht, dass uns beim Thema Verbrauchsobergrenzen für Kraftstoffverbrauch die Japaner, die gesetzliche Regelungen planen, und einige Bundesstaaten der Vereinigten Staaten, die diesen Weg gehen, technologisch den Rang ablaufen, weil die Politik in Deutschland zu wenig Druck macht. Hierzu hätten Sie sich deutlich äußern müssen.
Herr Umweltminister Gabriel, wir als Grüne - Frau Merkel hat das Thema Ökologie gar nicht in den Mund genommen - werden Sie immer unterstützen,
wenn Sie etwas ökologisch Vernünftiges machen. Aber eines ist auch klar: Wenn Sie unter dem Deckmantel der Ökologie hinter bisher Erreichtes zurückfallen, dann werden wir Sie in diesem Haus grillen wie eine Ökobratwurst, Herr Gabriel; darauf können Sie sich verlassen.
- Sie müssen gar nicht aufstöhnen. Die Ökologen gehen mit Ökobratwurst behutsam um; vor allem stechen sie nicht hinein. Also keine Sorge.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, den auch Frau Merkel ins Zentrum gerückt hat, nämlich die Wissensgesellschaft und Bildung. Ich stelle die These auf, dass Sie keine Konzeption entwickelt haben, wie Deutschland den Übergang zur Wissensgesellschaft konkret leisten soll. Vorgesehen sind viele einzelne Schritte. Aber es ist doch klar, dass die Innovationsschwäche Deutschlands - beim PISA-Test angefangen bis hin zur Forschung und der Tatsache, dass wir zwar noch bestimmte Produkte entwickeln, aber nicht bis zur Marktfähigkeit realisieren - damit zu tun hat, dass wir zu wenig für Forschung, Wissen und Ausbildung - und zwar für die gesamte Ausbildungskette von den Kindern bis zur Hochschule - tun.
Der Kardinalfehler dieses Koalitionsvertrags und Ihrer Regierungserklärung liegt darin, dass Sie zu dem Zeitpunkt, zu dem der Bund den Übergang zur Wissensgesellschaft auf allen Ebenen der Bildungs- und Forschungskette aktiv gestalten müsste, die Instrumente systematisch aus der Hand geben, indem Sie sie den Ländern in der Hoffnung übertragen, dass diese es vielleicht richten werden.
Wenn sie es aber nicht richten werden - es spricht viel dafür, dass 16 verschiedene Bundesländer nicht alles richten können -, dann fehlt die Koordination des Bundes. Dann fehlen auch die Möglichkeiten des Bundes, im Schulbereich einzugreifen und bei der Kinderbetreuung mehr zu tun.
Zudem haben wir in allen Fragen, die die Hochschulen angehen, in Zukunft nur noch Bonsai-Kompetenzen. Das halten wir vom Bündnis 90/Die Grünen für völlig falsch. Wir wollen eine Bundesregierung, die die Wissensgesellschaft aktiv gestaltet. An der Stelle haben Sie nach unserer Überzeugung völlig versagt.
Über das Elterngeld können wir gerne reden, liebe Frau Merkel. Reden Sie doch auch einmal mit denen, die meinen, Sie wollten die Kinder nur verschieben! Entscheidend ist nämlich, dass die Betreuung von Kindern unter drei Jahren noch immer so schlecht ist, dass Beruf und Familie nicht miteinander vereinbar sind.
Insofern meine ich, dass Sie den zweiten Schritt - die Einführung des Elterngelds - vor dem ersten Schritt einer besseren Ausstattung hinsichtlich der Betreuungsplätze gehen wollen und damit eine falsche Reihenfolge vorsehen.
Wenn wir 2008 feststellen, dass ein gesetzlicher Zwang zu einem Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren notwendig ist, dann ist das Elterngeld schon auf dem Weg. Viele werden die neuen Möglichkeiten gar nicht nutzen können, weil es immer noch an entsprechenden Betreuungsangeboten fehlt. Wir werden den Prozess offen und kritisch begleiten, damit es auch in diesem Punkt in Deutschland vernünftig weitergeht.
Ich möchte noch einige Anmerkungen zur Außenpolitik machen. Sie haben zu Recht über die Schwierigkeiten Europas gesprochen. Die europäische Verfassung, der Verfassungsprozess, die Integration und die Einigung durchlaufen viele Krisen. Das hat mit der Erweiterung, den Institutionen und dem Vertrauen der Bürger zu tun. Aber Sie haben zu meinem Erstaunen einen Punkt nicht angesprochen, nämlich die soziale Fragestellung. Die Botschaft der Referenden in Frankreich und Holland besteht für uns darin, dass die Bürgerinnen und Bürger die Vorstellung und das Gefühl haben, die europäische Einigung und der Erweiterungsprozess sind ein Projekt politischer und wirtschaftlicher Eliten.
Wenn das Vertrauen zu Europa wachsen soll, ist die soziale Vertiefung Europas notwendig. Zu diesem Prozess haben Sie aber keine einzige Aussage gemacht. Das Thema wird aber zum Beispiel bei der Frage, wie es mit der Dienstleistungsrichtlinie weitergehen soll, wieder auf die Tagesordnung kommen. Sie können sich darauf verlassen, dass die Grünen das immer wieder ansprechen werden.
Wenn Sie am Freitag nach Polen fahren, Frau Merkel, und wenn Sie das Weimarer Dreieck stärken und die deutsch-polnischen Beziehungen verbessern wollen, dann können Sie nach unserer Überzeugung mit dem Wischiwaschi und dem Hin und Her, wie Sie es in Ihrer Regierungserklärung zum Thema Vertriebenenzentrum an den Tag gelegt haben, nicht weiterkommen.
Wenn Sie in Polen mit polnischen Bürgerinnen und Bürgern sprechen, dann werden Sie feststellen, dass der Vorschlag, in Berlin ein Vertriebenenzentrum einzurichten, wie er aus Ihrer Fraktion von Frau Steinbach vertreten wurde, die erste und größte Hürde für ein besseres wechselseitiges Verständnis bedeutet. Diese Hürde müssen Sie wegräumen. Machen Sie sich den Gedanken eines europäischen Netzwerkes für ein Vertriebenengedenken zur Erinnerung an die Vertreibungen zu Eigen! Machen Sie es sich nicht so einfach, dass Sie in diesem Hause einen Kompromiss vertreten, in Polen vielleicht etwas anderes sagen und beim Bund der Vertriebenen dann wieder Frau Steinbach hochleben lassen! Sie müssen klar und deutlich sprechen. Alles andere hilft dabei nicht weiter.
Für eine klare und deutliche Sprache sind wir, Bündnis 90/Die Grünen, auch bei dem von Ihnen neu zu gestaltenden Verhältnis zu den Amerikanern. Damit Sie sich nicht täuschen: Wir sind dafür, dass Sie gute Beziehungen zu unseren amerikanischen Freunden herstellen. Aber der neue Stil, den Sie angekündigt haben, darf natürlich nicht den Inhalt ersetzen. Wenn er einen Sinn haben soll, dann muss er den Inhalt besser transportieren und deutlich machen. Ich finde jedenfalls, dass Sie bei Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten mit Präsident Bush auch über die Fragen reden müssen, die die deutsche Bevölkerung sehr beunruhigen. Die erste Frage ist: Wie kann es eigentlich sein, dass wir uns in Europa und insbesondere in Deutschland um den Klimaschutz bemühen, während sich die Vereinigten Staaten, einer der größten Emittenten klimaschädlicher Gase, noch immer systematisch und beharrlich weigern, den entsprechenden internationalen Abkommen beizutreten? Hier müssen Sie klar und deutlich reden. Sonst hat es keinen Sinn.
Sie müssen nach unserer Überzeugung ebenfalls darüber reden, wie der Terrorismus in der Welt am effektivsten bekämpft werden kann. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie die reichen Länder bei der Entwicklungshilfe das 0,7-Prozent-Ziel erreichen können. Sie müssen außerdem fragen, ob es Sinn macht, die Reform der Vereinten Nationen weiter zu blockieren, und darauf hinweisen, dass man Terrorismus - jedenfalls nach unserer Überzeugung - nur unter strenger Beachtung der Menschenrechte effektiv bekämpfen kann. Wenn man dies nicht tut, dann liefert man ständig neue Munition für terroristische Unterfangen.
