64. Sitzung
Berlin, Freitag, den 10. November 2006
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Ohne weiteren Verzug rufe ich die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/3150, 16/3321 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/3150, 16/3151, 16/3322 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
Außerdem liegt zu dem Regierungsantrag ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, SPD-Fraktion.
Hans-Ulrich Klose (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte knüpfen wir an jene Debatte an, die wir vor wenigen Wochen in diesem Hause geführt haben, als es um die Verlängerung des ISAF-Mandates ging. Schon damals haben wir nicht nur über dieses ISAF-Mandat gesprochen, sondern auch ganz allgemein über die Lage in Afghanistan, die von der Bundesregierung in dem von ihr vorgelegten Konzept angemessen - will sagen: realistisch, aber nicht resignativ - beurteilt wird.
Dieses Urteil wird durch den Brief der beiden zuständigen Minister zur Beteiligung deutscher Streitkräfte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus aus Anlass der jetzt anstehenden Entscheidung über das Mandat ?Enduring Freedom“ ergänzt. Auch dieser sehr knapp gehaltene - vielleicht zu knapp gehaltene - Brief vom 6. November macht deutlich, dass über Afghanistan nicht geurteilt werden kann, ohne zugleich über beide Mandate zu sprechen.
Das Mandat ?Enduring Freedom“ ist ein Kampfmandat. Mit ihm wird auf die Anschläge vom 11. September 2001 reagiert. Es wird durch die zweimalige Feststellung des UN-Sicherheitsrates legitimiert, dass die Angriffe auf New York und Washington den Weltfrieden gefährden und dem angegriffenen Land, den USA, jedes Recht auf Selbstverteidigung zusteht.
Die Regierung der USA hat sich seinerzeit für ihren Verteidigungskrieg gegen al-Qaida und die Taliban in Afghanistan nicht auf die NATO-Allianz gestützt, sondern auf eine Koalition der Willigen. Ich habe das für einen Fehler gehalten, weil für mich der Gedanke der Bündnissolidarität immer besonderes Gewicht hatte und hat.
Die NATO, so glaube ich, wäre heute und morgen stärker, wenn dies auch die Regierung der Vereinigten Staaten seinerzeit so gesehen hätte.
Das ISAF-Mandat ist später hinzugekommen. Es soll die so genannten Bonner bzw. Petersberger Vereinbarungen, das heißt den politischen Prozess und den materiellen Wiederaufbau des Landes, abstützen. ISAF ist kein Kampfmandat, sondern, wie der Name sagt, ein Sicherheitsunterstützungsmandat; denn es heißt ?Security Assistance“. ISAF war zunächst auf den Großraum Kabul beschränkt, ist aber über die Jahre, vor allem nach Einrichtung der so genannten Provincial Reconstruction Teams, weit über den Raum Kabul hinaus auf ganz Afghanistan ausgedehnt worden.
Die Besonderheit des Mandats, das heute von der NATO geführt wird, besteht aus unserer - aus deutscher - Sicht in der chancenreichen Vernetzung von militärischen Sicherheitsvorkehrungen mit konkreter Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe, also der Zusammenarbeit von Soldaten und Zivilisten bzw. Nichtregierungsorganisationen. Die Bundesregierung betont wegen dieser besonderen militärisch-zivilen Vernetzung immer wieder die Unterschiedlichkeit der beiden Mandate. Sie will eine Belastung des ISAF-Mandats durch Kampfeinsätze vermeiden, was nicht ganz einfach ist; denn zum einen haben die Antiterroreinsätze des Mandats ?Enduring Freedom“ Auswirkungen auf die allgemeine Sicherheitslage - zumindest können sie diese haben -, zum anderen werden die ISAF-Soldaten vor allem im Süden Afghanistans immer häufiger von den wieder erstarkten Taliban angegriffen und in regelrechte Kampfhandlungen verwickelt, die sie bisweilen nur mit Unterstützung durch Kräfte des Kampfmandats überstehen können.
Die militärische Lage ist schwieriger geworden - nicht nur, aber vor allem im Süden und Osten des Landes. Um es zu wiederholen: Die Taliban sind wieder erstarkt und besser bewaffnet als zuvor. Sie rekrutieren ihre Kämpfer im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, das auf beiden Seiten der Grenze weitgehend unkontrolliertes Stammesgebiet ist. Sie dort zu besiegen, ist nahezu ausgeschlossen. Jedenfalls reichen dafür - so der ISAF-Kommandant David Richards - die bisher in Afghanistan eingesetzten internationalen Truppen nicht aus. Sie genügen aber, so Richards weiter, um die Lage in Afghanistan so zu verbessern, dass ?die Leute hier mit uns und mit ihrer Regierung zufrieden sind“.
Dass sie derzeit zufrieden seien, behauptet Richards klugerweise nicht. Seine insoweit eher skeptische Lagebeurteilung deckt sich weitestgehend mit unserer und mit der des UN-Beauftragten Tom Koenigs. Letzteren zitiere ich aus einem Interview, das in der ?Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 5 November 2006 abgedruckt wurde. Zitat eins:
Der Aufstand kommt aus den Dörfern, wo die Entwicklungshilfe nur schleppend eintrifft. Auch Reformen der Regierung haben nicht gegriffen. Zum Teil sind sie auch gar nicht erwünscht. Auf dem Land redet man über Familie, Religion und Ernten, und auf keinem dieser Gebiete konnte die jetzige Regierung bisher etwas bieten.
Zitat zwei:
Wahrscheinlich hätte man den lokalen und regionalen Strukturen viel mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Entwicklungshilfe heißt auch: Ausstattung mit Sicherheitskräften, von Gerichten und Verwaltungsstrukturen. Daß dies vernachlässigt wurde, sieht man jetzt.
Zitat drei:
... die Korruption und manche Fehler der internationalen Streitkräfte haben viele Bürger in die Opposition getrieben. Da greift man hier eben schnell zur Waffe.
Tom Koenigs, der kein Militär, sondern ein konflikterfahrener ziviler Administrator ist, urteilt am Ende des Interviews wie folgt:
Meiner Meinung nach muß man auch in Deutschland unbedingt bedenken, daß der Konflikt zwar nicht allein militärisch zu gewinnen ist, daß die Nato aber auch nicht verlieren darf. Es muß umfangreiche Entwicklungshilfe geben, und es braucht auch politische und diplomatische Initiativen in Richtung Pakistan. Und: Es muß eine gewaltige militärische Anstrengung gemacht werden, um eine Niederlage zu verhindern.
Ich teile diese Einschätzung und wiederhole deshalb hier, was ich in der Debatte am 28. September gesagt habe:
Ich will, dass die NATO-Länder in Afghanistan erfolgreich sind, damit Afghanistan an Zukunft gewinnt und die NATO ihre Glaubwürdigkeit behält. Die NATO darf nicht scheitern. ... Sie braucht aber dringlich eine abgestimmte und in den Prioritäten veränderte Strategie: ... Mit militärischen Mitteln allein ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht zu gewinnen ...
Ich wiederhole das: Mit militärischen Mitteln allein nicht!
Wer aber meint, er könne ganz und gar auf militärische Mittel verzichten, der redet sich die Lage schön. Manch einer, der so redet, weiß das auch, was die Sache nicht besser macht. Zweifel sind erlaubt. Reden wider besseres Wissen nicht.
Ich will es nicht verschweigen: Auch in der SPD gibt es natürlich Zweifel. Niemand ist frei von Zweifeln, wenn es um die Entscheidung über militärische Einsätze geht. Auch ich bin es nicht. Ich glaube aber zu wissen, dass die Abkehr vom Mandat ?Enduring Freedom“ zu diesem Zeitpunkt ein ganz und gar falsches Signal wäre.
Das würde von den Taliban und dem vernetzt agierenden internationalen Terrorismus als Zeichen westlicher Schwäche und als Beweis für die Wirksamkeit der eigenen terroristischen Strategien gewertet werden. Das darf nicht sein. Das dürfen wir nicht zulassen.
Wir Politiker haben es uns angewöhnt, englische Formeln und Kürzel einfach so zu übernehmen.
Was heißt ?Enduring Freedom“ eigentlich? Das Wort ?enduring“ kann adjektivisch, aber auch als gerundive Ableitung des Verbums ?to endure“ verstanden werden. Im ersten Fall hieße die Übersetzung ?andauernde, bleibende Freiheit“, im zweiten Fall ?Freiheit dauerhaft gestalten bzw. sichern“. Ich glaube, dass die zweite Übersetzung treffend ist. Sie entspricht der Logik des Geschehens.
Um noch einmal auf Tom Koenigs zurückzukommen. Auf die Frage, wie derzeit die Stimmung in Kabul ist, antwortet er:
Alle haben Angst davor, daß sich die Welle der Selbstmordattentate ausdehnen könnte. Und davor, daß der internationalen Gemeinschaft der Atem ausgeht. Man befürchtet, daß Afghanistan wieder ins Chaos des Bürgerkriegs zurückfällt.
Ich sehe das genauso. Die Bedrohung unserer Freiheit durch den internationalen Terrorismus ist eine Herausforderung, die uns noch lange, wahrscheinlich noch Jahrzehnte, beschäftigen wird. Wir können sie nur bestehen, wenn wir uns auf einen lang andauernden Konflikt einstellen und den Menschen hier und in Afghanistan genau das sagen. Unsere Entscheidung hier und heute muss der Erkenntnis folgen: Freiheit dauerhaft gestalten und sichern - darauf kommt es an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.
Birgit Homburger (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die Verlängerung des Mandats für die Operation ?Enduring Freedom“. Diese Entscheidung ist der FDP-Bundestagsfraktion nicht leicht gefallen.
Wir haben in den letzten Wochen immer wieder schlechte Nachrichten aus Afghanistan erhalten. Es entsteht der Eindruck, dass es in Afghanistan eher Rückschritte als Fortschritte gibt. Das führt in allen Partnerländern und zwischen den Partnern zu Diskussionen, auch über die Frage, wo Truppen stationiert werden sollen. Es wird immer wieder befürchtet - mein Vorredner hat das schon angesprochen -, dass die internationalen Partner in Afghanistan scheitern könnten. Das alarmiert uns.
Deshalb haben wir schon bei der Verlängerung des ISAF-Mandats gesagt, dass es eine Gesamtkonzeption für Afghanistan geben muss. Ich sage ganz deutlich: Dennoch stimmt die FDP dieses Mal dem Mandat zu. Erstens, weil die Operation ?Enduring Freedom“ mehr beinhaltet als nur den Einsatz in Afghanistan. Sie beinhaltet auch den Einsatz gegen den Terrorismus am Horn von Afrika und die NATO-Seeüberwachung im Rahmen von ?Active Endeavour“ im Mittelmeer.
In Richtung der Grünen sage ich ganz klar: Der Vorwurf, den Herr Kurnaz gegen die KSK erhebt, muss auf jeden Fall aufgeklärt werden - deswegen haben wir einen Untersuchungsausschuss eingerichtet -, er ist bisher aber in keiner Weise bestätigt. Ein solcher Vorwurf rechtfertigt nicht den kompletten Rückzug aus der Operation ?Enduring Freedom“.
Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen dem Mandat für die Operation ?Enduring Freedom“ und dem ISAF-Mandat, das wir gerade erst hier, im Deutschen Bundestag, verlängert haben. Für die FDP-Bundestagsfraktion - das sage ich ganz deutlich - kommt es nicht infrage, unilateral aus einer solchen Mission auszusteigen. Gerade angesichts der Situation, die jetzt innerhalb des Bündnisses, aber auch innerhalb der NATO vorherrscht, wäre das ein verheerendes Signal.
Sehr wichtig für uns ist, dass ein Mandat realistisch ist. Das von der Bundesregierung vorgesehene Mandat sieht eine Reduzierung der Oberzahl der einzusetzenden Soldaten um 1 000 auf 1 800 vor. Damit ist eine wesentliche Forderung der FDP erfüllt. Auch das ist ein Grund für uns, zuzustimmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Birgit Homburger (FDP):
Bitte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte, Herr Kollege Nachtwei.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Kollegin Homburger, warum hielten Sie es für ein verheerendes Signal, wenn die deutsche Seite erklärte, dass sie nicht mehr an der ?Koalition der Willigen“ bei ?Enduring Freedom“ teilnimmt, haben aber kein Problem damit, sich einer EU-Mission im Kongo oder einer VN-Mission im Libanon zu verweigern?
Birgit Homburger (FDP):
Herr Kollege Nachtwei, bei den von Ihnen angesprochenen Fällen ging es um die Erteilung eines Mandats, nicht um seine Verlängerung. Wir haben an der Kongomission kritisiert, dass es keine Konzeption gibt für die Stabilisierung des Landes, wenn die Truppen abgezogen sind, was demnächst der Fall sein wird. Was das UNIFIL-Mandat angeht, haben wir in einer intensiven Diskussion deutlich gemacht, dass wir der Meinung sind, dass wir uns die Möglichkeiten erhalten sollten, diplomatisch zu vermitteln. Doch hier, an dieser Stelle, geht es nicht um ein neues Mandat, es geht um die Fortsetzung eines bestehenden Mandats, eines Mandats, dem auch Ihre Fraktion einmal zugestimmt hat. Was jetzt aus Ihrer Fraktion an Einwänden vorgebracht wird - von Herrn Kuhn, aber auch von Ihrem Bundesvorsitzenden, Herrn Bütikofer -, ist, mit Verlaub gesagt, scheinheilig.
All diese Einwände hätten Sie schon beim ISAF-Mandat vortragen müssen. Doch diesem haben Sie zugestimmt. Deswegen ist das, was Sie jetzt machen, in keiner Weise nachvollziehbar.
Wir müssen über ein politisches Gesamtkonzept sprechen. In einer gemeinsamen Unterrichtung des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums ist deutlich gemacht worden, dass die politischen Maßnahmen von ganz besonderer Bedeutung sind. Das unterstreichen wir ausdrücklich. Aber es reicht eben nicht, dass wir auf UNO-Ebene Resolutionen gegen den Terrorismus verabschieden. Vielmehr müssen vor allen Dingen in Afghanistan Fortschritte erzielt werden. In einem Jahr, wenn dieses Mandat ausläuft, wird man hier im Deutschen Bundestag erneut darüber sprechen müssen. Bis dahin müssen deutliche Fortschritte in Afghanistan erkennbar sein. Sonst ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, warum wir uns weiter beteiligen sollen.
Deswegen steht für uns im Mittelpunkt: Es braucht insgesamt Reformen, es braucht Gespräche.
Erstens. Das Auftreten einiger Partner in Afghanistan im Zusammenhang von ISAF und OEF führt zu Beeinträchtigungen. Ich glaube, darüber müssen wir sprechen. Man darf nicht als Besatzer auftreten, sondern man muss die Herzen der Menschen gewinnen. Wir brauchen eine Art Verhaltenskodex.
Zweitens. Die bessere Verzahnung der Maßnahmen, die zivil-militärische Zusammenarbeit, ist für uns zentral. Hier muss es Fortschritte geben. Wenn Minister Jung das heute öffentlich einfordert, kann ich das nur unterstützen. Es ist dringend notwendig. Wir werden Sie in einem Jahr daran messen, welche Fortschritte es bei der Verzahnung ziviler und militärischer Vorhaben gegeben hat.
Drittens. Wir brauchen dringend Fortschritte beim Aufbau des Polizeiwesens. Hier hat die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle übernommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Anstrengungen deutlich zu verstärken, aber auch mit den Afghanen zu sprechen. Es kann nicht sein, dass Vetternwirtschaft und Korruption an der Tagesordnung sind. Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion mitgeteilt, dass bei der Besetzung von Polizeistellen Kandidaten der Vorzug gegeben wurde, die von ihr nicht vorgeschlagen worden waren, und schließt daraus, dies beeinträchtige das Beratungsmandat. Das ist deutliche Kritik. Deswegen ist es dringend erforderlich, der afghanischen Seite deutlich zu machen, dass Hilfe eigene Anstrengungen gegen Korruption voraussetzt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Homburger, berücksichtigen Sie die Zeit?!
Birgit Homburger (FDP):
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte. Es geht uns auch um eine bessere Kontrolle solcher Mandate durch das Parlament, insbesondere was den Einsatz des KSK, den dieses Mandat beinhaltet, angeht. Wir haben klar gesagt, dass das Parlament das Recht braucht, von der Regierung informiert zu werden. Das ist wichtig, weil ein Einsatz des KSK, das verdeckt operiert, zu einer Mystifizierung führt, die, verbunden mit Gerüchten, Mutmaßungen und Verdächtigungen Vorschub leistet.
Daran kann auch die Regierung kein Interesse haben. Deswegen gehen wir davon aus, dass wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass das Parlament über diese Einsätze zukünftig besser informiert wird.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der bisherige Verlauf der Debatte veranlasst mich, einige klarstellende Bemerkungen zum Mandat für die Operation ?Enduring Freedom“ zu machen.
Erster Punkt. Auch wenn wir hier sicherlich eine Debatte über die Erfolge in Afghanistan und darüber führen, was in Afghanistan noch zu verbessern ist - ich werde dazu gleich noch etwas sagen -, so muss doch deutlich werden, dass sich dieses Mandat nicht allein auf Afghanistan bezieht, sondern dass der gesamte Krisenbogen vom Maghreb über das Horn von Afrika, die arabische Halbinsel und Zentralasien bis hin zum Nordkaukasus mit einbezogen wird.
Ich werde im Laufe meiner Rede auch noch darauf eingehen, welche Entwicklungen es dort gibt - ein Stichwort ist zum Beispiel Somalia -, die wir mit zu berücksichtigen haben.
Zweiter Punkt. Der Kollege Klose hat den Ausdruck ?Koalition der Willigen“ in diesem Zusammenhang zutreffend verwendet. In der Tat teile ich seine Kritik, dass es besser gewesen wäre, die Bündnissolidarität unmittelbar nach dem 11. September 2001 zu betonen. Der Ausdruck ?Koalition der Willigen“ hat bei uns eine Konnotation erhalten, als handele es sich dabei um Ad-hoc-Bündnisse, die außerhalb völkerrechtlicher Vereinbarungen und Grundlagen bestehen.
- Frau Kollegin Knoche, das trifft für dieses Mandat ausdrücklich nicht zu; denn dieses Mandat fußt auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage in Form von mehreren Resolutionen der Vereinten Nationen so wie Art. 5 des NATO-Vertrages.
Auch die Diskussion, die in den internationalen Gremien - in der Europäischen Union, in der NATO und vor allem auch in den Vereinten Nationen - seitdem geführt worden ist und fortgesetzt wird, zeigt, dass es eben nicht nur um den Einsatz von Militär geht, sondern dass es ein Vorhaben der gesamten internationalen Gemeinschaft ist, den Terrorismus umfassend zu bekämpfen und sich seiner Ursachen anzunehmen. Die Operation ?Enduring Freedom“ ist dafür kein hinreichender, aber ein wesentlicher und wichtiger Beitrag, der in ein politisches Gesamtkonzept eingebunden ist und auch weiterhin eingebunden bleibt.
Dritter Punkt. Ich will im Zusammenhang mit dem Einsatz des KSK auch auf die Information des Parlaments eingehen. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als gehe es bei diesem Mandat insbesondere um die Verlängerung des KSK-Einsatzes in Afghanistan. Das ist in dieser Schlichtheit ebenfalls nicht richtig. Aufgrund dieses Mandats werden zwar auch wieder 100 Kräfte für den KSK-Einsatz in dem von mir beschriebenen geografischen Raum zur Verfügung gestellt, aber es geht ausdrücklich nicht alleine um den Einsatz des KSK in Afghanistan.
In diesem Zusammenhang will ich auch darauf hinweisen, dass seit der Regierungsübernahme der großen Koalition kein einziger KSK-Soldat im Rahmen der Operation ?Enduring Freedom“ eingesetzt worden ist. Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht darauf hin, dass der letzte Einsatz im Mai 2005 stattgefunden hat und dass im Oktober 2005 - also vor der Regierungsübernahme der großen Koalition - die letzten KSK-Soldaten aus Afghanistan abgezogen worden sind. Deswegen finde ich es, freundlich gesagt, problematisch, dass die Grünen einen Vorgang, für den sie selbst die Regierungsverantwortung getragen haben, jetzt zum Anlass nehmen, diesem Einsatz nicht weiter zuzustimmen.
Auch die vorgelegte Argumentation ist nicht überzeugend. Sie könnten eigentlich nur sagen, dass Sie die Operation ?Enduring Freedom“ nicht weiter fortsetzen wollen, es sei denn, dass Sie die Position vertreten, dagegen zu stimmen, weil die Mehrheit im Hause sowieso gesichert ist. Das wäre aber nicht sonderlich verantwortungsvoll und das will ich Ihnen auch nicht unterstellen. Das heißt, Ihre Ablehnung könnte nur dann Sinn machen, wenn Sie wirklich der Überzeugung wären, dass wir uns aus dieser Operation zurückziehen sollten und dass - das müsste ja die nächste politische Forderung sein - diese Operation nicht weiter fortgesetzt werden sollte. Das würde wiederum die politische Analyse voraussetzen, nach der sich die Situation in Afghanistan Ihrer Meinung nach so weit stabilisiert hat, dass man auf die Operation ?Enduring Freedom“ dort und auch in anderen Regionen verzichten kann.
Diese Analyse ist doch wirklich abenteuerlich. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihren Redebeiträgen in dieser Debatte darauf eingehen würden, was Ihr eigener Parteifreund Tom Koenigs - Herr Klose hat in seiner Rede aus diesem beeindruckenden Interview mehrfach zitiert - zur Lage in Afghanistan gesagt hat, und wie Sie sich vorstellen, wie der erforderliche militärische Beitrag ohne ?Enduring Freedom“ gewährleistet werden kann.
