71. Sitzung
Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2006
Beginn: 9.02 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Heute feiert der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber seinen 71. Geburtstag. Er ist dennoch hier.
Lieber Kollege Riesenhuber, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses und wünsche Ihnen alles Gute. Ich vermute, dass bei den gestrigen Feierlichkeiten im anderen Amt in der Parlamentarischen Gesellschaft schon eine ähnlich stattliche Anzahl von Kolleginnen und Kollegen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Ihnen persönlich zu gratulieren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz)
- Drucksachen 16/2950, 16/3292 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz)
- Drucksache 16/2921 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)
- Drucksache 16/3642 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Klaus Uwe Benneter
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/3646 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion der LINKEN
Erhaltung des Trennungsgebots - keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Silke Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Silke Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bessere Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Anti-Terror-Gesetze - Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der Betroffenen verbessern
- Drucksachen 16/2624, 16/2071, 16/2671, 16/2072,
16/2081, 16/3642 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Klaus Uwe Benneter
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Ralf Göbel für die CDU/CSU-Fraktion.
Ralf Göbel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute abschließend über zwei wichtige Gesetze, die die Sicherheitsarchitektur in unserem Land verbessern werden. Zum einen ziehen wir die Konsequenz aus der Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes aus der vergangenen Wahlperiode und verbessern die Möglichkeiten unserer Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des Terrorismus. Zum anderen entscheiden wir heute über die Antiterrordatei, deren Aufbau und Inhalte uns in diesem Hause schon seit Jahren beschäftigt haben.
Die Gott sei Dank misslungenen Kofferbombenanschläge auf die Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie der vereitelte Sprengstoffanschlag auf ein Verkehrsflugzeug am Flughafen Frankfurt zeigen, wie präsent die Bedrohung durch Terroristen in Deutschland ist. Wir sind daher gegenüber der Bevölkerung in der Pflicht, ständig zu überprüfen, ob unsere Sicherheitsbehörden die geeigneten und die erforderlichen Kompetenzen haben, um bereits im Vorfeld solche Planungen aufdecken und Verbrechen verhindern zu können.
Schon vor der Anhörung war uns klar, dass wir uns in einem komplizierten Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit bewegen. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verpflichtet den Staat, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Nach dem Verfassungsrichter Udo Di Fabio setzen sich Freiheit und Sicherheit wechselseitig voraus und stärken sich, wenn beide angemessen zur Entfaltung gelangen. In diesem Rahmen müssen wir, um mit den Worten von Bundesminister Schäuble zu sprechen, das Menschenmögliche tun, um Anschläge auf unser Land und die Menschen in unserem Land zu verhindern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit beiden Gesetzen den Rahmen der Verfassung beachtet haben und bei der Gewährung des Schutzes für die Bevölkerung in unserem Land einen entscheidenden Schritt weiter kommen werden. Dies gilt insbesondere für die gemeinsame Datei.
Ich danke hier zu allererst Herrn Bundesminister Schäuble,
dem es nach langen Jahren des Streites gelungen ist, eine gemeinsame Position der Innenminister zwischen Bund und Ländern zu erarbeiten. Dies hat die erfolgreiche Arbeit erst ermöglicht.
Mit der gemeinsamen Datei schaffen wir einen speziellen Informationsverbund der 38 Behörden des Bundes und der Länder,
deren Aufgabe die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist. Unter sehr stark einschränkenden Voraussetzungen können weitere Behörden der Länder, denen dauerhaft die Aufgabe zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus übertragen wird, an diesem Informationsverbund teilnehmen.
Ich denke, dies ist eine sachgerechte Lösung; denn sie lässt den Ländern Raum für konkrete Ausgestaltungen ihrer Organisationshoheit. Die Lösung ist auch angemessen; denn die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist eine Aufgabe, die Bund und Länder nur gemeinsam wahrnehmen können, aber auch wahrnehmen müssen. Nur wenn diese Zusammenarbeit optimal organisiert ist, können wir erfolgreich sein.
Entscheidend für die verfassungsrechtliche Bewertung ist auch, dass durch die gemeinsame Datei keine neue Datenerhebung stattfindet. Die Personen, die in diese Datei eingestellt werden, sind bereits aufgrund gesetzlicher Vorschriften in den bestehenden Dateien der Polizeien und der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder erfasst. Mit der Antiterrordatei versetzen wir die Sicherheitsbehörden aber erstmals in die Lage, einen schnellen bundesweiten Überblick über vorhandene Erkenntnisse zu bestimmten Personen oder Vereinigungen zu erhalten. Die Kenntnis dieser Daten muss dabei für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland erforderlich sein.
Mit einem sehr differenzierten System stellen wir sicher, dass die einstellenden Behörden Herr über ihre Daten bleiben und dass die Persönlichkeitsrechte derjenigen, die in diese Datei eingestellt sind, gewahrt bleiben. So erhält die abfragende Behörde im Fall eines Treffers nur den Zugriff auf die Grunddaten. Will sie ergänzende Informationen, so genannte erweiterte Grunddaten zu dieser Person haben, muss sie mit der einstellenden Behörde Kontakt aufnehmen. Diese einstellende Behörde entscheidet dann, ob die besonders sensiblen Daten übermittelt werden. Soweit besondere Geheimhaltungsinteressen oder - das ist ein Ergebnis der Anhörung - besonders schutzwürdige Interessen des Betroffenen dies ausnahmsweise erfordern, kann eine beschränkte oder verdeckte Speicherung erfolgen.
Kritisiert wurde in der Sitzung des Innenausschusses die Eilfallregelung, wonach die abfragende Behörde unter äußerst eng beschriebenen Voraussetzungen auf die erweiterten Grunddaten zugreifen darf, wenn die ersuchte Behörde nicht rechtzeitig reagieren kann. Ich vermag beim besten Willen nicht zu erkennen, wie man hier zu der Erkenntnis kommen kann, dass der Eilfall in der Praxis zum Regelfall werden soll. Neben den beschriebenen materiellen Voraussetzungen für diesen besonderen Zugriff haben wir im Gesetz noch erhebliche organisatorische Hürden aufgebaut, die nach meiner langjährigen Erfahrung in Sicherheitsbehörden gewährleisten, dass ein Missbrauch nicht stattfindet. Ganz davon abgesehen gehe ich bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, dass sich bundesdeutsche Behörden an Recht und Gesetz halten und ein solches Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden völlig unangebracht ist.
Nur am Rande will ich noch erwähnen, dass jeder, wirklich jeder Zugriff auf diese Datei protokolliert werden muss und sowohl die Zugriffsregelungen als auch die Protokolldaten der Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder unterliegen.
Insgesamt haben wir eine Regelung gefunden, mit der das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit angemessen austariert wird. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind dabei, wie es die meisten wichtigen Experten bei der Anhörung dargestellt haben, eingehalten. Auch das viel zitierte Trennungsgebot, das es nach Meinung namhafter Rechtslehrer in der vor 1990 vertretenen Form gar nicht mehr gibt, wäre durch dieses Gesetz nicht verletzt. Es wäre im Übrigen auch geradezu widersinnig, wenn Nachrichtendienste und Polizei Informationen über extrem gefährliche Personen nicht austauschen dürften. Damit würde ihr verfassungsrechtlicher Auftrag zum Schutz der Bevölkerung ad absurdum geführt werden.
Abschließend will ich noch auf den Entschließungsantrag der großen Koalition hinweisen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zur Wohnraumüberwachung aus dem Jahre 2004 für den Bereich der Nachrichtendienste vorzulegen. Wir zeigen damit, dass wir mit der Verfassung verantwortungsvoll umgehen und die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Freiheit und zur Gewährleistung der Sicherheit ergreifen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
Gisela Piltz (FDP):
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich zu Beginn klarzustellen: Die FDP ist für den verbesserten Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, wenn es um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht.
- Es ist schön, dass wenigstens Sie mir Beifall klatschen. Die CDU schafft das nicht. - Die FDP unterstützt selbstverständlich die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und hat sich schon seit langem für eine reine Indexdatei zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingesetzt. Dass diese Indexdatei weder in den vergangenen Jahren noch jetzt realisiert wurde, liegt nicht an uns, sondern an den Länderministern, die von CDU und SPD gestellt werden; das musste einmal gesagt werden.
Wir haben bei dem vorliegenden Entwurf allerdings auch rechtsstaatliche Bedenken.
Zuerst aber ein Wort zum Verfahren - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Es gab eine kurzfristig anberaumte Anhörung. Diesem Vorgehen haben wir zugestimmt, um diese Datei, von der wir einmal dachten, sie würde als Indexdatei ausgestaltet, schnell auf den Weg zu bringen. Die große Koalition hat dann drei Wochen gebraucht, um am Ende Änderungsanträge, die nicht einmal zwei DIN-A4-Seiten umfassen, vorzulegen.
Es wurden zwei Berichterstattergespräche angesetzt, die nicht stattgefunden haben, weil Sie sich immer noch nicht geeinigt hatten. Besonders schön fanden wir es, dass wir dann am späten Dienstagabend das entsprechende Fax mit den Änderungsanträgen bekamen. So konnten wir uns damit in den Fraktionen überhaupt nicht auseinander setzen.
Interessant ist auch, was die Kollegen im Innenausschuss zu diesem Gesetzentwurf gesagt haben. Herr Wiefelspütz sagte zum Beispiel, er hätte noch nie so hart an einem Gesetzentwurf gearbeitet wie an diesem.
Herr Göbel hat gesagt, es handele sich eigentlich nur um kleinere Änderungen. Was stimmt denn nun?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Wiefelspütz, soll ich die Parlamentsärztin unterrichten oder bekommen wir das noch so geregelt?
Gisela Piltz (FDP):
Herr Wiefelspütz, wenn das alles ist, was Sie zustande bringen, dann graut mir vor den nächsten drei Jahren.
Unsere größten Kritikpunkte sind im Übrigen von den Sachverständigen bestätigt worden. Bezüglich des Zugriffs auf die erweiterten Grunddaten von aa) bis qq) - so heißt es so schön - haben auch wir verfassungsmäßige Bedenken; denn jede Speicherung und Weitergabe von Daten ist ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und jeder Eingriff bedarf einer Rechtfertigung. Wir können aber nicht erkennen, dass dies hier in jedem Fall gegeben ist. Wir haben insbesondere bei der Religionszugehörigkeit unsere Zweifel. Auch viele Praktiker haben - das haben sie in der Anhörung bestätigt - ihre Zweifel an der Praktikabilität dieser erweiterten Grunddaten.
Auch die Anzahl der beteiligten Behörden sehen wir kritisch. Wir hätten uns gewünscht, dass darüber gemeinsam mit dem Bundestag entschieden wird.
- Herr Wiefelspütz, es wird nicht besser, wenn Sie so laut rufen. -
Was Sie jetzt vorgelegt haben, ist lediglich im Einvernehmen mit dem Innenminister beschlossen worden. Das kann sich ein Parlament nicht bieten lassen.
Auch zum Freitextfeld haben wir Kritikpunkte. Hier verlassen Sie aus unserer Sicht die ursprünglich vorgesehene Indexdatei; denn nun dürfen Bewertungen, Hinweise und Bemerkungen hinsichtlich der Grunddaten und der erweiterten Grunddaten weitergegeben werden. Das ist erstens vom Aufwand her unpraktikabel - wer soll das eingeben, wer soll das pflegen? -, zweitens für den Betroffenen absolut unkalkulierbar - er kann die Daten nicht einsehen und weiß nicht, was an persönlichen Bewertungen über ihn gespeichert wird - und hat drittens nichts mit Objektivität zu tun, sondern es handelt sich um eine höchst subjektive Einschätzung, die den Professor mit drei verdächtigen Studenten oder möglicherweise einen hoch bezahlten Bankdirektor mit drei verdächtigen Mitarbeitern
zum Anwärter für diese Datei macht. Von daher lehnen wir das ab.
Das Schlimmste aus unserer Sicht ist aber die so genannte Eilfallregelung. Gemeinsam mit dem Freitextfeld birgt sie die Gefahr, dass ausländische Geheimdienste uns ihre Informationen gar nicht mehr weitergeben. Bisher galt das Opportunitätsprinzip; sie konnten selbst entscheiden, ob sie Informationen einstellen oder nicht. Das gilt jetzt nicht mehr. Im Eilfall kann jede Behörde jederzeit auf die Daten zugreifen. Das heißt, auch jede ausländische Behörde muss damit rechnen, dass eine Behörde, von der sie nicht möchte, dass sie auf diese Daten Zugriff hat, im Eilfall darauf zugreift.
All das, was Sie, Herr Kollege Göbel, hier zum Eilfall gesagt haben, kann mich nicht überzeugen. Es gibt mindestens fünf unbestimmte Rechtsbegriffe in Ihrer Vorschrift, die man zunächst auslegen muss. Was da konkret und präzise geregelt sein soll, kann ich nicht erkennen. Ganz im Gegenteil, Sie gefährden mit dieser Regelung die internationale Zusammenarbeit. Für mich und meine Fraktion macht Terrorismus nicht an der Grenze halt und hält sich übrigens auch nicht an unsere üblichen Bürozeiten in den Behörden. Mit Blick auf die Eilfallregelung frage ich mich, wie Sie den internationalen Terrorismus einschätzen. Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie glauben, dass man einen Eilfall nicht bei allen Sicherheitsbehörden rund um die Uhr bearbeiten könnte.
Terrorismus müssen wir rund um die Uhr bekämpfen und nicht nur, wenn der bayerische Verfassungsschutzpräsident meint, dass er einen Notdienst fürs Wochenende braucht. Ich glaube, so kann man den internationalen Terrorismus nicht bekämpfen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Piltz!
Gisela Piltz (FDP):
Ich komme zum Schluss - mit einem letzten Gedanken. Wirklich nachdenklich hat mich gestimmt, dass Sie unseren Änderungsantrag - mit dem Inhalt, dass Informationen, bei denen Tatsachen die Annahme begründen, dass die unter offensichtlicher Verletzung der Menschenrechte erhoben wurden, nicht gespeichert werden - abgelehnt haben. Es ist schön, wenn Sie sonntags davon reden, dass wir auf das Folterverbot unbedingt Rücksicht nehmen müssen und unter Folter erhaltene Informationen nicht verwendet werden dürfen. Wenn Sie das bei der Ausarbeitung eines Gesetzes aber nicht berücksichtigen, dann finde ich das sehr bedenklich. Das lässt tief blicken auf den Zustand dieser großen Koalition.
Aus all diesen Gründen können wir dieser Antiterrordatei nicht zustimmen. Wir hätten es gerne getan. Wir haben Ihnen unsere Mitwirkung angeboten; aber Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht. Auch das hat mit parlamentarischem Brauch nichts zu tun.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Klaus Uwe Benneter ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Klaus Uwe Benneter (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesundheitlichen Befindlichkeiten des Kollegen Wiefelspütz haben wir ja schon erörtert. Aber, Frau Kollegin Piltz, eine gute Speise muss eben heiß auf den Tisch. Deshalb konnten wir Ihnen vorher nicht noch einmal die Gelegenheit geben, sich den Mund daran zu verbrennen.
Warum ist Deutschland bisher weitgehend von terroristischen Anschlägen verschont geblieben? Wir hatten sicherlich Glück. Es lag auch an einer klugen Außenpolitik, aber ebenso an der klugen und vorausschauenden Politik im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten fünf Jahren.
An dieser Stelle sollte man ausdrücklich unseren Kollegen Otto Schily erwähnen.
Man sollte ihm für das danken, was er für die innere Sicherheit in Deutschland geleistet hat. Herzlichen Dank, Otto Schily!
Es sind in der Vergangenheit sicher weit mehr als ein Dutzend Anschläge in Deutschland durch rechtzeitige Aufklärung verhindert worden. Deshalb ist die Frage zu stellen, was wir eigentlich mit einer rechtzeitigen Terrorbekämpfung im engeren Sinne leisten. Natürlich muss Terrorbekämpfung auch die Ursachen angehen und die Rekrutierung von Terroristen in den Entwicklungsländern verhindern. Terrorbekämpfung im engeren Sinne bedeutet, dass man rechtzeitig, also wenn Terroraktionen geplant werden, handelt und nicht hinterher, wenn es sozusagen um das Aufräumen geht.
Der internationale Terrorismus hat seine Vorgehensweise verändert. Deshalb müssen wir unsere Antwort darauf ändern. Es reicht nicht, alte Maximen um ihrer selbst willen aufrechtzuerhalten. Statt Wunschdenken sind hier knallharte, verlässliche Analysen und Bewertungen angebracht. Wir brauchen keine Spekulationen, sondern empirisch belastbare Bewertungen und Beurteilungen.
Es ist unsere Aufgabe, die Bürgerrechte zu gewährleisten und zu schützen. Das ist der Grund, warum wir Terror bekämpfen.
Es geht hier nicht nur darum, allgemeine Persönlichkeitsrechte und das Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schützen;
es geht nicht nur darum, die Informations- und Meinungsfreiheit zu schützen.
- Ja, aber auch. - Aber erst recht muss das Recht auf Sicherheit geschützt werden.
Es ist eines der vornehmsten und wichtigsten Bürgerrechte, das der Staat zu garantieren hat; denn die Bürger selbst können es nicht. Der Staat ist also gefragt, wenn es um das Recht auf Sicherheit geht.
- Das Recht auf Sicherheit steht im gesamten Grundgesetz.
Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz und das Gemeinsame-Dateien-Gesetz sind die rechtsstaatliche Grundlage dafür, dass wir verlässliche Informationen für intelligente und rechtzeitige Analysen von Gefährdungssituationen sammeln können. Das ist keine Wunderwaffe, aber Teil eines sensiblen und klugen Frühwarnsystems.
Lassen Sie mich nun auf das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz eingehen. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz war auf fünf Jahre befristet. Es ging nun um die Frage, ob dieses Gesetz verlängert werden sollte oder ob es einfach auslaufen sollte. Es hat in diesem Zusammenhang eine Evaluierung stattgefunden, die allein vom Zeitablauf gesehen unseren Ansprüchen auf eine ausreichende Evaluierung nicht genügen kann.