Über all diese Themen müssen Sie offen reden. Wenn Sie dies nicht tun, werden wir keinen Schritt weiterkommen.
Ich glaube nicht, dass es ausreicht, einfach zu sagen, die alten Schlachten sind geschlagen. Es wäre mutig von Ihnen gewesen, wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt hätten, dass Sie mit Ihrer Einschätzung vor dem Irakkrieg voll daneben gelegen haben. Alle Bedenken, die wir im Hinblick auf das, was nach einem Irakkrieg kommt - es war klar, dass man ihn zunächst militärisch gewinnen kann -, geäußert haben, sind von der Wirklichkeit noch übertroffen worden. Es gibt nun nicht nur eine Destabilisierung des Iraks, sondern der ganzen Region sowie ein Sammelbecken für den internationalen Terrorismus. Ich hätte es mutig gefunden, wenn Sie die Kraft gehabt hätten, dazu etwas in Ihrer Regierungserklärung zu sagen. Nur durch eine solche Kraft kommt es zu einer Verbesserung der Politik im Inneren wie im Äußeren.
Frau Merkel, ich verspreche Ihnen, dass wir, Bündnis 90/Die Grünen, eine kritische, aber auch eine konstruktive Oppositionspolitik machen werden.
Wir wissen sicherlich nicht alles besser. Herrn Gysi hätte ich beispielsweise fragen können: Warum läuft es denn in Berlin unter PDS-Beteiligung so toll, wenn so viel ökonomischer Sachverstand bei Ihnen vorhanden ist, und warum haben Sie sich dann in die Büsche schlagen müssen?
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Kollege Kuhn, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich bin gleich am Ende, Herr Präsident.
Wir werden die Auseinandersetzung mit Ihnen jedenfalls konstruktiv führen.
Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Angebot machen: Die Politik in Deutschland wird nur etwas verändern können, wenn wir es gemeinsam schaffen, den Einfluss der Lobbyisten in Berlin zurückzudrängen. Wir werden uns nicht hinter den Lobbyisten verstecken und nur die Regierung kritisieren.
- Ich verstehe, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP, beim Wort Lobbyisten aufschreien. Dafür habe ich jedes Verständnis.
Wir werden gemeinsam versuchen, die Interessenkonflikte offen zu legen. Es geht nicht, dass Lobbyisten behaupten, sie sprächen für das Gemeinwohl, und damit die Veränderungsfähigkeit der Politik in Deutschland untergraben. Wenn Sie dagegen angehen, dann haben Sie unsere Unterstützung. Ich weiß aber nicht, ob Sie sie überhaupt wollen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck.
Matthias Platzeck, Ministerpräsident (Brandenburg):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 18. September dieses Jahres haben die Wählerinnen und Wähler in Deutschland den Parteien eine komplizierte Aufgabe gestellt - keine unlösbare, aber - Volker Kauder wies darauf hin - eine schwierige auf alle Fälle, eine ungewohnte Aufgabe. Erstmals seit langem konnte in der Bundesrepublik keine Regierung nach dem Koalitionsmuster gebildet werden, an das sich unser Land in den vergangenen Jahrzehnten gewöhnt hatte. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb waren in der Lage, eine kleine Regierungskoalition zu bilden.
In dieser neuen Situation waren in den ersten Tagen nach den Wahlen viele Spekulationen über mögliche Dreiparteienkoalitionen zu hören. Kommentatoren entwarfen an journalistischen Reißbrettern kühne Visionen. Von Ampelbündnis und Jamaikakoalition war die Rede. Einige politische Suchbewegungen in solche Richtungen gab es dann ja auch. Es stellte sich aber bald heraus, dass keine dieser Überlegungen das zustande bringen würde, was unser Land in seiner gegenwärtigen schwierigen Lage von allem am dringendsten benötigt: eine jederzeit handlungsfähige, verantwortliche, mit steter und sicherer Mehrheit ausgestattete Bundesregierung. Diese Bundesregierung haben wir jetzt. Sie ist seit voriger Woche im Amt. Herzlichen Glückwunsch auch von mir an die Bundeskanzlerin, an die ganze Regierung! Alles Gute auf dem Weg! Meine Unterstützung haben Sie.
Es war die Einsicht in die Untauglichkeit aller übrigen Optionen, die SPD und CDU/CSU dazu veranlasste, Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalition aufzunehmen. Diese Verhandlungen verliefen verständlicherweise nicht unkompliziert. Noch wenige Wochen zuvor hatten die Gesprächspartner im Bundestagswahlkampf im heftigen politischen Wettstreit gelegen. Jetzt führten wir das Gespräch miteinander auf gleicher Augenhöhe. Das war auch psychologisch für die Beteiligten längst nicht immer ganz einfach. Die sachlichen und die politischen Unterschiede zwischen unseren Parteien leugnet niemand. Wir sind unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Zielstellungen und wir werden das auch bleiben.
Im Verlauf von vier Wochen sehr ernsthafter, sehr intensiver, auch kontroverser Verhandlungen haben wir jedoch über entscheidende Punkte Einigkeit erlangt: die Einigkeit darüber, dass SPD und CDU/CSU in den kommenden vier Jahren gemeinsam Verantwortung für Deutschland übernehmen wollen und übernehmen werden, die Einigkeit darüber, zu welchen Kompromissen und Zugeständnissen jede Seite bereit ist, und schließlich auch die Einigkeit darüber, was wir einander, unseren jeweiligen Wählerinnen und Wählern und dem Land insgesamt nicht zumuten können. Mein sicherer Eindruck ist: Diese große Koalition wird eine stabile Regierung bilden und das Land als Koalition der Verantwortung vier Jahre lang gut regieren.
Während der Verhandlungen zwischen den künftigen Koalitionspartnern ist neues Vertrauen gewachsen. Nur wo Vertrauen ist, kann auch Gutes gedeihen. Deutschland braucht mehr Zusammenarbeit, Deutschland braucht mehr Kooperation, mehr Teamgeist - und das an vielen Stellen und auf vielen Ebenen.
Dafür kann die große Koalition eine gute Schule sein. Gelingt ihr das, dann wird sich diese Regierung sogar als ein wichtiger und als ein positiver Beitrag auch für eine erneuerte politische Kultur in Deutschland erweisen.
Diese Hoffnung ist alles andere als ein weltfremder Wunsch; vielmehr glaube ich, sie benennt eine knallharte Notwendigkeit. Seit Jahrzehnten schon wissen wir im Grunde, dass im internationalen Vergleich kaum ein anderes Land so viele institutionalisierte Mitwirkungsinstanzen besitzt wie Deutschland. Als Bundesstaat kennen wir selbstverständlich selbstbewusste Länderregierungen, wir kennen einander entgegengesetzte Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat, wir kennen die komplizierte Politikverflechtung, die sich gerade daraus ergibt, und wir kennen ein starkes, unabhängiges und ebenfalls selbstbewusstes Bundesverfassungsgericht. Für alle diese Verflechtungen und institutionellen Regelungen lassen sich gute Gründe nennen. Oft vertreten diese so genannten Vetospieler im politischen Prozess berechtigte Interessen. Sie sind demokratisch und verfassungsrechtlich legitimiert.
Zugleich muss uns aber klar sein: Andere Staaten tun sich hier deutlich leichter. Die Vielzahl der möglichen Einsprüche im politischen Prozess erschwert in Deutschland schnelle und oft auch schlüssige Lösungen. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder ganz praktisch erlebt, dass sich die Summe der Instanzen zu einer Politikverflechtungsfalle auswächst, zu einer Falle, die die Lösungen und Entscheidungen erschwert und verzögert - bis hin zur völligen Blockade.
