57. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Finanzielle Folgen für Beitragszahler und Patienten bei Verwirklichung des von der Koalition vorgelegten Gesetzes zur Gesundheitsreform
(siehe 56. Sitzung)
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine Wiederbelebung des nuklearen Abrüstungsprozesses im Rahmen der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft
- Drucksache 16/3011 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 30)
a) Entwurf eines Gesetzes der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte
- Drucksache 16/3008 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Grietje Bettin und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
PC-Gebühren-Moratorium verlängern
- Drucksache 16/2793 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Rundfunkgebühr für Computer mit Internetanschluss - Die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks grundlegend reformieren
- Drucksache 16/2970 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anja Hajduk, Alexander Bonde, Anna Lührmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Haushaltskonsolidierung konsequent anpacken - Haushaltsgesetzgebung reformieren
- Drucksache 16/2998 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehrwertsteuersatz für apothekenpflichtige Arzneimittel
- Drucksache 16/3013 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 31)
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (Urwaldschutzgesetz)
- Drucksache 16/961 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/2880 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Dirk Becker
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Cornelia Behm
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Neue Armut in Deutschland - Die aktuelle Diskussion um sogenannte Unterschichten
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Erfolg führen
- Drucksache 16/2997 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(f)
Petitionsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen - Wirksamkeit sichern und Glaubwürdigkeit schaffen
- Drucksache 16/3001 -
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte in Zentralasien stärken
- Drucksache 16/2976 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Uschi Eid, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine verbraucherfreundliche und Qualität sichernde EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste
- Drucksache 16/2977 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 1. Juni 2006 zur Änderung des am 29. August 1989 unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern
- Drucksachen 16/2708, 16/2956 -
- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/3012 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding (Heidelberg)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/... -
Berichterstattung: Abg. ...
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hettlich, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine 60-Tonnen-Lkw auf deutschen Straßen
- Drucksache 16/2990 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 12 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze bei innergemeinschaftlichen Verstößen
- Drucksache 16/2930 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Arbeit in Armut verhindern
- Drucksache 16/2978 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Ulrike Höfken, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Qualifizierung statt Quoten - Vermittlungsagenturen für landwirtschaftliche und andere grüne Berufe
- Drucksache 16/2991 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Tagesordnungspunkte 25 - Beschleunigung von Planungsverfahren - und 30 o - Elektronischer Geschäftsverkehr - werden abgesetzt. Der Tagesordnungspunkt 15 - dabei handelt es sich um mehrere Vorlagen zur Terrorismusbekämpfung - wird morgen nach dem Tagesordnungspunkt 24 aufgerufen. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf zwei geänderte Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Jahressteuergesetz 2007 (JSTG 2007)
- Drucksache 16/2712 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
GO
Die Federführung für den in der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwurf soll nunmehr auf den Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) übergehen.
Zweites Gesetz zur Änderung des Aufbauhilfefondsgesetzes
- Drucksache 16/2704 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie Zusatzpunkt 2 auf:
3. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotentiale (Jahresabrüstungsbericht 2004)
- Drucksache 15/5801 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2005)
- Drucksache 16/1483 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine Wiederbelebung des nuklearen Abrüstungsprozesses im Rahmen der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft
- Drucksache 16/3011 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Zum Jahresabrüstungsbericht 2005 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion das Wort.
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel: Der nordkoreanische Atomwaffentest ist eine gefährliche Provokation und ein Irrsinn. Wir verurteilen das Verhalten Nordkoreas.
Deshalb müssen wir heute Morgen über die nordkoreanische, aber auch über die iranische Atomkrise sprechen. Wir sollten allerdings ebenso deutlich machen: Abrüstung und Rüstungskontrolle gehören insgesamt wieder auf die internationale Tagesordnung.
Eine effektive Rüstungskontrolle muss erneut zum Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen werden.
Vertraglich vereinbarte Rüstungsbeschränkung kann die Welt sicherer machen. Während des Kalten Krieges trug eine effektive Rüstungskontrolle maßgeblich zur Kriegsverhütung und zur Vertrauensbildung bei.
Sie schuf den Rahmen für Kooperation und friedlichen Wandel.
Abrüstung und Rüstungskontrolle waren aber nicht nur im Kalten Krieg ein angemessenes Instrument. In seinem Schatten wurden auch eine Reihe regionaler Rüstungskontrollverträge beschlossen. Diese Abkommen erleichterten die regionale Zusammenarbeit und schufen ein Gefühl gemeinsamer Sicherheit. Abrüstung trug dazu bei, vormalige Bürgerkriegsgesellschaften zu stabilisieren. So wurden mit dem Vertrag von Dayton gegenseitige Abrüstungsschritte im ehemaligen Jugoslawien vereinbart. Auch in El Salvador und in Kambodscha wurde der Friedensprozess durch die Vernichtung von Waffenbeständen unterstützt.
Doch nicht mehr nur Regierungen beeinflussen die Rüstungskontrolle. Ohne die Bürgerinnen und Bürger in den so genannten Nichtregierungsorganisationen wäre das Landminenabkommen niemals in Kraft getreten. Das war ein bedeutendes Signal.
Seit einigen Jahren gibt es jedoch so gut wie keine Fortschritte mehr. Der Rüstungskontrollprozess tritt auf der Stelle. Diese Krise ist allerdings nicht das Ergebnis einer veralteten Idee. Im Gegenteil: Das Konzept der Rüstungskontrolle ist modern und anpassungsfähig. Die eigentliche Ursache für das Ausbleiben weiterer Fortschritte ist der fehlende politische Wille in wichtigen Ländern.
Die USA haben sich aus den großen Verträgen zurückgezogen. Neue Vereinbarungen wurden ignoriert; Verbesserungen wurden blockiert. Russland behindert die Umsetzung der konventionellen Abrüstung in Europa. Frankreich und Großbritannien modernisieren wie auch die anderen Kernwaffenstaaten ihre nuklearen Arsenale. Neue Sicherheitsdoktrinen weisen Kernwaffen eine frühzeitige Einsatzmöglichkeit zu. Weltweit steigen die Rüstungsausgaben und - dies sage ich selbstkritisch auch an unsere Adresse - Rüstungsexporte haben wieder Konjunktur. Weitere Gefahren sind die unkontrollierte Verbreitung von Trägerraketen und die unsichere Lagerung von hoch angereichertem Uran in zu vielen Ländern. Und nicht zu vergessen: Zwischen den Atommächten Indien und Pakistan gibt es noch immer kein belastbares Abkommen.
Diese Krisen zeigen deutlich: Wir brauchen neue Anstrengungen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung. Dabei müssen wir sowohl die lokalen als auch die globalen Bedingungen beachten und verändern. Beide Ebenen stehen in einem Zusammenhang.
Im Atomkonflikt mit dem Iran müssen wir weiterhin konstruktiv, geschlossen und beharrlich an einer Lösung arbeiten. Der Versuch, den Streit in Verhandlungen zu lösen, war und bleibt richtig. Dass jetzt auch Sanktionen von den Vereinten Nationen beschlossen werden sollen, signalisiert nicht das Scheitern der Diplomatie. Dieser Schritt ergänzt vielmehr die bisherige Strategie. Der Iran muss seine Verstöße beenden, die Unklarheiten über sein Atomprogramm ausräumen und versuchen, durch vertrauensbildende Maßnahmen Glaubwürdigkeit herzustellen.
Die Verantwortlichen in Teheran sollten vor allem eines wissen: Weder Status noch Großmannssucht werden dem Land die gewünschte Rolle in der Welt zuweisen, sondern nur eine Politik der Akzeptanz, des Respekts und der Kooperation gegenüber den Nachbarn und der Region.
Kernwaffen in Nordkorea sind eine ebenso große Gefahr für den Frieden. Mehr noch: Ein unkontrollierter Rüstungswettlauf könnte die Folge sein. Angesichts des wachsenden Nationalismus, nicht geregelter Konflikte und der mangelnden Bereitschaft zu einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung schafft dies Unsicherheiten in der Region, aber auch für uns.
In Zukunft darf es allerdings nicht allein darum gehen, länderspezifische Lösungen für Kernwaffenaspiranten zu suchen. Ebenso notwendig ist es, über die offenkundigen Probleme und Schwächen, Ungleichgewichte und doppelten Standards der Rüstungskontrollregime zu sprechen. Dabei sollte eines klar sein: Die bisherigen Abkommen müssen in ihrer Substanz erhalten bleiben. Die Instanzen, die die Einhaltung der jeweiligen Verträge überwachen, müssen gestärkt werden. Gleichzeitig sollten die Vertragslücken geschlossen und, wo nötig, ergänzt werden. Im Einzelnen gehören dazu wirksame und überprüfbare Maßnahmen der nuklearen Abrüstung, eine Nulllösung bei den taktischen Atomwaffen, ein Kernwaffenregister, die Offenlegung der Plutoniumbestände und das In-Kraft-Setzen des umfassenden Teststoppvertrages. Das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag muss von allen Vertragsstaaten ohne Einschränkungen akzeptiert werden.
Der internationale Terrorismus ist heute auch eine sicherheitspolitische Herausforderung. Es besteht die Gefahr, dass diese Gruppen Massenvernichtungswaffen besitzen und einsetzen wollen. Das beste Rezept, solche Pläne zu verhindern, ist, weitere Staaten vom Besitz derartiger Waffen abzuhalten und die Atomwaffenstaaten zu überzeugen, endlich ihre Verpflichtung zur Abrüstung einzulösen.
Je weiter Atomwaffen verbreitet sind, umso wahrscheinlicher ist, dass sie in die Hände internationaler Terroristen geraten. Rüstungskontrolle ist deshalb auch ein Mittel gegen nicht staatliche Bedrohungen.
Demokratien sind Ordnungen, die einer effektiven Rüstungskontrolle aufgeschlossen gegenüberstehen. Deshalb ist es nicht nur ein Privileg, sondern auch die Aufgabe demokratischer Institutionen, weitere Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung anzuregen. Vor allem müssen Parlamente und Regierungen den Frieden zwischen den Ländern stärken. Zweifellos sind dabei Demokratien gegenüber ihresgleichen friedensgeneigter. Demnach bedeutet die Zunahme der Zahl demokratisch regierter Länder auch eine Ausbreitung des Friedens.
Das ist allerdings keine einfache Gleichung. Die Form allein bewirkt noch keine Demokratie. Außerdem sind fragmentierte demokratische Staaten in der Regel keine friedlichen Gesellschaften. Deshalb sind militärische, von außen herbeigeführte Regierungswechsel nicht nur völkerrechtswidrig; sie sind zum Aufbau demokratischer Gesellschaften vollkommen ungeeignet.
Mehr noch: Derartige Handlungen diskreditieren das Konzept des demokratischen Friedens, bedrohen die Prinzipien des Völkerrechts und schaffen neue Unsicherheiten wie übermäßige Rüstung und falsches Regieren.
Die Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle ist vor allem das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen. Weil der politische Wille zugunsten von Abrüstung und Rüstungskontrolle fehlt, brauchen wir gerade jetzt mutige und kluge Schritte. Wir brauchen eine Wiederbelebung der Abrüstung und Rüstungskontrolle.
In den 70er- und 80er-Jahren waren es vor allem westeuropäische Sozialdemokraten, die eine Politik der Entspannung durch Initiativen zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ergänzt haben. Egon Bahr, Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky sind nur einige Namen in einer beachtlichen Reihe von Personen, die für diese Politik standen.
Wenn wir heute, in Zeiten neuer Spannungen, wieder eine Entspannungspolitik gestalten wollen, kann die SPD ihre Erfahrungen und Ideen einbringen. Dabei reichen gute und überzeugende Vorschläge allein nicht. Um die kollektive Friedenssicherung zu stärken, müssen wir Abrüstung und Rüstungskontrolle als Ordnungsprinzip der internationalen Politik erneuern. Die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union, vor allem aber der einjährige Vorsitz Deutschlands in der G 8 bieten dafür einen geeigneten Rahmen. Es wäre leichtfertig, wenn wir diese Chancen verpassen würden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion.
Elke Hoff (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu Beginn einen Satz aus dem vorliegenden Jahresabrüstungsbericht 2005 zu zitieren:
Verlust an regionaler Sicherheit ... wirkt sich stets auf die weltweite Sicherheitsbalance aus.
Der nordkoreanische Atomwaffentest vom 9. Oktober hat gezeigt, dass die Debatte um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen aktuell und dringender als selten zuvor ist.
Heute liegen uns die Jahresabrüstungsberichte der Jahre 2004 und 2005 vor. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Gemeinsam mit dem Jahr 2006 waren es schwarze Jahre für die weltweite nukleare Abrüstung. Über diesen Umstand kann auch ein Friedensnobelpreis für die Internationale Atomenergiebehörde im Jahr 2005 nicht hinwegtäuschen.
Mit Nordkorea hat vermutlich ein weiterer Kernwaffenstaat die weltpolitische Bühne betreten. Die Diskussion über das iranische Atomprogramm schwelt weiter; eine tragfähige Lösung ist nicht in Sicht. Darüber hinaus befinden sich das Nichtverbreitungsregime und dessen Herzstück, der Nichtverbreitungsvertrag, in einer nicht zu leugnenden Krise. Kernwaffenstaaten wie Russland und die USA modernisieren ihr Nuklearwaffenpotenzial, anstatt ihren vertraglichen Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen. Mit dem geplanten indisch-amerikanischen Nuklearabkommen erhält der Kernwaffenstaat Indien die globale Anerkennung und Zugang zu modernster Nukleartechnologie - spaltbares Material eingeschlossen -, obwohl Indien dem Nichtverbreitungsvertrag nie beigetreten ist. Solche nuklearen Doppelstandards gefährden die Glaubwürdigkeit der internationalen Nichtverbreitungspolitik.
Die genannten Punkte dokumentieren, dass die nukleare Abrüstung in eine politische Sackgasse geraten ist. Deshalb muss die Weltgemeinschaft jetzt entschlossen gegen eine neue nukleare Weltordnung angehen, in der Kernwaffen wieder eine zentrale sicherheitspolitische Bedeutung erhalten. Der Eindruck, der Besitz von Atomwaffen sei der Garant für internationale Macht, Einfluss und Anerkennung, hätte fatale Folgen: Es wäre ein unwiderstehlicher Anreiz für neue potenzielle Nuklearmächte. Der nordkoreanische Atomtest war ein lauter Warnschuss vor den Bug einer statischen globalen Sicherheitsarchitektur. Es ist dringend an der Zeit, dass die großen Atommächte endlich ihren vertraglichen Abrüstungsverpflichtungen nachkommen.
Sowohl im Fall Nordkorea als auch in der Frage um das iranische Atomprogramm ist ein geschlossenes und konsequentes diplomatisches Vorgehen der P 5 weiterhin notwendig. In dieser schwierigen Lage benötigt die internationale Abrüstungspolitik Impulse und politische Ansätze, damit sie sich aus ihrer Stagnation befreien kann.
Es ist gut, wenn die Bundesregierung das Thema ?Abrüstung und Nichtverbreitung“ auf ihre politische Agenda setzt. Aber diesen Ankündigungen müssen natürlich entsprechende Taten folgen. Es ist deshalb die Aufgabe unseres Landes, als glaubwürdiger Nichtkernwaffenstaat auf diesem Gebiet eine Führungsrolle zu übernehmen. Die Rolle, die Deutschland bei den diplomatischen Bemühungen der EU 3 um das iranische Atomprogramm eingenommen hat, kann hierfür beispielhaft sein.
Daher ist die bisherige Haltung der Bundesregierung im Fall des indisch-amerikanischen Nuklearabkommens unglücklich und über weite Strecken nicht akzeptabel. In seiner bisherigen Form stellt die bilaterale Vereinbarung zwischen Indien und den USA eine Belastung für die Glaubwürdigkeit der internationalen Nichtverbreitung dar. Bei den Beratungen in der Nuclear Suppliers Group, die dem Abkommen einstimmig ihre Zustimmung erteilen muss, hat sich die Bundesrepublik bisher hauptsächlich auf Nachfragen beschränkt. Medienberichten zufolge wurde auf diplomatischer Ebene von Bundeskanzlerin und Außenminister anfänglich nur der Zeitpunkt des Abkommens beim transatlantischen Partner als schwierig bezeichnet. Indien als Nuklearmacht müssen jedoch die gleichen Verpflichtungen auferlegt werden wie den Kernwaffenstaaten, die den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet haben, wenn es in den Genuss modernster Nukleartechnologie kommen will.
Die Kritik an diesen Schwachstellen des Nuklearabkommens wurde bisher vorrangig anderen europäischen Nachbarstaaten wie Irland und Schweden überlassen. Wir erwarten, dass die vom Bundesaußenminister im Juni genannten Kriterien zur Nachbesserung des Abkommens auch offiziell als deutsche Position in der nächsten Plenumssitzung der NSG zur Sprache gebracht werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte diese Nachbesserungen bereits in einem Antrag im Mai eingefordert.
Die nukleare Nichtverbreitung ist nicht das einzige abrüstungspolitische Themenfeld, das unserer verstärken Aufmerksamkeit bedarf. Ende November findet in New York die 6. Überprüfungskonferenz für das Biowaffenabkommen statt. Das Scheitern der Konferenz im Jahr 2001 stellt die internationale Gemeinschaft vor die schwierige Aufgabe, neue Wege für eine Stärkung des Vertrages zu finden. Ein tragfähiges und handlungsfähiges Biowaffenregime wird besonders wichtig, da gerade die biologischen Waffen im Zuge der rasanten Entwicklung in den Biowissenschaften immer gefährlicher werden.
Im Schatten der Debatte um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen steht viel zu häufig das Problem der weltweiten Verbreitung von Kleinwaffen. Derzeit sind circa 650 Millionen dieser Waffen international im Umlauf. Vor allem in den Entwicklungsregionen Afrikas, Asiens und Südamerikas werden Konflikte überwiegend mit Kleinwaffen und leichten Waffen ausgetragen. Deswegen ist es nicht falsch, wenn im Zusammenhang mit Kleinwaffen von den wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit gesprochen wird.
Der Jahresabrüstungsbericht 2005 verweist in diesem Zusammenhang auf ein vorbildliches Engagement der Bundesregierung. Ich sehe das etwas anders. Rüstungsexporte der Gegenwart sind nicht selten die Abrüstungsprobleme der Zukunft. Deshalb lohnt es sich, einen Blick in den Rüstungsexportbericht zu werfen. Die Gesamtsumme aller exportierten Kleinwaffen der Bundesrepublik ist zwischen 2004 und 2005 nahezu gleich geblieben.
Aber die Exporte von Kleinwaffen in Entwicklungsländer haben sich in der Relation verdreifacht: von 5 auf 15 Prozent der Gesamtausfuhren. Das ist angesichts der bereits geschilderten Auswirkungen in den Entwicklungsregionen besorgniserregend. Die Bundesregierung muss deshalb sicherstellen, dass die Empfängerländer bei Neulieferungen ihre alten Bestände vernichten, sodass diese Waffen nicht in die falschen Hände geraten und die Region weiter destabilisieren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die weltweite Abrüstung und Nichtverbreitung sowohl von Massenvernichtungswaffen als auch von konventionellen Waffen stellt die Weltgemeinschaft nach der Beendigung des Kalten Krieges vor große Herausforderungen. Wir müssen fähig sein, diese im Interesse der globalen Sicherheit und Stabilität gerade jetzt gemeinsam zu bewältigen. Ich sehe eine Reihe von Möglichkeiten, gemeinsame Initiativen zu ergreifen und wichtige Übereinstimmungen herzustellen. Ich bin sehr sicher, dass wir hier im Parlament vernünftige Schritte unternehmen werden. Dieses Thema ist so wichtig, dass wir alle unsere Kraft darauf verwenden sollten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden von der CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Nordkoreas Bombe mag klein gewesen sein. Die Konsequenzen des Atomtests - mittlerweile müssen wir ja davon ausgehen, dass es sich um eine nukleare Explosion gehandelt hat - sind aber als dramatisch zu bezeichnen. Die Welt ist ohne Zweifel unsicherer geworden. Wenn die gemeinsame Ablehnungsfront aus Amerikanern, Europäern, Russen, Japanern und Chinesen keine angemessene Antwort auf diese Provokation Pjöngjangs findet, dann könnte der 9. Oktober 2006 als jener Tag in die Geschichte eingehen, an dem ein neues nukleares Wettrüsten begonnen hat.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns über die Motive Nordkoreas klar werden: Nordkorea ist ein Regime, das als Folge seiner selbst gewählten Isolierung mit dem Rücken zur Wand steht. Zur Machterhaltung wählt es den Weg der Erpressung. Zur Erpressung wendet Nordkorea hauptsächlich zwei Mittel an: zum einen seine Armee, zum anderen - so paradox es klingen mag - die Drohung mit den wirtschaftlichen Folgen, die sein Scheitern für seine Nachbarn haben würde.
Bisher hat Nordkorea den militärischen Teil seiner Strategie vor allem auf konventionelle Streitkräfte gestützt. Dieses bitterarme Land hat ungefähr 1,3 Millionen Soldaten. Damit verfügt es über eine der größten Armeen, die es auf der Welt gibt. Wir wissen, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Nordkoreas immer mehr dazu führen, dass diese Armee nicht mehr finanziert werden kann. Deswegen hat die provozierende und zugleich paradoxe Sicherheitsstrategie Nordkoreas zur Konsequenz, dass sich das Land um Atomwaffen bemüht.
Wie wir sehen, funktioniert diese Strategie. Südkorea und China verhalten sich, wenn es um die wirtschaftlichen Folgen der im UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen geht, sehr zurückhaltend, weil sie den Zusammenbruch Nordkoreas fürchten. Dann müssten sie Flüchtlinge aufnehmen und die Bruchstücke des zusammengebrochenen Regimes aufsammeln. Deswegen, so glaube ich, müssen wir auch mit Südkorea und China Gespräche über die Folgen eines möglichen Zusammenbruchs Nordkoreas führen.
Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass der häufig vorgetragene Gedanke, Nordkorea hätte durch direkte Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea von seinem Nuklearprogramm abgebracht werden können, bestenfalls naiv zu nennen ist. Solche direkten Gespräche zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten hat es bereits nach der ersten nordkoreanischen Nuklearkrise Mitte der 90er-Jahre gegeben. Diese Gespräche waren - so hat man es jedenfalls damals eingeschätzt - erfolgreich; denn sie haben mit dem Abschluss eines Abkommens geendet. Als Gegenleistung für die Einstellung seines Nuklearprogramms erhielt Nordkorea in der Folge umfangreiche Öllieferungen. Die extra zu diesem Zweck gegründete Organisation KEDO, an der sich auch die EU beteiligt hat, begann zur Sicherstellung der Energieversorgung Nordkoreas mit dem Bau zweier Leichtwasserreaktoren.
Pjöngjang hat dieses Abkommen gebrochen und sein Nuklearprogramm vor drei Jahren - so nehmen wir jedenfalls an - wieder aufgenommen. Das zeigt, dass der beschriebene einfache Zusammenhang, der von manchen hergestellt wird, bestenfalls naiv ist oder Ausdruck des bei uns bedauerlicherweise verbreiteten Antiamerikanismus, bei dem die Verantwortung für jede internationale Krise zunächst einmal bei den Vereinigten Staaten gesucht wird.
Welche Auswirkungen hat das Verhalten Nordkoreas auf das internationale Nichtverbreitungsregime und die Sicherheitslage? Besonders gefährlich sind die Auswirkungen natürlich für Nordostasien; denn die atomare Bewaffnung Nordkoreas droht die dortige relativ stabile geopolitische Lage der letzten Jahrzehnte durcheinander zu bringen. Diese Lage ist in kurzen Worten so zu beschreiben: Die Vereinigten Staaten schützen Südkorea. China hat die Rolle Russlands übernommen, Nordkorea im Zaum zu halten. Japan steht ebenfalls unter dem Schutzschirm der Vereinigten Staaten.
Japan hat nach dem so genannten Taepodong-Schock aus dem Jahre 1998, als Nordkorea zum ersten Mal eine mehrstufige Rakete testete, intensiv über den Aufbau eines eigenen Raketenabwehrsystems nachgedacht, dies zu tun beschlossen und dabei die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten gesucht. Es ist gut, dass der neue japanische Premierminister Shinzo Abe, der über eine eigene nukleare Bewaffnung seines Landes nachgedacht hat, jetzt deutlich gemacht hat, dass er sich auf den Schutzschirm der Vereinigten Staaten verlassen will. Er weiß, dass eine eigene Nuklearkapazität seines Landes mit erheblichen wirtschaftlichen Kosten und hohen diplomatischen Kosten für sein Land verbunden wäre. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund seiner Bemühungen, das stark belastete Verhältnis zu Peking durch seinen ersten Besuch dort zu verbessern.