Gemäß dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz gibt es in fünf Jahren eine neue Evaluierung, aber diesmal - wenn ich das richtig verstanden habe, war das auch Ihr Anliegen, Herr Kollege Wieland - mit externem Sachverstand.
- Es wird kein Alibisachverständiger sein. Er wird vom Parlament bestimmt werden.
Das ist schon ein wesentlicher Fortschritt, der eigentlich Ihrem Anliegen gerecht werden müsste.
Es gibt keine Ausdehnung auf den Extremismusbereich. Es bleibt dabei, dass es ein Terroristenbekämpfungsgesetz ist. Ich sage ganz deutlich, dass es sich um terroristische Bestrebungen handeln muss. Extremistische Meinungsäußerungen, auch wenn sie einem nicht passen, reichen nicht aus, um hier Auskünfte einholen zu können. Außerdem müssen immer tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, wenn dieses Gesetz in Anwendung kommen soll.
Uns ist es auch gelungen - darauf bin ich besonders stolz -, dass, wenn der Zweck der Maßnahme nicht mehr gegeben ist, alle Betroffenen zu benachrichtigen sind. Es ist ein ganz wichtiger Punkt in der Demokratie, dass man das selber nachprüfen lassen kann.
Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, wird oft der Hinweis gegeben, hiermit werde das Trennungsgebot verletzt. Egal ob es ein verfassungsrechtlich geschütztes Trennungsgebot gibt oder nicht, eine Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei ist aus der Natur der Sache heraus erforderlich. Die Polizei arbeitet mit anderen Methoden und auf Basis anderer Rechtsgrundlagen als Nachrichtendienste. Nachrichtendienste haben die Möglichkeit, sehr früh im Vorfeld Ermittlungen zu führen und Informationen einzuholen. Die jeweiligen Informationen haben unterschiedlichen Charakter und unterschiedliche Belastbarkeiten und stammen aus völlig unterschiedlichen Quellen. Polizeiquellen müssen Quellen sein, die auch vor Gericht standhalten können, während die Quellen der Nachrichtendienste natürlich in der Regel nicht vor Gericht zu verwerten sind. Aber sie sind im Kampf gegen den Terror wichtig. Daher ist es bedeutsam, solche Informationen rechtzeitig einzuholen.
Insofern kann es kein Trennungsgebot für Informationen geben, die die Nachrichtendienste und die Polizeien betreffen. Das Einzige, was es geben muss - das haben wir geleistet -, ist eine Trennung zwischen den offenen Grunddaten und den verdeckt gespeicherten, erweiterten Grunddaten. Da wurde eine klare Trennung durchgeführt; darauf kann nicht jede Polizeidienststelle einfach zugreifen.
Auch der Eilfall muss geregelt sein, weil natürlich denkbar ist, dass jemand nicht zu erreichen ist. Frau Kollegin Piltz, es reicht eben nicht, dass beim Verfassungsschutz der Pförtner oder sonst jemand den Bereitschaftsdienst ausübt.
Bei den Verfassungsschutzämtern ist es von der Natur der Sache her so, dass die einzelnen Dienststellen entsprechend voneinander abgeschottet und getrennt sind. Deshalb nützt es Ihnen nichts, einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst zu haben, wenn Sie die gerade Zuständigen, diejenigen, die Sie für eine verlässliche Information brauchen, nicht erreichen können.
Es sollte Ihnen einleuchten, dass man hier eine Eilfallregelung benötigt. Aber auch diese Eilfallregelung ist so abgesichert, dass sie nicht zum Regelfall wird und kein Missbrauch erfolgen kann. Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis!
Zu den Kontaktpersonen; davon haben Sie gar nicht mehr gesprochen.
Es war ja Ihre Forderung, deutlich zu machen, dass Kontaktpersonen nur dann in eine solche Datei aufgenommen werden können, wenn es sich nicht um zufällige oder flüchtige Kontakte handelt. Das ist nun ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen worden. Dies stand schon vorher in der Begründung. Aber weil es Ihr Anliegen war, dies deutlicher festzulegen, haben wir diese Regelung in den Gesetzestext aufgenommen.
Das sollte ein Grund mehr für Sie sein, zustimmen zu können.
Eines ist ganz wichtig: In dieser gemeinsamen Datei befinden sich keine neuen Daten. Es sind keine neuen Übermittlungsvorschriften geschaffen worden. Es bleibt alles beim Alten. Was bisher von Nachrichtendienst zu Polizei von Hand zu Hand und von Mund zu Mund weitergegeben werden konnte, wird jetzt in der Weise modernisiert, dass dies auch automatisiert weitergegeben werden kann. Das ist der einzige Unterschied.
Dem Abwehrkampf gegen den Terrorismus sind wir es schuldig, dass wir solche modernen Möglichkeiten nutzen und entsprechend einführen.
Wer zielsichere, belastbare Einschätzungen und Bewertungen abgeben will, braucht diese von uns zu Recht geschaffenen rechtsstaatlichen Instrumente. Erfolgreiche Terrorbekämpfung braucht taugliche Mittel für eine erfolgreiche Recherche. Deshalb gibt es diese neuen Gesetze. Sie bauen auf alten, bewährten Regelungen auf, führen sie weiter und entwickeln sie.
Dem Netzwerk der Terroristen stellen wir ein Netzwerk der Sicherheit entgegen.
Es ist wichtig, die Informationen möglichst frühzeitig zu erhalten; denn nur so können wir bei der Terrorbekämpfung Erfolg haben. Die frühzeitige Information ist ein Grund dafür, dass wir in Deutschland von Terroranschlägen bisher weitgehend verschont geblieben sind.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, machen Sie den Menschen nicht länger Angst.
Wir gefährden keine Bürgerrechte, sondern wir wahren alle Bürgerrechte. Alle Bürgerrechte, auch das Bürgerrecht auf Sicherheit, waren und sind bei uns in besten Händen. Das wird so bleiben.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion Die Linke.
Jan Korte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht die Opposition verbreitet Angst, sondern Sie von der Koalition. Sie sind die wahren Sicherheitspopulisten. In Ihrer Argumentation gibt es nämlich einen Widerspruch: Auf der einen Seite stellen Sie Berichte vor, mit denen Sie argumentieren, die Bundesrepublik sei eines der sichersten Länder auf der ganzen Erde; auf der anderen Seite erzählen Sie aber ununterbrochen, dass wir bedroht sind, malen Bedrohungsszenarien an die Wand, und erklären immer wieder, dass man neue Maßnahmen braucht. Das ist ein offensichtlicher Widerspruch.
Nun zur Antiterrordatei. Ich glaube, dass das, was wir heute diskutieren, in den Gesamtkontext eingeordnet werden muss, um überhaupt kenntlich machen zu können, was Sie beabsichtigen. Der Kollege Göbel hat heute Morgen etwas sehr Entscheidendes gesagt - das trifft den Kern -,
nämlich dass Sie an einer völlig neuen Sicherheitsarchitektur arbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit heute abermals zuungunsten der Freiheit gekippt werden soll. Das ist das entscheidende Problem Ihrer neuen Sicherheitsarchitektur.
Es gilt, den Gesamtrahmen zu beachten. Ich erinnere an das Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit; neben den Haushaltsberatungen wurde über diese hochgradig fragwürdige Angelegenheit abgestimmt. Ich erinnere an die Vorratsdatenspeicherung. Hochgradig problematische Vorhaben werden von Ihnen durchgeprügelt. All das bildet den Gesamtkontext. Sie bringen eine neue Sicherheitsarchitektur zulasten der Freiheit auf den Weg. Das ist wahrlich populistisch und für die Grundrechte gefährlich.
Nun zu den heutigen Vorhaben.
Erstens. Selbstverständlich wird hiermit die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter aufgehoben. Das ist doch gar keine Frage.
Ich kann nicht oft genug wiederholen, warum es diese Trennung gibt: Sie beruht auf den Erfahrungen, die wir in der deutschen Geschichte gemacht haben. Dieses Thema ist aktueller denn je, weil es auch heute darum gehen muss, eine unkontrollierbare Machtkonzentration bei den Sicherheitsdiensten zu verhindern.
Jede Woche gibt es einen neuen Skandal, weil die Situation offensichtlich nicht mehr kontrollierbar ist. Das ist unser Problem. Deswegen ist dieses Trennungsgebot aktueller denn je.
Dazu hat der ehemalige BND-Präsident und Staatssekretär Geiger, der nun wahrlich nicht verdächtig ist, Sozialist, geschweige denn Kommunist zu sein, Treffliches gesagt.
Er hat in der Anhörung gesagt: Hier sollen personenbezogene Kenntnisse zusammengeführt werden, die von Behörden erhoben wurden, die organisatorisch zu Recht getrennt sind, die unterschiedliche Aufgaben und Befugnisse haben. - Darüber gehen Sie einfach hinweg, obwohl das nicht irgendjemand, sondern der ehemalige BND-Präsident gesagt hat. Recht hat er.
Zweitens. Die erweiterten Grunddaten - Kennwort: Religionszugehörigkeit - sind schon angesprochen worden. Was soll das? Was hat diese Angabe in der Datei zu suchen? Hier wird wieder eine Stigmatisierung vorgenommen, die, wie immer, in erster Linie die Migrantinnen und Migranten in diesem Land trifft. Deswegen lehnen wir das ab.
- Die Vorurteile schüren Sie, nicht wir.
Drittens, das Freitextfeld: Es ist gerade schon einmal zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Polizei aufgrund von Tatsachen und Fakten ermittelt, während Geheimdienste bekanntermaßen auch aufgrund von Vermutungen agieren und Gesinnungen nachspüren. Es ist doch völlig logisch, dass es zu Fehlschlüssen mit gegebenenfalls verheerenden Folgen für die Betroffenen kommen muss, wenn man beides zusammenrührt. Darüber kann man nicht einfach hinweggehen.
Viertens, die Kontaktpersonen - auch dieser Punkt ist schon genannt worden -: Da haben Sie eine kleine Änderung vorgenommen. Sie ist aber so vage gehalten, dass das Kernproblem bleibt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat es an einem Beispiel gezeigt: Wenn ich meinen Nachbarn einmal am Kiosk treffe, ist es wohl kein Problem. Wenn ich ihn aber drei- oder viermal treffe und mit ihm vielleicht sogar noch einen Kaffee trinke, dann gerate ich ganz schnell in die Datei hinein. Das ist das Kernproblem.
Auch dazu hat Herr Geiger etwas Treffendes festgestellt:
Wie wird sichergestellt, dass insbesondere Unbeteiligte, ich denke an Kontaktpersonen, nicht allein schon durch die Tatsache der Speicherung erhebliche Nachteile erleiden?
Auch das haben Sie nicht beantwortet. Es ist ein Skandal, was Sie hier heute vorgelegt haben und wie Sie einfach über die Probleme hinweggehen.
Ein Verwendungsverbot von Daten, die unter Folter erlangt wurden - die ich erinnere an den Fall Zammar in Syrien: die ?Früchte der Folter“, die es offensichtlich gibt -, wird von Ihnen nicht aufgenommen. Es gibt ja einen Untersuchungsausschuss, der sich mit diesen Fragen befasst.
Das sind nur einige Gründe, warum die Linksfraktion Ihr Gesetz ablehnen wird. Es geht hier, um es einmal präzise zu sagen, nicht um eine Antiterrordatei, sondern um eine Verdachtsspeicherdatei. Die lehnen wir ab.
Zum Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz nur so viel: Nach dem 11. September konnte man angesichts des Schreckens durchaus Verständnis für einige Maßnahmen haben.
Allerdings wäre es jetzt, fünf Jahre später, an der Zeit, in sich zu gehen und zu überprüfen, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Es Evaluierung zu nennen, wenn das Ministerium sein eigenes Gesetz evaluiert, ist geradezu absurd. Das ist so, als ob sich Produzenten von Gammelfleisch ein Ökosiegel geben würden. Das ist keine Evaluierung.
Hätte man eine unabhängige und kritische Evaluierung zugelassen, wären uns vielleicht die wöchentlichen Geheimdienstskandale erspart geblieben. Auch das muss angemerkt werden.
Ich fasse zusammen. Heute ist wieder einmal ein trauriger Tag für die Grund- und Freiheitsrechte in diesem Land. Ich habe beim letzten Mal schon gefragt und frage heute wieder: Bis wohin wollen Sie gehen? Jede Woche gibt es eine neue Verschärfung des Gesetzes und neue Eingriffe in die Grundrechte. Wann soll damit Schluss sein? Das frage ich mich wirklich; denn das ist das Problem. Die Schreierei der SPD hier
täuscht nur darüber hinweg, dass auch Sie hochgradige Bedenken an dem haben, was Sie auf den Weg gebracht haben.
Sie wissen ganz genau - seit langem wird das bei Ihnen gemunkelt -, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.
Abschließend noch einmal kurz zum Verfahren; zum Inhalt wurde schon einiges gesagt. Dass die Kollegen in der CDU/CSU so etwas durchpeitschen, überrascht nicht, weil es dort durchaus einen Hang zu autoritärem Verhalten gibt
- Etwas charmanter gesagt, weil ja bald Weihnachten ist: Sie haben einen Hang zu preußischer Disziplin. - Das will mich nicht überraschen. Aber dass das in der SPD in dieser Art und Weise durchgepeitscht wird, verwundert mich schon, obwohl mich nicht mehr vieles verwundert. Man hat doch mitbekommen, dass Sie hochgradige Bedenken hatten. Sie sollten überlegen, ob Sie nicht wieder einmal Ihr Gewissen dem Koalitionszwang entgegenstellen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das Gute an der Linksfraktion ist, dass dort die Fraktionsdisziplin mit dem Gewissen gleichgeht. Das ist das Schöne an der Linksfraktion. Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Benneter hat eben das Spiel der Koalition mit der Angst vor Terrorismus, Verbrechen und anderem vorgeführt.
- Nein, in Wirklichkeit tut es die Koalition. Das ist das Problem.
Wir sind gerade hier ganz bedacht und folgen dem Präsidenten des BKA, Herrn Ziercke. Er sprach von fünf verhinderten Terroranschlägen seit dem 11. September. Wenn man Frankfurt am Main dazurechnet, muss man von sechs verhinderten Terroranschlägen sprechen. Die wurden durch gute Arbeit - auch ohne Antiterrordatei - verhindert.
Der Anschlag von Köln wurde nur durch einen Zufall verhindert. Nur die falsche Übertragung von Internetbauplänen in die Realität hat dazu geführt, dass wir Köln heute nicht in einer Reihe mit Madrid und London nennen müssen. Dieser Anschlag hätte auch durch eine Antiterrordatei nicht verhindert werden können. Daher muss über die Ausgestaltung einer solchen Datei ruhig, ohne Hektik und ohne dieses Thema als ?heiße Kiste“ zu präsentieren, auf parlamentarischem Wege verhandelt werden. Wir hatten dazu circa 20 Änderungsvorschläge gemacht, die FDP genauso viele. Diese Vorschläge haben Sie nicht zur Kenntnis genommen. Sie lagen noch nicht einmal auf Ihrem Verhandlungstisch.
Es gibt noch nicht einmal eine ablaufende Frist für diese Datei.
Daher sage ich: Sie haben sich bewusst von der Opposition abgekoppelt. Nun kommen Sie mit dummen Schuldzuschreibungen an uns. Sie wollen dieses Thema jetzt abschließen, diese Diskussion nicht mehr führen und die Flucht nach vorne antreten. Machen Sie das ruhig, glauben Sie aber nicht, dass wir als Opposition dabei mitmachen und Ihnen zustimmen.
Sie stellen sich hierhin
und sagen: Hurra, data habemus! Jetzt haben wir die Datei. Das, was Rot-Grün in sieben Jahren nicht geschafft hat, haben wir in nur einem Jahr geschafft.
- Lieber Kollege Binninger, wir sind stolz darauf, dass wir einen solchen Datenmoloch, wie Sie ihn planen, verhindert haben.
Auf eine Kurzformel gebracht bedeutet Ihre Datei: viel zu viele Daten von viel zu vielen Personen aus viel zu vielen Quellen mit viel zu vielen Zugangsberechtigten. Das ist der Inhalt dessen, was Sie uns vorlegen.
- Ja, eben. So viele Daten haben wir.
Stichwort: zu viele Daten. Die Nachrichtendienstliche Verbunddatei, NADIS, hat zurzeit einen Bestand von 1 034 514 personenbezogenen Einträgen.
Beim BKA umfasste allein die Datei ?Innere Sicherheit“ mit der Aufgabenstellung der Verhütung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten, die länderübergreifende, internationale oder erhebliche Bedeutung haben, sage und schreibe 1 451 605 Datensätze. Solche Datenberge sind bereits vorhanden.
Sie schlagen nun nicht etwa vor - was logisch wäre -, dass wir diese Datenberge zunächst einmal entrümpeln und überprüfen, anschließend entscheiden, welche Daten in die Datei aufgenommen werden, und sie dann zusammenfügen. Stattdessen wählen Sie ein Verfahren, das eine gesetzliche Verpflichtung vorsieht: Es soll gespeichert werden, ohne dass zuvor eine Prüfung des Altbestandes stattgefunden hat. Das ist wirklich unsinnig. Das entspricht nicht dem Gebot der Datenknappheit. Auch hierzu können wir nur Nein sagen.
Stichwort: zu viele Personen. Herr Fromm vom Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Hoffnung geäußert, dass der Umfang der Datei wohl nicht fünfstellig wird. Wir sagen: Angesichts dessen, dass diese Datei, über deren Einführung wir jahrelang diskutiert haben,
eine absolut stigmatisierende Wirkung haben wird - das ist gar nicht anders möglich; wer dort dringsteht, wird als Terrorist gelten -, sollte man sich sehr genau überlegen, wen man in die Datei aufnimmt. Das tun Sie nicht. Sie definieren noch nicht einmal entsprechende Kriterien.
In der Sachverständigenanhörung kam es doch geradezu zu einer Art heiterem Personenraten, wer wohl in diese Datei aufgenommen wird: Kommt Peter Handke rein? Kommt Ahmadinedschad rein?