Uns allen muss klar sein: Leidtragende dieser Blockade sind immer die Menschen in unserem Land. Leidtragende sind im Übrigen aber auch unsere europäischen Nachbarn und Partner, die zu Recht erwarten dürfen, dass Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft seiner Verantwortung für Wohlstand und Wachstum in Europa gerecht wird, und das möglichst zeitnah.
Die jetzt am Beginn ihrer Arbeit stehende große Koalition bietet eine hervorragende Möglichkeit, diese Verflechtungsfalle deutlich zu lockern. Die großen deutschen Volksparteien sind entschlossen, das Prinzip der Gegnerschaft zugunsten des Prinzips der Kooperation zurückzustellen. Genau deshalb ist die Chance günstig, dass die neue Bundesregierung bestimmte Themen bewältigen wird, die aus meiner Sicht überhaupt nur in dieser Konstellation bewältigt werden können.
Ich möchte beispielhaft vier große Aufgaben nennen, denen sich diese Koalition deshalb mit Ernst und allem Engagement widmen wird. Erstens und vor allem anderen die Aufgabe, alles zu tun, damit in Deutschland mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, damit wieder mehr Menschen Arbeit haben. Gute Arbeit hat in der Vergangenheit den Wohlstand unseres Landes geschaffen. In guter und qualifizierter Arbeit liegt auch die Zukunft unseres Landes. Alle unsere Schritte gelten dem Ziel, dafür wieder bessere Voraussetzungen zu schaffen.
Gerade deshalb stellen wir uns, zweitens, der Aufgabe, den deutschen Föderalismus neu zu justieren. Dies ist seit langem überfällig. Arbeitsfähigkeit und Legitimität der bundesstaatlichen Ordnung hängen davon ab, ob jederzeit klar ist, wer im Staat für welche Aufgabe zuständig ist. Ich glaube übrigens, das ist auch für die Akzeptanz unserer Demokratie essenziell. Wenn eine Mehrzahl der wichtigen Entscheidungen nachts um halb zwei im Vermittlungsausschuss getroffen wird, kann das für die Demokratie in unserem Lande nicht gut sein.
Das können wir nur gemeinsam ändern und deshalb werden wir es gemeinsam ändern.
Übrigens, auf diese Weise wird die große Koalition zugleich sicherstellen, dass das föderale System in Deutschland weit über die Lebensdauer dieser Koalition hinaus neue Funktionsfähigkeit erlangt.
Drittens. Wir werden uns der Aufgabe annehmen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die sozialen Sicherungssysteme wiederherzustellen. Wir brauchen funktionierende soziale Sicherungsnetze, auf die sich die Menschen im Ernstfall ohne Wenn und Aber verlassen können, gerade weil sich wirtschaftlich und gesellschaftlich so viel verändert, gerade weil Menschen unter solchen Umständen bestimmte Gewissheiten benötigen, um sich auf die neuen Lagen einstellen zu können. Ich glaube, dass Pessimismus und mangelnde Zuversicht heute ihre Hauptursache nicht in den Lebensumständen der meisten Menschen haben, sondern in Ängsten, die sich um die Frage drehen: Wie wird es in fünf, in zehn, in 15 oder in 20 Jahren für unsere Kinder sein? Die mangelnde Zuversicht lähmt unser Land. Davon müssen wir weg und dazu muss die große Koalition einen wichtigen Beitrag leisten.
Viertens. Die große Koalition wird die Basis unserer Staatsfinanzen grundlegend sanieren müssen. Die Partner der großen Koalition sind gemeinsam davon überzeugt, dass dauernde Zweifel an der Leistungsfähigkeit der staatlichen Haushalte unserem Land schweren Schaden zufügen würden. Wo das Vertrauen in die staatlichen Haushalte verloren geht, da schrecken die Verbraucher immer mehr davor zurück, ihr Geld auszugeben. Selbst niedrigere Steuern regen dann nicht mehr die Binnennachfrage an, sondern führen nur zu höheren Sparquoten. Dieser Teufelskreis darf sich in unserem Lande keinesfalls etablieren. Gesunde öffentliche Finanzen sind deshalb die Bedingung für das langfristige Prosperieren unserer Wirtschaft und zugleich für das Funktionieren des Sozialstaates.
Stabile Staatsfinanzen sind auch ein zutiefst sozialdemokratisches Thema, ja, sie müssen geradezu unser Thema sein.
Wer den handlungsfähigen Staat will, der kann und darf ihn nicht auf Pump finanzieren. Mit Verlaub, Herr Kollege Westerwelle: Wenn ich Ihre Diätvorschläge dafür höre, wie wir zu einem schlanken Staat kommen, beschleicht mich ab und zu das Gefühl, dass Sie ihn in Wirklichkeit verhungern lassen wollen. Das werden wir nicht zulassen.
Wir brauchen einen fitten, einen handlungsfähigen Staat. Viele Beispiele auf dieser Welt zeigen uns: Wo der Staat diese Eigenschaften nicht mehr hat, nutzt das vielleicht 10 Prozent der Menschen
und die anderen 90 Prozent leiden darunter. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.
Was wir in den nächsten Jahren anpacken müssen, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Ich habe bereits darauf hingewiesen und sage es auch hier: Diese große Koalition ist kein bunter Adventsteller, von dem sich jeder herunternehmen kann, was ihm gerade am besten schmeckt, und das wissen beide Partner. Die neue Bundesregierung ist eine Regierung der gemeinsamen Verantwortung in schwieriger Zeit. Sie soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es am Ende wieder mehr Menschen in Deutschland besser geht.
Jubelstürme wird unsere Regierung selbst dann nicht und vielleicht gerade dann nicht auslösen, wenn sie besonders gut, besonders gründlich, besonders effektiv arbeitet; denn Deutschland steckt nun einmal in einer schwierigen Umbruchphase. Wir haben Probleme und vieles muss gleichzeitig angepackt werden. Aber unser Land hat die Kraft, diese Probleme zu lösen.
Dabei kann die neue Bundesregierung an die Arbeit anknüpfen, die Gerhard Schröder und die rot-grüne Bundesregierung in den Jahren seit 1998 begonnen haben.
Ich habe es als noble Geste empfunden, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Rede noch einmal ausdrücklich die Verdienste des Bundeskanzlers Schröder für unser Land gewürdigt hat. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben völlig Recht: Gerhard Schröder und seine Regierung haben sich in den vergangenen Jahren mit ihrer Politik der Erneuerung wirklich um unser Land verdient gemacht.
Sie haben Marksteine gesetzt
- ich verstehe, dass das ein bisschen problematisch ist -,
an die die neue Bundesregierung anknüpfen kann und an die sie auch anknüpfen sollte. Die wichtigste Aufgabe der Regierung wird sein, dem Land und seinen Menschen wieder Selbstvertrauen und neue Zuversicht zu vermitteln.
Diese Koalition nimmt die Sorgen und Hoffnungen der Menschen sehr ernst. Deshalb bin ich froh darüber, dass wir zwischen CDU, CSU und SPD eine Verständigung darüber erreicht haben, dass das europäische Sozialmodell in unserem Land für die Bedingungen des 21. Jahrhunderts erneuert werden soll. Wir tun uns in Deutschland nicht leicht damit, das Neue und die Veränderung auch als Chance zu begreifen. Da ist der Erneuerungsdruck der Globalisierung. Da ist die Demographie. Da ist die Tatsache, dass erfolgreiches Wirtschaften im 21. Jahrhundert immer mehr auf Wissen und Qualifikation angewiesen sein wird. Ja, das alles ist schwierig; überhaupt keine Frage. Das alles wirkt manchmal auch bedrohlich; das ist ebenfalls richtig.
In den Talkshows und in den öffentlichen Debatten in unserem Land hat sich in den vergangenen Jahren der Eindruck durchgesetzt, wir hätten hier nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, wir könnten in Deutschland heute nur noch zwischen ideenloser Beharrung und brutalen marktradikalen Rosskuren wählen. Aber wir sollten uns niemals, weder von der einen noch von der anderen Seite, falsche Alternativen aufschwatzen lassen.
Es liegt am Denken in den falschen Alternativen, meine ich, dass die Menschen in unserem Land Erneuerung und Aufbruch zuweilen so misstrauisch gegenüberstehen.
