58. Sitzung
Berlin, Freitag, den 20. Oktober 2006
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen und uns die zur Vorbereitung des Wochenendes angemessenen Temperaturen bei den heute anstehenden Beratungen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Dynamik für Ausbildung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die duale Berufsausbildung in Deutschland kontinuierlich verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Statt Ausbildungspakt - Für eine umlagefinanzierte berufliche Erstausbildung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Berufsausbildung umfassend sichern
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2005
- Drucksachen 16/543, 16/235, 16/122, 16/198, 15/5285, 16/1258 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Kretschmer
Willi Brase
Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Priska Hinz (Herborn)
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2006
- Drucksache 16/1370 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik
- Drucksache 16/2996 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 16/2540 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Wege in der Ausbildung - Strukturen verändern
- Drucksache 16/2630 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.
Uwe Schummer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir haben im Jahresvergleich 400 000 Arbeitslose weniger als unter der Vorgängerregierung. Wir haben - das geht aus der Statistik hervor - 100 000 junge Arbeitslose unter 25 Jahren weniger. Das ist ein Erfolg der jetzigen Regierung.
Unerträglich für uns alle - das zeigt auch die Vielzahl der Anträge zur beruflichen Bildung aus allen Fraktionen - ist aber, dass sich die Ausbildungsplatzlücke in diesem Berufsbildungsjahr weiter vergrößert hat. Eine Ursache liegt darin, dass es in diesem Jahr bei den Ausbildungsverträgen erstmals mehr Altbewerber als Neuzugänge aus den Schulen gibt. Etwa 500 000 junge Menschen, die vor zwei oder drei Jahren aus den Schulen entlassen wurden und sich in Warteschleifen befanden bzw. Ersatzmaßnahmen wahrgenommen haben, suchen derzeit einen Ausbildungsplatz. Es gibt etwa 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre, die noch gar keine Qualifizierung erfahren haben. Wir erwarten aufgrund der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, dass diese Vielzahl junger Menschen jetzt einen Ausbildungsplatz findet. Was in zehn Jahren an Missständen und Problemen in diesem Bereich entstanden ist, kann aber auch die beste Regierung nicht in zehn Monaten abarbeiten.
Mit dem Antrag ?Neue Dynamik für Ausbildung“ wollen wir die Strukturen in der beruflichen Ausbildung verändern. Wir sagen klar Ja zum Ausbildungspakt. Wenn eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen dazu führt, dass es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt, dann muss eine Vielzahl von Akteuren daran mitwirken, diese Strukturen zu verbessern.
Es ist zu begrüßen, dass der Ausbildungspakt neu verhandelt wird - er soll im März unterzeichnet werden -; wichtig ist aber, dass die Wirtschaft und die Politik eine Verantwortungsgemeinschaft für die jungen Menschen eingehen und dafür sorgen, dass nicht nur lamentiert, sondern konkret gehandelt wird, um mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Es gibt Anlass zu Hoffnung. Die Arbeitgeber und Gewerkschaften, BDA und DGB, haben sich in diesen Tagen darauf verständigt, auf unkomplizierte Weise berufsbegleitende Hilfen für diejenigen anzubieten, die nicht hinnehmen wollen, dass nach Aussage der Kammern 15 Prozent der jungen Menschen nicht ausbildungsfähig sind, und die zum Beispiel auch einen Jugendlichen einstellen wollen, der Sprachprobleme hat oder Förderunterricht im Rechnen und Schreiben benötigt. Sie sind bereit, in Potenziale zu investieren. Notwendig ist auch die Bereitschaft der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, Sprachunterricht zu organisieren und mitzufinanzieren. Es ist wichtig, dass neben der Berufsschule ein Förderunterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen organisiert wird, damit der Handwerksmeister, der Ausbilder, nicht alleine gelassen wird, wenn in Potenziale investiert wird.
- Ich weiß, Herr Tauss. Wir werden das sicherlich gemeinsam angehen. Aber wir müssen zuerst das anpacken, was auf Bundesebene zu regeln ist. Wir dürfen hierbei nicht auf andere verweisen. Wir versuchen, die bestehenden Probleme zu lösen.
- Wenn Herr Tauss klatscht, dann Vorsicht!
Ich habe bei einer Lossprechungsfeier im Handwerk Folgendes erlebt: Von 30 jungen Menschen hatte zu Beginn der Ausbildung ein Drittel keinen Hauptschulabschluss. Aber am Ende hatten sie nicht nur den Hauptschulabschluss durch ausbildungsbegleitende Hilfen gemacht, sondern auch eine hervorragende Gesellenprüfung abgelegt und die Lossprechungsfeier exzellent vorbereitet. Sie haben den beruflichen Einstieg geschafft. Wir müssen in Potenziale investieren und versuchen, Defizite zu beheben.
Ein Wort des Lobes: Die Wirtschaft investiert in Deutschland jährlich 30 Milliarden Euro in die berufliche Ausbildung und damit mehr als Bund und Länder zusammen. Das gibt es in kaum einem anderen Land dieser Erde. Diese von der Wirtschaft erbrachte Leistung liegt im Interesse der jungen Menschen, der Gesellschaft und der Wirtschaft.
Unbefriedigend ist bislang die Berufsberatung. 3 000 Berufsberater bei der Bundesagentur für Arbeit stehen etwa 1 Million Schulabgänger gegenüber. Angesichts dieses Missverhältnisses ist es offenkundig, dass eine erfolgreiche Vermittlung nicht gelingen kann. Wir müssen daher die Berufsberatung verstärkt an die Schulen verlagern sowie eine langfristige Qualifizierung und Beratung durchführen, die durch externe Kräfte unterstützt wird.
Ein weiterer Punkt ist die Aufstockung der Mittel für Einstiegsqualifizierungen. Wir wissen, dass 60 Prozent derjenigen, die eine Einstiegsqualifizierung - ein Kind des Ausbildungspaktes - erfolgreich abschließen, in eine dreijährige berufliche Ausbildung weitervermittelt werden. Diese betriebliche Ausbildungszeit wird bei der Nachvermittlung angerechnet. Dieses Instrument ist sinnvoll und hilft, den Berg an Schulabgängern abzuarbeiten.
Was die Qualifizierung und die berufliche Ausbildung auf europäischer Ebene angeht, möchte ich auf Ministerin Schavan verweisen. Sie wird in ihrer Rede den Schwerpunkt darauf legen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aus der Berliner Rede ?Bildung für alle“ unseres Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren:
Auch darum ist das Bildungswesen Sache des ganzen Volkes. In den Familien, im Kindergarten, in der Schule, der Lehrwerkstatt und der Universität entscheidet sich, in welcher Gesellschaft wir künftig zusammenleben …
So ist es.
Wir fordern daher in dem fraktionsübergreifenden Antrag ?Neue Dynamik für Ausbildung“ einen Bildungspakt, der bei der Erziehung der Eltern beginnt, sich in den Kindergärten sowie bei der allgemeinen, beruflichen und schulischen Bildung fortsetzt und auch die Berufsausbildung und die Weiterbildung - Stichwort ?lebenslanges Lernen“ - einbezieht.
Das ist die Aufgabe, die wir in diesem Haus fraktionsübergreifend zu erledigen haben. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Patrick Meinhardt für die FDP-Fraktion.
Patrick Meinhardt (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Probleme sind bekannt, beschrieben im Berufsbildungsbericht 2006. Hier heißt es:
Rund 9 % einer Alterskohorte verlassen bundesweit die Hauptschule ohne Abschluss, rund 22 % der bei der PISA-II-Studie repräsentierten 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland
- das sind rund 80 000 junge Menschen -
gehören zur so genannten Risikogruppe, die nach dem Ende ihrer Pflichtschulzeit nur auf Grundschulniveau rechnen und selbst einfache Texte nicht verstehen können.
Sie wissen also, was falsch läuft, auch Sie, Herr Tauss. Aber Sie flüchten sich in der weiteren Analyse in Ausreden. Die unzureichende konjunkturelle Entwicklung der inländischen Wirtschaft in den letzten Jahren sei für die zurückgegangene Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge verantwortlich, heißt es. Frau Ministerin Schavan, vor einem Jahr hätten Sie noch ganz andere Töne angeschlagen.
Damals hätten Sie klar gesagt, die falsche Mittelstandspolitik von Rot-Grün, die Vernichtung von über 1 Million sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze und die grundfalsche Steuerpolitik seien die Ursachen, dass gerade Lehrstellen in diesem Land vernichtet worden seien.
In diesem Jahr bieten Handel, Industrie und Dienstleistungen 4 Prozent mehr und das Handwerk, obwohl es 60 000 Arbeitsplätze weniger hat, 1,6 Prozent mehr Ausbildungsplätze an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?
Patrick Meinhardt (FDP):
Ich werde doch mit Sicherheit meinem Wahlkreiskollegen Tauss gerne zuhören.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist eine leichtfertige Einladung, keine Frage zu stellen, sondern ein Kurzreferat zu halten. Der Kollege erhält das Wort zu einer Zwischenfrage.
Jörg Tauss (SPD):
Herr Präsident, ich wollte gerade äußern, dass es nicht um Zuhören geht, sondern um die einfache Beantwortung einer Frage, nämlich ob Sie, lieber Kollege Meinhardt, nicht zur Kenntnis genommen haben, dass die Zeit der größten kontinuierlichen Ausbildungsplatzrückgänge vor 1998 lag, dass es unter Rot-Grün eine gegenläufige Entwicklung - leider nur zu kurz - gab und dass die Rückgänge, über die Sie klagen, vor 1998 in der Zeit eines freidemokratischen Wirtschaftsministers stattgefunden haben. Könnte man das vielleicht der Korrektheit halber, wenn man die Diagnose stellt, kurz und freundlich zur Kenntnis nehmen?
Patrick Meinhardt (FDP):
Herr Kollege Tauss, was ich zur Kenntnis nehme, ist erstens, dass die Abschlüsse von Ausbildungsverträgen in den Bundesländern am meisten zugenommen haben, in denen es eine schwarz-gelbe Koalition gegeben hat.
Zweitens stelle ich fest, dass die Mittel für den Bereich, der so enorm wichtig ist, nämlich die überbetriebliche Ausbildung, in der Verantwortung der rot-grünen Koalition von 70 Millionen Euro 1998 auf zuletzt 25 Millionen Euro reduziert worden sind.
Genau dort, wo Ausbildungsverbünde und Ausbildungsallianzen notwendig gewesen wären, haben Sie gekniffen.
- Sie müssen sich nur den Haushalt anschauen.
Diejenigen von den Schülern - wir haben gerade die Hauptschule angesprochen -, die es nicht geschafft haben, auch und gerade die 240 000 Berufsschüler ohne Abschluss, brauchen eine zweite Chance. Wir haben dieses Jahr einen traurigen Negativrekord vorzuweisen. Zum ersten Mal übersteigt die Zahl der Altbewerber um einen Ausbildungsplatz die Zahl der Neubewerber. Es gibt 51 Prozent Altbewerber. Wo ist denn jetzt die Exzellenzinitiative Weiterbildung? Wo ist der Leuchtturm ?Zweite Chance“? Wo ist die Eliteberufsschule, die diesen jungen Menschen im Rahmen der dualen Ausbildung hilft? Die Bundesregierung, die vollmundig die Weiterbildung als vierte Säule des Bildungssystems proklamiert, muss endlich in die Gänge kommen.
Konkret heißt dies: Die Bundesagentur für Arbeit wird ihrer Aufgabe nicht gerecht, noch nicht einmal ansatzweise. In den letzten zwei Jahren sind zwei Drittel der Weiterbildungsmaßnahmen gekürzt worden. Die Nachqualifizierung, die Förderung der Weiterbildung herunterbrechen, Bürokratie abbauen, Aufgaben an die Jobcenter vor Ort und die Gemeinden delegieren - das schafft Nähe und das bringt junge Menschen, Betriebe und Schulen zusammen. Das schafft auch die Ausbildungsmöglichkeiten, die wir vor Ort brauchen. So sieht eine offensive Weiterbildung konkret aus.
Die überbetriebliche Ausbildung habe ich schon angesprochen. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sind es, die über 80 Prozent der Ausbildungsplätze stellen. Genau in diesem Bereich ist es unendlich notwendig, dass die Chancen für Ausbildungsverbünde und für überbetriebliche Ausbildungsstätten eröffnet werden. Deshalb müssen wir in diesen Bereichen handeln. Hier muss politisch angesetzt werden. Hier muss auch der Haushaltsansatz massiv erhöht werden.
Nehmen wir doch einmal das konkrete Projekt 5000 Plus des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Der Vorschlag des Handwerks liegt auf dem Tisch. Obwohl das Handwerk im Jahre 2006 60 000 Arbeitsplätze verloren hat, sind die Handwerker trotzdem bereit, Ausbildungsstätten zu fördern, Ausbildungsprogramme zu modernisieren und damit ein Programm für 5 000 neue Ausbildungsplätze aufzulegen. Bisher ist dieses Programm bei der Bundesregierung auf taube Ohren gestoßen. Die FDP-Fraktion erwartet von der Bundesregierung, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommt, ein klares Nein zu jeder Lehrstellensteuer sagt und diese Allianz für Ausbildung zu ihrem eigenen Programm macht.
Wir erwarten ein klares Bekenntnis zur dualen Ausbildung, das heißt, auch ein klares Nein zu mehr außerbetrieblicher Ausbildung. Die überbetriebliche Ausbildung ist es nämlich, die hier in allererster Linie gefördert werden muss. Nötig ist nicht mehr Verschulung, sondern sind die Modernisierung und die Fortentwicklung unseres bewährten dualen Ausbildungssystems. Man sollte die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um sicherzustellen, dass diese duale Ausbildung auch im europäischen Bildungsraum voll anerkannt wird.
Praktika für junge Menschen bringen etwas: Sie können in einen Betrieb hineinschnuppern; sie können sehen, wo ihre Talente liegen. So weit, so gut. Der Bundesarbeitsminister hat den Unternehmen in diesem Land vorgeworfen, junge Menschen zu einer ?Generation Praktikum“ zu machen, und gleichzeitig selbst ein Sonderprogramm für 15 000 zusätzliche Einstiegspraktika auflegt. Das ist an Heuchelei nicht mehr zu überbieten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Meinhardt, darf auch Frau Kressl Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Patrick Meinhardt (FDP):
Natürlich darf auch die Kollegin aus meiner Heimatstadt eine Zwischenfrage stellen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kressl, bitte.
Nicolette Kressl (SPD):
Herr Meinhardt, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass sich das Thema ?Generation Praktikum“ - Herr Müntefering hat es zu Recht in die Diskussion gebracht - auf die ungute Praxis von Unternehmen bezieht, jungen Menschen trotz einer akademischen Ausbildung nur noch unbezahlte, womöglich aufeinander folgende Praktika anzubieten.
Das, was Sie unzulässigerweise oder vielleicht inkompetenterweise vermischen, bezieht sich auf den Bereich der Einstiegsqualifikation. Hinsichtlich der Zielgruppe - Hauptschulabgänger, im Moment noch deutlich zu viel Realschulabgänger - geht es darum, Ausbildungsreife zu vermitteln. Unterlassen Sie es bitte, zwei unterschiedliche Dinge zu vermischen und auf diese Art einen Eindruck zu erwecken, der überhaupt nicht gerechtfertigt ist!
Patrick Meinhardt (FDP):
Frau Kollegin Kressl, es ist durchaus verständlich, dass Sie Ihrem Minister zur Seite stehen.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Ihr Minister und damit auch Ihre Fraktion zur Kenntnis nehmen müssen, in welcher Art und Weise in diesem Land politische Diskussionen geführt werden.
- Moment, Moment.
Ich halte es bestimmt nicht für die richtige Vorgehensweise, zum einen Unternehmen an den Pranger zu stellen, gerade diejenigen, die mit ihren Praktika dabei helfen, jungen Menschen eine Ausbildungsperspektive zu geben, und zum anderen, Praktika als alternativlos darzustellen, weil man selbst nicht dafür sorgt, dass es auf dem Markt genug Lehrstellen gibt.
- Ganz ruhig!
Sehr geehrte Frau Kollegin Kressl, wir schaffen es, 5 Prozent der jungen Menschen ohne Schulabschluss zu einem Einstiegspraktikum zu verhelfen. In der Regel werden 60 Prozent dieser Praktikanten übernommen. Durch dieses Programm kommen also gerade einmal 3 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss in eine Ausbildung. Wir brauchen in diesem Land wirklich keine Debatte über die neue soziale Frage, über Unterschichten oder über Klassengesellschaften. Das Ganze ist eine Frage der Politik und die Politik, die hier betrieben wird, ist einfach eine schlechte Politik.
Das Aktionsprogramm einer großen Ausbildungskoalition wäre eigentlich recht einfach: Hauptschüler qualifizieren, überbetriebliche Ausbildung stärken,
Ausbildungsallianzen fördern, die schon existierenden, vielfältigen guten Beispiele sich zum Vorbild nehmen, Ausbildung endlich flexibler, modularer gestalten und vor allem einen Schritt in Richtung Teilabschlüsse zulassen. Denn mit Teilabschlüssen, mit Teilqualifikationen, mit neuen Berufsbildern, die nicht mehr so theoriebelastet, sondern praktisch orientiert sind, schaffen wir neue Zukunftschancen für junge Menschen, die in Ausbildungsverhältnisse wollen.
So bekommen junge Menschen eine richtige Perspektive. Um es mit den Worten unseres Bundespräsidenten zu sagen:
Alle diese Menschen haben Anspruch darauf, dass unser Land die besten Voraussetzungen für Bildung schafft.
Dafür kommt es auf uns alle an, auf unsere Einstellung, auf unsere Anstrengung, auf unser Vorbild. Bildung für alle - das gelingt am besten, wenn sich alle dafür einsetzen, wenn wir alle uns bewegen. Was hindert uns? Auf geht’s!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat Frau Kressl für die SPD-Fraktion das Wort.
Nicolette Kressl (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist so: Frühe Förderung, Bildung und Ausbildung sowie lebenslanges Lernen sichern den Menschen eine Perspektive, und zwar häufig besser - gerade in letzter Zeit haben wir darüber gesprochen - als reine Sozialtransfers. Im Bereich der frühen Förderung und frühen Bildung sowie im Bereich der Ausbildung haben wir Schritte nach vorn getan, aber bei weitem noch nicht genügend.