Aber auch andere Länder in der Region - Südkorea, möglicherweise auch Taiwan - könnten sich durch die nordkoreanischen Aktivitäten motiviert fühlen, eigene Nuklearkapazitäten aufzubauen. Deswegen ist gerade eine entschlossene und klare Reaktion der Weltgemeinschaft, des UN-Sicherheitsrates, auf die nordkoreanischen Aktivitäten so wichtig. Andere Länder sollen davon abgehalten werden, ebenfalls Nuklearkapazitäten aufzubauen. Dazu bedarf es diplomatischer Bemühungen der Vereinigten Staaten von Amerika. Aber auch China und Russland spielen in dieser Krise eine zentrale Rolle. China ist letztlich der Schlüssel dafür, dass Nordkorea seine Aktivitäten nicht fortsetzt.
Der Nichtverbreitungsvertrag war bisher ein Erfolg. Es wäre daher falsch, das Nichtverbreitungsregime angesichts dieser Entwicklungen grundsätzlich infrage zu stellen, auch wenn wir feststellen müssen, dass es ernsthaften Gefahren ausgesetzt ist. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy hat in den 60er-Jahren prognostiziert, dass man binnen zehn Jahren mit 25 neuen Nuklearmächten rechnen müsse. Glücklicherweise hat sich seine Prognose nicht erfüllt. Mittlerweile haben wir außer den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates Indien, Pakistan, Israel und, seit dem 9. Oktober, Nordkorea als potenzielle oder tatsächliche Nuklearmächte. Ungefähr 40 Staaten stehen laut dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, al-Baradei, an der Schwelle, sich nuklear bewaffnen zu können.
Wir müssen aber auch sehen, welche Konsequenzen die Reaktion der Weltgemeinschaft in Bezug auf den Nuklearkonflikt mit dem Iran hat. Der Iran wird sehr genau beobachten, ob deutliche Sanktionen gegen Nordkorea verhängt werden und ob die Weltgemeinschaft sich durchringen kann, um die Proliferation von Nuklearwaffen auszuschließen, den Schiffsverkehr von und nach Nordkorea zu kontrollieren.
Die Art, wie die Weltgemeinschaft jetzt auf Nordkorea reagiert, wird andere Staaten, die nach Nuklearwaffen streben, ermutigen oder möglicherweise davon abhalten, sich eigene Nuklearwaffen zuzulegen.
Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, welche sicherheitspolitischen Konsequenzen sich für uns aus dieser Entwicklung ergeben. Wir müssen alles dafür tun, dass das Nichtverbreitungsregime aufrechterhalten bleibt, und wir müssen eine Strategie dafür entwickeln, wie wir mit den Staaten umgehen, die sich außerhalb des Nichtverbreitungsvertrages bereits Nuklearwaffen zugelegt haben.
Frau Kollegin Hoff, in diesem Zusammenhang fand ich Ihre Darstellung der Bemühungen der Vereinigten Staaten um eine Heranführung Indiens an das Nichtverbreitungsregime ein wenig einseitig, wenn ich das so sagen darf. Bei Ihrer Darstellung der amerikanischen Bemühungen haben Sie nämlich vollständig außer Acht gelassen, dass es kein Geringerer als der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, al-Baradei, gewesen ist, der unter Berücksichtigung aller realpolitischen Konsequenzen den Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Indien unter dem Strich als einen Fortschritt gerade auch im Hinblick auf die Unterstützung des Nichtverbreitungsregimes bezeichnet hat, weil Indien durch diese Verhandlungen und den Vertrag stärker an das Nichtverbreitungsregime herangeführt wird.
Es ist richtig, das Nichtverbreitungsregime aufrechtzuerhalten und alle aufzufordern, sich daran zu halten, aber wir müssen schließlich auch eine Strategie dafür entwickeln, wie wir mit den Staaten umgehen und auf konstruktive Signale der Staaten reagieren, die sich neben den offiziell anerkannten Nuklearmächten Nuklearwaffen beschafft haben.
Durch die Entwicklung, die wir zu beobachten haben, müssen wir uns aber auch die Frage nach unserer eigenen Sicherheitspolitik stellen. Wir müssen uns die Frage vorlegen, wie wir auf die Gefahr der asymmetrischen Proliferation von Nuklearwaffen angemessen reagieren. Wir müssen uns im Rahmen der NATO auch Gedanken darüber machen, wie wir auf die Gefahr, dass es weitere Nuklearmächte geben kann, und auf die Gefahr, dass sich zum Beispiel der Iran tatsächlich nuklear bewaffnet, reagieren.
Wir müssen bedenken, dass schon heute viele Staaten Europas im Einzugsbereich iranischer Raketen liegen. Es ist letztlich auch eine Frage der Zeit, wann wir die Gefahren des nuklearen Terrorismus in der westlichen Welt vor Augen geführt bekommen und wann wir damit rechnen müssen, dass auch Europa von Nuklearwaffen weiterer Atomstaaten bedroht wird. Darauf müssen wir angemessen reagieren, und zwar einerseits mit den bereits vom Kollegen Mützenich beschriebenen Bemühungen, das Nichtverbreitungsregime aufrechtzuerhalten und so viele Staaten wie möglich von ihren möglichen Plänen, sich Nuklearwaffen zuzulegen, abzuhalten, und andererseits, indem wir Überlegungen anstellen, wie wir unsere eigene Bevölkerung effizient und erfolgreich vor diesen Gefahren schützen können.
Das Beispiel Nordkorea und die Entwicklung in diesem Monat zeigen, dass wir unsere Sicherheit, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, nicht mehr allein geografisch definieren können, sondern dass die Entwicklungen in fernen Teilen unserer Welt auch für die Sicherheit in unserem Land unmittelbare Konsequenzen haben. Wir müssen darauf vorbereitet sein.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Jahresabrüstungsberichte der Bundesregierung sind wie immer informativ und wichtige Arbeitsmittel für alle, die abrüstungspolitisch engagiert sind. Dafür kann man sich schon einmal bedanken. Ich spreche meine Anerkennung auch all denjenigen aus, die darauf hingewirkt haben, dass wir endlich Gelegenheit haben, in der so genannten Kernzeit über dieses Thema zu sprechen.
Der Haken bei der Sache: Abrüstung, substanzielle Abrüstung, findet nicht mehr statt. Abrüstung ist kein offizielles Thema mehr. Wir machen uns nicht die Sichtweise zu Eigen, die besagt, dass es Rüstungsbedrohungen und Rüstungslasten anderswo gibt, zum Beispiel in Pjöngjang und Teheran, und dass wir damit nicht unmittelbar zu tun haben. Hic Rhodus, hic salta! Wir müssen hier auch darüber reden, was in diesem Hause geschieht.
Hier wird über mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr, über die dafür notwendige Um- und Aufrüstung und über mehr Geld für die Rüstung diskutiert. Auch das gehört in diese abrüstungspolitische Debatte.
Klar, die Bundesrepublik ist kein isolierter Akteur. Wir haben es mit Welttrends zu tun. Da ist, wie man sieht, Abrüstung ?out of time“. Da hilft auch keine Schönfärberei weiter. Im Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung bemüht man lieber Schönsprech statt Tacheles. Ein Beispiel hierfür ist der Ausdruck von der ?gemischten Bilanz der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik“.
Tatsache ist: Die weltweiten Ausgaben für das Militär steigen wieder kräftig. Konventionelle Abrüstung ist kein Thema. Es gibt dazu keine Foren, auf denen derzeit über Abrüstungsschritte verhandelt wird. Im Bereich der Atomwaffen droht eine entscheidende Erosion des Nichtverbreitungsvertrags. Auch die Summe der Waffengeschäfte, also die Ein- und Ausfuhren - der Kollege Mützenich hat darauf schon hingewiesen -, steigt wieder kräftig an. Es ist auch ein bundesdeutsches Thema, wenn Rüstungsexporte wieder Konjunktur haben.
Es ist richtig, wie Kollege Mützenich sagt, dass man über diesen rüstungskontrollpolitischen Ansatz wieder ernsthafter nachdenken muss. Das ist ein entscheidendes Element der Vertrauensbildung. Aber es geht bei der Rüstungskontrolle darum, einem undurchschaubaren und unkontrollierten Aufwuchs von Rüstung zu wehren. Abrüstung dagegen meint eine tatsächliche Reduzierung, Minderung und Eliminierung von Waffenarsenalen, Reduzierung der Zahl der Streitkräfte und Senkung der Rüstungsausgaben. Das ist viel weitgehender. Über genau diesen Punkt muss man diskutieren.
Der Gedanke, der in den 80er-Jahren eine große Rolle gespielt hat, dass Rüstung teuer ist, volkswirtschaftliche Ressourcen bindet und eine zerstörerische und tödliche Wirkung hat - auch das muss man in diesem Zusammenhang einmal sagen -, muss wieder Platz greifen. Deshalb hat Abrüstung für uns einen eigenen Stellenwert.
Die Linke versteht sich als Partei der Abrüstung und das wird auch so bleiben.
Ich halte es für problematisch, dass der Jahresabrüstungsbericht aus einem Aufrüstungs- und einem Abrüstungsteil besteht und sich unkritisch gegenüber dem zeigt, was an Aufrüstung in der NATO und in der EU stattfindet. Auf das Problem des ?demokratischen Friedens“ und darauf, dass man das kritisch reflektieren muss, ist schon hingewiesen worden. Manche verklären die NATO zur größten Friedensbewegung der Welt und deshalb soll all das, was dort an Rüstungs- und Aufrüstungsmaßnahmen vor sich geht, gut sein. Der Hinweis auf Irak und Afghanistan an dieser Stelle muss genügen, um zumindest die Sichtweise, es handele sich um gute Hegemonialmächte und das, was sie rüstungspolitisch täten, sei in Ordnung, zu hinterfragen.
Es bleibt die Tatsache: Zwei Drittel der Weltmilitärausgaben werden durch die NATO bestritten. Wenn dann auch hier im Hause diskutiert wird und aufseiten der Bundesregierung völlig zu Recht darauf hingewiesen wird, dass es ein krasses Missverhältnis zwischen den Weltmilitärausgaben und den Ausgaben für öffentliche Entwicklung gibt, dann muss man doch zunächst einmal innehalten und sich fragen: Was tragen wir, die Bundesrepublik, und die NATO als Bündnis, dessen Mitglied wir sind, dazu bei?
Dazu muss man einfach sagen: Dieses krasse Missverhältnis besteht. Die Weltmilitärausgaben sind inzwischen auf die astronomische Summe von weit über 1 Billion Dollar gestiegen. Ich glaube, die öffentlichen Entwicklungsmittel liegen gegenwärtig bei etwas über 80 Milliarden Dollar. Das ist ein krasses Missverhältnis. Dieses Element trägt entscheidend zu Unfrieden und Unsicherheit in der Welt bei. Hieran muss gearbeitet werden. Das heißt: Abrüstung auch bei uns. Ebenso muss die NATO Beispiele dafür geben, dass sie abrüstungspolitisch vorangehen will.
Das ist der Punkt. Ich bin pragmatisch denkend genug, um zu wissen, dass man hier nicht wie bei einer Wundertüte von der einen Seite auf die andere Seite umverteilen kann. Aber dennoch ist der Hinweis auf diese Diskrepanz zwischen Militär- und Entwicklungsausgaben wichtig, weil er einfach Fehlentwicklungen zeigt, die korrigiert werden müssen. Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag, dass die NATO ähnlich wie in den 70er-Jahren, in denen sie ein ?long-term development programme“ begonnen und ihre Mitgliedstaaten aufgefordert hatte, die Mittel für die Rüstungsetats jährlich um 5 Prozent zu steigern, ein entsprechendes Programm unter umgekehrten Vorzeichen auflegt. Warum sagen wir nicht, die Mitglieder sollen jährlich die Mittel für die Rüstungsetats um 5 Prozent reduzieren?
Die Bundesregierung schreibt in ihrem Bericht, im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stehe die ?Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel“ mit dem langfristigen Ziel der vollständigen Abschaffung. Das ist sehr wichtig. Spätestens seit dem jüngsten stupiden Atomtest in Nordkorea steht die nukleare Frage wieder auf der Tagesordnung. Auch die Debatte um das iranische Atomprogramm hat gezeigt, dass der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen in einer Krise steckt.
Es droht in der Tat - darin ist meinen Vorrednern zuzustimmen - eine Entwicklung, die zu mehr Atomwaffenmächten und neuen atomaren Rüstungswettläufen führen wird. Es zeigt sich aber auch, dass sich auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt, dass es auf der einen Seite das exklusive Monopol einer kleinen Staatengruppe gibt, die für sich den Besitz von Atomwaffen beansprucht, und auf der anderen Seite die nuklearen Habenichtse. Das hat nicht zuletzt die ergebnislose Überprüfungskonferenz im Jahr 2005 gezeigt.
Wenn sich nichts an der beharrlichen Weigerung der Atomwaffenbesitzer, abzurüsten, ändert, dann werden wir bei der nuklearen Abrüstung nicht weiterkommen. Die Nuklearmächte müssen daran erinnert werden, dass sie sich im Atomwaffensperrvertrag zur Abrüstung verpflichtet haben. Diese Verpflichtung müssen sie endlich ernst nehmen.
Auf der anderen Seite steht der um sich greifende militärische Interventionismus der Staaten des Nordens, der in anderen Teilen der Welt als bedrohlich empfunden wird. Auch darüber muss man sich Gedanken machen. Man muss sich schließlich nicht wundern, wenn manche glauben, sie könnten sich besser schützen, wenn sie selber über die tödlichste aller Waffen verfügten.
Die Glaubwürdigkeit der Atommächte - auch darauf wurde schon hingewiesen - wird auch erschüttert, wenn sie selber eine Politik der doppelten Standards verfolgen. Während dem Iran wegen möglicher Atomwaffenambitionen bestimmte Rechte des Atomwaffensperrvertrags nicht zuerkannt werden, soll der neue Atomstaat Indien mit einer breiten nukleartechnischen Zusammenarbeit belohnt werden.
Zur Erhöhung der nuklearen Gefahren gehören auch waffentechnologische Entwicklungen, die die Schwelle für den Einsatz dieser Waffen herabsetzen. Früher galten Atomwaffen als politische Abschreckungswaffen. Es gab immer Bestrebungen, sie auch für militärische Einsätze zu instrumentieren, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Das war die Paradoxie der nuklearen Abschreckungsphilosophie.
Inzwischen hat sich unsere Lage in rüstungstechnologischer Hinsicht verändert. Es gibt die so genannten Mini-Nukes und Bunker brechende Waffen, die für sehr konkrete Einsatzszenarien vorgehalten werden sollen. Das heißt, dass die Gefahr des Einsatzes dieser Waffen immens steigt. Auch darauf muss in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, um daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Was folgt daraus? Ohne eine neue Dynamik bei der atomaren Abrüstung ist der Weg zu atomaren Rüstungswettläufen vorprogrammiert. Darüber muss gesprochen werden. Als erster Schritt müssen die bereits 1995 deklarierten negativen Sicherheitsgarantien, nach denen Nichtatomwaffenstaaten nicht atomar angegriffen werden dürfen, rechtsverbindlich werden. Die Ersteinsatzdoktrinen gehören in den Orkus. Der Grundsatz ?No first use“ ist aktueller denn je.
Es geht aber nicht nur darum, was in anderen Staaten geschieht. Auch in Deutschland geht es, wie gesagt, um nukleare Abrüstung und um die deutschen Beiträge dazu. Wir brauchen die taktischen US-Nuklearwaffen, die in Büchel und Ramstein lagern, nicht mehr als transatlantische Klammer. Es ist ein armseliges Bündnis, das auf einer solchen Lastenteilung beruht.
Diese Waffen sind gefährlich, und zwar sowohl für diejenigen im Osten, auf die sie gerichtet sind, als auch für uns, weil sie Zielpunkte bei Einsatzplanungen anderer Staaten sind. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, die USA zum Abzug zu drängen und diese Frage in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO beharrlich anzusprechen.
Bei der Diskussion über die Revision des strategischen Konzepts der NATO mit Blick auf den Gipfel 2008 sollte die Bundesregierung energisch darauf drängen, dass die aus dem Kalten Krieg übernommene Formel, wonach diese taktischen Nuklearwaffen essenziell für die Verteidigung des Bündnisses sind, endlich in der Mottenkiste der Geschichte verschwindet.
Schließlich sollte die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik endgültig ad acta gelegt werden. Das heißt, dass auch die Tornadostaffel, die die Träger für diese Waffen bereitstellt, aufgelöst werden sollte.
Das ist eine Reihe von Vorschlägen. Ich könnte einige Vorschläge zur Rüstungsexportpolitik anschließen. Auch in diesem Bereich könnte die Bundesrepublik Deutschland sehr viel mehr tun, als es gegenwärtig der Fall ist. Also nicht immer auf andere zeigen, sondern hier mit der Abrüstungspolitik beginnen! Leider reicht meine Zeit nicht mehr, darauf genauer einzugehen.
Noch einmal: Die NATO muss ein positives Signal bei der Abrüstung setzen. Wir müssen die nationalen Spielräume für Abrüstung nutzen. Das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide muss geschlossen werden. Der Weg muss für eine zivile Nutzung freigemacht werden.
Die Rüstungsexporte müssen eingeschränkt und schließlich beendet werden. Das alles fordern wir in unserem Entschließungsantrag. Ich empfehle Ihnen, diesem zuzustimmen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile nicht alles, was mein Vorredner gesagt hat. Aber in einem Punkt hat er Recht: ?Abrüstung“ klingt wie ein Stichwort aus einer vergangenen Zeit. Ich bin mir sicher, dass bei einer solchen Debatte noch vor 20 Jahren nicht nur die unteren Ränge des Hauses sehr viel voller gewesen wären, sondern auch die Pressetribünen. Das Bedrohungsgefühl hat sich hierzulande offensichtlich verändert. Vor 15 Jahren, nach dem Ende der Blockauseinandersetzungen, und mit Herstellung der europäischen Einheit hat die Furcht vor Bedrohung nachgelassen. Man begann zu hoffen, dass sich die Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel in Europa verflüchtigt oder irgendwie von selbst erledigt. Das war ein böser Trugschluss. Der Atomtest in Nordkorea vor zehn Tagen hat - darauf haben bereits viele hingewiesen - die Menschen aufgerüttelt. Wir erleben nun, dass das Zeitalter der Atomwaffen ganz offensichtlich nicht vorbei ist. Im Gegenteil: Manche Machthaber wie die in Nordkorea setzen ganz offenkundig darauf, sich mit atomaren Machtspielen wieder einen Platz in der Weltpolitik zu verschaffen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle und vor Einstieg in das eigentliche Thema einen Dank an das Hohe Haus richten. Der Deutsche Bundestag hat das zur Diskussion stehende Thema - ich glaube, das darf ich sagen - nicht nur dann ernst genommen, wenn es im Brennpunkt der medialen Aufmerksamkeit stand.
Allen hier vertretenen Parteien ist das Thema Abrüstung immer ein Anliegen gewesen, wenn auch vielleicht mit unterschiedlichen Gewichtungen. Das weiß man auch außerhalb der Grenzen unseres Landes. Weil man uns in Abrüstungsfragen ernst nimmt, finden Kongresse und Veranstaltungen zu diesem Thema - achten Sie einmal darauf! - häufig in Deutschland statt. Zuletzt fand im Willy-Brandt-Haus eine Veranstaltung zu den Themen ?Abrüstung“ und ?nukleare Abrüstung“ zusammen mit dem Direktor der Internationalen Atomaufsichtsbehörde, al-Baradei, statt.
Wir diskutieren heute über den Jahresabrüstungsbericht und dokumentieren damit zum 22. Mal in der Geschichte der Republik die Anstrengungen der Bundesregierung bei der Rüstungskontrolle, der Nichtverbreitung und der Abrüstung. Zu Beginn der Vorlage der Abrüstungsberichte stand natürlich die Situation in Deutschland und in Europa - das habe ich vorhin angedeutet - im Vordergrund. Die Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel und Trägerraketen war für unser Land allgegenwärtig. Heute stehen wir vor der Aufgabe, dem damals gewählten und noch immer richtigen Ansatz von multilateralen Verpflichtungen und Verträgen zu neuer Geltung und Durchsetzungsstärke zu verhelfen.
Europa und insbesondere Deutschland stehen dabei - das bekenne ich - in ganz besonderer Verantwortung. Wir wollen die Gefahr eines nuklearen Wettlaufs auch in anderen Weltregionen durch eine aktive Abrüstungspolitik verhindern.
Wie dringlich dies ist, zeigt der Atomtest in Nordkorea, auf den ich schon zu Beginn meiner Rede hingewiesen habe. Das nordkoreanische Regime verstößt mit dieser Provokation eklatant gegen die Bestimmungen des Nichtverbreitungsvertrages. Wie Sie wissen, bedeutet die Zündung eines nuklearen Sprengkopfes, wie sie nun stattgefunden hat, eine neue Eskalationsstufe.
Deshalb unterstützen wir - ich bin froh, dass das auch viele andere hier gesagt haben - die eindeutige und deutliche Antwort des Weltsicherheitsrats auf diesen unverantwortlichen Schritt; denn wir dürfen nicht wegsehen, wenn Nordkorea auf diese Weise nicht nur den Frieden in der Region gefährdet, sondern mit seinen Aktivitäten der Welt geradezu einen neuen nuklearen Rüstungswettlauf aufzuzwingen versucht.
Deshalb lassen Sie uns auch von dieser Stelle noch einmal das Regime in Pjöngjang dazu aufrufen, den Weg einer, wie ich finde, völlig sinnlosen Selbstisolation zu verlassen, und dies nicht nur wegen des Rüstungswettlaufs, sondern auch weil Nordkorea damit noch mehr Armut und noch mehr Leid über die eigene Bevölkerung bringt.
Indem ich das sage, bringe ich aber auch in Erinnerung, dass in der Antwort des Weltsicherheitsrats ein Zweites enthalten ist, nämlich auch die Aufforderung an Nordkorea, im Rahmen der Sechsergespräche an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir unterstützen ausdrücklich die schnelle Wiederaufnahme eines politischen Dialogs, nicht nur weil ich ihn für richtig halte, sondern auch weil ich ihn für alternativlos halte.
Mit der gleichen Sorge, aber auch mit dem gleichen Ziel haben wir uns in den Konflikt um das iranische Atomprogramm eingeschaltet und Teheran zu einem frühen Zeitpunkt in diesem Jahr, nämlich schon im Juni, gemeinsam mit anderen ein sehr, sehr weit reichendes Angebot zu Gesprächen und zu Verhandlungen gemacht. Dabei ist auch Ihnen immer wieder offenbar geworden: Wir sprechen Teheran eben nicht das Recht auf zivile Nutzung von Atomenergie ab, aber wir wollen verhindern, dass sich Teheran unter diesem Deckmantel eigene Nuklearwaffen zulegt.
Deshalb besteht die Weltgemeinschaft auf einer internationalen Kontrolle des Atomprogramms. Deswegen pochen wir auf eine Aussetzung der Urananreicherung und deshalb muss Teheran den Nachweis liefern, dass geheime Aktivitäten aus offensichtlich mehr als 18 Jahren weder im Hauptzweck noch im Nebenzweck der Entwicklung einer eigenen nuklearen Waffentechnologie gedient haben.
Die Auseinandersetzungen mit Nordkorea und dem Iran offenbaren - viele andere haben es eben gesagt - eine schleichende Erosion des Nichtverbreitungsvertrages. Auch dieses Thema ist in der Weltpolitik in den vergangenen Jahren zu Unrecht unter den Punkt ?Verschiedenes“ gerutscht. Manche hat es kaum beunruhigt, dass die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Mai 2005 ohne jedes substanzielle Ergebnis auseinander und zu Ende gegangen ist. Ich will deshalb für uns betonen: Wir müssen das Thema Abrüstung wieder oben auf die Tagesordnung setzen.
Für die Bundesregierung - das verspreche ich Ihnen - bleibt es ein zentrales Anliegen, dass die nächste Überprüfungskonferenz im Jahr 2010 ein Erfolg wird. Herr Mützenich hat darauf hingewiesen, dass die G 8 einen Rahmen dazu bietet, die Arbeiten schon im nächsten Jahr aufzunehmen. Arbeit gibt es reichlich. Erst 41 von 44 Staaten haben den umfassenden Kernteststoppvertrag unterzeichnet. Sieben müssen noch ratifizieren, darunter die wichtigsten. Die Arbeit in der Genfer Abrüstungskonferenz braucht frische Impulse. Auch die Abrüstung der Kernwaffenstaaten und insbesondere die Abrüstung der nuklearen Kurzstreckenraketen von Russland und den USA müssen wieder auf den Tisch kommen.