Eines ist völlig klar: Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, dann wäre die Anforderung an uns, im Rahmen des ISAF-Mandates mehr Truppen in den Süden zu schicken, daraus die logische Konsequenz. Sie würden kein vernünftiges Argument finden, diese Anforderung zurückzuweisen. Bündnissolidarität innerhalb der NATO kann nicht so funktionieren, dass die einen allein die Verantwortung für Stabilisierungsaufgaben und die anderen allein die für Kampfeinsätze übernehmen. Das kann nicht funktionieren.
Wer Bündnissolidarität und Konsultationen im Bündnis möchte, der muss zu einer Arbeitsteilung, einem Burden Sharing bereit sein, sodass die gefährlichen Einsätze eben nicht nur auf den Schultern der einen und die Stabilisierungsaufgaben, so schwierig sie auch sein mögen, auf den Schultern der anderen abgeladen werden.
Die Bundesregierung selbst spricht davon, dass wir es in Afghanistan mit einem zweigeteilten Land zu tun haben. Es ist offensichtlich, dass die Schwierigkeiten, die mit ?Enduring Freedom“ bekämpft werden sollen und auch bekämpft werden, insbesondere im Süden und Südosten des Landes auftreten. Daraus aber die Konsequenz zu ziehen, sich aus der Operation ?Enduring Freedom“ zurückzuziehen, ist nun wirklich unverantwortlich und mit der Analyse und der wichtigen Arbeit, die Tom Koenigs für die Vereinten Nationen in Afghanistan leistet, nicht vereinbar. Das ist in Ihrer eigenen Argumentation ein unüberwindbarer Widerspruch.
Ich will kurz einen Punkt aufgreifen, den auch der Kollege Klose angesprochen hat: Ich bin mir nicht sicher, dass sich die Bundesregierung mit dem hier festgelegten Truppenansatz für das gesamte Jahr der Mandatsdauer die erforderliche Flexibilität erhält, die nötig ist, wenn wir den Terrorismus in Afghanistan, aber auch in anderen Ländern engagiert bekämpfen wollen. Ich gehe davon aus, dass dieser Entscheidung eine sorgfältige Analyse zugrunde gelegen hat, auf deren Basis uns die erforderlichen Reserven bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Verfügung stehen. Es ist eine militärische Binsenweisheit, dass man ohne die erforderlichen Reserven nicht in eine solche Auseinandersetzung ziehen darf.
Ich will etwas zu der Frage der politischen Begleitung, der Plafondierung des Kampfes gegen den Terrorismus sagen. Dabei will ich gleichzeitig deutlich machen, dass ich den Begriff ?Kampf gegen den Terrorismus“ im Grunde für falsch halte. Beim Terrorismus geht es an sich nicht um eine Ideologie, sondern es geht beim Terrorismus um eine Methode, mit der eine Ideologie durchgesetzt werden soll. Bei dieser Ideologie handelt es sich um eine extremistische Spielart, eine Denkschule innerhalb des Islam, die totalitär ist, die keinen Unterschied zwischen Politik und Religion macht, die religiöse Toleranz nicht kennt und der jedes Mittel recht ist, die eigenen Interessen und die eigene Ideologie durchzusetzen.
Diese Spielart des islamistischen Extremismus gibt es spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie hat mit der Gründung der Muslimbrüderschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in Ägypten erstmals organisatorisch Gestalt angenommen und damit in den politischen Kampf Eingang gefunden. Sie ist vor allem eine Bewegung, die innerhalb des Islam kämpft. Deswegen ist die Analyse, die wir immer wieder hören, wonach bei allen auftretenden Schwierigkeiten im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus der Kernkonflikt die Auseinandersetzung zwischen den Israelis und den Palästinensern sei, falsch. Richtig ist - das sehen wir bei der Auseinandersetzung innerhalb der palästinensischen Gebiete -, dass die Auseinandersetzung im Islam stattfindet,
und zwar zwischen der radikalen Bewegung auf der einen Seite und den moderaten Kräften auf der anderen Seite.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie soeben Ihre Definition von ?Terrorismus“ ganz auf den Islam fokussiert haben?
Habe ich Sie auch richtig verstanden, dass Sie dabei den Terrorismus des christlichen Fundamentalisten George Bush völlig ausklammern?
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Der zweite Teil Ihrer Frage, Herr Kollege, ist selbst unter Ihrem Niveau.
Zum ersten Teil will ich nur sagen: Ich bin dabei, eine extremistische Tendenz innerhalb des Islam zu beschreiben. Das heißt überhaupt nicht, dass wir nicht auch andere Formen des Terrorismus kennen. Gerade die Geschichte Ihrer Partei zeigt, dass es in der Geschichte unseres eigenen Landes auch andere Formen des Terrorismus gegeben hat. Wenn Sie Interesse daran haben, können wir uns darüber gerne einmal etwas länger unterhalten.
- Nein, Herr Kollege Lafontaine, ich spreche - aber diese Form der Geschichtsverdrängung ist bei Ihnen auch nichts Neues - zum Beispiel von den Terroristen der RAF, die unter anderem in der DDR Unterschlupf gefunden haben und deren Ausbildung in der arabischen Welt auch von Ihrer Partei mit koordiniert worden ist.
Die Rechtsnachfolge haben Sie aus politischen Gründen bewusst nicht gebrochen.
Es ist Ihre Sache, wenn Sie Interesse daran haben, diese Diskussion zu führen. Ich finde, sie gehört jetzt nicht hierher. Terrorismus im umfassenden Sinne und seine Erscheinungsformen bilden jedoch ein Kapitel, über das in diesem Zusammenhang zu reden ist.
Zurück zur Frage des islamistischen Fundamentalismus. Die Folge daraus und die Konsequenz für unser eigenes Handeln ist, dass wir darauf achten, die moderaten Kräfte innerhalb des Islam zu unterstützen. Das ist ein wesentlicher Punkt dieses politischen Konzepts. Dabei müssen wir insbesondere auch auf die Transformation achten, die dafür erforderlich ist. Das Ansehen der Fatah-Bewegung in den palästinensischen Gebieten hat deswegen so sehr gelitten, weil sie als korruptionsanfällig gilt. Deswegen ist es unsere Aufgabe, einerseits die moderaten Kräfte zu stärken, andererseits aber auch auf eine Transformation in der islamischen Welt hinzuwirken, die Korruption bekämpft und dafür sorgt, dass erste Standards insbesondere in der Rechtsstaatlichkeit eingeführt werden, damit die Menschen in der Region erkennen, dass das Unternehmen, das wir gemeinsam gegen den islamistischen Fundamentalismus, gegen den Terrorismus führen, auch in ihrem Interesse ist.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Entwicklung in Somalia sagen. Wir müssen leider feststellen, dass sich die Sicherheitslage am Horn von Afrika durch die politischen Unruhen erheblich verschlechtert hat. Die Bundesregierung geht in ihrem Bericht darauf ein. Wir stellen fest, dass auch dort zur Stabilisierung der Handelswege, zum Schutz eines friedlichen Austausches der Einsatz der Bundeswehr weiterhin erforderlich ist. Insbesondere die Gefahren, die mit dem Umsturz und den politischen Unruhen, die wiederum beispielsweise zu einem Anstieg der Piraterie in dieser Region geführt haben, verbunden sind, müssen von ?Enduring Freedom“ entschlossen angegangen werden.
Es gibt immer mehr Schwierigkeiten aufgrund der Verknüpfung der Gefahren in der internationalen Politik. Wir können zum Beispiel die Frage der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht mehr so vom islamistischem Extremismus, von Failing States trennen, wie das vielleicht noch unmittelbar nach 9/11 der Fall gewesen ist. Deswegen kommen neue und wichtige Aufgaben auf uns zu.
Die Fortsetzung dieses Mandats ist erforderlich, damit wir die kommenden Gefahren abwehren und den politischen Prozess der Terrorismusbekämpfung, der Fundamentalismusbekämpfung entschlossen und erfolgreich fortsetzen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt den Antrag, den Kampfeinsatz der deutschen Bundeswehr im Rahmen dieses Mandats zu verlängern, ab. Wir begründen dies damit, dass schon die Überschrift dieses Mandats falsch ist. Das Mandat ist überschrieben mit ?Enduring Freedom“ - andauernde Freiheit. Nach unserer Auffassung wäre es besser, ?andauernder Krieg“ zu sagen. Dieser Kampfeinsatz dauert nun schon mehrere Jahre und verfehlt auch seine Ziele.
Man sollte aber nicht nur ?andauernder Krieg“ sagen. Unserer Überzeugung nach wäre es noch besser, von ?Enduring Terrorism“, also von ?andauerndem Terrorismus“, zu sprechen.
Ich will begründen, warum wir im Gegensatz zur Mehrheit dieses Hauses zu diesem Ergebnis kommen. Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht möglich ist, den Terrorismus zu bekämpfen, ohne zu wissen, was Terrorismus eigentlich ist. Einer der zuständigen Beamten hat, als der Entwurf eines Gesetzes zur Erstellung der Antiterrordatei vorgelegt wurde, dankenswerterweise zum ersten Mal eine Definition des Begriffes Terrorismus vorgenommen. Ich empfehle Ihnen, diese Definition zu lesen. In diesem Satz steht, dass solche Personen zu terroristischen Kreisen gehören, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeit vorsätzlich hervorrufen.
Das deckt sich mit der Definition, die ich hier immer wieder vorgetragen habe. Sofern die deutsche Sprache überhaupt noch einen Sinn hat, fällt diese Mission, die Sie unterstützen, in genau diese Kategorie. Das ist der Widerspruch, in dem Sie sich befinden und den Sie nicht auflösen können. Jawohl, der vorhin bereits angesprochene Präsident der Vereinigten Staaten hat rechtswidrig Gewalt angewendet. Nach dieser Definition ist er jemand, der - sofern die deutsche Sprache überhaupt noch einen Sinn hat - terroristisch vorgeht.
Wir werden mit großem Interesse verfolgen, wie Sie mit der Antiterrordatei umgehen bzw. welche Klimmzüge Sie veranstalten, um deutlich zu machen, dass diese Datei so auszulegen ist, dass Angehörige des muslimischen Glaubens, die rechtswidrig Gewalt anwenden, Terroristen sind, dass aber jemand aus der westlichen Welt, der rechtswidrig Gewalt anwendet, kein Terrorist ist. Aus diesem Widerspruch werden Sie nicht herauskommen.
Ich möchte jetzt auf den geschätzten Kollegen Klose eingehen, der in sehr sachlicher Form vorgetragen hat, wie er seine Befürwortung des Antrags auf Verlängerung des Mandats begründet. Der Kern seiner Aussage war, dass man diesen Kampf mit militärischen Mitteln allein nicht gewinnen könne. Er hat dies wie folgt präzisiert:
Wer aber meint, er könne ganz und gar auf militärische Mittel verzichten, der redet sich die Lage schön. Manch einer, der so redet, weiß das auch, was die Sache nicht besser macht. Zweifel sind erlaubt. Reden wider besseres Wissen nicht.
Das waren sehr nachdenkliche Ausführungen zum Einsatz militärischer Mittel.
Ich möchte dazu Folgendes sagen: Natürlich kann man militärische Mittel, wenn man den Frieden bewahren bzw. ?enduring freedom“ herstellen will, nie völlig ausschließen. Die Fragen sind aber: Wie werden sie angewandt? Auf welcher Grundlage werden sie angewandt? Und vor allen Dingen: Werden sie im Rahmen des Völkerrechts angewandt?
Wer das Völkerrecht nicht zur Grundlage seines Vorgehens macht, wird den Terrorismus nicht bekämpfen, sondern ihn immer wieder befördern.
Ich möchte dem Kollegen Klose unsere Position entgegenhalten: Das Völkerrecht ist nicht nur die Gewährleistung dafür, dass UNO-Beschlüsse, auf die er auch Bezug genommen hat, eingehalten werden. Das Völkerrecht wird verletzt, und zwar grob verletzt, wenn in immer größerer Zahl unschuldige Zivilisten ums Leben kommen, was die Genfer Konvention strikt verbietet. Dieser Kampfeinsatz verstößt permanent gegen die Genfer Konvention.
Dies ist der Grund, warum der Einsatz militärischer Mittel in diesem Fall nicht vom Völkerrecht gedeckt ist. Dies ist der Grund, warum wir sagen: Wer so vorgeht, der schützt unser Land nicht, sondern erhöht die Terroranschlagsgefahr in unserem Land; darauf haben die Geheimdienste immer wieder hingewiesen. Weil die beiden Missionen Enduring Freedom und ISAF eng miteinander verwoben sind - darauf hat Herr Klose hingewiesen -, ist das eine logische Konsequenz. Man muss allerdings bereit sein, diese Konsequenz zur Kenntnis zu nehmen.
Seitdem die NATO in immer größerem Umfang im Süden Afghanistans bombt, ist dieser Einsatz absurd geworden. Es ist doch kein Wunder, wenn die Nachfahren der Opfer dieser Bombenkämpfe eines Tages Terrorattentate bei uns in Deutschland und in anderen NATO-Staaten verüben. Genauso wie heute gesagt wird, dass unsere Freiheit bzw. unser Land am Hindukusch verteidigt wird, werden sie eines Tages sagen, dass sie ihre Ehre und ihre Familien in den NATO-Staaten verteidigen. Das ist dieselbe Logik. Das müssen auch Sie eines Tages nachvollziehen.
Ich fasse zusammen: Dieser Einsatz wird scheitern. Sie und die anderen Fraktionen werden eines Tages hier stehen - das prophezeie ich Ihnen - und eine Verlängerung dieses Mandats ablehnen. Wir appellieren an Sie: Kehren Sie rechtzeitig um! Dieser Einsatz ist nicht zu gewinnen. Er fördert den Terror, statt ihn zu minimieren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die des Fraktion Bündnisses 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einer Bitte bzw. einer Aufforderung an die Frau Bundeskanzlerin und den Herrn Außenminister beginnen. Frau Merkel, wir haben vor wenigen Wochen den Beschluss gefasst, deutsche Soldaten zur Unterstützung des UNIFIL-Mandats auf See vor dem Libanon einzusetzen.
Ich möchte Sie bitten, alles zu unternehmen, was der Bundesregierung möglich ist, um zu erreichen, dass die Israelis aufhören, permanent gegen die Resolution der Vereinten Nationen zu verstoßen. Der jüngste Zwischenfall im Zusammenhang mit den französischen Soldaten gefährdet meines Erachtens das ganze UNIFIL-Mandat. Es ist notwendig, liebe Frau Merkel, dass Sie sich nicht nur in Bezug auf die deutschen Schiffe auf See, sondern auch in Bezug auf die Landflüge über dem Libanon engagieren und dafür eintreten, dass solche Zwischenfälle in Zukunft unterbleiben.
Ich fordere Sie zu diesem Schritt auf, weil sonst das gesamte Mandat gefährdet wird.
Nachdem wir dem Mandat für die Operation Enduring Freedom in Afghanistan fünfmal zugestimmt haben - viermal in der Regierung und einmal in der Opposition -, werden wir heute seiner Verlängerung nicht zustimmen. Die große Mehrheit der Fraktion wird mit Nein stimmen; ein bedeutender Teil wird sich enthalten. Ich will das begründen.
Wir haben unsere Position, dass man in Afghanistan etwas unternehmen muss und dass auch der militärische Kampf gegen den Terrorismus notwendig ist, nicht aufgegeben. Unsere heutige Entscheidung ist auch nicht als Exitstrategie der Grünen in Bezug auf Afghanistan zu verstehen. Wir haben vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit der Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt.
Uns geht es um Folgendes: Im letzten Jahr eskalierten die Berichte der Militärs und - auch deutscher - Diplomaten, die unisono unmissverständlich klar machen - auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Afghanistan, die vor wenigen Wochen bei uns zu Besuch waren, haben das bestätigt -, dass die Art und Weise, wie die OEF in Afghanistan durchgeführt wird, nicht geeignet ist, die Bevölkerung gegen die Taliban und für den neuen Staat, die Interessen der Völkergemeinschaft und das Nation Building einzunehmen; vielmehr wird der notwendige Kampf gegen den Terrorismus systematisch in seiner Legitimation untergraben. Das ist der Hauptgrund, warum wir diesmal nicht zustimmen können, Frau Merkel.
Wenn wir als Parlamentarier entscheiden, deutsche Soldaten möglicherweise in Kampfeinsätze zu schicken, dann müssen wir uns vor unserem Gewissen mehrere Fragen stellen. Dabei geht es zum einen um die Risiken - solche Einsätze sind riskant - und zum anderen um die Frage, ob das definierte Ziel, einen relevanten Beitrag gegen den Terrorismus leisten zu können, mit der Art des Mandates erreicht werden kann.
Wir meinen, dass bei dem OEF-Mandat wenig praktische Mitgestaltung möglich ist. Aus diesem Grund können wir nicht verantworten, der Verlängerung des Mandats zuzustimmen, wie Sie es begehren.
Das ist auch eine Antwort auf die Frage von Frau Homburger und Herrn von Klaeden. Ich will an dieser Stelle die Frage an Sie zurückgeben. Sie haben gefragt: Was wollt ihr eigentlich? Im letzten Jahr keinen KSK-Einsatz auf Land im Rahmen von OEF. - Ich verstehe nicht, Herr von Klaeden, wie man vor diesem Hintergrund jetzt vor dem Hohen Hause die deutsche Zustimmung als unverzichtbar darstellen kann.
Ich habe den Verdacht - das sollten wir klären -, dass einige die Vorstellung haben, dass wir im Falle unserer Zustimmung zur OEF - in der Hoffnung, dass wie im letzten Jahr keine Anforderung erfolgt - leichter um die unangenehme Diskussion in der NATO herumkommen, wie es mit dem ISAF-Mandat weitergehen soll. Aber mit dieser billigen Mogelpackung kommen wir aus der internationalen Verantwortung nicht heraus, ganz zu schweigen von der NATO-Konferenz in Riga am Ende dieses Monats. Ihre Argumentation stimmt meines Erachtens nicht. Das kann nicht funktionieren.
Interessant war die Argumentation von Herrn Klose. Er hat immer von der Stärkung der NATO gesprochen. Tom Koenigs hat in seinem Interview nur davon gesprochen, die NATO dürfe nicht verlieren. Aber heute geht es nicht um das NATO-Mandat ISAF, sondern um Enduring Freedom, was, wie wir alle wissen, kein NATO-Mandat ist.
Die Rede von Herrn Klose war eine Rede für eine Verstärkung der NATO-Arbeit im Rahmen von ISAF sowie vielleicht sogar für eine Neukonzeption von ISAF und für Überlegungen, ob zwischen ISAF und OEF weiterhin so getrennt werden kann wie bislang. Aber die Rede war mit Sicherheit keine Begründung für die Zustimmung zur Verlängerung des OEF-Mandats. Davon hat auch Tom Koenigs nicht geredet.
Ich will versuchen, die Differenz zwischen Enduring Freedom und dem ISAF-Mandat darzulegen. Das ISAF-Mandat ist eindeutig ein NATO-Mandat. Es gibt eine politische Plattform, auf der die Aufgaben und die Ziele bestimmt werden. Es gibt Rules of Engagement, die festlegen, wie das Mandat auszuführen ist. Das heißt, wir haben zusammen mit der Bundesregierung bei diesem Mandat direkt mitzureden. Auf der NATO-Konferenz in Riga am Ende dieses Monats wird es eine intensive Diskussion darüber geben, ob es mit militärischen Mitteln allein noch zu schaffen ist. Es gibt Aussagen des NATO-Generalsekretärs, die auf eine Neubestimmung hindeuten.
Enduring Freedom hat einen anderen Charakter. Wir haben dort offensichtlich nichts zu melden. Ohne aus geheimen Sitzungen zu berichten, kann ich aufgrund der Unterrichtungen, die es gegeben hat, sagen: Nie war das Schweigen der Bundesregierung lauter, wenn wir gefragt haben, was im Rahmen der Operation Enduring Freedom konkret geschieht und welchen Einfluss die Bundesregierung hat.
Sie haben immer über ISAF geredet, wenn wir nach Enduring Freedom gefragt haben. Das gibt Aufschluss über das Problem. Haben Sie nach den Berichten etwa des deutschen Botschafters in Kabul, der meine Analyse voll teilt, versucht, die Regeln, nach denen die OEF funktioniert, zu ändern, Frau Merkel? Haben Sie mit Bush geredet? Herr Außenminister, haben Sie mit der Außenministerin der Vereinigten Staaten darüber geredet, wie man den Kampf im Rahmen der OEF so gestalten kann, dass er nicht den Kampf gegen den Terrorismus insgesamt delegitimiert? Ich glaube, Sie haben es nicht getan. Jedenfalls haben Sie uns keinen entsprechenden Hinweis gegeben. Das wäre angesichts der krisenhaften Zuspitzung des OEF-Mandats in Afghanistan im letzten Jahr aber notwendig gewesen. Deswegen werden wir der Verlängerung des OEF-Mandats nicht zustimmen können.
Sie haben nach den Alternativen gefragt. Es hat Veränderungen gegeben. Die Truppenstärke im Rahmen von ISAF ist verdreifacht worden. Vieles, was zuvor im Rahmen von Enduring Freedom gemacht wurde, wird nun im Rahmen von ISAF durchgeführt, zum Beispiel Lufttransporte. Die Fragestellung, was sich vor Ort verändert hat und ob es jetzt noch verantwortbar ist, einer Verlängerung des OEF-Mandats zuzustimmen, ist nicht obsolet; denn vieles ist in Afghanistan bereits Realität geworden.
Herr Verteidigungsminister, Sie müssen ehrlicher werden. Gestern gab es eine interessante dpa-Meldung über Ihren Besuch in Kiel. Dort haben Sie - in Vorbereitung auf Riga - gesagt: Wir werden keine deutschen Soldaten in den Süden Afghanistans schicken. Des Weiteren haben Sie ausgeführt, dass die Arbeitsteilung zwischen dem, was wir im Norden machten, und dem, was andere NATO-Mitglieder im Süden machten, gut und sehr effektiv sei. Dann sagten Sie, Herr Jung, wörtlich:
Die Menschen sollen deutlich spüren, dass wir nicht Besatzer sind, sondern dass wir dazu da sind, diesem Land zu helfen.