Das wird uns deutlich, wenn wir überlegen, was wir brauchen, um die Situation weiter zu verbessern. Zunächst einmal müssen wir eine richtige Analyse machen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, wer Verantwortung für welche Bereiche trägt und wer überhaupt handlungsfähig ist,
um dann gemeinsam zu überlegen, welches die richtigen Schritte sind.
Lassen Sie mich zuerst etwas zur Analyse sagen. Im Bereich der Ausbildung verfügen wir im Moment über keine endgültigen Zahlen. Das war zu diesem Zeitpunkt bislang in jedem Jahr der Fall. Die Zahlen sind auch deswegen unklar, weil sich bei der statistischen Erfassung der Ausbildungsplätze und Bewerber durch die Bundesagentur für Arbeit Veränderungen ergeben haben. Ich habe das hier schon einmal erwähnt. Wir vermuten beispielsweise, dass die Quote der Unternehmen, die Ausbildungsplätze bei der Agentur melden, kleiner geworden ist, wodurch die statistische Lage für uns unklarer wird. Das ändert aber nichts daran, dass sich der Ausbildungsmarkt in einer extrem angespannten Lage befindet. Wir sind dafür verantwortlich, im Interesse der jungen Menschen zu überlegen, was wir noch tun können.
Was wissen wir im Moment? Herr Schummer hatte das schon angedeutet. Wir sind in diesem Jahr aller Voraussicht nach zum ersten Mal in der Situation, dass es mehr Bewerberinnen und Bewerber aus den vergangenen Schuljahren gibt, nämlich im Moment 385 000, als Bewerber aus dem laufenden Jahr. Das ist für die Analyse ganz wichtig, weil dies nämlich deutlich macht, dass wir nicht darauf setzen dürfen - wir dürfen uns auf dieser Hoffnung nicht ausruhen -, dass aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren eine Entlastung auf dem Ausbildungsmarkt eintreten wird. Wir werden in den kommenden Jahren genauso gefordert sein wie in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren. Das ist für die Analyse entscheidend und wichtig.
Dies bedeutet, dass wir drei Hauptaufgaben haben.
Erstens. Mit Volldampf muss in die Nachvermittlung gegangen werden. Es wird entscheidend darauf ankommen, den jungen Leuten, die jetzt noch einen Ausbildungsplatz suchen, ein Angebot machen zu können.
Zweitens. Wir werden uns mit der Frage auseinander setzen müssen, was wir für die so genannte Bugwelle - ein sehr technischer Begriff -, also für die jungen Menschen, die sich nach mehreren Warteschleifen jetzt wieder bewerben, anbieten können. Sie fordern dies völlig zu Recht. Wir verlangen schließlich von ihnen, dass sie sich qualifizieren. Also müssen wir uns um diese Frage ganz besonders kümmern.
Drittens. Wir haben uns um mittelfristig wirksame Strukturen zu bemühen. Dazu gehört die Frage des Europäischen Qualifikationsrahmens, dazu gehört auch die Frage der weiteren Förderung von Ausbildungsverbünden. Herr Meinhardt, die Unterstellung, in den letzten Jahren seien diese Programme nicht aufgestockt worden, ist falsch. Gerade in diesen Bereich haben sowohl Frau Bulmahn als auch Frau Schavan kreative Lösungen, Unterstützung und Geld gegeben.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt, zur Frage der Verantwortung, kommen. Wir haben uns in Deutschland für ein duales Ausbildungssystem entschieden. Deshalb kann und darf Verantwortung nicht weggeschoben werden. Schon das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Im dualen System liegt die Verantwortung für die betriebliche Ausbildung bei den Unternehmen.
Das muss auch so bleiben. Bei aller Diskussion über staatliche Maßnahmen darf die Verantwortung nicht verschoben werden. Das ist mir ganz wichtig.
In diesem Zusammenhang noch etwas zum Thema Appelle an Unternehmen. Es muss noch einmal deutlich gesagt werden, dass es nicht nur um die soziale Verantwortung geht, sondern auch um die Verantwortung für die ökonomische Zukunft des Landes.
Wir wissen doch, dass wir, wenn heute nicht genügend ausgebildet wird, nicht genügend Fachkräfte in den Unternehmen haben werden. Von Unternehmens- und Wirtschaftsseite wird von der Politik immer verlangt, mittel- und langfristige Konzepte aufzulegen. In diesem Bereich aber müssen wir genau das von der Wirtschaft verlangen. Zu den mittel- und langfristigen Unternehmenskonzepten gehört, jetzt auszubilden, um sich später nicht wieder bei der Politik beschweren zu müssen, warum nicht genügend Fachkräfte vorhanden sind. Das muss einmal sehr deutlich gesagt werden.
Zur Frage der öffentlichen Verantwortung. Als der Pakt 2004 abgeschlossen worden ist, haben wir als Bundesregierung uns mit finanziellen Mitteln sehr stark in diesen Pakt eingebracht. Das will ich noch einmal erwähnen, weil es sonst immer so aussieht, als geschehe das alles nur von Unternehmensseite. Wir haben uns bereit erklärt, auf Bundesregierungsseite die Ausbildungsquote deutlich zu erhöhen, was auch passiert ist. Vor allem aber haben wir uns bereit erklärt, die Finanzierung der Einstiegsqualifikationen zu übernehmen.
Ich sage es noch einmal: Es ist sträflich, die Schaffung von Einstiegsqualifikationen zu verwechseln mit dem Absolvieren von einem Praktikum nach dem anderen im Anschluss an ein Studium.
Es geht darum, junge Menschen an betriebliche Ausbildungspraxis zu gewöhnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hirsch?
Nicolette Kressl (SPD):
Natürlich.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Danke schön, Frau Kressl. - Sie haben sicherlich Recht damit, dass man Praktika nach dem Studium nicht mit dem Vorstoß zur Ausweitung von Einstiegsqualifizierung vergleichen kann. Wie stehen Sie dann aber zu der Aussage des verantwortlichen Staatssekretärs in der Fragestunde vergangener Woche, es sei durchaus legitim und nicht verwerflich, dass Unternehmen über die Einstiegsqualifizierung Jugendliche erst einmal ausprobieren? Aus unserer Sicht geschieht genau das, wenn junge Menschen nach dem Studium in die Praktika-Warteschleife gestellt werden. Dazu hätte ich von Ihnen gerne eine Aussage.
Nicolette Kressl (SPD):
Frau Hirsch, ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Für meine Fraktion war ich diejenige, die in den Jahren 2003 und 2004 den Gesetzentwurf zur Ausbildungsumlage mit vorbereitet hat.
Ich weiß sehr genau, wie wir in den Gesprächen über den Ausbildungspakt die Einstiegsqualifikationen entwickelt haben. Dabei ging es nie um ausprobieren; vielmehr haben wir uns sehr ernsthafte Sorgen um die Frage gemacht, was mit Jugendlichen - wir können und dürfen nicht leugnen, dass es solche Jugendliche gibt - passiert, die noch nicht ausbildungsreif sind und die beispielsweise - ich mache es jetzt einmal so banal - lernen müssen, was es für Konsequenzen hat, wenn man morgens nicht zur Arbeit kommt.
Für uns als diejenigen, die die Einstiegsqualifikationen mitentwickelt und mitfinanziert haben, war das Hinführen zur Ausbildungsreife der Hauptgrund. Für uns war es ganz bestimmt nicht das Ausprobieren. Für das Hinführen zur Ausbildungsreife bin ich ganz ausdrücklich; denn aufgrund der Thematik der Altbewerber wissen wir, dass es notwendig ist, sehr viele dieser Altbewerber in die betriebliche Praxis zu führen. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Aufstockung des EQJ-Programms. Doch dabei geht es, wie gesagt, nie vorrangig um ein Ausprobieren.
Lassen Sie mich noch einen dritten Punkt ansprechen. Wir müssen Lösungen angehen. Die Antworten in diesem Bereich brauchen eine sehr differenzierte Bewertung, weil wir auf der einen Seite unsere öffentliche Verantwortung wahrnehmen wollen und müssen, auf der anderen Seite aber nicht das passieren darf, was ich vorhin beschrieben habe, nämlich dass der Staat schleichend immer mehr Verantwortung für den Ausbildungsbereich übernimmt, was in Wirklichkeit ja schon längst passiert ist. Dazu muss man wissen, dass in Bund und Ländern für diesen Bereich über die Finanzierung von Warteschleifen inzwischen 6 Milliarden Euro jährlich ausgegeben werden. Bei allem, was wir tun, müssen wir jetzt darauf achten, dass nicht wir sämtliche Verantwortung übernehmen und damit zulassen, dass andere die Verantwortung, die sie haben, abgeben. Das ist für mich auch das Problem bei den außerbetrieblichen Sonderprogrammen. Das will ich dabei bedacht haben.
Dennoch glaube ich, dass es sich lohnt, im Hinblick auf junge Menschen, die sich nach Warteschleifen wieder bewerben, gemeinsam noch in diesem Jahr zu überlegen: Welche Wege kann es geben? Das Ziel muss sein, in den nächsten Jahren zu einer Situation zu kommen, in der es sich auf dem Ausbildungsmarkt auf der Nachfrageseite um Schulabgänger und nicht mehr vorrangig um die handelt, die aus den vergangenen Jahren noch nachfragen, und auf der Angebotsseite um angebotene Ausbildungsplätze. Wir werden uns auch Gedanken darüber machen - das will ich auch für meine Fraktion ausdrücklich hier sagen -, wie wir den Bereich Altbewerberinnen und Altbewerber noch einmal unterstützen können.
Es darf nicht sein, dass wir zum Beispiel über rein außerbetriebliche Maßnahmen im Ergebnis erreichen, dass wir das Problem auf den Arbeitsmarkt verschieben. Ich will nicht, dass wir Ausgebildete erster und zweiter Klasse haben und letztere nachher nicht eingestellt werden. Deshalb bin ich bei vorschnellen Sofortprogrammen im außerbetrieblichen Bereich ganz vorsichtig.
Ich will die Fraktion der Grünen - das erlaube ich mir - an etwas erinnern. Als wir über die Umlage diskutiert haben, war es die Grünen-Fraktion, die sich, als wir gesagt haben: ?Wir wollen auch überbetriebliche und außerbetriebliche Plätze aufnehmen“, geweigert hat, diese mit aufzunehmen, und darauf bestanden hat, dass das nur betriebliche Plätze sein dürfen. Ich bitte Sie einfach, jetzt bei dem Antrag zu bedenken, welche Diskussion wir damals hatten.
Weil ich glaube, dass wir wirklich etwas tun und noch einmal genau schauen müssen: ?Wie können wir das Problem der Bugwelle lösen, den Abbau der Bugwelle unterstützen?“, will ich zusammenfassend wie folgt plädieren: Es wäre schön, wenn wir alle der Versuchung widerstehen würden, uns die jetzige Situation gegenseitig immer nur um die Ohren zu schlagen. Es wäre schön, wenn wir gemeinsam hier überlegen könnten: Welche gezielten Maßnahmen brauchen wir gerade für Altbewerberinnen und Altbewerber? Ich bin davon überzeugt: Eine sachliche, nüchterne Bewertung der Situation, eine Diskussion über Vor- und Nachteile verschiedener Lösungen würde am allerbesten einen Beitrag dazu leisten, dass den jungen Menschen tatsächlich eine Perspektive gegeben wird; so würde ihnen nicht vorgeführt, dass wir uns politisch nur die Situation um die Ohren schlagen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun Cornelia Hirsch für die Fraktion Die Linke.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was heute Morgen vorgetragen wurde, halte ich für relativ unerträglich.
Sie alle haben bisher zu Recht zugegeben, dass die Ausbildungssituation in diesem Jahr dramatisch ist. Aber was wird in der Konsequenz gemacht? Was wird von Ihnen vorgeschlagen? Man macht irgendwelche Nebenschauplätze auf, setzt dann aber doch im Wesentlichen auf eine Politik des ?Weiter so“. Das halten wir als Fraktion Die Linke für falsch.
Schon letztes Jahr mussten wir im Koalitionsvertrag lesen, dass die große Koalition am Ausbildungspakt festhalten will. Sie werden auch in diesem Jahr nicht müde, immer wieder zu betonen, wie erfolgreich dieser Pakt doch sei.
Wir haben für Ihre Auffassung wirklich kein Verständnis mehr. Wie kann man denn einen Pakt als erfolgreich bezeichnen, dessen Ergebnis augenscheinlich ist, dass die Ausbildungssituation mit jedem Jahr dramatischer wird?
Der Pakt ist gescheitert - ohne Wenn und Aber. Er muss beendet werden. Dann wäre der Weg für einen Neuanfang in der Berufsbildungspolitik frei.
Frau Kressl, Sie schütteln lächelnd den Kopf. Es war mir klar, dass Sie davon nichts wissen wollen.
Die Tausenden von Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatzangebot auf der Straße stehen, fragen sich zu Recht, was denn ihre Perspektive ist. Sie wollen am Pakt festhalten, nachdem wir drei Jahre lang erfolglos an die Betriebe appelliert haben, doch bitte, bitte mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Nachdem Sie immer wieder gesagt haben, wie wichtig doch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist, entwickeln Sie den Pakt in der Art und Weise weiter, dass Sie noch ein bisschen lauter appellieren und dass Sie noch etwas häufiger betonen, wie großartig die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft an dieser Stelle ist. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, das funktioniert nicht. Das müssten Sie sich endlich eingestehen.
Von der rechten Seite des Hauses hören wir immer wieder eine weitere Lüge zur Rechtfertigung der Ausbildungsmisere, die da lautet:
Die Jugendlichen sind selbst schuld an der Misere.
Das kann man beliebig variieren. Man kann zum Beispiel sagen, die Jugendlichen seien nicht ausbildungsfähig. Man kann sagen, die Vergütung sei zu hoch. Man kann sagen, die Mitbestimmungsrechte seien zu umfassend. Dieser Unfug gipfelt dann für gewöhnlich im Vorschlag der Fraktion der FDP, man möge doch bitte drei Auszubildende für den Preis von zwei einstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über was diskutieren wir hier eigentlich? Wir diskutieren doch über die Ausbildung von jungen Menschen. Bei Ihnen hört sich das aber eher nach Sonderangeboten im Sommerschlussverkauf an.
Das wird aber der Situation von jungen Menschen nicht gerecht.
Mit Ihrer Politik treten Sie die Rechte von jungen Menschen mit Füßen. Das sollte sich kein Jugendlicher länger gefallen lassen.
Wir haben zur heutigen Beratung einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem wir eine klare Alternative zu Ihrer Politik vorschlagen. Die Linke fordert die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage.
Umlage heißt - Frau Kressl hat schon darauf hingewiesen -, dass Betriebe, die nicht ausbilden, zur Kasse gebeten werden sollen und dass diejenigen Betriebe, die ausbilden, dabei unterstützt werden.
Das ist nicht nur einfach und gerecht, sondern es würde auch den Rückzug der Arbeitgeber aus der betrieblichen Ausbildung, den wir schon seit Jahren beobachten, stoppen. Dieser wichtige Schritt muss daher endlich gegangen werden.
Man fragt sich natürlich, was eigentlich gegen die Umlage spricht. Da können wir von den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD teilweise hören, diese Forderung mache keinen Sinn, denn in der großen Koalition mit der Union sei sie ohnehin nicht umsetzbar. Wir halten diese Behauptung für sehr scheinheilig.
Frau Kressl hat bereits darauf hingewiesen, dass sie sich noch gut an die Debatte im Bundestag erinnert, in der es um die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage ging. Sie hat aber nicht darauf hingewiesen, dass es allen voran die SPD, gemeinsam mit den Grünen, war, die dieses Gesetz dann im letzten Moment bis zur Unkenntlichkeit verwässert hat. Statt der Umlage wurde der Ausbildungspakt vorgeschoben. Wir halten es für sehr verlogen, dass Sie damals vor der Arbeitgeberseite eingeknickt sind und jetzt versuchen, sich mit Ihrer unsozialen Politik hinter der Union zu verstecken.
Herr Tauss, die Union macht es Ihnen leicht, dass Sie sich mit Ihrer unsozialen Politik hinter ihr verstecken können; denn sie ist in ihrer Ablehnung einer Ausbildungsumlage sehr direkt. Der Kollege Dobrindt wird nachher in der Debatte noch sprechen. Ich erinnere hier an seine Aussage in der Debatte im Frühjahr. Er hat damals zu unserer Forderung nach einer Ausbildungsumlage gesagt: Freiheit und Selbstbestimmung sind wichtiger als Zwangsvorgaben und alles, was sich die Linke sonst noch so ausdenkt.
- Ich hatte erwartet, dass Sie an dieser Stelle klatschen. Aber Sie sollten einmal genau sagen, von welcher Freiheit Sie an dieser Stelle eigentlich reden.
Was hat es denn bitte schön mit Freiheit und Selbstbestimmung zu tun, wenn Jugendliche ohne Perspektive in eine Warteschleife nach der anderen gesteckt werden?
Was hat es mit Freiheit und Selbstbestimmung zu tun, wenn gewerkschaftliche Rechte eingeschränkt werden?
Für die Linke steht fest: Für die große Mehrheit der Menschen und eben auch für die Tausenden von Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist Ihre Freiheit eigentlich das genaue Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung.
Ihre Freiheit ist die Freiheit für die Großunternehmen, sich immer weiter aus der Ausbildung zurückziehen.
Ihre Freiheit ist die Freiheit für die Arbeitgeber, die Rechte der Beschäftigten und Auszubildenden abzubauen. Diese Freiheit wollen wir nicht.
Immer mehr Menschen spüren, wie falsch und verlogen Ihr Gerede von Freiheit ist, und sie wehren sich gegen diese Politik. Für morgen hat der DGB in Berlin, Stuttgart und weiteren Städten Demonstrationen angekündigt.
Wir rufen alle dazu auf, sich daran zu beteiligen und sich auch gegen diese falsche Ausbildungspolitik zu wehren.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile nun der Kollegin Priska Hinz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat aus unserer Sicht beim Thema Ausbildung bislang leider versagt.
Wir hatten die Diskussion um den Ausbildungspakt und die fehlenden Ausbildungsplätze bereits vor einem Jahr und seitdem verkündet die Bundesregierung unermüdlich: Der Pakt wird weiterentwickelt, es gibt ein Programm ?Zweite Chance“, es wird strukturelle Veränderungen in der beruflichen Bildung geben und eine bessere Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es wäre gut gewesen, wenn sich die Ministerin Schavan oder Wirtschaftsminister Glos so richtig in die Sache reingekniet hätten, um diese Ziele auch in dem einen Jahr zu erreichen.