- Ja. Von der Linksfraktion wurde auch der Name Joschka Fischer genannt. -
Muss US-Präsident George W. Bush rein?
Nach Ihrer Definition müsste jeder, der auf internationaler Ebene die Anwendung von Gewalt befürwortet, geschweige denn tatsächlich Gewalt anwendet, in die Datei aufgenommen werden. Das geht viel zu weit und ist viel zu unbestimmt.
Auch zu den Kontaktpersonen möchte ich Ihnen gerne etwas sagen. Ihr Versuch der Einschränkung ist untauglich. Die Definition, die Sie zugrunde legen wollen, umfasst das gesamte soziale Umfeld, sofern es dauerhaft ist. Die Ärztin, der Arzt, die Familienangehörigen, die Anwältin und der Anwalt - für alle besteht das Risiko, in diese Datei aufgenommen zu werden.
An die Stelle harter Fakten setzen Sie Gesinnungselemente. Ein nachdenklicher Sachverständiger hat darauf hingewiesen, dass es sich oftmals um Menschen handelt, die den Schritt vom Meinen zum Handeln noch gar nicht vollzogen haben. Das alles hat in einer solchen Datei wirklich nichts zu suchen.
Stichwort: zu viele Quellen. Der Streit, ob es eine Volltextdatei oder eine Indexdatei sein soll, ist doch nicht umsonst erbittert geführt worden! Wir Grüne wollten die Datei - um das deutlich zu sagen -; aber wir wollten sie immer als Indexdatei, als Fundstellendatei. Weil jetzt gesagt wird, in den Eilfällen unterstellten wir als Opposition Missbrauch, stelle ich klar: Wir unterstellen keinen Missbrauch. Aber der Eilfall ist vom Wesen des Terrorismus her der Regelfall, da ist immer Eile angesagt, die gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben ist impliziert in der terroristischen Gefahr. Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass, wenn ein Name der Kofferbomber bekannt gewesen wäre, das kein Eilfall gewesen wäre! Natürlich, und so wird es immer sein. Daher ist das, was Sie heute hier schaffen, im Wesentlichen eine Volltextdatei. Auch deswegen, Herr Benneter, kann man sie nur ablehnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Wieland, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, gestatte ich gerne.
Klaus Uwe Benneter (SPD):
Herr Kollege Wieland, sind Sie in der Lage, zur Kenntnis zu nehmen,
dass es im Gesetzestext im Hinblick auf Kontaktpersonen ausdrücklich heißt:
Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass sie ...
mit Terrorverdächtigen
in Verbindung stehen und durch sie Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewonnen werden können …
Das zusätzliche Erfordernis ist, dass
die Kenntnis der Daten für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist. Satz 1 gilt nur für Daten, die die beteiligten Behörden nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften automatisiert verarbeiten dürfen.
Das ist die Definition von Kontaktpersonen in dem Gesetzentwurf. Können Sie das zur Kenntnis nehmen?
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich nehme das zur Kenntnis. Doch ich habe von dem, was ich ausgeführt habe, Kollege Benneter, nichts zurückzunehmen. Denn in Ihrer Definition fehlt das Element, dass diese Personen irgendetwas wissen von den terroristischen Verflechtungen der anderen Person.
Nein, dass sie etwas wissen müssen, ist keine Voraussetzung für eine Erfassung ihrer Grunddaten; da genügt es, dass sie objektiv Kontakt haben zu dieser Person.
Dass sie Kenntnis von deren Gefährlichkeit haben, ist keine Bedingung. Eine Kontaktperson kann also der Ehepartner sein, jeder, der nur nicht zufällig Kontakt zu ihr hat, zum Beispiel auch eine Anwältin oder ein Anwalt,
mit dem die Person in Geschäftsbeziehung steht. Weil es hier um nachrichtendienstliche Daten geht, sind wir uns doch wohl einig, dass auch viele undolose - wie Sie im Ausschuss sagten -, also absichtslose Kontaktpersonen dort gespeichert sind. Gerade das Wissen eines Anwaltes ist sehr interessant für nachrichtendienstliche Kreise.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Würden Sie vielleicht auch dem Kollegen Binninger die Freude machen?
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich bin ja zur Gleichbehandlung verpflichtet hier. Deswegen soll auch der Kollege Binninger fragen dürfen.
Clemens Binninger (CDU/CSU):
Herr Kollege Wieland, Sie haben gerade behauptet, dass die Kontaktpersonen nicht wissen müssten über Terrorismus und deshalb nahezu jeder in diese Datei kommen könnte. Wären Sie bereit, mir zuzugestehen, dass im Gesetz etwas anderes steht, nämlich Folgendes - ich nehme nur den letzten Halbsatz -:
… und durch sie
- es geht um die Kontaktpersonen -
Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewonnen werden können.
Sie müssen also etwas wissen, sonst kommen sie nicht in die Datei. Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und Ihre Aussagen zu revidieren?
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis. Möglicherweise wollten Sie das zum Ausdruck bringen. Aber Sie haben es nicht zum Ausdruck gebracht.
Es genügt, dass die Behörden sich vorstellen, dass sie über die Kontaktpersonen in ihren Ermittlungen weiterkommen. Es steht nicht drin, dass die Kontaktperson irgendetwas wissen muss davon, dass der Hauptverdächtige in Terrorismus involviert ist. Diese Verbindung haben Sie nicht gewählt. Wir haben Ihnen eine entsprechende Formulierung vorgeschlagen. Aber, Kollege Binninger, Sie waren ja wenigstens so ehrlich, zu sagen, dass Sie die noch nicht einmal gelesen haben. Wie sich jetzt an Ihrer Zwischenfrage zeigt, rächt sich das.
Stichwort: zu viele Zugriffsberechtigte. Natürlich hätten wir als Gesetzgeber - da hat die Kollegin Piltz doch völlig Recht - definieren müssen, wer da rein darf und wer mitmischen darf bei dieser Datei. Dies geschieht nicht. Das überlässt man dem ehrenwerten Herrn Schäuble. In seinem Benehmen liegt es, zu sagen, ob die Polizeidienststelle im schwäbisch-alemannischen Raum, in Lörrach oder wo auch immer, ebenfalls Zugriff auf die Datei hat. Das kann nicht befriedigend sein.
Genauso wenig befriedigend ist es, dass es für denjenigen, dessen Daten in dieser Datei gespeichert wurden, keine Möglichkeit gibt, seine Daten löschen zu lassen. Vor allen Dingen aber haben Sie unseren Vorschlag verworfen, dass nichts aus dieser Datei an unbefugte Stellen - insbesondere im Ausland - fließen darf. Gerade nach den Erfahrungen im Fall el-Masri und in anderen Fällen wäre aber eine solche gesetzliche Sperre genauso dringend nötig gewesen wie eine Klausel hinsichtlich des Verbots der Verwertung von unter Folter erlangten Daten, die die FDP vorgeschlagen hat.
Das alles hätte diesem Hause gut zu Gesicht gestanden und die Umsetzung der praktischen Erfahrungen und der Erlebnisse des vergangenen Jahres bedeutet.
In einem geradezu gottvollen Entschließungsantrag appellieren Sie nun an die Bundesregierung, doch endlich die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Telekommunikationsüberwachung umzusetzen. Warum haben Sie das nicht selbst in Ihren Gesetzentwurf für ein Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz eingearbeitet? Dies ist nicht nur ein Wortungeheuer, sondern auch ein Monstrum an sich und ein Etikettenschwindel: Mit diesem Gesetz wird die Terrorismusbekämpfung nicht ergänzt; vielmehr gibt man sämtlichen Nachrichtendiensten alle Instrumente, die zur Terrorismusbekämpfung entwickelt wurden, für die ganz normalen nachrichtendienstlichen Felder, den Kampf gegen den Rechts- und den Linksextremismus, an die Hand. Das hat mit Evaluierung nichts zu tun und das hat auch damit nichts zu tun, dass es nötig ist, gegen den Terror vorzugehen. Sie wollen die Möglichkeiten einfach nur ausdehnen und die staatlichen Befugnisse ins Uferlose wachsen lassen.
Abschließend zitiere ich Peter Schaar, den Bundesbeauftragten für den Datenschutz.
- Ja, deswegen werden Sie dem, was er dazu gesagt hat, auch zustimmen. - Er sagte: Diese Gesetze atmen den Geist der Überwachungsgesellschaft. - Damit hat er seine Behörde korrigiert.
- Warten Sie einmal ab, Herr Wiefelspütz.
Für mich stellen diese Dateien weniger eine gesellschaftliche Frage dar. Der Staat erstellt sie, wir beschließen sie. Deswegen präzisiere ich etwas: Leider atmen diese beiden Gesetze den Geist des Überwachungsstaates. Wir lehnen sie ab.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es wäre möglich gewesen, eine gute und datenschutzfeste Regelung zu treffen. Die Vorschläge lagen auf dem Tisch. Was hier heute geboren werden soll, bedeutet gleich an zwei Stellen einen rechtsstaatlichen Dammbruch. Dazu sagen wir: Nein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Sprechern der Opposition unvoreingenommen zuhört, dann hat man das Gefühl, dass die eigentliche Bedrohung in unserem Lande von den Organen der inneren Sicherheit ausgeht. Ich glaube, das ist eine etwas verzerrte Wahrnehmung.
Ich bin mir auch ganz sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland, die Ordnung unseres Grundgesetzes mit einem Überwachungsstaat nun wirklich nichts zu tun hat,
sondern dass wir uns im Rahmen, in den Grenzen und auf der Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung bemühen, in einer Zeit großer Bedrohungen und Gefahren das Menschenmögliche an Sicherheit zu gewährleisten.
Um nur die letzten Wochen in Erinnerung zu rufen: Da sind zunächst die fehlgeschlagenen Sprengstoffanschläge auf zwei Regionalzüge Ende Juli in Koblenz und Hamm. Es waren relativ kleine handwerkliche Fehler, die verhindert haben, dass schlimme Unglücksfälle passiert sind. Wenige Wochen danach wurde eine Gruppe von Personen aus drei größeren Städten im Ruhrgebiet festgenommen, die sich in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zu einem Nena-Konzert so verdächtig verhalten haben, dass ein Anschlag auf das Konzert angenommen werden musste.
Vor ein paar Wochen hat die Polizei in Osnabrück einen Iraker festgenommen und seine Wohnung durchsucht. Der Beschuldigte hat mutmaßlich vielfach Audio- und Videobotschaften von Osama Bin Laden, al-Zawahiri und Mussab al-Sarkawi über das Internet verbreitet und dadurch den Terrorismus von al-Qaida unterstützt.
Vor zwei Wochen haben BKA und die Landespolizei neun Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet durchsucht. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwältin muss dem Verdacht nachgegangen werden, dass vom Frankfurter Flughafen aus terroristische Anschläge auf eine El-Al-Maschine geplant waren. Das Verfahren dauert an.
- Das ist ein anhängiges Verfahren.
Das alles sind Nachrichten aus den letzten paar Wochen. Sie aber tun so, als gehe die Bedrohung von den Sicherheitsbehörden aus. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden, dass sie in schwieriger Zeit das Menschenmögliche leisten, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.
Es ist zwar richtig, dass die Antiterrordatei die geplanten Anschläge auf die Regionalzüge nicht verhindert hätte.
- Das spricht nicht gegen die Datei.
Wir müssen ja auch nicht letzten Anschlagsversuch verhindern, sondern versuchen, den nächsten zu verhindern.
Die Untersuchungen des amerikanischen Kongresses haben ergeben, dass theoretisch alle notwendigen Informationen vor dem 11. September 2001 vorhanden gewesen wären, um die Planungen in Bezug auf das World Trade Center zu erkennen; sie waren nur nicht miteinander verknüpft. Das ist keine Kritik. Aber man muss für die Zukunft daraus lernen. Deswegen haben wir uns nun fünf Jahre bemüht, die notwendigen Informationen, über die 38 verschiedene für die innere Sicherheit verantwortliche Behörden und Dienststellen von Bund und Ländern verfügen, so zu verknüpfen, dass wir effektiv präventive Arbeit leisten können.
Gerade derjenige, der sich für das Trennungsgebot bzw. für unterschiedliche Aufgabenstellungen von Polizei und Nachrichtendienst einsetzt, darf nicht verhindern, dass die Nachrichtendienste die von ihnen beschafften Informationen den Polizeibehörden zur Verfügung stellen. Sonst bräuchten wir keine Nachrichtendienste. Das muss vernünftig geregelt sein.
Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass uns die föderale Ordnung unseres Grundgesetzes eine optimale Voraussetzung für Schutz, Prävention und vorzügliche Polizeiarbeit bietet.
Wir haben das zuletzt bei der Fußballweltmeisterschaft erlebt, die nicht so hervorragend verlaufen wäre, wenn die Polizeien der Länder und des Bundes nicht so erfolgreich und effizient zusammengearbeitet hätten. Aus diesem Grund muss man die Voraussetzung für eine effiziente und vertrauensvolle Zusammenarbeit schaffen. Eine solche Voraussetzung ist die Antiterrordatei, in der die Dienststellen, die Polizeien und Nachrichtendienste von Bund und Ländern ihre Informationen einstellen - unter Gewährleistung des notwendigen Datenschutzes, im Rahmen unserer Verfassung, auf einer einwandfreien gesetzlichen Grundlage!
Ich bin dankbar, dass wir das geschafft haben, und ich bin froh, dass wir es im Einvernehmen mit den Ländern erreicht haben. Nur so ist es möglich; es würde sonst nicht mehr Sicherheit geben, sondern weniger.
Deswegen möchte ich mich auch beim Bundestag insgesamt und insbesondere bei den Mitgliedern des Innenausschusses und den Kollegen der Koalitionsfraktionen dafür bedanken, dass es gelungen ist, die Gesetze so rechtzeitig zu beraten, dass sie rechtzeitig in Kraft treten können. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz muss in Kraft treten; sonst kommen wir in eine Situation, die niemand verantworten kann.
Schon im September waren wir uns weitgehend einig, dass die Antiterrordatei möglichst ab nächstes Jahr funktionsfähig sein soll. Dazu brauchen wir die gesetzliche Grundlage. Ich habe schon Anfang September mitgeteilt, dass ich das Bundeskriminalamt beauftragt habe, sich entsprechend vorzubereiten, sodass, wenn das Gesetz in Kraft tritt, es funktionsfähig ist, das muss ja auch umgesetzt werden.
Ich bin auch dankbar dafür, dass wir in den Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt haben. Denn auch das gehört zu den Voraussetzungen, die wir schaffen müssen.
Es ist, wie gesagt, richtig, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt.
Wenn es aber keine hundertprozentige Sicherheit gibt, dann ist es umso wichtiger, dass man bei einer anhaltenden, wahrscheinlich sich eher verschärfenden Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus das Menschenmögliche unternehmen muss, um so viel Sicherheit wie möglich zu gewährleisten.
Sie haben vorher mit dem Kollegen Benneter darüber diskutiert, wo das im Grundgesetz steht. Dass der Staat die Aufgabe hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ist in der abendländischen Geschichte fast ein Stück weit konstitutiv gewesen.
- Herr Kollege, das ist keine Staatszielbestimmung. Das ist nun wiederum verfassungsrechtlich falsch. Es ist geradezu konstitutiv.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie die freiheitliche Ordnung unseres Landes bewahren wollen - worüber wir uns alle hoffentlich einig sind -, dann muss der freiheitliche Rechtsstaat in der Lage sein, den Bürgerinnen und Bürgern ein hinreichendes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Sonst wird die freiheitliche Ordnung zerstört.
Wer das untergräbt und wer dafür die notwendigen Mittel verweigert, gefährdet am Ende die Freiheit. Wenn wir den Kampf gegen den Extremismus - links oder rechts - ernst nehmen, darf der Staat kein Nachtwächterstaat sein, sondern muss in der Lage sein, das Menschenmögliche in einer sich verändernden Welt von Bedrohungen zu tun. Dafür sind die beiden Gesetze, die wir heute verabschieden, ein wichtiger Baustein.
Dazu gehört aber viel mehr. Deswegen haben wir das Sicherheitsprogramm aufgelegt, wofür ich sehr dankbar bin. Dazu gehört aber auch, dass wir versuchen, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen nicht den terroristischen Rattenfängern anheim fallen, und dass wir immer wieder dafür werben, dass unsere Ordnung von Freiheit und Toleranz Raum für alle bietet. Aber eine Ordnung von Freiheit und Toleranz ist für die Menschen nur überzeugend, wenn sie zugleich die notwendige Sicherheit gewährleistet. Dem dienen die beiden Gesetze. Deswegen bitte ich um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Max Stadler ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben hier völlig zu Recht die Bedrohungslage eindringlich geschildert. Aber die FDP war zum Beispiel für eine praxisnahe Lösung bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und für eine Indexdatei, wie sie auch Praktiker gefordert haben. Also führen wir doch bitte die Debatte hier nicht so, als ob denjenigen, die für rechtsstaatliche Lösungen eintreten, die innere Sicherheit nicht am Herzen läge. Einen solchen Gegensatz dürfen wir hier nicht aufbauen.
Herr Minister Schäuble, es ist doch völlig unstreitig: Der Staat hat selbstverständlich eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber bei den Methoden, die er anwendet, ist er an die Grundrechte gebunden.
Deswegen ist sehr wohl über die Details zu diskutieren.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die Geheimdienste Befugnisse bekommen wie nie zuvor. Das war in gewissem Umfang sogar notwendig. Aber es bleibt ein Grundproblem. Geheimdienste versuchen, schon im Vorfeld Informationen zu gewinnen. Die Polizeiarbeit setzt dagegen bei konkreten Gefahren bzw. konkreten Verdachtsmomenten an. Geheimdienste erfassen notwendigerweise viele Unschuldige. Deswegen muss ein Gegengewicht durch eine entsprechende Kontrolle der Geheimdienstarbeit gesetzt werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen heute die Geltungsdauer der Schily-Gesetze, die 2002 sehr eilig durch das Parlament gebracht wurden, verlängern.
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, endlich eine bessere Kontrolle der Geheimdienste als Gegengewicht einzuführen.