Ein bemerkenswerter Satz. Das können wir unterschreiben. Aber in Bezug auf wen haben Sie diesen Satz eigentlich gesagt? Haben Sie das in Bezug auf OEF gesagt? Dann wäre der Antrag der Bundesregierung heute eine Unverschämtheit.
Haben Sie das in Bezug auf ISAF gesagt, dann, so finde ich, ist die Arbeitsteilung interessant. Die anderen NATO-Länder agieren also als Besatzer, während wir dies nicht tun. Ich finde, Sie müssen sich präziser ausdrücken, wenn Sie darüber sprechen. Ich würde Ihnen raten, mit einem solchen Satz nicht nach Riga zu fahren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, denken Sie an die Zeit.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. - Wir stimmen heute nicht zu, weil wir die Art und Weise, wie im Rahmen der OEF gekämpft wird, für delegitimierend in Bezug auf Nation Building und den notwendigen Kampf gegen den Terrorismus halten. Wir werden weiterhin und würden auch heute dem ISAF-Mandat zustimmen, weil das ein vernünftiges Mandat ist, zu dem wir stehen. Ich glaube, damit ist die Position meiner Fraktion erklärt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile der Kollegin Petra Heß, SPD-Fraktion, das Wort.
Petra Heß (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich meinen Respekt auch für diejenigen im Parlament zum Ausdruck bringen, die sich mit der Entscheidung zum Einsatz von OEF schwer tun; denn das zeigt, dass die Debatte von der überwiegenden Mehrheit des Hauses mit sehr großer Nachdenklichkeit, mit einem hohen Maß an Verantwortung und vor allen Dingen nicht leichtfertig geführt wird.
Es ist wohl die schwierigste Entscheidung, die das Parlament in der zurückliegenden Zeit bezüglich eines Einsatzes der Bundeswehr treffen musste. Ich gebe aber zu bedenken, dass sich der Einsatz, über den wir heute abstimmen, in den deutschen außen- und sicherheitspolitischen Gesamtansatz einfügt und ein wichtiges Element desselben darstellt. Deutschland verfolgt mit seiner Außen- und Sicherheitspolitik einen umfassenden, einen präventiven und einen multinationalen Ansatz. Das umfassende Element resultiert aus der Erkenntnis, dass erfolgreiche Krisen- und Konfliktbewältigung nur durch die Kombination von zivilen und militärischen Mitteln erfolgen kann. Ich wünschte mir in diesem Zusammenhang übrigens wesentlich mehr Informationen und Berichte auch in den Medien von zahlreichen positiven Beispielen ebendieser zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Es gibt nämlich in Afghanistan inzwischen eine Regierung und vor allen Dingen ein gewähltes Parlament, das sich zu über 27 Prozent aus Frauen zusammensetzt. Mädchen können wieder in die Schule gehen. Kinder dürfen wieder auf der Straße spielen, ohne mit der Todesstrafe rechnen zu müssen. 70 Prozent der Bevölkerung können eine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Zu Zeiten der Talibanherrschaft waren das gerade einmal 9 Prozent. Es wurden Brunnen gebohrt und Straßen gebaut. Es sind bestimmt nur viele kleine Schritte, aber es sind auch für die Afghanen sichtbare Schritte in die richtige Richtung und das ist ein Ergebnis dieses eben erwähnten umfassenden Ansatzes. Deshalb werden unsere Soldaten dort nicht als Besatzer wahrgenommen, sondern als Begleiter auf dem Weg hin zu Frieden und Entwicklung.
Ein umfassender Ansatz bringt nämlich politische, zivile, ökonomische und militärische Mittel verzahnt zum Einsatz, damit sie sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Die Operation Enduring Freedom ist dabei eine spezielle militärische Komponente dieses Gesamtansatzes.
Trotz der immer prekärer werdenden Sicherheitslage ist es unbedingt erforderlich, dass ISAF die Wiederaufbauarbeit kontinuierlich fortsetzen kann. Auch dazu brauchen wir, mein sehr geschätzter Herr Kollege Kuhn, unterstützend OEF. Damit diese Kontinuität erreicht werden kann, wird im Rahmen der Operation Enduring Freedom dafür Sorge getragen, dass die terroristischen Nachschubwege unterbrochen werden und ein Wiedererstarken der Taliban verhindert wird. Nur so kann Afghanistan die Stabilität gegeben werden, die das Land für eine friedliche Entwicklung so dringend benötigt.
Auch wir haben ein ureigenes Interesse an einer Befriedung Afghanistans; denn Terrorismus macht eben nicht vor unserer Haustüre halt, sondern findet auch in Europa statt. Deshalb zielt der präventive Ansatz der Außen- und Sicherheitspolitik darauf ab, Krisen, Konflikte und Instabilitäten möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen. Während ISAF in diesem Zusammenhang ermöglicht, die friedliche und demokratische Entwicklung in Afghanistan zu fördern und zu festigen, um der jetzigen Generation und vor allem der zukünftigen Generation eine Perspektive jenseits von Armut und Gewalt zu bieten, tragen wir gemeinsam mit circa 20 Nationen im Rahmen von OEF dazu bei, den Schutz vor einem Wiedererstarken der Taliban durch die dauerhafte Unterbindung der Kommunikations- und Transportwege und den aktiven Kampf gegen noch bestehende terroristische Verbände zu gewährleisten. So unterbindet beispielsweise die Marine im Rahmen von OEF am Horn von Afrika allein durch ihre Präsenz, aber auch durch gezielte Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen traditionelle Transportwege terroristischer Kräfte und schränkt damit den Zugang zu potenziellen Rückzugsgebieten ein.
Auch damit wird eine wesentliche Voraussetzung für die Wiederaufbauarbeit in Afghanistan gewährleistet.
Vergessen Sie bitte in diesem Zusammenhang nicht, dass ein Rückzug von den Unterstützungsleistungen der Stabilisierungs- und Wiederaufbauarbeit in Afghanistan einer Entsolidarisierung mit den Vereinten Nationen gleichkommen und zudem die engagierte Arbeit von tausenden von Menschen - auch vieler Deutscher, die in Hilfsprojekten seit Jahren tätig sind - infrage stellen würde. Ein Ablassen von der Wiederaufbauarbeit in Afghanistan käme einer Aufkündigung unseres multinationalen Engagements und damit auch einer Schwächung der Vereinten Nationen gleich.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat nämlich erst unlängst die Staaten erneut dringend zur Zusammenarbeit aufgefordert, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen.
Wenn also die Bundeswehr im Rahmen von ISAF zusammen mit unseren Verbündeten in Afghanistan vor Ort Wiederaufbauarbeit leistet, schaffen unsere Soldatinnen und Soldaten zusammen im Rahmen von OEF und Hand in Hand mit unseren Verbündeten im Wesentlichen die Voraussetzung dafür, dass ISAF in der bisherigen Form weitergeführt werden kann. Hierfür möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zahlreichen zivilen Helferinnen und Helfern sowie ihren Familien, die - in welchem Bereich auch immer - diesen Einsatz mittragen und unterstützen, in der ihnen gebührenden Form danken.
Glauben Sie denn wirklich, dass Menschen in Zukunft bereit sein werden, die in Afghanistan so dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten, wenn der Schutz durch militärische Präsenz vor Ort gänzlich fehlt?
Genau an dieser Stelle muss folgende kritische Bemerkung erlaubt sein: Vor diesem Hintergrund zeugt es nicht gerade von Glaubwürdigkeit, wenn einige Kolleginnen und Kollegen eben noch für ISAF ihre wohl überlegte und begründete Zustimmung gegeben haben, aber einer Verlängerung des OEF-Einsatzes nunmehr ablehnend gegenüberstehen, zumal das neue Mandat an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wird. In welcher Form das geschieht, haben wir eben schon gehört.
Lassen Sie uns die Augen nicht davor verschließen: Die Lage in Afghanistan ist sehr ernst. In den nächsten Monaten wird die Entscheidung fallen, ob es gelingt, Afghanistan zu stabilisieren. Es sind noch mehr Anstrengungen der beteiligten Nationen gefordert. OEF als eine der Voraussetzungen für das erfolgreiche Gelingen von ISAF muss vor diesem Hintergrund verlängert werden, auch um die militärisch-zivile Zusammenarbeit nicht zu gefährden.
Nur wenn alle Nationen - Nationen, die sich Werten wie Freiheit, Demokratie und Bürgerrechten verpflichtet fühlen - an einem Strang ziehen, haben wir eine Chance, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfolgreich zu führen und vor allen Dingen zu gewinnen.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns in diesem Hause über eine Tatsache weitestgehend einig: Der Kampf gegen den Terrorismus ist notwendig. Aber der Kampf gegen den Terrorismus ist mit militärischen Mitteln allein nicht zu gewinnen. Darüber herrscht, glaube ich, breiter Konsens in diesem Hause.
Gleichwohl bedarf es auch heute noch der militärischen Komponente. Auch das sollte unstrittig sein. Diese Komponente brauchen wir, weil das Militär ein Teil - aber auch nur ein Teil - dieses Kampfes ist. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Wir stimmen heute zu. Unsere Zustimmung ist aber verbunden mit der Erwartung an die Bundesregierung, diese militärischen Einsätze stärker als bisher in ein gesamtpolitisches Konzept einzubinden, um deutlich zu machen, welches politische Ziel mit diesen Einsätzen verbunden ist. Es stellt sich die Frage nach der Strategie bei OEF. Über das Ziel sind wir uns einig: Wir wollen den Terrorismus bekämpfen und möglichst besiegen. Aber ich bezweifele, dass wir eine gemeinsame Gesamtstrategie haben - Strategie heißt: Weg zum Ziel -, dass im Bündnis wirklich Konsens darüber besteht, mit welchen Mitteln wir dieses Ziel gemeinsam erreichen wollen.
Nach unserem Dafürhalten ist es dringend notwendig, dass wir uns über die Strategie, wie wir dieses Ziel erreichen wollen, stärker austauschen und Pflöcke einschlagen. Dazu beizutragen, ist Aufgabe der Bundesregierung. Wir werden in der Parlamentarischen Versammlung der NATO nächste Woche in Quebec darüber sprechen. Primär ist es natürlich Aufgabe der Exekutive, mit den Bündnispartnern darüber zu reden.
In den letzten Monaten hat ISAF von OEF den Süden und mittlerweile auch den Osten Afghanistans übernommen. Wenn man aber sieht, was jetzt im Süden stattfindet und wie dort gearbeitet und gekämpft wird, dann könnte man der Meinung sein: Eigentlich hat OEF dieses Gebiet von ISAF übernommen und nicht umgekehrt. Wir müssen über die Relation dieser beiden Mandate dringend deutlicher sprechen.
Eines ist völlig klar: Für den Erfolg in Afghanistan geht es nicht nur darum, was wir tun, sondern insbesondere darum, wie wir es tun.
Daher müssen wir neben unsere Rules of Engagement - wir müssen über sie reden; manchmal streiten wir auch über sie - etwas anderes stellen: Rules of Behaviour, also Regeln, wie wir eigentlich vorgehen sollen. Denn nur durch Rules of Behaviour, durch Verhaltensregeln, können wir dafür sorgen, dass wir gemeinsam Erfolg haben. Darüber muss geredet werden.
Wir erwarten von der Bundesregierung aber auch, dass sie uns über die Dauer des Gesamtmandats aufklärt. Ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtmandats ist, Herr Minister, der Einsatz am Horn von Afrika. Im Augenblick befindet sich sogar die überwiegende Zahl unserer Soldaten im Auslandseinsatz dort. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie lange die Schiffe dort eingesetzt werden sollen: So lange, bis der letzte Terrorist besiegt ist? Das kann ja wohl nicht sein.
Oder müssen wir nicht doch ehrlicher mit uns selber umgehen? Vielleicht sollten wir feststellen: Der Sinn des Mandats für den Einsatz am Horn von Afrika ist nicht nur die Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch die Wahrnehmung anderer - vitaler - Interessen unseres Landes, zum Beispiel das Interesse an sicheren See- und Handelswegen. Jeder, der da war, weiß, dass es ganz wichtig ist, Informationen zu bekommen und diese Region entsprechend abzusichern.
Lassen Sie mich ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen sagen. Sie lehnen diesen Antrag heute ab. Sie haben eine Abwägung vorgenommen und begründen Ihr Verhalten. Ich respektiere Ihre Begründung, auch wenn ich sie in diesem Zusammenhang für falsch halte. Ich bitte Sie wirklich, einmal darüber nachzudenken, mit welchen Vokabeln Sie uns bedacht haben,
als wir vor einigen Wochen und Monaten uns anders entschieden haben. Das war eine schwierige Entscheidung. Wie Sie wissen, haben wir nicht alle dieselbe Entscheidung getroffen. Hier einige Vokabeln, mit denen Sie unser Verhalten beschrieben haben: innenpolitisch motiviert, populistisch, nicht sachorientiert usw. Ich bitte Sie herzlich: Rüsten Sie diesbezüglich ab!
Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, dass Ihre Argumentationslinie jedenfalls respektiert wird, dann tun Sie dies bitte auch in Bezug auf unseren Standpunkt. Herr Kuhn, Frau Künast und andere, das ist ein kleiner Wink für die Zukunft. Herr Nachtwei, ich weiß, Sie haben in Ihrer Fraktion eine Sonderrolle eingenommen. Das begrüße ich natürlich sehr. Aber die anderen machen es eben anders. Ich hoffe, ich habe Ihrer Karriere, Herr Nachtwei, jetzt nicht zu sehr geschadet. Das wäre sehr bedauerlich.
Völlig klar ist: Diese militärischen Einsätze müssen in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet sein. Abschließend möchte ich kritisch bemerken: Leider gibt das Weißbuch zu wenig her, um über die gesamte politische Konzeption von militärischen Einsätzen Kenntnis zu erlangen. Die Diskussion muss angestoßen werden. Sehr geehrte Damen und Herren Minister, Frau Bundeskanzlerin, die Art, wie Sie die Diskussion über das Weißbuch angestoßen haben, und die Tatsache, dass Sie zu manchen Inhalten wenig konkret Stellung genommen haben, lassen leider befürchten, dass diese Diskussion in diesem Land nicht so umfassend geführt wird, wie es dringend geschehen müsste.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith für die CDU/CSU-Fraktion.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Mit Ausnahme der Fraktion der Linken und insbesondere Herrn Lafontaines herrscht, glaube ich, Einigkeit darüber - das war den Reden in der Debatte heute Morgen zu entnehmen -, dass der Terror gegen Staaten des transatlantischen Bündnisses nach wie vor ein besonders besorgniserregendes Phänomen darstellt. Dies ist der Grund unserer Beteiligung an der Operation ?Enduring Freedom“. Das Mandat hat seine Grundlage auch in den Vereinten Nationen und dem Nordatlantischen Vertrag. Deshalb sind wir seit 2001 an diesem Einsatz beteiligt. Nicht nur wir sind an diesem Einsatz beteiligt, sondern über 20 Nationen.
Der Antrag der Bundesregierung, über den wir heute debattieren und entscheiden werden, lautet, dieses Mandat über den 15. November 2006 hinaus erneut für zwölf Monate zu verlängern.
In der heutigen Debatte ist meiner Meinung nach der Fokus zum Teil etwas zu stark auf Afghanistan gerichtet worden. Natürlich sind ISAF und Operation ?Enduring Freedom“ miteinander zu sehen. Wir müssen allerdings auch beachten, dass der deutsche Beitrag in Afghanistan nur einen relativ geringen Anteil darstellt; das galt ganz besonders in den letzten zwölf Monaten. Kollege von Klaeden hat schon darauf hingewiesen: Das beginnt ja am Horn von Afrika und geht über den Kaukasus bis hin zum Hindukusch.
Nach 2 800 Kräften maximal, die wir für diese Operation ja nie im Einsatz hatten, wird die Höchstgrenze jetzt auf 1 800 festgelegt. Ich will auch einmal darstellen, wie sich das auf die verschiedenen Kräfte verteilt, weil das offenbar nicht alle gelesen haben: 1 100 Seestreitkräfte, 100 Spezialkräfte, 200 Lufttransportkräfte, 200 Unterstützungskräfte und 200 Sanitätskräfte. Deshalb ist unser Beitrag am Horn von Afrika der wesentliche Teil.
Die deutschen Marinekräfte sind in der Tat der wichtigste Teil bei unserer Teilnahme am internationalen Kampf gegen den Terrorismus. Unsere Marinekräfte haben in den vergangenen zwölf Monaten über 2 380 Schiffe abgefragt. Sie haben 180 Schiffe einer genauen Prüfung unterzogen. Sie haben 14 Schiffe mit so genannten Boarding-Teams eingehend untersucht. Es ist, glaube ich, wichtig, auch einmal darauf hinzuweisen, was da getan wird und dass da nicht Kräfte im Einsatz sind, die sich mehr oder weniger nur die Zeit vertreiben.
Der Grund für diesen Einsatz ist, dass der Zugang zu den Rückzugsgebieten der Terroristen verwehrt werden soll und dass die Transportwege, auf denen Waffen und Munition bewegt werden, auf denen sich aber auch die Terroristen selbst bewegen, unterbrochen werden sollen.
Es bleibt absolut notwendig, den Strukturen des internationalen Terrors Aufmerksamkeit zu widmen und alles daranzusetzen, diese Strukturen zu zerschlagen.
Es ist für mich deshalb wirklich völlig unverständlich, dass Sie von der Fraktion der Grünen - Herr Kuhn, was Sie getan haben, war nichts anderes, als Salz süß zu reden - hier aussteigen wollen; denn es war ja Ihr Parteikollege Joschka Fischer als Außenminister, der damals nach dem 11. September 2001 vehement speziell für dieses Mandat geworben hat. Der Kollege Klose hat Tom Koenigs - auch ein Parteikollege von Ihnen - zitiert, der darauf hingewiesen hat, dass wir in diesem Kampf nicht nachlassen dürfen.
Natürlich ist uns allen bewusst, lieber Kollege Nachtwei - Sie werden hier im Haus niemanden finden, der eine andere Meinung hat -, dass die militärische Komponente nur eine Komponente bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist. Wir debattieren aber heute nicht nur über diese Komponente der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, sondern wir müssen auch entscheiden, ob wir unsere Beteiligung an der Operation ?Enduring Freedom“ um weitere zwölf Monate verlängern. Angesichts dessen ist es mir schlicht und einfach unverständlich, dass Sie von den Grünen sich jetzt aus diesem Einsatz zurückziehen wollen.
Leistungsfähige Kontingente der deutschen Streitkräfte sind im Einsatz und sind in die Gesamtheit der Antiterroroperationen eingebracht worden. Sie haben sich bei den Partnernationen hohes Ansehen erworben, zum einen aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit, zum anderen aber auch durch die Art, wie sie sich für die Menschen vor Ort einsetzen. Ich möchte von dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten Dank aussprechen, dass sie diesen Einsatz für unser Land und die Menschen in diesen Gebieten leisten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eine Zwischenfrage kann ich nur bei großzügiger Interpretation der Redezeit zulassen, weil Sie, Herr Kollege Rossmanith, gewiss registriert haben, dass Ihre Redezeit soeben abgelaufen ist.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Als ich bemerkt habe, dass der Kollege Nachtwei sich gemeldet hatte, hatte ich noch drei Sekunden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bei solchen Bestellungen muss man aufpassen, damit man sie noch rechtzeitig innerhalb der Redezeit unterbringt.
Wir sind jetzt aber großzügig. Herr Kollege Nachtwei, Sie haben das Wort.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Kollege Kurt Rossmanith, Sie sind Sicherheitspolitiker, Sie sind auch Reserveoffizier. Aus beiden Erfahrungsbereichen wissen Sie, dass wir den Soldaten, die wir in einen Einsatz schicken, konkret und überzeugend vermitteln müssen, dass dieser Einsatz nicht nur grundsätzlich notwendig ist, sondern konkret auch zweckmäßig und verantwortbar ist. Ich habe in den letzten Tagen festgestellt, dass dieser Einsatz - ich habe immerhin zwölf Jahre Erfahrung in diesem Bereich - von der Bundesregierung so schlecht wie noch kein Einsatz zuvor begründet wurde. Ergreifen Sie jetzt die Chance, die Bundesregierung aus der Bredouille herauszubringen, und sagen Sie konkret, warum die deutsche Beteiligung an der Operation ?Enduring Freedom“ zweckmäßig und verantwortbar ist und weshalb die Hinweise, dass der Einsatz in Afghanistan immer kontraproduktiver geworden ist und inzwischen zur Gewalt- und Hassspirale beiträgt, nicht stimmt!
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Lieber Kollege Nachtwei, das würde ich gerne tun. Ich glaube aber, dann wäre der Präsident nicht sehr glücklich mit mir.
Lassen Sie mich kurz drei Punkte nennen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber knapp, da Sie mich ja glücklich machen wollen.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
- Drei Sätze. - Erstens bin ich der Meinung, dass die Begründung, die die Bundesregierung für ihren Antrag gegeben hat, überzeugend ist.
Zweitens habe ich mit den Soldaten gesprochen und habe Ihnen, Herr Kollege Nachtwei, ja bezüglich unserer Seestreitkräfte aufgezeigt - ich könnte das für die anderen Streitkräfte auch noch machen, aber den wesentlichen Teil stellen ja unsere Seestreitkräfte dar - -
- Nach der Rede, die Sie, Herr Kuhn, gehalten haben, würde ich an Ihrer Stelle gerade noch etwas dazu sagen, was anderen gelungen ist; da wäre ich sehr zurückhaltend und würde kein Wort dazu mehr sagen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kommentierung von schon gehaltenen Reden ist außerhalb der eigentlichen Redezeit nun sicherlich nicht mehr möglich.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
Lieber Kollege Nachtwei, im letzten Absatz der Begründung dieses Antrags hat die Bundesregierung noch einmal dargelegt, dass sie die Information des Parlaments und der Fraktionsvorsitzenden entsprechend fortführen wird. Das ist für mich das entscheidende Moment.