Aber wie ist die Situation, die wir jetzt haben? Der Innovationskreis der Bundesbildungsministerin tagt und tagt. Bislang wurde noch nicht einmal ein Zwischenergebnis bekannt gegeben. Das Pakttreffen endet jedes Mal ohne Ergebnis, das heißt, ohne dass neue Instrumente entwickelt und vereinbart wurden. Durch diese Untätigkeit über ein Jahr hinweg gibt es in diesem Jahr mehr Altbewerberinnen und -bewerber und damit eine größere Anzahl unversorgter Jugendlicher, die auf einen Ausbildungsplatz warten. Die Nachvermittlung hat jetzt begonnen. Es ist fraglich, wie viele bei dieser Nachvermittlung überhaupt noch eine Chance bekommen werden. Derzeit gibt es die Befürchtung, dass mehr als die 11 400 Jugendlichen übrig bleiben, die im letzten Jahr unversorgt geblieben sind. Das wären diejenigen, die uns nächstes Jahr wieder begegnen, zusätzlich zu denen aus den Warteschleifen.
Dieses Thema gehört auch in die Debatte um die Armutsentwicklung, die begonnen hat. Denn diese Jugendlichen bleiben direkt am Beginn ihres Berufslebens ohne Perspektive und viele geraten in eine resignative Haltung, wenn sie von einer Warteschleife in die andere geschickt werden.
Was macht der Wirtschaftsminister? Er hat in der Regierungsbefragung am Mittwoch erklärt: Die Lage ist wesentlich besser, als sie zum Teil in der Presse dargestellt wird. Das ist schlicht und ergreifend Realitätsverweigerung.
Es ist Schönfärberei, wenn man nur darauf verweist, dass es mehr betriebliche Ausbildungsplätze gibt, denn die betrieblichen Ausbildungsplätze sind insgesamt - über alle Betriebe und Branchen hinweg gesehen - leider auch in diesem Jahr noch einmal zurückgegangen.
Ohne die kleinen und mittleren Betriebe - das muss man deutlich sagen - wäre es noch viel schlimmer. Sie erfüllen ihre Pflicht, sie zeigen Verantwortlichkeit. Deswegen ist an dieser Stelle durchaus ein Dankeschön an diese Betriebe zu richten. Viele große Unternehmen, vor allem die DAX-Unternehmen, kommen dieser Verantwortung aber nicht nach. Ich finde, hier muss weiterer politischer Druck aufgebaut werden. Für jedes große Unternehmen muss gelten: Es ist unanständig, nicht auszubilden, dafür aber die Vorstandsgehälter zu erhöhen.
Wir haben grüne Vorschläge zur Verbesserung der beruflichen Ausbildung.
Kurzfristig wollen wir aus den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit 50 000 Plätze schaffen. Darüber sind sich selbst Ministerpräsident Koch und der DGB einig. Manchmal gibt es seltsame Allianzen; die kann man sich aber zunutze machen.
Wir wollen strukturelle Veränderungen. Alle berufsvorbereitenden Maßnahmen müssen zertifiziert werden, damit die Ausbildung darauf aufbauen kann. Sonst haben wir im nächsten Jahr wieder zusätzliche Altbewerber.
Die EQJ-Programme müssen für die Zielgruppe der benachteiligten Jugendlichen zur Verfügung stehen. Es kann nicht angehen, dass in der Mehrzahl Jugendliche mit Realschulabschluss oder höherem Abschluss in diese Einstiegsqualifizierungen gehen. Die Richtlinien sehen vor, dass vor allen Dingen Hauptschüler und solche, die Schwierigkeiten haben, mithilfe dieser Programme einen Einstieg finden. Die EQJ-Programme müssen mit Berufsschulunterricht versehen und zertifiziert werden, damit es für die weiteren Ausbildungsschritte anerkannt werden kann.
Auf diesen Gebieten hat die Bundesregierung noch Nachholbedarf. Wenn sie den nicht aufholt, werden die EQJ-Programme ins Leere laufen.
Wir wollen in Berufsschulen Produktionsschulen integrieren, die gerade lernschwächeren Schülern eine Chance bieten können. Diesen Schülern, die oft schlicht und einfach schulmüde sind, nützt es nichts, wenn sie in vollschulische Ausbildungsgänge geschickt werden. Diese Schüler können über die Praxis an die Theorievermittlung herangeführt werden. Hiermit könnte man eine neue Form der Dualität von Ausbildung erproben, nämlich indem solche Produktionsschulen bei der Auftragsvergabe und der Akquirierung von Aufträgen mit örtlichen Betrieben zusammenarbeiten. Das funktioniert in anderen Ländern ganz gut. Machen wir uns das doch zu Eigen.
Wir wollen eine Modularisierung der beruflichen Bildung gestalten. Der Antrag der großen Koalition zum EQR ist in diesem Sinne sehr gut.
Das liegt daran, dass Sie im Wesentlichen von uns abgeschrieben haben. Unser Antrag ist ja schon ein halbes Jahr alt.
Ich freue mich sehr auf die Anhörung im Bildungsausschuss, weil wir dort wahrscheinlich zu einer großen Einigkeit kommen. Es ist notwendig, dass in der beruflichen Bildung bald mit Modularisierung begonnen wird.
- Nein, das ist überhaupt nicht neu. Sie lesen unsere Veröffentlichungen anscheinend nicht, Frau Flach. - Wir wollen die Modularisierung der Lernschritte, damit alle Jugendlichen tatsächlich eine Chance haben, bis zu einem guten Ausbildungsende zu kommen.
Die Hilfen zur Berufsorientierung und die Berufsberatung müssen verbessert werden. Wir müssen überlegen - auch das ist notwendig -, in welchen Zukunftsfeldern das Ausbildungsangebot ausgebaut werden muss. Das Erziehungswesen und der Bereich der Pflege sind klassischerweise keine dualen Ausbildungsgänge.
Hier brauchen wir Gehirnschmalz. Wir stehen gerne zur Verfügung, um Ihnen auf die Sprünge zu helfen, entsprechende Programme zu entwickeln. Sie aber haben die Verantwortung, die Gewerkschaften, die Unternehmen und die Länder im Pakt zusammenzubringen und ein umfassendes Konzept vorzulegen. Dieser Verantwortung sind Sie bislang nicht nachgekommen. Ich fordere Sie auf: Schauen Sie sich unsere Vorschläge an und machen Sie sie sich zu Eigen. Dann stehen wir im nächsten Jahr auf jeden Fall viel besser da. Knien Sie sich jetzt in die Sache rein, damit die Jugendlichen in Deutschland eine Chance haben, bis zum Ende der Nachvermittlungszeit einen Platz zu finden.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass sich die Grünen so intensiv mit der beruflichen Bildung beschäftigen und Vorschläge zu diesem Thema vorlegen. Sie werden mir aber nicht verübeln, dass ich sage: Sie hatten ziemlich viel Zeit, nämlich sieben Jahre, um zu verhindern, dass dieser Regierung jetzt die Vermittlung einer so großen Gruppe an Altbewerbern als Aufgabe gestellt wird. Das sollten Sie nicht vergessen.
Ich halte die Modularisierung für richtig. Ich werde gleich darauf zurückkommen. Ich sage mit Blick auf Sie, Frau Hirsch: Es ist ein ziemlich schräger Vorschlag, den Ausbildungspakt abzublasen.
Wir sollten uns am frühen Morgen nicht so furchtbar darüber echauffieren. Wir alle sehen die Situation, in der wir uns befinden, gleichermaßen. Die Zahlen sind klar. Wir haben ein Plus an zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätzen.
Das zeigt, dass es so wichtig war, einen Ausbildungspakt abzuschließen.
Die Bilanz in diesem Jahr hat zwei Seiten: Licht und Schatten. Auf der Lichtseite gibt es bei den Industrie- und Handelskammern ein Plus der Ausbildungsverhältnisse in Höhe von 4 Prozent. Selbst beim Handwerk - das wurde eben gesagt - gibt es trotz Arbeitsplatzverlusten ein Plus von 1,6 Prozent. Die Schattenseite ist, dass es einen deutlichen Anstieg der Bewerbungen gibt. Deshalb steigt die Zahl derer, die nicht versorgt sind.
Darüber streitet niemand. Deshalb rate ich uns allen: Lamentieren, Appellieren und wechselseitige Schuldzuweisungen helfen überhaupt nicht weiter.
Wir stecken mitten in vielen wichtigen Initiativen, mit denen sich im Laufe der Jahre vieles verändern wird. Ich nenne Ihnen ein paar, die nicht erst in Vorbereitung, sondern längst in der Durchführung sind.
Erstens das Programm ?Jobstarter“. Wir haben die Mittel dafür auf 125 Millionen Euro erhöht. Wir haben damit die Zahl der Projekte in der zweiten Förderrunde verdoppelt. Das ist ein ganz wichtiges Strukturprogramm.
Denn wir reden längst nicht mehr nur über das Bemühen von Unternehmen. Wir kennen sehr genau die Regionen, in denen es nicht genügend Unternehmen gibt und in denen der Mittelstand nicht so stark vertreten ist, dass wir darauf setzen könnten, dass die Unternehmen diese Aufgabe leisten. Es ist also ein Strukturprogramm für diese Regionen - vor allen Dingen in den neuen Bundesländern, aber mittlerweile auch in einigen alten Bundesländern -, um dort zu neuen Strukturen, zu Verbundmöglichkeiten, zu betriebsnahen Ausbildungen und anderem zu kommen.
Zweitens die Einstiegsqualifikation. Das Arbeitsministerium hat mit einem Beschluss des Kabinetts die Zahl der Plätze für die Einstiegsqualifizierung auf 40 000 erhöht.
Die Erfahrungen der ersten Runde zeigen, dass das in mehrfacher Hinsicht ein gutes Instrument ist. Wir schicken Jugendliche, die die Nase von der Schule voll haben, nicht wieder in die Schule,
sondern wir geben ihnen die Möglichkeit, Kontakt zu einem Unternehmen zu knüpfen. Gleichzeitig geben wir dem Unternehmen die Möglichkeit, junge Leute kennen zu lernen, die vielleicht schlechte Note haben, sich in der Praktikumszeit aber sehr gut entwickeln. In der ersten Runde haben 60 Prozent den Übergang in eine duale Ausbildung geschafft. Das ist ein gutes Ergebnis.
Drittens sind 13 000 Stellen seitens der Bundesregierung in den neuen Ländern zusätzlich geschaffen worden. Nach jetzigem Stand - wir haben gestern im Haushaltsausschuss darüber gesprochen - werden diese 13 000 Stellen auch besetzt.
Viertens sind 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze vereinbart worden. Staatssekretär Storm aus meinem Haus hat gemeinsam mit Frau Staatsministerin Böhmer mit Verbänden von Unternehmern ausländischer Herkunft eine Vereinbarung getroffen. Denn wir wissen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund von diesem Problem besonders betroffen sind und dass es hier besonders wichtig ist, eine Ausbildungskultur in den Unternehmen zu entwickeln, die Möglichkeiten zur Ausbildung haben, aber bisher die duale Ausbildung so noch nicht kennen. Auch das ist ein Fortschritt.
Ich sage noch einmal: Wer immer rät, den Ausbildungspakt abzuschaffen oder ihn nicht mehr so wichtig zu nehmen, unterschätzt die Bedeutung des Themas. Vieles wurde bewirkt. Jedem muss klar sein, dass wir hier letztlich über einen Teil des Generationenvertrages sprechen. Deshalb muss der Pakt über 2007 hinaus verlängert werden.
Auch auf Länderebene geschieht vieles. Heute ist in den Zeitungen zu lesen: Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister hat angekündigt, dass in der Nachvermittlungszeit seitens des Landes 3 000 zusätzliche Lehrstellen geschaffen werden.
- Wenn es um Nordrhein-Westfalen geht, klatscht Frau Flach; das finde ich Klasse.
Die Brisanz dieses Themas muss angesprochen werden. Niemand von uns sollte dieses Problem, das seit vielen Jahren zu beobachten ist, kleinreden. In dieser Zeit war fast jede der hier vertretenen Parteien - außer den Linken - auch einmal an der Regierung beteiligt. Daher muss man feststellen: Die Verantwortung für die Zahlen, um die es geht, können wir unter uns aufteilen. Ich kenne sogar Wirtschaftsminister von der FDP - es gibt zwar nicht mehr viele, aber zumindest einen kenne ich noch -, für die dasselbe gilt.
- Ja, nur gute.
- Geschenkt.
Nun komme ich auf die Altbewerber zu sprechen. Dieses Problem lässt sich in der Tat nicht allein durch den Ausbildungspakt lösen. Dahinter verbergen sich nämlich noch ganz andere Probleme. Deshalb haben wir auch hier die notwendigen Schritte auf den Weg gebracht. Wir müssen auf dieses Thema spezifische Antworten finden.
Erstens. Es muss uns in den nächsten Wochen gelingen, einen Überblick über die tatsächlichen Zahlen, nach Möglichkeit heruntergebrochen auf die Ebene der Regionen, zu bekommen. Wenn zum Beispiel im eigenen Wahlkreis 100 Jugendliche noch nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgt sind, dann werden sie eingeladen. Es kommen allerdings nur 50 von ihnen.
Wir müssen klären, warum das so ist. Was steckt dahinter? Was ist mit den anderen 50 Jugendlichen, die die Einladung nicht annehmen? Haben sie sich inzwischen anders entschieden? Schlagen sie eine andere Bildungsbiografie ein bzw. machen sie an einer anderen Stelle Station? Wir brauchen, heruntergebrochen auf die einzelnen Agenturbezirke, genauere Zahlen darüber, welcher Jugendliche für eine Vermittlung zur Verfügung steht.
Zweitens. Die strukturelle Modernisierung, Frau Hinz, ist eingeleitet. Die entsprechenden Maßnahmen liegen längst auf dem Tisch. Über sie wird gerade diskutiert. Weil Sie selbst einmal im Geschäft waren, sage ich Ihnen: Sie wissen doch, dass hier sehr viele Partner eine Rolle spielen und dass zunächst einmal sowohl aufseiten der Gewerkschaften als auch aufseiten beider Sozialpartner über die Frage der Modularisierung diskutiert wird.
Das Konzept, in dem es um die curriculare Modularisierung von fünf bis acht Ausbildungsbausteinen in vier der großen Berufe geht - so wurde es in der letzten Sitzung des Innovationskreises besprochen -, liegt also auf dem Tisch. Sie können davon ausgehen, dass wir diesen Weg, wenn wir die Zustimmung derer finden, die zustimmen müssen, schon zu Beginn des nächsten Ausbildungsjahres beschreiten können. Ich halte diesen Punkt für wirklich zukunftsweisend.
Wir brauchen die Modularisierung der beruflichen Bildung. Wenn Jugendliche eine berufliche Vollzeitschule besuchen und Kompetenzen erwerben - das betrifft auch die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die wir ebenfalls stärker in die Ausbildungsverpflichtungen und -aufgaben einbeziehen sollten -, dann brauchen wir sehr viel Transparenz. Die Leistungen müssen zertifiziert werden. Mit diesen Zertifikaten muss jeder Jugendliche seine Ausbildungsschritte, ähnlich wie in einem Baukastensystem, aufeinander aufbauen können und die Möglichkeit bekommen, eine Prüfung abzulegen.
Das wird auch so kommen - davon bin ich überzeugt -, weil wir eine Verbindung zwischen dem europäischen Qualifikationsrahmen und dem nationalen Qualifikationsrahmen benötigen. Dafür brauchen wir in der gesamten Bandbreite der beruflichen Bildung Transparenz. Ich glaube, hier bietet sich eine wirklich gute Chance, durch die strukturelle Modernisierung der beruflichen Bildung vor allem die so genannten Altbewerber zu erreichen.
An die Adresse der Industrie- und Handelskammern muss ich aber auch sagen: Ich werde Druck machen, dass jetzt endlich die Möglichkeiten ergriffen werden, die im Berufsbildungsgesetz geschaffen worden sind.
Denn schon jetzt bestehen Möglichkeiten, die Leistungen der Jugendlichen, die ein kaufmännisches Berufskolleg, und derjenigen, die eine berufliche Vollzeitschule besuchen, so zu zertifizieren, dass sie nach einer anschließenden Praxiszeit in einem Unternehmen ihre Prüfung ablegen können. Die gesetzlichen Möglichkeiten, die zu diesem Zweck geschaffen worden sind, müssen allerdings besser genutzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass das gelingt.
- Frau Hinz, genauso ist es bereits: Im Rahmen des Innovationskreises geschieht genau das, was Sie fordern.
Da sitzen die Länder, da sitzen sämtliche Sozialpartner, da sitzt die Bundesregierung, da sitzen alle an einem Tisch und lamentieren nicht herum, sondern sind längst dabei, zu überlegen, wie wir den Einstieg in eine strukturelle Modernisierung schaffen, um die Zukunftschancen der jungen Generation zu verbessern, wo sie nicht gut sind, bzw. sie zu sichern. Das ist das, was wir alle wollen. Das gehört zu unseren vornehmsten Aufgaben.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Willi Brase das Wort.
Willi Brase (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal muss man über die Vergangenheit reden. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir mit unserem Jugendsofortprogramm knapp 60 000 vollwertige Ausbildungsplätze geschaffen.
Das, Frau Schavan, war eine positive Leistung der alten Bundesregierung, um das hier einmal deutlich zu sagen.
Hochinteressant ist, dass wir im Zusammenhang mit diesem Programm von einigen heftig dafür kritisiert worden sind,
dass wir mit Geld der öffentlichen Hand zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen. Dass jetzt, wo Minister Laumann in NRW das Gleiche macht - den ich dabei ausdrücklich unterstütze -, geklatscht wird, das hat ein Geschmäckle.
Lassen Sie mich etwas zu § 43 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz sagen, demzufolge auch Bewerber, die eine vollzeitschulische Berufsausbildung absolviert haben, die Kammerprüfung ablegen dürfen. Das ist damals von bestimmter Seite massiv gefordert worden,
auch von den Kolleginnen und Kollegen, die an einer Berufsschule als Lehrer tätig sind. Heute, in der Umsetzung, stellt sich genau das Gegenteil dar: Man hält sich sehr zurück. Denn wenn wir wollen, dass öffentlich finanzierte und betriebliche Ausbildung gleichwertig sind, muss auch die öffentlich finanzierte so etwas wie Betriebsnähe und Praktika aufweisen. Es scheint für einige Regionen, vielleicht sogar für viele, eine harte Aufgabe zu sein, für die jungen Leute, die eine vollzeitschulische Ausbildung machen, Praktika zu organisieren, wie wir es im Gesetz formuliert haben.