Es ist mir völlig unbegreiflich, warum Sie die Gelegenheit der heutigen Gesetzgebung nicht nutzen, endlich auf unsere Vorschläge einzugehen, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums besser und effektiver gestaltet werden könnte. Noch einmal: Wir von der FDP könnten notwendigen Maßnahmen, die durchzuführen Sie den Geheimdiensten erlauben wollen, durchaus zustimmen, wenn Sie auf der anderen Seite bereit wären, die Kontrolle zu verbessern. Das sind Sie leider nicht.
Es ist schon gesagt worden, dass die Evaluierung, auf die Sie sich bei der Verlängerung der Schily-Gesetze berufen, nicht zureichend war. Dem stimme ich völlig zu; denn diese Evaluierung, die die Frage betrifft, wie sich die Gesetze in der Praxis ausgewirkt haben, ging einzig und allein vom Blickwinkel der Anwender aus und hatte überhaupt nicht im Blick, wie sich die neuen Vorschriften auf die Betroffenen auswirken, zum Beispiel, ob Menschen in Dateien aufgenommen worden sind, ohne etwas davon zu wissen, und dann berufliche Nachteile davon hatten. Das hätte evaluiert werden müssen, wenn Sie dies zur Grundlage einer Gesetzgebung machen wollen. Auch deswegen können wir nicht zustimmen.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Die Koalitionsfraktionen bringen heute einen Entschließungsantrag ein. Es lohnt sich, ihn wörtlich zu zitieren. Er hat folgenden Text: ?Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen...“ - jetzt fasse ich zusammen -, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff berücksichtigt. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie regieren seit einem Jahr. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert vom März 2004 und gibt dem Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der Bereich der ganz privaten, intimen Lebensführung vom Staat nicht beeinträchtigt wird. Und Sie fordern heute die Bundesregierung auf, dies künftig bei Gesetzen zu berücksichtigen. Wir sind doch die Volksvertreter. Wir sind der Gesetzgeber.
Sie hatten ein Jahr Zeit, dies in die heutigen Gesetze einzuarbeiten. Das haben Sie nicht gemacht. Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Ihnen diese Lücke bewusst ist.
Sie machen folgende Politik: Heute beschließen Sie ein Gesetz, das verfassungswidrig ist, weil es ein Urteil aus Karlsruhe nicht berücksichtigt; dann sagen Sie: Um den Grundrechtsschutz kümmern wir uns morgen oder übermorgen.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten, dass die Opposition bei einem solchen Verfahren mitmacht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erhält auch offiziell der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion das Wort.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute ein guter Tag für unser Land, es ist ein guter Tag für die innere Sicherheit.
Wir haben heute zwei sehr wichtige Gesetze auf der Tagesordnung, die die innere Sicherheit unseres Landes nachhaltig verbessern. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, dass es uns gelungen ist, heute zeitnah eine Punktlandung vorzunehmen. Zwei wichtige Gesetze werden zum 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft treten können.
Wir würden heute Morgen eine ganz andere Debatte führen, wenn die Bomben von Köln und anderswo explodiert wären. Wir haben hier in Deutschland keine Hysterikerdebatte, was innere Sicherheit angeht, aber wir sind auch nicht naiv. Terrorismus ist keine Sache, die nur jenseits unserer Grenzen stattfindet und bekämpft werden muss. Terrorismus ist eine akute Gefahr in unserem Land, für Männer, Frauen und Kinder. Das ist kein Irrsinnsszenario, sondern eine ganz konkrete Realität. Ich will niemandem Angst einjagen, aber wer kann in dieser Sekunde, in der wir zusammen beraten, eigentlich ausschließen, dass in diesem Volk von 82 Millionen Menschen an der einen oder anderen Stelle Menschen beisammensitzen, die planen, Unschuldige in die Luft zu sprengen?
- Niemand kann das ausschließen, das ist richtig. - Deswegen haben wir die verdammte Pflicht, das Menschenmögliche zu tun, um die Sicherheit unseres Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das ist doch eine selbstverständliche Pflicht.
Ich verstehe gar nicht, wieso man überhaupt ernsthaft daran zweifeln kann. Wofür haben wir den Rechtsstaat, wenn es nicht seine vornehmste Pflicht wäre, das Menschenmögliche zu tun, damit seine Bürgerinnen und Bürger in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können? Das ist eine elementare staatliche Pflicht.
Terrorismus wird in Deutschland im Rahmen des Rechtsstaates bekämpft. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir in den letzten Jahren im Bereich der Terrorismusbekämpfung auch nur ansatzweise an die rote Linie - sie existiert in einem qualifizierten Rechtsstaat in diesem Bereich immer - herangekommen wären.
Man kann die rote Linie plakativ mit folgende Maßnahmen benennen: Angriffskrieg, Irakkrieg, Guantanamo, Folter, Rendition, das Verschwindenlassen von Menschen. Das ist die rote Linie, die der bundesdeutsche Rechtsstaat nie auch nur ansatzweise berührt hat. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Es gibt niemanden, der bei uns in Deutschland ernsthaft Mittel und Methoden wählt, durch die der Rechtsstaat im Kampf gegen Terrorismus beschädigt und deformiert wird.
Wenn wir das täten, würden wir unsere eigenen Grundlagen deformieren.
- Herr Ströbele, es ist sehr wichtig, dass wir den Terrorismus strikt im Rahmen des Rechtsstaats bekämpfen. - Wir betreiben Terrorismusbekämpfung in der Kontinuität der Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre.
Soeben ist ein früherer Innenminister erwähnt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das segensreiche Wirken des Kollegen Ströbele in den vergangenen Legislaturperioden zu erwähnen.
Wir haben heute Gesetze zu verabschieden, die auf dem aufbauen, was in früheren Jahren verabschiedet worden ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Wiefelspütz, der Kollege Ströbele möchte sich mit einer Zwischenfrage persönlich an der Würdigung seiner Arbeit beteiligen.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Diese Gelegenheit sollten wir ihm geben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön, Herr Kollege Ströbele.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Wiefelspütz, Sie reden die ganze Zeit über die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie sagen, das sei der Grund für dieses Gesetzeswerk. Können Sie mir sagen, was die gesetzlichen Vorschriften, die Sie jetzt einführen möchten, mit Terrorismus und Terrorismusbekämpfung zu tun haben? Entgegen alldem, was unter Rot-Grün gemacht worden ist, findet hier ein Gesetz, das angeblich im Zeichen des Kampfes gegen den Terrorismus geschaffen wurde, Anwendung bei rechts- und linksradikalen Bestrebungen. Geben Sie mir Recht, wenn ich sage: Das ist ein Missbrauch der Bedrohungslage in der Welt für ganz andere Zwecke?
Wir legen großen Wert darauf, dass es sich bei unseren Gesetzen nicht um Extremismusbekämpfung - den bekämpft man auf andere Weise - handelt, sondern um Terrorismusbekämpfung. Schauen Sie sich die Gesetze bitte genau an! Wenn Sie Fragen haben, dann kommen Sie zu mir: Ich erläutere sie Ihnen.
Ich wiederhole: Es handelt sich ausschließlich um Gesetze zur Terrorismusbekämpfung und um nichts anderes.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Wiefelspütz, Ihr Vorschlag, die Diskussion privat fortzusetzen, ist deswegen besonders liebenswürdig, weil er uns hilft, die vereinbarten Redezeiten einzuhalten. Gleichwohl hat sich Frau Kollegin Piltz zu einer Zwischenfrage gemeldet, die Sie vermutlich ebenfalls zulassen möchten.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Selbstverständlich, aus Respekt vor der Kollegin.
Möchte noch jemand eine Zwischenfrage stellen?
Gisela Piltz (FDP):
Herr Wiefelspütz, ich glaube nicht, dass Sie die Rolle des Präsidenten einnehmen sollten.
- Wenn Sie das möchten, dann müssen Sie das in der SPD-Fraktion demnächst anders als bisher regeln.
Sie haben auf die Frage des Kollegen eben geantwortet, dass das, was Sie hier vorlegen, einzig und allein der Terrorismusbekämpfung dient. Wenn es so wäre, dann wäre es schön. Ich frage mich, wie Sie das mit § 6 - ?Weitere Verwendung der Daten“ - des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes vereinbaren. Dort steht, dass diese Daten weitergegeben werden können, wenn ?dies zur Verfolgung einer besonders schweren Straftat oder zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person geboten ist ...“
Sind Sie der Ansicht, dass die von Ihnen gewählte Formulierung eine Ausweitung aller bisherigen Definitionen ist und dass damit sogar ein vorübergehendes Unwohlsein gemeint sein kann? Das heißt, dass diese Datei eben nicht nur zur Bekämpfung des allgemeinen Terrorismus genutzt werden kann.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Frau Piltz, schönen Dank für die Frage. Es ist völlig eindeutig. Ich will die Gelegenheit ergreifen, um auf etwas sehr Grundsätzliches einzugehen - Herr Benneter hat das schon einmal kurz angedeutet -: Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, war, ist und bleibt ganz wichtig, dass wir keine neuen Übermittlungsregeln schaffen. Diese Datei ist nur eine Datei; das ist nur eine ?Computergeschichte“. Die materiellen Regelungen für Polizei und Geheimdienste, wie sie Informationen zulässigerweise übermitteln dürfen, werden durch das Gemeinsame-Dateien-Gesetz um keinen Millimeter verändert. Schauen Sie sich dieses Gesetz und insbesondere seine Begründung an! Das war uns ganz wichtig.
Wenn man etwas hätte ändern wollen, beispielsweise in Bezug auf das Ausland, dann hätte man diese Regelungen ausdrücklich ändern müssen. Genau das haben wir nicht getan. Folgendes ist ganz wichtig: Es dürfen ausschließlich bei den Sicherheitsbehörden vorhandene, legal gespeicherte Daten über die Antiterrordatei vernetzt weitergegeben werden. Das darf aber nur dann geschehen, wenn das materielle Recht dies zulässt. Wir haben daran nichts geändert. Haben Sie das verstanden, Herr Ströbele?
- Herr Ströbele wackelte so mit dem Kopf, Frau Piltz; deswegen habe ich ihn direkt angesprochen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber das wollen Sie doch in einem privaten Gespräch vertiefen.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Schon zu Beginn der Beratungen war mir sehr wichtig, dass das völlig klar gestellt wird: Wir schaffen keine neuen Übermittlungsvorschriften, die das materielle Recht an dieser Stelle verändern.
Kurz und gut, die Gesetze, die wir heute verabschieden, haben Maß und Mitte. Sie bauen auf früheren Gesetzen auf. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz baut auf einem Gesetz auf, an dem im Jahre 2002 Kollegen wie Herr Ströbele mitgewirkt haben. Wir ergänzen es, indem wir einige unwesentliche Lücken schließen.
Dieses Gesetz wird für weitere fünf Jahre in Kraft gesetzt.
Ich möchte noch einige Worte zum Gemeinsame-Dateien-Gesetz verlieren. Herr Minister, mich stört eher, dass wir diese Datei nicht schon seit zwei oder drei Jahren haben. Nun will ich das hier nicht besserwisserisch kommentieren oder kritisieren. Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden können. Ich lege Wert darauf, hier auf Folgendes hinzuweisen:
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Frau Piltz, schönen Dank für die Frage. Es ist völlig eindeutig. Ich will die Gelegenheit ergreifen, um auf etwas sehr Grundsätzliches einzugehen - Herr Benneter hat das schon einmal kurz angedeutet -: Was das Gemeinsame-Dateien-Gesetz angeht, war, ist und bleibt ganz wichtig, dass wir keine neuen Übermittlungsregeln schaffen. Diese Datei ist nur eine Datei; das ist nur eine ?Computergeschichte“. Die materiellen Regelungen für Polizei und Geheimdienste, wie sie Informationen zulässigerweise übermitteln dürfen, werden durch das Gemeinsame-Dateien-Gesetz um keinen Millimeter verändert. Schauen Sie sich dieses Gesetz und insbesondere seine Begründung an! Das war uns ganz wichtig.
Wenn man etwas hätte ändern wollen, beispielsweise in Bezug auf das Ausland, dann hätte man diese Regelungen ausdrücklich ändern müssen. Genau das haben wir nicht getan. Folgendes ist ganz wichtig: Es dürfen ausschließlich bei den Sicherheitsbehörden vorhandene, legal gespeicherte Daten über die Antiterrordatei vernetzt weitergegeben werden. Das darf aber nur dann geschehen, wenn das materielle Recht dies zulässt. Wir haben daran nichts geändert. Haben Sie das verstanden, Herr Ströbele?
- Herr Ströbele wackelte so mit dem Kopf, Frau Piltz; deswegen habe ich ihn direkt angesprochen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber das wollen Sie doch in einem privaten Gespräch vertiefen.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Schon zu Beginn der Beratungen war mir sehr wichtig, dass das völlig klar gestellt wird: Wir schaffen keine neuen Übermittlungsvorschriften, die das materielle Recht an dieser Stelle verändern.
Kurz und gut, die Gesetze, die wir heute verabschieden, haben Maß und Mitte. Sie bauen auf früheren Gesetzen auf. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz baut auf einem Gesetz auf, an dem im Jahre 2002 Kollegen wie Herr Ströbele mitgewirkt haben. Wir ergänzen es, indem wir einige unwesentliche Lücken schließen.
Dieses Gesetz wird für weitere fünf Jahre in Kraft gesetzt.
Ich möchte noch einige Worte zum Gemeinsame-Dateien-Gesetz verlieren. Herr Minister, mich stört eher, dass wir diese Datei nicht schon seit zwei oder drei Jahren haben. Nun will ich das hier nicht besserwisserisch kommentieren oder kritisieren. Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden können. Ich lege Wert darauf, hier auf Folgendes hinzuweisen:
Diese Antiterrordatei ist gelebter funktionierender Sicherheitsföderalismus. Sie funktioniert nur in konkretem vertrauensvollem Zusammenwirken aller Sicherheitsbehörden auf der Bundes- und der Länderebene.
Wir versprechen uns davon eine erhebliche Verbesserung der informationellen Zusammenarbeit, aber nicht in dem Sinne, dass neues Recht geschaffen wird, sondern in dem Sinne, dass eine neue Praxis eingeführt wird, sodass es keine Informationspannen gibt, dass man in Bayern das weiß, was man auch in Schleswig-Holstein in den Akten hat, und man in Berlin die Informationen hat, die auch im Saarland verfügbar sind. Das ist in der Zukunft eine große Hilfe.
Wir haben es mit zwei Gesetzen zu tun, die mit sehr viel Augenmaß erarbeitet worden sind, wobei rechtsstaatliche Kriterien eine ganz große Rolle gespielt haben. Deswegen waren die Beratungen auch außerordentlich intensiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesen Gesetzen keine verfassungsrechtlichen Probleme haben werden; ganz im Gegenteil: Es sind eher zusätzliche Sicherungen eingebaut worden, von denen ich hoffe, dass sie in Zukunft auch in anderen Gesetzen Standard werden. Wir befristen und evaluieren die Gesetze. Wir sehen im Bereich von Bürgerrechten Dokumentationspflichten vor. Ich will an dieser Stelle dem Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar noch einmal ausdrücklich danken - wir haben ihn im Vorfeld der Beratungen intensiv beteiligt -, auf dessen Anregung das eine oder andere ins Gesetz aufgenommen worden ist. Kurz und gut: Die Sache ist, wie ich finde, rund und wichtig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Gedanken ansprechen, die auch hier in der Debatte schon eine Rolle gespielt haben.
Erstens. Der Gesetzgeber hat bis heute eine außerordentlich wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt, Herr Dr. Stadler.
Sie haben die Lücke nicht selbst erkannt, sondern wir sind - ich sage das durchaus selbstkritisch - in der Anhörung von einigen Sachverständigen darauf aufmerksam gemacht worden. Ich muss Ihnen sagen, dass ich von mir selbst als Parlamentarier enttäuscht bin, dass uns das nicht schon früher aufgefallen ist.
Bei unseren Debatten hat dann die Wand gewackelt. Wir haben gesehen: Dieses Urteil ist nun schon gut zwei Jahre alt. Wir haben im Bereich der Strafprozessordnung Veränderungen vorgenommen, aber in anderen Bereichen noch nicht. Dieses Parlament und diese Bundesregierung, Herr Schäuble, haben allen Grund, das sehr bald nachzuholen.
Ich will Sie aber auf Folgendes hinweisen, Herr Stadler: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt natürlich. Unsere Verfassungsschutzbehörden halten sich selbstverständlich - das ist völlig klar und unzweifelhaft - an diese Entscheidung. Wir werden sehr bald Gelegenheit haben, zu den spezifischen Fachbereichen, auch zu denen, über die wir heute reden, entsprechende Vorlagen zu erarbeiten. Das ist dringend nötig.
Zweitens. Die Nachrichtendienste gehören nicht an den Rand unserer Debatte. Sie gehören in das Zentrum des Rechtsstaats und sie sind Teil der wehrhaften Demokratie. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir auch hier im Parlament eher zu wenig über Nachrichtendienste reden. Ich denke, dass wir aus Gründen der Tagesaktualität und deshalb, weil wir mit Tagesarbeit zugeschüttet sind, nicht immer über den Tellerrand hinausschauen. Wir sollten das nächste Jahr nutzen, um unabhängig von tagesaktuellen Gesetzesvorhaben zu debattieren: über den Stellenwert von Geheimdiensten im deutschen Rechtsstaat, über die Frage der Notwendigkeit von Diensten,
aber insbesondere auch über Fragen von Bürgerrechten, Kontrollen und Kontrollmechanismen im Parlament.
Die Gesetze in diesem Bereich haben sich in vielen Schichten über Jahre entwickelt. Ich bin ganz sicher, dass es mancherlei Widersprüchlichkeiten und vielleicht auch Systemwidrigkeiten gibt. Es lohnt sich, das einmal auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Das wollen wir vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion uns vornehmen und hoffen auf gute Gespräche mit den Kollegen und Kolleginnen der Koalition, aber auch mit den anderen Fraktionen im Parlament, denen das ein Anliegen ist.