Drittens weiß ich - ich bin nämlich häufig draußen bei den Soldaten, da ich noch aktiver Reservist bin -, dass die Soldaten aus Einheiten, die häufig in Einsätzen sind, nicht nur im Rahmen der ?Enduring-Freedom“-Operation, sondern auch in anderen Operationen, sehr wohl wissen, welchen Auftrag sie wahrzunehmen haben, und dass sie sich dabei vom Parlament getragen wissen. Gerade deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, hier keine Spaltung vorzunehmen, sondern in einer breiten Mehrheit in diesem Parlament den Soldaten, denen wir diesen schwierigen und sehr gefährlichen Auftrag geben, zu zeigen, dass sie vom Parlament in toto - wenn ich die Linken einmal ausnehme - getragen werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung möchte nun auch im sechsten Jahr die Bundeswehr am so genannten Antiterrorkrieg der USA beteiligen.
Unsere Fraktion hat das im vorigen Jahr abgelehnt und - ich wiederhole es; Oskar Lafontaine hat es bereits gesagt - wir lehnen es auch heute wieder ab,
und zwar nicht, weil uns plötzlich die Hässlichkeit des Krieges durch geschmacklose Bilder von deutschen Soldaten präsentiert wird - so abscheulich das ist. Aber es muss vollkommen klar sein: Diese Bilder sind harmlos im Verhältnis zu dem, was täglich dort und in anderen Kriegen passiert.
Wir sind von Anfang an gegen die Operation ?Enduring Freedom“ gewesen, und zwar weil wir befürchtet haben, dass sie letztlich nur das produziert, was sie bekämpfen will, nämlich Krieg und immer weiteren Terror. Wir werden durch die Entwicklung des letzten Jahres leider bestätigt. Der Terrorismus ist nicht der klassische Feind und Gegner, den man mit den klassischen Mitteln des Krieges bekämpfen kann. Er hat faktisch in allen Ländern seinen Nachwuchs, seine Versorgungsdepots und seine Schlafstätten. Sie müssten eigentlich die ganze Welt unter Terrorverdacht stellen und einen permanenten Ausnahmezustand verkünden.
Die Geheimhaltung rund um das KSK ist - das haben jetzt alle begriffen - nicht akzeptabel. Was allerdings nie geheim war, ist der Auftrag der Bundeswehr unter dem OEF-Mandat. Ich bitte Sie, bevor Sie hier zur Entscheidung schreiten, sich dieses Mandat noch einmal anzusehen. Seit November 2001 befinden wir uns in einem Verteidigungskrieg und es gehört zu den Aufgaben der Bundeswehr - ich zitiere -,
Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.
Aber gleichzeitig berichtet uns die Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage hin, dass die Bundeswehr genau das nicht tut. Die Bundeswehr nehme nämlich gar keine Personen fest und sie wisse auch nicht, ob Personen, die von Streitkräften anderer Länder festgenommen werden, vor Gericht gestellt würden.
Die Bundesregierung konnte uns auch nicht erklären, was eigentlich der Einsatz der Bundeswehr am Horn von Afrika mit Terrorismusbekämpfung zu tun hat. Dafür bestätigt sie allerdings indirekt unsere Vermutung, dass der Begleitschutz durch die Bundesmarine vor Dschibuti viel mit dem Irakkrieg zu tun hat. Auf der Liste der Bundesregierung stehen fast ausschließlich Kriegsschiffe der USA und Großbritanniens. Auffällig hoch war die Zahl der eskortierten Kriegsschiffe kurz vor dem Angriff auf den Irak im Februar und im März 2003.
Sie rechtfertigen den Einsatz nun schon lange mit der Behauptung, es finde immer noch ein bewaffneter Angriff auf die USA statt. Mir ist vor allem eines bekannt, dass es nämlich die USA sind, die in diesen fünf Jahren einen bewaffneten Angriff unternommen haben, und zwar auf den Irak. Es ist abenteuerlich, wie die Bundesregierung hier das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UNO-Charta biegt und verdreht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor Sie nun entscheiden, lesen Sie doch bitte noch einmal im Antrag nach, was der Auftrag der Bundeswehr im Rahmen der Operation ?Enduring Freedom“ tatsächlich ist. Von Bündnissolidarität steht dort nirgends etwas. Wenn Sie schon uns nicht folgen wollen, dann folgen Sie diesmal den Grünen: Lehnen Sie den Antrag ab und verabschieden Sie sich heute von einer Mission, die wirklich keinen wirksamen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leistet und auch nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist!
Eine letzte Bemerkung in Richtung Bundesregierung. Blicken Sie einmal auf die USA, die offensichtlich jetzt beginnen, ihre Irakstrategie zu überdenken und zu verändern. Es wäre Bündnissolidarität, wenn auch Sie jetzt daran gingen, Ihre Strategie zu überdenken. In den USA wurde der ehemalige Verteidigungsminister schon Opfer entsprechender Überlegungen. Ich finde aber, kein Opfer ist zu groß, um die zurzeit gültige Strategie endlich zu ändern.
Danke sehr.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Dzembritzki hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir hier mit großer Ernsthaftigkeit die Debatte führen. Mich bewegen natürlich insbesondere die Argumente der Grünen, weil wir bis letztes Jahr gemeinsam eine Politik betrieben haben, die auch die Einsätze, die heute besprochen werden, einschloss. Dankenswerterweise hat mir der Kollege Nachtwei seine Positionsbeschreibung zur Verfügung gestellt. Denn noch vor wenigen Tagen haben wir sehr intensiv in Hammelburg über die Fragen globaler Verantwortung diskutiert.
Interessant ist - ich denke, man kann es so sagen -, dass die Grünen bestätigen, dass die Bedrohung der internationalen Sicherheit durch Netzwerke und Akteure des internationalen Terrorismus weiter anhält, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine zentrale Herausforderung für die internationale Gemeinschaft bleibt und dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der NATO und der OSZE ihren Beitrag zu leisten hat. Diese Aufgabe ist nicht kurzfristig, sondern nur mit langem Atem, Augenmaß und Konsequenz zu bewältigen. Ich denke, dem kann man voll und ganz zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sagen sogar, dass die Einsätze von KSK-Soldaten im Rahmen von OEF klar von Einsätzen im Rahmen von ISAF in Afghanistan zu unterscheiden seien. Letztere seien notwendig und zum Schutz eigener ISAF-Kräfte ausgesprochen hilfreich. Wenn dem so ist, dann verstehe ich nicht, dass dieser Teil der Argumentation nicht die notwendige Berücksichtigung findet.
Dass wir einen Teil der internationalen Verantwortung zu tragen haben, ist ein entscheidendes Argument. Sie sprechen davon, dass die transatlantische Komponente beeinträchtigt sein könnte. Mich ärgert bei dieser Diskussion, dass die transatlantische Zusammenarbeit ausschließlich auf die USA und uns projiziert wird. Ich will aber betonen, lieber Herr Kollege Nachtwei, dass auch Kanada dazugehört. Schauen wir uns einmal den Beitrag der kanadischen Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Einsatzkräfte an. Unsere große Sorge ist, dass wir unsere Argumentation nicht in die internationale Gemeinschaft transportieren können, wenn wir uns aus dieser Gesamtverantwortung zurückziehen. Dadurch könnte der Eindruck entstehen - ich will das jetzt nicht überspitzen, aber ich will es zumindest andeuten -, wir würden uns generell aus dieser Verantwortung zurückziehen. Ich denke, das steht uns nicht an.
Es ist sehr interessant - ich will in meiner restlichen Redezeit auf Afghanistan zu sprechen kommen -, dass wir über diesen Punkt des Antrages am intensivsten diskutieren. Daran kann man sehen, dass wir größte Sorgen haben, dass das Projekt nicht erfolgreich sein könnte. Deswegen sage ich immer wieder: Es kommt nicht darauf an, Exit-Strategien zu entwickeln - wir sollten auch nicht auf ein Scheitern hoffen, um aus der Mission aussteigen zu können -, sondern wir müssen Erfolgsstrategien entwickeln, die in Verbindung mit einer Exit-Strategie gesehen werden müssen. Alles andere ist abzulehnen.
Ich will jetzt nicht weiter auf die Trennung von OEF und ISAF eingehen, weil meine Redezeit nur knapp bemessen ist. Ich will aber etwas zu den Spezialkräften sagen: Das Parlament wurde auf dem dafür vorgesehenen Weg über die Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses informiert. Offenbar reicht diese Information aber nicht aus. Deswegen war es richtig, dass die Bundesregierung am 25. Oktober erklärt hat, eine intensivere Informationspolitik in diesem sensiblen Bereich betreiben zu wollen. Darauf werden wir achten.
Generell sollte die Berichtstattung seitens der Bundesregierung zu Afghanistan in Umfang, Qualität sowie in der Vernetzung und Verzahnung militärischer und ziviler Leistungen, die wir für notwendig halten, besser werden. Man muss die Kohärenz deutlich erkennen können. Wir in unserer Fraktion werden das jedenfalls intensiv verfolgen und darauf achten. Ich ermutige also die Bundesregierung, die eigene Kohärenz zu stärken; der Verteidigungsminister hat das gestern erfreulicherweise in Agenturmeldungen erklärt.
Aber das Bemühen, Kohärenz herzustellen, muss natürlich - Herr Kuhn, einen Teil Ihrer Argumentation will ich durchaus aufgreifen - auf die internationale Zusammenarbeit übertragen werden. Das heißt, dass man sich mit seinen Partnern auseinander setzen muss. Angesichts der Diskussion im Zusammenhang mit den Vereinigten Staaten sind auch wir Parlamentarier gefordert. Wir sind in der Parlamentarischen Versammlung der NATO und in der Versammlung der Westeuropäischen Union vertreten. Wir haben uns dort mit einzubringen und den Veränderungsprozess, der in den USA zurzeit stattfindet und sich in der Entlassung des Verteidigungsministers und der Stärkung derjenigen Kräfte ausdrückt, die einen anderen Dialog führen wollen, ein Stückchen zu berücksichtigen und diese Kräfte nicht vor den Kopf zu stoßen.
Ein konkretes Problem will ich aufgreifen: den Polizeiaufbau in Afghanistan. Dies ist ein Zweig, der die zivile Sicherheit verstärken soll. Wir sind dort verantwortlich; Herr Dr. Stinner, Sie haben das zu Recht angesprochen. Von der Qualität her machen wir eine ordentliche Arbeit; darüber haben wir schon im Parlament gesprochen.
Wir alle wissen aber, dass das quantitativ überhaupt nicht ausreicht. Nun wende ich mich einmal an das Parlament, an uns als Kolleginnen und Kollegen: Wir werden dazu bald eine Debatte führen; denn in der nächsten Sitzungswoche ist der Haushalt zu beraten. Wenn wir meinen, dass die jetzt vorgesehenen Mittel nicht ausreichen - ich meine das; wir müssen die Mittel verstärken; wir müssen zu einer höheren Quantität und zu einer besseren Verzahnung in den dezentralen Bereichen kommen -, dann müssen wir auch überlegen, wie wir in diesem Bereich etwas zulegen können. Mit den Millionen, die wir dafür vorgesehen haben, kommen wir nicht aus.
Das ist doch objektiv nicht zu leugnen. Wir dürfen nicht im Parlament große Debatten führen und mit dem Finger auf die Regierung zeigen, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, den parlamentarischen Stempel aufzudrücken. Das fordere ich von uns ein.
Ich fordere aber auch die Regierung auf, zu schauen, was wir auf europäischer Ebene tun können. Es gibt zum Beispiel den Europäischen Entwicklungsfonds. Wir haben in diesem Zusammenhang einmal spontan 250 Millionen Euro für afrikanische Friedensfazilitäten zur Verfügung gestellt. Warum kann so etwas in dieser dringenden, schwierigen und brenzligen Situation in Afghanistan nicht auch getan werden? Warum schafft man es nicht, europäische Kapazitäten zu bündeln und temporär einzubringen?
Ich denke, dass es wirklich lohnenswert wäre, noch einmal darüber nachzudenken. Denn wir allein werden die Probleme in Afghanistan nicht bewältigen. Dies ist eine internationale Herausforderung, eine internationale Aufgabe. Wir müssen sie erfolgreich zum Abschluss bringen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich dem letzten Redner dieser Debatte das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Delegation des Schweizer Nationalrates.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns über Ihren Besuch in Deutschland. Wir würdigen gemeinsam, wie wir das gestern getan haben, die außerordentlich guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern. Auch die meisten von Ihnen würden es ganz gewiss begrüßen, wenn Ihr Besuch im größten Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft Ihr Interesse an der EU befördern würde.
Nun erteile ich als letztem Redner dieser Debatte dem Kollegen Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Holger Haibach (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beschließen, ist immer ein schwieriges Geschäft. Das erfordert viel Nachdenken und es ist immer eine Gewissensentscheidung. Deswegen habe ich großen Respekt vor jedem, der sich heute anders entscheidet. Wir sollten die Debatte aber ehrlich und gut fundiert führen.
Herr Kollege Paech, deshalb sage ich in Ihre Richtung: Hören Sie endlich auf, die Dinge miteinander zu vermischen! Wir reden heute nicht über den Krieg im Irak, sondern wir reden über die Verlängerung der Operation ?Enduring Freedom“. Das ist etwas, was auf einer ganz klaren völkerrechtlichen Grundlage basiert, was auf einer ganz klaren völkerrechtlichen Grundlage stattfindet. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann schauen Sie einmal in den Antrag der Bundesregierung. Da heißt es in Nr. 2:
Die Fortsetzung erfolgt auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen, des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ...
Man kann hier also wirklich nicht von einem völkerrechtswidrigen Vorgehen sprechen. Ich finde, Sie sollten endlich damit aufhören!
Mein zweiter Punkt richtet sich an den Kollegen Lafontaine: Zu Ihrer Totalverweigerung hat der Kollege Nachtwei interessanterweise während der Debatte, die wir vor einem Jahr über diesen Einsatz geführt haben, einen sehr interessanten Satz gesagt, den ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere:
Die Konsequenzen Ihrer Forderung, bezogen auf Afghanistan, sind ganz eindeutig und klar: volle Bewegungs- und Anschlagsfreiheit für die Taliban- und andere Terrorgruppen und Zerstörung des UN-mandatierten Stabilisierungsprozesses, der schon schwierig genug ist.
Das war damals wahr, das ist auch heute richtig. Deshalb kann ich die heutige Entscheidung der Grünen einfach nicht verstehen und nicht nachvollziehen.
- Ich weiß, dass Sie sehr gern über die veränderte Rolle von ISAF sprechen, Herr Kollege Nachtwei. Ich würde Sie gern beim Wort nehmen. Im letzten Jahr haben Sie dazu Folgendes gesagt:
Umgekehrt: Ohne Enduring Freedom keine ISAF, keine Stabilisierungschance für Afghanistan. Deshalb hat sich Präsident Karzai - übrigens im Unterschied zu den Formulierungen im Antrag der Linkspartei - ausdrücklich für die Präsenz dieser Truppen ausgesprochen.
Wenn es richtig ist, dass OEF sozusagen der Rückhalt, der backbone des Einsatzes für ISAF ist - diese Operation ist natürlich wesentlich mehr; das wissen wir alle und das ist auch in der heutigen Debatte schon deutlich angeklungen -, dann sollten wir auch die Konsequenz ziehen und klar sagen: Jawohl, wir unterstützen auch weiterhin dieses für die Stabilisierung in Afghanistan wichtige und unabdingbare Mandat.
Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch darüber Gedanken machen müssen, wie die Zukunft der beiden Mandate aussehen muss und wie wir den Stabilisierungsprozess in Afghanistan weiter vorantreiben müssen. Das ist vollkommen richtig. Es bedeutet auch nicht, dass wir einfach weitermachen können. Wir müssen nur zur Kenntnis nehmen: Momentan ist die Kombination aus Operation ?Enduring Freedom“,“ Active Endeavour“ und ISAF nicht ersetzbar. Ich glaube, das ist die Grundlage, auf der wir heute diskutieren müssen. Das müssen wir gemeinsam zur Kenntnis nehmen. Deshalb wird meine Fraktion mit ganz großer Mehrheit ganz deutlich sagen: Jawohl, wir unterstützten auch weiterhin den Kurs, den die Bundesregierung an dieser Stelle eingeschlagen hat.
Natürlich wurde heute auch viel über Interessen gesprochen. Es ist über unser Interesse gesprochen worden, an dieser Stelle zu sagen: Jawohl, die Bekämpfung des Terrorismus und die Stabilität in dieser Region sind für uns wichtige Dinge, die wir leisten wollen und müssen. Als jemand, der sich inzwischen mehr als vier Jahre lang im Bereich der Menschenrechte betätigt, sage ich auch: Die Stabilisierung kann nur dann funktionieren, wenn wir es schaffen, neben den militärischen Aspekten dieser ganzen Angelegenheit auch alle anderen Maßnahmen, die zum Beispiel unter die Begriffe Nation Building, Demokratisierungsprozess, Ausbildung, Austausch fallen, anzugehen und konsequent zu verfolgen. Auch das ist in der heutigen Debatte schon sehr häufig angeklungen.
Das Folgende, glaube ich, muss an dieser Stelle auch erwähnt werden. Wir haben oft erlebt, dass die internationale Staatengemeinschaft nach schlimmen Ereignissen - denken Sie an Srebrenica, an Ruanda und an viele andere Katastrophen - gesagt hat: Das wollen wir nicht noch einmal erleben, das werden wir nicht noch einmal zulassen. Meine Damen und Herren, es gibt schon genügend Gedenktage für schlimme Ereignisse. Lassen Sie uns mit der heutigen Entscheidung dafür sorgen, dass in Zukunft nicht noch ein weiterer Gedenktag hinzukommt!
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/3321 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3150 anzunehmen.
Mir liegen hierzu eine Reihe von persönlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, die wir zu Protokoll nehmen.
Für diese Abstimmung ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie immer geben wir Ihnen das Ergebnis der Abstimmung später, vermutlich während des nächsten Tagesordnungspunktes, bekannt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3366. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Dann ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 29 b, Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/3322 zu dem von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entschließungsantrag zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/3151 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 30 und zum Zusatzpunkt 8:
30. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Prüfplanung der Bundesregierung aufgrund des Koalitionsvertrages in der 16. Legislaturperiode
- Drucksachen 16/926, 16/2468 -
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Freiheit wagen
- Drucksache 16/3288 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache wiederum eineinviertel Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die so genannte große Koalition ist seit ziemlich genau einem Jahr im Amt. Die Bundeskanzlerin sprach in ihrer Regierungserklärung am 30. November letzten Jahres von einer ?Koalition der neuen Möglichkeiten“. Aus dieser ?Koalition der neuen Möglichkeiten“ ist längst eine Koalition geworden, der fast nichts möglich ist. Sie sind nicht in der Lage, am Arbeitsmarkt die notwendigen Reformen durchzuführen. Sie sind nicht in der Lage, in der Gesundheitspolitik mehr Wahlfreiheit zuzulassen. Selbst in diesem Jahr, wo die Steuerquellen sprudeln wie seit vielen Jahren nicht mehr, schaffen Sie es nicht, einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen. Das belegt, dass Sie das, was Sie sich vorgenommen haben, nicht hinbekommen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat vorgestern der Bundesregierung deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass sie das Jahr nicht genutzt hat. Vor einem Jahr trug das Gutachten den Titel ?Die Chance nutzen - Reformen mutig voranbringen“.
Dieses Jahr lautete er ?Widerstreitende Interessen - Ungenutzte Chancen“. Sie haben die Chancen nicht genutzt. Es ist schwarz auf weiß belegt, dass Sie nichts daraus gemacht haben.
Es kommt einem fast so vor, als ob Sie auf der Rolltreppe rückwärts gehen und uns erläutern wollen, es geht bei Ihnen zügig bergauf.
Ich darf zitieren, was der saarländische Ministerpräsident Peter Müller - CDU, falls es niemand weiß - gestern gesagt hat. Er sprach von den ?quälenden Meinungsbildungsprozessen in der Koalition“ und sagte wörtlich:
Viele hatten die falsche Vorstellung, dass große Koalition gleichbedeutend ist mit großer Veränderung.
Der Mann hat Recht. Sie schaffen keine wesentlichen Veränderungen.
Wann gab es denn je eine bessere Zeit als jetzt, da die Konjunktur Gott sei Dank angesprungen ist und sich beschleunigt? Das ist am wenigsten das Verdienst dieser Regierung. Durch die Restrukturierungsmaßnahmen der deutschen Wirtschaft, die boomende Weltwirtschaft und die moderaten und vernünftigen Lohnabschlüsse wurde die Basis für diese Belebung gelegt, aufgrund deren auch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen und sich das Wachstum beschleunigt.
Sie sind den Ratschlägen der Sachverständigen, den beginnenden Aufschwung nicht gleich wieder mit der Mehrwertsteuerkeule abzuwürgen, aber nicht gefolgt. Sie tun das Gegenteil von der Beschleunigung des Wachstums und der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. Sie würgen die Entwicklung durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ein Stück weit ab.