Meine Bitte, die ich ein Stück weit an die Länder richte, ist, diesen Weg mitzugehen. Denn das ist eine Möglichkeit, Altbewerbern und Altnachfragern eine vernünftige Chance zu geben, eine qualifizierte Ausbildung von drei oder dreieinhalb Jahren - wo es nicht anders geht, auch nur von zwei Jahren - zu bekommen.
Die Bedingungen haben wir hier im Parlament durch die Reform des Berufsbildungsgesetzes gemeinsam geschaffen.
Herr Meinhardt, ich möchte etwas zum EQJ sagen. Wir haben uns seinerzeit, was den Ausbildungspakt angeht, in dieser Frage sehr vorsichtig positioniert, weil wir nicht genau wussten, ob eigentlich die Personengruppen angesprochen werden, die aus unserer Sicht angesprochen werden müssen, oder ob wieder eine Verdrängung stattfindet. Die bisherigen Untersuchungen - zum Ruhrostgebiet gibt es eine von der Hans-Böckler-Stiftung, ferner gibt es eine von der GIB - besagen, dass die Grundannahme Klebeeffekt wohl richtig ist. Nahezu 60 Prozent werden in eine betriebliche Ausbildung übergehen.
Wir erleben aber die Verdrängung von sehr guten Hauptschülern durch Realschüler.
- Dazu komme ich noch, Herr Tauss, nicht so schnell!
Wir haben mit dem Berufsbildungsgesetz die Berufsausbildungsvorbereitung in den Betrieben ausdrücklich mit auf den Weg gegeben. Ich sehe das EQJ als Vormaßnahme, als Vorschritt, dorthin zu kommen. Derzeit finanzieren wir es noch über die Bundesagentur für Arbeit. Man könnte, wenn es um Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten geht, auch einmal darüber diskutieren, ob das nicht die Unternehmen machen müssten und ob wir als öffentliche Hand uns nur dann engagieren sollten, wenn junge Leute keinen Abschluss haben oder Ähnliches. Das wäre eine Weiterentwicklung, die dem nach meiner Auffassung Rechnung tragen würde.
Wir haben das IAB-Betriebspanel zu Rate gezogen, weil es immer wieder heißt, es gibt nicht genügend Unternehmen, die ausbilden.
Wenn man sich dieses Betriebspanel anschaut, dann stellt man fest, dass je nach Größe immer noch zwischen 5 und 30 Prozent der Unternehmen, die ausbildungsfähig sind, nicht ausbilden.
Interessant ist es, einmal zu schauen, welche Rechtsform die Unternehmen haben, die ausbilden, und welche Rechtsform die Unternehmen haben, die nicht ausbilden. Unabhängig davon erwarten wir als SPD-Fraktion, dass beim Innovationskreis bei Frau Ministerin Schavan endlich genau der Frage auf den Grund gegangen wird, wie wir an die 20 bis 25 Prozent der Unternehmen herankommen, die ausbilden könnten, es aber nicht tun, damit sie endlich auch ausbilden. Dann würde es in unserer Gesellschaft ein Stück weit besser aussehen.
Wenn Sie vor Ort nachschauen und mit Ihren Kammern reden, also mit den zuständigen Stellen, dann werden Sie feststellen, dass jede zuständige Stelle in der Lage sein wird, einigermaßen verlässlich zu beziffern, welches Potenzial dort noch vorhanden ist. Deshalb bleibe ich dabei: Wir erwarten und erhoffen Antworten vom Innovationskreis, sodass wir hier ein Stück weit nach vorne kommen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen haben wir intensiv über Schichten, über Arme und über Ausgegrenzte in dieser Republik diskutiert. Mir ist ein, wie ich finde, sehr nachdenklich machendes Interview mit dem Soziologen Professor Heinz Bude zur Kenntnis gelangt. Es zeigt ein wenig, wie schwierig die Diskussion ist. Er ist nach der Debatte über eine Klassengesellschaft gefragt worden und er verweist darauf, dass bei Umfragen von Berufsschullehrern mit ausbildungsmüden Jugendlichen Folgendes zum Ausdruck kommt: Sie haben das Gefühl, dass sie vielleicht etwas tun können, dann aber nicht übernommen werden. Was nutzt ihnen also eine Ausbildung und was bringt sie ihnen eigentlich?
Wenn diese Sichtweise, dass nicht mehr vermittelt werden kann, was es eigentlich noch bringt, Leistung zu erbringen, und wo man diese Leistung danach umsetzen kann, in Teilen der jungen Generation vorherrscht, dann haben wir in unserer Gesellschaft insgesamt eine Menge dafür zu tun, sie zu verändern. Das bedeutet: Wenn wir es nicht schaffen, dass genügend betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, dann müssen wir auch zusätzliche Mittel in die Hand nehmen - dies hat meine Kollegin Nicolette Kressl bereits gesagt -, um sie mit genau den Maßnahmen zu erreichen, die ihnen tatsächlich helfen. Da helfen auch keine dauerhafte Diskussion und keine Umlagefinanzierung.
Bis wir so etwas auf den Weg gebracht haben, sind diese Jugendlichen noch fünfmal enttäuscht worden.
Ein weiterer Punkt - dem können wir uns nicht entziehen -: Wir werden demnächst hier im Parlament über den Bildungsbericht, der im Auftrag der Konferenz der Kultusminister der Länder und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erstellt wurde, diskutieren. Es fällt auf, dass es Strukturverschiebungen bei der beruflichen Ausbildung und bei der Versorgung von jungen Leuten gibt, die offensichtlich nicht so einfach zu handhaben sind, wie wir es in der politischen Auseinandersetzung teilweise gerne tun.
Ich will es einmal deutlich sagen: 1995 kamen 547 000 Jugendliche neu in die duale Ausbildung. 180 000 Jugendliche befanden sich im Schulberufssystem. Das ist Landesrecht. Sie haben es angesprochen: Pflegeausbildung, Ausbildung für Kindererziehung etc. Daneben befanden sich 341 000 junge Leute in Übergangsmaßnahmen: Grundausbildungslehrgänge, BVJ, BGJ und was es dort alles gibt. Diese Zahlen haben sich verändert. 2004 gab es eine Steigerung gegenüber 2003. Im ersten Sektor waren es 535 000, im zweiten Sektor waren es 211 000 - die Zahl der Jugendlichen im Schulberufssystem ist also noch einmal angestiegen - und im dritten Sektor waren es 488 000. Im Jahr vorher waren es im dritten Sektor 599 000. Die positiven Veränderungen hatten etwas mit dem JUMP-Programm zu tun. Ich will damit sagen: Wenn sich dies auf lange Sicht verfestigt, dann tut sich die Wirtschaft keinen Gefallen damit, wenn sie nicht mehr und genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt.
In den 70er- und 80er-Jahren lag der Anteil der Neuzugänge teilweise bei 60 bis 70 Prozent. Es muss das Ziel sein, dort wieder hinzukommen; denn damit verringern wir automatisch die Anzahl an Warteschleifenmaßnahmen und Ähnlichem. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Letzte Bemerkung. Ich halte sehr viel davon, auch immer zu schauen, wie die Praxis aussieht. Mein Glück ist, dass ich seit fast 20 Jahren in diesem Bereich tätig bin.
Es ist nun einmal so, dass ein Teil der jungen Leuten die Schule nach wie vor ohne Abschluss verlässt - 9 oder 10 Prozent.
Die Forderung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, diese Zahl innerhalb von vier oder fünf Jahren um 50 Prozent zu reduzieren, ist richtig. Das wäre eine vernünftige Kampfmaßnahme der Länder und unserer Gesellschaft. Damit würden wir den jungen Menschen etwas Gutes tun.
Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam streiten. Wir werden dies im Zusammenhang mit der europäischen Berufsbildungspolitik noch stärker machen müssen. Wir freuen uns auf diese Diskussion.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Willi Brase, Sie haben zu Recht gesagt: Man muss zwischendurch immer wieder einmal die Vergangenheit betrachten.
Ich will die Vergangenheit jetzt nicht zu sehr in Haftung nehmen.
Aber wir haben bei der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes ganz hervorragend zusammengearbeitet.
Das war quasi ein Probelauf der neuen Freundschaft, die wir inzwischen pflegen.
Aber eines muss man schon sagen: Das Gezappel in Ihrer Fraktion, bis wir den Ausbildungspakt endlich beschlossen hatten, hat schon für Unsicherheit gesorgt.
Das hat nicht unbedingt dazu beigetragen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Aber wir sind uns einig, dass die Situation momentan nicht zufriedenstellend ist. Die Ausbildungslücke ist uns allen mit Sicherheit viel zu hoch. Es fehlen 34 000 Lehrstellen. Das ist kein schönes Ergebnis. Das erfordert von uns allen noch große Anstrengungen.
Ich erinnere an die Debatte, die wir Anfang dieses Jahres geführt haben. Wer hätte in der damaligen Situation gedacht, dass wir überhaupt einmal so weit kommen? Dahinter stehen riesige Anstrengungen einer Vielzahl von Unternehmen und auch einer ganzen Reihe von Mittelständlern, die sich maßgeblich bemüht haben, neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Auf die seltsame neue Unterschichtsdebatte will ich nicht näher eingehen. Aber eines ist klar: Bei der Diskussion um Lehrstellen geht es nicht nur um einen Ausbildungsplatz für junge Menschen. Vielmehr geht es für diese jungen Menschen um einen Platz in unserer Gesellschaft. Diesen müssen wir bereitstellen.
Dass wir und die Unternehmen es nach großen Anstrengungen geschafft haben, die Ausbildungslücke stark einzuschränken, hat etwas mit dem Wachstum in der Bundesrepublik zu tun. Der Wirtschaftsminister prognostiziert ein Wachstum von 2,5 Prozent. Die anspringende Konjunktur wirkt langsam auch auf dem Ausbildungsmarkt. Wir alle haben dazu eine ganze Menge beigetragen. Ich möchte mich bei den zuständigen Ministern und bei den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken, die im Deutschen Bundestag dafür gearbeitet haben. Namentlich möchte ich auch die CDU/CSU-Fraktion erwähnen, deren Abgeordnete in ihren Wahlkreisen eine Ausbildungstour gestartet haben, um für noch mehr Ausbildungsplätze zu werben. Ich glaube, all das hat insgesamt geholfen.
Der Paktlenkungsausschuss hat beschlossen, dass der Ausbildungspakt weitergeführt werden soll. Die Einzigen, die leider Gottes noch immer nicht im Boot sind, sind die Gewerkschaften. Wer aber hier nicht mitmacht, der kann auch bei der Nachvermittlung nicht mitmachen. Diese Situation ist bedauerlich. Ich möchte alle, die hier Einfluss haben, bitten, dafür zu sorgen, dass sich zukünftig alle gesellschaftlichen Gruppen am Ausbildungspakt beteiligen. Gegen Ende diesen Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres wird die Ausbildungslücke - davon bin ich überzeugt - rechnerisch nahezu gegen null gehen.
Liebe Kollegin Hirsch, nachdem Sie mich in hervorragender Weise zitiert haben, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Nicht nur für die Unternehmen in unserem Land, sondern vor allem auch für die Auszubildenden, die durch die großen Anstrengungen einen Ausbildungsplatz gefunden haben, muss es wie Hohn klingen, wenn Sie immer wieder sagen: Der Ausbildungspakt funktioniert nicht.
50 Prozent der zur Verfügung gestellten Ausbildungsstellen kommen in Unternehmen zustande, die weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigen. Wir müssen endlich einmal anerkennen, dass es vor allen Dingen die freiwilligen Leistungen der Menschen in unserem Lande sind, durch die die zukünftigen Lehrstellen geschaffen werden. Dadurch ist es im letzten Jahr gelungen, 27 500 zusätzliche Lehrstellen in der Nachvermittlung bereitzustellen. Ich bin mir sicher, dass diese Zahl dieses Jahr sogar noch übertroffen wird. Das Ganze funktioniert ohne sozialistische Keule. Es funktioniert, weil die Menschen ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen wollen - ohne Zwangsregelung, ohne staatliche Bevormundung und ohne Ausbildungsplatzabgabe.
Liebe Kollegin Sager, ich spreche Sie an, weil Sie am Mittwoch dieser Woche in der Regierungsbefragung gegenüber dem Bundesminister Glos dargestellt haben, dass die vollzeitschulische Ausbildung zurzeit nur in vier Bundesländern stattfindet und nicht in allen 16. Ich kann Ihnen dazu sagen: Wir haben in der Debatte, die wir geführt haben, als wir das Berufsbildungsgesetz novelliert und diese Möglichkeit geschaffen haben, natürlich maßgeblich den Osten dieses Landes vor Augen gehabt. Dort, wo auch bei größten Anstrengungen keine Lehrstellen im Betrieb eingerichtet werden konnten, sollte eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, nämlich die vollzeitschulische Ausbildung. Diese war aber nie als gleichwertige Alternative zur dualen Ausbildung gedacht und das darf sie auch nie werden.
Wenn man darüber debattiert, sollte man nicht beklagen, dass es jetzt eine Welle von Altbewerbern gibt. Daran zeigt sich, dass es zur dualen Ausbildung in Betrieb und Schule keine echte Alternative gibt. Vollzeitschule und Ähnliches sind nur Hilfskonstrukte, die im Zweifelsfall nur die zweitbeste Lösung sind. Deswegen wollen wir die vollzeitschulische Ausbildung nicht zum Regelfall machen.
Ich glaube, an dem, was Frau Ministerin Schavan gesagt hat, ist deutlich geworden: Wir brauchen einen Mix an Maßnahmen. Wir sind dabei, diesen Mix anzupassen bzw. zu kreieren. Ich glaube, dass wir letztlich zu einer guten Situation in der Ausbildungsfrage kommen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/1258. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis des Berufsbildungsberichtes 2005 auf Drucksache 15/5285 die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/543 mit dem Titel ?Neue Dynamik für Ausbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Unter Nr. 2 der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss in Kenntnis des genannten Berufsbildungsberichts die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/235 mit dem Titel ?Die duale Berufsausbildung in Deutschland kontinuierlich verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss in Kenntnis des Berufsbildungsberichts die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/122 mit dem Titel ?Statt Ausbildungspakt - Für eine umlagefinanzierte berufliche Erstausbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/198 mit dem Titel ?Berufsbildung umfassend sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit wiederum breiter Mehrheit, diesmal gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, angenommen. So fügt sich eine Überraschung an die nächste.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/1370, 16/2540 und 16/2630 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/2996 - Tagesordnungspunkt 23 c - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/2540 und zusätzlich an den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatzpunkt 13 auf:
24. Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland
- Drucksache 16/1878 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Arbeit in Armut verhindern
- Drucksache 16/2978 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch für diese Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 1. Juni dieses Jahres haben wir schon einmal gefordert, in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro pro Stunde für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die teilweise 40 Stunden in der Woche arbeiten, einzuführen.
Sie haben unseren Antrag, in dem wir die Einführung einer Mindestlohnregelung gefordert haben, in namentlicher Abstimmung abgelehnt und waren nicht dazu zu bewegen, die von uns vorgetragenen Argumente anzunehmen. Es ist zu erwarten - das hat insbesondere Kollege Niebel schon angekündigt -, dass auch der vorliegende Antrag abgelehnt wird.
Mittlerweile haben Sie eine Armutsdebatte geführt, die nach dem bekannten Muster verlaufen ist. Zunächst wurde darüber schwadroniert, ob man den Begriff Unterschichten verwenden dürfe.
Nachdem diese Debatte beendet war, haben Sie sich gegenseitig die Schuld an der negativen Entwicklung zugeschoben, die Hartz IV in unserer Bevölkerung verursacht hat.
Wir, die Fraktion Die Linke, glauben, dass solche Debatten zu einer immer stärkeren Politikverdrossenheit beitragen. Es wäre konsequent, wenn Sie die entsprechenden Schlüsse aus dieser Debatte ziehen würden. Das hieße erstens, die Hartz-IV-Gesetze zu novellieren, und zweitens, den gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro pro Stunde in Deutschland einzuführen.
Wir haben heute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeladen, die zu den derzeitigen Bedingungen arbeiten. Sie erhalten zum Beispiel Stundenlöhne von 5,86 Euro, 5,19 Euro und 6 Euro. Ich habe einen Lohnzettel mitgebracht. Vielleicht kann dieses Beispiel etwas bei Ihnen bewegen, Herr Niebel, wenn es Sie interessiert, wie es den Menschen draußen geht. Da arbeitet jemand 40 Stunden pro Woche für einen Nettolohn von 797,19 Euro. Es ist doch eine Schande, wenn jemand in Deutschland 40 Stunden in der Woche arbeiten muss und dafür nur knapp 800 Euro netto bekommt.
Stellen Sie sich vor, was das bedeutet, wenn jemand arbeitslos wird, oder wie sich das später auf die Rente auswirkt. Es ist ein Ausdruck von Gefühllosigkeit, diese Bedingungen nicht zur Kenntnis zu nehmen und nicht endlich auch bei uns eine gesetzliche Regelung einzuführen, die es bereits in den meisten europäischen Ländern gibt.
Was bilden wir uns eigentlich ein, dass wir diese gesetzliche Regelung, die in allen anderen europäischen Ländern funktioniert, in Deutschland nicht einführen?
Nun komme ich zu den Argumenten, die immer wieder vorgebracht werden. Das ist erstens das Standardargument der FDP und der CDU/CSU, es würden Arbeitsplätze vernichtet.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Hybris hinweisen, die insbesondere in den Reihen der FDP deutlich wird. Sie treten doch für Mindestlöhne Ihrer Klientel - Ärzte, Rechtsanwälte und alle Freiberufler - ein, indem Sie Honorar- und Gebührenordnungen fordern.
Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, dass Sie das, was Sie für diese Klientel festschreiben - dabei geht es um Stundenlöhne von 50 Euro und teilweise sogar bis zu 1 000 Euro -, der großen Mehrheit der Bevölkerung verweigern.
Wenn alle, die von den Mindestlohnregelungen betroffen wären, hier versammelt wären, kämen 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger zusammen. Vielleicht würden Sie dann nachgeben und Ihre Doppelzüngigkeit aufgeben.