Richtig ist: Wir müssen unseren Sozialstaat erneuern. Wir müssen ihn auf die Bedingungen des 21. Jahrhunderts einstellen. Die wirtschaftlich und sozial erfolgreichsten Länder Europas beweisen uns Tag für Tag, dass das sehr wohl und gut gelingen kann. Diese Länder sind so erfolgreich, weil sie gerade nicht der Versuchung erliegen, Wirtschaft und Sozialstaat gegeneinander auszuspielen. Sie wissen: Die vermeintlich so klare Alternative „mehr Markt oder mehr Staat“ führt schlicht und ergreifend in die Irre.
Es kommt heutzutage darauf an, beides intelligent miteinander zu verbinden. Da liegt die Zukunft auch für unser Land.
In diesem Hohen Hause sitzen auf der einen Seite einige, die glauben, sich ganz auf das Festklammern an sämtlichen bestehenden Instrumenten des überkommenen Sozialstaats verlegen zu müssen.
Herr Kollege Gysi, Sie haben vorhin über die Produktivitätszuwächse bei Daimler-Chrysler gesprochen und gesagt, dass wir damit nicht richtig umgegangen seien. Es mag sein, dass nicht alles richtig war; aber nach Ihrer Rede glaube ich, dass, wenn Sie mehr zu sagen gehabt hätten, Daimler-Chrysler heute gar nicht mehr in Deutschland wäre. Dann hätten wir auch nichts von den Produktivitätszuwächsen. Das sollten wir uns einmal durch den Kopf gehen lassen.
Auf der anderen Seite in diesem Hause sitzen Abgeordnete, die sich jede Form von Sozialstaat bestenfalls als ein Luxussahnehäubchen vorstellen können, ein Sahnehäubchen, das man sich nur dann leisten kann, wenn die Wirtschaft bereits kräftig brummt.
Ich halte beide Positionen für falsch, meine Damen und Herren.
Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten dann erfolgreich sein, wenn wir wirtschaftliche Dynamik und moderne Sozialstaatlichkeit als Ziele begreifen, die einander positiv bedingen und beflügeln können. Wirtschaftliche Dynamik wird heute durch ein zeitgemäßes Verständnis sozialer Gerechtigkeit erst ermöglicht, nämlich durch Investitionen in die Menschen und ihre Fähigkeiten. Umgekehrt brauchen wir einen modernen Sozialstaat, der wiederum zu mehr wirtschaftlicher Dynamik, Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt.
Die nun gebildete große Koalition kann viel dafür leisten, ein neues Verständnis für ein produktives Verhältnis zwischen Dynamik und Gerechtigkeit in unserem Lande zu schaffen. Wir Sozialdemokraten werden innerhalb und außerhalb der Koalition für diesen notwendigen Perspektivwechsel werben. Denn genau in diesem Sinne erwarten die Menschen in Deutschland von der neuen Regierung die Erneuerung unseres Sozialstaates. Der zwischen den Parteien vereinbarte Koalitionsvertrag sieht genau dies vor. Ich nenne beispielhaft vier Punkte:
Wir haben beschlossen, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes erhöht werden.
Das brauchen wir dringend; denn ohne Forschung und Innovation werden wir auf dieser Welt keine Chance haben.
Wir haben beschlossen, ab 2007 das Elterngeld einzuführen. Das ermöglicht vielen Frauen und Männern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und erleichtert es den Menschen, sich für Kinder zu entscheiden. Bei unzähligen jungen Menschen ist ganz klar der Kinderwunsch vorhanden. In Deutschland sind jedoch der Mut, diesen Wunsch in die Wirklichkeit umzusetzen, und die Zuversicht noch zu wenig ausgeprägt. Das Elterngeld ist eine Maßnahme, die dazu beiträgt, den Mut in unserem Lande zu erhöhen. Denn ein Land ohne Kinder ist ein Land ohne Zukunft, meine Damen und Herren; da können wir nicht mehr zuschauen.
Deshalb haben wir auch beschlossen, das begonnene 4-Milliarden-Euro-Ganztagsschulprogramm fortzusetzen. Auch das brauchen wir sehr dringend, weil es mehr Chancengleichheit in der Bildung schafft.
Außerdem haben wir beschlossen, die Tagesbetreuung für die Kleinen systematisch auszubauen. Auch das ist wichtig für unser Land, weil über Zukunft und Lebenschancen nicht erst ab dem sechsten oder dem 20. Lebensjahr entschieden wird, sondern bereits in der Elementarstufe. Das haben wir zu lange vernachlässigt. Da haben wir Potenziale nicht genutzt. Wir müssen sie aber nutzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es heißt oft, große Koalitionen würden am Ende nur die kleinen Parteien am Rande stärken. Es kann aber auch genau umgekehrt kommen. Entscheidend dafür ist, dass sich auf die Bürgerinnen und Bürger der Eindruck überträgt: Beide Partner wollen wirklich, dass Deutschland in den nächsten vier Jahren spürbar besser dasteht.
Frau Bundeskanzlerin Merkel hat das neue Regierungsbündnis als eine „Koalition der neuen Möglichkeiten“ bezeichnet. Mir gefällt diese Formulierung gut. Sie beschreibt den hohen Anspruch, dem wir alle zusammen gerecht werden müssen und dem wir nur gemeinsam gerecht werden können. Gelingt uns dies, dann kann diese Regierung mit der breiten Unterstützung der Menschen im Lande rechnen. Die deutschen Sozialdemokraten und ich persönlich werden jeden nur möglichen Beitrag zum Gelingen leisten.
Ich habe zwar neulich in einem Artikel in einer großen deutschen Zeitung gelesen, man solle sich in dieses Land nicht zu sehr verlieben und die Demokratie habe auch dazu geführt, dass wir in Deutschland das Recht auf schlechte Laune hätten. Ein interessanter Artikel; wer ihn noch nicht gelesen hat, dem kann ich ihn sehr empfehlen. Ich glaube, wir haben aber nicht die Pflicht, dieses Recht auszuüben.
Wir tun es nur viel zu oft. Ich sage auch hier und heute noch einmal: Deutschland ist ein wunderbares Land. Das lasse ich mir nicht ausreden. Seine Bürgerinnen und Bürger sind zu großen Leistungen fähig.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, ihnen dafür neue Wege und Möglichkeiten zu eröffnen. Genau das wollen wir tun; genau das werden wir tun, und zwar ernsthaft, beharrlich und mit Augenmaß. Gewinner werden die Menschen in unserem Lande sein.
Die Bundeskanzlerin hat heute gesagt: „Mehr Freiheit wagen“. Ich kann da komplett mitgehen. Als ich diesen Satz hörte, sagte mir mein Bauch allerdings, dass wir dem noch etwas hinzufügen sollten - auch das haben wir in Deutschland nötig -, nämlich: „Mehr Miteinander und mehr Gemeinsamkeit wagen“.
Gesellschaften, in denen es mehr Miteinander gibt, sind stärker, stabiler und zukunftsfähiger. Etwas allein machen oder allein sein, das kann mal schön sein. Auf die Dauer macht es aber unglücklich und schwach. Deshalb sage ich: hinschauen und nicht wegschauen, zupacken und nicht zugucken, ein bisschen mehr weg vom Spaß am Tag und hin zur Freude am Leben. Dafür sollten wir arbeiten und dafür werden wir arbeiten. Dann werden wir auch erfolgreich sein.
Alles Gute!
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition aus den drei Parteien CDU, CSU und SPD legt heute ihr Programm für diese Wahlperiode vor. Es ist der Startschuss für einen politischen Neubeginn. Die Wähler haben es so gewollt; die Wähler haben es so entschieden. Sie würden heute wohl ähnlich oder fast genauso entscheiden, wie die Umfragen zeigen. Gut ist, dass die alte Regierung ausgeschieden ist und die neue Regierung ihre Arbeit aufnimmt.