Zur Logik der Nichtverbreitung gehört aber auch, dass wir glaubwürdige Angebote für die zivile Nutzung der Kernenergie für solche machen, die sie nutzen wollen. Deshalb habe ich - dem einen oder anderen wird das aufgefallen sein - vor wenigen Wochen einen Vorschlag zur Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufs in die Diskussion gebracht, nicht etwa deshalb, weil ich meinte, es gebe nicht genügend, sondern weil ich der Meinung bin, dass jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Vorschläge kein Fortkommen zu erzielen war und deshalb die Diskussion wieder neu angestoßen werden muss.
Es gab Reaktionen auf diesen Vorschlag: Sie waren so ermutigend, dass wir diesen Weg weitergehen werden.
Wir werden diesen Weg fortsetzen, auch wenn er, wie ich weiß, lang, beschwerlich und dornenreich ist. Obwohl das so ist, haben wir der Nuclear Suppliers Group erst am Freitag der vergangenen Woche angeboten, dass Deutschland zum ersten Mal in der Geschichte dieser Gruppe ihren Vorsitz übernimmt. Nach Lage der Dinge wird das etwa im Jahre 2008 der Fall sein. Damit will ich Ihnen nur sagen, dass wir es mit unserem Engagement für eine multilaterale Nichtverbreitung ernst meinen. Wir sind bereit, auch dafür Verantwortung zu übernehmen.
Mit einigen wenigen Worten muss ich einen zweiten Komplex erwähnen: konventionelle Rüstungsgüter, insbesondere Kleinwaffen und Minen. Es handelt sich dabei um eine Kategorie von Waffen - ich habe es hier im Hohen Hause schon einmal gesagt -, mit denen mehr Menschen als mit den Waffen aller anderen Kategorien zusammen umgebracht werden. Wie Sie wissen - es wurde hier gesagt -, werden durch die massenhafte Verbreitung dieser Waffen Konflikte verschärft und wird die Entwicklung in vielen Ländern destabilisiert. Deshalb haben wir uns in diesem Bereich engagiert, vor allen Dingen bei der Entschärfung von Minen. Die Bundesregierung hat zum Beispiel mit dem Internationalen Konversionszentrum Bonn und anderen Nichtregierungsorganisationen, mit der GTZ und der Bundeswehr, Herr Jung, dafür gesorgt, dass viele dieser Minen entschärft werden. Dadurch wurde das Leben vieler Menschen wieder sicherer gemacht.
Wir werden bei diesem Engagement bleiben, etwa wenn es um die Einführung von Standards für Antifahrzeugminen geht. Wir werden uns im Rahmen dieser Anstrengungen auch für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Streumunition einsetzen.
Sie können sich darauf verlassen, dass unser Engagement erhalten bleibt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Werner Hoyer von der FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem meine Kollegin Elke Hoff, unsere abrüstungspolitische Sprecherin, die wesentlichen Fragen der beiden Jahresabrüstungsberichte behandelt hat, möchte ich jetzt auf das, was Minister Steinmeier und andere Redner gesagt haben, eingehen und mich in meinem kurzen Beitrag auf wenige Punkte beschränken.
Herr Steinmeier, es ist richtig: Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre war Abrüstungspolitik en vogue. Bei einem solchen Thema wäre dieses Haus voll gewesen und man hätte sich danach gedrängt, in diesem Bereich irgendeine Rolle zu spielen. Wer sich damals in den Verteidigungsausschuss begeben hat, wurde eigentlich belächelt, weil er eher als Aufrüster dargestellt wurde. Heute spielt die Abrüstungspolitik offensichtlich keine so große Rolle mehr. So schlimm die Themen sind, mit denen wir uns gegenwärtig befassen müssen - Nordkorea, Iran -: Vielleicht ist mit dieser Situation die Chance für einen Neubeginn in der Abrüstungspolitik verbunden.
Womöglich wird uns bewusst, dass Abrüstungspolitik auch in Zeiten asymmetrischer Bedrohung einer Logik folgen muss. Es war damals relativ einfach - ich anerkenne, was Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre in der Abrüstungspolitik geleistet worden ist -, weil man sich in einem Gleichgewichtsdenken bewegen konnte.
Heute ist Abrüstungspolitik so schwierig, weil wir es teilweise mit abstrakten, teilweise mit konkreten Bedrohungen zu tun haben, aber keine beidseitige Reduzierung im Sinne einer Gleichgewichtspolitik betreiben können. Deswegen muss man bei diesem Thema sehr viel Mut, Konsequenz und Standhaftigkeit haben.
Fast möchte ich selbstkritisch fragen: Was haben wir versäumt? Darauf komme ich gleich zurück.
Wichtig ist mir, vorweg zu sagen: Was die konkreten Fälle angeht, müssen wir klarstellen, wer verantwortlich ist. Für das, was im Iran oder in Nordkorea passiert, sind die Regierungen im Iran und in Nordkorea und niemand anders verantwortlich.
Wenn wir uns selbstkritisch mit der Frage beschäftigen, was wir machen können, um eine zukunftsorientierte Abrüstungspolitik zu gestalten, dann entlässt das diese Regierungen nicht aus ihrer Verantwortung.
Es entlässt auch nicht diejenigen aus ihrer Verantwortung, die jetzt über Sanktionen nachdenken und im Zweifel darüber entscheiden. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, der es in beiden Fällen nahe legt, dieses Mittel nicht mehr auszuschließen. Aber wir alle müssen wissen: Sanktionen wie Embargomaßnahmen können nur funktionieren, wenn sie ?dicht“ sind. Dann darf es nicht schon am Anfang Relativierungen geben, wie wir sie jetzt seitens Chinas wieder gehört haben.
Ich glaube, dass in China jetzt eine Schocksituation eingetreten ist und deshalb vielleicht wirklich eine Chance besteht, die chinesischen Kollegen beim Wort zu nehmen. Uns als Obleuten des Auswärtigen Ausschusses haben die chinesischen Kollegen vor wenigen Monaten nachdrücklich gesagt, für wie realistisch und machbar sie die diplomatische Lösung im Falle des Iran - aber wahrscheinlich auch im Falle Nordkoreas - halten. Wir müssen sie jetzt einmal zeigen lassen, was sie auf diesem Gebiet können. Nur Nein zu sagen, das kann es bei diesem Thema wirklich nicht sein.
Zweitens. Ich halte es für völlig absurd, davon auszugehen, dass sich die Vereinigten Staaten in direkte Gespräche mit Nordkorea hineinbomben lassen. Insofern ist das Verhalten Nordkoreas gerade im Zusammenhang mit dem Anliegen, das Nordkorea verfolgt, kontraproduktiv.
Ich sehe aber auch das Dilemma, vor dem die Vereinigten Staaten stehen. Wenn man eine militärische Option ausschließt, was ich tue und was übrigens auch auf Südkorea zutrifft, dann gibt es entweder die Möglichkeit, die Chance zu direkten Gesprächen nicht auszuschlagen, oder die Möglichkeit, sich endgültig damit abzufinden, dass Nordkorea über Nuklearpotenzial und über die entsprechenden Trägersysteme verfügt.
Deshalb sollten wir uns im Westen Mut machen, wieder daran zu gehen, auf der Basis unserer eigenen Werte und Überzeugungen Abrüstungspolitik zu betreiben. Die Erosion der Regime in Osteuropa - teilweise schrecklicher Regime - ist nicht über eine konkrete militärische Bedrohung, sondern über eine militärisch abgesicherte Erosion von innen erfolgt. Darauf muss man auch im Falle Nordkoreas auf Dauer setzen. Von daher sollte man Gespräche nicht von vornherein ausschließen.
Drittens. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass wir es, wenn der Iran und Nordkorea Erfolg haben sollten, mit einer zweistelligen Zahl - sie reicht an die 20 heran - von Atommächten zu tun haben werden; mit der Perspektive, dass dann die Proliferation an nicht staatliche Akteure nicht mehr wird verhindert werden können. Deshalb muss jetzt hier mit einer neuen Politik eine Grenze gezogen werden. Das erfordert aber ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit der jetzigen Atommächte, und insbesondere der P 5. In diesem Kreise hat es über Jahre in der Tat keine beherzte Abrüstungspolitik gegeben. Vielmehr wird dort ständig über neue nukleare Systeme philosophiert und es wird modernisiert. Deswegen müssen wir auch gegenüber denjenigen, die überlegen, ob sie sich eine nukleare Option schaffen sollten, Glaubwürdigkeit demonstrieren. Unseren Partnern in Ost und West sollten wir entsprechend Mut machen.
Herr Minister, ich freue mich, dass Sie den Vorsitz der Nuclear Suppliers Group übernehmen. Das bedeutet aber auch, dass Sie in der Nuclear Suppliers Group richtig abstimmen müssen, wenn es um Indien geht. Ich begrüße sehr, dass der Kollege Mützenich für die SPD-Fraktion gesagt hat: Es kann nicht sein, dass auf der Grundlage der gegenwärtigen Bedingungen Deutschland dem Nukleardeal zwischen den Vereinigten Staaten und Indien zustimmt.
Meine Damen und Herren, es gibt - ich bin ein gnadenloser Optimist - vielleicht eine Chance, die Abrüstungspolitik wieder in Gang zu bringen. Ich freue mich, dass Sie gesagt haben - wir haben Sie in diesem Jahr bereits mehrfach in Plenardebatten dieses Hauses dazu aufgefordert -, dass Sie die Abrüstungspolitik für die Bundesregierung ganz oben auf die Tagesordnung Ihrer Politik setzen werden. Sie werden dabei unsere Unterstützung haben. Das wird ein schwerer Weg sein, und zwar deshalb, weil die intellektuelle Herausforderung, vor der wir stehen, wenn wir über Abrüstung bei asymmetrischer Bedrohung reden, sehr viel Musik enthält. Wir werden Sie nach Kräften unterstützen. Ich hoffe, dass wir bald Taten sehen werden; übrigens auch deshalb, weil Deutschland in der Völkergemeinschaft und insbesondere in Europa eine ganz wichtige Rolle spielt, da wir ein für alle Mal auf Atomwaffen verzichtet haben. In Europa und darüber hinaus gibt es viele Länder, die ebenfalls der Meinung sind, dass eine gute Zukunft und ein großer Einfluss in der Weltpolitik auch dann möglich sind, wenn man nicht über Atomwaffen verfügt.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herzlichen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg von der CDU/CSU-Fraktion.
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast alles, was der Kollege Hoyer gesagt hat, ist zu unterschreiben bzw. zu unterstreichen. Es ist wenig hinzuzufügen. Trotzdem werde ich sicherlich noch einige Punkte finden.
Herr Bundesaußenminister, wir begrüßen ausdrücklich den Stellenwert, den Sie der Rüstungskontrolle jetzt einräumen und zukünftig einräumen wollen. Dieser Stellenwert spiegelt sich in dem sicherlich ehrgeizigen Ansatz wider, was die nächste Überprüfungskonferenz anbelangt, und in dem ehrgeizigen Ansatz, bei beiden Präsidentschaften - ich glaube, dass sich hier eine Verzahnung finden lässt - die Rüstungskontrolle ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Wir werden das unterstützen. Wir halten das für den richtigen Ansatz.
Die Debatte, die wir heute führen, ist außerordentlich vielschichtig. Daher müssen wir uns davor hüten, mit einseitigen Schuldzuweisungen zu arbeiten. Die Vielschichtigkeit zeigt sich beispielsweise in den Diskussionen, die wir im Unterausschuss führen. Herr Kollege Schäfer, ich glaube, wir müssen sehr aufpassen, dass wir bezüglich gewissen Partnern und Bündnissen nicht einen Zungenschlag in die Diskussion bekommen, der in meinen Augen wenig hilfreich wäre. Sie haben die NATO genannt. Wenn in der Diskussion der Zungenschlag übrig bliebe, dass die NATO ein Faktor der Unsicherheit wäre, dann wäre das - bei allem Reformbedarf - sicherlich falsch und ließe vergessen, welche Beiträge die NATO in den vergangenen Jahren für unsere Sicherheit und für die Stabilität in Europa geleistet hat und auch heute noch leistet.
Die Rüstungskontrolle befindet sich - das ist heute in allen Beiträgen angeklungen - in einer Krise. Herr Bundesaußenminister, Sie haben sogar von ?Erosion“ gesprochen. Symptomatisch für diesen Befund ist mit Sicherheit der derzeitige Zustand des Nichtverbreitungsvertrages. Für uns muss entscheidend sein, dass der Eindruck, der gerade vor dem Hintergrund der Situation in Nordkorea und im Iran derzeit entsteht, dass Dreistigkeit und Unverschämtheit siegen würden, niemals Maßstab einer zielführenden Rüstungskontrollpolitik für uns sein kann. Wir müssen diesem Eindruck entgegenwirken, meine Damen und Herren.
Nun könnte man meinen, dass es der Alarm- und Weckrufe in dieser und in vergangener Zeit genug gegeben habe. Allerdings scheinen sich einige internationale Mitspieler noch ganz bewusst im Dornröschenschlaf befinden zu wollen. Manches Dornröschen mit Mundgeruch küsst man auch ungern wach. Das gilt sicherlich auch für uns.
Das mag eine etwas harte Metapher sein,
aber sie spiegelt wider, vor welchen Defiziten und vor welchen Paradoxa wir in dieser Thematik letztlich stehen. Die Mängel des Nichtverbreitungsvertrages sind uns seit Jahren hinlänglich bekannt. Die fehlende Universalität ist letztlich nur paradigmatisch für viele andere Dinge, die wir herausgreifen können und sollten. Geschehen ist letztlich wenig, zu wenig. Daher ist die Überprüfungskonferenz sicher der richtige nächste Schritt.
Was wäre zu tun? An sich ist mit den neuen Konfliktherden - wir spüren das heute Morgen - auch eine neue Diskussionsdynamik gewonnen. Das ist wahrscheinlich der einzige positive Schluss, den wir angesichts des insgesamt verheerenden Bildes ziehen können. Die Begleitung dieser Dynamik dürfen wir aber nicht allein den Medien überlassen; auch wir hier in diesem Hause müssen sie aufgreifen - die heutige Tagesordnung spiegelt das schon wider -, substanziell unterfüttern und ohne einseitige Schuldzuweisungen mit unseren Partnern fortentwickeln. Insofern können wir sicherlich aus den gescheiterten Konferenzen der vergangenen Jahre lernen. Manchmal ist der Lerneffekt auch ein guter, der in die Zukunft hineinzureichen weiß.
In meinen Augen wäre auch eine Ausbalancierung der Prozesse - zum einen Nichtverbreitung und zum anderen Abrüstung - geboten. Kollege Mützenich hat darauf hingewiesen. Angesichts der heute gegebenen Vernetzungen der asymmetrischen Komplexe neigen wir noch dazu, in allzu starren, hergebrachten Mustern zu denken. Ich glaube, wir müssen uns vom noch herrschenden Kastendenken verabschieden und kreativ neue Wege aufzeigen, um die Ausbalancierung herzustellen. Wir müssen aber auch differenzieren: So sehr aus nuklear aufgerüsteten Staaten Proliferationsrisiken entstehen können, so wenig wird aus der Umkehrung eine zwangsläufige Logik. Sie haben auf den Punkt der Logik hingewiesen, Kollege Hoyer. Wir dürfen daher nicht verkürzt argumentieren, sondern sollten zur Kenntnis nehmen, dass sich nukleare Proliferation kaum durch hundertprozentige Abrüstungsbereitschaft der existierenden Nuklearmächte vermeiden oder aufhalten lässt. Diesen Punkt muss man immer wieder zur Sprache bringen. Das heißt nicht, dass wir dem Ziel der völligen Abrüstung von Nuklearwaffen nicht verpflichtet bleiben müssen - das haben wir im Koalitionsvertrag ja auch entsprechend festgehalten -, sondern dass wir darauf achten müssen, dass Hypothesen und Realitäten sich nicht in gefährlicher Weise innerhalb der Argumentationsketten vermengen.
Ich bezweifle leider, dass dem nordkoreanischen und iranischen Streben nach Atomwaffen durch entsprechende Abrüstungsschritte des Westens tatsächlich Einhalt geboten werden könnte. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ebenen, die wir zu behandeln haben. Das ist bedauerlich und soll auch nicht falsch verstanden werden: Abrüstung ist dringend geboten. Doch man würde es sich allzu leicht machen, lediglich isoliert vorzugehen. Wer glaubt, unsere Sicherheit würde sich sprunghaft erhöhen, wenn der Westen als solcher auf die Atomwaffen verzichten würde, der erliegt einer Illusion, insbesondere solange wir Staaten wie Syrien und Iran gegenüberstehen, die sich anderen Kontrollregimes nicht verpflichtet fühlen; beispielhaft sei das Chemiewaffenübereinkommen oder das Biowaffenübereinkommen genannt. Es ist eine hochkomplexe Angelegenheit mit unterschiedlichen Schichten, in der man nicht zu brachial argumentieren sollte. Das soll nicht heißen, dass gewisse Zeichen bestimmter uns partnerschaftlich verbundener Staaten im gesamten Abrüstungsbereich mit Blick auf faktisch oder möglicherweise auch bündnispolitisch nicht mehr benötigte Systeme und Waffen nicht wünschenswert wären. Das darf man ansprechen und das sollte man auch in der entsprechenden Form ansprechen.
Es genügt natürlich nicht, gebetsmühlenartig immer nur die Vereinigten Staaten zu nennen. Man sollte in diesem Kontext mit derselben Vehemenz, vielleicht mit einer noch größeren Vehemenz, auch einmal Russland benennen.
Heute ist auch auf Presidential Declarations oder Initiatives hingewiesen worden, die es im Jahr 1991 gab. Da ist herzlich wenig geschehen. Auch Russland muss hier in die Pflicht genommen werden.
Ein Zweites; auch das ist ein sehr komplexer Ansatz. Es gilt in meinen Augen eine Politik zu entwickeln, die sich zielführend mit dem zu Recht und zu Unrecht erhobenen Vorwurf der doppelten Standards auseinander setzt. Das ist mittlerweile ein wechselseitig, und zwar mit enormer Dynamik, erhobener Vorwurf. Es ist fast eine Double-standards-Kultur entstanden, die wir nutzen, wann immer es uns wunderbar passt, gerade auch im wirtschaftlichen Sinne, Herr Bundesminister. Beispielhaft sei hier die Debatte über das US-indische Nuklearabkommen - das ist heute schon angeklungen - genannt. Das ist eine außerordentlich schwierige Thematik, die mit allen Schattierungen gesehen werden muss. Wir dürfen diese Debatte nicht verkürzen. Man hat aber gelegentlich den Eindruck, dass mittlerweile die USA und nicht Nordkorea oder Iran als hauptverantwortlich für den Niedergang des Nichtverbreitungsregimes angesehen werden. Dazu wird dieses Abkommen jetzt gern herangezogen. Es wird auch ernsthaft argumentiert, dass sich Iran und Nordkorea durch das Abkommen erst ermutigt gefühlt hätten, nach Atomwaffen zu streben. Das ist - das muss klar festgestellt werden - barer Unsinn.
Dem Willen der internationalen Gemeinschaft läuft das Verhalten Teherans und Pjöngjangs selbstverständlich entgegen. Aber dass dem US-indischen Abkommen diesbezüglich eine Ursächlichkeit zugesprochen wird, dem müssen wir einen Riegel vorschieben; denn das nutzt in der Gesamtdebatte, die wir gerade führen, nun wirklich niemandem. Das Abkommen zwischen den USA und Indien ist im Hinblick auf diese beiden Problemkreise weniger das Problem. Es ist natürlich paradigmatisch für all die bekannten Schwächen des Nichtverbreitungsvertrages. Frau Zapf, das ist etwas, was Sie mit großer Vehemenz und mit großer Verve bearbeiten. Ich nehme an, dass Sie uns heute noch einige Punkte nennen werden, die wir hier beachten müssen und in Zukunft beachten werden.
Die Verhandlungen laufen noch, was dieses Abkommen anbelangt. Vielleicht wäre es auch einmal geboten, bei uns von parlamentarischer Seite auf die Kontakte zurückzugreifen, die beispielsweise zum amerikanischen Senat bestehen. Weil gern so platt mit Schuldzuweisungen gearbeitet wird, will ich einmal sagen: In den USA findet eine wirklich kontroverse Auseinandersetzung gerade im Senat statt. Das ist etwas, was wir positiv aufgreifen sollten. Da sollten wir nicht immer mit der flachen Hand über den Tisch fahren.
Zuletzt zum Iran. Ich bin für das dankbar, was der Bundesaußenminister genannt hat. Ich möchte in diesem Rahmen Folgendes sagen: Es sind schwierige und manchmal fast dilemmatisch geprägte Verhandlungszüge, in denen man sich hier befindet. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten auf dem Gebiet kreativ verantwortungsvoll gehandelt und verhandelt. Das verdient auch einmal den Dank dieses Hauses. Was hier zu leisten war, war nicht einfach. Es wurden viele Impulse gesetzt - das muss man wirklich sagen - und die Bundesregierung verhält sich hier entsprechend.
- Michael Schaefer ist in der Tat einer, der hier an der Spitze zu nennen ist, mit Sicherheit, Herr Kollege Hoyer.
Es wäre zu wünschen, dass all das, was heute angeklungen ist, keine Eintagsfliege bleibt - zurzeit stehen wir ja unter dem Eindruck der Probleme Nordkorea und Iran -, dass dieser Tagesordnungspunkt so prominent besetzt bleibt und Kohärenz mit anderen Themenfeldern findet. Herr Bundesaußenminister, unsere Unterstützung haben Sie, wenn Sie es in den kommenden Jahren so hoch auf der Tagesordnung ansetzen. Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie sich mit dieser Thematik entsprechend befassen. Hier liegt viel vor uns. Es sind komplexe Themenfelder.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist offenkundig: Die Nordkoreakrise offenbart auch die Krise der Abrüstungspolitik. Israel, Indien und Pakistan ist es gelungen, sich in den Besitz von Atomwaffen zu bringen, Nordkorea ist dabei und wir haben die schlimme Vermutung, dass Iran Ähnliches betreibt.
Herr von Guttenberg, Sie haben hier gesagt, wir müssten vermeiden, dass Dreistigkeit belohnt wird. Diese Forderung kommt - ich muss das sagen - leider zu spät. Schauen Sie sich die Reaktionen auf die Dreistigkeit von Indien und Pakistan an! Beide Staaten werden heute mit Waffen bezahlt; alle Diskussionen über Embargos usw. sind beendet worden. Das ist der Hauptgrund, warum wir zu dem US-indischen Atomdeal so kritisch stehen; denn genau das ist die Botschaft, die von dieser Vereinbarung ausgeht: dass Dreistigkeit beim Zugriff auf Atomwaffen belohnt wird.
Man kann sich da auch nicht hinter Herrn Baradei verstecken; er hat das ebenfalls konditioniert. Herr Bundesaußenminister, meinen Sie das, was Sie hier gesagt haben, ernst? Sie sagen, wir könnten an Indien kein Nuklearmaterial liefern, wenn es nicht den Teststoppvertrag unterschrieben hat; wir könnten das nur tun, wenn wir es schaffen, Ihren richtigen Vorschlag der Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes umzusetzen. - Ich kann Ihnen sagen, wie Sie sich in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach in der Nuclear Suppliers Group verhalten müssen, wenn Sie diese Bedingungen ernst nehmen, Herr Bundesaußenminister: Sie werden Nein sagen müssen an dieser Stelle. Sie werden sich genau so verhalten müssen, wie wir als Grüne das hier beantragt haben.
Ich glaube, dass es richtig ist, an dieser Stelle Nein zu sagen; denn eine Welt, in der 15, 20 oder mehr Staaten über Nuklearwaffen und die entsprechende Technologie verfügen, was dazu führt, dass wir uns mit möglicher illegaler, halblegaler oder auch legaler Lieferung von solcher Technologie an Verbrecher, an Terroristen auseinander zu setzen haben, können wir uns, glaube ich, nur sehr schwer vorstellen.