Damit Sie es begreifen, Herr Niebel: Wir wollen keine Gebühren- und Honorarordnung für die oberen Zehntausend, sondern für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wollen solide Arbeitsbedingungen für Millionen Menschen in diesem Lande.
Das zweite Argument, das immer wieder vorgebracht wird, lautet, dass man nur auf die Tarifbildung warten und dann die Tarife für verbindlich erklären müsse. Das ist ebenfalls ein Scheinargument, wie jeder weiß. Erstens schiebt man dadurch den Gewerkschaften die Verantwortung dafür zu, ob es weitergeht oder nicht. Zweitens wird dabei die Tatsache ignoriert, dass es in vielen Branchen keine Tarifverträge mehr gibt. In Deutschland gibt es 30 Branchen, die nicht tarifvertraglich geregelt sind. Zudem müssten dann für 250 Branchen Mindestlöhne vereinbart werden.
Das alles ist ein Hin- und Herschieben der Verantwortung. Auch diese Position ist für uns nicht haltbar und glaubwürdig. Wir wollen vielmehr eine gesetzliche Regelung für alle Menschen, die seit Jahren darauf warten, für ihre Arbeit ordentlich bezahlt zu werden.
Im Übrigen vertreten diese Position nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Wirtschaftsbranchen. Vom Bauhandwerk ist in diesem Zusammenhang schon oft die Rede gewesen genauso wie von der Gebäudereinigerbranche - hier ist etwas geschehen -, den Sicherheitsdiensten und den Handwerkskammern. Bernd Ehinger, der Handwerkskammerpräsident des Rhein-Main-Gebietes, hat gegenüber der ?Frankfurter Rundschau“ gesagt, ohne Mindestlöhne gingen Arbeitsplätze verloren. Da Sie ständig vorgeben, die Interessen des Handwerks zu vertreten, wäre es gut, wenn Sie auf die Vertreter der betreffenden Branchen hörten.
Um Sie vielleicht zum Nachdenken zu bringen - angesichts des Verlaufs der Debatten über dieses Thema in den letzten Jahren glauben wir nicht, dass wir Sie überzeugen können -, zitiere ich das, was der stellvertretende Vorsitzende des britischen Industrieverbandes in der Anhörung unserer Fraktion gesagt hat:
Bisher war der Mindestlohn ein großer Erfolg. Für mehr als 1 Million Arbeitnehmer sind die Löhne deutlich angehoben worden, ohne dass dies Arbeitsplätze gekostet hätte. Auch die Wirtschaft ist nicht behindert worden.
Warum hören Sie nicht auf diese Argumente und berücksichtigen Sie nicht die guten Erfahrungen, die im Ausland gemacht wurden? Warum glauben Sie eigentlich immer, dass Sie alles besser wissen?
Das Dümmste ist aber Ihr ständiger Vorwurf des Populismus. Vielleicht sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, warum Sie als Volksvertreter in den meisten Entscheidungen gegen die Mehrheit des Volkes stimmen.
Die Mehrheit des Volkes will keine Mehrwertsteuererhöhung. Aber Sie scheren sich nicht darum und stimmen dafür. Die Mehrheit des Volkes will keine Rente mit 67. Aber Sie scheren sich nicht darum und stimmen dafür. Die Mehrheit des Volkes wollte niemals die Hartz-IV-Gesetzgebung. Aber Sie haben die großen Protestkundgebungen einfach übersehen. Sie machen, was Sie wollen.
Die Mehrheit des Volkes wollte keine Praxisgebühr und will die nun von Ihnen auf den Weg gebrachte Gesundheitsreform nicht.
Aber Sie glauben, dass Sie es besser wissen. Welch eine Volksvertretung ist das, die in wichtigen sozial- und steuerpolitischen Fragen ständig gegen die Mehrheit des Volkes stimmt? Darüber sollten Sie einmal nachdenken!
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung dafür eintreten, dass es in Deutschland eine ähnliche Regelung betreffend den Mindestlohn gibt wie in vielen europäischen Nachbarstaaten. Vielleicht wäre es heilsam - das wäre wahrscheinlich der einzige Weg, Sie zum Einlenken zu bringen -, wenn wir - merken Sie auf! - unsere Diäten an Mindestlöhne koppelten.
- Es ist wunderbar, dass Ihnen das nicht passt und Sie sich aufregen.
Geben Sie sich doch einen Ruck! Sie hätten große Zustimmung vonseiten der Bevölkerung, wenn Sie den Mut hätten, nicht nur Ihre eigenen Interessen, sondern die Interessen von 5 Millionen Beschäftigten in Deutschland zu vertreten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Lafontaine, erlauben Sie mir bitte zwei Hinweise. Erstens. Ein Antrag auf Neuregelung der Bezüge der Abgeordneten im Sinne der von Ihnen gerade vorgeschlagenen möglichen Regelung wurde mir vonseiten der Fraktion Die Linke bislang nicht vorgelegt.
- Ich entscheide selber, was geht.
Zweitens. Nach einer Reihe von entsprechenden Äußerungen in den letzten Tagen gibt es einen hinreichenden Anlass, darauf hinzuweisen, dass Sie natürlich jedes Recht haben, jede Mehrheitsentscheidung dieses Parlamentes zu kritisieren, dass aber die Behauptung, dass das demokratiefeindlich sei, mit unserem Selbstverständnis, dass Mehrheiten darüber entscheiden, was gelten soll, nur schwer zu vereinbaren ist.
Das Wort hat nun der Kollege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lafontaine hat eben von Hybris gesprochen. Da hat ein Fachmann für Hybris gesprochen.
Er sollte zur Kenntnis nehmen: Die Mehrheit des Volkes wollte keine Linke und wollte nicht die linken Rezepte. Wenn uns jetzt eine linke Rezeptur vorgelegt wird, nähern wir uns diesem Thema trotz des Entrees von Lafontaine ganz sachlich und nicht kulturpessimistisch. Wir wollen uns mit Ihren Argumenten auseinander setzen.
Die Frage nach dem existenzsichernden Arbeitseinkommen ist eine ganz alte Frage und leider wieder eine ganz neue Frage. Man muss die Frage stellen, wie wir es sicherstellen, dass die Menschen von ihrer Arbeit im Sinne des Mottos ?anständiger Lohn für anständige Arbeit“ leben können. Wir sind überzeugt, dass die Antwort der Linken eine falsche Antwort ist und dies auch in diesen vier Monaten, Herr Lafontaine, geblieben ist.
Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn ist keine geeignete Methode, um das Problem zu lösen.
Ich will mich diesem Thema nicht kulturpessimistisch nähern, sondern mit einigen Hoffnung gebenden Daten, die die Rahmenbedingungen für die Lohnfindung und für die Einkommenspolitik unserer Tage nach einem Jahr großer Koalition bilden. Das Sozialprodukt in diesem Jahr wird nicht um 0,00 Prozent wachsen, sondern es wird voraussichtlich um 2,4 Prozent zunehmen, und das nach Jahren der Stagnation. Gegenüber dem Vorjahr gibt es über 200 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr. Wir haben mehr als 400 000 Arbeitslose weniger als im vergangenen Jahr. Wir haben 33 Prozent mehr offene Stellen. Die Wirklichkeit ist besser als die Planung - eine Welturaufführung. Das hat schon mit der Arbeit der großen Koalition in den vergangenen zwölf Monaten zu tun.
Warum sind die Daten, die ich eben nannte, Schlüsselzahlen? Ich wäre Herrn Lafontaine dankbar, wenn er zuhören würde, so wie auch ich ihm, obwohl es manchmal schwer fiel, zugehört habe. Wenn es mehr Wachstum gibt, gibt es mehr Arbeit. Wenn es mehr Arbeit gibt, gibt es die Chance auf bessere Löhne. Unbestreitbar ist, dass das Wachstum des Sozialprodukts im Allgemeinen und die Produktivitätszunahme im Besonderen Orientierungswerte, wahrscheinlich die wichtigsten, für Lohnverhandlungen sind. Wir dürfen uns zurechnen - ich nenne nur das Stichwort 25-Milliarden-Programm -, dass, wenn auch nicht zur Gänze, die Arbeit der Bundesregierung ganz wesentlich dazu geführt hat, dass diese Schlüsseldaten der Volkswirtschaft in diesem Lande heute besser sind, als sie vor 24 oder 30 Monaten waren. Die Opposition mag sich prüfen, wie sie argumentieren würde, wenn die Zahlen anders lauten würden, nämlich Minuswachstum, noch mehr Arbeitslose und ein noch höherer Verlust an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Dann wäre es die Schuld der Regierung. Also darf man beim Gegenteil auch annehmen, dass es das Verdienst der Regierung ist, wenn wir endlich Licht am Ende des Tunnels sehen und auf einem besseren Wege sind.
Natürlich reicht es nicht, mehr Spielraum für bessere Löhne und für mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wissen, dass wir Arbeitsmarktpolitik als Flankenschutz brauchen, dass wir unter den Stichworten Kombilohn, 50 plus usw. in ganz bestimmten Feldern Handlungsbedarf haben, dass wir in manchen Branchen, insbesondere in arbeitsintensiven mittelständischen Betrieben, Probleme mit Dumpinglöhnen, Billiglohnkonkurrenz und schmutzigem Wettbewerb haben. Darauf müssen wir spezifische Antworten geben.
- Das können Sie in der Koalitionsvereinbarung nachlesen.
Wir haben gesagt, dass wir den Weg gehen, den man seit vielen Jahren mit Erfolg im Baugewerbe gegangen ist. Wir wollen den untersten tariflichen Lohn dem Tarifsystem entnehmen und ihn qua Allgemeinverbindlicherklärung auch für ausländische Anbieter auf dem inländischen Markt über das Entsendegesetz verbindlich machen. Zunächst setzen wir dort an, wo es am dringlichsten ist - Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben es gemeinsam gefordert -, nämlich bei den Gebäudereinigern. Der Gesetzentwurf ist auf einem guten Wege; er ist im parlamentarischen Prozess. Der Bundesrat hat nach der ersten Beratung Zustimmung signalisiert.
In unserer Koalitionsvereinbarung steht, dass wir prüfen werden, ob die Verhältnisse in anderen Branchen genauso sind. Sollte dies der Fall sein, werden wir durch die Herausnahme dieser Bereiche aus dem Tarifsystem über das Entsendegesetz eine Lohnuntergrenze zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch zum Schutz der von schmutziger Konkurrenz bedrängten mittelständischen Betriebe schaffen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Bitte.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Der Gesetzgeber hat in der Zivilprozessordnung geregelt, bis zu welcher Höhe Einkommen pfändungsfrei ist. Für alle Schuldner in der Bundesrepublik Deutschland gilt: Ein bestimmter Teil des Einkommens darf von keinem Gläubiger angetastet werden, egal wie hoch seine Forderung gegen den Schuldner ist. Diese Einkommensgrenze liegt bei 1 000 Euro netto.
Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro käme man auf 1 000 Euro netto. Der Gesetzgeber sagt allen Gläubigern dieser Gesellschaft: Du hast keine Chance, an die letzten 1 000 Euro des Einkommens eines Schuldners heranzukommen. Der Gesetzgeber hat aber nicht den Mut, zu sagen: Es muss natürlich auch ein Minimum beim Einkommen - diese 1 000 Euro - geben. Schließlich erlauben wir noch nicht einmal einem Gläubiger, bei der Vollstreckung diese 1 000-Euro-Grenze anzutasten. - Was spricht dagegen, dass der Gesetzgeber bei den Lohnbestimmungen das vollendet, was er in der ZPO begonnen hat?
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Ihre Frage nach dem Staat, Herr Gysi, ist für Sie typisch.
Nur ein etatistischer Kopf kann eine solche Frage gebären. Wir müssen uns doch zuerst fragen: Was kann das Tarifsystem leisten? Herr Lafontaine hat eben gesagt: Man schiebt den Gewerkschaften die Verantwortung zu. - Das war doch grotesk. In Deutschland tragen die Gewerkschaften doch zusammen mit den Arbeitgebern die Verantwortung für die Lohnfindung.
Der Staat soll sich nur einmischen - das antworte ich Ihnen -, wenn die Tarifparteien mit dieser Aufgabe nicht fertig werden.
Ich habe das Zutrauen, dass die Tarifparteien ihrer Verantwortung gerecht werden, eine praxisorientierte Würdigung der Umstände in der jeweiligen Branche und in der jeweiligen Region an den Tag legen und die richtige Antwort geben. In der Regel können Tarifparteien differenzierter und damit besser vorgehen, als es der Staat jemals tun könnte.
Herr Gysi, jetzt dürfen Sie sich setzen.
Der DGB fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro, der Wirtschaftsweise Bofinger 4,50 Euro, Herr Lafontaine und Herr Gysi fordern 8 Euro. Angesichts dessen muss man doch fragen, wie diese undifferenzierte Antwort auf ein differenziertes Problem wirken wird. Was bedeutet das für die Chemie? Im günstigsten Falle gar nichts; aber mit einiger Wahrscheinlichkeit würde dies für die Kolleginnen und Kollegen in dieser Branche bei den Tarifverhandlungen erschwerend wirken. Lassen wir den Staat außen vor!
Unsere Ziele lauten: Ausländische Anbieter müssen eingebunden werden. Dumpinglöhne und Schmutzkonkurrenz müssen verhindert werden.
Es darf kein System entstehen, durch das Menschen in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden. Wir brauchen eine praktikable und realitätsnahe Lösung.
- Ich habe hier doch beschrieben, welchen Weg wir beschreiten. Für die Gebäudereiniger schaffen wir eine entsprechende Regelung über das Entsendegesetz. Wir werden in der großen Koalition gemeinsam prüfen, ob wir dies auch für andere Branchen machen können.
Ich weiß natürlich, dass man hier am Ende einer sozialethischen Orientierung folgen muss.
Es geht nicht nur um den Preis für den Produktionsfaktor Arbeit, es geht nicht nur um Kosten, sondern es geht letztlich um die Existenzgrundlage der Mehrheit der Menschen in unserem Lande.
Vor 75 Jahren hat Papst Pius XI. gesagt: An erster Stelle steht dem Arbeiter ein ausreichender Lohn zu für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt.
Daraus müssen wir gemeinsam die richtigen Konsequenzen ziehen. Nell-Breuning sagte: Für die große Mehrheit der Menschen, die vom Arbeitslohn leben müssen, muss gelten, dass der Lohn für den Lebensbedarf der Familie ausreicht. - Das ist die christlich-soziale Absage an ?working poor“. Wir müssen dieses Ziel in richtiger Weise mit den richtigen Methoden ansteuern.
Sie wählen den falschen Weg. Ich bin überzeugt, dass wir mit der großen Koalition den richtigen Weg gehen.
Ich bedanke mich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war zu erwarten, dass die seit Anfang dieser Woche laufende Diskussion über eine Unterschicht in Deutschland in die Debatte über einen Mindestlohn einfließen würde, nachdem Hubertus Heil und gestern auch der Kollege Gysi einen Zusammenhang zwischen prekären Lebenslagen und dem Fehlen von Mindestlöhnen hergestellt haben.
Alle mir bekannten Studien beweisen jedoch, Herr Kollege Lafontaine, dass das größte Armutsrisiko nicht in niedrigen Löhnen, sondern in Arbeitslosigkeit besteht.
Deshalb muss unsere Hauptanstrengung darauf gerichtet sein, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und sie nicht aus dem Arbeitsmarkt auszugrenzen. Mit der Einführung von Mindestlöhnen wird aber genau die Ausgrenzung geschehen. Vor allem Jugendliche, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte werden es nach der Einführung von Mindestlöhnen schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden - ich sage Ihnen auch wieso, Herr Kollege Gysi -, weil die zu zahlenden Löhne aus dem Gegenwert der von ihnen produzierten Güter und erbrachten Dienstleistungen nicht mehr gedeckt werden können. Das kann sich auf Dauer kein Unternehmen leisten. Es wird entweder solche Arbeitsplätze abbauen müssen oder selbst vom Markt verschwinden.
- Herr Kollege Gysi, hören Sie bitte zu oder stellen Sie Ihre Frage. Vielleicht kann ich sie gleich beantworten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es besteht bereits Einvernehmen über die Zulassung einer Zwischenfrage. - Bitte schön, Herr Kollege Gysi.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Nachdem in Großbritannien der gesetzliche Mindestlohn eingeführt worden ist, war zwei Jahre später die Arbeitslosenquote um die Hälfte gesunken. Wie erklären Sie sich das? Es ist also das Gegenteil dessen eingetreten, was Sie hier beschreiben.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Das hängt mit dem Zeitpunkt zusammen. Der gesetzliche Mindestlohn wurde in einer länger anhaltenden Aufschwungphase eingeführt und hat deswegen nicht in dem Maße geschadet, wie das sonst der Fall gewesen wäre.
Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch deutlich machen, Herr Kollege Gysi. Sie haben, so glaube ich, wenn Sie über Mindestlöhne reden, immer ausbeuterisches Lohndumping vor Augen: Jemand zahlt einen niedrigen Lohn, obwohl er eigentlich einen höheren zahlen könnte. - So etwas mag es geben. Ich meine aber, dass sich in weiten Bereichen der Wirtschaft die Situation anders darstellt. Dort besteht kein Spielraum, um die Löhne auf eine gesetzlich vorgeschriebene Mindesthöhe anzuheben.
Ich möchte nun noch auf die Anmerkung des Kollegen Lafontaine eingehen, der hier die Honorarordnungen kritisiert hat. - Sie dürfen sich gerne setzen, Herr Kollege Gysi.
Es besteht ein Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn; das ist Ihnen sicherlich nicht entgangen. Eine Honorarordnung regelt, wie bestimmte Leistungen abgerechnet werden können, wie also beispielsweise ein Architekt einen Planungsauftrag, den er erledigt hat, abrechnen kann. Hierbei geht es aber nicht um das Einkommen des Architekten. Darin werden Sie mir sicherlich Recht geben. Von dem Umsatz muss er vielmehr seine Büromiete und die Computer, auf denen er seine CAD-Programme - auch diese kosten Geld - betreibt, bezahlen. Er muss seine Mitarbeiter entlohnen und seine sonstigen Kosten bestreiten. Am Ende bleibt, wenn er im Jahresverlauf hinreichend Einnahmen erzielt hat, um seine Fixkosten zu decken, möglicherweise - ich wünsche es ihm - ein angemessenes Einkommen übrig. Von Honorarordnungen auf einen Mindestlohn für Architekten, Apotheker oder Ärzte zu schließen, ist absolut verfehlt.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, dass es durch eine gesetzliche Regelung für Mindestlöhne zu einem massiven Stellenabbau vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern kommen wird.