Ich denke, dass wir heute dem Deutschen Bundestag gute, vernünftige Gesetze, die strikt rechtsstaatlich sind, zur Beschlussfassung vorlegen. Das Grundgesetz wird eingehalten, mehr als eingehalten. Die Gesetze tragen dazu bei, dass es für unsere Bürger noch ein Stück weit sicherer wird. Sie tragen auch dazu bei, dass die gute Sicherheitsarbeit in Deutschland noch ein bisschen besser wird.
Wir dürfen uns vor den Herausforderungen angesichts der Gefahren des internationalen Terrorismus nicht zurücklehnen. Diese Koalition nimmt ihre Verantwortung im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger wahr.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gert Winkelmeier.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Auszeichnung haben die Innenminister des Bundes und der Länder für den Gesetzentwurf zur zentralen Anti-Terror-Datei ja bereits erhalten, den ?Big Brother Award 2006“. Die beiden Hauptgründe für diese eher zweifelhafte Würdigung sind von Verfassungsrechtlern wie auch von Datenschützern immer wieder benannt worden. Das ist zum einen das Trennungsgebot für Polizei und Geheimdienste, das in den vergangenen Jahren bereits aufgeweicht worden ist. Dieses Trennungsgebot hat historische Wurzeln. Eine unkontrollierte Machtkonzentration der Sicherheitsapparate und eine neue politische Geheimpolizei sollten verhindert werden.
Jetzt hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem im Eilfall sogar per Knopfdruck das von Westalliierten aus gutem Grund festgeschriebene Trennungsgebot ausgehebelt werden kann. Ich sage Ihnen schon heute voraus, dass dieses Gesetz, sollte sich ein Kläger finden, vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben wird. Dem Gesetz zur zentralen Anti-Terror-Datei wird es genauso ergehen wie dem Gesetz zum großen Lauschangriff“und dem Luftsicherheitsgesetz. Es wird von den Bundesrichtern kassiert werden.
Der zweite schwerwiegende Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, ist der, dass auch die persönlichen Daten von so genannten Kontaktpersonen erfasst werden. Es reicht nicht aus, ins Gesetz zu schreiben: ?flüchtige und zufällige Kontakte werden nicht erfasst“, denn letztendlich ist die Definition, was flüchtig und zufällig ist, Ermessenssache der Behörden und ist im Gesetz nicht klar geregelt. Da gerät z. B. ein Kioskbesitzer ins Visier der Terrorfahnder, nur weil sich ein Verdächtiger jeden Morgen die Zeitung bei ihm holt. Oder: Ein Vermieter wird in die Antiterrordatei eingespeist, weil ein mutmaßlicher Terrorist in einer seiner Wohnungen lebt. Hier wird eine Kontaktkriminalisierung aufgebaut, die keine Grenzen mehr kennt. Ein wirksamer gesetzlicher Datenschutz findet nicht statt.
Die Sammelwut der Bundesregierung und der Nachrichtendienste kennt keine Grenzen. Es gibt schon jetzt 160 Dateien, die dem Kampf gegen den Terrorismus bzw. der Kriminalität gewidmet sind. Dort sind 60 Millionen Datensätze über Personen oder Personengruppen gespeichert: 60 Millionen Datensätze in einem Land, in dem 80 Millionen Menschen leben. Das zeigt die Überwachungshysterie in unserem Lande, die unter dem Deckmäntelchen der Terrorismusbekämpfung begründet wird.
Es ist sehr einfach, zufällig und unwissentlich in eine solche Datei zu geraten. Umso schwieriger dürfte es jedoch sein, aus dieser sinnlos aufgeblähten Datei wieder gestrichen zu werden. Zwar ist das im Gesetz geregelt, aber es ist auch vor allem eine Ermessenssache der agierenden Behörden.
Die Regelung zu den Kontaktpersonen verstößt in erheblichem Maße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Die Angst vor möglichen terroristischen Anschlägen ist verständlich. Sie sollte uns aber nicht blind machen für die Folgen, die ein solches Gesetz für gemeinsame Dateien von Polizei und Geheimdiensten nach sich zöge.
Die Innenministerkonferenz hat dieses Gesetz so gewollt. Die Bundesregierung hat sich dem angeschlossen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages dem folgen müssen.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn schon die Bundesregierung nicht auf ihre eigenen Fachleute hört, sollten zumindest wir sie ernst nehmen. Anlässlich der Anhörung im Innenausschuss am 6. November dieses Jahres warnte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar - Herr Wiefelspütz, Sie haben diese Passage nicht zur Kenntnis genommen -:
Gegen diese Gesetzesvorhaben habe ich erhebliche verfassungs- und datenschutzrechtliche Bedenken. Wenn die Entwürfe Gesetz würden, wäre dies ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft, in der auch solche Bürgerinnen und Bürger als Risikofaktoren behandelt werden, die keinen Anlass dafür gegeben haben.
Auch die kleinen vom Innenausschuss im Entwurf eingefügten Änderungen werden an diesen grundsätzlichen Bedenken nicht viel ändern. Hier wächst zusammen, was zumindest so nicht zusammengehört. Es ist vielmehr wichtig, weiterhin am Gebot der Trennung von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten festzuhalten.
Ersparen wir dem Bundesverfassungsgericht unnötige Arbeit und den Innenministern weitere fragwürdige Ehrungen. Stimmen wir gegen dieses Gesetz!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Wiefelspütz, ich möchte zu dem Geständnis, das Sie hier gerade abgelegt haben, eine Bemerkung machen.
Ich fand es nicht nur bemerkenswert, sondern geradezu erschütternd, dass Sie hier gesagt haben, in der Anhörung sei zum ersten Mal überhaupt bekannt geworden, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2004 nicht nur Auswirkungen auf die Strafprozessordnung hat, sondern auch auf alle anderen Gesetze, in denen es um Überwachungstechnologien geht. Dass es sich sogar auf den Bereich der Gefahrenabwehr erstreckt, hat ja das Verfassungsgerichtsurteil zum niedersächsischen Polizeigesetz, das kurz danach verkündet wurde, unmissverständlich deutlich gemacht.
Ihren Ausführungen war weiterhin zu entnehmen, dass Sie die Anträge zur Umsetzung des Urteils, die vor den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf und nach dem Urteil eingereicht wurden, nicht zur Kenntnis genommen haben. In diesen Anträgen ging es nie um die Umsetzung einer einzigen Regelung, sondern immer um eine generelle Umsetzung dieses Urteils in allen Bereichen. Darüber wurde in den vergangenen zwei Jahren in allen Fachbereichen diskutiert. Hierzu gibt es eine Fülle von Aufsätzen.
Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die einfachen Aussagen, dieses Gesetz bewege sich voll im Rahmen des Grundgesetzes, es werde alles beachtet und man sei sicher, dass nichts passieren werde, nicht zutreffend sind. Während der ganzen Debatte haben Sie ja eine Erwähnung des Luftsicherheitsgesetzes tunlichst vermieden. Mit diesem Gesetz haben Sie nämlich die rote Linie, die Sie heute aufgezeigt haben, ganz bewusst und zielgenau übersprungen.
Es ist umso unverständlicher, dass Sie nun, wo Sie eine Bürgerrechtsdebatte führen wollen, den Antrag der FDP, die Vorschrift aus Art. 4 Abs. 4 Europol-Gesetz zu übernehmen, nicht angenommen haben. In dieser Vorschrift wird doch die rote Linie markiert, die Sie richtigerweise hier auch erwähnt haben, nämlich dass Daten, die unter Folter gewonnen wurden, nicht verwendet werden dürfen.
All das ist der Hintergrund dafür, dass mich Ihr Geständnis etwas erschüttert hat, lieber Herr Wiefelspütz.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung, Herr Kollege Wiefelspütz.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Erschütterung hin oder her, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, ich bin dafür, dass man Dinge, die uns im Rahmen der Gesetzgebungsberatungen aufgefallen sind, ehrlich anspricht.
Wir diskutieren seit vielen Jahren im Innenausschuss über Terrorismusbekämpfung, wie Sie ja wahrscheinlich auch im Rechtsausschuss. Ich kenne - ich spreche jetzt nur von mir - keinen einzigen Beitrag, wo das von mir eben Gesagte angesprochen worden wäre. Ich stelle einfach fest: Wir haben uns viel zu viel Zeit genommen. Während das besagte Urteil Eingang in die Strafprozessordnung gefunden hat, haben wir es in unserem Bereich noch nicht umgesetzt. Es gilt allerdings und - das ist völlig klar - die Behörden halten sich daran. Ich lege deshalb großen Wert darauf, dass wir nun so rasch wie möglich zur Tat schreiten. Darauf hinzuweisen, ist ein Gebot der Ehrlichkeit.
Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn wir das unterschlagen hätten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger? Ihre Fraktion ist nicht auf diese Idee gekommen. Wir haben das, nachdem wir es erkannt hatten, aufgegriffen und gesagt, es muss so rasch wie möglich geändert werden. Ich bitte, wenigstens dieses bei dieser Angelegenheit zu würdigen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis geben, auch wegen des Gebots der Ehrlichkeit und der Fairness. Deutsche Behörden dürfen nicht foltern. Es darf auch kein augenzwinkerndes Einverständnis mit Folterknechten im Ausland und kein Zusammenwirken geben.
Das ist unstreitig; ich glaube, das ist auch hier im Hause völlig klar. Aber es gibt an einem Punkt einen Dissens - wenn ich das richtig sehe, ist das, was ich Ihnen jetzt hier vortrage, auch die Auffassung von Herrn Schäuble; aber er mag dazu selber Stellung nehmen -: Wenn deutsche Behörden aus dubiosen nachrichtendienstlichen Quellen Erkenntnisse haben, die für die Gefahrenabwehr in Deutschland von überragender Bedeutung sind, spielt es keine Rolle, wie diese Erkenntnisse entstanden sind. Vielfach weiß man das auch nicht. Sie sind dann nicht gerichtsverwertbar, völlig klar. Kein deutsches Gericht würde solche Informationen verwerten. Aber wenn es in Deutschland Informationen gibt - möglicherweise auch, ohne deutsche Beteiligung, auf schändlichem Wege gewonnene -, dann muss man sie zur Kenntnis nehmen.
Alles andere wäre völlig unverantwortlich, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Ich will Ihnen deutlich sagen - möglicherweise ist das ein Dissens zwischen Ihnen und mir; ich habe über diesen Punkt häufiger auch mit Kollegen debattiert -: Bei der Gefahrenabwehr in Deutschland wird, wenn es um Leib und Leben geht, jede Information auf den Tischen der deutschen Sicherheitsbehörden, die plausibel ist, natürlich verwertet. Wir sollten ehrlicherweise zugeben, dass darunter auch die eine oder andere Information sein kann, von der wir nicht wissen, wie sie entstanden ist. Das ist nun einmal so in dieser Welt. Die deutschen Behörden haben die Pflicht, Informationen, die sie bekommen haben, aus welchen Quellen auch immer, zu analysieren und im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu verwerten. Anderes wäre unehrlich. Insoweit gibt es möglicherweise zwischen Ihnen und mir einen Dissens.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Da gerade dieser Disput sicher nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch für die anwesenden Zuschauer sehr informativ war, habe ich das in einem Zeitrahmen zugelassen, der, woran ich erinnern möchte, über die Regelungen hinausgeht, die wir in der Geschäftsordnung für Kurzinterventionen und Erwiderungen vorgesehen haben.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Clemens Binninger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lange haben wir in Deutschland geglaubt, wir seien nur Rückzugs- oder Ruheraum für Terroristen. Seit den gescheiterten Kofferbombenanschlägen und den entdeckten Planungen für den Anschlag auf dem Frankfurter Flughafen wissen wir, dass Deutschland auch Zielgebiet für den Terrorismus ist. Die Bedrohung ist unmittelbar und real. Wir müssen dagegen etwas unternehmen. Die große Koalition unternimmt mit dem Sicherheitspaket, das wir heute verabschieden, etwas und gibt die richtige Antwort. Deshalb ist das ein guter Tag für die Sicherheit in unserem Lande.
Wir sind der Bedrohung nicht hilflos ausgeliefert. Terroristen und ihre Helfer müssen sich im öffentlichen Raum bewegen, sie müssen telefonieren, sie kommunizieren im Internet, sie tätigen finanzielle Transaktionen; sie hinterlassen also Spuren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass unsere Nachrichtendienste Instrumente und Befugnisse - und zwar alle Nachrichtendienste die gleichen - erhalten, mit denen sie genau diese Spuren aufspüren können.
Deshalb werden wir heute im Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz den Nachrichtendiensten Befugnisse geben, dass sie bei Post, Bank, Luftfahrtunternehmen und Telekommunikationsunternehmen Auskunftsrechte bekommen. Sie können zukünftig online Halterfeststellungen vornehmen und der Zoll kann Geld nicht nur bei Geldwäscheverdacht, sondern auch bei Terrorismusverdacht sicherstellen.
Wir werden den Personenkreis, auf den diese Instrumente angewandt werden können, auf eine Tätergruppe erweitern, die man die dritte Generation nennt. Es sind Täter, wie wir sie in Madrid und London hatten, der so genannte Homegrown Terrorism. Das ist eine notwendige Änderung, mit der wir der Bedrohungslage die richtige Antwort entgegensetzen. Deshalb sind diese Gesetze so wichtig und notwendig und deshalb ist es gut, dass wir sie heute beschließen.
Wir schließen aber auch - daran will ich erinnern - eine Sicherheitslücke, die uns die Grünen beim Luftsicherheitsgesetz eingebrockt haben. Sie haben damals Ihrem Koalitionspartner eine maßvolle Verfassungsänderung verweigert und mussten dann aus dem Luftsicherheitsgesetz so viel streichen und es so zurechtmurksen, muss man sagen, dass es nicht mehr zustimmungspflichtig war.
In dem Luftsicherheitsgesetz gibt es einen Passus, in dem beispielsweise die Überprüfung von Personen an Flughäfen geregelt wird. Eigentlich war eine Nachberichtspflicht für alle Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes vorgesehen. Sie haben nun Folgendes gemacht: Sie haben die Nachberichtspflicht für die Länder gestrichen. Sie haben auch verhindert, dass die Landesämter für Verfassungsschutz die Erkenntnisse über überprüfte Personen in einer gemeinsamen Datei speichern dürfen. Damit haben Sie der Sicherheit an deutschen Flughäfen einen Bärendienst erwiesen. Was Sie im Rahmen der rot-grünen Sicherheitspolitik gemacht haben, war grüner Murks und unverantwortlich.
Wir schließen diese Lücke und tragen damit wieder zu einem sehr hohen Maß zur Sicherheit an deutschen Flughäfen bei.
- Sie haben diese Lücke ganz allein verursacht und müssen aushalten, dass man Ihnen das heute vorhält. Sie haben aus rein ideologischen Motiven gehandelt und haben die Sicherheit an deutschen Flughäfen diesen Motiven zum Teil geopfert. Es ist gut, dass wir diese Lücke heute schließen.
Wir geben unseren Nachrichtendiensten, aber auch der Polizei Instrumente an die Hand, um Informationen zu gewinnen. Die Sicherheitsbehörden brauchen aber auch ein Instrument, mit dem sie diese Informationen zusammenführen können. Es gibt eine föderale Sicherheitsarchitektur: 38 Sicherheitsbehörden befassen sich mit dem Terrorismus. Wir brauchen deshalb, wie gesagt, ein Instrument, mit dem die Informationen über den Terrorismus zielgenau, sehr schnell und präzise zusammengeführt werden können: die Antiterrordatei. Ich bin überzeugt, dass diese Datei ein Quantensprung sein wird, was die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten angeht.
Ich will das an einem konkreten Beispiel aus der Sachverständigenanhörung deutlich machen. BKA-Präsident Ziercke hat auf meine Frage, wie lange eine Antwort auf eine LKA-Anfrage dauert, ob irgendein Nachrichtendienst in Deutschland irgendwelche Erkenntnisse über eine terrorverdächtige Person hat, geantwortet: Das kann schon einmal Tage, vielleicht sogar Wochen dauern. - Tage oder Wochen! Wir reden hier aber über Terrorismusbekämpfung. Mit der Antiterrordatei wird es keine Tage oder Wochen, sondern nur noch wenige Sekunden dauern, bis ein LKA weiß, ob Erkenntnisse vorliegen. Das ist nicht nur ein großer Gewinn für die Sicherheit der Menschen in diesem Lande, sondern auch ein großer Gewinn für die Zusammenarbeit der 38 Sicherheitsbehörden. Diese Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Deshalb ist es richtig, dass wir heute die Antiterrordatei beschließen.
Die Antiterrordatei ist quasi das elektronisch gebündelte Wissen von 38 - so könnte man sagen - Spezialeinheiten. Sie ist keine neue Datenerhebung, sondern die praxisgerechte Verwendung bereits erhobener Daten. Sie bedeutet keine Missachtung des Trennungsgebotes, sondern eine sinnvolle Zusammenführung von Wissen, das bei den Nachrichtendiensten und bei der Polizei vorliegt. Die Antiterrordatei verhindert eine tagelange oder wochenlange Warteschleife. Sie gibt dringend benötigte Antworten und wichtige Informationen in Sekundenschnelle.
Ich will auf einen Kritikpunkt, der vorhin genannt wurde, eingehen. Auf den Vorwurf der FDP, wir würden mit dieser Antiterrordatei die internationale Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden gefährden, muss ich sagen: Ganz im Gegenteil! Wenn jemand in den letzten Wochen und Monaten die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden sehr gefährdet hat, indem er ihre Arbeit in der Öffentlichkeit sezieren wollte, dann waren es Sie im BND-Untersuchungsausschuss. Das müssen Sie sich vorhalten lassen.
Um die Empörung etwas abzukürzen, will ich sagen: Ich bin sehr dafür, dass Missstände aufgeklärt werden und dass man Fehlern nachgeht. Aber Sie müssen schon zugeben, dass nach der mehrmonatigen Arbeit des Ausschusses nicht Wesentliches herausgekommen ist. Sie stören sich auch an der Tatsache, dass der Ausschuss häufig geheim tagt. Er tut dies aus guten Gründen; denn die Information über die Arbeit der Sicherheitsbehörden und der Nachrichtendienste muss geheim sein, ansonsten wären es keine Nachrichtendienste mehr. Ihre Kritik, wir würden die internationale Zusammenarbeit gefährden, ist daher fehl am Platze.