Ich habe immer gesagt, dass - da sind wir vielleicht sogar einer Meinung - es vernünftig wäre, insgesamt auf die Nutzung der Kernenergie zu verzichten. Das ist der beste Schutz vor Proliferation. Aber wenn Sie diesen besten Schutz nicht weltweit realisieren können, dann ist es notwendig, die Fragen der Anreicherung und der Wiederaufarbeitung einem konsequenten multilateralen Regime zu unterstellen. Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Aber dieses multilaterale Regime wird nur dann erfolgreich sein, wenn es kein einseitiges ist, wenn es eines ist, das auch uns hier in Deutschland und ebenso die USA, Russland, Frankreich und alle anderen betroffenen Staaten entsprechend bindet und einbindet. Nur dann wird es ein glaubwürdiges und belastbares Regime sein, das die Verbreitung von solchen Technologien, die eben auch für kriegerische Zwecke zu nutzen sind, tatsächlich unterbinden kann.
Bezüglich der heute Atomwaffen besitzenden Mächte will ich hier nicht über Schuld und Ähnliches lange streiten, Herr von Guttenberg. Sie haben Recht, die aktuell größte Bedrohung ist die, die von Nordkorea ausgeht; das ist richtig. Aber Sie können doch nicht in Abrede stellen, dass die permanente Weigerung, nuklear abzurüsten - Russlands, Chinas, der USA, Großbritanniens, Frankreichs, also all derjenigen, die diese Waffen besitzen -, eine der Hauptursachen gewesen ist, dass es bei der Nichtverbreitungskonferenz nicht zu einem Ergebnis gekommen ist. Auch das dürfen wir in einer solchen Debatte nicht verschweigen.
Ich füge hinzu: Man muss sich gelegentlich an die eigene Nase fassen. Es kann nicht sein, dass in der Debatte in dieser Woche über die Frage der Abrüstung gesprochen wird - was richtig ist, Herr Bundesaußenminister -, aber uns in der nächsten Woche der Bundesverteidigungsminister den Entwurf eines Weißbuchs, abgesegnet durch einen Kabinettsbeschluss, präsentiert. Ich möchte gerne einmal wissen, lieber Herr Jung und lieber Herr Steinmeier: Findet sich auch nach dem Kabinettsbeschluss der Satz, der noch im Entwurf des Weißbuchs enthalten ist, wieder, nämlich dass für eine glaubhafte Abschreckung die nukleare Drohung nach wie vor unverzichtbar ist? Das heißt, Sie bedienen selber die Logik derjenigen, die heute nach Atomwaffen greifen. Deshalb sage ich: Kehren Sie vor der eigenen Haustür!
Sorgen Sie dafür, dass dieser Satz bis zur nächsten Woche aus dem Weißbuch gestrichen wird!
Wenn wir über Abrüstung reden, dann müssen wir auch und gerade den Bereich der konventionellen Waffen einbeziehen. Ich glaube übrigens, dass es im Deutschen Bundestag für weitergehende Schritte - damit meine ich nicht nur den Verzicht auf nukleare Teilhabe Deutschlands - wie die wirksame Begrenzung von Kleinwaffen und ein Verbot von Antifahrzeugminen oder von Streumunition eine breite Mehrheit gibt. Aber diese breite Mehrheit zeigt sich angesichts der Vereinbarungen der großen Koalition im Deutschen Bundestag nicht. Das steht im krassen Gegensatz zu dem, was beispielsweise der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Kurt Beck, auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Bundesaußenminister geklärt hat. Er hat nämlich gefordert, die Frage der Abrüstung nachdrücklich auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir hätten uns gefreut, wenn angesichts des Besuchs von Hans Blix nächste Woche anlässlich der Vorstellung seines Berichts Deutschland seine Absicht bekunden würde, im Bereich der Abrüstung die eine oder andere Initiative, die sich im Bericht findet, zu unterstützen. Aber wenn wir uns gerade die Bereiche Kleinwaffen und Streumunition ansehen, dann muss man sagen, dass auf diesem Feld, lieber Herr Kollege Mützenich, erst einmal gar nichts passiert.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf folgenden Punkt hinweisen: Gestern erst hat der Menschenrechtsausschuss unseren Antrag zum effektiven Regime über Kleinwaffen abgelehnt. Der Knackpunkt, warum er abgelehnt wurde, war, dass nicht nur illegale, sondern eben auch legale Exporte und die entsprechende Munition unter ein solches Regime gestellt werden sollten. Ich finde es nicht glaubwürdig, auf Konferenzen der Friedrich-Ebert-Stiftung für Abrüstung zu plädieren und gleichzeitig solche Anträge im Deutschen Bundestag abzulehnen.
Ich will diese kritische Betrachtung für den Bereich der Streubomben fortsetzen. Ich habe hier mit großem Interesse die Aussagen des Bundesaußenministers über ein Verbot von Streubomben gehört. Schauen wir uns die Debatten dieser Tage im Bundestag an, dann muss man sagen, dass das, was Union und SPD miteinander vereinbaren konnten - ich will Ihnen unterstellen, dass Sie eigentlich etwas anderes wollten; aber Sie konnten nur das vereinbaren -, in dem schönen Satz gipfelte, man wolle die ?gefährliche Streumunition verbieten“. Mir ist neu, dass es auch ungefährliche Streumunition gibt.
Es ist völlig egal - das können Sie zurzeit im Libanon sehen -, ob in einem Cluster von Streubomben 10, 30 oder 40 Prozent der Munition nicht explodieren. Es ist egal, ob 50 oder 500 Pellets zum Beispiel in einer Plantage liegen. In jedem Fall kann diese Plantage nicht mehr betreten und nicht mehr bewirtschaftet werden. Ein einziges dieser Pellets reicht aus, um ein Kind zu einem Invaliden zu machen oder sogar zu töten.
Deswegen sage ich Ihnen: An dieser Stelle können Sie nicht einen solch halbseidenen und inkonsequenten Kurs fahren. Diese Munition darf insgesamt nicht akzeptiert werden. Es ist eine Tatsache, dass die gleiche Munition, die jetzt im Libanon zu finden ist und täglich zu Todesfällen führt, im Besitz unserer Bundeswehr ist. Die Bundeswehr sollte diese Munition in eine geordnete Entsorgung überführen. Wir dürfen solche Waffen nicht besitzen. Das bedeutet, Abrüstung in unserem Lande durchzuführen.
Es ist viel von den 80er-Jahren die Rede gewesen. Ich will Sie an eine Lehre aus den 80er-Jahren erinnern. Es gab damals immer das Bestreben, nur dann abzurüsten, wenn die andere Seite etwas tut. Da galt das Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Friedensbewegung hat dem eine ganz einfache Erkenntnis entgegengesetzt: Abrüstung beginnt immer bei einem selber. Abrüstung beginnt dadurch, dass wir konsequent auf eine nukleare Teilhabe verzichten. Abrüstung beginnt bei der Forderung, Kleinwaffen einem internationalen Regime zu unterwerfen. Abrüstung beginnt, wenn wir sagen: Wir wollen, dass Streumunition verboten wird. Wir wollen solche Waffen nicht mehr besitzen. - Das ist glaubwürdige Abrüstungspolitik.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Uta Zapf von der SPD-Fraktion.
Uta Zapf (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Trittin, ich fühle mich, obwohl ich das eigentlich nicht wollte, bemüßigt, ein Wort zu Ihrer Kritik an unserem Antrag zur Streumunition zu sagen. Sie sind lange genug in der Politik, um zu wissen, wie schwierig es in dem gesamten Prozess um Antipersonenminen und andere Minenarten war, Fortschritte zu erreichen. Dasselbe gilt für die Streumunition. Ich finde, dass der Schritt-für-Schritt-Ansatz im Hinblick auf die Aussteuerung einer ganzen Kategorie von Streubomben und den Auftrag an die Bundesregierung, entsprechend zu verhandeln, den wir formuliert haben, schon einmal ein Fortschritt ist. Wir sollten verfolgen, wie es in Bezug auf die internationalen Abkommen weitergeht.
Ich will nun etwas tun, was heute eigentlich angebracht gewesen wäre und immer gemacht wurde, heute aber in der Agitation über die weltpolitische Situation vergessen wurde, nämlich ganz herzlich für die Vorlage der Abrüstungsberichte - jeweils für die Jahre 2004 und 2005 können wir einen entgegennehmen - zu danken. Es sind hervorragende Berichte.
Dies ist eine gute Arbeitsgrundlage. Man sollte auch während des Jahres immer wieder einmal in den jeweiligen Bericht schauen, wenn man Initiativen in Gang setzen will. Auch für die gute Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt möchte ich danken.
Zur allgemeinen Situation, zu der Aufgabe, die wir haben, ist schon in vielen Reden etwas gesagt worden. Deshalb werde ich versuchen, mein Konzept etwas zusammenzustreichen und auf ein paar wichtige Punkte einzugehen, die noch erwähnt werden sollten. Wir haben konstatiert, dass der Zeitpunkt des 9. Oktobers 2006, 10.36 Uhr, der Todesstoß für das Nichtverbreitungsregime gewesen sein könnte. Wir haben festgestellt, wo überall es in den letzten Jahren Rückschritte in der Nichtverbreitungspolitik gegeben hat. Wir haben auch festgestellt, dass dies ein Anlass für uns ist, der Abrüstungspolitik einen neuen Schub zu geben, Impulse zu setzen und miteinander darüber zu beraten, was gemacht werden muss.
Die Situation ist doch so, dass der für die Nichtverbreitungspolitik so wichtige 13-Punkte-Aktionsplan nach dem Jahre 2000, in dem dieser von der Überprüfungskonferenz verabschiedet worden ist, in keiner Weise umgesetzt worden ist. Deshalb plädiere ich dafür, noch einmal zu schauen, was für uns die wichtigsten Ansatzpunkte für unsere Nonproliferationspolitik sind. Wenn wir den 13-Punkte-Aktionsplan noch einmal betrachten, dann können wir vielleicht ein paar Ansatzpunkte herausfiltern.
Kollege von Guttenberg, wir machen keine Schuldzuweisungen. Aber wir müssen bei der Analyse sauber sein und hinterfragen, warum bestimmte Dinge schief gelaufen sind. Es gibt - darauf werde ich gleich noch einmal zurückkommen - Doppelstandards. Wir müssen aber auch konstatieren, dass diese 13 Punkte, die damals - auch in diesem Hause - breiter Konsens waren, nicht eingelöst worden sind und es dafür Verantwortliche gibt.
Als Erstes nenne ich den Atomteststoppvertrag. Er wurde von den Amerikanern signiert, nicht ratifiziert und wird jetzt infrage gestellt. Deshalb wird ein ganz wichtiger Eckstein der zukünftigen Nichtproliferationspolitik nicht weiter ausgebaut.
Das Zweite ist das Cut-off-Abkommen. Wenn es uns nicht gelingt, ein Verbot der Produktion waffenfähigen Nuklearmaterials zu erreichen, werden wir der Proliferation nicht genügend entgegenzusetzen haben.
Ein weiterer Punkt - er wurde schon erwähnt - sind die Sicherheitsgarantien. Ich glaube, dass es für ganz viele Nichtnuklearstaaten von äußerster Wichtigkeit ist, die Zusicherung zu bekommen, nicht nuklear angegriffen zu werden, wenn sie selbst keine Nuklearwaffen haben. Diese Sicherheit haben sie aber nicht.
Der Konsens ist auch - das muss man einmal sagen - aufgrund von Entscheidungen der Kernwaffenstaaten zerbrochen. Das ist keine Schuldzuweisung, sondern eine Erinnerung an die Verantwortung der Kernwaffenstaaten. Sie haben ihre Arsenale verändert, weiterentwickelt und neue Kategorien entwickelt. Dadurch drohen Kernwaffen mehr und mehr zu Kriegsführungswaffen zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen letzten Punkt anführen. Wir müssen feststellen - ich sage das ganz vorsichtig -, dass sich die Nuklearstrategien in Richtung Kriegsführungsstrategien mit Nuklearwaffen zu entwickeln drohen. Auch das trägt dazu bei, dass es Länder gibt, die sagen: Vielleicht wäre es doch ganz nett, über Nuklearwaffen als Abschreckungspotenzial zu verfügen.
Das Ausscheren von Nordkorea und Iran aus dem Nonproliferationsregime ist hier ausreichend dokumentiert und kommentiert worden. Ich will, provoziert durch meinen Kollegen zu Guttenberg und das, was Frau Hoff zum Indien-USA-Nuklearabkommen gesagt hat, ein paar Worte sagen. Ich mache mir große Sorgen. Ich glaube, dass wir in diesem Hohen Hause zu einem Konsens kommen und unserer Regierung einen Auftrag erteilen müssen. Das gilt insbesondere, wenn diese Regierung in der Nuclear Suppliers Group eine Rolle spielen will.
Herr von Klaeden, ich teile Ihre Auffassung nicht, dass Herr al-Baradei Recht hat, wenn er sagt: Das ist ein gutes Abkommen, es führt Indien an das Nonproliferationsregime heran. Das wird das Abkommen in der vorliegenden Form nicht leisten können. Das Abkommen wird sicherlich für die Umwelt, die Energiepolitik und alles mögliche andere gut sein. Auch das sind Punkte, die al-Baradei genannt hat. Es wird Indien aber nicht an das Nonproliferationsregime heranführen.
Ich will einige Punkte anführen, die meines Erachtens für eine Zustimmung in der Nuclear Suppliers Group notwendig wären. Ob wir uns hier auf alle Punkte einigen können, weiß ich nicht. Ich habe versucht, zusammenzufassen, was uns einigermaßen aus der Zwickmühle herausbringen könnte.
Der erste Punkt wurde schon erwähnt: Zeichnung und möglichst Ratifizierung des Atomteststoppvertrages. Indien hat gesagt: Wir werden nicht testen. Es hat aber eine Klausel eingefügt, nach der es doch testen kann, wenn es meint, das tun zu müssen. Mein Vorschlag geht darüber hinaus. Die Zeichnung und Ratifizierung wären also auf alle Fälle gut.
Zweitens: Produktionsstopp von waffenfähigem Spaltmaterial. Alle Nuklearstaaten haben sich dazu verpflichtet. Alle, inklusive China, halten sich daran. Deswegen werden wir das auch von Indien, das sich dem bisher schlicht verweigert, verlangen müssen.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Denn sonst passiert das, was viele Analysten befürchtet haben, nämlich dass dadurch, dass wir Brennstoff für die zivilen Reaktoren liefern, die unter der Inspektion der IAEA stehen, anderes Material zur Produktion von waffenfähigem Material frei wird und damit das indische Atomprogramm aufwächst, so, wie Indien es ganz offen verkündet hat. Das muss verhindert werden.
Dann müssen mit der IAEA Full-Scope-Safeguard-Abkommen getroffen und ein Zusatzprotokoll abgeschlossen werden. Wir müssen darauf dringen, dass eine Deckelung des Nuklearwaffenarsenals auf dem heutigen Stand stattfindet. Denn sonst findet tatsächlich ein Aufwuchs statt und Indien würde sozusagen als Kernwaffenstaat legitimiert.
Wir müssen Restriktionen bei den Lieferungen der Nukleartechnologie und des -materials vornehmen. Das heißt, dass wir keine Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie und keine Schwerwassertechnologie liefern dürfen. Das hat übrigens der Kongress in seiner Resolution selber so formuliert.
Das ist sehr hilfreich.
Wir müssen darauf dringen, dass eine Endverbleibsklausel eingeführt wird, dass also gelieferte Nukleartechnik und -material nicht an Dritte weitergereicht werden dürfen. Wir müssen für den Fall, dass Indien einen Atomtest durchführt, den Stopp der Kooperation und aller Lieferungen verlangen. Das lehnen die Inder voller Empörung ab. Das verstehe ich nicht. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Indien seinerseits die restriktiven Exportgesetze für die Weitergabe von Technologien übernimmt. Das hat Indien nicht immer eingehalten. Es hat keinen sauberen Rekord hinsichtlich der Nichtverbreitung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Zapf, bedenken Sie bitte Ihre Redezeit.
Uta Zapf (SPD):
Ich bin sofort fertig.
Es gibt eine viel beklagte und von den USA sanktionierte Zusammenarbeit mit dem Iran, in deren Rahmen Materialien geliefert worden sind, die eigentlich auf der Sanktionsliste der Amerikaner stehen. Auch das muss ein Gesichtspunkt sein.
Ich habe nach dieser Debatte ein bisschen Hoffnung - das ist mein letzter Satz -, dass wir gerade in dieser wichtigen Frage zu einem Konsens kommen und dass es uns vielleicht gelingt, mit dem Ansatz, der hier von Frau Hoff, von mir und von anderen vorgetragen wurde, einen überfraktionellen Antrag zu stellen. Herr zu Guttenberg, ich zähle auf Sie.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Zapf, bitte!
Uta Zapf (SPD):
Ich bin fertig.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Sie haben eine Hustenzeitzulage bekommen. Anders ist die Überschreitung der Redezeit nicht zu begründen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Robert Hochbaum von der CDU/CSU-Fraktion.
Robert Hochbaum (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute die Debatte über die Jahresabrüstungsberichte 2004 und 2005. Auch wenn zeitlich gesehen in diesen Berichten eine nachträgliche Betrachtung vorgenommen wird, so steht die Thematik - das haben wir heute schon sehr oft gehört - gerade in diesen Tagen ganz weit oben in der Prioritätenliste. Nordkorea und Iran zeigen uns gegenwärtig deutlich, welche potenzielle Gefahr weiterhin - auch nach dem Ende des Kalten Krieges - für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von Nuklearwaffen - hier ein Einschub für Herrn Trittin - in den falschen Händen ausgeht.
Beide Staaten versuchen, mit ihrer ignoranten und provozierenden Haltung ihre negativen Interessen skrupellos durchzusetzen. Dieser klägliche Versuch eines Katz-und-Maus-Spiels ist mit aller Nachdrücklichkeit zu verurteilen. Er wird scheitern; denn die Weltgemeinschaft steht geschlossen zusammen und spricht ein deutliches Nein zu weiteren Atomwaffentests in Nordkorea, zur weiteren Anreicherung von nuklearwaffenfähigem Material im Iran und zur illegalen Weiterverbreitung von Trägermitteln.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen die einzig richtigen Maßnahmen sind, die von uns allen unterstützt werden sollten. Nordkorea und der Iran müssen durch Sanktionen unter Druck gesetzt werden. Ihnen muss bewusst werden - ja, sie müssen es förmlich zu spüren bekommen -, dass Ignoranz zu Isolation und zu wirtschaftlichen Einbußen führt.
Das vordergründigste Ziel der Bemühungen der Weltgemeinschaft muss allerdings bleiben - ich hoffe, darin sind wir uns hier im Hause einig -, eine Lösung nur auf friedlichem Wege herbeizuführen.
Die Proliferationsgefahren im Nahen und Mittleren Osten sowie auf der koreanischen Halbinsel beschäftigen uns nicht erst seit letztem Montag. In den beiden vorliegenden Abrüstungsberichten der Jahre 2004 und 2005 geht die Bundesregierung daher schwerpunktmäßig auf diese Regionen ein. Ziel ist, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einschließlich ihrer Trägermittel in friedlicher Mission zu verhindern. Letztlich muss die endgültige Abschaffung solcher Waffen, insbesondere in den genannten Regionen, angestrebt werden.
Allerdings sind nicht nur Nordkorea und der Iran ein Bedrohungsschwerpunkt. Daher wird in beiden Jahresabrüstungsberichten zu Recht darauf hingewiesen, dass das Risiko der Proliferation von Massenvernichtungswaffen nicht regional begrenzbar ist. Nichtstaatliche Akteure und terroristische Gruppen schmieden weltweit ihre Pläne für weitere Angriffe. Die Ereignisse in New York, Madrid und Istanbul haben uns dies leider auch vor unserer eigenen Haustür vor Augen geführt. Die Antwort, die die Bundesregierung in ihrem Bericht auf die regionale Unbestimmtheit dieses Risikos gibt, ist richtig und von entscheidender Bedeutung für den Kampf gegen Terrorismus und Gewalt. Globalen Gefahren muss global begegnet werden. ?Global“ bedeutet in diesem Fall immer: gemeinsam.
Die Weltgemeinschaft muss zusammenhalten. Wie ich zu Beginn meiner Rede sagte, tut sie das auch, zumindest in Bezug auf Nordkorea und den Iran. Nur die Bewahrung des im Bericht beschriebenen Konsenses der internationalen Staatengemeinschaft kann uns vor der Weiterverbreitung solcher Waffen schützen. Die Bundesregierung fördert diesen Konsens in Übereinstimmung mit der am 12. Dezember 2003 verabschiedeten EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.
Eine internationale Ordnungspolitik mit den Paradigmen der Allgemeinverbindlichkeit und der Transparenz der Regularien sowie - das ist ganz wichtig - die Vereinten Nationen als Wächter sind dabei oberste Handlungsmaxime. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen und mit aller Notwendigkeit im Sinne von Frieden und Stabilität in der Welt fortzuführen. Operativ bilden unserer Meinung nach die Sechsergespräche sowie die Gespräche innerhalb der EU 3 das geeignete Forum, um unsere Ziele im Hinblick auf diese sensible und polypole Thematik zu erreichen.
Zugegeben, es ist bedauerlich, dass die Verhandlungen im Zusammenhang mit den Nuklearwaffenprogrammen des Iran und Nordkoreas in den Jahren 2004 und 2005 sowie leider auch gegenwärtig noch ohne greifbare Erfolge geblieben sind, was sicherlich nicht an uns gelegen hat. Dennoch gilt es, diesen Weg und die Deeskalationsstrategie gemäß der Verantwortung für den Weltfrieden konsequent weiter zu verfolgen.
Meine Damen und Herren, wie bereits erwähnt, standen nicht nur der Iran und Nordkorea im Blickpunkt der abrüstungspolitischen Bemühungen. In beiden Berichten werden auch Fortschritte in anderen Bereichen aufgeführt. Diese sind ebenfalls von zentraler Bedeutung und sollten genügend Beachtung finden. Stellvertretend möchte ich nur die Erfolge, die im Zusammenhang mit der Kleinwaffenproblematik erzielt wurden, nennen. Laut Angaben der Vereinten Nationen machen jährlich 600 Millionen Klein- und Leichtwaffen die Welt unsicher. 300 000 Menschen sterben jährlich durch ihren Einsatz in den Konflikten der Welt. Kofi Annan sagte auf einer UN-Konferenz in New York: ?Das große Töten geschieht durch Kleinwaffen.“
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Denn in den meisten Konflikten spielen diese Waffen die dominierende Rolle. Dabei geht es nicht nur um unsere ohne Zweifel sehr große Verantwortung gegenüber den vielen, meist zivilen Opfern in zahlreichen Ländern dieser Erde, sondern auch - das darf nicht vergessen werden - um unsere Verantwortung gegenüber unseren eigenen Soldaten, die beispielsweise im Kongo, im Sudan oder in Afghanistan im Einsatz für Frieden und Freiheit sind.
Ich konnte mir in der letzten Woche zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss in Afghanistan ein Bild davon machen, welche Unmengen von illegalen Kleinwaffen von den Taliban, von Drogenbaronen und anderen Verbrechern gehortet werden und so eine Bedrohung unserer Truppen darstellen. In diesem Zusammenhang ist es natürlich zu begrüßen, dass seit der Zeichnung des Ottawa-Abkommens Ende 1997 nun im Dezember 2005 ein erstes globales Rüstungskontrollabkommen im Konsens von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde, welches es den Staaten ermöglicht, unerlaubte Kleinwaffen und leichte Waffen rechtzeitig und zuverlässig zu identifizieren und, was ganz wichtig ist, ihre Lieferung zurückzuverfolgen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, den daran Beteiligten der Bundesregierung für ihr Engagement meinen Dank auszusprechen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die erzielten Fortschritte als Ansporn nehmen, den eingeschlagenen Weg mit allem Nachdruck weiterzugehen. Nordkorea und der Iran sowie die anderen ungelösten Probleme werden mit Sicherheit auch in Zukunft all unsere Aufmerksamkeit erfordern. Es gilt, mit allem Nachdruck zu verhindern, dass Iran eine Atombombe herstellt, und Nordkorea muss dazu bewogen werden, sein Atomwaffenprogramm glaubhaft einzustellen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5801, 16/1483 und 16/3011 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 16/2999 soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/1483 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarpolitischer Bericht 2006 der Bundesregierung
- Drucksache 16/640 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 2005 bis 2008
- Drucksache 15/5820 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Impfen statt Töten - Praxisreife Markerimpfstoffe entwickeln und anwenden
- Drucksache 16/1442 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Zum Agrarpolitischen Bericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesminister Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarwirtschaft ist für unser Land nicht nur volkswirtschaftlich von großer Bedeutung. Sie befindet sich derzeit in guter, in Teilbereichen sogar in blendender Verfassung. Das gilt für das, was für die Menschen produziert wird, unsere Lebensmittel, unsere Nahrungsmittel: beste Qualität, gesunde Produkte. Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, dass an den Lebensmittelskandalen der letzten Monate kein einziger landwirtschaftlicher Betrieb, keine Bäuerin, kein Bauer beteiligt war. Das heißt, dass unsere Bauern gut ausgebildet sind und sehr verantwortlich mit der Schöpfung umgehen.