Ich frage Sie: Was macht der Friseur im Erzgebirge, der bisher, tarifvertraglich vereinbart - mit zwei Unterschriften, nämlich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite -, 3,80 Euro oder 4 Euro pro Stunde zahlt, wenn jetzt ein Mindestlohn von 8 Euro, wie es Ihren Vorstellungen entspricht, kommt?
Das kann doch nicht funktionieren. Diese Arbeitsplätze werden in absehbarer Zeit verloren gehen, weil die Leistung künftig in Schwarzarbeit erbracht werden wird. Deswegen erweisen Sie der Bevölkerung in den neuen Bundesländern einen Bärendienst, weil Sie mit Ihrem Antrag am Ende zu mehr Arbeitslosigkeit beitragen werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Kolb, möchten Sie den Dialog mit dem Kollegen Gysi noch eine Weile fortsetzen?
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Sehr gerne. Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Sie haben mir eine Frage gestellt; eigentlich müsste ich jetzt darauf antworten. Weil das aber nicht erlaubt ist, muss ich die Antwort in eine Frage kleiden.
Würden Sie beachten wollen, dass erstens ein Friseurmeister, wenn sein Konkurrent erstmalig einen gesetzlichen Mindestlohn bezahlen müsste, dasselbe tun müsste, mit anderen Worten also die Gleichheit der Wettbewerbschancen beibehalten bliebe, dass wir zweitens für die kleinen Unternehmen in den strukturschwachen Regionen - auch im Osten - Übergangszeiten etc. vorgeschlagen haben, um die angesprochenen Schwierigkeiten zu überwinden, und dass es drittens wichtig bleibt, beides unter einen Hut zu bringen, anstatt immer nur die eine Seite zu sehen und zu sagen, es interessiere nicht, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland verdienen? Diese Frage stelle ich einmal ganz unabhängig davon, dass ich zu Ihren anderen Punkten natürlich auch noch etwas sagen könnte, mir das aber verkneife.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Kollege Gysi, wir haben beide einen etwas schütteren Haarwuchs - Sie vielleicht noch etwas mehr als ich.
Trotzdem werden Sie, denke ich, gelegentlich zum Friseur gehen und dort, so wie ich das tue, Gespräche führen. Dann wissen Sie, dass schon heute die Dienstleistung Haareschneiden massiv von der Konkurrenz in Schwarzarbeit bedroht ist.
Natürlich gibt es keine offiziellen statistischen Zahlen dazu. Aber jeder, der die Situation auch nur ein bisschen beobachtet, weiß, dass ein Großteil dieser Dienstleistungen mit der Schere heute schon nebenbei im Haushalt von Dritten gegen Entgelt erledigt wird. Wenn Sie diese Situation noch verschärfen wollen, dann müssen Sie in der Tat genau das fordern, was Sie jetzt fordern. Aber damit helfen Sie den Menschen nicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Mit der Bitte um Verständnis - wir haben uns ja auf gewisse Redezeiten verständigt - nun die ultimativ letzte Zwischenfrage, die sich hoffentlich nicht auf Haarwuchs bezieht; denn in diesem Punkt fühle ich mich irgendwie auch betroffen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich weiß schon, welche Themen ich vermeide.
Meine Frage bezieht sich auf die Schwarzarbeit. Insofern hatten Sie ja in gewisser Weise Recht. Aber Schwarzarbeit ist doch in gewisser Weise wie Diebstahl.
Ich verstehe Ihre Aussage nicht. Das muss man bekämpfen. Wir können doch nicht sagen, wir müssten Warenhäuser schließen, weil dort geklaut wird.
Schwarzarbeit gilt es zu bekämpfen, damit das nicht zur Methode wird. Sie aber benutzen die Kriminalität, um eine gesetzliche Regelung abzulehnen. Entschuldigung, aber das ist doch indiskutabel!
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Kollege Gysi, Sie sollen mir nicht das Wort im Munde verdrehen. Ich bin der Letzte, der der Schwarzarbeit das Wort reden würde. Wir müssen gemeinsam ein Interesse daran haben, zu weniger Schwarzarbeit zu kommen. Dass wir Schwarzarbeit haben, hat Ursachen. Das liegt an sehr hohen Steuersätzen, das liegt an hohen Sozialversicherungsabgaben.
- Aber natürlich, Frau Kollegin Nahles, Schwarzarbeit fällt doch nicht vom Himmel. - Das führt dazu, dass Menschen in die Illegalität ausweichen. Ich halte das für falsch; wir müssen das bekämpfen. Die Konsequenz ist aber doch nicht, künstlich die Löhne zu erhöhen, sondern dass man gemeinsam darüber nachdenkt, wie man Steuerbelastungen und Sozialabgaben reduzieren kann, damit demjenigen, der arbeiten kann, am Ende bei einem angemessenen Brutto auch ein angemessenes Netto verbleibt.
Wenn das dann immer noch nicht reicht, weil ein bestimmter Lohn aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht gezahlt werden kann, dann muss der Staat bei Bedürftigkeit ergänzend einen Transfer gewähren. Dazu haben wir Liberalen mit dem Bürgergeld einen ganz konkreten Vorschlag gemacht: eine negative Einkommensteuer, die sozusagen zum Netto hinzukommt, wenn das erzielte Einkommen nicht ausreicht. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Ich möchte Sie - bei aller Betriebsblindheit, die Sie haben - auffordern, einmal darüber nachzudenken, ob das nicht ein Weg sein könnte.
Herr Präsident, ich bitte Sie, kurz die Uhr anzuhalten. Für mich waren als Redezeit vier Minuten vorgesehen, Sie haben mir aber acht Minuten gegeben. Das würde bedeuten, dass der Kollege Niebel nichts mehr sagen dürfte.
Ich bitte Sie daher, mir von den noch zur Verfügung stehenden 4:56 Minuten nur noch die 56 Sekunden zu lassen, damit der Kollege Niebel noch eine Chance hat.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, das wäre natürlich viel einfacher gewesen, wenn Sie das Plenum jetzt nicht ausdrücklich auf die Lage aufmerksam gemacht hätten.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Wir sind aus den genannten Gründen gegen Mindestlöhne. Wir glauben, dass wir in der Vergangenheit gelernt haben, dass überproportionale Lohnerhöhungen, insbesondere Sockellohnanhebungen, dazu geführt haben, dass geringqualifizierte Beschäftigte aus dem Arbeitsmarkt verdrängt wurden.
Das ist doch das Problem. Da bei Geringqualifizierten die Arbeitslosenquote heute bereits 25 Prozent beträgt, ist es das Gebot der Stunde, diese Problemlage nicht weiter zu verschärfen.
Der Herr Kollege Brandner hat vor kurzem gesagt: Wer einen existenzsichernden Mindestlohn will, der ist gut beraten, vorab keine Zahl festzulegen. - Dann bleibt am Ende doch das offenkundige Dilemma: Ein Mindestlohn, der zu niedrig angesetzt wird, ist wirkungslos. Ein zu hoher Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.
Ich sage Ihnen voraus: Das Einzige, was mit der Einführung von Mindestlöhnen einen Aufschwung erleben wird, Herr Kollege Gysi, ist leider die Schwarzarbeit in Deutschland. Deswegen sollten wir bei dem Vorschlag, den uns die Linke hier unterbreitet hat, sehr vorsichtig sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
Andrea Nahles (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen Mindestlöhne in Deutschland, weil 2,7 Millionen Menschen trotz Arbeit - nicht wegen Arbeitslosigkeit, Herr Kolb, sondern trotz Arbeit - arm sind. Das können wir nicht akzeptieren.
Wir brauchen Mindestlöhne in Deutschland, weil es schön und gut ist, über prekäre Arbeitsverhältnisse zu reden,
aber es den Menschen nicht hilft, wenn daraus keine Konsequenzen gezogen werden. Eine der Konsequenzen ist, dass sich Menschen Auge in Auge mit ihrem Arbeitgeber gegen Lohndrückerei wehren können. Dafür brauchen sie eine Haltelinie nach unten. Auch das ist ein ganz zentraler Grund für Mindestlöhne.
Wir brauchen Mindestlöhne in Deutschland, weil es nicht angehen kann, dass mittlerweile 1 Million Menschen, die arbeiten, aufstockend noch Arbeitslosengeld II bekommen müssen, von denen die Hälfte sogar sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, wobei gerade in den letzten Monaten der Anteil derjenigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und obendrauf ALG II bekommen, gestiegen ist. Das heißt doch nichts anderes, als dass sie so wenig für ihre Arbeit bekommen, dass der Staat einspringen muss. Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Das muss von der Wirtschaft für die geleistete Arbeit erbracht werden.
Auch ordnungspolitisch kann ich das nicht akzeptieren.
Wir brauchen Mindestlöhne in Deutschland, weil wir unsere Hausaufgaben machen müssen. In drei Jahren wird es die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa geben. Deutschland ist ein Land, das an neun Staaten grenzt. Wir müssen an dieser Stelle wahrnehmen, was es bedeutet, wenn wir keine Haltelinien und Mindeststandards definieren. Da hilft es wirklich wenig, in Studien zu schauen, sondern da hilft einfach schlichtes Nachdenken darüber, Herr Kolb, was uns passiert, wenn wir keine Mindeststandards einführen.
Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin das ebenfalls einsieht; das sage ich auch an meine Kollegen der Union. Ich zitiere aus einem Interview der ?Wirtschaftswoche“ mit ihr. Darin hat sie gesagt:
Und dann gibt es ja in 19 europäischen Ländern auch schon einen Mindestlohn: von 1 500 Euro monatlich in Luxemburg bis 116 Euro
- wegen der niedrigen Lebenskosten -
in Lettland. Daran kann ich nicht einfach vorbeigehen und den Bürgern sagen, Mindestlohn ist ordnungspolitisch unsinnig. Punkt! Das würde keiner begreifen.
Wo die Frau Bundeskanzlerin Recht hat, hat sie Recht.
Deswegen sind wir uns an der Stelle, denke ich, auch einig.
Wir brauchen aber nicht nur Mindestlöhne, wir wollen auch Mindestlöhne.
Das ist deswegen gut zu wissen, weil hier von Ihnen, Herr Lafontaine, lieber Oskar,
ein Popanz aufgebaut wurde. Dazu kann ich nur sagen: Ich habe die letzten neun Monate damit verbracht, mit den Einzelgewerkschaften ein gemeinsames Konzept zum Mindestlohn zu erarbeiten.
Das ist gelungen. Es gibt eine gemeinsame Position des Gewerkschaftsrats und der SPD, einen Zweistufenplan.
Die Gewerkschaften haben es nicht als Belastung empfunden, sondern es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass wir sie als Tarifpartner bei der Findung von Mindestlöhnen in Deutschland nicht außen vor lassen. Im Gegenteil, wir sagen ganz klar: Branchenspezifische Mindestlöhne gehen vor. - Die Tarifparteien sind mit im Boot. Das ist eine gemeinsame Position. Man kann hier also nicht so tun, als ob die Gewerkschaften und die Welt darauf warten, dass die staatliche Ebene einfach mal einen Mindestlohn festsetzt. XXXXX
Das kann ich nicht für gut befinden. Wir haben starke Tarifparteien, die im Übrigen, Herr Gysi, weitaus stärker als diejenigen in England sind. Wir sollten sie daher in diesen Prozess einbinden und nicht gegen sie arbeiten und über ihre Köpfe hinweg entscheiden.
Wir wollen Mindestlöhne. Das Entsendegesetz soll dazu auf alle Branchen ausgedehnt werden; das ist ein Angebot. Das bedeutet, dass sich die Tarifpartner zusammensetzen müssen. Die Chance besteht, dass es am Ende branchenspezifische Mindestlöhne gibt und nicht einen pauschalen Mindestlohn über alle Branchen hinweg.
Weil wir die Äußerungen der BDA und speziell die von Herrn Göhner, die wir regelmäßig vernehmen müssen, kennen, sage ich aber auch, dass die Blockade der Arbeitgeber dann ein Ende finden muss, wenn absehbar ist, dass es in bestimmten Branchen - im Gebäudereinigerhandwerk hat man sich geeinigt; hoffentlich gibt es auch bald im Bereich der Zeitarbeit eine allgemeinverbindliche Regelung - zu keiner Vereinbarung kommt. Die Branchen, die sich noch weigern, werden am Ende gegen die Interessen ihrer Arbeitnehmer handeln und mit Konkurrenz, die Dumpinglöhne zahlt, zu tun haben. An dieser Stelle muss sich die Politik einschalten. Gesetzliche Mindestlöhne müssen da greifen, wo es keine branchenspezifischen Vereinbarungen gibt. In diesem abgestuften Verfahren, das ein gangbarer Weg ist, haben wir uns sehr gut positioniert.
Wir brauchen Mindestlöhne. Wir von der SPD wollen Mindestlöhne. Wir haben einen gangbaren Weg aufgezeigt. Aber was die Linkspartei heute vorschlägt, geht leider nicht. Sie sollten sich lieber zusammensetzen und noch einmal darüber diskutieren. Sie schlagen vor, dass ein Mindestlohn in Höhe von 8 Euro gesetzlich vorgeschrieben werden soll. Dabei haben Sie aber das Gefühl, dass diese Grenze willkürlich sein könnte. Sie trauen also Ihrer eigenen Festlegung nicht. Deswegen schlagen Sie einen komplizierten Apparat vor, mit dem Ausnahmen und Stufenpläne ermöglicht werden sollen.
Obwohl Sie einerseits den Gesetzgeber auffordern, einen Mindestlohn von 8 Euro festzulegen, wollen Sie andererseits eine unabhängige Kommission, sozusagen einen Alibi-Mindestlohnrat, einrichten, die die Modalitäten organisieren soll. Ich schlage Ihnen vor: Verabschieden Sie sich von Ihrer populistischen Forderung nach 8 Euro Mindestlohn! Gehen Sie den Weg, den wir vorschlagen!
Auch das ist der britische Weg. Wir sollten es lieber den Tarifpartnern und den Wissenschaftlern überlassen, zu bestimmen, wie hoch der Mindestlohn am Ende sein darf. Die Politik sollte sich nicht zum Tarifpartner aufschwingen. Das sind wir nicht und das wollen wir auch nicht werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreibus?
Andrea Nahles (SPD):
Selbstverständlich. Eine Frage von Herrn Dreibus ist mir immer willkommen.
Werner Dreibus (DIE LINKE):
Kollegin Nahles, nach Ihren Äußerungen habe ich eine Frage, auf die man zwei Antworten geben kann. Können Sie bitte versuchen, mir zu erklären, an welcher Stelle sich unser Antrag von dem unterscheidet, was der DGB-Bundeskongress im Mai beschlossen hat und was alle Einzelgewerkschaften bis auf eine innerhalb des DGB öffentlich zu ihrem Konzept gemacht haben, und wieso der von uns vorgeschlagene Weg aus Ihrer Sicht nicht funktionieren soll?
Andrea Nahles (SPD):
Herr Dreibus, zunächst muss ich sagen: Wenn Sie Konzepte abschreiben, dann bitte richtig.
Als erstes Beispiel dafür fällt mir ein, dass 7,50 Euro ein anderer Betrag ist als 8 Euro. Außerdem sagen Sie, dass von den 8 Euro Mindestlohn nicht abgewichen werden kann und eine unabhängige Kommission eingerichtet werden soll. Der DGB will aber, dass die Tarifpartner eingebunden werden. Ein weiterer entscheidender Punkt ist: Der DGB will keine Ausnahmeregelung für ganze Branchen. Sie schlagen aber ein Stufenkonzept vor, weil Sie anscheinend ein schlechtes Gewissen haben und befürchten, ein Mindestlohn von 8 Euro sei nicht verkraftbar. Das ist aber nicht der Vorschlag des DGB. Wenn Sie es wollen, kann ich Ihnen das gerne belegen.
Es ist legitim, wenn Sie Konzepte abkupfern. Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass der DGB sehr genau weiß, dass eine Regelung bei den Tarifpartnern am Ende besser aufgehoben ist als im Parlament. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, dass vor einer Wahl ein bisschen mehr Mindestlohn versprochen würde und nach der Wahl ein bisschen weniger Mindestlohn herauskäme. XXXXX
Das ist auch meine Überzeugung.
Ich denke, wir sollten uns aufmachen, einen zeitlichen Rahmen und ein Verfahren miteinander zu vereinbaren. Das geht auch an den Koalitionspartner. Wir befinden uns jetzt im Herbst in einem Verfahren, in dem es darum gehen muss, über Niedriglohnbereich, Minijobs, Hinzuverdienstmöglichkeiten, Kombilohn und Mindestlohn zusammen zu diskutieren. Das tun wir gerade auch.
- Das muss man zusammen diskutieren.
Aber machen wir uns nichts vor, hier gibt es offensichtlich Differenzen. Ich sage aber auch: Wenn Sie Kombilohn wollen, dann wollen wir Mindestlohn. Aus unserer Sicht ist auch notwendig, dass wir das nicht auf die lange Bank schieben. Es darf allein schon deshalb nicht auf die lange Bank geschoben werden, weil es in drei Jahren die Arbeitnehmerfreizügigkeit geben wird.
Deshalb wünschen wir uns in diesem Herbst konkrete Vereinbarungen mit Ihnen, bei denen wir auch bereit sind, Kompromisse einzugehen, aber an dem Ziel eines Mindestlohnes werden wir auf keinen Fall rütteln wollen. Es müssen an dieser Stelle alle das Wohl der Bevölkerung im Auge behalten.
Ich sage ganz offen: Mich überzeugen die Argumente der FDP hier nicht.
Sie stellt sich zwar scheinheilig hin und bejammert die Schwarzarbeit. Wenn man das aber weiterdenkt, was Sie immer vorschlagen, dass Löhne genau wie Produkte lediglich dem Marktpreis unterworfen sind, dann kommt als Pointe dabei raus: Lohn null Euro und der Staat bezahlt die Miete.
Das können wir aufseiten der SPD nicht akzeptieren, denn wir wollen, dass es faire Löhne für gute Arbeit gibt, damit die Leute davon leben können. Das, was Sie vorschlagen, ist eine Spirale, die keine Grenze nach unten kennt.