Wir werden in den Debatten dieser Woche die dargelegten Grundsätze und Ziele sehr genau prüfen und diskutieren. Mein Urteil ist klar: Diese große Koalition in Deutschland hat eine Chance verdient und sie ist eine große Chance für unser Land.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Dr. Merkel, stehen für einen Neubeginn. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich im Namen meiner Partei, der CSU, und insbesondere im Namen der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag zu Ihrer Wahl. - Ich sehe, dass Sie gerade zusammen mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in den hinteren Reihen Platz genommen haben. Wer auf der Regierungsbank sitzt, kann sich auch diese Großzügigkeit leisten. - Ich gratuliere Ihnen auch zu Ihrer Regierungserklärung. Sie haben uns damit gezeigt, dass der überfällige Politikwechsel eingeleitet ist.
Ich gratuliere Ihnen auch dazu, dass Sie - das habe ich heute Agenturmeldungen entnommen -, laut Umfragen einen immensen Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung haben. Das ist ungewöhnlich; denn der Politik wird eher mit einem Misstrauensvorschuss begegnet. Die Tatsache, dass Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, einen gewaltigen Vertrauensvorschuss haben, ist eine riesige Chance für die neue Bundesregierung.
Diese Regierung ist - das finde ich besonders wichtig - auch eine Regierung aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Sie spaltet und polarisiert nicht, sondern sie führt zusammen.
Konservative und liberale, ökologische und soziale Ansätze dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie werden es auch nicht in dieser Regierung; sie werden vielmehr für eine gute Politik miteinander fruchtbar gemacht.
Das ist auch ein Stück Handschrift der CSU. Diese Handschrift prägt auch den Koalitionsvertrag. Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen stolz darauf, dass der CSU-Parteitag - in Klammern gesagt: unter meiner Tagungsleitung -
diesen Koalitionsvertrag einstimmig - das möchte ich betonen - gebilligt hat.
Meine Damen und Herren, die neue Regierung pflegt einen neuen Stil: sachbezogen und ergebnisorientiert. Die Koalition aus unseren drei Parteien startet zugegebenermaßen unter schwierigen Bedingungen. Keiner der Partner hat Wahlkampf für diese große Koalition gemacht.
Wir werden aber jetzt gemeinsam etwas daraus machen. Wir werden versuchen, mit Leistung zu überzeugen. Nur auf diesem Weg kann das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewonnen werden.
Vertrauen schaffen, das ist auch die Richtschnur für die Außen- und Europapolitik dieser Regierung. Deutschland ist - man kann dies nicht oft genug betonen - ein verlässlicher Partner und Verbündeter. Gerade die kleinen und mittleren Länder in der Europäischen Union setzen auf einen Partner Deutschland, der ihre Interessen ernst nimmt.
Ich erinnere mich sehr gut und sehr gern an meine ersten Parlamentsjahre, als Helmut Kohl uns jungen, neuen Abgeordneten vor allen Dingen in Bezug auf die Europapolitik immer eines eingeschärft hat: Nehmt die kleinen und die ganz kleinen Länder ernst; denn das ist ein wichtiger Erfolgsgrundsatz für eine gedeihliche und nachhaltige Europapolitik!
Die europäische Einigung und die transatlantische Partnerschaft sind gleichermaßen wichtige Pfeiler deutscher Staatsräson. Eine ausgewogene Außenpolitik, die auf diesen beiden Pfeilern stabil aufbaut, ist ein echter Gewinn für unser Land.
Die erste Regierungserklärung der ersten Bundeskanzlerin unseres Landes hat deutlich gemacht: Deutschland bekommt eine kraftvolle Regierung. Ich sage ganz klar: Meine Partei und die CSU-Landesgruppe innerhalb der CDU/CSU-Fraktion wollen diesen Erfolg mit ganzer Kraft.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihrer Regierungserklärung ein Zeichen der Zuversicht gesetzt. Es gibt eine Reihe hervorragender, guter Zeichen, die schon in dieser Debatte sichtbar geworden sind. Ein gutes Zeichen ist: Die Sanierung des Haushalts steht an oberster Stelle. Wir alle wissen heute: Die Lage der Staatsfinanzen ist dramatisch. Die Strukturprobleme der Wirtschaft und die Misere auf dem Arbeitsmarkt belasten den Haushalt. Die Steuereinnahmen reichen in diesem Jahr nicht einmal aus, um Sozialleistungen, Zinsen und Gehälter zu zahlen. Auf den Punkt gebracht: Ein Teil der Steigerung der sozialen Ausgaben wurde mit einem Rückgang der öffentlichen Investitionen bezahlt. Dies ist eine außergewöhnlich gefährliche Entwicklung, ein dramatisches Zehren von unserer Substanz. Der Anteil der Investitionen am Bundeshaushalt liegt jetzt bei unter 9 Prozent. 15 Prozent des Haushalts muss der Bund 2006 allein für Zinsen aufwenden.
Diese bedrückende Eröffnungsbilanz zwingt uns alle zu einer konsequenten Konsolidierung. Das ist die Verpflichtung der heute Verantwortlichen gegenüber kommenden Generationen.
Nur eine entschlossene Konsolidierung eröffnet Spielräume für Zukunftsinvestitionen, egal ob das Infrastrukturinvestitionen im Bereich Verkehr oder an anderer Stelle oder Investitionen in Bildung sind. Bildungsinvestitionen sind rentierliche Investitionen in die Zukunft.
Das sage ich auch als Kaufmann, obwohl in kaufmännischer Hinsicht nur das als Zukunftsinvestition zählt, was sich in kaufmännischen Rechnungslegungen wiederfindet; volkswirtschaftlich sieht das anders aus. Investitionen in die Bildung sind wichtige Zukunftsinvestitionen.
Im Koalitionsvertrag wird dafür der richtige Kurs abgesteckt. Wir setzen dies gemeinsam um. Wir tragen auch gemeinsam Verantwortung dafür.
Ein weiteres gutes Zeichen ist, dass angesichts der Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat die Signale nicht auf Konfrontation, sondern - Gott sei Dank - auf Kooperation gestellt sind. Die neue Regierung und die Fraktionen der großen Koalition setzen auf eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern. Deutschland wieder nach vorne zu bringen, das müssen sich Bund und Länder gemeinsam auf die Fahnen schreiben. Die Länder und Regionen, wir alle miteinander können nur gewinnen, wenn die makroökonomischen Weichen hier in Berlin, aber auch in Brüssel wieder richtig gestellt werden.
- Darauf komme ich jetzt zu sprechen, lieber Herr Kuhn.
Es ist auch ein gutes Zeichen, dass zwei Ministerpräsidenten, Edmund Stoiber und Matthias Platzeck, im Koalitionsausschuss die Interessen der Länder einbringen. - Damit ist Ihre Frage beantwortet.
Gerade wir Bayern wissen, dass wir ohne die Bereitschaft zur Verantwortung für Deutschland nichts für unsere Heimat bewegen können. Deshalb ist es erfreulich, dass die große Koalition die Föderalismusreform schon ein ganzes Stück vorangebracht hat. Deutschland braucht starke Länder, wir wollen starke Länder. Vielfalt belebt. Wettbewerb ist ein Anreiz, nach besseren Lösungen zu suchen. Das Bessere ist der Feind des Guten. Der Wettbewerb der Länder untereinander ist ein Segen für unsere föderale Ordnung und für unser Land.
Der Bund gibt deshalb zahlreiche Kompetenzen in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Schule, Kultur und Rundfunk werden als Sache der Länder bestätigt. Vom Strafvollzug bis zum Ladenschluss kommen aber auch neue Kompetenzen hinzu. Hervorheben will ich, dass der Bund künftig Aufgaben nicht mehr direkt auf Gemeinden, Städte und Kreise übertragen darf, da das Verhältnis zu den Kommunen von den Ländern geregelt werden soll. Ausufernde Zustimmungserfordernisse im Bundesrat verwischen bisher die Verantwortung und verzögern Entscheidungen. Das können wir uns nicht mehr leisten. Die Zahl der Gesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss, wird reduziert; denn das, was wir in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten hier im Parlament geleistet haben, hat unter den Zustimmungserfordernissen maßgeblich gelitten.