Die große Koalition schafft etwas, an dem sich Rot-Grün, aber auch andere Innenpolitiker in den letzten fünf Jahren vergeblich versucht haben: Wir werden heute eine Antiterrordatei beschließen. Deshalb ist der heutige Tag nicht nur ein guter Tag für die Sicherheit in unserem Land; er ist auch ein besonderer Tag für die Innenpolitiker - für Bundesinnenminister Schäuble, für die Landesinnenminister und vor allen Dingen für die Innenpolitiker der großen Koalition -, die dieses Gesetz erarbeitet haben.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erhält für eine letzte Kurzintervention der Kollege Ströbele das Wort.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, Sie haben versucht, den Grünen etwas zuzuschieben, was den Grünen nicht zugeschoben werden darf.
Erstens. Die an dem zunächst vorgelegten Entwurf eines Luftsicherheitsgesetzes vorgenommenen Änderungen sind seinerzeit nicht etwa von den Grünen gefordert worden. Das war kein Vorschlag der Grünen, keine Gesetzesänderung der Grünen, sondern eine des damaligen Bundesinnenministeriums,
dem die Grünen bekanntlich nicht vorstanden.
Zweitens. Der Grund für diese Änderungen war nicht, dass die Grünen oder die Koalition das so wollten; wir hätten diese Änderungen gerne unterlassen. Der Grund war, dass die Länder, vor allem die von der Union dominierten Länderregierungen, klar erklärt haben, dass sie die vorgesehene Evaluierung und Mitteilungspflicht nicht unterstützen. Das heißt, wir haben, damit das Gesetz nicht insgesamt infrage gestellt wurde, lediglich darauf Rücksicht genommen, was die Länder damals gefordert haben. Wenn irgendwo eine Schuld bestand, dann lag diese bei den von der Union dominierten Ländern.
Drittens. Auch nach Wegfall der Bestimmungen, die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen waren, war es keineswegs so, dass die Länderverfassungsschutzämter oder andere Länderbehörden daran gehindert wurden, den Bundesbehörden ihre Informationen über die Sicherheit an Flughäfen mitzuteilen und sie zu evaluieren. Sie sind nach den Ländergesetzen auch ohne dieses Gesetz dazu verpflichtet, alle Informationen, die etwas über eine Gefährdung der Sicherheitslage bzw. eine Gefahr für die Bevölkerung aussagen, weiterzugeben.
Viertens. Sie verschweigen, dass das Beispiel, das Sie immer wieder nennen, der Vorfall auf dem Frankfurter Flughafen, nicht realistisch ist. Denn es lag Gott sei Dank keine konkrete Gefährdung vor. Das ergibt sich schon daraus, dass von den zunächst Festgenommenen alle bis auf einen inzwischen aus der Haft entlassen worden sind. Der eine ist nicht etwa wegen dieses Vorwurfs in Haft geblieben, sondern deswegen, weil er eine alte Strafe wegen einer ganz anderen Angelegenheit zu verbüßen hat.
Das heißt, aus vier Gründen ist das, was Sie gesagt haben, völlig daneben gewesen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Möchten Sie noch erwidern? - Bitte schön, Herr Kollege Binninger.
Clemens Binninger (CDU/CSU):
Herr Präsident, vielen Dank, dass Sie mir diese Gelegenheit geben.
Herr Kollege Ströbele, ich will festhalten, dass Sie mit an der Regierung waren. - Das ist Fakt eins.
Fakt zwei. Sie haben das Gesetz hier beschlossen und tragen insofern auch die Verantwortung. Zwischen der ersten und der zweiten bzw. dritten Lesung wurden in dem Entwurf eines Luftsicherheitsgesetzes Streichungen vorgenommen, die hinterher zu einer Sicherheitslücke geführt haben. Sie haben mit zugestimmt. Sie haben dieses Gesetz im Parlament verteidigt. Daher tragen Sie die Verantwortung.
Fakt drei. Sie erzeugen immer den Eindruck, als ob verhinderte Anschläge nur eine Lappalie seien; Sie haben das gerade wieder versucht. Dazu muss ich an die Adresse der Grünen, falls Sie das immer noch nicht begriffen haben, sagen: Die Menschen in diesem Land haben keine Angst vor Datenbanken der Sicherheitsbehörden; sie haben keine Angst vor Videokameras der Sicherheitsbehörden. Sie haben vielmehr Angst vor Anschlägen. Wir tun etwas, um Anschläge zu verhindern, und Sie nicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder. Hierbei handelt es sich um die Drucksachen 16/2950 und 16/3292. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3642, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten, mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition, angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Innenausschuss erstens, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/2921 zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch dies mit gleichen Mehrheiten in zweiter Beratung so beschlossen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Auch dieser Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheiten angenommen.
Tagesordnungspunkt 26 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/3642 fort.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss zweitens, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2624 mit dem Titel ?Erhaltung des Trennungsgebots - keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2071 mit dem Titel ?Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anti-Terror-Dateien unter Beibehaltung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2671 mit dem Titel ?Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes präziser gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung wird die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2072 mit dem Titel ?Bessere Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze“ empfohlen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Abschließend empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 7 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2081 mit dem Titel ?Anti-Terror-Gesetze - Zeitliche Befristung beibehalten und Rechtsschutz der Betroffenen verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit gegen die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis e auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Welt-Aids-Tag 1. Dezember 2006 - Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen
- Drucksache 16/3610 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Spahn, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Peter Friedrich, Elke Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/Aids in Deutschland
- Drucksache 16/3615 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Missfallen an der südafrikanischen Aids-Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen knüpfen
- Drucksache 16/3097 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam gegen Aids - Verantwortung und Solidarität stärken
- Drucksache 16/3616 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Den Südsudan beim Wiederaufbau unterstützen und vor AIDS bewahren
- Drucksachen 16/586, 16/2364 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen)
Gabriele Groneberg
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vorab möchte ich eine kleine Regieanweisung geben: Mit Blick auf das vereinbarte Ende der heutigen Plenardebatte bitte ich darum, von nicht dringend erforderlichen Zwischenfragen und Kurzinterventionen abzusehen, weil die vereinbarte Gesamtdebattenzeit sonst schwer einzuhalten ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auf dieser Welt seit 25 Jahren ein neues Problem. Heute denken wir daran besonders; denn heute ist Weltaidstag. Vor 25 Jahren begann alles sehr langsam und keiner konnte so richtig ahnen, dass die Aidserkrankung, die HIV-Infektion und ihre Folgen, heute eine der häufigsten Todesursachen auf einigen Kontinenten unseres Globusses ist. In Afrika sterben die meisten 15- bis 50-Jährigen an Aids. Wir haben in der Zwischenzeit viel darüber diskutiert. Wir haben viel unternommen. Es gibt weltweit viele Anstrengungen, dieser Seuche Herr zu werden.
Aber Aids hat viele Gesichter. Dem müssen wir Rechnung tragen. Die Koalition hat deshalb zwei Anträge zu Aids eingereicht. Wir haben uns darüber unterhalten, ob das denn der richtige Weg ist, ob wir uns nicht auf einen einzigen Antrag einigen können. Wir haben dann beschlossen: Nein, das entspricht dem Problem. Aids hat eben zwei Gesichter. Diese sind unterschiedlich, zum Beispiel in Deutschland und in Afrika.
Während sich in Deutschland überwiegend Männer infizieren - sie werden zum Glück bei uns behandelt, trotzdem sterben noch viele; 600 waren es im letzten Jahr -, so sind es in Afrika überwiegend Frauen, die Opfer von HIV/Aids werden und leider viel zu selten behandelt werden können. Sie sterben in großer Zahl. Täglich sind es weltweit 8 000 Menschen, die durch Aids den Tod finden, die allermeisten in Afrika. Eine Trendwende ist hier nicht zu erkennen. Während in Deutschland Aids überwiegend ein männliches Gesicht hat und mit Sexindustrie und Lifestyleelementen verknüpft ist, während in Deutschland jeder, der Behandlung benötigt, behandelt wird, so geht Aids in Afrika mit Armut, Ahnungslosigkeit, Gewalt gegen Frauen, Hilflosigkeit und fehlendem Zugang zu Therapie einher. Sie bestimmen dort das Gesicht dieser Seuche.
Deshalb muss auch das, was wir dagegen unternehmen wollen, in Deutschland und in Afrika verschieden sein. Wir müssen völlig unterschiedliche Strategien entwickeln. Das spiegelt sich eben in den beiden vorliegenden Anträgen wider. In Deutschland sahen wir bisher über viele Jahre eine etwa gleich hohe Infektionsrate. Jedes Jahr infizierten sich etwa 2 000 Menschen. Im letzten Jahr und auch im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es etwa 13 Prozent mehr. Das heißt, es gibt erstmals wieder eine Zunahme der HIV-Infektionen. Es wird mit Sicherheit auch zu einer Zunahme der Zahl der Aidserkrankten kommen. Wir werden uns auch in Deutschland im Kampf gegen Aids mehr anstrengen müssen.
Ich bin froh, dass diesen Erfordernissen auch im Haushalt 2007 entsprochen wurde. Der Haushalt des Gesundheitsministeriums wurde um 3 Millionen Euro aufgestockt. Nachdem er viele Jahre entsprechend der Neuinfektionsrate bei 9,2 Millionen Euro lag, wurden jetzt 13,2 Millionen Euro eingestellt. Ich denke, das ist notwendig. Wir müssen sehr gezielt, zum Beispiel in Gefängnissen und dort, wo Sex gewerblich angeboten wird, wo man sich trifft und Lifestylesex gedankenlos betrieben wird, mehr für Prävention tun. Wir müssen hier aufklären und auch in Deutschland wieder aktiver werden.
Weltweit ergibt sich jedoch eine völlig andere Perspektive. Denn Aids ist in Bezug auf Entwicklungsländer ein Querschnittsthema. Aids kann nicht nur als medizinisches Problem, als Problem der einfachen medizinischen Prävention, gesehen werden. Es ist bekannt, dass viele Menschen in Entwicklungsländern nicht lesen können, ahnungslos sind und gar keine Chance haben, zu erfahren, wie sie sich anstecken könnten oder wie sie sich schützen sollten. Dort ist es so, dass Menschen verhungern und es sich nicht leisten könnten, Präservative zu kaufen, weil sie vielmehr versuchen, von zum Teil weniger als 1 Euro pro Tag eine ganze Familie zu ernähren. Das sind völlig andere Verhältnisse als bei uns.
Ich glaube, dass es gut ist, dass wir dieses Thema, die weltweite Ausbreitung der Seuche, international angehen. Deutschland kann einen Beitrag leisten. Aber unser Beitrag wird dann besser, wenn wir kooperieren, koordinieren und mit anderen Ländern gemeinsam diese Aufgabe in Angriff nehmen. Wir werden eine wichtige Rolle spielen. Wir werden innerhalb der EU Koordinierungsarbeit zu leisten haben. Wir werden auch innerhalb der G-8-Staaten Verantwortung übernehmen müssen.
Das sollte allerdings auch darin zum Ausdruck kommen, dass wir auf internationaler Ebene mehr Geld investieren. Ich bin froh, Ihnen mitteilen zu können - das ist einen Rückblick wert -, dass Deutschland seine Ausgaben zur Bekämpfung von HIV/Aids von 30 Millionen Euro im Jahre 1998 auf gegenwärtig immerhin 400 Millionen Euro erhöht hat.
Diese Ausgaben setzen sich wie folgt zusammen: Wir zahlen in den Global Fund ein und stützen ihn darüber hinaus durch Schuldenumwandlungen. Das macht insgesamt 137 Millionen Euro aus. In bilaterale und multilaterale Projekte investieren wir weitere 263 Millionen Euro. Dabei handelt es sich um Projekte, die neben dem Global Fund existieren, um Projekte der Weltbank und um andere multilaterale Projekte.
Gott sei Dank gibt es inzwischen weltweit auch sehr wichtige und potente private Spender. So leisten zum Beispiel die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und die Clinton-Stiftung sehr segensreiche Beiträge nicht nur zur Bekämpfung von Aids, sondern auch zur Bekämpfung anderer Seuchen wie Malaria und Tuberkulose und weiterer Erkrankungen, die in den Entwicklungsländern ebenfalls viele Todesopfer fordern.
Es wäre gut, wenn auch die deutsche Industrie, die nicht gerade schwach ist und von der weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit lebt, mehr tun würde. Wir sagen, dass wir Exportweltmeister sind, und klopfen uns auf die Schulter. Aber angesichts der international bedeutenden Rolle Deutschlands muss man darauf aufmerksam machen, dass wir auch eine große Verantwortung tragen.
Leider muss ich zugeben: Ich schäme mich ein bisschen, dass wir es nicht geschafft haben, die Entwicklungsländer mit der Quote zu unterstützen, die wir uns vorgenommen hatten. Dieses Gefühl habe ich auch deshalb, weil ich in der Nähe Skandinaviens wohne und mit Neid zur Kenntnis nehmen muss, wie viel mehr man in diesen Staaten für die Entwicklungsländer tut; das gilt erst recht, wenn man die finanziellen Möglichkeiten dieser Länder mit unseren vergleicht. Wir dürfen also nicht locker lassen. Unser Kurs stimmt. Wir haben in diesem Jahr mehr als bisher getan und uns für die Entwicklungsländer eingesetzt. Aber es gibt noch sehr viel mehr zu tun.
Wenn ein Mensch an einer Immunschwächekrankheit leidet, versucht sein Körper vergeblich, etwas abzuwehren, was für ihn gefährlich werden könnte. Wenn diese Schädigung stärker wird, stirbt er daran. Auch unser Globus leidet an neuen Krankheiten wie Marktdominanz, Desintegration und anderen Globalisierungsfolgen. Diese Krankheiten müssen wir abwehren. Dafür müssen wir zunächst ihre Ursachen erkennen. Wir müssen erkennen, dass dadurch auch die Erforschung und die Entwicklung neuer Medikamente eine Rolle spielen. Wir müssen sehr schnell sehr viel leisten. Wenn wir es nicht schaffen, die Prozesse zur Abwehr dieser Seuche zu organisieren, dann wird dieses Problem bald so groß sein, dass es unbeherrschbar wird.
Die Vereinten Nationen haben sich vorgenommen, bis zum Jahr 2015 eine weltweite Wende herbeizuführen. Dabei müssen wir helfen. Angesichts des Engagements, das alle UN-Mitgliedstaaten in New York, Toronto und Genf zum Ausdruck gebracht haben, bin ich zuversichtlich, dass wir HIV/Aids besiegen können.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Karl Addicks, FDP-Fraktion.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute, am Weltaidstag, verschiedene Anträge, die sich mit der Bekämpfung von Aids befassen. Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, einen interfraktionellen Antrag zustande zu bringen. Das ist für mich über die Parteigrenzen hinweg ein wichtiges Zeichen der Verbundenheit im Kampf gegen Aids.
Zwar sind in Deutschland und in Westeuropa insgesamt Erfolge zu verzeichnen. Aber leider scheinen diese Erfolge bei einigen zu Sorglosigkeit zu führen. Die Zahl der Neuinfektionen ist deutlich gestiegen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle alle auffordern, wieder mehr auf ihren Schutz zu achten.
In Osteuropa breitet sich das Virus rasant aus, ganz zu schweigen vom afrikanischen Kontinent, auf dem Aids inzwischen die Gestalt einer wahren Pest angenommen hat. Weltweit gibt es 40 Millionen Infizierte, davon fast 25 Millionen in Afrika. In diesem Jahr starben daran 3 Millionen Menschen. Seit der Entdeckung von Aids vor 25 Jahren gab es insgesamt bereits fast 25 Millionen Tote.
Das sollte uns deutlich vor Augen führen, dass unsere bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen Aids nicht ausreichen. Wir müssen noch mehr tun. Frau Ministerin, mit den bescheidenen Mitteln, die in Ihrem Haushalt für die Bekämpfung von Aids im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden, können wir nicht zufrieden sein.
In drei der acht MDGs geht es um Gesundheit. Aber wir geben gerade einmal 8 Prozent des Etats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für gesundheitsbezogene Ziele aus. Auch im entwicklungspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarung kommen diese Ziele ganz klar zu kurz; deutlicher will ich jetzt nicht werden. Doch eines ist klar: Das kann nicht so bleiben, vor allen Dingen weil immer noch erst ein sehr kleiner Teil der Infizierten, insbesondere in Afrika, mit den überlebenswichtigen antiretroviralen Medikamenten behandelt wird.
Eine Heilung von Aids ist leider noch lange nicht möglich. An Impfstoffen wird geforscht; aber auch hier ist eine Intensivierung notwendig. In einigen Ländern Afrikas ist durch Aids die Lebenserwartung stark gefallen, zum Beispiel in Namibia von früher einmal 65 Jahre auf heute 40 Jahre. Das ist eine der drastischsten Zahlen. Die Feminisierung von Aids nimmt zu. Die Zahl der Aidswaisen in Afrika ist Legion. Wir hätten gerade vor der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands und der G-8-Präsidentschaft Deutschlands ein deutliches Zeichen setzen können. Neben mehr Geld wäre auch ein effizienterer Einsatz der knappen Mittel sehr wichtig.
An dieser Stelle möchte ich zu unserem Antrag zur südafrikanischen Aidspolitik kommen. Wir geben den Südafrikanern im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit jedes Jahr 19 Millionen Euro für die Bekämpfung von Aids. Doch wir müssen hören, dass in Südafrika 75 Prozent der 15- bis 24-Jährigen nicht wissen, wie sie sich vor Aids schützen sollen. Ein Minister sagt öffentlich, dass er sich durch Duschen nach dem Sex schützt. Statt eine umfassende Kampagne in den Medien zur Aufklärung über Aids zu machen, hat die südafrikanische Regierung zugelassen, dass die antiretrovirale Therapie diffamiert wird und dass den Leuten weisgemacht wird, mit Vitaminen und Mineralstoffen könne man sich vor Aids schützen.