Ich sage auch ausdrücklich: Ich empfinde es mittlerweile als Lohndeflation, was wir hier im Land haben. Die muss gestoppt werden.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weiß, Sie haben hier den Eindruck erweckt, als sei das Problem des Lohndumpings eigentlich im Begriff, sich aufzulösen.
Ich möchte Ihnen sagen, dass sich das Problem in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. 1996 waren es noch 15,9 Prozent, in Zahlen 3,3 Millionen Menschen, die unterhalb der Niedriglohnschwelle gearbeitet haben. Inzwischen ist die Zahl auf 18,4 Prozent oder 3,6 Millionen Menschen angestiegen. Herr Weiß, wir haben einen erheblichen Handlungsdruck. Wenn Sie hier so tun, als sei das bisschen Aufschwung die Lösung des Problems, zeigt das, dass Sie sich mit der Problematik nicht ernsthaft auseinander gesetzt haben.
Herr Weiß, die Anwendung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf zwei von über 1 000 Branchen reicht nicht aus, um das Problem zu lösen; das hätte auch Papst Pius nicht zufrieden gestellt.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen, über welche Lohnhöhe wir überhaupt reden. Wir reden zum Teil über Löhne, die unterhalb von 4 Euro die Stunde liegen.
Jetzt noch einmal speziell an die Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Herr Söder hat in der Debatte um Hartz IV und im Rahmen der Armutsdebatte gesagt, man müsse das ALG II absenken, weil es sonst keinen Anreiz gebe, eine Arbeit aufzunehmen.
Ich gebe hier einmal Folgendes zur Kenntnis: XXXXX
Die Hans-Böckler-Stiftung hat herausgefunden, dass über 2 Millionen Menschen, die aufgrund ihres geringen Einkommens einen Anspruch auf Aufstockung über das ALG II hätten, ihren Anspruch nicht wahrnehmen. Und Sie führen Missbrauchsdebatten! Ich frage die christliche Partei: Wie weit wollen Sie die Mindestabsicherung absenken? Es geht um Löhne von weniger als 4 Euro. Unter welche Schwelle wollen Sie diese Menschen drängen? Darauf möchte ich, insbesondere von den Kollegen von der CSU, einmal eine Antwort haben.
Herr Kolb, Sie erwecken immer den Eindruck, als wären Löhne oberhalb dieses niedrigen Niveaus nicht zu zahlen, weil die Produktivität das nicht hergibt. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass im Niedriglohnbereich im Wesentlichen keine unqualifizierten Menschen arbeiten, sondern fast 80 Prozent dieser Menschen haben eine qualifizierte Ausbildung und einige haben sogar ein Studium absolviert.
Da liegt doch der Gedanke nahe, dass es nicht nur um die Produktivitätsrate der Menschen, sondern um ganz fieses Lohndumping geht.
Die FDP sagt doch auch sonst nicht: Staatliche Eingriffe? Niemals! Wenn es darum geht, Apotheker zu schützen oder mittelalterliche Handwerksordnungen aufrechtzuerhalten, dann regeln Sie sich doch dumm und dämlich. Wenn es um Ihre Klientel geht, fordern Sie staatliche Eingriffe, dann stellen Sie sich vor Ihre Klientel.
Hier wollen Sie doch nur deshalb keine Regelung, weil Ihnen diese Gruppe von Menschen nichts wert ist.
Jetzt noch einmal kurz zu Frau Nahles. In der Beschreibung der Problemlagen sind wir uns einig.
Sogar was die Lösung des Problems angeht, sind wir uns relativ nahe.
Das Problem ist, dass Sie in der letzten Debatte angekündigt haben, dass im September Vorschläge vorgelegt würden. Wir haben jetzt Ende Oktober. Das Laub fällt.
Frau Nahles, der Herbst geht zu Ende. Sie inszenieren Debatten über Armut, tun aber nichts gegen Armut. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Sie weisen auf den Koalitionspartner und auf das, was die Kanzlerin gesagt hat, hin. Das ist doch Pfeifen im Walde. Das wissen Sie doch selber. Die CDU/CSU will einen Kombilohn und Sie wollen einen Mindestlohn. Diese beiden Grundgedanken stehen sich unversöhnlich gegenüber. Sie werden sie nicht so einfach zusammenbinden können, wie Sie hier den Eindruck erwecken, weil ganz unterschiedliche Ideologien dahinter stehen: Wer einen Kombilohn will, der will, dass das fehlende Einkommen vom Staat aufgebracht wird. Wer einen Mindestlohn will, der will, dass das fehlende Einkommen von den Unternehmern ausgezahlt wird. Das sind sehr grundlegende Unterschiede.
Ich glaube, der Versuch, das zusammenzubringen, wird zu ähnlichem Schrott führen wie bei der Gesundheitsreform, wo Sie versucht haben, Kopfpauschale und Bürgerversicherung zusammenzubringen.
Das ist wahrlich nicht im Sinne der Betroffenen.
Eine vernünftige Lösung wird insbesondere deshalb nicht gelingen, weil es Ihnen nicht in erster Linie um die Probleme der Menschen geht, sondern um die eigenen Geländegewinne. Das steht einer produktiven Lösung dieser Probleme entgegen.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge folgendes Szenario: Die SPD steigt in das Mindestlohnmodell. Die CDU/CSU steigt in das Kombilohnmodell. Beide rasen wie wild aufeinander zu. Dabei kommt ein großer Haufen Schrott heraus.
Den versuchen Sie uns hinterher als glänzenden Kompromiss zu verkaufen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion.
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Linksfraktion, festgebissen an Ihrem einzigen Thema,
haben Sie sich nunmehr schon zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode einen Antrag zum Mindestlohn und neue Begriffe wie ?dualer Mindestlohn“ und ?Mindestlohnrat“ ausgedacht.
Bei Stellung des Antrags müssen jedoch die früheren und aktuellen Gewerkschafter aus den Reihen der WASG, die in der diffusen Konstellation mit der PDS heute als Linkspartei firmieren, geschlafen haben, oder, um es noch deutlicher zu sagen: Sie befinden sich sicherlich längst im Winterschlaf.
Elf von 54 Mitgliedern Ihrer Fraktion haben einen gewerkschaftlichen Hintergrund.
Ich erlaube mir, zunächst aus einem nur wenige Tage alten Interview zu zitieren - ich werde Ihnen am Ende des Zitats mitteilen, wer der Interviewte ist -:
Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn würde die Tarifautonomie im Kern beschädigen. Das ist mit uns nicht zu machen. ... Der Mindestlohn ist von herausragender Bedeutung, eben weil es am Ende um die Zukunft der Tarifautonomie geht. Wir befürchten, dass mit einem einheitlichen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn unser Tarifsystem ausgehöhlt wird. ... Auch die IG BAU und die IG Metall hatten den Mindestlohn ursprünglich abgelehnt. Wir hatten da eine gemeinsame Position.
Diese Linien haben dann die beiden Gewerkschaften verlassen.
Frau Nahles, Sie haben das gerade schon festgestellt.
Dieses Zitat ist von niemand anderem als Hubertus Schmoldt, einem Zeitgenossen, der wahrlich nicht im Verdacht steht, Hofberichterstattung für die CDU/CSU-Fraktion betreiben zu wollen.
Vielmehr ist er jemand in den Reihen der Gewerkschaften - er ist Chef der Chemiegewerkschaft -, der zumindest in der Lage ist, den noch vorhandenen Realitätsbezug offen auszusprechen.
Ich darf ein weiteres Zitat bringen. Es ist gerade einmal zwei Stunden alt. Um 9.40 Uhr fragte Frau Cornelia Hirsch von der Linkspartei an diesem Pult: ?Was hat es mit Freiheit ... zu tun, wenn gewerkschaftliche Rechte eingeschränkt werden?“
Ja, was wollen Sie denn? Auf der einen Seite beschneiden Sie die Gewerkschaften in ihren Rechten mit Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn. Auf der anderen Seite wollen Sie starke Gewerkschaften. Das passt doch nicht zusammen.
Sie, Herr Lafontaine, haben gerade hier gestanden und mit einem Presseartikel gewedelt. Das kann ich auch. ?Untaugliches Mittel, verfehlter Zweck. Die fatalen Folgen eines gesetzlichen Mindestlohns“ von Professor Dr. Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ?SZ“ vom 26. September 2006.
?Handelsblatt“, 8. September 2006: ?Mindestlöhne gefährden Minijobs“ ist das Fazit einer Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit. Es seien Hunderttausende Stellen bedroht. Vor allem Frauen wären die Verlierer. Die wollen Sie auf die Verliererstraße schicken, meine Damen von der Linksfraktion.
?Mindestlöhne schwächen Geringqualifizierte. IfW-Studie untersucht Auswirkungen auf Arbeitsmarkt“, ?Handelsblatt“ vom 18. September 2006. Es geht unendlich so weiter.
Frau Nahles, Sie haben ausgeführt, dass Sie in den letzten neun Monaten Gespräche mit den Gewerkschaften geführt haben.
- Ich weiß.
Neun Monate sind ein Zeitraum, in dem man, biologisch betrachtet, etwas zustande bringen kann, das Hand und Fuß hat.
Wir hoffen, dass Ihre Gespräche mit den Gewerkschaften ähnlich erfolgreich sind.
Frau Pothmer, Sie haben mich angesprochen.
Sie haben gefragt, wie sich das christliche Selbstverständnis mit meiner Ablehnung des Mindestlohnes vereinbaren lässt. Sofern Mindestlohn zur Verlagerung, zur Abschaffung von Arbeitsmöglichkeiten für gesellschaftlich Schwache und Geringqualifizierte führt - Frau Pothmer, passen Sie auf -,
ist es der christliche Auftrag, diese Arbeitsplätze zu schützen. Ich komme im Detail noch darauf zurück.
Völlig diametral zur hier vorgetragenen Auffassung der Chemiegewerkschaft steht nunmehr ein erneuter Antrag der Linkspartei. Dahinter steckt nichts Neues. Es handelt sich bedauerlicherweise um dieselbe Realitätsferne, die wir seit langem von Ihnen gewohnt sind. Mit alten Rezepten aus der SED-Zeit,
40 Jahre Staatswirtschaft, werden Sie die Probleme Deutschlands nicht lösen können.
Sie haben die Existenz von Mindestlohn in 18 von 25 EU-Staaten als Argument angeführt. Dieses Thema verdient es, dass man einmal genauer hinblickt. Zum Beispiel im Fall Frankreich, das so hoch gelobt wurde, kann ich dem Argument beim besten Willen nicht folgen. Man kann gut beobachten, was passieren würde, wenn sich der Wunsch der Linkspartei erfüllen sollte. Der französische Mindestlohn, SMIC, liegt derzeit bei 8,25 Euro und wird jährlich angepasst. Dabei wird nicht nur die Teuerungsrate aufgeschlagen, sondern auch die Hälfte des Kaufkraftzuwachses des vom Arbeitsministerium festgestellten Durchschnittslohns. Ich gehe davon aus, dass Sie dies wissen. Betriebsgrößen und Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Branchen werden hierbei jedoch überhaupt nicht berücksichtigt. Seit 2002 stieg der Mindestlohn in Frankreich - auch aufgrund anderer, zum Teil populistischer Maßnahmen - auf diese Weise um 20 Prozent.
Die Folgen: Vor allem auf dem Niedriglohnsektor wurden viele Arbeitsplätze vernichtet. Unternehmen verlagerten ihre Fertigung ins Ausland. Die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt steigt immer weiter. Der Staat bezahlt: für eine Erhöhung des Mindestlohns um 1 Prozent etwa 750 Millionen Euro, weil im Gegenzug Ausgaben gesenkt und Sozialausgaben ausgeweitet werden, und für Arbeitsgelegenheiten auf dem so genannten dritten Arbeitsmarkt, die er schaffen muss, um den durch den Mindestlohn arbeitslos gewordenen Personen - in der Regel handelt es sich um niedrig Qualifizierte, aber auch um Jugendliche - eine Beschäftigung zu bieten. Nein, meine Damen und Herren, das wollen wir nicht.
Auch das Beispiel England, das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, angeführt haben, kann nicht überzeugen. Das Centre for Economic Performance der London School of Economics beispielsweise untersucht seit 1999 die gesamtwirtschaftlichen Effekte des britischen Mindestlohns. Es hat festgestellt, dass die Einführung der Mindestlöhne auf die Beschäftigungsmöglichkeiten von Geringverdienern nur eine sehr begrenzte Wirkung hatte.
Wenn Sie schon auf unsere Nachbarn verweisen, hätte ich mir gewünscht, von Ihnen auch etwas zur Situation in Dänemark, Norwegen, Schweden oder Österreich zu hören.
Diese Länder sind nämlich auch ohne gesetzlichen Mindestlohn beschäftigungspolitisch erfolgreich. Ein Mindestlohn, wie Sie ihn wollen, ist nicht sozial gerecht. Er würde nur Schaden anrichten. Sie müssen auch bedenken, dass die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns Hunderttausende Mini- und Midijobs gefährden würde.
Ich würde zwar gerne noch einige andere Punkte ansprechen. Aber wie ich sehe, läuft meine Redezeit allmählich ab. Da ich nicht die Redezeit meiner Nachfolgerin in Anspruch nehmen möchte, sage ich abschließend: Die Einführung eines Mindestlohns, wie von den Gewerkschaften abermals auf völlig untaugliche Weise gefordert, ist abzulehnen. Ein Mindestlohn hilft uns nicht, unsere Probleme zu lösen. Wenn überhaupt, liebe Frau Kollegin Nahles, könnten wir diesen Gedanken in eine Diskussion über ein Kombilohnmodell einfließen lassen, wenn es darum geht, wie wir in Deutschland die Existenzsicherung der gering Qualifizierten gewährleisten können. Aber dieses Thema eignet sich nicht für dieses Podium.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dank der vorzüglichen Interaktion zwischen den Kollegen Gysi und Kolb kann ich mich nun auf andere Dinge konzentrieren, die Herr Kolb leider noch nicht ansprechen konnte. Herr Kollege Gysi, dafür danke ich Ihnen außerordentlich. Der Vortrag des Kollegen Lafontaine motiviert mich natürlich ganz besonders dazu. Denn seit dem 1. Juni dieses Jahres, als hier eine namentliche Abstimmung zum diesem Thema stattfand, hat sich an der Situation nichts Wesentliches verändert.
Herr Lafontaine, wenn ich mich recht entsinne, waren Sie derjenige, der damals auf dem Mannheimer Parteitag Herrn Scharping als SPD-Vorsitzenden politisch gemeuchelt hat.
Dass Herr Scharping Brutto und Netto nicht unterscheiden konnte und Sie Umsatz und Gewinn nicht unterscheiden können, das sagt einiges über Ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand aus.
Allerdings stellt sich die Frage, ob der Sozialdemokratie mit dem damaligen Wechsel der Parteivorsitzenden tatsächlich gedient war.
Weil ich zur Kenntnis genommen habe, dass Sie sich gestern von mir angegriffen fühlten, aber im Rahmen der gestrigen Aktuellen Stunde keine Zwischenfrage stellen durften, möchte ich Ihnen diese Gelegenheit heute geben. Ich denke, es ist bemerkenswert, dass Sie sich hier als Rächer der Enterbten darstellen und so tun, als wollten Sie Geringverdienern oder arbeitslosen Menschen eine Hilfestellung geben, während ein Mitglied des saarländischen Landesvorstands der Linkspartei, Ihre Frau, Herr Lafontaine - das spreche ich noch einmal an, damit Sie heute Ihre Zwischenfrage stellen können -, in der ?Süddeutschen Zeitung“ zitiert wird. Dieses Zitat lautet wie folgt:
Durch umfassende staatliche Familienberatung lasse sich die ?Reproduktion des asozialen Milieus“ begrenzen.
Ich bin der festen Überzeugung: Wenn jemand Geringverdiener, Arbeitslose oder Menschen, die eine Antriebsschwäche haben, als ?asoziales Milieu“ bezeichnet, das sich durch Familienberatung verhindern ließe, dann wirft das ein bezeichnendes Licht auf die Art und Weise, wie Sie tatsächlich über die Menschen denken, für die einzutreten Sie vorgeben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Niebel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lafontaine?
Dirk Niebel (FDP):
Selbstverständlich. Um dem Kollegen die Möglichkeit zu geben, eine Zwischenfrage zu stellen, habe ich mir erlaubt, dieses Thema heute noch einmal anzusprechen.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Kollege Niebel. Das ist sehr fair von Ihnen. Aber noch viel fairer wäre es gewesen, wenn Sie korrekt zitiert hätten. Meine Frau hat sich mit der Situation von Kindern auseinander gesetzt, die verwahrlosen und misshandelt oder gar umgebracht werden. In diesem Zusammenhang sprach sie von ?asozialem Milieu“. Wenn Sie dieses Zitat derart verfälschen, wie Sie es getan haben, dann sollten Sie sich schämen!
Dirk Niebel (FDP):
Herr Kollege, auch wenn ich in Ihren Ausführungen keine Frage erkennen konnte, möchte ich Ihnen gerne antworten. Ich berufe mich auf Seite 6 der ?Süddeutschen Zeitung“ vom 18. Oktober dieses Jahres. Selbstverständlich werde ich diese Passage dem Protokoll zur Verfügung stellen, sodass Sie dieses korrekte Zitat nachlesen können. Aber ich muss Ihnen sagen: In der Diskussion über vermeintlich neue Unterschichten bzw. in einem solchen Klassenkampf - das würden Sie wahrscheinlich eher postulieren wollen - ist es außerordentlich verwerflich, über Menschen, die in diesem Land nur geringe Chancen haben, in einer derartigen Terminologie zu reden. Das lehnen wir strikt ab.
Ich bin der festen Überzeugung: Die Einführung von Mindestlöhnen trägt nicht dazu bei, dieses Problem zu lösen. Vielmehr wird dieses Problem, insbesondere für gering Qualifizierte, durch Mindestlöhne zusätzlich verstärkt; das ist bereits mehrfach angesprochen worden.
Man muss sich nur einmal die Zahlen vergegenwärtigen: Die Arbeitslosenquote gering Qualifizierter liegt aktuell bei 25 Prozent. Bei Fachkräften beträgt sie 10 Prozent und bei Akademikern 4 Prozent. XXXXX
Ungefähr 50 Prozent, also 1,2 Millionen Menschen, die arbeitslos gemeldet sind und Arbeitslosengeld beziehen, haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist exakt der Personenkreis, der Anlerntätigkeiten sucht, Tätigkeiten, die eine geringe Wertschöpfung, eine geringe Produktivität haben.