Ich finde es zutiefst unredlich - der Begriff ist schlecht, aber Sie benutzen ihn -, von der Unterschicht zu reden und denen, die im Schatten der Gesellschaft stehen, mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer das Leben zusätzlich zu erschweren,
wodurch Sie den Konsum, den Sie anregen müssten, abbremsen. Es ist doch keine aufrichtige Diskussion, von den Betroffenen zu reden, die Probleme zu beschreiben und ihnen gleichzeitig eines drüberzugeben. Das ist wahrlich keine in sich schlüssige Politik.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich in der großen Koalition entscheiden, was Sie wollen. Wollen Sie verwalten oder wollen Sie gestalten? Die Roten bewachen die Schwarzen und die Schwarzen bewachen die Roten. Die Selbstblockade ist vollkommen. Im Schlafwagen werden Sie die Zukunft aber nicht gewinnen. Sie müssen schon den Mut zur Veränderung haben und an die Lösung der Probleme herangehen.
Die Raison d’Être dieser großen Koalition muss sein, schwierige Reformprozesse anzukurbeln, und nicht, die Situation noch zu verschlechtern, wie das bei der Gesundheitsreform - das haben die Sachverständigen dargelegt - der Fall ist. Sie haben es Ihnen deutlich gesagt: Es ist ein Armutszeugnis, wenn man antritt, die Lohnnebenkosten durch eine Gesundheitsreform zu reduzieren, und mit einer erheblichen Beitragssteigerung einsteigt. Auch hier tun Sie das Gegenteil von dem, was Sie angekündigt haben.
Sie müssen eine konsistente, anspruchsvolle und ehrgeizige Politik machen und nicht im Konjunktiv - wenn, vielleicht und sonst was - verharren und in die Außenpolitik flüchten. Ich ahne schon, was im nächsten halben Jahr passiert, wenn wir sowohl in der EU als auch in der G 8 die Präsidentschaft innehaben: Außenpolitische Auftritte werden zelebriert und zu Hause wird das Notwendige nicht getan. Nein, die Politik muss mit der Erledigung der Hausaufgaben anfangen und das Elementare in Ordnung bringen.
Sie müssen jetzt die Chance nutzen, bei einer sich beschleunigenden Wirtschaft Reformen durchzuführen, damit wir auf Dauer auf einen höheren Wachstumspfad kommen und den fast 6 Millionen Menschen, die immer noch keine Arbeit haben - 4 Millionen Menschen sind es laut Statistik, die anderen befinden sich in ABM und anderen Maßnahmen -, eine echte Chance geben. Nutzen Sie die Chancen und verschlafen Sie die Chancen nicht!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte mitteilen. Es geht um die vorhin mehrfach zitierten Drucksachen 16/3150 und 16/3321. Abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 436, mit Nein haben gestimmt 101, enthalten haben sich 26 Mitglieder des Hauses. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Wir setzen die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 30 und Zusatzpunkt 8 fort. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Brüderle, wenn Sie vor einem halben Jahr, im März, gewusst hätten, wie die Bilanz der großen Koalition nach einem Jahr aussehen würde, dann hätten Sie wahrscheinlich darauf verzichtet, Ihre Große Anfrage, die heute zur Debatte steht, einzubringen.
Auch wenn Sie gerade am Telefon die neuesten Informationen einholen: Mit Ihren Erwartungen, die Sie in der Großen Anfrage formuliert haben, liegen Sie voll daneben. Die große Koalition kann nämlich nach zwölf Monaten eine gute Zwischenbilanz vorweisen. Deshalb möchte ich mich für diese Debatte ganz herzlich bei Ihnen bedanken; denn sie gibt uns Gelegenheit, heute über die tolle Bilanz der großen Koalition nach einem Jahr zu diskutieren.
Sehr geehrter Herr Westerwelle, liebe Kollegen von der FDP, ich darf zunächst einmal aus Ihrer Großen Anfrage zitieren, damit wir wissen, worüber wir reden.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Knapp fünf Millionen Menschen sind offiziell arbeitslos … Deutschland befindet sich in einer strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise. Die öffentlichen Kassen sind in eine nie gekannte Schieflage geraten.
So viel aus Ihrer Großen Anfrage.
Ich darf zunächst einmal festhalten: Ja, wir stehen in Deutschland vor großen Herausforderungen. Womit Sie als Antragsteller allerdings nicht gerechnet haben, ist, dass diese große Koalition die Herausforderungen annimmt und meistern wird.
Sanieren, investieren und reformieren, so lautet das Motto der großen Koalition. Die ersten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung hat die große Koalition auf den Weg gebracht.
Herr Brüderle, Sie haben eben gesagt, es sei nicht das Verdienst der Politik, dass es in Deutschland aufwärts geht. Dazu sage ich Ihnen: Das ist vielleicht nicht das alleinige Verdienst der Politik. Aber mit denen im Hause, die diese Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung abgelehnt haben, wäre es bestimmt nicht aufwärts gegangen. Deshalb haben Sie an diesem Aufschwung auf keinen Fall ein Verdienst. Wenn daran jemand ein Verdienst hat, dann sind es diejenigen, die im ersten Jahr mutig zugepackt haben.
Die erste Herausforderung ist das Thema Wachstum. In den Konjunkturprognosen des Sachverständigenrates - Sie haben ihn eben zitiert, Herr Brüderle - wird für dieses Jahr von einem Wachstum von 2,4 und für nächstes Jahr von 1,8 Prozent ausgegangen.
Auch im nächsten Jahr bleiben die Wachstumskräfte trotz der Erhöhung der Mehrwertsteuer bestehen. Das ist nach mehreren Jahren der Stagnation - so der Sachverständigenrat - eine bemerkenswert positive Entwicklung. Das heißt, selbst der Sachverständigenrat attestiert uns in seinem Gutachten, dass es in die richtige Richtung geht.
Dennoch werden wir als große Koalition die Herausforderung, das potenzielle Wachstum in Deutschland zu stärken, weiter entschlossen angehen.
Die zweite Herausforderung ist der Arbeitsmarkt. Der konjunkturelle Aufschwung hat dazu geführt, dass die Binnenwirtschaft und der Arbeitsmarkt positiv belebt worden sind. Eine halbe Million Arbeitslose weniger als vor einem Jahr! Wenn wir das vor einem Jahr angekündigt hätten, dann hätte das kein Mensch in der Republik geglaubt. Aber die große Koalition hat dieses Ziel erreicht. Darüber sollte man sich doch freuen.
Wir haben noch etwas erreicht. Wir schaffen jeden Tag in Deutschland etwa tausend neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
- Ja, natürlich schaffen wir das. Das ist, wie ich gesagt habe, auch ein Verdienst der großen Koalition.
Auf die Maßnahmen werde ich gleich noch zu sprechen kommen. Diejenigen, die nur populistisch daherreden und keine Alternative aufzeigen, haben daran bestimmt kein Verdienst.
Ich habe eben gesagt, dass wir als Politik an diesem Aufschwung nicht das alleinige Verdienst haben. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen: Ein Teil dieses Verdienstes ist auch dem Mitwirken der Tarifpartner geschuldet. Für die verantwortliche Haltung der Tarifpartner für mehr Arbeitsplätze in Deutschland möchte ich ausdrücklich danke sagen. Damit haben sie der Politik und allen Menschen in unserem Lande sehr geholfen. Ich hoffe, dass wir diese gemeinsamen Anstrengungen fortsetzen.
Wir nehmen die Herausforderung von 4 Millionen Arbeitslosen an. Wir sind mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit um eine halbe Million nicht zufrieden. Vielmehr müssen wir die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen weiter reduzieren. Daran werden wir in der Zukunft arbeiten.
Die dritte Herausforderung ist der Bundeshaushalt. Wir alle haben die positiven Zahlen der Steuerschätzung gehört. Für uns hat die Rückführung der Nettokreditaufnahme erste Priorität. Als wir die Koalitionsverhandlungen begonnen haben, Herr Kollege Scholz, sind wir bei der Nettokreditaufnahme von einem Niveau von etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen. In dem Bundeshaushalt für 2007, über den wir in der nächsten Sitzungswoche diskutieren werden, wird eine Nettokreditaufnahme von 19,6 Milliarden Euro stehen. Das ist eine Halbierung binnen eines Jahres. Vor diesem Hintergrund kann man sich doch nicht hinstellen und erklären, dass nichts geschieht. Das ist eine gewaltige Leistung dieser Koalition und ein Sprung nach vorne. Mir ist aber auch eine Nettokreditaufnahme von etwa 20 Milliarden Euro zu viel. Deswegen werden wir den Weg der Konsolidierung weiter beschreiten, Herr Brüderle.
Ich habe Ihnen aufgezeigt, wie die drei großen Herausforderungen - Arbeitsmarkt, Wachstum und Staatshaushalt - angegangen worden sind. Wir werden in 2007 die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung haben. Hier muss man doch anerkennen, dass es nach vorn geht, und kann nicht einfach wie während der fünften Jahreszeit in Mainz erklären: Das wollen wir alles nicht hören.
Wir sind hier in Berlin und nicht in Mainz auf dem Fasching; wir sind bei der Lösung von ernsthaften politischen Problemen unseres Landes.
Sie haben zu Recht gesagt, dass der Aufwärtstrend teilweise konjunkturell bedingt sei. Wir wissen das und wollen dann, wenn auf der Seite der Konjunktur die Sonne scheint, die Strukturen in unserem Land verändern und damit nicht warten, bis es wieder stürmt und schneit. Deshalb packen wir die Strukturveränderungen an.
Wir haben einiges erledigt: Die Föderalismusreform I ist von dieser Koalition abgeschlossen worden. Das sollte man anerkennen. Wir haben eine Hightechstrategie auf den Weg gebracht, um unser Land im Bereich Innovationen nach vorn zu bringen. Der Bürokratieabbau ist auf den Weg gebracht. Auch das ist nicht nur ein Nebenfeld, auf dem nichts geschieht. Auch wenn tolle populistische Reden dagegen gehalten werden: Es wird angepackt, es wird vorangebracht und es geschieht etwas.
Im Zusammenhang mit Populismus und Strukturreformen möchte ich noch das Thema Rente mit 67 nennen. Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Lebenserwartung der Menschen in unserem Land erfreulicherweise wächst. Will man verantwortlich mit dem Thema Alterssicherung umgehen, muss man sich die Frage stellen: Müssen wir nicht die Lebensarbeitszeit dieser wachsenden Lebenserwartung anpassen?
Das ist kein populäres Thema. Dennoch stellt sich diese Koalition dieser Aufgabe in großer Verantwortung vor der Zukunft der Menschen in unserem Land, auch wenn sie dafür nicht mit Beifall bedacht wird.
Jetzt komme ich zum Thema höhere Belastungen. Herr Brüderle, Sie haben es vorhin angesprochen. Sie sind jedoch auf einem Auge blind. Wir sorgen nämlich zum 1. Januar 2007 für die größte Entlastung in diesem Land,
und zwar in einem Bereich, der für die Zukunft der Menschen wichtig ist: bei den Arbeitskosten, bei den Lohnnebenkosten.
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken um 2,3 Prozent. Auch das sollte man gelegentlich einmal erwähnen.
Auch wenn der eine oder andere diese Entscheidung nicht mitträgt, bin ich persönlich der Meinung, dass die Strategie, den Haushalt zu sanieren, zu konsolidieren und gleichzeitig auf günstigere Arbeitsmarktkonditionen zu setzen, die richtige Strategie ist. Dies hat eine nachhaltige Wirkung auf die Konsolidierung und führt gleichzeitig zu mehr Beschäftigung und damit zu mehr Wohlstand für die Menschen. Deshalb werden wir diesen Weg entschlossen weitergehen.
Die Sachverständigen haben zur Einigung bei der Unternehmensteuerreform nicht Stellung genommen. Auch hierzu haben wir gemeinsam klare Eckpunkte vorgelegt. Wir verbessern damit die Investitionsbedingungen am Standort Deutschland, schaffen mehr Investitionen in Deutschland und verbessern damit die Chancen auf mehr Arbeitsplätze. Das bringt den Menschen auch mehr Wohlstand. ?Mehr Arbeitsplätze in Deutschland“ ist auch eine Ansage gegen das Thema Unterschicht, Herr Brüderle. Nicht populistische Reden, sondern bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt brauchen die Menschen. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Die Koalition bringt die Dinge entsprechend voran.
Wir sorgen nicht nur für günstigere Rahmenbedingungen, damit Unternehmen hier mehr investieren. Wir sorgen auch dafür, dass die Unternehmensgewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, hier der Besteuerung unterzogen werden. Das ist ein wichtiges Anliegen und kein ökonomischer Unsinn.
Ich bin gespannt, wo Sie am Ende stehen: ob Sie diejenigen unterstützen, die ihre Gewinne über die Landesgrenze schieben, oder ob Sie dafür sorgen, dass die Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch hier besteuert werden. Wir stellen uns auch dieser Verantwortung.
Auch stehen wir vor einer wichtigen strukturellen Entscheidung für den Finanzplatz Deutschland, nämlich vor der Entscheidung, die Abgeltungsteuer einzuführen. Dazu darf ich Herrn Steinbrück zitieren:
25 Prozent von x sind besser als 42 Prozent auf nix.
Wenn die Menschen die Steuern, die sie eigentlich zahlen müssten, nicht zahlen, nützt uns das nichts. Wir brauchen ein Steuersystem, das von den Menschen akzeptiert wird, sodass sie ihre Pflichten erfüllen. Ferner müssen wir die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland erhöhen, damit Investoren Investitionen tätigen
und die Dinge, die notwendig sind, finanzieren. Mit der Abgeltungsteuer schaffen wir die entsprechenden Voraussetzungen. Außerdem entledigen wir uns damit der üblen Kontrollmitteilungen, die wir dann nicht mehr brauchen. Ich bin der Meinung, das ist für dieses Land strukturell ein klarer Schritt nach vorne.
Ich möchte dem Bundeskabinett dafür danken, dass es zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge den Entwurf eines Gesetzes zur Erbschaftsteuerreform beschlossen und auf den parlamentarischen Weg gebracht hat.
Damit wird endlich dafür gesorgt, dass angesichts von knapp 50 000 Unternehmensnachfolgen pro Jahr die entsprechenden Arbeitsplätze nicht zum Beispiel deshalb abgebaut werden, weil bei der Übernahme Liquidität verloren geht. Es wird ein Beitrag dazu geleistet, dass ein junger Mensch, der die Chance hat, in ein Unternehmen einzutreten und dort ein Risiko zu tragen und Verantwortung zu übernehmen, vom Staat eine Hilfestellung bekommt, statt belastet zu werden. Deshalb tun wir das.
Wir sind sehr aktiv, wenn es um Existenzgründungen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht. Wir sollten uns aber in diesem Sinne auch darum kümmern, dass Unternehmen an unserem Standort, die lebensfähig sind, in der Phase der Erbfolge bzw. des Unternehmensübergangs erhalten bleiben und nicht durch staatliche Eingriffe behindert werden.
Lassen Sie mich etwas zur Mittelstandsinitiative der Bundesregierung sagen. Es wird immer behauptet, im Hinblick auf den Mittelstand geschehe nichts. Doch wir sind den Abbau bürokratischer Hindernisse entschlossen angegangen. Wir verfolgen dabei einen neuen Ansatz, der aus den Niederlanden stammt. Die Stichworte in diesem Zusammenhang lauten Bürokratie-TÜV und Standardkostenmodell. Jetzt wird in Deutschland endlich mit den Sonntagsreden Schluss gemacht und eine neue Philosophie verfolgt, um Bürokratie und Regulierungswut zu bekämpfen.
Wir sind mit Ihnen von der FDP einer Meinung, wenn es darum geht, mehr Freiheit zu wagen. Aber im Gegensatz zu Ihnen tun wir es und reden nicht nur darüber. Ich bin also der Meinung, dass wir die richtige Richtung eingeschlagen haben.
Ich freue mich, dass der Bundeswirtschaftsminister, nachdem im Juni dieses Jahres das erste Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet worden ist, noch in diesem Jahr ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz vorbereiten wird und dass die Koalition damit konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau ergreift.
Wir wollen die Startbedingungen für Gründer und Kleinunternehmer verbessern. Wir wollen die Registereintragungen bei der Gründung eines Unternehmens beschleunigen und ein zentrales Unternehmensregister schaffen. Hinzu kommt eine Reform des GmbH-Rechts. All das gehört zusammen. Ich glaube, manchmal leiden wir und leidet vielleicht auch die Öffentlichkeit darunter, dass gar nicht mehr wahrgenommen wird, welche Veränderungen in unserem Land binnen zwölf Monaten stattgefunden haben.
Vielleicht sollten wir mehr darüber reden, was sich zum Positiven verändert hat, statt immer nur beckmesserisch über das eine oder andere Detail zu streiten und dabei die große Linie aus den Augen zu verlieren.
Nun komme ich auf die Stärkung der Innovationsfähigkeit des Mittelstandes zu sprechen. Wir wollen mehr kleine und mittelständische Unternehmen in die Lage versetzen, Innovationen, Forschung und Entwicklung betreiben zu können. Frau Kollegin Aigner, das ist im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen, eine große Chance. Dieses Thema packen wir entschlossen an. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit der Modernisierung der beruflichen Bildung. In diesem Zusammenhang werden neue Berufsbilder und gestufte Ausbildungsgänge geschaffen.
All diese Maßnahmen dienen dem wichtigen Ziel der Qualifizierung. Wir dürfen nicht nur über die Ergebnisse der PISA-Studie und über Bildungsmängel klagen. Vielmehr müssen wir diese Probleme konkret angehen und uns für ein höheres Bildungsniveau und damit für bessere Arbeitsmarktchancen für die Menschen in unserem Land einsetzen.
Als letzten Punkt will ich das Thema Wagniskapital ansprechen. All das, was wir für die Bildung und für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft tun, ist gut. Aber wir brauchen auch diejenigen, die Wachstum finanzieren. Wenn jemand, der gute Ideen hat und alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt, ein Unternehmen gründen möchte, muss das bezahlt werden können. An dieser Stelle haben wir ein großes Defizit. Ich möchte dem Bundeskabinett herzlich dafür Dank sagen, dass es im Zusammenhang mit der Diskussion über die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform und die REITs angekündigt hat, bis zum 1. Januar 2008 ein Gesetz zur Finanzierung von Wagniskapital auf den Weg bringen zu wollen.
Wir werden an dieser Stelle alles tun, um die Rahmenbedingungen für die Wagniskapitalfinanzierung in Deutschland attraktiver zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie alle sind eingeladen, dabei mitzutun und diese Vorhaben zu unterstützen, damit wir unser Land in gemeinschaftlichem Geist voranbringen und den Menschen Mut für einen neuen Aufbruch machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann für die Fraktion Die Linke.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nun liegt es an mir, etwas Wasser in den Wein zu gießen.
Ich hatte in dieser Woche eine Besuchergruppe zu Gast, die mich gefragt hat, ob ich mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sei. Auf meine Gegenfrage, ob sie es denn sei, kam als Antwort ein vielstimmiges Nein. Nein, mit dieser Regierung kann man nicht zufrieden sein.
Erinnern wir uns an die Situation vor etwas mehr als einem Jahr: Rot-Grün wurde abgewählt. Das war eine ganz klare Absage an weiteren Sozialabbau, an die Agenda 2010 und an Hartz IV.
Dass es seinerzeit eine deutliche Mehrheit für eine große Koalition gab, hat etwas mit den großen Problemen in diesem Land wie der Massenarbeitslosigkeit und den Disproportionen in der wirtschaftlichen Entwicklung - eine schrumpfende Binnennachfrage bei einem deutlichen Exportwachstum -, den instabilen sozialen Sicherungssystemen - wie sicher ist zum Beispiel die Rente noch? - und der Verschuldung der öffentlichen Haushalte zu tun.
Ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler hat große Hoffnungen auf die stabile Mehrheit einer großen Koalition gesetzt. In dieser großen Hoffnung haben Sie sie arglistig getäuscht.
Es ist auch eine Folge Ihrer Politik, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung inzwischen kein Vertrauen mehr in die Demokratie hat.
Vor kurzem beklagte der Vizekanzler, Franz Müntefering, mit Tränen in den Augen, es sei doch unfair, dass die Wählerinnen und Wähler die CDU/CSU und die SPD an ihren Wahlversprechen messen. - Woran sonst sollen die Wählerinnen und Wähler Sie denn messen, wenn nicht an den Wahlversprechen?
Sie sind doch gerade für Ihre Wahlversprechen gewählt worden. Die SPD zum Beispiel ist auch deshalb gewählt worden, weil sie die Mehrwertsteuererhöhung als unwirtschaftlich und unsozial abgelehnt hat.
Die Halbwertszeit der Wahlversprechen ist offenkundig so niedrig wie nie zuvor. Schon der Koalitionsvertrag ist eine Ansammlung unverbindlicher Absichtserklärungen und diverser Prüfaufträge, die die FDP mit ihrer Großen Anfrage hier nun auf den Prüfstand gestellt hat.
Wie weit ist die Bundesregierung ein Jahr nach der Wahl tatsächlich gekommen? Die Antworten geben ein beredtes Zeugnis für das Nichthandeln der Regierung. Die Bundesregierung prüft und prüft und prüft in der Hoffnung, dass darüber die Legislaturperiode vorübergeht.
Die Antwort auf die Große Anfrage beweist auch, dass diese Regierung konzeptionslos ist bzw., wie es Herr Rüttgers, der Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, formuliert hat
- er gehört, glaube ich, der CDU an -, dass die Regierung derzeit keine gemeinsame Leitidee habe und sich schwer tue, ihrem Regierungshandeln eine klare Kontur zu geben. Es gebe kein großes Ziel. - Wo er Recht hat, hat er Recht.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olaf Scholz?
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Gerne.
- Für die Aufklärung von Herrn Scholz ist das wahrscheinlich nötig.
Olaf Scholz (SPD):
Frau Kollegin, war das eben ein Koalitionsangebot an Herrn Rüttgers?