Bundesminister Franz Müntefering und Ministerpräsident Edmund Stoiber haben an der Spitze der Föderalismuskommission eine, wie ich meine, ganz exzellente Vorarbeit geleistet.
Das verdient Dank und Respekt. Drei Punkte sind festzuhalten: Länder und Landtage werden gestärkt, Entscheidungen werden schneller fallen und - das ist ganz wichtig - politische Verantwortungen - die Frage, wer für was geradesteht - werden endlich viel deutlicher.
Ein weiteres gutes Zeichen ist, dass die Familien als wichtigste Form des Zusammenlebens gestärkt werden. Es wird keine Relativierung der Familie geben. Kindererziehung ist eine außergewöhnlich anspruchsvolle Aufgabe, die hohen Respekt verdient. Eltern, die erziehen, haben Anspruch auf die Solidarität der gesamten Gesellschaft.
Zu dieser Solidarität gehört, Müttern, aber auch Vätern - als Vater von vier Kindern weiß ich, wovon ich spreche - Wahlfreiheit bei ihrer Lebensgestaltung zu eröffnen.
Diese Wahlfreiheit wird bisher doppelt eingeschränkt erlebt: Den einen fehlt es an Unterstützung, um Beruf und Familie verbinden zu können, und die anderen erleben, wie wenig öffentliche Anerkennung die Aufgabe erfährt, Kinder zu erziehen. Beides gilt es zu ändern.
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes ergänzen: Beide familiären Leitbilder verdienen gleichermaßen Respekt, das Leitbild der berufstätigen Frau und Mutter genauso wie das Leitbild der jungen Frau, die, exzellent ausgebildet, sich ganz bewusst dafür entscheidet, mehr oder weniger viele Jahre zu Hause zu bleiben und sich der Kindererziehung oder der Pflege älterer Menschen in der Familie zu widmen. Ich wehre mich dagegen, dass oft diese Leitbilder sehr einseitig gesehen werden.
Wir dürfen das andere Leitbild, das Leitbild der Frau, die wegen der Kindererziehung zu Hause bleibt, nicht in die Schmuddelecke der Gesellschaft stellen. Beide Leitbilder sind in unserer Gesellschaft gleichwertig.
Der Ausbau der Angebote der Kinderbetreuung schafft bessere Chancen dafür, Familie und Beruf zu verbinden. Mit dem Elterngeld ist gewährleistet, dass die Förderung junger Familien besser auf ihre persönliche Situation abgestimmt werden kann. Mehrgenerationenhäuser - ein Modewort -
machen die Solidarität der Generationen konkret lebbar und erlebbar. - Sie lachen. Ich kann Ihnen aber sagen, warum ich das Wort „Modewort“ gebraucht habe - es ist nicht alles schlecht, was Mode ist; sonst wäre es vielleicht nicht Mode -: Damit wird etwas ganz Selbstverständliches aufgegriffen. Vor zwei, drei Generationen war es nämlich ganz natürlich, dass drei Generationen in einem Haus, unter einem Dach, zusammen gewohnt haben. Die sozialen Probleme und Konflikte und die materielle Not in jener Zeit waren vielleicht aus anderen Gründen größer als heute, aber nicht wegen der damaligen Familienstruktur. Eine Mehrgenerationenfamilie ist Ausdruck von gelebter Solidarität und auch von Subsidiarität.
Darauf legen wir viel Wert.
Auch wenn wir noch so viele soziale Dienste aus öffentlichen Mitteln finanzieren: Sie können nicht so viel Nestwärme und Geborgenheit bieten wie gewachsene Familien.
Es ist doch absurd: Wir geben heute in Deutschland nach wie vor eine Rekordsumme für soziale Zwecke aus und trotzdem war in unserem Land noch nie so viel von sozialer Kälte und Ellenbogengesellschaft die Rede. Beides passt nicht zusammen. Darum ist es gut, wenn wir die Generationen in den Mehrgenerationenhäusern wieder zusammenbringen.
Das neue Kabinett ist ein starkes Team. Politische Schwergewichte machen die Schwerpunkte der Regierungsarbeit deutlich: Sanieren, also auch reparieren, reformieren und investieren, also aussäen für die Zukunft. Dieser Dreiklang bestimmt die Politik der neuen Regierung. Deutschland braucht bessere Standortbedingungen für Betriebe und Arbeitsplätze. Der Kern unserer Entscheidung für die große Koalition und auch der Maßstab für ihren Erfolg ist: Deutschland muss investitionsfreundlicher werden, damit wieder neue Arbeitsplätze in unserem Land entstehen. Auch wenn wir bei den Steuern und Abgaben das eine oder andere tun müssen, weil uns kein anderer Weg bleibt, muss die Botschaft sein: Deutschland ist ein investitionsfreundliches Land. Es lohnt sich, in Deutschland zu investieren; es lohnt sich, in Deutschland etwas aufzubauen; es lohnt sich, hier zu bleiben, nicht zu desinvestieren; es lohnt sich, in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Politik der neuen Regierung wird zu Investitionen in Deutschland ermutigen und damit die Wachstumskräfte in unserem Land entfesseln.
Unser Land soll und darf nicht von der Substanz leben. Es sollen Werte geschaffen werden. Auf diesem Weg wird mehr Beschäftigung dauerhaft gesichert. So werden neue Chancen eröffnet.
Bundesminister Michael Glos bürgt für eine Wirtschaftspolitik, die den Mittelstand
und eigentümergeführte Familienunternehmen stärkt. Sie sind die Stütze des Standortes Deutschland. Sie machen keine Negativschlagzeilen, weder mit Stellenabbau noch mit überzogenen Managergehältern. 50 Prozent der Wertschöpfung, 70 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Prozent der Lehrstellen entfallen auf Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern. Auch hier weiß ich, wovon ich rede. Der Mittelstand ist das Rückgrat der Gesellschaft. Hier liegt das Potenzial für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Wir haben im ersten Halbjahr Debatten zu diesem Thema geführt.
Ich bekenne mich ausdrücklich zu meiner Nebentätigkeit bzw. beruflichen Tätigkeit als Unternehmer. Es freut mich, dass es außer der Politik noch Unternehmertum gibt. Dieses pflege ich neben meiner Tätigkeit im Parlament und damit sichere und schaffe ich Arbeitsplätze.
Die Stundung oder der schrittweise Erlass der Erbschaftsteuer ist wichtig für die Fortführung mittelständischer Betriebe. Auch die degressive Abschreibung gibt einen starken Investitionsanreiz für die Jahre 2006 und 2007. Jeder weiß, dass wir gerade im Hinblick auf die mittelständische Wirtschaft bürokratiebedingte Kosten abbauen müssen. Wir fassen uns an die eigene Nase: Wir müssen das in unserer Gesetzgebung beherzigen. Unser konkretes parlamentarisches und Regierungshandeln muss sich danach richten.
Ich danke Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie nochmals betont haben, dass eine Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Normen ein wichtiger Maßstab für unser Regierungshandeln ist. Dem steht aber entgegen, dass - wohl noch als Überbleibsel aus der Trittin-Zeit - uns momentan der Entwurf einer Verpackungsverordnung vorliegt, in dessen Begründung - vorletzte Woche habe ich das gelesen - steht: Mit dieser Regelung gehen wir über die Vorgaben der Europäischen Union hinaus. - Wenn wir jetzt hierbei schon darüber hinausgehen würden, obwohl wir sagen, dass wir nur eins zu eins umsetzen wollen, dann wäre das die erste Verfehlung. Darum sage ich: Wir fassen uns hier an die eigene Nase.
Ein weiteres Beispiel aus der rot-grünen Regierungszeit.
- Ich differenziere ganz genau .
Ab 1. Januar dürfen alle Betriebe, auch Klein- und Kleinstunternehmen, die Übermittlung ihrer Sozialversicherungsdaten an die Krankenkasse nur noch elektronisch per Internet vornehmen. Ich sage Ihnen: Das ist eine völlig verrückte Vorgabe. Denn es gibt viele Kleinstunternehmen entweder ohne Angestellte oder nur mit ein, zwei oder drei Mitarbeitern, die wegen ihres Betriebsumfangs überhaupt keine entsprechenden elektronischen Einrichtungen haben.