Doch wenn die Produktivität einer Arbeit nicht die Kosten des entsprechenden Arbeitsplatzes erreicht, wird diese Arbeit in der legalen Wirtschaft bzw. im Inland nicht mehr angeboten. Genau darum geht es hier.
Ich finde es bemerkenswert, wenn zwei IG-Metall-Funktionäre wie Herr Dreibus und Frau Nahles versuchen, einen Gewerkschaftstag im deutschen Parlament nachzuvollziehen. Genauso finde ich es bemerkenswert, wenn zwei Koalitionspartner wie Union und SPD in der Frage eines Mindestlohns einen Kompromiss zu finden versuchen, obwohl sie auch hier völlig unterschiedliche Konzepte haben.
Das wird natürlich genauso katastrophal enden wie der Versuch, die Bürgerzwangsversicherung mit der Kopfpauschale zusammenzuführen.
Herr Müntefering hat erklärt, er will keinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Argumente für einen solchen hat Frau Nahles genannt. Man kann sie gut oder schlecht finden - er will ihn nicht.
Auch Herr Glos sagt, er will keinen gesetzlichen Mindestlohn. Er argumentiert exakt wie ich: weil dadurch die Chancen für gering Qualifizierte auf Arbeit und damit ihre Möglichkeiten der Teilhabe in diesem Land verschlechtert werden.
Lassen Sie uns den Menschen mit einem Steuer- und Transfersystem aus einem Guss die Möglichkeit geben, entsprechend ihrer Produktivität wieder mitzumachen am Arbeitsmarkt. Früher gab es in fast jedem mittleren Betrieb eine Art Faktotum, einen Menschen, der aufgrund langjähriger Erfahrung vielseitiges Wissen hat und unentbehrliche Hilfstätigkeiten ausführt, etwas positiv Besetztes. Jemanden, der solche Hilfstätigkeiten ausführt, gibt es heute nicht mehr, weil ein entsprechender Lohn von den untersten Tariflohngruppen nicht mehr abgebildet wird. So jemand könnte von der Produktivität her vielleicht 3 bis 4 Euro verdienen. Wenn Sie die Möglichkeit schaffen, dass diese Menschen wieder Arbeit finden, und zwar indem Sie ihren Lohn mit dem System einer negativen Einkommensteuer kombinieren, wie wir es mit unserem Bürgergeld vorschlagen, haben wir viele positive Effekte, die die psychosozialen Folgekosten der Langzeitarbeitslosigkeit minimieren.
Wir haben eine höhere Wertschöpfung, weil der Mensch etwas verdient. Er selbst fühlt sich besser, weil er etwas verdient und etwas ausgeben kann. Und dieser Mensch ist den ganzen Tag beschäftigt und hat keine Zeit mehr für Schwarzarbeit. Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie die Konzepte der Vergangenheit! Machen Sie nicht noch einmal die gleichen Fehler! Diese Konzepte haben zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit offensichtlich nicht funktioniert. Man kann nicht immer mehr Staatsknete verteilen.
Man muss neue Wege gehen. Wir brauchen ein integriertes System aus Steuern und Transferleistungen. Dazu haben wir einen konkreten Vorschlag gemacht - im Gegensatz zur SPD, deren Vertreter die einzigen sind, die sich mit dieser Thematik offenkundig noch nie beschäftigt haben. Kehren Sie um! Geben Sie den Menschen die Möglichkeit, mitzutun!
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion.
Anette Kramme (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Lafontaine, ich erinnere mich nur sehr ungern an Ihre Zeit als Finanzminister,
das Amt, das Sie als Bettvorleger verlassen haben. Früher haben Sie wenigstens noch argumentiert, heute sind Ihre Darstellungen nur noch billig. Sie praktizieren den Populismus, den Sie uns vorwerfen.
Meine Damen und Herren, hören Sie genau zu:
Wer heute Mindestlöhne fordert, kann morgen den Brotpreis durch den Staat festlegen lassen.
Raten Sie einmal, wer diesen skandalösen Satz gesagt hat. Das war Guido Westerwelle. An sich möchte man sagen: Wer sonst?
- Meinetwegen Sie auch, Herr Niebel!
Wer solche Sprüche klopft, der liebt die Menschen nicht, sondern verachtet sie.
Lassen Sie mich eine kurze Zeitreise machen. Am 18. Oktober 1961 hat Deutschland zusammen mit anderen Mitgliedstaaten des Europarates die Europäische Sozialcharta unterzeichnet. Darin geht es auch um den Anspruch auf einen gerechten Verdienst. Mit Art. 4 verpflichteten sich die Vertragsparteien damals, das Recht der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, welches ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Heute, fast auf den Tag genau 45 Jahre später, setzen wir uns mit ebendiesem Punkt wieder auseinander.
Gesetzliche Mindestlöhne gelten in 18 von 25 Mitgliedstaaten der EU. Deutschland ist eines der wenigen Länder ohne Mindestlohn und auch ohne Mindestlohnäquivalent. In Skandinavien beispielsweise ist ein gesetzlicher Mindestlohn nicht vonnöten; denn dort herrscht - glücklicherweise - ein gewerkschaftlicher Organisationsgrad von 80 bis 90 Prozent. Oder nehmen wir Österreich als Beispiel: Dort gibt es eine Tarifbindung von 98 Prozent durch die Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in der Wirtschaftskammer.
In Italien beträgt die durch die Verfassung abgesicherte Tarifbindung 90 Prozent.
Im Frühjahr 2004 hat die SPD die Debatte über existenzsichernde Löhne öffentlich angestoßen. Die Diskussion hält seitdem an. Die Bundesregierung hat angekündigt, noch in diesem Jahr einen Vorschlag dafür zu unterbreiten, wie im Bereich der existenzsichernden Löhne weiter verfahren werden soll. Schon heute werden wir durch den vorliegenden Antrag mit einigen wahrlich kreativen Ideen zu diesem Thema erfreut. Meine Damen und Herren von der Linken, ich hoffe, dass Ihr heutiger Antrag ernst gemeint und nicht wieder nur eine Farce ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in zahlreichen Studien wird belegt, dass der Niedriglohnsektor wesentlich größer geworden ist. In allen Studien wird auf zwei übereinstimmende Fakten hingewiesen:
Erstens sind im Niedriglohnsektor Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwerbstätig. Das Institut für Arbeit und Technik geht davon aus, dass 6 Millionen Menschen und damit knapp 21 Prozent aller Beschäftigten Niedriglöhne erhalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gibt eine ähnliche große Dimension an. Auch die Uni Frankfurt kommt in einer Untersuchung zum dem Schluss, dass 20 Prozent aller Vollzeitbeschäftigen als prekär einzustufende Löhne haben.
Zweitens ist es in den letzten Jahren zu einem starken Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnbereich gekommen. So stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, für die Jahre 1997 bis 2001 einen Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnbereich von 15,6 Prozent auf 17,4 Prozent fest. Eines dürfte durch diese Zahlen belegt werden: Relevant ist schon lange nicht mehr das Ob eines Mindestlohnes, sondern vielmehr das Wie.
Die SPD hat ihre Beschlüsse gefasst. Wir favorisieren ein zweistufiges Modell, um sicherzustellen, dass die Menschen, die in Vollzeit arbeiten, davon auch leben können.
Erste Stufe. Die Lohnfindung ist in Deutschland vor allen Dingen eine Angelegenheit der Tarifvertragsparteien.
Deshalb sprechen wir uns für eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Wirtschaftsbereiche aus, um hierdurch branchenbezogene Mindestlöhne zu erreichen, wie dies im Baugewerbe mit großem Erfolg praktiziert wird. Ich sage ganz klipp und klar: Die im Koalitionsvertrag getroffene Festlegung ist nicht ausreichend.
Zweite Stufe. Für Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt oder in denen diese nicht greifen, und für Branchen, in denen in den Tarifverträgen ein gewisses Niveau des Mindestlohnes unterschritten wird, wird ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Die Einführung erfolgt in einem definierten Übergangszeitraum. Es dürfte dabei falsch sein, wenn der Gesetzgeber den Mindestlohn unmittelbar selbst festlegt, nach dem Motto: Darf es ein bisschen mehr sein, wenn Wahlen anstehen, und ein bisschen weniger, wenn gerade keine Wahlen vor der Tür stehen. - Der Bundestag ist kein Basar, auf dem um die Entgelte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gefeilscht werden darf.
Wir sollten uns deshalb an der britischen Low Pay Commission orientieren. Es ist schön, dass auch die Damen und Herren der Linken dies zumindest im Ansatz erkannt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird insbesondere von der FDP immer wieder behauptet, Mindestlöhne würden schaden und zu einem drastischen Arbeitsplatzabbau führen.
Das ist blanker Unsinn und Panikmache. Nichts weiter!
In Großbritannien zum Beispiel wurde der gesetzliche Mindestlohn seit seiner Einführung im Jahre 1999 um 40 Prozent erhöht.
Im gleichen Zeitraum ging die Arbeitslosigkeit um 25 Prozent zurück. Auch durch die Anhebung des Minimum Wage in San Francisco im Jahre 2004 auf 8,50 Dollar wurden laut einer Evaluierung keine negativen Beschäftigungseffekte ausgelöst.
Noch ein Wort zur Bundestagsfraktion der FDP. Sie bezeichnen Mindestlöhne als maximalen Unsinn.
Ihre Anhänger sind klüger. Die Zahl der Befürworter eines Mindestlohns unter Ihren Anhängern ist in den vergangenen fünf Monaten um 8 Prozentpunkte auf 44 Prozent angestiegen.
Nur noch 49 Prozent lehnen eine gesetzliche Regelung des Mindestlohnes ab. Dies entspricht einer Abnahme von 9 Prozentpunkten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Deutschen Bundestag ist es Zeit für Mindestlohnregelungen.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von der CDU/CSU-Fraktion.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lafontaine, Frau Pothmer, ich habe Ihre beiden Redebeiträge mit Geduld angehört. Dabei drängte sich mir die Frage auf, ob Ihnen der Name Iwan Petrowitsch Pawlow etwas sagt.
Dieser war ein russischer Forscher, der die Theorie aufgestellt hat, dass künstliche Reflexe antrainiert werden können. An dieses Phänomen haben mich Ihre beiden Redebeiträge erinnert. Das war wirklich Beißreflex pur. Der Hund von Pawlow hatte leider nicht die Gabe, seine Reflexe einzustellen. Der Mensch hat Verstand und sollte das - jedenfalls in der Regel - können. Na gut!
Meine Damen und Herren von der Linken, Ihr Antrag ist ein weiteres Werk aus der Reihe ?Populismus pur“. Dies ist besonders bedauerlich, weil das Problem, über das wir reden, viele Menschen in diesem Land betrifft, nämlich keine ausreichende Existenzsicherung durch eigene Arbeit zu haben. Populismus war aber noch nie geeignet, Probleme zu lösen.
In Deutschland gibt es mehr als 2,5 Millionen Menschen, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung arm sind.
Sie arbeiten jeden Tag schwer und haben trotzdem kein ausreichendes Einkommen.
Ich glaube, wir alle kennen Menschen, denen es so geht: Frisöre, Verkäuferinnen und Floristinnen. Gemäß Tariflohn verdienen sie pro Stunde 6,49 Euro, 5,94 Euro oder 4,93 Euro. Ich betone: Das sind Tariflöhne im Westen.
Wer hart arbeitet, sollte davon leben und eine Familie ernähren können. Diese Menschen können es definitiv nicht. Damit stellt sich die Frage: Wie lässt sich ihre Existenz sichern? Als eine Antwort auf diese Frage wird der Mindestlohn diskutiert. Diese manchmal sehr aufgeregte Diskussion wird nicht immer von Sachkenntnis getragen. Es gibt mehrere Möglichkeiten zur Einführung von Mindestlöhnen. Wie auch immer: Es bleibt eine ausschließliche Inanspruchnahme der Arbeitgeber. Die Verantwortung für die Existenzsicherung wird den Unternehmen aufgebürdet. Dies ist aber eine Aufgabe des Staates. Das sehe ich eben anders als Sie, Frau Nahles.
Aufgabe der Unternehmen ist nicht die Existenzsicherung, sondern eine gerechte Entlohnung. Sicher gibt es Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer ausnutzen. Aber Lohnwucher ist sittenwidrig. Dafür gibt es bereits heute ausreichende Regelungen. Gerade in den kleinen und mittelständischen Betrieben werden Sie keinen Lohnwucher finden; denn diese Betriebe leben entgegen Ihrer zum Teil sehr verzerrten Wahrnehmung nicht von, sondern durch und mit ihren Arbeitnehmern.
Wir sprechen - so in meiner Heimat - von Betrieben mit durchschnittlich zwölf Mitarbeitern. Da kennt der Betriebsinhaber jeden Mitarbeiter von Angesicht zu Angesicht, weiß um seine familiären Verhältnisse. Diese Betriebe haben übrigens nicht das Vermögen der so genannten Globalplayer. Inzwischen gibt es nicht wenige Mittelständler in Deutschland, die ihre Altersversorgung auflösen und ihren privaten Besitz belasten, um ihren Betrieb, auch im Interesse der Arbeitnehmer, fortführen zu können.
80 Prozent der deutschen Arbeitnehmer werden von diesem Mittelstand beschäftigt. Am Arbeitsmarkt kann also nicht bestehen, wer Politik zulasten dieser Betriebe macht. Da stellt sich die Frage, wie sich dort ein Mindestlohn auswirken würde. Beim Bau oder bei den Gebäudereinigern stellt die branchenbezogene Mindestlohngrenze ein probates Mittel dar - der Kollege Weiß hat das ausgeführt -, vor allem aus Gründen des Außenschutzes. Deswegen hat die große Koalition reagiert und das Entsendegesetz erweitert. Wir werden in diesem Zusammenhang prüfen, ob eine Erstreckung auf weitere Branchen sinnvoll ist. Das dürfen wir allerdings nur mit und nicht gegen den Mittelstand tun, sonst würden wir weitere Arbeitsplätze vernichten.
Damit würden wir nicht nur die Beschäftigten treffen, sondern wir würden auch denjenigen eine Chance nehmen, die keine Arbeit haben. Ganze Teile unserer Bevölkerung sind vom Arbeitsleben ausgeschlossen. Wir müssen erreichen, dass genau diese Menschen wieder Arbeit finden und eine Perspektive erhalten. XXXXX
Das ist übrigens wirklich eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
Ein gesetzlicher Mindestlohn wird gering qualifizierten oder langzeitarbeitslosen Menschen keinen einzigen neuen Arbeitsplatz bringen. Im Gegenteil, er wird Arbeitsplätze zerstören. Ist er zu niedrig und liegt unter dem gezahlten Marktlohn, ist er wirkungslos. Ist er zu hoch, vernichtet er Jobs.
Und er entlässt den Staat - ich komme darauf zurück - aus einer Verantwortung, die ihn alleine trifft, nämlich für eine Existenzsicherung zu sorgen. Ich zitiere insoweit den Sachverständigenrat:
Die Realisierung von Verteilungs- oder Gerechtigkeitszielen ist ... eine staatliche Aufgabe, die ... nicht ... über Eingriffe in die Lohnfindung in Form gesetzlich vorgeschriebener Mindestlöhne erfolgen sollte.
Jemand, der am ersten Arbeitsmarkt nur ein geringes Einkommen erzielt, muss unterstützt werden; überhaupt keine Frage. Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben können. Aber wir können eben die Gesetze des Marktes nicht außer Kraft setzen. Die soziale Verantwortung der Existenzsicherung trifft uns als Staat.
Aus diesem Grund müssen wir das Arbeitseinkommen fördern. Dazu brauchen wir die Kombination aus eigenem Arbeitseinkommen und ergänzender staatlicher Leistung.
Nur so kann der Niedriglohnsektor belebt werden. Nur so erhalten gering qualifizierte Arbeitnehmer und Langzeitarbeitslose die Chance auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Das ist sozial gerecht.
Lassen Sie es mich abschließend mit Abraham Lincoln sagen - und das an die Adresse der Linken -:
Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen, indem ihr die ruiniert, die sie bezahlen. Ihr werdet keine Brüderlichkeit schaffen, indem ihr Klassenhass schürt.
Recht hatte er.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kollegin Angelika Krüger-Leißner von der SPD-Fraktion das Wort.
Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat heute wieder einmal gezeigt, dass man dem Thema Mindestlohn nicht gerecht werden kann, wenn man es sich sehr leicht macht. - Ich schaue in bestimmte Richtungen.
Für mich gab es immer einen guten Grund, dass wir in Deutschland zu diesem Instrument bisher nicht gegriffen haben, auch um eine starke Tarifautonomie zu erhalten; denn die Lohnbildung zwischen starken Tarifpartnern hat für mich einen hohen Stellenwert und ist das bessere Mittel im Vergleich zu einer politischen Festlegung.
Aber die Situation in Deutschland hat sich geändert; das müssen wir feststellen. Der Markt regelt immer mehr die Tarife und er regelt sie nicht gut. Ich sage: Jede Zeit braucht ihre Antworten, auch in Bezug auf die Mindestlöhne. Gerade in Ostdeutschland merken wir immer mehr, dass tarifliche Löhne nicht eingehalten werden.
Die Tarifbindung liegt in Ostdeutschland mittlerweile unter 45 Prozent. Im Westen sind es noch 63 Prozent, aber mit sinkender Tendenz.
Selbst wenn die Tarife eingehalten werden, liegen die Löhne oft weit unter dem, was einer einigermaßen fairen Entlohnung entspricht:
3,06 Euro für eine Friseurin in meinem Heimatland Brandenburg, 4,15 Euro für den Wachdienst, um nur einige Beispiele für Dumpinglöhne zu nennen. Das dürfen wir aus meiner Sicht nicht mehr zulassen. Das hat mit Würde, Anstand und Gerechtigkeit nichts mehr gemein. ZugleicVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/1878 und 16/2978 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 d auf:
15. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz)
- Drucksache 16/2950 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz)
- Drucksache 16/2921 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung schließen
- Drucksache 16/821 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
(f)
Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Anti-Terror-Gesetze - Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der Betroffenen verbessern
- Drucksache 16/2081 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Wolfgang Schäuble das Wort.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 58. Sitzung - wird am
Montag, den 23. Oktober 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]