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Da es nach wie vor genug Unterschiede zwischen Herrn Rüttgers und der Linken gibt, war das selbstverständlich kein Koalitionsangebot. Aber ich finde, das wirksamste Argument ist immer noch, jemanden mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Da Herr Rüttgers sehr gut über die Koalition - insbesondere über die CDU - Bescheid weiß, sollte man ihn auch ab und zu als Autoritätsbeweis heranziehen. Vielen Dank, Herr Kollege Scholz.
Dass die Regierungskoalition konzeptionslos ist, ist auch die Auffassung der Linken. In einem Punkt ist die Regierung allerdings sehr konsequent und ideenreich, und zwar beim weiteren Abbau des Sozialstaates. Sie missbrauchen Ihre satte Mehrheit, um den Bürgerinnen und Bürgern immer unverschämter in die Tasche zu greifen.
Dazu hat der Kollege Meister zum Beispiel gar nichts gesagt. Ich erinnere nur an die Kürzung der Pendlerpauschale und des Sparerfreibetrages, weitere Nullrunden für Rentnerinnen und Rentner, die de facto Rentenkürzungen bedeuten, oder die Rente mit 67 - sie ist im Ergebnis ebenfalls eine Rentenkürzung -, steigende Beiträge für Krankenversicherung und Rentenversicherung, die für das kommende Jahr angekündigt sind, die Verschärfung der Hartz-IV-Regelungen und die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte, die offensichtlich ein Wahlbetrug ist.
Sie verschärfen die soziale Schieflage in rasantem Tempo. Die Schere zwischen Einkünften aus privatem Vermögen einerseits und Löhnen und Gehältern andererseits wird immer größer. Zugleich steigen die Managergehälter in astronomische Höhen, bei der Deutschen Post zum Beispiel um 18 Prozent, bei Eon um 63 Prozent und bei der Commerzbank sogar um 187 Prozent. Die geplante Unternehmensteuer bringt den Großunternehmen weitere Geschenke in einer Größenordnung von 29 Milliarden Euro im Jahr. Die Realeinkommen sinken hingegen.
Inzwischen leben 10 Millionen Menschen in Armut - darunter sind 2,5 Millionen Kinder -; die Existenzunsicherheit nimmt in immer größeren Teilen der Bevölkerung zu.
Zu all dem haben Sie nichts gesagt, Herr Meister. Nach all dem hat aber auch die FDP nicht gefragt.
Ich habe am Anfang von enttäuschten Hoffnungen gesprochen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, an dieser Stelle haben auch Sie mich enttäuscht. Ich hatte die leise Hoffnung, dass sich die FDP irgendwann doch noch zu einer akzeptablen Opposition entwickelt. Diese Hoffnung haben Sie mit Ihrer Großen Anfrage leider enttäuscht. Sie sind wirklich nur eine Regierung im Wartestand; das ist schade.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion.
Olaf Scholz (SPD):
Meine Damen und Herren! Es ist manchmal wichtig, dass diejenigen, die noch etwas zu lernen haben, zuhören. Das sind heute die Abgeordneten der FDP.
Ich bedanke mich daher für ihr zahlreiches Erscheinen.
Sie haben nun Gelegenheit, von den Erfahrungen zu profitieren, die viele Menschen mit der Arbeit der Regierung seit der Neuwahl machen konnten.
Die Große Anfrage bietet uns eine gute Gelegenheit - sie ist wohl die Fleißarbeit eines Sachbearbeiters der FDP, der sich den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sehr sorgfältig durchgelesen hat -,
einmal auf den Feldherrnhügel hinaufzusteigen und sich die Landschaft anzuschauen. Es zeigt sich, dass jenseits des Tagesgetümmels viele Reformen zustande gekommen sind bzw. auf den Weg gebracht wurden. In diesem Lande bewegt sich etwas. Die große Koalition wird ihrem Auftrag und ihren selbst gesteckten Zielen gerecht.
Da einige Punkte noch nicht fertig bearbeitet sind, haben wir ein gutes Programm bis 2009. Auch das ist vielleicht eine interessante Botschaft: Diese Koalition hat nicht ein Arbeitsprogramm für ein, zwei Jahre vorgelegt, sondern ein Regierungsprogramm, das bis zum Ende dieser Legislaturperiode reicht
und das uns die Chance verschafft, Jahr für Jahr, Halbjahr für Halbjahr, Monat für Monat dazu beizutragen, dass Fortschritte in der Gesetzgebung dieses Landes zustande kommen.
Weil es keinen Sinn macht, in politischen Debatten ständig das zu wiederholen, was andere gesagt haben, verweise ich Sie zunächst auf die Rede meines Unionskollegen. Er hat in seiner schnellen Rede unglaublich viele Einzelmaßnahmen aufgezählt, die wir schon durchgeführt haben. Eigentlich müsste er Sie sehr beeindruckt haben.
- Das habe ich gehofft. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass das auch hilfreich wäre; denn während Herr Brüderle eine etwas wolkige Rede gehalten hat, die genauso gut zu jedem anderen Tagesordnungspunkt gepasst hätte und in der er einfach das gesagt hat, was er schon immer sagen wollte, ist der Kollege von der Union konkret geworden, und die Wahrheit ist eben konkret.
- Den Karnevalswitz sollten wir noch einmal laut sagen: So wie Rainer kann es keiner!
Ich will auf das eingehen, was aus meiner Sicht in der Arbeit des abgelaufenen Jahres bemerkenswert war. Zuerst haben wir eine ganze Reihe von Steuervergünstigungen abgebaut. Das finde ich deshalb bemerkenswert, weil die Wirklichkeit unseres Landes ja wie folgt aussieht: Diejenigen, die sich länger damit beschäftigen, wissen, dass es ein ganzes Bündel von Steuervergünstigungen gibt, die - so wird es von allen ständig gefordert - abgeschafft werden müssten. Aber die politische Wirklichkeit in diesem Land, das Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat sowie das Zusammenspiel von Regierung und Opposition, hat dazu geführt, dass tiefere Einsichten, die parteiübergreifend in diesem Hause vorhanden sind, nicht Gesetzeswirklichkeit werden konnten. Der ehemalige Finanzminister Eichel kann ein Lied davon singen, wie viele seiner Initiativen gescheitert, nun aber Gesetzesrealität sind. Dieses Beispiel ist ein Beleg dafür, dass es doch einen weit über parteipolitische Auseinandersetzungen hinausgehenden Konsens gibt. Eine Aufgabe der großen Koalition ist, die Gelegenheit zu nutzen und manche Dinge endgültig außer Streit zu stellen.
Ich will das an einem Einzelbeispiel aus dem Themenbereich Steuervergünstigungen belegen.
Es gibt kaum Fachleute außer sehr interessierten Lobbyisten, die sich nicht schon seit Jahren darüber einig waren, dass die Eigenheimzulage eine teure und überflüssige Subvention war. Es hat aber wahrscheinlich in diesem Hause kaum einen Politiker und kaum eine Politikerin gegeben, die geglaubt haben, dass man sie jemals abschaffen kann. Dieses fatalistische Gefühl, das die Politikerinnen und Politiker, die Journalisten, aber auch die Wählerinnen und Wähler begleitet, nämlich dass es eigentlich richtig wäre, etwas zu tun, das aber nicht geschieht, weil sich etwas verhakt, ist nicht gut für die demokratische Entwicklung und für den Fortschritt in unserem Land. Insofern bin ich sehr froh, dass wir so eine Maßnahme zustande gebracht haben, und ich bin sehr froh darüber, dass wir das mit der großen Koalition bewältigt haben.
Dieser Abbau von Steuervergünstigungen wird auch weiter einen Beitrag dazu leisten, dass wir mit unserem Haushalt besser zurechtkommen. Auch das zeichnet sich ab.
Zu den Dingen, die wir bereits gemacht haben, gehören auch eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaftstätigkeit.
Da gibt es sehr viel. Eine Maßnahme, die sich als großer Renner erwiesen hat, will ich herausgreifen: die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen in Privathaushalten. Das ist aus meiner Sicht eine gute Unterstützung. Damit kommen wir weg von der Schwarzarbeit und hin zu einer regulären Tätigkeit und tragen zur Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung bei. Ich bin viel skeptischer gegenüber Subventionen eingestellt als mancher in der FDP.
Aber ich bin fest davon überzeugt, dass man in bestimmten Situationen durch einen Anreiz eine Entwicklung auf den Weg bringen kann, die weit über die direkt dafür eingesetzten Mittel hinaus wirkt. Hier geht es darum, vielen Leuten deutlich zu machen, dass es möglich, richtig und sinnvoll ist, Handwerker mit regulären Arbeiten zu beauftragen, anstatt Schwarzarbeiter zu beschäftigen. Damit ist nicht nur ein Lerneffekt, sondern auch ein wirtschaftlicher Effekt verbunden. Beide Effekte gehen weit über die unmittelbare Unterstützung hinaus. Ich hoffe für das deutsche Handwerk und für den deutschen Mittelstand, dass das diese Auswirkungen hat. Ich lerne übrigens auch jeden Tag, dass mancher Handwerker bei Gelegenheit eines Auftrages nun beweisen kann, dass seine Arbeit so teuer, wie manche Politiker es darstellen, gar nicht ist und dass man sie sich eigentlich auch ohne Subventionen leisten könnte.
Das Gleiche gilt für die Maßnahmen zur Gebäudesanierung, die wir unterstützt haben. Auch die gehen in die richtige Richtung und haben einen Effekt, der weit über die unmittelbare Unterstützung hinausgeht. Das trägt dazu bei, dass die Menschen in ihr unmittelbares Lebensumfeld und in ihr Eigentum etwas investieren, was für die Zukunft unseres ganzen Landes von zentraler Bedeutung ist. ?Richtig gemacht“, das ist ein guter Bericht über die Arbeit der großen Koalition.
Ein anderes Thema, anhand dessen ich exemplarisch zeigen kann, dass wir etwas zustande bringen, ist die Einführung des Elterngelds.
Ich will das deshalb sagen, weil auch damit der Erfolg dieser Koalition bewiesen worden ist. Es geht ja bei vielen Themen nicht nur darum, etwas technisch richtig zu machen und eine kluge Regelung zu finden.
Das haben wir getan. Es geht manchmal auch darum, ideologische Gräben, Gegensätze, die gar nicht sachlich begründet sind und die verhindern, dass man das Notwendige tut, zu überwinden. So sehr es dem einen oder anderen in meiner Partei schwer fällt, zu erleben, dass gute Vorschläge, die in unserer Partei schon lange diskutiert worden sind, nun auch von einer Ministerin unseres Koalitionspartners richtig gefunden werden, so sehr ist das ein großer Erfolg, und zwar nicht für die SPD, sondern für unser Land. Denn es wäre hinderlich, wenn es wegen eines vermuteten und eigentlich 20 Jahre alten parteipolitischen Konflikts nicht gelänge, Erfolge für die Menschen und für die Familien zu erreichen, die sich der modernen Lebenswirklichkeit unseres Landes anpassen. Das ist uns gelungen und wir haben da manche Grenzen überschritten. Unabhängig von dieser konkreten Reformleistung wird das bei den Menschen darüber hinaus dazu beitragen, dass sie sich auf die neue Lebenswirklichkeit einstellen. Wir sind mittlerweile von Nord bis Süd bereit, die Lebenswirklichkeit moderner Familien zu akzeptieren. Da geht es nicht nur um Elterngeld, sondern auch um Krippen, um Kindergärten, Ganztagsschulen usw. Das wird jetzt ganz anders diskutiert als noch vor zehn Jahren. Da hat die Koalition für das Land inhaltlich und konzeptionell einen Fortschritt über das hinaus erreicht, was wir technisch getan haben.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Olaf Scholz (SPD):
Ja.
Ina Lenke (FDP):
Herr Scholz, Sie haben gerade von den Krippenplätzen gesprochen. Meine Frage betrifft das Elterngeld, das jetzt nur für ein Jahr gezahlt wird - ohne die Anschlussbetreuung von Kindern. Diese durch den Bund mitzufinanzieren, lehnen Sie permanent - da sind Sie sich einig in der Koalition - ab. Denn die 1,5 Milliarden Euro aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die den Kommunen zur Verfügung stehen sollten, haben Sie bisher nicht den Kommunen gegeben. Insofern vermisse ich, dass der, der die Musik bestellt, auch bezahlt.
Sie sprechen vom Erfolg des Elterngeldes. Ich höre aber Frauen, die fragen, wo die Anschlussbetreuung bleibt, da ohne sie das Elterngeld nur ein nettes Starterpaket für Familien sein würde. Den Erfolg, den wir alle - auch die FDP - mit dem Elterngeld erreichen wollen, werden Sie dann nicht haben. Es wird Sie wie ein Bumerang treffen, wenn Sie den Kommunen nicht sehr schnell Geld geben, um diese Anschlussbetreuung zu organisieren. Und sagen Sie mir jetzt bitte nicht, das sei nur eine Aufgabe der Kommunen.
Olaf Scholz (SPD):
Verehrte Frau Kollegin, die Musik bestellen nicht der Bund, die Länder oder die Kommunen, sondern - gestatten Sie mir den Hinweis auf unsere Staatsverfassung - die Wählerinnen und Wähler. Die haben eine andere Politik in diesem Land bestellt, und zwar mit einer sehr klaren Perspektive. Ihnen ist es nämlich völlig egal, ob nun gerade die Gemeinden oder die beiden Staatsebenen - also die deutschen Länder oder der Bundesstaat - zuständig sind. Sie sagen: Ihr müsst das gemeinsam hinkriegen.
Was wir nach der Föderalismusreform noch verstehen und hinbekommen müssen, ist, dass es nationale Debatten zu Fragen, die uns alle angehen und bei denen wir alle etwas Richtiges und Neues für das Land machen müssen, gibt, die aber nicht von der einen Ebene auf Kosten der anderen Ebene gelöst werden können. Bei diesen Aufgaben ist vielmehr eine gemeinsame Anstrengung, ein Zusammenarbeiten notwendig, nicht aber, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Deshalb ist es ein sehr guter Einfall des Bundes - der letzten Regierung sowie der jetzigen, die daran festhält - gewesen, den Gemeinden 1,5 Milliarden Euro zu geben, damit sie eine ihrer originären Aufgaben neu beginnen können. Aber es bleibt dabei, dass nicht die bösen Bundestagsabgeordneten oder die Ministerpräsidenten, sondern die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die gewählt werden wollen, von den Wählerinnen und Wählern in Zukunft mit anderen Fragen als früher konfrontiert werden. Die Wähler werden fragen, wieso es nicht längst so ist, wie es sein sollte, nämlich dass wir eine flächendeckende Kinderbetreuung in den Gemeinden, so wie Eltern sie wollen, haben. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Meine Damen und Herren, wir haben - das ist eine gute Anknüpfung an dieses Thema - eine Föderalismusreform zustande gebracht, an die viele nicht mehr geglaubt haben. Ich will das deshalb beschreiben, weil ich meine, dass sie viel erfolgreicher ist, als es in dem Diskussionsprozess und in den angestrengten Debatten zu der Zeit, als sie beschlossen wurde, wahrgenommen worden ist. Der Bund kann mittlerweile viele Gesetze in eigener Verantwortung machen. Das erleben wir jetzt etwa bei der Diskussion um die Gesundheitsreform. Es ist nicht der Bundesrat, der die Regierung aufhalten kann. Es sind höchstens Politiker, die in Parteivorständen Einfluss haben. Das hat eine andere Qualität, als wenn sie auf die institutionelle Macht in einem Verfassungsorgan verweisen könnten.
Das Gleiche gilt für viele andere Dinge. Sowohl das anfangs der letzten Regierungsperiode auf den Weg gebrachte Staatsbürgerschaftsrecht als auch die Gesundheitsreformen der letzten Legislaturperiode könnten nach der Reform der Staatsverfassung vom Bund allein beschlossen werden, ohne dass ihn jemand dabei aufhalten könnte.
Insofern glaube ich, dass wir das erreicht haben, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Sie erwarten nicht, dass wir uns das Leben leichter machen, dass wir mit weniger Leuten verhandeln müssen und dass die Nächte nicht mehr so lang werden. Das klappt ja - wie man sieht - ohnehin nicht. Sie erwarten, dass wir einen Weg aus der Situation finden, in der man nicht mehr überschauen kann, wer es überhaupt war, der da etwas richtig oder falsch gemacht hat, und in der keiner von uns mehr erklären kann, wer von der Regierung, der Opposition, den Ländern und dem Bundestag eigentlich welchen Anteil an Gesetzen hat.
Das ist anders geworden. Das ist ein großer Fortschritt. Langfristig werden die Auswirkungen noch viel größer sein als das, was durch die Reform der Institutionen selber erreicht worden ist. Darüber hinaus wird die Politik verständlicher und damit akzeptabler sein. Das sind wir als Demokraten der Demokratie und den Menschen in unserem Lande schuldig.
Es ist wichtig, dass wir die Föderalismusreform II - sie betrifft die Finanzverfassung von Bund und Ländern - durchführen. Wir werden dazu demnächst eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern einsetzen. Ich will Ihnen sagen: Ich möchte, dass diese Arbeitsgruppe erfolgreich ist. Diese Koalition hat in diesem Parlament eine Mehrheit, die Verfassungsänderungen möglich macht. Auch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind Verfassungsänderungen möglich. Dies sollte genutzt werden, um eine Reform zustande zu bringen, durch die den Ländern mehr Verantwortung für das, wofür sie selber zuständig sind, zukommt, ohne dass die in der deutschen Finanzverfassung verankerte Solidarität zwischen Bund und Ländern und den Längern untereinander aufgegeben wird. Diese Aufgabe ist schwierig, aber lösbar. Wir wollen sie jetzt anpacken.
Die letzte größere, schon auf den Weg gebrachte Reform, die ich ansprechen will, ist die Reform des Gesundheitswesens.
Es läuft auch da anders, als Ihre Große Anfrage - Stichwort ?Prüfplanung“ - nahe legt. Schaut man sich Ihre Große Anfrage an, stellt man fest, dass ein großer Teil der Fragen die Gesundheitsreform betrifft. Um Ihre Fragen beantwortet zu finden, brauchen Sie nur den Gesetzentwurf zu lesen. Das heißt, dieser Koalition ist es gelungen, Lösungen für eine ganze Zahl von schwierigen Problemen zu finden.
Ich will nicht behaupten, dass diese Lösungen identisch mit den möglichen Beschlüssen eines SPD-Parteitages sind. Auch behauptet niemand, dass diese Lösungen identisch mit den möglichen Beschlüssen eines CDU- oder eines CSU-Parteitages sind. Das kann man nicht behaupten. Aber das erwartet auch niemand von uns. Vielleicht ist es gut, dass wir die Wahrheit ausplaudern: Es ist nicht so, dass sich die Parteien in diesem Lande immer ähnlicher werden und dass sie gar nicht mehr unterscheidbar sind. Das wird im Hinblick auf die FDP, die Union, die Grünen, uns und gelegentlich sogar die PDS behauptet. Über alle wird gleichmacherisch sozusagen ein und dieselbe Soße gegossen. Wer das tut, wird der Wirklichkeit nicht gerecht.
Dass es so nicht ist, heißt aber nicht, dass wir wegen unterschiedlicher Ausgangspunkte keine gemeinsamen Ergebnisse erzielen könnten. Das zu glauben, ist eine völlig undemokratische Vermutung. Es gibt nichts, was im Geheimen vorab als richtig gilt. Es gibt nicht irgendeinen richtigen Geheimplan, den irgendjemand versteckt. Koalitionsentscheidungen sind immer das Ergebnis einer demokratischen Debatte, einer Auseinandersetzung und eines Konsenses. Einen solchen Konsens haben wir erzielt, im Übrigen gegen den heftigen Widerstand der anfragenden FDP.
Gerade unsere Lösung bedeutet mehr Markt, mehr Wettbewerb unter den Leistungsanbietern und damit günstigere Preise für das, was die Versicherten brauchen. Eine der interessantesten Beobachtungen, die man auf diesem Feld macht, ist, dass diejenigen, die das Wort ?Wettbewerb“ im Munde führen, immer den Wettbewerb der Versicherten untereinander meinen. Allerdings sollte es im Gesundheitswesen nicht um diesen Wettbewerb gehen, sondern um den Wettbewerb um die besten Leistungen für die Versicherten, und das bei vernünftigen Preisen.
Da sind wir einen ganz erheblichen Schritt vorangekommen. Auch das ist eine Leistung dieser Koalition. Ich denke, die vorzulegende Bilanz ist gut. Die Anzahl der Koalitionsredner in dieser Debatte wird nicht ausreichen, auf alle Einzelheiten einzugehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Matthias Berninger für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Rednern der großen Koalition in dieser Debatte aufmerksam gelauscht hat, dann hat man festgestellt, dass sie reden, als befänden sie sich im letzten Regierungsjahr: Heute waren eine ganze Menge Durchhalteparolen zu hören.
Die Große Anfrage der FDP, die zu der heutigen Debatte geführt hat, zeigt - wenn man sich die Prüfaufträge anschaut, die die große Koalition sich selbst ins Stammbuch geschrieben hat -, dass diese große Koalition nicht nur eine schwere Prüfung für unser Land, sondern auch für die Ministerien ist. Zwei Drittel der Prüfaufträge sind alles andere als abgearbeitet. Da gibt es noch reihenweise offene Fragen. Ich fürchte, dass Ihnen auch vor dem Hintergrund der Wahlen im Jahr 2008 die Zeit ein wenig davonläuft, wenn es darum geht, auf Basis der Prüfergebnisse noch Reformen voranzubringen. Angesichts Ihrer Bilanz ist das aber eher eine hoffnungsfrohe Nachricht für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
Der Kollege Meister, der einen anderen Termin hat und deswegen den Saal verlassen musste, hat davon geredet, wie erfolgreich die große Koalition in der Finanzpolitik ist. Eine solche Rede hätte er in der Opposition nicht nur nicht gehalten, sondern sogar mit heftigsten Zwischenrufen kritisiert.