- So ist das. Das ist die Praxis.
Dazu verlangen - jetzt kommt es - die Krankenkassen ein- bis zweitägige Schulungskurse für diese Kleinstunternehmen, als ob ein Kleinstunternehmer nichts anderes zu tun hätte, als tagelang bei der Krankenkasse in Schulungskursen zu sitzen, damit er mit den neuen Vorschriften zur Übermittlung seiner Sozialversicherungsdaten zurechtkommt. Auch das ist ein Fehler. Ich verstehe jeden Kleinstbetrieb, der sich dieser Regelung widersetzt.
Hinsichtlich der Bürokratie sollte man auch bei den eigenen Strukturen ansetzen. Ich frage mich manchmal: Muss es sein, dass wir 72 Bundesämter haben und sich auf gleichen Gebieten bis zu drei Bundesämter tummeln, die noch dazu gegeneinander arbeiten, wie mir von Präsidenten solcher Ämter bestätigt wurde? Es gibt Hunderte von Landesämtern. Das alles passt nicht in eine Landschaft, in der wir eher zu viel als zu wenig Bürokratie haben.
Ich begrüße sehr, was Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu einer nachhaltigen Politik und zu den erneuerbaren Energien gesagt haben. Ich meine Ihr Bekenntnis zur grundsätzlichen Beibehaltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Ihr Bekenntnis zu erneuerbaren Energien als wichtigem Bestandteil einer Energiepolitik insgesamt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass das heutige EEG ein politisches Tochtergesetz unseres Stromeinspeisungsgesetzes aus dem Jahr 1990 ist, dass also bereits in den 90er-Jahren der Grundstock für das gelegt worden ist, was sich heute auf diesem Gebiet tut.
Meine Damen und Herren, wir spüren: Die Zeit drängt, auch meine Redezeit. Deutschland hat eine stabile Regierung. Aber Deutschland braucht auch - das möchte ich zum Schluss betonen - eine konstruktive bürgerliche Opposition. Hier blicke ich vor allen Dingen auf die Liberalen und auf die Grünen. Ihnen von den Liberalen sage ich: Ich selbst bin ein praktizierender Liberaler,
genauso wie mein Vorgänger im Amt des Landesgruppenvorsitzenden der CSU.
Egal ob Regierung oder Opposition, wir alle stehen in der Verantwortung. Hier kann sich niemand drücken.
Nur im Wettstreit der Argumente kann Politik gedeihen.
Meine Damen und Herren, die neue Regierung und die Fraktionen der großen Koalition haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Deutschland braucht eine erfolgreiche Regierung. Dafür werden meine Fraktion und in ihr die CSU-Landesgruppe mit ganzer Kraft arbeiten.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD-Fraktion.
Olaf Scholz (SPD):
Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat in ihren Eingangsbemerkungen darauf hingewiesen, dass sich einige Ideen der Regierungsbildung nach dem Internet richten sollen. Eine der Kategorien moderner Internetdebatten lautet Open Source: dass Programme gewissermaßen für jeden verfügbar werden, unabhängig von der Quelle.
Wenn wir das jetzige Regierungsprogramm betrachten, dann können wir Sozialdemokraten sagen: Darin sind viele unserer Programmquellen enthalten und wir sind einverstanden, dass in dieser Frage keine Urheberrechtsansprüche geltend gemacht werden.
Wenn über die Regierungsbildung diskutiert wird, geht es auch um die Frage, wie es zu dieser Koalition gekommen ist. Wer sich die Debatten der letzten Wochen oder auch die heutige anschaut, wird festgestellt haben: Ernsthafte Kritik daran, dass es nun zu einer großen Koalition gekommen ist, wird eigentlich von niemandem geäußert,
auch nicht - das ist interessant - von den Parteien der Opposition.
Die Grünen und ihre Wählerinnen und Wähler haben eingesehen, dass es für Rot-Grün nicht mehr gereicht hat und dass eine andere Konstellation mit drei Parteien nicht funktioniert. Die FDP hat gesagt, sie wolle für bestimmte Konstellationen nicht zur Verfügung stehen. Deshalb kann Sie nur einverstanden damit sein, dass es jetzt zu einer großen Koalition gekommen ist. Für die PDS/Linkspartei gilt Ähnliches. Sie wollte ohnehin mit niemandem regieren und niemand mit ihr. Insofern kann auch sie nicht kritisieren, dass es jetzt zur Bildung dieser Regierung gekommen ist.
Was mich etwas wundert, ist, dass das allgemeine Einverständnis über die Bildung dieser Koalition dazu führt, dass im Rahmen dieser Debatte über die Regierungserklärung nirgendwo ein richtiger Gegenentwurf gezeichnet worden ist.
In den Beiträgen der Oppositionsredner - es gibt ja drei Oppositionsparteien ganz unterschiedlicher Richtung - konnte man an keiner Stelle hören, wie eine andere Linie aussehen sollte als die, die die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vorgetragen hat, und als die, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.
Meine Damen und Herren, dafür kann es viele Gründe geben. Einer der Gründe kann natürlich sein, dass wir es so falsch nicht gemacht haben. Ich plädiere für diese Antwort.
Wenn nach fast 40 Jahren erneut eine große Koalition gebildet wird, dann muss sie natürlich auch solche Aufgaben lösen, die nur im Rahmen einer großen Koalition lösbar sind.
Ich denke, das ist ein Maßstab, den sich eine solche Regierung setzen muss und dem sie auch genügen muss.
Es gibt ein paar solcher Aufgaben, von denen nicht nur wir hier im Parlament, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land annehmen, dass sie zu lösen nur funktioniert mit der ganzen Kraft einer großen Koalition in diesem Parlament, aber auch den Möglichkeiten, die sie im Sinne von Überzeugungskraft in Richtung Länder hat. Ich denke, diese Aufgaben sind im Koalitionsvertrag benannt und es ist auch gesagt worden, wie man sie lösen kann.
Das erste Thema ist die Reform der föderalen Ordnung. Wir alle wissen, dass sie notwendig ist; aber wir alle ahnen auch, dass es ganz schwierig ist, angesichts der verhakelten Situation eine Reform mehrheitsfähig zu machen - nicht nur hier, sondern auch im Bundesrat. Es ist deshalb gut und richtig, dass die Koalition im Vertrag sehr viel Platz für dieses Reformwerk gelassen hat. Ja, wir wollen die Reform des Föderalismus in Deutschland gleich im ersten Jahr, noch bis zur Sommerpause zustande bringen. Dieses Werk sollten wir ab Januar angehen und wir sollten zeigen, dass wir das schaffen, dass diese Koalition das zustande bringen kann.
Das zweite große Thema, das gerade in einer solcher Konstellation vorwärts bewegt werden kann und bei dem man zu Recht die Vermutung hat, anders ginge es wohl nicht, ist eine Weiterentwicklung des Beamtenrechts. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass das Berufsbeamtentum in Deutschland eine Zukunft hat und dass es die Aufgabe auch dieses Hauses ist, dafür zu sorgen, dass das Beamtenrecht und das Berufsbeamtentum - die zusammengehören - für die Zukunft weiterentwickelt werden.
Drei Punkte in diesem Koalitionsvertrag spielen dabei eine große Rolle: Erstens sagen wir auch im Rahmen der Föderalismusreform: Es ist möglich, die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums weiterzuentwickeln. Das werden wir machen und das ist die Voraussetzung für alle Reformen.
Zweitens wollen wir zulassen, dass ein großer Teil des Beamtenrechts, insbesondere was Besoldungsfragen betrifft, entweder in den Ländern oder im Bund geregelt wird - immer genau da, wo es darauf ankommt; auch das ist etwas, was Modernisierung, was Weiterentwicklung möglich macht. Denn die bisherige Situation, dass sich16 Bundesländer und ein Bundesstaat einigen mussten, hat meistens dazu geführt, dass der eine auf den anderen verwiesen hat bei der Frage, warum er nichts gemacht hat. Das ist jetzt beendet und auch das ist ein Fortschritt - ein Fortschritt, den die sich Bürgerinnen und Bürger lange gewünscht haben.