- Ja! - Und so etwas finanzieren wir indirekt im Rahmen unserer finanziellen Zusammenarbeit!
Ich sage das hier und heute, weil die Bundesregierung unser Missfallen an der südafrikanischen Aidspolitik bisher nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb sollten Sie unserem Antrag zustimmen. Ich denke, wir müssen hier Klartext reden: Das kann so nicht bleiben, bei aller Liebe!
Bitte, Herr Kollege Wodarg.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich darf noch einmal daran erinnern: Ursprünglich war im Interesse des Grünen-Parteitages vereinbart, bis 13 Uhr mit der Tagesordnung zu Ende zu sein. Wir werden jetzt etwa bei 14.30 Uhr liegen. Es wird durch Zwischenfragen, Kurzinterventionen und Redezeitüberschreitungen deutlich verlängert.
Ich erteile dem Kollegen Wodarg das Wort zu einer Zwischenfrage.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Herr Kollege Addicks, in Ihrem Antrag fordern Sie, dass wir keine Unterstützung gewähren sollten, wenn die südafrikanische Regierung nichts gegen die Kampagne von Herrn Roth unternimmt. Meinen Sie nicht, dass es falsch ist, die Leidenden, die jetzt noch von dem profitieren, was wir tun, zu Geiseln zu machen, auch wenn Sie in der Sache Recht haben?
Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, diesen Herrn Rath zu verurteilen, der in Südafrika sein Unwesen treibt und behauptet, er habe die allein mögliche Lösung gefunden, und der einfach alles missachtet, was in der Wissenschaft Konsens ist.
Wir haben Flugblätter bekommen, auf denen die FDP und auch Sie zum Ziel von Angriffen geworden sind, auf denen Sie persönlich diffamiert und bedroht worden sind. Auch deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet: Wir nehmen Sie in Schutz; ich drücke Ihnen ausdrücklich meine Solidarität aus. Ich finde es wichtig, dass wir hier als Haus zusammenstehen und nicht zulassen, dass Wahrheit so verdreht wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass mit Diffamierungen versucht wird, notwendige Hilfe zu verhindern.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Danke, Herr Kollege Wodarg, dass Sie darauf hinweisen und mich in Schutz nehmen. Selbstverständlich ist dieser unser Antrag nicht gegen die Betroffenen in Südafrika gerichtet. Wir wollen mit diesem Antrag nur erreichen, dass die Bundesregierung ihr Missfallen an dieser Politik öffentlich deutlich kundtut.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal dazu aufrufen, dass alle ihre Verantwortung im Kampf gegen Aids übernehmen - auch die kirchlichen, die religiösen Autoritäten. Ich begrüße die Überlegungen des Vatikans zur Verwendung von Kondomen. Ich fände es wirklich gut, wenn man Kondome zum Schutz gegen Aids endlich freigeben würde. Ich frage mich manchmal: Wo leben wir eigentlich? Das hätte schon lange passieren müssen!
Ich denke, dass die Tabuisierung und die Marginalisierung von Aidsinfizierten endlich aufhören müssen; denn ansonsten werden wir der Seuche nicht Herr. Aids wird nun einmal in erster Linie durch menschliche Sexualität und erst in zweiter Linie durch Körperflüssigkeiten übertragen. - So steht es leider in dem gemeinsamen Antrag. Das ist genau die Sprache der Tabuisierung, die wir nicht sprechen sollten.
Ich schließe heute mit einem Wort des Dankes an all diejenigen, die bisher ihr Scherflein zum Kampf gegen Aids beigetragen haben. Besonders möchte ich auch allen danken, die in den NGOs diesen Kampf gegen Aids führen. Ihnen gelten unser Dank und unsere Unterstützung.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aids ist keine Krankheit nur in den Entwicklungsländern. Aber keine anderen Länder leiden so unter Aids wie die Entwicklungsländer. Besonders betroffen ist der afrikanische Kontinent.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf folgende dramatische Entwicklung lenken: Waren vor zehn Jahren nur 12 Prozent aller Infizierten weltweit Frauen, so sind es heute fast 50 Prozent. In Subsahara-Afrika sind es sogar 60 Prozent. Mehr als 30 Prozent aller Schwangeren im südlichen Afrika sind mit HIV infiziert. Weltweit werden pro Jahr 2 Millionen HIV-positive Frauen schwanger. In den Entwicklungsländern hat eine schleichende Feminisierung stattgefunden. Aids hat ein weibliches Gesicht bekommen.
Einer der Gründe für diese schlimme Entwicklung liegt meiner Meinung nach vor allem in der Tatsache begründet, das HIV/Aids auch mit der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichbehandlung von Frauen zu tun hat; denn HIV/Aids ist mehr als nur ein medizinisches Problem. Diese Krankheit umfasst gesellschaftliche, politische und kulturelle Dimensionen. Sie hat etwas mit althergebrachten Strukturen und mit sexueller Gewalt zu tun.
Ein wichtiges Potenzial der HIV/Aids-Bekämpfung wird nicht ausreichend genutzt. Ich denke an den Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Dieser Begriff umfasst weit mehr als nur die reine Familienplanung. Die sexuelle und reproduktive Gesundheit betrifft alle Aspekte des uneingeschränkten körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf Sexualität und Fortpflanzung. Der Gesundheit von Frauen wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
1994 fand in Kairo zu diesem Thema die Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung, ICPD, statt. In Anwesenheit der Vertreter von mehr als 170 Staaten und über 3 000 Nichtregierungsorganisationen hat sich ein Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik vollzogen. Es wurde ein Aktionsprogramm verabschiedet, mit dem neue Richtlinien für die internationale Bevölkerungspolitik festgelegt wurden, die auch für den Kampf gegen Aids enorm wichtig sind.
Bis zum Jahre 2015 soll dadurch allen Menschen der Zugang zur Aufklärung und Familienplanung, zur Gesundheitsversorgung rund um Schwangerschaft und Geburt sowie zum Schutz vor HIV/Aids ermöglicht werden; denn das zentrale Problem war zu jener Zeit und ist es auch heute noch, dass in vielen Entwicklungsländern Frauen kein selbstbestimmtes Leben führen können: Sie können nicht frei entscheiden, ob sie schwanger werden, sie können nicht entscheiden, wie oft sie schwanger werden, sie haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln und sie haben keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Das zu ändern, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Wenn wir dies nicht schaffen, können wir auch den Kampf gegen HIV/Aids in den Entwicklungsländern niemals gewinnen.
Es gibt einen engen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Entwicklung in den armen Regionen dieser Welt: Ohne Gesundheit keine Entwicklung, ohne Entwicklung keine Gesundheit. Die reproduktive Gesundheit ist ein wesentlicher Teil der Gesundheit.
Auch mit den Millenniumszielen wurde der sexuellen und reproduktiven Gesundheit eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Drei der acht Millenniumsziele betreffen direkt die reproduktive Gesundheit: Ziel 4 sieht die Senkung der Kindersterblichkeit vor, Ziel 5 die Senkung der Müttersterblichkeit und Ziel 6 die Bekämpfung von HIV/Aids.
Zu Recht werden für die Eindämmung der schrecklichen Entwicklung von HIV/Aids enorme Anstrengungen unternommen. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass wir dadurch Vorhaben bei der reproduktiven Gesundheit vernachlässigen. Diese beiden Bereiche schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich nach dem Motto ?Das eine tun und das andere nicht lassen“.
Die eher technische Unterscheidung zwischen HIV/Aids und reproduktiver Gesundheit wird mittlerweile - wie ich finde, völlig zu Recht - regional und international stark kritisiert.
Denn in der Praxis ist diese Unterscheidung kaum möglich: Ist ein Kondom für die Verhütung von HIV oder für die Verhütung einer Schwangerschaft gedacht? Ich denke, für beides.
Die Programme der reproduktiven Gesundheit sind in vielen Städten und Dörfern der Entwicklungsländer bereits lange etabliert, oft wesentlich länger als die Einrichtungen zur HIV-Bekämpfung. Sie haben in der Bevölkerung einen guten Ruf und werden akzeptiert. Ich finde, wir sollten diese Programme nutzen.
Maßnahmen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Bekämpfung von HIV/Aids sind zwei Seiten einer Medaille.
Sogar die WHO betont mittlerweile, welche Bedeutung die Vernetzung dieser Maßnahmen hat, um insbesondere die Weiterverbreitung dieser fürchterlichen Krankheit zu verhindern. Ich glaube, diese Aussage dürfen wir nicht ignorieren.
HIV/Aids wird in den Entwicklungsländern zum überwiegenden Teil durch heterosexuelle Kontakte übertragen. Die diesjährige Weltaidskonferenz in Toronto hat erneut die enorme Bedeutung der HIV-Prävention belegt. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin sehr wohl für die Förderung von Behandlung. Ich glaube, dass Prävention und Behandlung zusammengehören. Aber vor allem bei Aids gilt: Vorbeugen ist immer besser als Heilen.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass Frauen selbstbestimmt über die Prävention entscheiden können. Nur so sind sie nicht dem Willen ihres Partners ausgeliefert. Prävention darf nicht allein in den Händen der Männer liegen. In diesem Zusammenhang sind Femidome von großer Bedeutung. Mikrobizide können von großer Bedeutung werden. Beides kann selbstbestimmt und ohne die Zustimmung des Mannes genutzt werden.
Die Marktreife von Mikrobiziden wird aber frühestens im Jahr 2010 erwartet. Es ist zu begrüßen, dass das BMZ die Mikrobizidforschung unterstützt.
Kondome bleiben nach wie vor das wichtigste Verhütungsmittel. Leider stehen Männern zum Beispiel in Afrika nicht genügend Kondome zur Verfügung: Pro Jahr sind es nur sechs bis acht Kondome pro Mann. Wer sich in Afrika auskennt, weiß, was das bedeutet.
Ermutigend ist hingegen, was aus dem Vatikan zu hören ist. Kollege Addicks hat schon darauf hingewiesen. Ich denke, es ist wichtig, dass dort offensichtlich ebenfalls ein Umdenken begonnen hat. Die derzeit einzige wirklich wirksame Vorbeugung gegen Aids ist das Wissen darüber, wie man sich vor Ansteckung schützen kann. Wissen rettet Leben.
Sexualaufklärung umfasst immer auch Aidsaufklärung und ist ein wichtiger Teil der Prävention. Gerade junge Leute - insbesondere junge Frauen - müssen deshalb über Aids aufgeklärt werden.
Ich fasse zusammen: Erstens. Gerade in Entwicklungsländern hat Aids ein weibliches Gesicht. Besonders der Schutz von Mädchen und Frauen muss im Kampf gegen HIV/Aids eine noch größere Rolle spielen.
Zweitens. Wir müssen auf internationaler Ebene darauf bestehen, dass die Rechte der Frauen gestärkt werden. Wir leisten dort mithilfe unserer Entwicklungsministerin Unterstützung. Ich halte es für den richtigen Weg, in den einzelnen Ländern die Frauen stärker in Aidsbekämpfungsprogramme mit einzubinden.
Drittens. Der Zugang zu Mitteln der Familienplanung und zu finanzierbaren Medikamenten muss verbessert werden.
Viertens und letztens. Vor allem die Trennung von HIV/Aids-Bekämpfung und sexueller und reproduktiver Gesundheit ist nicht zu rechtfertigen. Beide gehören zusammen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch allen Berichterstattern im AwZ für die sehr konstruktive Zusammenarbeit sowie meinen Vorstandskollegen aus dem Parlamentarischen Beirat der Deutschen Stiftung ?Weltbevölkerung“ danken. Ich denke, wir haben vor allem bei diesem wichtigen Thema gezeigt, dass wir sehr wohl in der Lage sind, gemeinsam anzupacken.
Bei der Erarbeitung des fraktionsübergreifenden Antrags haben wir festgestellt, wie wichtig einerseits und wie umfassend andererseits dieses Thema ist und wie wenig wir letztendlich auf den vielen Seiten unseres Antrags untergebracht haben.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Aids ist keine Schande. Aids ist auch keine Seuche. In Deutschland kann man das auf jeden Fall sagen. Ich möchte an dieser Stelle einer Frau danken, der wir im Zusammenhang mit einer aufgeklärten, sehr zivilisierten und kulturvollen Aidspolitik viel zu verdanken haben. Es ist Ihre Kollegin Frau Dr. Rita Süssmuth, die als Gesundheitsministerin sehr viel dazu beigetragen hat, dass wir dieses aufgeklärte Verständnis haben.
Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass ich es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum Sie in kleinkarierter Weise die Linke aus diesem Diskurs heraushalten wollen und uns nicht zur Erarbeitung des gemeinsamen Antrages eingeladen haben.
Dass wir in Deutschland mit dieser Problematik sehr gut zurechtkommen, führe ich maßgeblich auf das starke zivilgesellschaftliche Engagement und insbesondere auf das Engagement der homosexuellen Gruppen zurück, die viel dazu beigetragen haben, dass wir einen sehr entwickelten Stand auch in der medizinischen Versorgung und Forschung haben. Auch unser Gesundheitswesen hat bislang viel dazu beigetragen, dass alle HIV-Infizierten und Aidserkrankten die volle Sachleistung erhalten, dass wir also ein sehr hohes Versorgungsniveau haben.
Obwohl dem so ist und wir wissen, dass einigen HIV-Infizierten und Aidskranken, die spritzdrogenabhängig sind, sehr gut geholfen werden könnte, wenn weiterhin Heroinsubstitution betrieben würde - auch ein wichtiges Thema, das wir heute nicht außen vor lassen sollten -,
bin ich der Auffassung, dass die Welt vor der Gefahr steht, den Kampf gegen Aids zu verlieren. In Europa ist das nicht so, genauso wenig in Nordamerika. In Lateinamerika sind viele wichtige Initiativen gestartet worden. Aber insbesondere in Afrika besteht die Gefahr, dass wir - ich sage bewusst ?wir“, weil wir alle dafür Verantwortung tragen - den Kampf gegen Aids verlieren.
In diesen Tagen wird darüber gesprochen, dass sich der G-8-Gipfel des Themas HIV/Aids annimmt. Ich wünsche mir eher, dass in diesen Fragen die UN und insbesondere die UNAIDS gestärkt werden und mehr Verhandlungskompetenz bekommen und dass der Global Fund von deutscher Seite sehr stark finanziell gefeatured wird.
Das ist leider nicht der Fall. Wenn wir aber schon beim G-8-Gipfel sind, möchte ich sagen: Dorthin gehört auch die Frage, um die es im Hinblick auf Afrika zentral geht. Es geht um das TRIPS-Abkommen, um die Verweigerung des Zugangs zu Medikamenten. Noch immer unterliegen über 70 Prozent der HIV-Medikamente und Aidsmedikamente dem Patentschutz. Es ist den betroffenen Menschen und den Regierungen nahezu unmöglich, unter diesen Kautelen eine adäquate und vor allen Dingen kostengünstige Aidsbehandlung durchzuführen. Hier muss eine radikale Revision, ein Umdenken in der Patentschutzpolitik stattfinden. Sonst kann das Problem Aids nicht bewältigt werden.
Natürlich muss auch der IWF genannt werden, wenn wir schon die Welt ins Auge fassen; denn vieles, was die betroffenen Staaten im Rahmen ihrer medizinischen Infrastruktur nicht leisten können, hat mit dem Staatszerfall und der Deregulierungspolitik zu tun. Ich habe insbesondere in einigen afrikanischen Ländern, die ich besucht habe - ich nenne nur Namibia als Beispiel, für das Deutschland eine besondere historische Verpflichtung hat -, gesehen, dass die NGOs, die oftmals die Einzigen sind, die Maßnahmen ergreifen können, häufig ein Nebeneinander von Hilfsmaßnahmen pflegen und dass eine konzertierte staatliche Gesundheitspolitik und eine entsprechende Versorgungsinfrastruktur nicht möglich sind. Auch in dieser Hinsicht sollten die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker stärker darauf achten, wie die NGOs im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden können, damit der staatlichen Gesundheitsversorgung die Priorität zukommt, die sie haben sollte.
Die vielen HIV/Aids-Waisen - dazu ist schon vieles gesagt worden, was ich nicht zu wiederholen brauche - zeigen, dass im Gegensatz zu Europa und Nordamerika, wo die Krankheit im Wesentlichen homosexuelle Menschen und Spritzdrogenabhängige betrifft, in Afrika Aids hauptsächlich bei Heterosexuellen auftritt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Stellung der Frau völlig anders ist als bei uns. Viele Sexualpraktiken, die zur Übertragung des Virus beitragen, sind in die Kultur integriert. Das darf bei der Aufklärung nicht tabuisiert werden. Die mitunter brutale männliche Sexualität im afrikanischen Raum muss zum Thema gemacht werden, damit Präventionsstrategien überhaupt greifen können. Wenn Frauen über sexuelle Praktiken nicht selbst entscheiden dürfen, dann ist es schlichtweg nicht möglich, dass sie sich schützen.
Darauf muss bei der Aufklärung besonderer Wert gelegt werden. Sonst können Präventionsstrategien nicht erfolgreich sein. Auch wenn wir den schwangeren Frauen mit Medikamenten helfen können, die Übertragung des Virus während der Geburt zu vermeiden, so besteht immer noch das Problem, dass die Frauen nicht die Kraft und nicht die gesellschaftliche Stellung haben, ihren Schutz beim Sexualverkehr durchzusetzen. Die Gefahr der Reinfektion besteht nach wie vor, weil die Frauen keine sexuelle Autonomie haben. Diese Probleme sollten wir im Zusammenhang mit Afrika im Auge behalten.