Die große Koalition hat es geschafft, im Rahmen der Bereinigungssitzung am gestrigen Abend die Nettoneuverschuldung um sage und schreibe 11 Milliarden Euro zurückzuführen. Das ist eine gute Nachricht; darüber hat Herr Meister geredet.
Dummerweise hat er das Zweite zu sagen vergessen, nämlich dass dem fast 18 Milliarden an Privatisierungserlösen und zusätzlichen Steuereinnahmen gegenüberstehen. Ich bin zwar nur nordhessischer Gesamtschüler, aber ich sehe darin, wenn ich das zusammenrechne, ein erhebliches Ausgabenwachstum.
Das ist das eigentliche Problem von Ihnen in der großen Koalition: Sie können Steuern erhöhen, Sie können die Ausgaben wachsen lassen; wenn dann zusätzlich Geld in die Kasse kommt, geben Sie auch das noch aus. Sie machen das Gegenteil von nachhaltiger Finanzpolitik. - Die Union hätte das in ihren besten Zeiten heftig kritisiert.
In die gleiche Richtung geht Folgendes: Es herrscht Konsens darüber, dass die Arbeitskosten in Deutschland zu hoch sind und die zu hohen Arbeitskosten, vor allem im Bereich der schlechter bezahlten Jobs, in dem Bereich also, wo die Arbeitslosigkeit in Deutschland am größten ist, eines der Haupthindernisse dafür sind, dass neue Arbeit entsteht. Da prahlt man, wie schön man es geschafft habe, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Ja, das haben Sie geschafft, finanziert teilweise durch eine Mehrwertsteuererhöhung und teilweise dadurch, dass aufgrund der guten konjunkturellen Lage sich die Einnahmebasis der Arbeitslosenversicherung gebessert hat. Ich finde aber, dass eine große Koalition groß genug sein müsste, hier zu sagen, dass sie den Beitragssatz zur Rentenversicherung erhöht und dass sie trotz der ach so tollen Gesundheitsreform auch den Beitragssatz zur Krankenversicherung erhöht, während gleichzeitig die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zurückgehen. Das wäre redlicher.
Sie haben es mitnichten geschafft, das Problem der hohen Lohnnebenkosten zu lösen, und damit haben Sie eine der Schlüsselbedingungen für die Schaffung neuer Arbeit in Deutschland bisher nicht erreicht. Reden Sie sich die Sache nicht schöner, als sie ist! Schlimm wäre es nämlich, wenn Sie an das, was Sie hier an tollen Botschaften von sich gegeben haben, auch tatsächlich glauben würden.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass das Thema ?Wettbewerb im Gesundheitswesen“ angesprochen wurde. Die große Koalition hat da in manchen Bereichen etwas geschafft. Sie von der großen Koalition haben es aber nicht geschafft, das Thema ?Kassenärztliche Vereinigung“ in den Griff zu bekommen. Das liegt weniger an der SPD als an der CDU/CSU, wenn ich mich an die Koalitionsverhandlungen richtig erinnere. Sie haben es nicht geschafft, die Stelle, wo ?Mittelalter“ und ?Mittelstand“ miteinander verwechselt werden, im Sinne von ?Mehr Freiheit wagen“ in den Griff zu bekommen, nämlich die Privilegien der Apothekerinnen und Apotheker abzubauen. Es ist doch ein Irrsinn, dass wir in Deutschland im Jahr 2006 vorschreiben, man dürfe nicht mehr als vier Apotheken besitzen und Apotheken dürften auch nicht in Fremdbesitz sein.
Das ist übrigens auch die Stelle, wo ich von der FDP immer eine Lektion in Marktwirtschaft bekomme nach dem Motto: Wir kennen uns mit der Marktwirtschaft aus. Deswegen sind wir an der Stelle gegen Wettbewerb. - Ich glaube auch, dass das ein Problem Ihres Antrags ist; darüber müssen wir ebenfalls reden.
Die Lösungen, die Sie in Ihrem Antrag präsentieren, muten den Menschen etwas zu. Sie sagen: Der Kündigungsschutz muss weg.
Sie sagen: Wir müssen generell in vielen Bereichen den Menschen mehr zumuten. - Was mir auffällt, ist, dass Sie Ihre recht lange Zeit in der Opposition bisher nicht dazu genutzt haben, auch an den Stellen, wo die Privilegien Ihrer Klientel betroffen sind, Wettbewerb mit dem gleichen Impetus einzufordern, wie Sie das bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in schöner Regelmäßigkeit tun.
Das ist auch ein Punkt, wo die FDP überlegen sollte, ob das der Glaubwürdigkeit ihrer Position zuträglich ist.
In dem FDP-Antrag gibt es einen Hinweis, den ich sehr positiv finde. Er hat etwas mit der aktuellen Diskussion in der Union zu tun. Zwei Ministerpräsidenten haben sich in die sozialpolitische Debatte eingemischt: Der eine, Herr Rüttgers, ist sozusagen dabei, die schlechten Tugenden der alten SPD auf die nordrhein-westfälische CDU und möglicherweise auf die Bundes-CDU zu übertragen. Sein Sozialstaatskonzept orientiert sich an dem dauerhaft beschäftigten, 40 Jahre Beiträge in die Versicherung einzahlenden männlichen Normalerwerbstätigen. Wir wissen, dass es viele Jahre gedauert hat, die Grundpfeiler der deutschen Sozialpolitik von dieser Vorstellung hin zu einer stärkeren Abbildung der Realität in unserem Lande, die geprägt ist von einer Vielfalt der sozialen Probleme, zu verschieben. Herr Rüttgers dagegen hält an der alten Vorstellung fest und setzt sich deswegen heftig dafür ein, dass das Arbeitslosengeld I der beschriebenen Gruppe länger gewährt wird. Wenn die Union nun beschließen sollte, diesen Vorschlag aufkommensneutral umzusetzen, dann muss sie ehrlicherweise auch sagen, dass anderen entsprechend Geld weggenommen wird. Ich bin froh, dass die SPD diesen Populismus nicht mitmacht; ich hoffe, dass sie das auch durchhält. Ich bin aber sehr verwundert, wieweit die Sozialdemokratisierung der Union - im schlechten Sinne - schon vorangeschritten ist. Das sieht man daran, dass es gegen die Vorschläge von Herrn Rüttgers wenig Widerstand gibt.
Der andere Ministerpräsident, den ich meine, ist Herr Althaus. Er hat für meine Begriffe den mutigsten sozialpolitischen Vorschlag der letzten Jahre in die sozialpolitische Debatte eingebracht, indem er für die Einführung eines Grundeinkommens, eines Bürgergeldes oder wie man dies auch nennen mag, eingetreten ist,
das heißt für eine enorme Vereinfachung der Gewährung von Sozialleistungen und für Bürokratieabbau. Er gibt damit eine Antwort auf die Frage, wie wir es schaffen, für Menschen, die auf die Unterstützung des Staates angewiesen sind, eine ausreichende Grundsicherung zu gewährleisten, die gleichzeitig genügend Anreize zur Arbeitsaufnahme enthält. Heute muss jemand, der Arbeitslosengeld II bekommt, von jedem Euro, den er dazuverdient, 80 bis 90 Cent an den Staat abliefern. Wenn das jemand von uns machen müsste, hätte er sofort Verständnis für Schwarzarbeit. Es ist doch klar, dass ein solches System den Leuten keinen ausreichenden Anreiz gibt, etwas hinzuzuverdienen.
Was mich ärgert, ist, dass es die große Koalition nicht schafft, eine sozialpolitische Diskussion über diese Frage zu führen.
Auch im Bereich des Niedriglohns kommt sie nicht voran. Wenn man da etwas machen wollte, müsste man das ehrlicherweise mit der Einführung von Mindestlöhnen verbinden. Wenn der Staat den Menschen mit niedrigen Einkommen durch Aufstockung der staatlichen Hilfe Beschäftigung leichter ermöglichen will, dann muss er auch dafür Sorge tragen, dass nicht einige Arbeitgeber, nämlich die unverantwortlich handelnden, über ein entsprechendes Dumping die Löhne immer weiter nach unten treiben. Deshalb hängt eine Diskussion über Mindestlöhne eng zusammen mit der Diskussion, wie im Niedriglohnbereich neue Jobs geschaffen werden können. Die große Koalition schafft es nicht, hierfür einen konsistenten Vorschlag zu machen. Ich finde, die Union sollte ihre Blockadehaltung gegenüber Mindestlöhnen überdenken; denn ohne diese wird man einen Niedriglohnbereich nicht vernünftig unterstützen können.
Zum Abschluss möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der von der großen Koalition sang- und klanglos beerdigt wurde, wodurch diesem Land erhebliches Zukunftspotenzial geraubt werden wird: Im Jahr 2005 sind in Deutschland über 150 000 Menschen mit hoher Qualifikation ausgewandert und ganze 900 Menschen, also weniger als 1 000, mit hoher Qualifikation eingewandert. Die Koalition hat sich ja zum Ziel gesetzt, die Bedingungen für die Einwanderung von Hochqualifizierten zu verbessern. Aber die Arbeitsmarktprotektionisten auf der einen Seite, also die alten Kader im Arbeitsministerium, und die nicht ganz so für Einwanderung eingestellten Teile der Unionsfraktion auf der anderen Seite haben dieses Projekt sang- und klanglos beerdigt und fordern stattdessen, dass dafür gesorgt werden muss, dass nicht so viele Menschen auswandern. Viele junge, aber auch viele ältere Leute mit hoher Qualifikation arbeiten wegen der Globalisierung und Europäisierung unserer Wirtschaft zeitweise im Ausland und nicht deswegen, weil es ihnen hier so schlecht gefällt. Unser Problem ist also vielmehr, dass wir zu wenige Hochqualifizierte aus anderen Ländern dazu bewegen, in unserem Land zu arbeiten. Daran könnte die große Koalition etwas ändern, wenn sie das Problem beherzt anginge. Stattdessen hat sie entsprechende Vorhaben in Form von Formelkompromissen beerdigt. Das wird dem Land langfristig schaden.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind, Herr Brüderle, immer gerne bereit, Anregungen, konstruktive Kritik, Vorschläge und Argumente der Opposition aufzugreifen. Leider war heute in Ihren Redebeiträgen nicht viel Konstruktives feststellbar.
Eine Kritik, Herr Brüderle, will ich besonders zurückweisen, nämlich dass unsere Entscheidungsprozesse zu lang dauerten, zu zäh und zu umständlich seien. Das unterscheidet uns, die Volksparteien CDU, CSU und SPD, eben von Klientelparteien. Jeder, der sich in seiner Nachbarschaft, seinem Freundes- und Bekanntenkreis umschaut, weiß und spürt, dass es viele verschiedene Interessen in diesem Lande gibt, die sich häufig widersprechen. Wir als Volksparteien haben die Aufgabe, eine große Integrationsleistung zu erbringen und all diese Gruppen zusammenzuführen und die Konflikte, die sich in der Gesellschaft auftun, zu lösen. Demokratie ist mühsam; aber die Mühe lohnt sich und wir stellen uns ihr. Deswegen akzeptiere ich die Kritik, dass alles zu lange dauere, überhaupt nicht. Es geht darum, soziale Spannungen auch innerhalb der Gesellschaft zu vermeiden.
Sie haben vorhin dazwischengerufen, der Staat schaffe keine Arbeitsplätze. Richtig. Ebenfalls richtig ist die Analyse, die Sie in Ihrem Antrag aufgegriffen haben - und die schon seit Jahrzehnten in diesem Land von allen gepredigt wird -, dass wir eine strukturelle Beschäftigungskrise haben. Es ist Aufgabe des Staates und der Politik, diese strukturelle Beschäftigungskrise zu beseitigen. Aber auch das ist nicht mit einem Federstrich möglich, sondern das muss ganz mühsam Schritt für Schritt mit vielen kleinen Stellschrauben bewältigt werden.
Darüber ist viel geredet worden, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Frage, ob es im Wandel von der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich gibt, in Privathaushalten beispielsweise, bei der Kinderbetreuung. Wir reden nicht nur darüber; seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die Betreuungskosten für Kleinkinder von der Steuer absetzbar,
natürlich nur teilweise, gedeckelt, weil die finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind. Aber der Einstieg in eine Beschäftigungsmöglichkeit in diesem Bereich ist geschafft; darum geht es. Wir entlasten die Bürger von Kosten, wir schaffen neue Arbeitsplätze in diesem Bereich und wir tun etwas für die Familien. Das ist eine hervorragende Möglichkeit.
Kollege Scholz hat es schon angesprochen: Jahrelang ist in diesem Land darüber diskutiert worden, was wir gegen die Schwarzarbeit tun können. 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden in der Schwarzarbeit, vorbei an den Sozialkassen, erwirtschaftet. Gefordert wurde, dass die Handwerkerrechnungen absetzbar gemacht werden. Jetzt ist das unter der Regierung der großen Koalition vollbracht worden. Wir haben den Einstieg in die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen, von Arbeitskosten im Handwerkerbereich für die Beschäftigung im eigenen Haus und in der eigenen Wohnung geschafft. Das ist natürlich - ich verstehe Ihre Aufregung - teilweise gedeckelt; aber der Einstieg ist geschafft. Es geht um das Prinzip.
Ich glaube daher, dass es gerechtfertigt ist, zu sagen, dass hier ein Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Lande geleistet worden ist. Wir stellen fest, dass die Bauwirtschaft das erste Mal seit vielen Jahren wieder einen Aufschwung zu verzeichnen hat. Das ist eine Trendwende. Wir wissen, dass das immer ein Zeichen für Optimismus ist; denn die Bauwirtschaft ist die Konjunkturlokomotive. Wenn gebaut wird, spiegelt das auch einen gewissen Optimismus der Menschen, eine Zukunftshoffnung wider, die auch auf den politischen Verhältnissen und den politischen Perspektiven beruht.
Wir haben als große Koalition auch diesen Prozess aktiv begleitet. Die allererste Maßnahme der großen Koalition vor einem Jahr war, zu beschließen, dass die Entscheidung der Vorgängerregierung, die Kosten der Unterkunft für die Gemeinden nicht zu ersetzen, zurückgenommen wird. Die große Koalition hat im letzten Jahr entschieden, 3 Milliarden Euro der Kosten der Kommunen für die Unterkunft zu übernehmen; das sind 29,1 Prozent. Wir stellen fest, dass in diesem Jahr, 2006, der Rückgang der Investitionen bei den Kommunen das erste Mal gestoppt werden konnte. Die kommunalen Spitzenverbände sagen uns, dass die Kommunen in diesem Jahr zum ersten Mal wieder vielleicht einen Aufwuchs an Investitionen im öffentlichen Bereich zu verzeichnen haben. Das ist ganz wichtig; denn 70 Prozent aller öffentlichen Aufträge werden von den Kommunen vergeben.
Auch das ist ein Beitrag zur Beschäftigung in diesem Lande, mit dem in den Kommunen die Auftragsbücher des Bauhandwerks gefüllt werden.
Wir haben in diesem Jahr sogar noch eines draufgesetzt: Im neuen Bundeshaushalt werden nicht 3 Milliarden Euro, sondern 4,3 Milliarden Euro - das entspricht einem Anteil von 31,8 Prozent - für die Kosten der Unterkunft, die den Kommunen entstehen, vom Bund übernommen. Das schafft Spielräume für die Kommunen, den Investitionsstau, der sich über viele Jahre aufgebaut hat, aufzulösen. Wir werden die Einnahmen im kommunalen Bereich stabilisieren. Ein Beitrag, der in diese Richtung geht, ist die Unternehmensteuerreform, die jetzt auf den Weg gebracht wurde.
Vorhin ist schon einmal das CO2-Gebäudesanierungsprogramm erwähnt worden. Im ersten Jahr der großen Koalition wurde das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit einem Milliardenbetrag ausgestattet. Wir können jetzt eine beispiellose Mobilisierung privaten Kapitals in Investitionen feststellen. Privates Kapital in Höhe von 8 Milliarden bis 9 Milliarden Euro wird in den Baubereich investiert mit dem Ziel, die Bausubstanz zu verbessern, den Wohnungsbestand wertvoller zu machen und Energie einzusparen. Das hat gleichzeitig einen positiven Effekt auf die Beschäftigung; denn mit einem Investitionsvolumen von 1 Milliarde Euro können etwa 25 000 Arbeitsplätze gesichert werden.
Das ist eine aktive Politik für Beschäftigung in diesem Lande, die die große Koalition betreibt.
Ich habe auch eine gute Nachricht für die Bürgermeister im ganzen Lande. Ab dem 1. Januar des neuen Jahres werden auch die Gemeinden in der Lage sein, im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms kommunale Gebäude zu modernisieren. Die Bedingungen werden noch in diesem Jahr allen Gemeinden rechtzeitig bekannt gegeben. Ich glaube, dass das ein wirklich positiver Beitrag ist.
Wir leisten auch einen Beitrag durch die Bereitstellung von umfangreichen Städtebaufördermitteln. Diese Mittel sind sehr flexibel einsetzbar; denn in den neuen Bundesländern bestehen zum Teil völlig andere Probleme als in den alten Bundesländern. Diese Städtebaufördermittel können sehr gezielt in den Bereichen eingesetzt werden, in denen sich die demografische Veränderung brutal auswirkt, nämlich in den ballungsfernen Gebieten in den neuen wie in den alten Ländern.
Das Besondere an diesen Städtebauförderprogrammen ist, dass wir versuchen, die Bürger in die Prozesse vor Ort einzubeziehen. Mit dem Umbau ihrer Städte und Gemeinden soll ihre Lebensqualität gesteigert werden. Der Weg in die Bürgergesellschaft bedeutet: Wir müssen die Bürger dazu animieren, bei der Gestaltung ihres unmittelbaren sozialen Umfeldes mitzuwirken und sich für ihre Heimat einzusetzen. Diese Botschaft in Richtung Bürgergesellschaft wollen wir aussenden.
Mit dem Programm ?Soziale Stadt“ wollen wir, verknüpft mit sozialpolitischen Maßnahmen, das schwierige soziale Umfeld in Großstädten, aber auch in kleineren Städten verbessern. Damit ebnen wir den Menschen, die dort zum Teil am Rande der Gesellschaft leben, den Weg zurück in die Gesellschaft.
Ich glaube, dass die große Koalition in diesem Jahr gezeigt hat, dass eine breite Basis für die Bewältigung von Aufgaben geschaffen wurde. Es wurde außerdem die Voraussetzung dafür geschaffen, das Potenzial dieses Volkes für das Land, für die Gesellschaft und für die Volkswirtschaft zu nutzen.
Junge Menschen haben nun Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Initiative des Bundeswirtschaftsministers, der sich engagiert für den Ausbildungspakt eingesetzt hat. Ich erinnere auch daran, dass viele Abgeordnete mit Unternehmen gesprochen haben, um sie davon zu überzeugen, Einstiegsqualifizierungen für junge Menschen durchzuführen. Wir dürfen keinen einzigen jungen Menschen in diesem Lande verloren geben. Wir müssen ihnen sagen: Unser deutsches Vaterland, also unsere Gesellschaft und unsere Volkswirtschaft, braucht jeden von euch. Das ist die Botschaft, die die große Koalition aussendet.
Wir probieren neue Möglichkeiten des Miteinanders aus. Ich erinnere an die Initiative der Bundesfamilienministerin, Mehrgenerationenhäuser einzurichten, also das Zusammenleben in einer veränderten Gesellschaft neu zu organisieren. Das alles wollen wir ausprobieren.
Wir werden mit einer Hochtechnologieoffensive dafür sorgen, dass, lieber Kollege Berninger, die hoch qualifizierten jungen Menschen, die heute das Land verlassen, zurückkommen und in diesem Land eine Chance haben, sich zu betätigen und einzubringen.
Diese Koalition ist auf einem guten Weg. Wir sind in einer neuen Zeit dabei, zur alten Kraft dieses Landes zurückzufinden. Dafür stehen wir, die CDU/CSU und die SPD.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Hier wird über die Bilanz der einjährigen Regierung durch die große Koalition diskutiert und kein Bundesminister ist anwesend. Bei der SPD ist nicht einmal ein halbes Dutzend Abgeordnete anwesend; es sind lediglich fünf. Das bedeutet doch, dass der Erfolg, der in unserem Land momentan zu verzeichnen ist, auch von der großen Koalition selbst nicht als Erfolg der Regierung wahrgenommen wird. Denn ansonsten könnte sie ganz anders dastehen und mögliche Erfolge ganz anders verkaufen, als das heute der Fall ist.
Fast ein Jahr nach Abgabe der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die FDP einen Antrag unter der Überschrift ?Mehr Freiheit wagen“ eingebracht. Exakt das war das Leitmotiv, unter welchem die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin stand. Ein Jahr nach der Regierungserklärung fordern wir, die FDP, dazu auf, den Gedanken ?Mehr Freiheit wagen“ tatsächlich umzusetzen.
Selbstverständlich freuen wir, die FDP-Fraktion, uns darüber, dass das Wachstum in unserem Land gestiegen und die Arbeitslosigkeit gesunken ist und die öffentliche Hand schon in diesem Jahr erheblich mehr Steuern einnimmt, als noch im Frühjahr geschätzt. Die Entwicklung sieht positiv aus und wird von uns, der FDP, überhaupt nicht schlecht geredet. Manch einer glaubt allerdings, dass aus dieser positiven Entwicklung der Schluss zu ziehen sei, Reformen könnten letztlich überflüssig sein. Die schlichte Argumentation lautet: Nun haben wir den Aufschwung. Wozu dann noch Reformen? Es geht doch auch so. - Das war schon das Motto von Gerhard Schröder; er bezeichnete dieses Vorgehen als ?ruhige Hand“. Ähnlich ist leider das Motto der derzeitigen Bundeskanzlerin, die es ?Politik der kleinen Schritte“ nennt. Das reicht nicht für unser Land. Hier muss mehr geschehen; denn man kann sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die momentan zu ernten sind.