Die Agrarwirtschaft erlebt seit einiger Zeit einen mächtigen Aufwind. Das kann man an verschiedenen Indikatoren festmachen. Es geht los beim Export, wo die Zeichen auf Erfolg stehen: Seit 1993 hat sich das Exportvolumen unserer landwirtschaftlichen Produkte von 17,7 Milliarden Euro auf über 34 Milliarden Euro verdoppelt. Es wird oft darauf hingewiesen, dass alleine die Zuwächse der Exporte nach Osteuropa im letzten Jahr um 30 Prozent gestiegen sind. Die große Befürchtung, dass die Erweiterung der Europäischen Union von der deutschen Agrarwirtschaft nicht zu schultern sei, ist widerlegt worden. Das Gegenteil ist der Fall. Ich darf darauf hinweisen, dass es in unserem Ministerium auch aus diesem Grunde seit einigen Monaten eine Koordinierungsstelle für Exportförderung gibt.
Der Biomarkt boomt mit zweistelligen Wachstumsraten. Die Nachfrage nach Holz steigt in nicht geahnte Höhen. Der Umsatz im Bereich des Holzes ist in Deutschland bei mittlerweile 115 Milliarden Euro angelangt. Die Preise machen in vielen Bereichen einen gewaltigen Sprung nach oben. In den letzten Monaten sind die Preise für Brotweizen, Hafer und Mais um 20 Prozent nach oben geschnellt. Für den Brotroggen war sogar eine Preissteigerung von 30 Prozent zu verzeichnen. All diese Daten und Entwicklungen stützen die These, dass die deutsche Landwirtschaft wirtschaftlich in einem mächtigen Aufwind ist. Durch all dies werden Einkommen, Arbeitsplätze und Investitionen gesichert. Wir sollten viel mehr positiv darüber reden, damit wir wieder junge Menschen für einen Beruf in der Landwirtschaft gewinnen. Die Landwirtschaft ist lukrativ und hat Zukunft.
Mit dem Thema Klasse statt Masse, das in den letzten vier Jahren immer wieder eine Rolle gespielt hat, möchte ich mich noch einmal kurz beschäftigen. Wir stellen 80 Prozent der von uns benötigten Nahrungsmittel hier in Deutschland her. Wir haben einen hohen Grad der Selbstversorgung. Bezüglich des Exportes unserer Produkte sind wir an vierter Stelle auf der Welt. Erst kommen die Amerikaner, dann die Franzosen, dann die Niederländer und dann die Deutschen, was übrigens ein sehr starkes Indiz dafür ist, dass weltweit Vertrauen in unsere Produkte gesetzt und die Qualität geschätzt wird.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die typisch deutsche Phrase, die vor einigen Jahren hier an diesem Pult geäußert wurde - wir möchten nicht Masse, sondern wir wollen Klasse -, sehr ideologisch gefärbt war. Es war nämlich auch falsch. Wir haben mit unseren Produkten einen hohen Marktanteil in Deutschland und wir sind beim Export weltweit Spitze, nämlich unter den Top four. Mit all dem, was wir national produzieren und vermarkten sowie international exportieren, haben wir nicht nur einen hohen Marktanteil, sondern dies zeugt auch von einer hohen Qualität der Produkte, also von Klasse.
Deshalb gilt für mich nicht die Forderung Klasse statt Masse, sondern ich finde, dass wir stolz darauf sein können, dass wir Masse haben und diese Masse auch klasse ist. Beides gehört zusammen.
Ein wichtiger Punkt ist auch die Innovationskraft bzw. die Dynamik in unserer deutschen Landwirtschaft. Es lacht einem das Herz, wenn man in Deutschland unterwegs ist und die Betriebe besucht. Ich behaupte, dass die deutsche Agrarwirtschaft ein Motor für den technologischen Fortschritt in unserem Lande ist. Wir sind auf der Höhe der Zeit. Ich kenne kaum Bereiche, die einen scharfen Strukturwandel, dem sie seit vielen Jahren ausgesetzt waren, so wie die deutschen Bäuerinnen und Bauern angenommen haben. Ich nenne nur das Stichwort ?nachwachsende Rohstoffe“. Es wurde nicht viel nachgefragt, welche Subventionen und welche Unterstützung es durch den Staat gibt. Die Landwirte haben die Dinge selbst in die Hand genommen und auf einen großen Erfolgsweg gebracht.
Ich nenne die Stichworte Biogas, Biomasse und Biokraftstoffe. Wir investieren zum Beispiel viel in die Produktion von Biogas. Ich werde alles dafür tun, dass das von den Bauern produzierte Biogas in absehbarer Zeit auch für unsere Erdgasversorgung eingespeist wird. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum das nicht der Fall sein sollte.
Immer dann, wenn etwas positiv läuft, betreten natürlich die Skeptiker wieder die Bühne. Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche, die auf diesem Feld tätig sind, ihren Kindern nur deshalb zu kleine Schuhe kaufen, damit sie von Kindesbeinen an lernen, zu jammern.
Jetzt höre ich nämlich schon wieder kritische Stimmen, die fragen, ob wir genügend Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und für nachwachsende Rohstoffe haben. Dass wir eine solch positive Entwicklung haben - auch wirtschaftlich -, liegt eindeutig an der Politik der Pluralität und der Vielfalt. Wir haben den Landwirten in Deutschland mehrere Möglichkeiten eröffnet: Nahrungsmittelproduktion, Rohstoffproduktion, Pflege der Kulturlandschaft und Verbindung der Landwirtschaft mit dem Tourismus, der Freizeit und der Erholung, Kollege Ernst Hinsken. Aus mehreren Möglichkeiten ergeben sich höhere Chancen. Aus höheren Chancen ergeben sich bessere wirtschaftliche Erfolge.
Ich warne davor, in die Diskussion einzusteigen, ob es für all diese Nutzungsmöglichkeiten unseres Bodens in der Bundesrepublik Deutschland ausreichend Flächen gibt. Ich habe darauf eine ganz einfache Antwort: Das soll um Gottes willen keine ministerielle Planungsbürokratie, sondern niemand anders als der Markt entscheiden.
Das, was ich hier zu vermelden habe, ist in erster Linie ein Erfolg der Bauern.
Ich registriere aber auch, dass die Bauern wieder Vertrauen in die Politik haben. Wir haben in allen Bereichen, die uns betreffen, Wort gehalten. Ich verweise auf die Agrarverhandlungen der Welthandelskonferenz, auf der wir die deutschen Bauern nicht auf dem Altar der Welthandelskonferenz geopfert haben. Vielmehr haben wir deutlich gemacht: Wir sind nur dann für die Öffnung der Märkte und den Wegfall der Exportsubventionen, wenn dies für alle Länder dieser Erde gilt. Es geht um faire Wettbewerbsbedingungen.
Wir haben in der sozialen Sicherung, was die Beteiligung des Bundes an Zuschüssen betrifft, verlässliche Bedingungen geschaffen. Die Bauern haben in Europa wieder eine Stimme. Sie müssen nicht nach Paris fahren, wenn in Brüssel ihre nationalen Interessen vertreten werden sollen. Eine Reise nach Berlin reicht aus.
Wir haben den ländlichen Raum mit seiner Bedeutung mit einer langen Dialogreihe zur Zukunft des ländlichen Raumes, die wir eröffnet haben, wieder in den Mittelpunkt gerückt. Das betrifft auch, aber nicht nur die Landwirtschaft. Ich verweise darauf, dass wir sehr hart daran arbeiten, damit der ländliche Raum bei der Entwicklung der neuen Technologien nicht abgehängt, sondern einbezogen wird, zum Beispiel bei der Einführung des Breitbandkabelnetzes. Das ist für die Entwicklung des ländlichen Raumes unglaublich wichtig.
Ich hatte am Montag gemeinsam mit dem Kollegen Gabriel ein Gespräch mit Vertretern aller deutschen Automobilhersteller, der Mineralölwirtschaft und dem Deutschen Bauernverband. Das Thema war die mittelfristige und langfristige Weiterentwicklung der Biokraftstoffe. Das ist auch hinsichtlich der Wertschöpfung im ländlichen Raum ein ungeheuer spannendes Thema.
Wir streben an, in Deutschland eine Großanlage für Kraftstoff aus Bt-Mais für die nächste Generation der Biokraftstoffe zu errichten. Aber ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir wegen der zweiten Generation nicht die Chancen der ersten Generation ungenutzt lassen dürfen.
Eine zweite Generation hat nach der Logik nur dann einen Sinn, wenn die Chancen der ersten Generation genutzt werden. Dabei verweise ich ohnehin darauf, dass wir bei der ersten Generation wegen vieler ungeklärter Fragen wahrscheinlich noch einen langen Weg vor uns haben.
Auch bei der Entbürokratisierung in der Landwirtschaft haben wir Wort gehalten. Ich weise nur auf die Tatsache hin, dass mir der Präsident des Deutschen Bauernverbandes vor gut acht Tagen für die Entschlackung, die wir bei der Kontrolle der Landwirte bei der Einhaltung der Standards durchgeführt haben, Danke gesagt hat. Ich habe immer gesagt: Ich bin dafür, dass Betriebe daraufhin überprüft werden, ob sie die Standards hinsichtlich des Umweltschutzes, des Naturschutzes und des Gewässerschutzes einhalten. Aber ich war immer der Meinung, dass diese Kontrolle nicht in Schikane ausarten darf. Das haben wir geschafft.
Angesichts des Vorwurfs, wir hätten bei der ersten und zweiten Säule Mittel gekürzt, möchte ich auf folgenden Umstand hinweisen: In dem Finanzierungsrahmen der Europäischen Union für die nächsten sieben Jahre ist vorgesehen, dass wir in Deutschland etwa 60 Milliarden Euro als Unterstützung für die landwirtschaftliche Produktion und die ländlichen Räume ausgeben: 35 Milliarden Euro in der ersten Säule, 18 Milliarden Euro in der zweiten Säule unter Einschluss der Ländermittel und 8 Milliarden Euro in der GAK. Das sind etwa 60 Milliarden Euro.
Nun verschweige ich auch nicht, dass für diese sieben Jahre die EU-Mittel um etwa 1 Milliarde Euro gekürzt werden, und zwar von 9,2 auf 8,1 Milliarden Euro. Aber wir alle in der Koalition gehören nicht zu den Politikern, die auf der einen Seite trotz der Erweiterung der EU nicht mehr zahlen und auf der anderen Seite zu den Folgen dieser Entscheidung national nicht stehen wollen. Man kann nicht allen Ernstes von einer Benachteiligung der Landwirte oder des ländlichen Raumes sprechen, wenn bei einem Fördervolumen von etwa 60 Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren die Mittel um 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Davon sind zehn Bundesländer betroffen. Man muss die 1 Milliarde Euro durch sieben teilen. Verteilt auf zehn Bundesländer sind das circa 15 Millionen Euro pro Land. Es kann wohl niemand im Ernst behaupten, dass dies die Zukunft der Landwirtschaft oder des ländlichen Raumes zerstört.
Ich möchte zum Schluss auf einen Umstand hinweisen, der vielleicht hier oder da missverstanden worden ist. Wir beraten heute über den Agrarpolitischen Bericht 2006 und stützen uns dabei auf Zahlen des Jahres 2004. Wenn Politiker über veraltete Zahlen diskutieren, dann laufen sie Gefahr, dass auch die Politik alt aussieht.
Deshalb habe ich heute ganz aktuelle Zahlen genannt. Ich bin der Meinung, dass wir durchaus jährlich über die Lage der Agrarwirtschaft diskutieren sollten. Wir sollten aber mit dem Unsinn aufhören, der Beratung fünf Berichte zugrunde zu legen, die die Verwaltung und viel Personal binden und meistens veraltet sind, weil sie der Debatte um ein oder zwei Jahre hinterherhinken.
Mein Vorschlag ist nicht, den Bericht abzuschaffen, sondern - darüber werden wir in den Regierungsfraktionen reden - einen größeren Berichtszeitraum vorzusehen, um uns auf aktuelle und repräsentative Daten stützen zu können. Wir sollten uns nicht auf Daten stützen, die zum Zeitpunkt der Debatte hoffnungslos überholt sind.
Wir werden in der Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr die Entbürokratisierung in meinem Bereich besonders in den Mittelpunkt stellen. Wie ernst wir es mit der Einbindung der Landwirtschaftspolitik in unsere Gesamtpolitik meinen, mögen Sie daraus ersehen, dass die nächste Grüne Woche im Januar - sie stellt für alle beteiligten Politiker ein Stressprogramm dar - in Anwesenheit der Bundeskanzlerin und des Präsidenten der Europäischen Kommission, Barroso, eröffnet wird. Das soll den Landwirten und der Agrarwirtschaft in ganz Europa zeigen, dass die Landwirtschaft bei uns nicht als Anhängsel oder auslaufender Posten betrachtet wird, sondern, wie ich eingangs sagte, ein für unser Land sehr bedeutsamer volkswirtschaftlicher Bereich ist.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächste spricht die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan von der FDP-Fraktion.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche heute, weil der agrarpolitische Sprecher unserer Fraktion, Michael Goldmann, kurzfristig erkrankt ist. Ich denke, auch Sie senden ihm gute Genesungswünsche.
Herr Minister, Sie haben leider nicht Wort gehalten. Es reicht schlicht nicht, etwas festzustellen, ohne es durch Handeln zu belegen. Beim Handeln ist bei Ihnen aber schlicht Fehlanzeige, Herr Minister.
Knapp ein Jahr nach der Bundestagswahl und dem Regierungswechsel stellt sich die Frage, ob sich die Politik geändert hat. Ich muss feststellen, dass sich wenig geändert hat - it Ausnahme der Tatsache, dass der Minister im Zusammenhang mit dem agrarpolitischen Jahresbericht kaum mehr vorträgt als die Agrarpreise, an denen er keinen Anteil hat.
Der Jahresrückblick enthält wenig Gutes, Herr Minister Seehofer. Man muss richtig danach suchen. Ich habe mich bemüht, alles Positive herauszustellen, aber es gibt wenig. Das Versprechen der CDU/CSU eines Politikwechsels ist im Bereich der Agrarpolitik Schall und Rauch.
Minister Seehofer, Sie sind in Ihrem Amt als Bundeslandwirtschaftsminister nicht angekommen. Sie trauern der Gesundheitspolitik nach.
Aber wir brauchen mehr als Worte: Wir brauchen Handeln.
Dass Sie nicht handeln, hat für die Menschen in den ländlichen Räumen und die landwirtschaftlichen Betriebe in unserem Land sehr schlimme Folgen. Fast ein Drittel der Menschen in Deutschland lebt in den ländlichen Räumen. Deren Lebensqualität ist nach wie vor auch mit dem Wohlergehen der landwirtschaftlichen Betriebe verbunden. Deswegen brauchen wir die Stärkung der unternehmerischen Landwirtschaft. Die Landwirte brauchen planerische Sicherheit, die Sie ihnen nicht geben. Sie brauchen Vertrauen in die Zukunft, um investieren zu können, und rationale Entscheidungen und nicht solche, die aus dem Bauch heraus getroffen werden. Sie wissen genauso gut wie ich: Die Menschen sind der Natur entfremdet. Deswegen lobe ich Sie dafür, dass Sie die Qualität unserer Produkte herausgestellt haben. Aber, Herr Minister, das reicht nicht.
Es reicht im Übrigen ebenfalls nicht, die Jahresergebnisse der Betriebe zu betrachten; denn diese schwanken beträchtlich. Es gilt auf die Gesamtentwicklung zu schauen. Hier verheißt Ihr Handeln nichts Gutes, Herr Minister. Ihr erstes Jahr war von drei Fleischskandalen geprägt. Ich will ehrlich sagen, dass Sie am ersten keinen Anteil hatten. Er hatte seinen Ursprung - genauso wie die beiden anderen - in Bayern. Im November des letzten Jahres haben Sie ein Sofortprogramm zur Verhinderung weiteren Fehlverhaltens vorgelegt. Der letzte Fleischskandal im September zeigte aber, dass sich nichts geändert hat. Das Programm ist nicht umgesetzt worden. Es wurde von Ihnen noch einmal verkauft, frei nach dem Motto ?alter Wein in neuen Schläuchen“. Sie haben auf Stimmungen reagiert, angekündigt und Aktionismus gezeigt. Aber Sie stehen letztlich bei den Fleischskandalen mit absolut leeren Händen da. Das heißt, bei diesem wichtigen verbraucherpolitischen Thema haben Sie schlicht gepatzt.
Herr Minister, ein weiteres Drama ist die Diskussion über den Biodiesel. Entgegen allen Wahlaussagen haben CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag festgelegt, die ursprünglich bis Ende 2008 vereinbarte Steuerbefreiung von Biodiesel einzukassieren. Die Folge ist ein massiver Verlust an Vertrauen in politisches Handeln. Wo waren Sie bei der Diskussion über den Biodiesel? Wo haben Sie sich geäußert? Wo haben Sie sich für die Landwirtschaft eingesetzt? Nirgendwo! Sie waren schlicht abgetaucht. Sie haben an dieser Debatte gar nicht teilgenommen.
- Nein, Herr Kollege, ich habe keine Wahrnehmungsschwierigkeiten. Ich höre sehr genau zu. Der Minister war nicht anwesend. Wenn er nichts sagt, kann man ihn nicht hören; das ist eindeutig.
Die Steuerbefreiung wurde durch die Einführung einer unternehmensbezogenen Biokraftstoffquote für Benzin und Diesel ersetzt. Die Auswirkungen sind dramatisch. Fiskalpolitisches Handeln hat wirtschaftliches Denken ersetzt, und zwar zum Schaden der mittelständisch geprägten Biokraftstoffbranche. In Deutschland geplante Investitionen wurden nach Schweden und England verlagert. Sie, Herr Minister, sind in der Diskussion schlicht abgetaucht. Sie haben keinen Handschlag zugunsten unserer Landwirte getan. Das wird zur Folge haben - das ist absehbar -, dass Billigimporte aus Ländern ohne Sozial- und Umweltstandards das Gegenteil von dem bewirken, was wir alle wollen: eine nachhaltige Biokraftstoffproduktion.
Herr Minister, Sie haben eben angekündigt, dass Sie sich dafür einsetzen wollen, dass Biogas in die Erdgasversorgung eingespeist wird. Ich bin gespannt, ob und wann - in diesem oder im nächsten Jahrzehnt - Sie dieser Ankündigung Taten folgen lassen werden. Das ist auf jeden Fall ein sehr dringendes Thema.
Herr Minister, des Weiteren haben Sie bei der Geflügelpest versagt. Ihr Besuch auf Rügen war falsch. Wir hoffen, dass Sie sich in Zukunft bei einem Seuchenfall angemessen verhalten werden. Im Interesse des Schutzes der Menschen und des Tierschutzes muss die Nichtimpfpolitik der EU beendet und durch eine Politik des gezielten Impfens mit markierten Impfstoffen ersetzt werden. Wir investieren enorm viel in die Anlagen der Insel Riems. Wo bleiben die Ergebnisse, die den dort getätigten Investitionen entsprechen?
Ihr Zickzackkurs in Sachen Gentechnik ist ein einziges Trauerspiel. Ihr Lob für die Investitionskraft der deutschen Landwirtschaft ist zwar bemerkenswert. Aber gerade auf dem von Ihnen angesprochenen wichtigen Feld der Biogasproduktion versagen Sie völlig.
- Kollegin Mortler, dreimal sind Eckpunkte zur Novellierung des Gentechnikgesetzes angekündigt worden. Dreimal! Wo sind sie denn? Es gibt sie nicht. Warum ist die Novellierung nicht längst erfolgt? Das ist ein Versagen des Ministers.
Sie alle wissen aufgrund der rechtspolitischen Diskussion, dass dieses Gesetz Rechtsunsicherheit für die Menschen im Lande und die landwirtschaftlichen Betriebe schafft, und zwar sowohl für die Betriebe, die die Gentechnik anwenden, als auch für die Betriebe, die keine Gentechnik anwenden. Dies ist nicht in Ordnung.
Sie sprechen davon, dass Sie die Menschen mitnehmen wollen. Das ist zwar richtig. Aber auf Ängste einzugehen, die nachweislich unbegründet sind, bedeutet, den Menschen Information und Aufklärung zu verweigern. Das ist mittelalterliches Handeln und entspricht in keiner Weise den Erfordernissen einer Wissensgesellschaft. Wir brauchen eine Novelle des Gentechnikgesetzes, und zwar sofort.
- Sie, Kollegin Behm, verweigern den Bauern Rechtssicherheit. Das ist das Schlimmste, was man als Politiker machen kann. Das tun Sie mit einem Gesetz, das Sie zu verantworten haben. Das ist ein Skandal.
Die Charta für Wald ist eine Maßnahme der letzten Regierung, die auch wir immer unterstützt haben.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Die jetzige Regierung hat vorgeschlagen, die Waldzustandsberichte nur noch einmal in der Legislaturperiode zu erstellen. Das ist eine richtige Entscheidung. Nur, Herr Minister, ich frage mich, ob Sie angesichts des Protestes eine solche rationale Entscheidung wirklich durchhalten werden oder ob Sie als Bauchpolitiker nicht relativ schnell kneifen werden. Ich habe vermisst, dass Sie dem Bundesunternehmen Deutsche Bahn AG einmal gesagt hätten, dass Holz, das im Inland produziert wird, gutes Holz ist und dass die Bahn dieses auch verwenden sollte. Nichts dergleichen ist geschehen.
Herr Minister, Ihr erstes Jahr im Amt ist weitgehend von Schatten geprägt. Ich hoffe, dass das nächste Jahr etwas heller wird.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächste spricht Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zahlen sind zwar nicht alles, aber Zahlen sind etwas Abrechenbares. So können wir auch im Agrarpolitischen Bericht 2006 der Bundesregierung sehen, dass sich die wirtschaftliche Situation der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland in Folge verbessert hat. Damit das so bleibt, ist es unser Ziel, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in heimische Produkte zu steigern. Darüber hinaus wollen wir auf Eigenverantwortung und auf Nachhaltigkeit setzen.
Die SPD hat schon in der Vergangenheit in ihrer Regierungszeit mit dafür gesorgt, dass Transparenz in die Produktion Einzug hält. Mit der Einführung des QS-Systems 2001 wird die Produktion vom Acker bis zur Ladentheke nachvollzogen. Dieses freiwillige Prüfsiegel ist in der Branche zu einem Markenzeichen geworden.
Mit dem jetzt auch vom Bundesrat endlich beschlossenen Verbraucherinformationsgesetz haben wir als Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich das Recht auf Information durch die Behörden, wenn es zu Verstößen gegen das Lebensmittel- und das Futtermittelrecht kommt, ganz egal ob die Ware noch im Regal steht oder nicht.
- Herzlichen Dank. - Wir haben aus dem Gammelfleischskandal eine zusätzliche Lehre gezogen, nämlich dass bei kriminellen Handlungen das bestehende Recht in Deutschland ausgeschöpft werden muss. Herr Minister Seehofer, ich danke Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich für Ihre klaren Worte, die Sie zu diesem Thema gefunden haben. Denn es kann einfach nicht angehen, dass auf der einen Seite grobe Verstöße mit Bußgeldern um die 100 Euro oder 500 Euro geahndet werden, auf der anderen Seite aber das Geld aus Verkäufen von Gammelfleisch in den Kassen bleibt und zusätzlich eine gesundheitliche Gefährdung von Konsumenten in Kauf genommen wird.
Hier gibt das deutsche Recht ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft vor. Ich denke, die Gerichte sollten an dieser Stelle aufgefordert werden, ein solches Strafmaß auszuschöpfen; denn nur so schafft man es, die schwarzen Schafe herauszufinden, und vermeidet man es, den gesamten Berufsstand in den Schmutz zu ziehen.
Dass die Menschen im Lande auf qualitativ hochwertige Lebensmittel setzen, konnte man in den vergangenen Jahren, speziell im letzten Jahr, sehen. Man sieht den Trend zu ökologischen Produkten. Bereits seit einigen Jahren hält dieser Boom ununterbrochen an. So hatten wir das gar nicht prognostiziert. Der Umsatz ökologischer Produkte ist vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2004 von 2 Milliarden Euro auf 4 Milliarden Euro gestiegen. Ich denke, in einer so kurzen Zeit eine Verdopplung zu erreichen, ist sicherlich sehr gut. Das geschah gewiss deshalb, weil die Menschen diesen Produkten eine hohe Qualität zuschreiben und sie mit gesunder Ernährung verbinden, aber auch weil im Jahr 2001 das Biosiegel eingeführt wurde, das den Kriterien der EU-Öko-Verordnung entspricht. Das wird von den Konsumenten erkannt und angenommen. Das wird in der Zukunft in der Landwirtschaft zu Arbeitsplatzsicherung führen.