Drittens gehört zur Reform des Beamtenrechts natürlich auch das eine oder andere, was wir jetzt unmittelbar in Angriff nehmen, indem wir bei den Besoldungsstrukturen des Bundes Anpassungen vornehmen, die sich an denen der Länder ausrichten.
Das dritte große Thema, an dem sich eine solche Koalition beweisen muss, ist, dass wir es schaffen, das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme zurückzuerobern.
Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Ich sage das auch mit einem Bekenntnis verbunden: Ich glaube, dass unsere traditionellen Institutionen Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu Recht eine so lange Tradition haben - das gilt für die ersten beiden - und dass es sich lohnt, dass sie auch in Zukunft weiter zu den wichtigsten Garanten von Sozialstaatlichkeit in Deutschland gehören. Das müssen wir jetzt und in dieser Koalition endgültig zustande bringen.
Wer als junger Mann oder junge Frau einen Vertrag abschließt mit der Rentenversicherung, mit der Krankenversicherung und auch mit der Pflegeversicherung, lässt sich auf einen Vertrag ein, der viele Jahrzehnte funktionieren muss: für den Einzahler wie für den Leistungsempfänger. Dieser Vertrag läuft länger als manche Ehe, auf alle Fälle viel länger, als Regierungen in Deutschland zu halten pflegen. Und der eine oder andere Regierungswechsel ist im Laufe der Jahrzehnte durchaus möglich. Insofern muss es unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht vor einem Regierungswechsel fürchten, wenn es um die Grundbedingungen von Renten- und Krankenversicherung geht. Das ist eine Aufgabe, die sich wirklich lohnt.
Wir sind bei der Rentenversicherung schon viel weiter, als die öffentliche Diskussion wahrgenommen hat: Von den Reformvorstellungen der Rürup-Kommission für die Regierung ist fast alles umgesetzt, und was noch fehlt, das traut sich die Koalition jetzt im Koalitionsvertrag.
Das finde ich richtig, weil das die Grundlage für Zutrauen und Vertrauen ist.
In der Frage der Krankenversicherung sind unter der letzten Regierung Fortschritte gemacht worden. Manches von dem, was wir uns in Bezug auf mehr Wettbewerb und mehr Kosteneffizienz vorgestellt haben, steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wir haben uns vorgenommen, die Frage, wie wir das Gesundheitssystem finanzieren, gemeinsam im nächsten Jahr zu beantworten. Ich betone: in einem Jahr. Angesichts der Tatsache, dass ein großer Streit vorausgegangen ist, der nicht vom Zaune gebrochen worden ist, sondern seine Ursache in den gewaltigen Problemen hinsichtlich Finanzierung und Zukunftsfähigkeit des bisherigen Systems hat, ist es eine ehrgeizige, aber lösbare Aufgabe, in einem Jahr eine Lösung zu suchen.
Ich will zusammenfassen: Wenn es die große Koalition schafft, in einem Jahr eine Lösung für die Finanzierungsprobleme der Krankenversicherung zu finden, die beide Parteien über die Koalition hinaus auch in den nächsten Jahrzehnten weiter mittragen und die gesellschaftliche Akzeptanz hat, dann haben wir etwas Großes zustande gebracht. Ich bin sicher, wir werden das schaffen.
Der vierte Punkt betrifft die Frage der Staatsfinanzen; dieses Thema ist schon angesprochen worden. Die Menschen erwarten, dass wir eine Lösung finden. Wir alle sollten so ehrlich miteinander sein, zu bekennen: Es wurde in diesem Zusammenhang von eigentlich allen Parteien in diesem Hause eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht; nur die Zusammensetzung des Cocktails war jeweils eine andere. Die Menschen denken, dass wir uns alle bei so manchem Punkt, der im Koalitionsvertrag steht, fast einig sind, dass wir aber nur deswegen nichts machen, weil wir es im politischen Wettstreit nicht hinbekommen. Wenn wir diese Punkte, etwa wenn es um den Abbau von Steuersubventionen geht, aufgreifen und sagen, diese Steuersubventionen schaffen wir ab, und zwar gemeinsam, weil wir alle das eigentlich immer richtig fanden, dann werden wir auf viel mehr Akzeptanz stoßen, als die FDP vermutet. Wir werden auf gesellschaftliche Unterstützung stoßen, weil jeder denkt, das war lange fällig, das musste gemacht werden und es ist gut, dass es jetzt geschieht.
Zu einer Debatte über die Lage des Staatshaushaltes gehört immer Ehrlichkeit.
- Ja, überall. - Zur Ehrlichkeit gehört aber, dass man nicht nur sagt, wie es nicht geht, sondern dass man Vorschläge macht, wie es gehen soll. Es gibt die schlechte Mode, Entschließungsanträge zu schreiben; wir werden am Ende dieser Debatte drei Beispiele dazu zu bewältigen haben. Entschließungsanträge beziehen sich eigentlich auf Gesetzgebungsvorhaben, sind aber häufig eine reine Meinungsbekundung. So löst man kein Problem, weil man sich nicht wirklich zu dem bekennen muss, was man eigentlich will, und weil die Konzepte nicht aufgehen müssen.
Ich habe mir den Entschließungsantrag der FDP und den Entschließungsantrag von PDS/Linkspartei angesehen. Ich musste feststellen, dass darin eigentlich kein Vorschlag zur Lösung eines der genannten Probleme steht.
Ich bin außerdem sehr daran interessiert, herauszufinden, was Sie meinen. Ich jedenfalls habe große Zweifel, ob es wirklich in Ordnung ist - wie das die FDP vorschlägt -, bei den sozialen Sicherungssystemen bei dem, was hineinkommen muss, und dem, was herausgenommen werden muss, mehr zuzulangen und mehr zu sparen,
ohne den Menschen zu sagen - das ist eine mögliche Übersetzung der rhetorisch groß vorgetragenen Rede von Herrn Westerwelle -, dass wir die Renten sofort und ordentlich kürzen, damit die Staatsfinanzen in Ordnung sind.
Ich finde, ohne diesen ehrlichen Zusatz ist die ganze Rede nur noch hohl. Davor sollte man sich als Politiker in Acht nehmen. Jetzt tritt eine Regierung ins Amt, die mit ihrer Mehrheit viele reale Taten zustande bringen wird. Daher kommt man mit hohlen Sprüchen nicht sehr weit. Ich rate zu mehr Ehrlichkeit.
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ich habe an den verschiedenen Beifallsbekundungen heute festgestellt, dass es gelegentlich Einigkeit zwischen FDP und PDS/Linkspartei gibt
- das werden Sie auch bleiben -,
während an bestimmten Stellen auch zwischen Grünen und den beiden Koalitionsfraktionen Gemeinsamkeiten bestanden. Das hat etwas damit zu tun, dass sich die Vorstellung, was gerecht ist und was Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft ausmacht, bei den Regierungsparteien und bei unserem bisherigen Koalitionspartner auf diese Welt bezieht.
Gerecht kann nur sein, was auch möglich ist.
Was ist das „einig Uneinige“ zwischen der FDP und den Grünen? Die FDP will, dass das mögliche Maß an Gerechtigkeit nicht verwirklicht wird, weil man auch darunter bleiben kann.
Die PDS/Linkspartei möchte das Unmögliche und hält das für gerecht.
Beides ist falsch. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/112? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/114. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Ablehnung aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/91. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ging bei Ihnen von den Linken etwas durcheinander. Ich werte das mal als ein geschlossenes Abstimmungsverhalten, obwohl es auch einige andere Handzeichen gab. Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Gegenstimmen von CDU/CSU, SPD und FDP und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zu den Bereichen Außen, Europa, Entwicklung und Menschenrechte.
Das Wort hat als erster Redner der Bundesminister Frank-Walter Steinmeier.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 4. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 1. Dezember 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]