Wer so denkt und handelt, übersieht, dass es nicht die Anstrengungen der Politik, sondern insbesondere die Anstrengungen der Wirtschaft sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land sind, die dazu beitragen, dass die Entwicklung positiver ist, als sie zuvor war. Die Unternehmen und ihre Mitarbeiter konnten nicht darauf warten, dass sich die Politik bewegt. Sie haben vielmehr selbst eine Menge unternommen. Die Wettbewerbsfähigkeit ist erheblich gesteigert worden. Die Entwicklung bei den Lohnstückkosten ist ausgesprochen günstig. Hier schlagen inzwischen Lohnzurückhaltung und Rationalisierungsbemühungen kräftig positiv zu Buche. Die Unternehmen verdienen wieder, zum Teil sogar kräftig. Sie zahlen mehr Steuern und haben - vor allem das ist wichtig - deutlich an Substanz gewonnen. Sie können wieder investieren und Arbeitsplätze schaffen. Die Arbeitsplätze, die jetzt geschaffen werden, sind nicht durch die Bundesregierung geschaffen worden, sondern von den Unternehmerinnen und Unternehmern in unserem Lande.
Aufgabe der Politik ist, dafür Sorge zu tragen, dass wir weiter Wachstum haben, weiter Arbeitsplätze geschaffen werden, die Arbeitslosigkeit abgebaut und die Neuverschuldung gesenkt wird. Deutschland befindet sich in einem verschärften globalen Wettbewerb. Es gibt diesen Wettbewerb. Die anderen Staaten warten nicht darauf, bis wir uns ändern und wettbewerbsfähiger werden, sondern handeln jetzt. Deshalb sind wir aufgefordert, Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. Das geht nur durch entschlossenes Handeln.
Die Politik ist in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für Deutschland zu verbessern.
Wir freuen uns, dass in diesem Jahr ein Wachstum von gut 2 Prozent erreicht wird. Wir müssen aber leider feststellen, dass auch dieses Wachstum nur halb so groß ist wie das Wachstum der Weltwirtschaft und im nächsten Jahr schon wieder unter 2 Prozent liegen wird.
Wir haben durch die große Koalition im Deutschen Bundestag eine veränderte politische Konstellation. Viele Bürger in unserem Land haben gehofft, dass eine große Koalition in der Lage wäre, mit großen Reformen zu großen Lösungen zu gelangen. Sie müssen allerdings feststellen, dass - wie bei der Gesundheitsreform - die größte Gemeinsamkeit der großen Koalition im Suchen des kleinsten gemeinsamen Nenners besteht. Grundsätzliche Reformen fehlen. Vorgestern hat der Sachverständigenrat der Bundeskanzlerin sein Jahresgutachten mit den Worten übergeben: Frau Bundeskanzlerin, die ungenutzten Chancen! Hier müssen wir ansetzen. Wir können beim Wirtschaftswachstum, bei der Arbeitslosenzahl und beim Gesundheitswesen besser dastehen. Insofern muss hier mehr geschehen.
Gestern Nacht hat der Haushaltsausschuss seine Beratungen zum Haushalt für das Jahr 2007 abgeschlossen. Trotz der durch die Steuerschätzung für das nächste Jahr prognostizierten Steuermehreinnahmen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro wird die Neuverschuldung nur um 2,5 Milliarden Euro reduziert. Das ist viel zu wenig; das ist viel zu mutlos. Hier müsste mehr geschehen; denn die Neuverschuldung belastet nach wie vor zukünftige Etats und die zukünftige Politik.
Ich komme zum Schluss. Wir wissen, dass ein höheres Wachstum die Voraussetzung für mehr Beschäftigung, höhere Steuereinnahmen und sinkende Sozialausgaben darstellt. Deshalb muss die Regierung alles unterlassen, was das Wachstum gefährdet, und alles unternehmen, was das Wachstum fördert. Daher appellieren wir an die Bundesregierung, aber auch an die Abgeordneten der großen Koalition: Nutzen Sie - dem Auftrag des Sachverständigenratgutachtens entsprechend - die Chancen! Wagen Sie endlich mehr Freiheit! In den Bereichen wird die FDP Sie unterstützen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Thiele hat eben zu ?Mehr Freiheit wagen“ aufgerufen. Ich will die Gelegenheit nutzen und mir die Freiheit nehmen, nach einem Jahr großer Koalition eine Bilanz zu ziehen. Das war ja auch Anlass Ihrer Großen Anfrage.
Ich glaube, dass der Zeitpunkt sehr gut gewählt ist. Sie haben eben den Abschluss der Haushaltsberatungen in der letzten Nacht erwähnt. Wir haben im Haushaltsausschuss ein, wie ich meine, sehr gutes Ergebnis erzielt. Die Finanzpolitik ist der Stabilitätsanker dieser Regierung. Wir hatten das Ziel, das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt, das 60 Milliarden Euro betragen hat, bis zum Ende der Legislaturperiode zu halbieren. Der Kollege Scholz hat bereits darauf hingewiesen, dass wir nun in der Situation sind, durch eine konsequente Politik des Abbaus von Steuervergünstigungen - das ist für mich auch eine Frage der Gerechtigkeit -, durch eine klare Struktur im Bundeshaushalt und durch eine Überprüfung der Ausgaben deutliche Einsparungen erreicht zu haben. Dadurch können wir das Ziel der Halbierung des strukturellen Defizits, dessen Erreichung wir uns für 2010 vorgenommen haben, bereits im Jahr 2007 erreichen.
Für das Haushaltsjahr 2006 war eine Neuverschuldung von 38 Milliarden Euro geplant. Wahrscheinlich werden wir dieses Jahr mit 30 Milliarden Euro abschließen. Der Grund der Einsparung von 8 Milliarden Euro ist ein besseres Wirtschaftswachstum. Dieses bessere Wirtschaftswachstum kommt nicht von irgendwoher. Ich behaupte nicht, dass es in Gänze auf die Initiativen dieser Bundesregierung zurückgeht. Ich denke aber doch, dass die vom Kollegen Meister angesprochenen Maßnahmen - zum Beispiel die Hightechstrategie und das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, die auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Baubereich, für einen Kapazitätsaufbau gesorgt haben - dazu geführt haben, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik erhöht hat.
Ich bin mit unserer Bilanz sehr zufrieden. Unser Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr deutlich über 2 Prozent liegen, wahrscheinlich bei 2,6 Prozent. Damit geht eine bessere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt einher. Wir haben eine halbe Million Arbeitslose weniger und viele freie Stellen, was wir in vielen Branchen in den vergangenen Jahren leider nicht in diesem Maße zu verzeichnen hatten. Außerdem haben wir eine deutlich bessere Situation, was die Steuereinnahmen betrifft. All das unterstützt uns bei unserer Aufgabe, dieses Land nach vorne zu bringen.
Mit diesem Haushalt können wir insgesamt sehr zufrieden sein. Der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ist seine Aufgaben nicht nur als Fiskalist angegangen, sondern er hat auch seinen wirtschaftspolitischen Anspruch deutlich gemacht.
Allein in der vergangenen Woche wurden von dieser Koalition - Stichwort: Unternehmensteuerreform - so viele offene Punkte abgearbeitet, wie viele von uns nicht zu träumen gewagt haben. Von daher sage ich: Die Finanzpolitik ist Stabilitätsanker und Motor dieser Regierung.
Ich komme auf den Haushaltsentwurf zu sprechen, den wir gestern im Ausschuss beraten haben. Im Plenum werden wir ihn zwar erst in der nächsten Sitzungswoche beraten, ich möchte aber schon heute einige Schlaglichter setzen: Auf der Seite des Bundes betragen die Mehreinnahmen zwar 8 Milliarden Euro, im Etat waren aber bereits Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro eingeplant, sodass der Verteilungsspielraum nur noch circa 6 Milliarden Euro beträgt. Mit diesem Haushalt werden wir die positive Entwicklung verstärken. Wir haben uns nach eingehender Beratung entschlossen, mit den Steuermehreinnahmen erkennbare Risiken abzudecken. Risiken bestehen beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft im kommunalen Bereich - Herr Friedrich hat das schon angesprochen -, für den wir Mehrausgaben in Höhe von 2,3 Milliarden Euro veranschlagt haben, und bei der Bundesagentur für Arbeit, bei der wir uns höhere Einnahmen erhofft haben. Wir haben es geschafft, diese Risiken abzudecken.
Trotzdem ist es uns gelungen, den größten Teil der Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme zu verwenden. Sie sinkt von den geplanten 22 Milliarden Euro auf 19,5 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung. Das ist ein großer Erfolg dieser großen Koalition. Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund der Beteiligung der FDP an früheren Regierungen. Ich denke, dass es ein deutliches Signal für die mittelfristige Finanzplanung ist, dass die Nettokreditaufnahme deutlich unter den geplanten 22 Milliarden Euro liegt; denn die Regierung wird bei der Aufstellung des Haushalts 2008 nicht darüber hinausgehen können. Diese Linie wird also fortgeführt werden. Ich hoffe, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode - ich sehe diesbezüglich Einvernehmen zwischen den Regierungsfraktionen - bei einem deutlich niedrigeren Neuverschuldungswert ankommen werden als geplant.
Das alles ist enorm wichtig, um das Vertrauen der Bürger in den Staat zu stärken. Allein die Verringerung der Neuverschuldung im Jahr 2006 um 8 Milliarden Euro bietet uns im nächsten Jahr einen Spielraum von 300 Millionen Euro, der sich aus geringeren Zinszahlungen ergibt. Deswegen ist jede Reduzierung der Verschuldung gut für dieses Land, gut für künftige Generationen und gut für die wirtschaftliche Entwicklung.
Daneben nehmen wir die Reformen der Sozialversicherungssysteme in Angriff. Bezüglich der Gesundheitsreform haben wir zwar grundsätzliche politische Beschlüsse gefasst; wir werden sie im Bundestag allerdings noch beraten müssen. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung erreichen wir eine Absenkung der Lohnnebenkosten um 2,3 Prozent. Das hat es seit Bestehen dieser Bundesrepublik noch nie gegeben. Es ist richtig, dass wir - Herr Berninger, ich gehe auf Ihre Äußerungen ein - bei der Rentenversicherung eine Erhöhung der Lohnnebenkosten verzeichnen müssen. Netto handelt es sich trotzdem um eine Entlastung.
- Wir werden sehen, wie die Situation bei den Krankenkassen nach der Reform aussehen wird. Im Bundeshaushalt haben wir Vorsorge getroffen und den Steuerzuschuss um 1 Milliarde Euro erhöht. Ich persönlich war an den Beratungen über die Gegenfinanzierung beteiligt. Wenn man in diesem Bereich weitere Aufbauschritte machen will, dann ist klar, dass man die mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2008 und 2009 überarbeiten muss. Wir müssen die Vorhaben auf ihre Gegenfinanzierung prüfen.
Die Notwendigkeit dafür resultiert aus zwei Ursachen. Zum einen sind das die von mir benannten Risiken, die auch 2008 fortbestehen werden. Die Entlastung der Kommunen für Investitionen ist bis 2010 durchgeschrieben. Wir haben uns aber auch darauf zu verständigen, wie sich der Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung entwickeln soll. Den werden wir nicht aus konjunkturellen Steuermehreinnahmen bestreiten können, weil konjunkturelle Mehreinnahmen nicht dauerhaft sind. Ein guter Kaufmann und guter Sachwalter des Bundeshaushalts und damit der Interessen der Steuerzahler muss dafür eine dauerhafte Finanzierung finden. Das wird eine Aufgabe für Mitte nächsten Jahres sein.
Damit bin ich nicht mehr nur bei der Bilanz, sondern auch beim Ausblick. Ich glaube, die Bilanz von einem Jahr großer Koalition ist sehr gut, vor allen Dingen in dem Bereich, den ich hier zu vertreten habe. Bei der Festlegung der Prioritäten für die nächsten Jahre wird uns vieles beschäftigen: das Entwicklungshilfeziel, das wir erreichen wollen - die Bundeskanzlerin hat das zugesagt; es geht um Milliardenbeträge, die bisher nicht gegenfinanziert sind -, die Krankenversicherung, aber auch die Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Ich bin angesichts der erfolgreichen Politik dieses Jahres guter Dinge, dass es uns gelingen wird, in dieser Kontinuität auch in den nächsten drei Jahren sehr gute Ergebnisse für dieses Land zu erzielen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Ulrich Maurer für die Fraktion Die Linke.
Ulrich Maurer (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Was mich erschreckt, ist, wie wenig diese Debatten die Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land widerspiegeln. Sie legen einen Antrag vor mit dem Titel ?Mehr Freiheit wagen“. Ich frage mich immer: Wessen Freiheit meinen Sie eigentlich? Sie meinen, wenn ich das richtig verstehe, die Freiheit des Wettbewerbs und die Freiheit des Marktes.
Es ist unstreitig, dass die Freiheit des Wettbewerbs und die Freiheit des Marktes dazu führen, dass die Stärkeren stärker und die Schwächeren schwächer werden. Das ist eine Freiheit, die wir nicht meinen. Ich sage Ihnen: Sie blenden die Lebenswirklichkeit der Menschen aus. Uns geht es um die Freiheit der Millionen in diesem Land, die überschuldet sind. Was ist mit der Freiheit der Armen in Deutschland, was ist mit der Freiheit der 2,5 Millionen armen Kinder in Deutschland? Was ist mit der Freiheit der Menschen, die hart arbeiten und am Ende feststellen, dass es gerade für Nahrung, das Nötigste an Kleidung und die Bezahlung der Wohnung ausreicht? Über deren Freiheit müsste debattiert werden in diesem Land!
Doch über diese Freiheit haben Sie nicht diskutiert.
Sie reden von Ihrer Bilanz. Ich finde, man muss die Bilanz an der Veränderung der Lebenswirklichkeit der Menschen messen. Das werden die, die uns zuhören, auch so sehen. Dann sehe ich, dass die Erfahrung der Menschen ist, dass man mit harter Arbeit in diesem Land keinen Wohlstand erreicht. Harte Arbeit und qualifizierte Arbeit werden besteuert, mit Sozialabgaben belegt, Kapitaleinkünfte hingegen privilegieren Sie. Ich habe lange nachgedacht - das finde ich das spannende Thema, wenn wir hier schon über die Bilanz reden -, was die volkswirtschaftliche Rationalität dessen, was Sie machen, ist. Ich sehe bei der großen Koalition ein Bündnis zwischen Neoliberalismus und Fiskalismus. Ich weiß nicht, ob Sie sich über die Lage des Landes im nächsten Jahr im Klaren sind: Sie werden diesem Land durch die verschiedenen steuerpolitischen Beschlüsse, die Sie gefasst haben, 38 Milliarden Euro Kaufkraft entziehen. Die Mehrwertsteuererhöhung ist der größte Brocken, aber es kommen andere hinzu. 9 Milliarden Euro davon schenken Sie den großen Unternehmen durch die Senkung der Unternehmensteuern. Das ist eine Mischung von Einnahmen erhöhen auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung und gleichzeitiger Begünstigung derer, die vor Kraft kaum mehr laufen können.
Das ist nicht gerecht, aber auch volkswirtschaftlich nicht rational. Alle Welt - da können Sie jeden Wirtschaftsteil aufschlagen - spricht davon, dass die Weltkonjunktur abkühlt. Die USA diskutieren die Frage, wie tief es in die Rezession geht oder ob es noch für eine halbwegs weiche Landung reicht. In dieser weltwirtschaftlichen Situation des Jahres 2007 privilegieren Sie mit Ihren steuerpolitischen Beschlüssen erneut einseitig die Exportindustrie, setzen Sie erneut auf die Begünstigung von Kapitalanlagen, würgen Sie die ohnehin seit Jahren schwache Binnennachfrage noch weiter ab.
Was soll das werden? Was ist die volkswirtschaftliche Rationalität einer solchen Politik?
Sie feiern sich im Moment für etwas über 200 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Kennen Sie die Zahlen in anderen westlichen Ländern? Kennen Sie die Zahlen in Europa? Da ist ja kein herausragender Beitrag sichtbar, im Gegenteil. Sie setzen eine Politik fort, mit der Sie den Brotkorb für den kleinen Mann immer höher hängen und diejenigen begünstigen, die Sie immer begünstigt haben. Das ist nicht nur ungerecht, vielmehr wird das im Ergebnis auch dazu führen, dass die Zahl der Arbeitslosen nicht zurückgehen wird und dass sich die Armutsproblematik und die Verteilungskämpfe verschärfen werden. Wer in eine sich anbahnende weltwirtschaftliche Abkühlung und in eine rezessive Situation in anderen Ländern hinein die eigene Binnenkonjunktur, die er ohnehin schon jahrelang kaputtgemacht hat, noch weiter belastet, der ist auf einem völlig falschen Weg.
Feiern Sie sich deswegen nicht. Bei dem, was Sie hier heute gefeiert haben, könnte es sich nämlich um etwas Ähnliches wie bei Schillers ?Räubern“ handeln. Dort gibt es den Satz: Noch ein letztes Zucken, dann ist es vorüber. - Im nächsten Jahr reden wir darüber.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des Kollegen Schneider erteile ich nun dem Kollegen Koppelin. Seine Wortmeldung wurde vorhin übersehen.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will es kurz machen. Die Haushaltsberatungen werden wir ja noch durchführen.
Der Kollege Schneider ist auf den Haushalt 2007 eingegangen, den der Haushaltsausschuss heute Nacht mit der Mehrheit der Koalition verabschiedet hat. Er hat natürlich einiges vergessen. Trotz der hohen Einnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir als FDP ablehnen - er hat sie mit über 10 Milliarden Euro beziffert -, und trotz weiterer Steuermehreinnahmen von weit über 10 Milliarden Euro - das bezieht sich immer nur auf den Bund - ist die Neuverschuldung im Haushalt nur um 2,5 Milliarden Euro gesunken. Das ist keine Erfolgsgeschichte.
Kollege Schneider, Sie müssen Folgendes feststellen: Aufgrund der hohen Einnahmen, die die große Koalition erzielt, steigt der Schuldenberg zwar langsamer, aber Sie bauen ihn nicht ab und Sie verringern die Schulden im nächsten Bundeshaushalt nicht auf null. Die Chance hätten Sie gehabt. Auf der Ausgabenseite haben sie aber überhaupt nichts getan.
Insofern ist dieser Haushalt 2007 keine Erfolgsgeschichte.
Noch einmal: Der Schuldenberg steigt zwar langsamer, aber er steigt. Das müssen unsere Kinder und Kindeskinder eines Tages bezahlen. Der eine entscheidende Punkt ist, dass Sie bei den Ausgaben nichts getan haben; der andere - die große Koalition geht darauf überhaupt nicht ein -, dass all diese Gelder, die Sie einnehmen, von den Bürgern stammen. Sie kassieren bei den Bürgern schamlos ab. Darauf sollten Sie einmal achten und eingehen.
Kollege Schneider, Sie gehören der sozialdemokratischen Fraktion an. Ich erkenne an, dass Ihr Parteivorsitzender Beck durchaus die richtigen Akzente gesetzt hat - auch der Finanzminister hat dies manchmal getan -, indem er gesagt hat, dass wir die Schulden stärker abbauen müssen. Diese Auffassung teilen wir. Leider haben Sie einen Koalitionspartner, der fleißig ausgibt. Diese Rolle haben Sie als SPD früher eher gehabt. Die SPD übernimmt jetzt die Rolle, die früher die CDU/CSU hatte. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Ihr Koalitionspartner zurzeit keinen aktiven Wirtschafts- oder Finanzpolitiker in seinen Reihen hat, der darauf achtet, dass die Schulden stärker abgebaut werden.
Ich hoffe, dass Sie von den Sozialdemokraten stärker darauf achten - wir tun das allemal -, dass diese Einnahmen zum Schuldenabbau genutzt werden. Die Botschaft, die Sie hier senden, ist falsch: Der Schuldenberg steigt weiter.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Schneider, wollen Sie antworten?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Herr Kollege Koppelin, Ihre Einschätzung von SPD-Finanzpolitik und Stabilität teile ich voll und ganz. Das kann ich unterschreiben. Hier befinden wir als SPD uns in einer großen Kontinuität.
Ich will auf den Haushalt 2007 eingehen. Er wird uns ja auch noch beschäftigen.
Bei den Beratungen konnten wir den Abstand zwischen den Investitionen und der Kreditaufnahme, der für die Einhaltung des Art. 115 Grundgesetz maßgeblich ist, deutlich erhöhen. Nach den Beratungen ist klar, dass die Investitionen des Bundes um 500 Millionen Euro steigen.
Die Nettokreditaufnahme sinkt auf 19,5 Milliarden Euro. Damit ist sie die niedrigste seit der Wiedervereinigung. Das heißt, wir haben Spielraum gewonnen. Durch die Mittel, die wir letztendlich auch durch die bessere Konjunktur eingenommen haben, haben wir die Nettokreditaufnahme abgesenkt.
Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung angesprochen. Sie wissen, dass nur 1 Prozentpunkt davon - das sind 6,5 bis 7 Milliarden Euro - tatsächlich beim Bund verbleibt. Wenn wir diese nicht hätten, dann könnten wir Art. 115 Grundgesetz nicht einhalten.
Das heißt, wenn Sie diese Maßnahme ablehnen, dann verletzen Sie die Vorgaben des Grundgesetzes. Das führt zu einem verfassungswidrigen Haushalt. Wir brauchen aber einen Abbau des strukturellen Defizits. Diesen Weg werden wir weitergehen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Zusatzpunkt 8. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3288 mit dem Titel ?Mehr Freiheit wagen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der FDP-Fraktion, die dafür gestimmt hat, abgelehnt.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 64. Sitzung - wird am
Montag, den 13. November 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]