Damit wir die Nachfrage nach Ökoprodukten in Zukunft noch stärker durch eigene Produktion befriedigen können, ist natürlich auch die Politik gefragt. Ich finde, hier sind ganz speziell die Länder in der Pflicht. Ich erinnere an die Möglichkeiten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Für die Zeit von 2005 bis 2008 sollten die Länder diesen Rahmenplan nutzen. Mit den entsprechenden Förderrichtlinien wird den Betrieben auch der Schritt zur Umstellung erleichtert.
Es gibt die Kritik, dass die Förderung des Ökolandbaus durch den Bund zu gering sei und dass das Angebot der Nachfrage nicht nachkomme. In der Argumentation stimmt das zwar auf den ersten Blick, aber wir sollten uns doch die Mühe machen und einmal ein bisschen genauer hinschauen: Man muss damit rechnen, dass konventionelle Betriebe im Schnitt zwei Jahre brauchen, um auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. Das entsprechende Angebot kann es also erst dann geben, wenn ein Betrieb sich umgestellt hat. Das bedeutet auf gut Deutsch, dass es diese Angebote nur mit einer Zeitverzögerung geben kann.
Ungeachtet dessen - das sage ich auch in Richtung der Opposition - besteht die Aufgabe fort, an konzeptionellen Verbesserungen zu arbeiten, wo dies angezeigt ist. Aus diesem Grund begrüßen wir als SPD auch im Hinblick auf den nächsten Haushaltsansatz, dass das Bundesprogramm Ökologischer Landbau weitergeführt wird.
Ich habe vorhin gesagt: Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit. Diese Punkte spielen auch in der Praxis eine immer größere Rolle. Mit der Entkoppelung der Prämien von der Produktion sind die Bauern gefordert, von der Überschussproduktion wegzukommen. Wie wir alle wissen, sind in Zukunft sowohl Intervention als auch Exporterstattungen immer unwahrscheinlicher.
Zusätzliche, neue Einkommensquellen sind für viele Betriebe schon jetzt genauso wichtig wie auch vielfältig. Die Produktion und der Einsatz von Biomasse in der landwirtschaftlichen Produktion haben rapide zugenommen. Auf etwa 1,5 Millionen Hektar Fläche waren im Jahr 2006 nachwachsende Rohstoffe angepflanzt. Das sind sage und schreibe 13 Prozent der Ackerfläche in Deutschland. Der Einsatz von Biomasse in Biogasanlagen oder die Verarbeitung zu Biosprit wird vom Berufsstand natürlich schon intensiv genutzt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal ein ganz tolles Beispiel nennen; gerade gestern habe ich es über den Bauernverband gehört. Brandenburg ist ein Bundesland mit schlechten Ackerbodenwerten. Der Anbau von Roggen war für viele Brandenburger Betriebe überlebenswichtig. Allerdings - das weiß jeder hier im Haus - ist diese Produktion immer am Markt vorbeigegangen. Um die Marktpreise trotzdem stabil zu halten, hat die EU diese Überproduktion vom Markt genommen, in die Intervention gegeben und dafür auch gezahlt.
Wie sieht es denn heute aus? Heute ist es so, dass die Brandenburger Bauern ihren Roggen vorrangig für die Bioethanolherstellung anbauen, soweit ich weiß, nichts mehr in die Intervention geben und sogar bessere Preise erzielen.
Durch dieses Beispiel wird das unterstrichen, was auch Herr Seehofer vorhin gesagt hat: Der Berufsstand besteht fort, auch wenn er nicht subventioniert wird.
Im ?Wegweiser Nachhaltigkeit“ aus dem letzten Jahr stellt die Bundesregierung dar, dass gerade bei der Nutzung von Biomasse eine Nutzungskaskade von der stofflichen bis hin zur energetischen Nutzung möglich ist. Gerade hier liegt ein weiteres, noch relativ ungenutztes Potenzial im Bereich der Wärmeenergie. Die Auflage eines Wärmeenergiegesetzes würde meiner Auffassung nach im Sinne einer nachhaltigen Energienutzung ebenso positiv wirken wie seinerzeit das Erneuerbare-Energien-Gesetz für die Stromerzeugung.
Auch hier würden landwirtschaftliche Betriebe profitieren, Arbeitsplätze für den ländlichen Raum gehalten und die Wirtschaftskraft - das liegt uns allen am Herzen - gestärkt.
Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich der Auffassung, dass wir nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene einen Aktionsplan Biomasse brauchen, um die energetische und stoffliche Nutzung hier in Deutschland weiter voranzubringen. Ziele, wie 20 Prozent des Stromverbrauchs im Jahre 2020 über regenerative Energien oder 5,75 Prozent des Treibstoffverbrauchs im Jahre 2010 über Biosprit zu decken,
dürfen von uns nicht nur formuliert werden, sondern wir müssen auch zur Erfüllung beitragen.
Wir haben dafür das notwendige Potenzial hier in Deutschland. Die Perspektiven einer nachhaltigen Biomasseerzeugung liegen dabei in einer effizienten und umweltgerechten Produktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Agrarbericht 2006 enthält so viele Dinge, die beleuchtet werden sollten, aber leider sind zehn Minuten keine Stunde. Ich hoffe und wünsche, dass die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir reden, weitere Themen ansprechen werden, die auch mir noch wichtig sind.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächste spricht für die Linksfraktion die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Nach den vielen eher bangen Jahren der Vergangenheit kann der vorliegende Agrarbericht hinsichtlich der betrieblichen Abschlüsse der landwirtschaftlichen Betriebe auf positive Ergebnisse verweisen. Das ist gut. Denn wir brauchen eine stabile und leistungsfähige Landwirtschaft als wesentliche wirtschaftliche Säule im ländlichen Raum.
Die Bilanz ist aber nicht nur positiv. Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung ist um 3 Prozent gefallen. Viele Betriebe, vor allem kleinbäuerliche Betriebe in Westdeutschland, müssen aufgeben. Der Agrarbericht spricht von 3 Prozent pro Jahr im langjährigen Mittel. Mit jeder Betriebsaufgabe ist in der Regel der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. Mitarbeitende Familienmitglieder, vor allem Frauen, sind davon sehr hart betroffen. Auch wer auf ergänzendes ALG II angewiesen ist, kann Haus und Hof verlieren. Der ländliche Raum wird daher immer mehr zum sozialen Brennpunkt.
Trotzdem ist das Licht nicht zu übersehen: Die betrieblichen Gewinne waren im bundesweiten Durchschnitt um 23,9 Prozent höher als im Vorjahr. Die ostdeutschen Betriebe haben überdurchschnittlich gut abgeschnitten. In den Bereichen ökologischer Landbau und nachwachsende Rohstoffe ist die erhoffte positive Entwicklung nun endlich eingetreten. Dass die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe im Durchschnitt um 20 Prozent höhere Gewinne erzielt haben als die Betriebe in den Altbundesländern, zeigt, dass auch diese Landstriche und die dort wohnenden Menschen Potenziale haben und diese auch nutzen.
Vor allem in Brandenburg konnten die Betriebsergebnisse deutlich verbessert werden. Unterdessen arbeiten - so der Präsident des Landesbauernverbandes, Udo Folgart, vor wenigen Tagen gegenüber der ?Märkischen Oderzeitung“ - 40 000 Brandenburgerinnen und Brandenburger in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Das sind 2 000 mehr als noch vor fünf Jahren. Der Abwärtstrend ist also gestoppt. Der Anteil der brandenburgischen Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt beträgt nunmehr 6 Prozent. Bundesweit beläuft sich der Anteil der Landwirtschaft auf nur 1 Prozent. Im neuen Leitbild der Landesregierung spielt die Landwirtschaft komischerweise trotzdem keine Rolle.
Der positive Trend geht leider an sehr vielen Menschen im ländlichen Raum völlig vorbei. Am 14. Oktober 2006 berichtete die ?Märkische Allgemeine Zeitung“, dass mein Heimatlandkreis im Nordwesten Brandenburgs mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von nur 13 000 Euro von Platz 419 auf Platz 423 - bei 439 Landkreisen im gesamten Bundesgebiet - gefallen ist. Bei dem Licht am Ende des Tunnels kann es sich also auch um einen entgegenkommenden Zug handeln.
Zudem sind die positiven Trends, auf die der Bericht verweist - Minister Seehofer hat bereits darauf hingewiesen -, nicht das Verdienst der aktuellen Regierung. Aufgabe der jetzigen Regierung wäre es, diese positiven Trends im Interesse der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Steigerung der Wertschöpfung im ländlichen Raum zu stabilisieren.
Aber die politischen Entscheidungen der vergangenen Monate sprechen eine andere Sprache.
Beispiel 1: Fördermittel für den ländlichen Raum. Das ist bereits angesprochen worden. Die EU-Mittel für den ländlichen Raum sind gekürzt worden. Statt dies über die Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ mit Bundesmitteln auszugleichen, werden diese 2006 und 2007 um jeweils 50 Millionen Euro gekürzt. Vor dem Hintergrund der reduzierten Bundesmittel kürzen jetzt die Bundesländer wichtige Programme, wie etwa für benachteiligte Gebiete und den ökologischen Landbau.
Beispiel 2: Steuerbelastung für die kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe. Durch die Mehrwertsteuererhöhung und die unzureichende Anpassung des Steuersatzes für die pauschalierenden Betriebe wurde zusätzliches Einkommen reduziert.
Beispiel 3: Beiträge zum agrarsozialen System. Trotz steigender Beitragssätze werden jetzt die Bundeszuschüsse für die landwirtschaftliche Unfallversicherung um 100 Millionen Euro reduziert. Der für 2007 geplante Ausgleich über die Rückflüsse früherer Förderkredite ist nur eine Vertagung des Problems. Es liegt nach wie vor kein zukunftsfähiges Konzept für die landwirtschaftliche Unfallversicherung vor.
Aber das Sündenregister der Bundesregierung ist länger. Beispiel 4: Biokraftstoffe - darüber wurde schon gesprochen. Natürlich ist an vielen Tankstellen mit dem Preis für die fossilen Brennstoffe auch der Preis für Biodiesel gestiegen. Die damit angeblich bestehende Überkompensation, welche die Regierung jetzt mit Steuern abschöpfen will, gibt es für viele aber trotzdem nicht. Ein Teil des Biodiesels wird gar nicht an den Tankstellen abgesetzt, sondern direkt an Speditionen verkauft - natürlich zu anderen Preisen. Der Rohstoff Raps ist unterdessen teurer geworden; die Nebenprodukte Glycerin und Rapsexpeller sind billiger geworden. Kurzum: Der sich gerade entwickelnde regionale Wachstumsmarkt Biokraftstoffe ist akut gefährdet. Dem Landwirt bleibt nur beim Eigenverbrauch ein Kostenvorteil - und wahrscheinlich auch der nicht ewig.
Beispiel 5: Ökolandbau - auch er ist schon angesprochen worden. Die Bundesregierung bringt auch hier Räder zum Stillstand. Die kräftige Steigerung des Absatzes von Bioprodukten - 14 Prozent mehr als im Berichtsvorjahr - wird politisch nicht mehr aufgegriffen. Die Zahl der Betriebe und auch die ökologisch bewirtschaftete Fläche stagnieren trotz guter Absatzlage und im Durchschnitt höherer Gewinne dieser Betriebe. Stattdessen wird dieser attraktive Binnenmarkt zunehmend aus dem Ausland bedient. Auch das ist ein Ergebnis der aktuellen Förderpolitik.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass insbesondere die Risiken der Umstellung auf den ökologischen Landbau einer Förderbegleitung bedürfen. Wir sehen im Ökolandbau eine Möglichkeit, natürliche Ressourcen zu schonen und gleichzeitig Arbeit und Wertschöpfung im ländlichen Raum zu halten, da der Ökolandbau vergleichsweise arbeitsintensiv ist.
Die Bundesregierung vergrößert die Verunsicherung aber auch im Bereich der konventionellen Landwirtschaft. Beispiel 6: Umgang mit der Agro-Gentechnik. Die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher lehnen mit großer Mehrheit Lebensmittel ab, die aus oder mit gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden. Aber auch der Anbau von Bt-Mais für Biogasanlagen ist nur scheinbar risikoarm; denn die ökologischen Risiken der Anwendung bleiben.
Die Bundesregierung schreibt im Agrarbericht, dass sie Forschung und Entwicklung der Agro-Gentechnik unterstützten will. Diese Zielsetzung geht aus meiner Sicht klar am Wählerwillen vorbei. Es wird nicht einmal mehr hinterfragt, ob der vermeintliche Nutzen der Agro-Gentechnik in Mitteleuropa wirklich belegbar ist. Das Problem ist, dass wir dafür einen Standortvorteil riskieren. Denn qualitätsorientierte Strategien der landwirtschaftlichen Primärerzeugung, verbunden mit hohen Umweltstandards, waren bisher die Garanten für eine wettbewerbsfähige und verbraucherorientierte Landwirtschaft. Die Agro-Gentechnik befördern heißt daher für mich, den Pfad dieser Tugend zu verlassen. Mein Fazit: Das Aufatmen vieler landwirtschaftlicher Lobbyvereinigungen beim Regierungswechsel wird immer öfter zum großen Seufzer.
In der aktuellen Diskussion um die Gemeinschaftsaufgabe teile ich die Auffassung, dass die inhaltliche Ausgestaltung der Förderrichtlinien im Wesentlichen den Erfordernissen entspricht und den EU-Rahmenbedingungen gerecht wird. Vor allem die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete sowie die Agrarinvestitionsförderung sind aus meiner Sicht wichtig - nicht nur für Ostdeutschland. Mit der Ausgleichszulage können Arbeitsplätze gesichert, mit Agrarinvestitionen neue geschaffen werden. Daher dürfen diese Förderungen nicht den Kürzungen auf EU-, Bundes- oder Länderebene zum Opfer fallen.
Es muss das vorangige Förderziel sein, soziale und natürliche Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen mindestens zu erhalten. Das heißt auch, Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen und damit Existenzmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Interesse; denn die Konsequenzen des Sozialabbaus werden immer deutlicher und gehen weit über persönliche Schicksale hinaus. Der gesellschaftliche Zusammenhalt droht zu erodieren, wenn ein demokratisches System so viele Verlierer hinterlässt.
Selbstverständlich ist die Förderung nicht nur eine Frage der Finanzausstattung. Ganz sicher können die Gelder auch effektiver und noch zielgerichteter eingesetzt werden. Aber die Decke bleibt nun einmal zu kurz - ob man sie hin und herzieht oder nicht.
Das dritte Thema dieser Debatte hat nur scheinbar wenig mit den bisherigen Themen zu tun. Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wie oft das Risiko von Infektionskrankheiten bei Nutztieren ausgeblendet wird - und das, obwohl sie in Zeiten exorbitanter Personen- und Warenströme einer globalisierten Welt die größte wirtschaftliche Bedrohung unserer Nutztierbestände und damit auch der tierhaltenden Betriebe darstellen. Die nur scheinbar überraschenden Ausbrüche von MKS, Geflügel- und Schweinepest und jetzt der Blauzungenkrankheit sind meine Kronzeugen.
Welche Schlussfolgerungen müssten daraus gezogen werden? Es müsste alles dafür getan werden, dass wissenschaftlich begründet und konzeptionell gehandelt werden kann. Stattdessen aber verstärkt sich auch für mich angesichts der immer wieder stattfindenden Massentötungen der Eindruck mittelalterlicher Rituale. Spätestens die Bilder der brennenden Kadaverberge während des MKS-Seuchenzuges in Großbritannien hätten zum Umdenken zwingen müssen:
hin also zu vernünftigen Präventions- und Interventionskonzepten.
Dabei kann es nicht nur, aber es muss auch um kluge Impfstrategien gehen, wobei wir dann nicht nur über die großen Nutztierbestände, sondern auch über die kleinen, genetisch wertvollen oder einfach nur moralisch wertvollen Klein- und Hobbyhaltungen nachdenken müssen.
Darüber hinaus muss es aber um Folgendes gehen: Erstens. Einschleppungs- und Verschleppungsrisiken müssen sicher bestimmt und überwacht werden. Zweitens. Mit schnellem, effektivem Handeln müssen größere Ausbrüche von Endemien und Epidemien verhindert werden.
Drittens. Wirtschaftliche Schäden müssen minimiert werden. Viertens. Nach Kosten-Nutzen-Analysen optimierte Interventionskonzepte müssen dringend entwickelt werden.
Auf diese Herausforderungen muss das Agrarforschungskonzept, das seit Monaten angekündigt und jetzt entwickelt wird, Antworten geben. Deswegen erwarte ich es mit ungestillter Neugier.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächstes hat das Wort Cornelia Behm für Bündnis 90/Die Grünen.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landauf und landab klopfen sich Unionspolitiker zurzeit auf die Brust, sind stolz auf den Aufwärtstrend in der Landwirtschaft und verbuchen die verbesserte Wirtschaftslage auf ihr eigenes Konto. Dabei belegt der Agrarbericht, dass sie sich mit fremden Federn schmücken; denn die um 24 Prozent erhöhten Gewinne der Agrarbetriebe wurden bereits im Wirtschaftsjahr 2004/05 gemessen - der Minister hat darauf hingewiesen -, also zu rot-grünen Zeiten, als Renate Künast Ministerin war.
Für 2005/06, also in der schwarz-roten Ära, zeichnet sich laut Agrarbericht hingegen wieder ein Rückgang der Einkommen um circa 5 Prozent ab. Das sind die Fakten, die der Agrarbericht nennt, meine Damen und Herren von der Union, auch wenn Sie die nicht so gern hören. Was wahr ist, muss wahr bleiben.
Dieser rot-grüne Aufschwung hatte seine Gründe.
Durch eine zielgerichtete Orientierung auf Qualitätsproduktion - Sie erinnern sich noch: Klasse statt Masse; auch das hat der Minister zitiert - haben wir erreicht, dass die Verbraucher wieder Vertrauen in die deutsche Lebensmittelproduktion gewonnen haben. Dies spiegelt sich im gestiegenen Absatz inländischer Erzeugnisse wider. Aber auch die deutschen Agrarexporte haben sich positiv entwickelt. Im Jahr 2004 haben sie um 5,5 Prozent zugenommen. Experten führen dies auf ebendiese Qualitätsorientierung und -förderung durch die Politik zurück. Also: Erst Klasse, dann kommt Masse.
Qualität, Vertrauen und der Trend zu Bioprodukten haben dazu geführt, dass sich der Ökolandbau gut am Markt platzieren konnte. So verbesserte sich auch die Ertragslage der ökologisch wirtschaftenden Betriebe weiter. Das ist eine erfreuliche Tendenz; denn die Ökobetriebe haben im Durchschnitt einen um 30 Prozent höheren Arbeitskräftebesatz. Sie sind damit für die ländlichen Räume ein wichtiger Jobmotor.
Wenn man auf die aktuelle großkoalitionäre Agrarpolitik blickt, dann muss man sich besorgt fragen: Soll das, was so schön begann, schon wieder zu Ende sein?
Hier meine wichtigsten Kritikpunkte: Im Agrarbericht betont die Bundesregierung den hohen Stellenwert einer Förderung der ländlichen Entwicklung; in der konkreten Politik setzt sie dies allerdings nicht um. Denken Sie nur an den Merkel-Kompromiss zu den EU-Finanzen. Opfer sind die ländlichen Räume. Massiv gekürzt wurden die Mittel für die zweite Säule der Agrarpolitik. Ich kann das Rechenexempel von Ministern nicht nachvollziehen; da wird viel schöngerechnet.
In den Bundesländern steht - wie man feststellt, wenn man sich das einmal wirklich kritisch anschaut - real bis zu 50 Prozent weniger Geld für den ländlichen Raum zur Verfügung. Wer da seine Hoffnungen auf den Minister setzt, der jüngst seine Liebe zum ländlichen Raum entdeckt haben will, wird von der Realität bitter enttäuscht. Der Agrarhaushalt weist keine Kompensation der EU-Kürzungen auf. Im Gegenteil, die GAK-Mittel wurden im Haushalt 2006 um 50 Millionen Euro gekürzt. Die Folge ist, dass viele notwendige und sinnvolle Programme im ländlichen Raum in Zukunft entweder gar nicht mehr oder nur noch stark gerupft angeboten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die große Koalition gefährdet eine weitere wichtige Säule, mit der Rot-Grün für mehr Einkommen bei den Landwirten gesorgt hat: Sie haben die Mineralölsteuerbefreiung für Biokraftstoffe aufgehoben. Damit drehen Sie einer aufstrebenden Branche, die mittelständisch organisiert ist, eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen und zahlreiche Innovationen finanziert hat, im wahrsten Sinne des Wortes den Hahn ab.
Wir Grüne haben dem Bundestag einen Entschließungsantrag vorgelegt, mit dem wir diese gefährliche Entwicklung stoppen wollen. Wir fordern von der Bundesregierung, das Energiesteuergesetz und das Biokraftstoffquotengesetz so zu korrigieren, dass der Ausbau der Bioenergie und der Aufbau einer mittelständischen Biokraftstoffwirtschaft fortgeführt werden können. Wir fordern, dem hohen Stellenwert der ländlichen Entwicklung durch eine ausreichende finanzielle Ausstattung Rechnung zu tragen. Wir fordern, die Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ in eine Gemeinschaftsaufgabe für die Entwicklung des ländlichen Raumes zu überführen. Wir fordern, dass der Bundestag zukünftig in die Entscheidungsfindung des PLANAK, also des Planungsausschusses für diese Gemeinschaftsaufgabe, einbezogen wird.
Das ist unser Geld; darüber müssen wir doch zumindest mitentscheiden können. Last, but not least muss die Förderpolitik zugunsten des Ökolandbaus fortgesetzt werden, damit auch die heimische Landwirtschaft am Wachstumsmarkt der Biolebensmittel teilhaben kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es in der Hand, ob der Agraraufschwung bei den Bioenergien, bei den nachwachsenden Rohstoffen, bei der Qualitätsproduktion und beim Ökolandbau fortgesetzt oder aufs Spiel gesetzt wird. Ich bitte Sie: Ziehen Sie aus dem Agrarbericht die richtigen Konsequenzen!
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Johannes Röring.
Johannes Röring (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst eines feststellen: Die Stimmung in der Landwirtschaft, ja in der ganzen Agrarwirtschaft ist zurzeit ausgesprochen gut. Dieses Stimmungshoch ist nicht allein durch die Verbesserung der Betriebsergebnisse zu erklären. Frau Behm, Einkommen werden durch den Fleiß und das Können von bäuerlichen Familien erzielt und nicht durch die Politik. Deswegen ist das alles zu relativieren.
Diese Ergebnisse sind erfreulich; aber sie sind nicht der Grund für die gute Stimmung. Die Begründung liegt an anderer Stelle. Bäuerinnen und Bauern, Land- und Forstwirte, Gärtner und Fischer wurden viele Jahre öffentlich angeklagt. Sie wurden, und das sogar von führenden Regierungsmitgliedern, verantwortlich gemacht für Tierseuchen, Krankheiten wie BSE
oder das Quälen von Tieren und das Verschmutzen von Böden und Wasser.
Andere bezeichneten die Landwirtschaft als sterbende Branche, als Subventionsempfänger und im Übrigen als überflüssig, da ja alles, was wir produzieren, auf dem Weltmarkt eh billiger zu bekommen sei. Diese Haltung hat sich grundlegend geändert. Denn die neue Botschaft der Bundesregierung heißt: Wir sind stolz auf unsere Landwirtschaft und wir brauchen sie.
Denn: Zum Ersten ist die Agrarwirtschaft ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Diese Branche, die in extrem hohem Maße mittelständisch geprägt ist und standortgebundene Arbeitsplätze in ländlichen Regionen schafft, hat über 4 Millionen Beschäftigte und erwirtschaftet über 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zum Zweiten - dieser Punkt wird vielfach vergessen - garantiert die Landwirtschaft die Versorgung von 82 Millionen Bundesbürgern mit ihrem täglichen Brot. Auch das sollten wir deutlich machen.
Es wird heutzutage Nahrung in nie bekannter Vielfalt und in hervorragender Qualität produziert. Wir sollten stets beachten, dass Versorgungssicherheit nicht nur im Energiebereich, sondern erst recht im Nahrungsmittelbereich wichtig ist. Wir haben daher allen Grund, auf unsere Landwirtschaft stolz zu sein.
Die Landwirtschaft befindet sich im ständigen Wandel. Die Erzeugung von Nahrungsmitteln findet mittlerweile vor dem Hintergrund globaler Märkte und sich immer stärker öffnender Grenzen statt. Die Marktpreise für Getreide sind mittlerweile überall in der Welt gleich. Die Märkte für Fleisch und Milchprodukte sind hart umkämpft im internationalen Wettbewerb. Deswegen ist es so wichtig und unabdingbar, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Agrarwirtschaft in Zukunft weiter verbessert wird.
Hierfür sind folgende Aspekte von sehr großer Bedeutung: Wir müssen alle bürokratischen Vorgaben und Regelungen auf ihre Effizienz und Notwendigkeit überprüfen. Hier schließe ich natürlich die europäischen Richtlinien und Verordnungen ein. Hiermit definieren wir am Ende nämlich, wie wir Nahrung produzieren wollen, wie wir mit der Natur und der Umwelt umgehen, wie wir Tiere halten und - auch das ist wichtig - unter welchen Bedingungen die Menschen in diesem Bereich arbeiten und leben. Kurz gesagt: Wir setzen Standards. Aber was hilft es, wenn wir in unserem Land Standards formulieren und sie unter hohen Produktionskosten streng einhalten, aber beim Import alle Augen zumachen? Das hat nichts mit fairem Welthandel zu tun.
An dieser Stelle gebührt unserem Minister Seehofer ein großes Lob, der im Gegensatz zu seiner Vorgängerin deutsche und europäische Interessen bei den Verhandlungen mit der WTO - zuletzt in Hongkong - stets im Auge hatte.
Die weiteren Herausforderungen für die Landwirtschaft zeichnen sich deutlich erkennbar ab: Aktuelle Prognosen sagen uns eine Verdoppelung des weltweiten Fleischkonsums in wenigen Jahren voraus. Dadurch wird eine erhebliche Steigerung der Nachfrage an Getreide, Mais und Sojaschrot verursacht, da die Erzeugung von einem Kilogramm Fleisch mehrere Kilogramm Getreide erforderlich macht. Darüber hinaus - dieser Punkt kommt hinzu - erwartet die Gesellschaft von der Landwirtschaft ein immer stärkeres Engagement bei erneuerbaren Energien und Rohstoffen, die - das wird oft in der allgemeinen Diskussion vergessen - von den gleichen Flächen kommen. Denn die Flächen sind nicht vermehrbar. In der Summe wird dies dazu führen, dass sich die weltweite landwirtschaftliche Produktion in absehbarer Zeit verdoppeln muss, und das auf kaum vermehrbarer Fläche.
Dies sind gewaltige Aufgaben. Hier ist die deutsche und europäische Landwirtschaft aufgrund der exzellenten Bedingungen bei Boden und Klima stark gefordert und in der Verantwortung. Zu schaffen ist das aber nur durch eine moderne und intelligente Landwirtschaft, die alle Potenziale bei Ertragssteigerungen und Effizienzverbesserung nutzt. Hierzu zähle ich ausdrücklich die Biotechnologie.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Johannes Röring (CDU/CSU):
Ja, Frau Präsidentin.
Auch müssen wir uns dringend die Frage stellen, ob Flächenstilllegungen noch zeitgemäß sind und ob guter Ackerboden nicht genauso schützenswert ist wie ein Feuchtbiotop.
Für diese gigantischen Ziele und die Lösung der Aufgaben, die vor uns liegen, brauchen wir die Unterstützung der Bundesregierung in der Forschung. Hier sind richtige Schritte gemacht worden. Ich glaube, dass die Landwirtschaft auf einem guten Weg ist. Lassen Sie uns diesen Weg weiter positiv gestalten!
Danke für das Zuhören.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächstes spricht der Kollege Dr. Edmund Geisen für die FDP-Fraktion.
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Agrarbericht mag zwar realistisch sein; aber die Worte des Herrn Ministers heute Morgen wie auch die meines Kollegen Herrn Röring stellen sich für mich als eine große Schönfärberei dar.
Denn die in den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bestehenden Probleme wurden nicht gelöst und die meisten noch nicht einmal in Angriff genommen.
Das Schlimmste, was man dem Herrn Minister vorzuwerfen hat, ist der andauernde Zickzackkurs seiner Politik in vielerlei Hinsicht, aber insbesondere in der Agrarsozialpolitik. Mit der Politik des Ministers ist unsere Landwirtschaft vom Regen in die Traufe gekommen.
Es gab zunehmende Kürzungen im agrarsozialen Bereich des Haushalts. Die versprochene Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien wurde nicht eingehalten. Die Erntehelferregelung war ein Flop. Es gibt keine Lösungen für die Tierseuchenbekämpfung. Nein, die Landwirtschaft ist nicht, wie es der Herr Minister darstellt, auf Rosen gebettet. Sie hat noch nichts davon gemerkt, dass Verbesserungen eingetreten sind.
Was der deutschen Landwirtschaft besonders zu schaffen macht, sind die ungleichen Wettbewerbsbedingungen auf EU-Ebene, die überbordende Bürokratie, die wettbewerbsverzerrenden Dieselbesteuerungen im Agrarbereich sowie die unterschiedlichen Produktionsvorschriften und Auflagen im Umweltbereich, in der Tierhaltung und in der Produktionstechnik. Dazu kommen auf nationaler Ebene die enorm hohen finanziellen Anforderungen durch die alten Lasten.
Das alles ist nicht so in Angriff genommen worden, dass unseren Landwirten eine Zukunftsperspektive geboten wird. Unsere Landwirte sind weiterhin vor allem dadurch verunsichert, dass sie keine mittelfristige Planungssicherheit haben.
Deswegen fordern wir von der FDP-Fraktion den Herrn Minister auf, diese genannten Probleme möglichst bald in Angriff zu nehmen.
Wir fordern ebenfalls eine verstärkte verbraucherorientierte Politik, die den Verbrauchern und den Landwirten gerecht wird. Dazu gehören die Harmonisierung der Qualitätsstandards in Europa - und darüber hinaus -, die Qualitätssicherung im Agrar- und Nahrungsmittelbereich, die Aufklärung über die Produktionswege der national und international erzeugten Produkte, die Herausstellung der heimischen Produkte durch deutliche Kennzeichnung und die Aufklärung der Verbraucher über Produktionsmethoden hierzulande und international, damit ein Vergleich gewährleistet ist. Wir fordern Sie, Herr Minister Seehofer, auf, endlich Maßnahmen zu ergreifen, die unseren Landwirten und dem ländlichen Raum Zukunftsperspektiven aufzeigen.
Zum Schluss möchte ich etwas zur deutschen EU-Präsidentschaft im kommenden Jahr sagen. Wir von der FDP fordern Sie insbesondere auf, im Bereich der Cross-Compliance und darüber hinaus für einen drastischen Bürokratieabbau zu sorgen. Hier stehen Sie, Herr Minister, im Wort.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion Dr. Gerhard Botz.
Dr. Gerhard Botz (SPD):
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte in meinem heutigen Beitrag auf nur einen Punkt im Agrarbericht eingehen, nämlich auf die Zukunft der ländlichen Räume, genauer gesagt: auf einige Aspekte, die angesichts der aktuellen Situation aus unserer Sicht sehr wichtig sind. Unsere Fraktion hat im September eine bundesweite Konferenz zur Zukunft ländlicher Räume durchgeführt und von Akteuren aus dem ländlichen Raum eine Vielzahl von Anregungen erhalten.
Auf einige Aspekte möchte ich eingehen.
Wir brauchen wesentlich stärker eine integrierte Sicht auf die Entwicklung in unserem ländlichen Raum. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Agrarpolitiker eingestehen - das betrifft uns alle -, dass wir zwar schon seit Jahrzehnten von einer integrierten Agrarpolitik sprechen, davon aber doch noch ein ganzes Stück entfernt sind. Herr Bundesminister, deswegen begrüßen wir das, was wir in den letzten Monaten aus Ihrem Haus - von Ihnen, aber auch von Ihren führenden Mitarbeitern - hören, nämlich dass es eine der wesentlichen politischen Zielstellungen ist, jetzt zu einer integrierten Politik für ländliche Räume zu kommen. Das bedeutet eine Abkehr von der bisher prägenden sektoralen Betrachtungsweise.
Wir könnten uns vorstellen, auf Bundesebene so etwas wie einen Rat für die Entwicklung ländlicher Räume einzurichten. Unser Ministerium sollte mit den anderen Ministerien, die über fachliche Zuständigkeiten auf diesem Gebiet verfügen, zusammenarbeiten. Eine dementsprechende Einrichtung bräuchten wir auch auf der Ebene der Länder; denn es ist klar, dass eine Politik für ländliche Räume regional, das heißt hauptsächlich auf der Landesebene, umgesetzt werden muss. Ich bin davon überzeugt, dass die Geschwindigkeit, mit der wir diese Entwicklung angehen, erhöht werden muss.
Eine entscheidende Zielstellung in diesem Zusammenhang ist und bleibt, Arbeit und Wertschöpfung vor Ort zu halten. Auch deshalb müssen wir regionale Wirtschaftskreisläufe aktivieren, neue Marketingkonzepte entwickeln und Beschäftigung gezielt fördern. Wenn wir das wollen, brauchen wir mehr Mittel im Bereich der zweiten Säule, als wir zurzeit - leider - zur Verfügung haben. Deshalb ist es aus meiner Sicht unverzichtbar, Mittel aus dem Bereich der ersten Säule in den Bereich der zweiten Säule umzuschichten.
Natürlich müssen alternative Erwerbsmöglichkeiten für die betroffenen Bürger im ländlichen Raum ausgebaut werden. Eine Fülle erfolgreicher Leader-Projekte belegt, dass das möglich ist. Auch das Instrument der Modulation ist deshalb kein Generalangriff auf die Einkommen der heutigen Landwirte, sondern eher eine Maßnahme, mit deren Hilfe es uns gelingen kann, öffentliche Mittel - solange wir sie noch haben - sukzessive für vernünftige und zukunftsfähige Projekte im ländlichen Raum einzusetzen.
Es gibt eine klare politische Zielstellung, der wir uns als Sozialdemokraten verpflichtet fühlen: Unsere ländlichen Regionen, insbesondere die peripher gelegenen strukturschwachen Regionen müssen als eigenständige Lebens- und Wirtschaftsräume erhalten und weiterentwickelt werden. Eine einseitige Ausrichtung zukünftiger staatlicher Förderstrategien auf Ballungsräume, die ohnehin wachsen, kann deshalb nach meiner Auffassung nicht akzeptiert werden.
Es gibt trotz der bekannten Probleme, die ich hier nicht im Einzelnen aufführen muss, in fast jeder dieser Regionen erhebliche Entwicklungspotenziale, die wir fördern müssen. Wichtig ist es, dass wir dazu die Akteure vor Ort in die Entscheidung einbeziehen. Deshalb - das möchte ich in Richtung unseres Bundesministeriums sagen - war es richtig, das Programm ?Regionen Aktiv“ für zwei Jahre zu verlängern.
Auch wenn wir weniger Geld haben und über neue Instrumente nachdenken müssen, bleibt die grundlegende Entscheidung Deutschlands aus früheren Jahrzehnten richtig, den Wegfall landwirtschaftlicher Beschäftigung durch Erwerbschancen in Industrie, Gewerbe und Dienstleistung im ländlichen Raum rechtzeitig auszugleichen. Frankreich zum Beispiel hat diese strategische Entscheidung verschlafen und leidet bis heute unter den Folgen.
Noch können wir in unseren ländlichen Räumen auf ein besonders hohes ehrenamtliches Engagement unserer Bürger zurückgreifen. Wir müssen versuchen, trotz knapper finanzieller Mittel dieses Kapital ehrenamtlicher Tätigkeit an wichtigen Schaltstellen gezielt zu fördern. Dabei geht es um Betreuungsangebote kultureller und sportlicher Art für Jungendliche. Diese können mancherorts aufrechterhalten bleiben oder sogar verbessert werden. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass das letzten Endes nichts anderes ist als eine vorsorgende Maßnahme gegen den wachsenden Einfluss rechtsradikaler Organisationen insbesondere in ländlichen Regionen, die benachteiligt sind. Dort unterbreiten solche Organisationen Jugendlichen gezielt Freizeitangebote, um über diesen Weg ihr verhängnisvolles Gedankengut in deren Köpfe zu bringen.
Wer über Perspektiven für ländliche Räume spricht und ohne Illusionen in die Zukunft schaut - das ist schließlich unsere Aufgabe in diesem Hohen Haus -, der darf nicht die Augen vor den mit hoher Sicherheit zu erwartenden Klimaveränderungen verschließen. Nüchterne Einschätzungen deuten darauf hin, dass wir uns von der bisherigen Erfahrung von jährlichen Ertragszuwächsen in Höhe von etwa 3 Prozent verabschieden müssen, allein deshalb, weil sich die Temperatur- und Niederschlagsverteilung in den kommenden Jahrzehnten erheblich verändern wird.
Wir sind also gut beraten, ohne Hast, aber konsequent und entschlossen unsere Forschung im Agrar- und Forstbereich auf diese Herausforderungen rechtzeitig einzustellen. Herr Bundesminister, an dieser Stelle möchte ich Sie ausdrücklich bestärken, diesen Aspekt mit Blick auf die Vorhaben im Bereich der Ressortforschung, die wir alle tragen - natürlich muss im Detail noch darüber beraten werden; aber wir unterstützen sie -, einzubeziehen. Denn es werden Zeiten kommen, in denen wir froh und vielleicht auch etwas stolz darauf sein werden, dass wir Agrarforscher, Züchter und Verfahrenstechniker mit ausreichender Kapazität Vorbereitungen haben treffen lassen, damit die verbliebenen Landwirte, die in den kommenden Jahrzehnten unsere Bevölkerung versorgen sollen, über die entsprechenden Maßnahmen und Verfahren verfügen.
Ich glaube, dass wir alle - damit möchte ich zum Schluss kommen - uns darüber klar sind, dass ländliche Räume, die Landwirtschaft und der Beruf des Landwirts nicht mehr den Stellenwert haben, den sie vor einigen Jahrzehnten noch hatten. Aber wir sollten nicht müde werden, unseren Mitbürgern, den Medien und allen anderen Interessenvertretern klar zu machen, dass sie wichtig sind. Das war immer so und es wird so bleiben. Wir hängen existenziell von dieser Branche, von den ländlichen Räumen ab. Deshalb hoffe ich, dass wir trotz aller Aktivitäten, die wir Parlamentarier auf diesen Gebieten abwickeln, die Zukunft unseres Vaterlandes dementsprechend gemeinsam gestalten.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bärbel Höhn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal unabhängig vom Thema dieser Debatte darauf hinweisen, dass in diesem Moment das Kuratorium ?Baum des Jahres“ tagt. An dieser Sitzung können wir leider nicht teilnehmen, weil wir diese Debatte führen. Heute wird nämlich der Baum des Jahres ausgerufen: die Waldkiefer. Wir sollten diesem Baum und damit dem Naturschutz in unserem Land alles Gute wünschen!
Jetzt komme ich auf den Agrarpolitischen Bericht 2006 der Bundesregierung zu sprechen. Herr Seehofer, ich muss sagen, dass ich Ihre Rede enttäuschend fand. Denn die Diskussion über den Agrarbericht ist eine Grundsatzdebatte. Deshalb hätte ich schon erwartet, dass Sie zum Beispiel auf das eingehen, was die EU-Agrarkommissarin Fischer Boel im ?Handelsblatt“ vom 16. Oktober dieses Jahres gesagt hat. Dort heißt es:
Fischer Boel kündigte ferner an, dass sie das Budget für die Direktzahlungen an die Bauern stärker senken wolle als in der EU-Finanzplanung bis 2013 vorgesehen. Das Geld solle stattdessen in den Fonds für ländliche Entwicklung fließen. ... So würden Bauern mit zukunftsweisenden Geschäftsideen belohnt, sagte sie.
Herr Seehofer, auf diese Ankündigung hätte ich von Ihnen eine Reaktion erwartet. Sie haben die Kürzungen der zweiten Säule hingenommen und gesagt, diese Kürzungen seien nicht schlimm, da es sich nur um 1 Milliarde Euro handele, was kein großer Betrag sei. Auf diese Weise haben Sie versucht, die Bedeutung dieser Kürzungen herunterzureden. Für viele Bereiche der deutschen Landwirtschaft und für viele Regionen unseres Landes sind diese Kürzungen der zweiten Säule allerdings eine existenzielle Bedrohung. Das sollten wir immer wieder betonen.
Einige Bauern, beispielsweise in bestimmten Landkreisen Bayerns, sind finanziell stärker von der zweiten Säule als von der ersten Säule abhängig. Herr Goppel wird Ihnen das bestätigen, wenn Sie es noch nicht wissen. Von den Kürzungen der zweiten Säule sind sowohl die Bauern, die extensive Landwirtschaft betreiben, als auch die Bauern, die naturnahe Landwirtschaft betreiben, betroffen. Sie haben dramatische Auswirkungen. Deshalb müssen wir etwas gegen diese Kürzungen unternehmen.
Genau die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, um diesen Kürzungen zu begegnen, haben Sie abgewürgt, indem Sie nicht nur die Kürzungen der zweiten Säule hingenommen haben, sondern auch noch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe gekürzt haben. Das Fatale an dem, was Sie getan haben, ist, dass Sie die Mittel für die Bauern mit zukunftsweisenden Ideen gekürzt haben. Der Unterschied zwischen der Politik von Rot-Grün und Ihrer Politik besteht darin, dass wir für zukunftsweisende Konzepte Geld zur Verfügung gestellt haben, Sie aber tun das Gegenteil.
Ich möchte noch auf einen anderen wichtigen Bereich eingehen, den Sie, Herr Seehofer, nicht angesprochen haben: die Gentechnik. Wir könnten in diesem Zusammenhang sehr lange über ethische und ökologische Gesichtspunkte diskutieren. Ich will heute aber einzig und allein über den wirtschaftlichen Vorteil reden, den Europa hätte, wenn es gentechnikfrei bliebe. Das wäre auch ein wirtschaftlicher Vorteil für die Bauern in diesem Land, nicht nur ein Vorteil für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Das große Land Kanada kann mittlerweile keinen gentechnikfreien Raps mehr liefern. Doch was tut die Ernährungswirtschaft? Sie fragt nach gentechnikfreiem Raps. Auch Soja kann in vielen Bereichen nicht mehr gentechnikfrei geliefert werden. Was ist das Ersatzprodukt? Das Ersatzprodukt ist gentechnikfreier Raps. Das bedeutet, der Rapspreis hat sich nicht nur aufgrund gestiegener Energiekosten erhöht, sondern auch, weil Europa bisher gentechnikfrei geblieben ist. Das hat darüber hinaus eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit zur Folge. Das muss so bleiben.
Sie, Frau Happach-Kasan, waren doch gerade erst in Argentinien. Wissen Sie, wie in Argentinien das schlimmste Schimpfwort lautet, das Bauern und Vertreter der Ernährungswirtschaft in den Mund nehmen? Es lautet Monsanto. Denn durch die Lizenzgebühren, die dieses Unternehmen verlangt, sind viele Bauern in Abhängigkeit geraten. Mittlerweile ist es so, dass Monsanto sowohl die Bauern als auch die Ernährungswirtschaft knebelt. Einen solchen Zustand wollen wir in Deutschland nicht.
Es gibt noch einen Bereich, den ich ansprechen will und für den Sie, Herr Seehofer, auch keine Worte gefunden haben: den Tierschutz. Ich finde es gut - am heutigen Tage sollte man darauf hinweisen -, dass wir im Hinblick auf Robbenprodukte einen gemeinsamen Antrag eingebracht haben. Wir wollen heute - allerdings zu nachtschlafender Zeit; daher spreche ich dieses Thema schon jetzt an - für Deutschland die Einführung eines Stopps des Imports von Robbenprodukten beschließen. Das ist richtig, weil wir dadurch der grausamen Robbenjagd in Kanada endlich etwas entgegensetzen und erreichen, dass sich in diesem Land im Tierschutz etwas verändert. Das ist gut.
Vielen Dank an alle Fraktionen, übrigens auch an die PDS, die dieses Vorhaben inhaltlich auch unterstützt.
Darüber hinaus wurden die Haltungsbedingungen für Pelztiere verbessert. Dieses Thema ist erst vor kurzem im Bundesrat behandelt worden. Aber das reicht uns Grünen nicht.
Denn beim Tierschutz geht es nicht nur um Robben und Pelztiere. Ein Verbot von Robbenprodukten macht Ihnen, um es so zu sagen, wenig aus. Wir wollen, dass die Einfuhr von Katzen- und Hundefellen verboten wird. Dem entsprechenden Antrag von uns haben Sie bisher nicht zugestimmt. Vor allen Dingen wollen wir eine Verbesserung für Nutztiere. Durch Ihre Entscheidung in der Frage der Hennenhaltung und der Schweinehaltung haben Sie dazu beigetragen, dass Millionen von Tieren unter schlechteren Bedingungen leben müssen als vorher, als Rot-Grün regiert hat.
Wir müssen mehr für den Tierschutz tun in diesem Land.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Uda Heller.
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Agrarbericht zeigt deutlich die große Bedeutung, welche die Bundesregierung einer starken und auf dem internationalen Markt wettbewerbsfähigen Land- und Agrarwirtschaft beimisst.
Ich habe mir ein Kapitel aus diesem Bericht ausgewählt, und zwar die Mittel zum Leben, besser gesagt: die Lebensmittel. Als nachgelagerter Wirtschaftsbereich spielt insbesondere die Ernährungswirtschaft eine entscheidende Rolle für die Sicherung der Versorgung unserer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. 80 Prozent unseres Nahrungsbedarfs werden mit heimischen Produkten gedeckt und das ist gut so. Die Ernährungsbranche ist mit etwa 5 900 Betrieben, circa 1,3 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von rund 260 Milliarden Euro im Jahr einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Die Branche boomt und wird von den Bürgern in Deutschland, aber auch im Ausland angenommen und geschätzt. Wenn wir jetzt noch lernen, nicht nur auf den Preis, sondern auch auf die Qualität zu schauen, sind wir auf dem richtigen Wege.
Die Vielfalt an Brot- und Biersorten in Deutschland - um nur zwei Beispiele zu nennen - ist einzigartig in der Welt. Allein im ersten Halbjahr 2006 wurden Nahrungsgüter im Wert von 18,1 Milliarden Euro exportiert. Ich denke, damit sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Landwirtschaft ist aber in hohem Maße von der Verarbeitung ihrer Produkte und vom Handel abhängig. Denn fast alle Agrarprodukte erreichen den Verbraucher in verarbeitetem Zustand. Die positiven Synergieeffekte von Land- und Ernährungswirtschaft sind wichtig, weil beide Glieder eine Wertschöpfungskette bilden.
Dabei gilt es, eine möglichst hohe Wertschöpfung zu erzielen, weil diese für die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Agrarwirtschaft von großer Bedeutung ist.
In der vergangenen Woche fand in Magdeburg erstmals eine zweitägige ?Zukunftskonferenz Ernährungswirtschaft“ auf Initiative von Bundesminister Horst Seehofer statt. Unter dem Motto ?Neue Wege und neue Chancen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ konnten sich Vertreter der Landwirtschaft und der deren Produkte verarbeitenden Ernährungswirtschaft austauschen. Besonders erfreut war ich darüber, dass das Bundesministerium als Veranstaltungsort für diese Konferenz Magdeburg in meinem Heimatland Sachsen-Anhalt gewählt hat. Sachsen-Anhalt hat mittlerweile eine Spitzenposition in der ostdeutschen Ernährungsbranche erreicht.
Marken wie Rotkäppchen, Hasseröder Bier und Halberstädter Würstchen sind weit über die Grenzen von Sachsen-Anhalt bekannt. Markenprodukte haben einen positiven Identitätswert für unsere Menschen, die stolz sind, wenn sie selbst in einem Supermarkt in Berlin oder Hamburg Produkte aus ihrer Heimat vorfinden. Mit einer Umsatzsteigerung um über 300 Millionen Euro auf 5,8 Milliarden Euro im Jahr 2005 lag Sachsen-Anhalt über dem Bundesdurchschnitt. Die Exportumsätze stiegen in diesem Zeitraum um 12 Prozent. Als ein besonders wichtiges Signal werte ich aber die leichte Zunahme der Zahl der im Ernährungsgewerbe in Sachsen-Anhalt Beschäftigten. Dort waren 2005 knapp 21 000 Arbeitnehmer in dieser Branche tätig.
Interessant ist: In Mecklenburg-Vorpommern liegt der Umsatz der Ernährungswirtschaft mit 4,8 Milliarden Euro noch deutlich vor dem der Tourismusbranche mit 3,5 Milliarden Euro. Im Gegensatz zur Tourismusbranche, die weitgehend vom Saisongeschäft abhängig ist, besitzt die Ernährungsbranche ein sehr viel höheres Wachstumspotenzial. Dieses gilt es auszuschöpfen.
Als umsatzstärkste Branche des verarbeitenden Gewerbes in Ostdeutschland hat sie zudem entscheidend zum Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 5,6 Prozent in den vergangenen fünf Jahren beigetragen. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis, das zum großen Teil den mittelständischen Unternehmen zu verdanken ist.
Um in Zeiten der Globalisierung im internationalen Konkurrenzkampf um Marktanteile in der Ernährungsbranche erfolgreich zu sein, müssen wir auf unsere qualitativ hochwertigen Produkte bauen. Gleichzeitig gilt es, die typisch deutschen Spezialitäten und kulinarischen Besonderheiten einzelner Regionen intensiver und erfolgreicher zu vermarkten.
Auf lange Sicht ist es auch für uns unverzichtbar, in noch viel höherem Maße neue ausländische Absatzmärkte zu erschließen.
Insbesondere geht es auch darum, Perspektiven auf den Weltagrarmärkten auszuloten und sich bietende Chancen beim Export in Drittländer zu nutzen. Ein hohes Nachfragepotenzial besitzen die neuen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, aber auch die aufstrebenden Länder mit einer großen Wirtschaftskraft wie Brasilien, Indien und China.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU):
Ja.
Meine Damen und Herren, als jemand, deren Vorfahren in einer über hundertjährigen Geschichte Lebensmittel hergestellt haben und die selbst in der Obst- und Gemüsebranche gelernt und später Lebensmitteltechnologie studiert hat, sei es mir gestattet, auf eine große Chance für unsere Jugend hinzuweisen. Ein Blick in diesen Berufszweig ist interessant. Er ist vielseitig und hat Zukunft. Hochmoderne Anlagen und zum Teil komplizierte Technik verlangen gut qualifiziertes Personal nicht nur für die Herstellung selbst, sondern zum Beispiel auch für die Bereiche Lebensmittelüberwachung und Lebensmittelkontrolle.
Salopp gesagt: Gegessen und getrunken wird immer. Deshalb rufe ich alle jungen Leute dazu auf, sich in dieser Branche ausbilden zu lassen und hier die Chancen zu nutzen, die gegeben sind.
Danke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Uli Kelber spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Ulrich Kelber (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rednerin der FDP hat zu Beginn davon gesprochen, sie könne keinen Politikwechsel feststellen. Sie können sich vorstellen, dass ich als Sprecher der Fraktion, die vor der letzten Bundestagswahl sieben Jahre lang in der Regierungskoalition war und die es jetzt im Augenblick auch ist, das eher als Lob denn als Kritik verstehe.
- Frau Happach-Kasan, ich greife das auf, weil Sie als Nächstes gesagt haben, Sie könnten in diesem Agrarbericht nichts Positives entdecken. Ich mag eine solche Schwarz-Weiß-Malerei nicht. Es gibt genügend Themen, über die man unterschiedlicher Meinung ist. Niemand in der Bevölkerung nimmt uns ab, wenn wir erklären, der eine habe in allem Recht, der andere habe nie Recht, alles sei schlecht oder alles sei gut. So funktioniert die Welt nicht.
Sie sollten schon einmal in den Bericht hineinschauen. Auch der Unterschied in der Darstellung der Oppositionsfraktionen war sehr interessant.
Es ist aus Ihrer Sicht also nichts Positives, dass es bei den wirtschaftlichen Ergebnissen der landwirtschaftlichen Betriebe seit mehreren Jahren einen Aufschwung gibt? Das steht im Agrarbericht.
Die stürmische Entwicklung bei den erneuerbaren Energien, in dessen Verlauf wir nicht nur die Nutzung für die Landwirte verbessert haben, sondern auch Weltmarktführer in den entsprechenden Technologien geworden sind, ist also nichts Positives in diesem Agrarbericht für Sie? Auch die steigende Bereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher, für bestimmte Produkte mehr Geld auszugeben - zum Beispiel für Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft -, ist also nichts Positives in diesem Agrarbericht für Sie?
Schwarz-Weiß-Malerei an dieser Stelle nützt nichts.
Von der Fraktion der Grünen haben sich Frau Behm und Frau Höhn in ihren Reden mit dem Agrarbericht beschäftigt. Ich gehe auf die Punkte ländlicher Raum und Biosprit ein. Die Auseinandersetzung bezüglich des ländlichen Raumes hatten wir ja schon einmal. Frau Höhn und Frau Behm, ich würde mir wünschen, dass sie nicht nur der jetzigen Regierung vorwerfen, dass sie Mittel für die ländlichen Räume kürzt, sondern auch erklären, wo Sie denn gewesen sind, als die größten Kürzungen bei den Gemeinschaftsaufgaben durch eine grüne Ministerin erfolgt sind. Das gehört zur Ehrlichkeit in dieser Debatte dazu.
Diese statistischen Daten sind wir beim letzten Mal gemeinsam durchgegangen und Sie haben sie an dieser Stelle immerhin anerkannt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kelber, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Happach-Kasan zulassen?
Ulrich Kelber (SPD):
Ich wollte eigentlich zuerst den Biosprit abhandeln, aber da Sie gerade fragen, lasse ich sie selbstverständlich jetzt zu und tue das danach, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Happach-Kasan.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Herr Kelber, ich finde es ausgesprochen angenehm, dass Sie hier das Thema Biosprit tatsächlich angesprochen haben.
Ulrich Kelber (SPD):
Nein, das wollte ich noch tun.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Langsam, Sie haben es hier angesprochen. Sie haben kritisiert, dass ich die Politik der Bundesregierung hinsichtlich Biosprit angegriffen habe. Wir sind - da Sie auch einmal das Positive dargestellt haben wollten - in einem Punkt durchaus einer Meinung: Als wir im Bundestag gemeinsam die Steuerbefreiung für Biodiesel bis Ende 2008 beschlossen haben, waren wir auf einem gemeinsamen Weg.
Wenn Sie diese Entscheidung so positiv bewerten, wie Sie das jetzt gemacht haben, dann möchte ich Sie fragen, warum Sie dann im Koalitionsvertrag gemeinsam mit der CDU und der CSU beschlossen haben, diese Entscheidung, die eine hervorragende und privat initiierte Entwicklung in Gang gesetzt hat, zu revidieren und die Steuerbefreiung durch die Biokraftstoffquote zu ersetzen. Das widerspricht der positiven Bewertung, die Sie vorher abgegeben haben.
Ulrich Kelber (SPD):
Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Möglichkeit geben, etwas zum Thema Biosprit zu sagen. Da Sie in Ihrer Frage nur den Biosprit angesprochen haben, gehe ich davon aus, dass Sie die anderen Punkte wie wirtschaftlicher Aufschwung, positive Entwicklung bei den erneuerbaren Energien und steigende Bereitschaft zu höheren Preisen anerkennen.
Zum Biosprit selbst. Die Entwicklung mit mehreren Millionen Tonnen Biosprit ist in der Tat sehr gut.
Jetzt schauen wir uns genau an: Was war bisher die Gesetzeslage und was kommt jetzt? Ich persönlich könnte mir sogar noch mehr als das vorstellen, was jetzt noch kommt, aber bleiben wir bei diesem Vergleich. Bisher war in dem Gesetz vorgesehen, bis zum Jahr 2009 Biokraftstoffe steuerlich zu fördern. Die Überkompensationsprüfung war in diesem Gesetz bereits enthalten.
Jetzt gilt folgende Regelung: Bei Ethanol bleibt diese steuerliche Förderung bis 2015 anstatt bis 2009, bei Biogas bis 2018 anstatt bis 2009 und bei Biodiesel bis 2011 bestehen. Zwar wird ab dem nächsten Jahr die Förderung abgebaut, aber gleichzeitig wird sie durch eine Quote unterstützt, die beim Absatz eine Mindestmenge sicherstellt. Aus meiner Sicht sollten wir diese Quote sogar noch höher setzen und die reinen Kraftstoffe einbeziehen.
Das ist eine Ausweitung der bisherigen Beschlüsse. Das ist eine Verstetigung und bedeutet eine Erhöhung der Absatzchancen. Zudem ist diese Regelung industriefreundlich. Wer zum Beispiel Ethanol herstellt, weiß jetzt, was er nicht nur in den nächsten ein oder zwei Jahren, sondern in den nächsten sieben Jahren, wenn seine Anlage fertig ist, für Möglichkeiten hat. Ich halte das für eine Verbesserung.
Ich frage mich bei der Kritik der FDP immer Folgendes: Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien fordern Sie eine Abkehr von der finanziellen Förderung und eine Hinwendung zu einer Quote.
Beim Biosprit wollen Sie weg von der Quote und hin zu einer finanziellen Förderung. An dieser Stelle sollten Sie als Partei eine einheitliche Position beziehen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kelber, möchten Sie jetzt eine Frage von Frau Höhn zulassen?
Ulrich Kelber (SPD):
Selbstverständlich, gerne.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kelber, ich habe darauf gewartet, dass Sie dieses Thema ansprechen. Wir haben darüber bereits diskutiert. Deshalb habe ich mir vom Bundesministerium die Zahlen dazu besorgt, wie sich die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe entwickelt haben. Diese Zahlen wurden unserem Ausschuss zur Verfügung gestellt. Ich gehe davon aus, dass Sie sie kennen.
Erster Punkt. Können Sie bestätigen, dass die konservativen Landwirtschaftsminister in dem Zeitraum ab 1992 bis heute die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe pro Jahr doppelt so stark wie Rot-Grün gekürzt haben?
Zweiter Punkt. In der Tat hat Herr Funke die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe weniger als Renate Künast gekürzt. Aber können Sie ebenso bestätigen, dass dann, wenn man die vielen Programme von Renate Künast aus dem Bereich der zweiten Säule einrechnet, zum Beispiel ?Regionen Aktiv“, Programme zur artgerechten Tierhaltung und zur Förderung des Ökolandbaus, die es neben der Gemeinschaftsaufgabe gegeben hat, die Mittel im Bereich der zweiten Säule sogar noch erhöht anstatt gekürzt worden sind?
Ulrich Kelber (SPD):
In dem Zeitraum von 1992 - man kann auch früher oder später ansetzen - bis 2006 gibt es eine klare Reihenfolge: Am meisten haben die Minister der CDU/CSU gekürzt, dahinter kommt die Ministerin der Grünen und erst an dritter Stelle folgt der rote Agrarminister. Das können wir gerne gemeinsam festhalten. Genau diesen Punkt habe ich angesprochen. Es gehört zur Bewertung dazu, dass man nicht dann, wenn man zwischen Opposition und Regierung oder Regierung und Opposition wechselt, auf einmal alles vergisst, was man vorher gesagt hat. Das nehmen die Menschen nicht mehr ernst.
Man muss zu seiner Regierungsverantwortung, aber auch zu seiner Oppositionsverantwortung stehen. Ich habe versucht, das zum Ausdruck zu bringen.
Ich weiß, dass ich beim ersten und auch beim zweiten Mal noch nicht alle in diesem Parlament davon überzeugen kann. Aber ich werde dieses Thema beim nächsten Mal wieder ansprechen und ich hoffe, dass ich dann mehr Erfolg haben werde.
Dass ein Politikwechsel ausgeblieben ist - ich greife gerne Ihre Äußerung auf, Frau Kollegin Happach-Kasan -,
wird auch innerhalb der Koalition debattiert. Die ständigen Wiederholungen, dass wieder mehr Vertrauen in die Politik notwendig ist und wir in Europa mit einer Stimme sprechen müssen, ermüden langsam. Wir sprechen hier über Politik; es geht nicht um Werbereden auf dem eigenen Parteitag, liebe Kollegen in der Koalition.
Dass zum Beispiel der Boom bei den erneuerbaren Energien nicht nur Einnahmemöglichkeiten bietet, sondern auch zur Stabilisierung der Rohstoffpreise und damit der Erträge der landwirtschaftlichen Betriebe geführt hat, ist einem Gesetz zu verdanken, dass wir gegen den teilweise erbitterten Widerstand der damaligen Opposition durchsetzen mussten. Die gute wirtschaftliche Situation und das große Vertrauen in die Wirtschaft sind nicht erst in den letzten elf Monaten entstanden; sie gehen vielmehr auf dieses Gesetz zurück.
Wenn wir über die wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft sprechen, dann gehören auch die Grüne Gentechnik und ihr Einsatz in Deutschland zu diesem Thema. Den Skeptikern bzw. Gegnern hinsichtlich eines vermehrten Einsatzes von Grüner Gentechnik wird oft vorgeworfen, nur den Verbraucherschutz und den Umweltschutz im Blick zu haben. Als jemand, der für Umweltpolitik und Verbraucherpolitik in meiner Fraktion mit verantwortlich zeichnet, halte ich das eher für ein Lob als für eine Kritik. Aber der entscheidende Punkt ist - davon sind meine Fraktion und ich fest überzeugt -, dass auch handfeste, für die Landwirtschaft überlebensnotwendige ökonomische Gründe für eine restriktive Linie beim Einsatz von Grüner Gentechnik sprechen.
Denn wenn die Nutzung unter gegenwärtigen Bedingungen deutlich ausgeweitet oder wenn sie bei unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen auch nur minimal betrieben würde, dann wären sehr viel mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft bedroht, als durch den Einsatz Grüner Gentechnik je geschaffen werden könnten.
Die Wirtschaft ist der entscheidende Punkt. Wenn Deutschland keine gentechnikfreien Produkte garantieren kann, dann entstehen daraus für unsere Landwirtschaft massive Probleme.
Ein Problem ist in der Debatte bereits genannt worden. Dabei handelt es sich um die Exporte. In der Tat können wir feststellen, dass bei bestimmten Produkten wie Mais und Raps andere Regionen der Welt keine GVO-freien Produkte mehr garantieren können und deswegen für deutsche Unternehmen neue Exportchancen entstanden sind. Man kann sich nicht darauf verlassen, in Amerika, Kanada und anderen Regionen der Welt gentechnikfreie Rohware zu bekommen. In Deutschland ist das aber möglich. Das war die Grundlage für den Abschluss entsprechender Exportverträge.
Wir alle erinnern uns an die Aussage von Hipp und anderen Unternehmen, die ihren Namen in der Öffentlichkeit nicht mehr mit dem Begriff Gentechnik verbunden sehen wollten und deutlich gemacht haben, dass sie ihre Rohware aus dem Ausland beziehen müssten, wenn in Deutschland nicht mehr garantiert werden könnte, dass sie gentechnikfrei ist. Damit würde in Deutschland Wertschöpfung wegfallen. Das sind ökonomische Gründe, die auch Gentechnikenthusiasten zu einer rationalen Betrachtung der Chancen und Risiken bringen sollten.
Deswegen haben Sie, Herr Minister Seehofer, die volle Unterstützung der SPD bei Ihrer derzeitigen Linie, die Chancen und Risiken abzuwägen. Wir sollten uns in der Tat die Zeit nehmen, die wir brauchen, und dann eine Entscheidung treffen, die den Wünschen der Verbraucherinnen und Verbraucher und den ökonomischen Chancen der deutschen Landwirtschaft am besten gerecht wird.
Es geht um nicht weniger als die echte Wahlfreiheit zwischen Gentechnikfreiheit und Gentechnik. Ich glaube, dass eine solche Wahlfreiheit in einer freien Gesellschaft selbstverständlich ist. Dazu gehört die klare Kennzeichnung der Produkte, die aus meiner Sicht auch die Kennzeichnung von Produkten aus tierischer Produktion umfasst, die mit Gentechnik in Verbindung gekommen sind.
Ich würde mich freuen, wenn das Parlament diese Position einheitlich vertritt, damit der Minister das in der EU entsprechend darstellen kann.
Demnach müssten auch Milch und Fleisch gekennzeichnet werden, wenn die Tiere mit Gentechnik in Verbindung gekommen sind.
Wir wollen auch keinen schleichenden Einzug der Gentechnik. Das würde die Wahlfreiheit vernichten. Deswegen muss eine Grenze gezogen werden, die noch unterhalb des Grenzwerts von 0,9 Prozent liegt. Dieser gesetzliche Grenzwert muss die Ausnahme sein; das gentechnikfreie Produkt muss die Regel sein. Auf diesen Normalfall muss die Politik ausgerichtet sein. Die Sicherung einer gentechnikfreien Landwirtschaft in Deutschland ist im Interesse der Absatzprodukte und des klaren Wunsches von 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher nach gentechnikfreien Produkten notwendig.
Zur Wahlfreiheit gehört auch, dass die Landwirte, die gentechnikfrei produzieren wollen - das ist die überwiegende Mehrzahl -, nicht auf den Kosten eines verstärkten Einsatzes von Gentechnik in Deutschland sitzen bleiben.
Ich versuche, das am Beispiel der Tests darzulegen. Schon heute sind die Tests aufwendig und teuer, die ein Landwirt, wenn er zum Beispiel Mais anbaut, durchführen muss, um nachzuweisen, dass sein Mais gentechnikfrei ist bzw. der GVO-Anteil unter 0,9 Prozent liegt. Die Kosten der Tests können durchaus einen substanziellen Anteil am Ertrag pro Hektar ausmachen.
Wenn es in Zukunft nicht nur eine gentechnisch veränderte Maissorte gibt, sondern zwei Maissorten, wenn nicht nur Bt-Mais, sondern beispielsweise auch eine Maissorte mit besonders hohem Eiweißgehalt auf dem Markt ist und die Zahl der Tests demzufolge zunimmt, ist der Kostenfaktor der Überprüfung auf Gentechnikfreiheit möglicherweise höher als der Ertrag. Wir brauchen also eine klare Regelung, wer an dieser Stelle für die Kosten der Landwirte aufkommt.
Wir haben zuletzt eine Debatte über ein Moratorium beim Einsatz der Grünen Gentechnik geführt. Diese wurde von der Fraktion der Grünen und dem CSU-Generalsekretär Söder angestoßen.
Beide wissen natürlich, dass ein solches Moratorium nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Die Grünen haben das - im Gegensatz zu Herrn Söder - in der Begründung ihres Entschließungsantrags zumindest zugegeben. Aber vielleicht können wir uns auf Folgendes einigen: Das deutsche Parlament fordert den Minister auf, eine Initiative in der EU zu starten mit dem Ziel, dass sich Gebietskörperschaften zu gentechnikfreien Regionen verbindlich erklären können. Ich denke, darin könnten wir alle den Minister unterstützen.
Verbündete würden wir in den Staaten finden, in denen schon heute vom EU-Recht abgewichen wird. Es würde bei der regionalen Unterscheidbarkeit und der Vermarktung helfen, wenn man sagen könnte: Aus unserer Region garantiert gentechnikfrei!
Damit kein Zweifel aufkommt: Meine Skepsis gilt der Anwendung, nicht der Forschung. Ich befürworte die Forschung zuallererst aus Sicherheitsgründen; denn wir müssen wissen, womit wir umgehen. Wir müssen zudem erforschen, ob eine zweite oder dritte Generation gentechnisch veränderter Organismen weniger Risiken birgt und mehr gesellschaftliche Möglichkeiten eröffnet. Ich bin zwar skeptisch, möchte es aber erforschen. Deswegen unterstütze ich eine Ausweitung der Forschung. Dann können wir gemeinsam erreichen, dass die Gentechnik wirtschaftlich nicht negativ, sondern positiv von der deutschen Landwirtschaft beurteilt wird sowie von den Verbraucherinnen und Verbrauchern akzeptiert wird. Das wünsche ich mir.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Als Nächste hat das Wort die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber, hinsichtlich der Grünen Gentechnik und der Wahlfreiheit betreffend Erzeuger, Verarbeiter und Konsument müssen wir wohl noch ein bisschen üben.
Zur Sache: In meiner Heimat gibt es die Regionalbewegung ?Alles“. Dieses Kürzel steht für ?Artenreiches Land - Liebenswerte Stadt“. Die Botschaft dieser Bewegung lautet: Wir setzen auf eine Partnerschaft von Stadt und Land; Stadt und Land Hand in Hand. Übertragen auf die Politik der Union bedeutet das: Wir setzen auf alle Produktionsrichtungen und alle Betriebsformen, ob große oder kleine, ob ökologisch oder konventionell wirtschaftende Betriebe.
Wir unterscheiden nicht zwischen Gut und Schlecht. Gott sei Dank gehört damit die grüne Symbolpolitik der Vergangenheit an.
Es ist keine Schande, als deutscher Landwirtschaftsminister deutsche Interessen in Brüssel und den WTO-Verhandlungen zielgerichtet und glaubwürdig zu vertreten. Danke, sehr geehrter Herr Bundesminister, für Ihren Einsatz.
Sie erleben sicherlich genauso wie ich, dass das Globale in zunehmendem Maße bestimmt, was wir national noch machen dürfen. Unser Ziel muss aber eine umweltfreundliche, multifunktionale und flächendeckende Landwirtschaft bleiben.
Zum Haushalt: Es ist schon toll, wenn die, die noch vor kurzem auf der Regierungsbank saßen und bei der GAK 200 Millionen Euro gekürzt haben, jetzt von den Oppositionsstühlen aus die gleiche Summe wieder einfordern.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Höhn zulassen?
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Die kann man im Anschluss beantworten.
- Nein, ich habe Herrn Trittin schon in ähnlicher Sache geantwortet.
Fischer Boel ist aus meiner Sicht eine weise Frau. Sie hat erstens von Gesundheitscheck gesprochen und Sie hat davon gesprochen, dass die Bauern und Bäuerinnen Planungssicherheit bis 2013 haben werden und diese auch brauchen. So habe ich ihre Aussage interpretiert. Ich finde, es ist eine Ohrfeige für unsere Bauern und Bäuerinnen im Land, wenn Sie, liebe Frau Höhn, sagen, gerade den zukunftsweisenden Bauern seien Mittel gekürzt worden. Auch normal wirtschaftende Betriebe sind Zukunftsbetriebe.
In Bayern werden wir diese Lücke, die wir bei der zweiten Säule haben, mit viel Fantasie wieder schließen.
Wir sind auf gutem Weg. Passen Sie auf!
Die gute Stimmung und die hohe Investitionsbereitschaft der Bauern und Bäuerinnen bedeuten für uns in der Regierung bzw. für uns Parlamentarier auch, weiter für Verlässlichkeit und für Planungssicherheit zu sorgen. Ich denke, der Spruch von Frau Fischer Boel ?Raus aus den Büros und rein in die Felder“ ist ein guter Slogan. Nur, Anspruch und Wirklichkeit sind hier noch weit auseinander. Auch auf Bundesebene haben wir noch Verbesserungsbedarf. Ich merke auch kritisch an, dass im Bereich der Saisonarbeitskräfte die Grenze der Leidensfähigkeit vieler Betriebsleiter längst überschritten ist. Wir brauchen dringend eine Verbesserung der Eckpunkteregelung für 2007.
Die Biokraftstoffe der ersten Generation haben viele Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen. Wir dürfen die Biokraftstoffe der ersten Generation nicht abwürgen. Sie brauchen auch weiter eine faire Chance.
Deshalb halten wir uns die Zweiwegestrategie vor Augen; denn aus meiner Sicht ist die zweite Generation, von der viele so wundervoll reden, noch lange nicht lebensfähig.
Der Verbraucher spielt in unserem Tun eine wichtige Rolle. Ich möchte kurz das Thema Ökolebensmittel aufgreifen. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass Ökolebensmittel ihre Reise um die halbe Welt antreten.
Für mich ist das ein wirklich großer Widerspruch. Darum setze ich im Gegensatz zur Bundesregierung auch weiterhin auf eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung.
Der Verbraucher muss wählen können, woher sein Bioprodukt kommt.
Ich komme zum Schluss. Was die landwirtschaftliche Unfallversicherung betrifft, so kann es nicht sein, dass die Beitragszahler von heute weiter die Versicherungsfälle von vorgestern bezahlen müssen. Ich setze auf eine schnelle und gemeinsame Lösung, die die Akzeptanz und vor allem die Finanzierbarkeit dauerhaft sichert.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Mortler.
Marlene Mortler (CDU/CSU):
Begreifen wir Landwirtschaft als Zukunftsbranche. Die grünen Jobs sind Jobs mit Zukunftsperspektive. Die noch freien Ausbildungsplätze zeigen es.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/640, 15/5820 und 16/1442 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/3010 soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/640 überwiesen werden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 47. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 20. Oktober 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]