Eine tragische und üble Entwicklung findet in Osteuropa statt, insbesondere im Baltikum und in der Ukraine. In Osteuropa gibt es einen regen männlichen Sextourismus, der insbesondere von spritzdrogenabhängigen jungen Frauen profitiert. Diese werden Sexarbeiterinnen und sind Opfer des organisierten Menschenhandels. In diesem Milieu breitet sich HIV massiv aus. Diesem Problem müssen wir Europäerinnen und Europäer uns stellen; denn das passiert nicht im fernen Russland oder hinter einem eisernen Vorhang, sondern direkt hinter unseren Grenzen. Die gewissenlosen Praktiken beim Sextourismus sind ursächlich für die Ausbreitung der Infektionen in heterosexuellen Kreisen verantwortlich. Frauen, die sich nicht wehren können, sind hier die Opfer.
Machen wir uns die Dramatik bewusst. Es werden immer mehr heterosexuelle Menschen mit dem HIV-Virus infiziert. In Deutschland sind es vorwiegend junge schwule Männer, die aufgrund der guten medizinischen Versorgung schon vergessen haben, dass es sich bei Aids um eine tödliche Erkrankung handelt. Wir haben noch einiges zu tun. Ich möchte Ihnen sagen: Lassen Sie die ideologischen Barrieren beiseite! Schließen Sie emanzipatorische linke Kräfte ein! Wir haben einen guten Draht auch zu jungen Menschen.
Es ist gut, wenn wir alle im Hause zusammenstehen. Lassen Sie uns das in Zukunft so handhaben.
Danke.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Ute Koczy, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Weltaidstag, ein Tag, an dem die Welt gemahnt ist, nicht nur innezuhalten, sondern auch zu handeln, gemeinsam zu handeln; denn Aids ist Gegenwart, jederzeit, überall. Deshalb ist es auch gut, dass es neben vier weiteren einen interfraktionellen Antrag gibt, der die gemeinsame Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreicht. Noch besser wäre es aber gewesen, die Linken einzubeziehen und angesichts der Sachlage großkoalitionäre Taktikspielchen hintanzustellen.
HIV/Aids ist eine Krankheit, deren Bekämpfung mehr braucht als nur Information. Der Kampf gegen Aids kann nur da gewonnen werden, wo es gelingt, menschliche Verhaltensweisen zu verändern. Das ist die größte Herausforderung. Deshalb ist es so wichtig, ohne moralischen Zeigefinger und mit unverstelltem Blick quer zu patriarchalen, heterosexuellen Traditionen die Verbreitung von HIV/Aids zu bekämpfen.
Wir haben gehört, welche enormen Schäden, welch unermessliches Leid diese Krankheit anrichtet - und das in einer so kurzen Zeit; erst vor 25 Jahren wurde das HIV-Virus entdeckt. Bitter ist: HIV/Aids ist inzwischen weiblich geworden. In Afrika, südlich der Sahara, infizieren sich überproportional viele Frauen und Mädchen mit dem Virus, zum einen, weil sie biologisch anfälliger sind, und zum anderen, weil sie ganz einfach weniger Rechte haben, weil sie es schwer haben, sexuelle Praktiken einzufordern, die sie schützen, weil sie nicht sagen können: He, du, nimm ein Kondom! Dazu haben sie nicht die Rechte. Letztlich verweigert ihnen diese Rechtlosigkeit auch den Schutz gegenüber ihrer Person oder gegenüber ihrer Familie. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass sich das verändert.
Weltweit liegt die Lebenserwartung von Frauen im Durchschnitt circa fünf Jahre höher als bei Männern. In Simbabwe ist das anders. Dort hat das HIV/Aids-Virus inzwischen zu einer der weltweit niedrigsten Lebenserwartungen geführt; dort werden Frauen im Schnitt nur noch 34 Jahre alt, sie sterben drei Jahre früher als Männer.
Wir müssen uns fragen: Berücksichtigen die Methoden der Aids-bekämpfung die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen? Nein, sie tun es zu wenig. Frauen brauchen einen besseren Zugang zu Informationen über die Krankheit und ihre Übertragungswege. Es gibt einfach zu wenig frauenkontrollierte Methoden der HIV/Aids-Prävention. Auch das muss geändert werden.
Das Beispiel Kenia zeigt ja, dass es funktioniert. Dort sind die Prävalenzraten unter jungen, schwangeren Frauen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Wie hat man das geschafft? Man hat Informationen weitergegeben; man hat dazu aufgefordert, das Sexualverhalten zu verändern. Jetzt kennen mehr junge Menschen das Risiko; weniger junge Menschen gehen die Risiken ein; mehr junge Menschen benutzen Kondome. Also kann sexuelle Aufklärung viel bewirken.
Kommen wir nun zu Uganda. Dort zeigt sich, dass es eine negative sexuelle Aufklärung geben kann. Es gab einmal eine positive Entwicklung in Uganda; sie hat sich verändert. Jetzt deuten die Zahlen darauf hin, dass die Fortschritte, die dort festgestellt werden konnten, wieder verloren gingen, und zwar deswegen, weil sich die Nutzung von Kondomen im außerehelichen Geschlechtsverkehr verringert hat. Wie konnte es dazu kommen? Neue Studien von Menschenrechtsorganisationen verdeutlichen, dass Uganda seine HIV-Präventionsstrategie in eine neue Richtung lenkt. Warum tut man das? Nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Druck von Gebern, insbesondere der USA. Die USA binden ihre Unterstützung für Prävention zunehmend an moralisch-religiöse Kriterien, leider mit Erfolg. 2004 hat das ugandische Gesundheitsministerium in einer Rückrufaktion sämtliche von der Regierung kostenlos verteilte Kondome zurückgeholt. Wir sehen also, dass es in diesen Ländern auch moralisch-religiöse Kriterien gibt, die nichts mit dem Kampf gegen Aids zu tun haben, sondern von einer anderen Strategie zeugen.
Darunter haben insbesondere auch Homosexuelle zu leiden, deren Menschenrechte ohnehin in vielen Ländern eingeschränkt und missachtet werden. In über 75 Ländern ist Homosexualität strafbar. Doch wenn Menschen wegen ihrer Liebe ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden, wenn Homosexualität tabuisiert wird, dann ist eine wirksame Aidsprävention unmöglich. Auch daran müssen wir im internationalen Kampf gegen Aids arbeiten.
Ein weiterer Punkt. Es gibt seit zehn Jahren in den Industrieländern antiretrovirale Medikamente. Diese Medikamente können HIV/Aids nicht heilen, aber sie verringern ganz deutlich das Leid der Krankheit und ermöglichen es Menschen mit HIV/Aids, weiterzuleben. Gerade für Menschen in Entwicklungsländern wäre es wichtig, dass sie Zugang zu diesen Medikamenten bekämen. Den haben sie aber nicht. Ja, es hat Verbesserungen gegeben. Aber die Versorgungslücke bleibt immens. Bestenfalls eine von zehn Afrikanerinnen bzw. Afrikanern und eine von sieben Asiatinnen bzw. Asiaten erhielten letztes Jahr diese dringend benötigte Therapie. Der Grund war auch, dass diese Medikamente zu teuer sind. Auch daran werden wir arbeiten müssen; denn das ist ein Skandal.
Weiterer Handlungsbedarf besteht in der pharmazeutischen Forschung. Wir brauchen endlich einen Aidsimpfstoff und wir brauchen Medikamente, die in ihrer Form und in ihren Eigenschaften den Bedürfnissen von Menschen in Entwicklungsländern gerecht werden, zum Beispiel durch kindgerechte Dosierungen.
Ich komme zum letzten Punkt, zum Geld. Ja, es hat noch eine Steigerung im Haushalt gegeben.
Doch gemessen an den Bedürfnissen und an der Finanzierungslücke sind solche kleinen Steigerungen noch lange nicht ausreichend.
UNAIDS und die WHO schätzen, dass zur Finanzierung der unmittelbaren Maßnahmen der HIV-/Aidsbekämpfung im Jahr 2007 noch eine Lücke von 8 Milliarden Dollar besteht.
Nächstes Jahr gibt es besonders gute Gelegenheiten, den Kampf dagegen aufzunehmen. Deutschland wird die Präsidentschaft der G 8 haben. Die Staaten der G 8 haben das Versprechen abgegeben, einen universellen Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen. Wir wollen hoffen, dass sie das auch tun. Deutschland ist nächstes Jahr auch Gastgeber einer Konferenz zur Wiederauffüllung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Deutschland zahlt im Jahr 2007 - das ist anzuerkennen - 87 Millionen Euro in diesen Fonds. Doch angesichts der Finanzierungslücke von 5,9 Milliarden US-Dollar und angesichts der wirtschaftlichen Möglichkeiten ist das viel zu wenig.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mehr tun. Packen wir es an! Wir haben dazu nächstes Jahr die Chance.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Rolf Schwanitz.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei Ihnen allen herzlich dafür bedanken, dass Sie dem Thema HIV/Aids nicht nur heute, sondern auch in den vergangenen Jahren im Deutschen Bundestag einen so hohen Stellenwert zukommen ließen. Das gilt auch im Hinblick auf die in dieser Debatte vorgelegten Anträge. Ich glaube, dass das Zusammenstehen über Parteigrenzen, über gesellschaftliche Grenzen hinweg ein Stück weit den Erfolg der Strategie Deutschlands in den vergangenen Jahren ausgemacht hat. Ich möchte, dass das in der Zukunft so bleibt.
Ende 2006 leben bei uns etwa 56 000 Menschen mit HIV und/oder Aids. 15 Prozent davon sind Frauen. Die Zahl der Neudiagnosen in diesem Jahr liegt, geschätzt, bei 2 700. Dieses Betroffenheitspotenzial ist im Hinblick auf die internationale, auch auf die europäische Dimension dieser Pandemie vergleichsweise niedrig. Ich will ausdrücklich sagen: Für uns ist jeder Einzelne, jede, die sich in Deutschland neu infiziert, eine Person zu viel. Der Anstieg der Anzahl der Neuinfektionen muss uns Anlass sein, unsere Anstrengungen nicht zurückzunehmen; vielmehr müssen wir uns auch auf nationaler Ebene auf diese neuen Anforderungen einstellen.
Die Bedingungen haben sich verändert. Das ist der Grund dafür, dass die Bundesregierung ihr Gesamtkonzept bereits 2005 erweitert hat. Wir haben einen Aktionsplan ausgearbeitet. Den nationalen Teil dieses Aktionsplans haben wir mit den wichtigsten gesellschaftlichen Akteuren, mit Experten, mit den Ländern und mit den kommunalen Spitzenverbänden bereits abgestimmt. Eine interministerielle Arbeitsgruppe ist eingesetzt worden, die eine wichtige Rolle bei der Umsetzung und bei der Koordination dieses Aktionsplans spielen wird. Wir werden den Aktionsplan im Frühjahr nächsten Jahres, aller Voraussicht nach im Februar 2007, vorlegen und damit eine wichtige neue Etappe einleiten können.
Gleichzeitig hat der Deutsche Bundestag in seinen Haushaltsberatungen entschieden - verschiedene Redner haben es angesprochen -, die Mittel für die Aidsaufklärung im Jahr 2007 um 3 Millionen Euro auf insgesamt 12,2 Millionen Euro aufzustocken. Ich sage ausdrücklich noch einmal: Herzlichen Dank! Ich glaube, das ist ein wichtiges und notwendiges Signal, das wir in der Tat brauchen.
Prävention steht für uns im Zentrum der Aidsbekämpfung. Neben den Jugendlichen der jeweils neuen Generation, für die man ganz offensichtlich immer wieder mit Prävention und Information tätig werden muss, bleibt eine wichtige zentrale neue Gruppe, um die wir uns kümmern und der wir uns zuwenden müssen: die Gruppe der Migrantinnen und Migranten. Dort Prioritäten zu setzen, ist, glaube ich, richtig. Alle Menschen, die in Deutschland leben, sollen unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund den gleichen Zugang zu Information, Prävention und Beratung haben und müssen durch geeignete Strategien der Aufklärung erreicht werden. Notwendig ist übrigens ein besonderes Eingehen darauf in den Fortbildungsteilen für medizinisches Personal und vor allem für Ärzte. Das muss in der nächsten Zeit gewährleistet werden.
In Deutschland sind vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, von der Epidemie am stärksten betroffen. 70 Prozent der Neuinfektionen entfallen auf diese Gruppe. Wir müssen das sehr aufmerksam beobachten und darauf reagieren, dass hier eine gewisse Präventionsmüdigkeit eingetreten ist und dass hier eine größere Risikobereitschaft erkennbar ist. Deswegen will ich auch anlässlich dieser Debatte noch einmal ausdrücklich betonen: Trotz der großen Fortschritte, die wir im medizinischen Bereich bei der Bekämpfung von HIV und Aids erreicht haben, ist dies keine normale chronische Krankheit. Sie darf nicht als solche missverstanden werden.
Jede Einschränkung bei Beratung und Thematisierung dieses wichtigen Problems in den Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, ist falsch und hat negative Konsequenzen im Schutzverhalten vieler.
Die Bundesregierung ist sich der internationalen Verantwortung, die mit dem Thema HIV und Aids verbunden ist, sehr wohl bewusst. Weltweit besteht die Gefahr - verschiedene Redner haben bereits darauf aufmerksam gemacht -, dass die rasante Ausbreitung von HIV und Aids alle Anstrengungen, die zur Eindämmung dieser Seuche unternommen worden sind, wieder zunichte macht. Im Jahr 2005 betrug die Zahl der Aidstoten 2,8 Millionen. Nicht nur im afrikanischen Bereich sind die Zahlen besorgniserregend, sind die Todesraten erschreckend und mahnen zum Handeln; auch im osteuropäischen und asiatischen Bereich ist das so. Beispielsweise ist der Umstand zu nennen, dass die Behandlungsrate der Infizierten in Osteuropa bei sage und schreibe nur 5 Prozent liegt. Wir müssen hier also mehr tun, meine Damen und Herren. Qualifikation des Personals ist sicherlich eine richtige Reaktion. Der Kampf gegen Stigmatisierung und gegen Benachteiligung der Betroffenen ist das zentrale Thema.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was Sie vorhin ausgeführt haben, Herr Dr. Addicks. Ich stimme Ihnen zu, was die Frage angeht, welche Erwartungen wir an die katholische Kirche haben. Es gibt auch Mut machende Signale und wir hoffen, dass sie endlich umgesetzt werden. Bezogen auf die deutliche Ansprache der Bundesregierung gegenüber Verantwortlichen in Südafrika, gegenüber der dort ihr Unwesen treibenden Dr. Rath Health Foundation usw. ist nichts zu bemängeln. Sowohl die Ministerin Wieczorek-Zeul als auch das Auswärtige Amt und meine Ministerin lassen keine Gelegenheit aus, in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, wie wir die Dinge sehen, und zu betonen, dass ein Umsteuern dringend erforderlich ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit:
Meine Damen und Herren, wir werden HIV/Aids zu einem zentralen Thema unserer Präsidentschaft im nächsten Jahr machen. Es ist wichtig. Deswegen richtet man zu Recht Erwartungen an uns.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Detlef Parr (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Weg zum Bahnhof Friedrichstraße fällt den Passanten eine große Werbefläche ins Auge, die auf den ersten Blick auf eine Fernsehserie hinzuweisen scheint:
geliebt in Berlin - infiziert mit HIV - Täglich neue Folgen!
Ein eindrucksvoller Hinweis auf wachsenden Leichtsinn in unserer Gesellschaft! Zunehmend werden die Risiken unterschätzt, die vor allem im intimen Umgang miteinander liegen, aber nach wie vor auch Drogenabhängige betreffen. Migranten kommen als neue, wachsende Gruppe hinzu.
Die aktuellen Zahlen - ich will sie hier nicht wiederholen - belegen die Sorglosigkeit, die sich auch in Deutschland eingeschlichen hat. Die Teilnahme an Bare-Backing-Partys zum Beispiel ist kein harmloses Spiel, sondern bedeutet für manche russisches Roulette.
Es ist eben nicht richtig, dass HIV-Infektionen mittlerweile heilbar sind. Die Antiretroviraltherapie kann nur mildernd wirken. Das muss über eine risikospezifische Aufklärung vor Ort immer wieder deutlich vermittelt werden, zum Beispiel in der Schule bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere bei Mädchen und in der ?Szene“, in Jugendtreffs, Diskos oder Bars.
Ich möchte an dieser Stelle den zahllosen lokalen Aidshilfen danken, die ehrenamtlich einen unschätzbaren Dienst am Nächsten leisten, vorbildlich für eine Verantwortungs- und Teilhabegesellschaft, wie wir Liberalen sie uns wünschen.
Wir begrüßen auch die Aufstockung der Finanzmittel für Aufklärungsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Haushalt 2007. Damit setzt die Bundesregierung ebenso richtige Akzente wie die privaten Krankenversicherungen, die die Bundeszentrale mit immerhin über 3 Millionen Euro jährlich unterstützen, und viele andere private Initiativen.
Meine Damen und Herren, dabei dürfen wir den Weg der informativen Aufklärung mit dem Ziel der Stärkung der Eigenverantwortung nicht verlassen. Wer wie im Antrag der großen Koalition die Verschärfung des Strafrechts bei ungeschütztem Sex bereits Infizierter fordert, setzt auf Repression und damit auf das am wenigsten geeignete Mittel. Das lehnen wir Liberalen ab.
Und wer wie die Grünen klammheimlich so ein wichtiges Projekt wie die kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige als Spiegelstrich zur Abstimmung stellt, kann auch nicht mit unserer Unterstützung rechnen, ebenso wenig wie bei einem Bleiberecht für HIV-Infizierte.
Jetzt sind wir gespannt, was aus dem von Herrn Schwanitz gerade beschriebenen Aktionsplan wird. Es ist schon etwas seltsam, wenn die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung zur baldigen Umsetzung auffordern müssen. Wir schließen uns diesem Petitum aber sehr gerne an.
Gut, dass sich alle Fraktionen nicht nur am Weltaidstag einig sind, dass wir auch national den Kampf gegen diese heimtückische Immunschwächekrankheit entschlossen weiterführen müssen. Nur im engen Schulterschluss haben wir eine Chance auf Erfolg. Niemand von uns will und darf die Betroffenen im Stich lassen. Und das ist auch gut so.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Jens Spahn, CDU/CSU-Fraktion.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass es gelungen ist, dass wir heute am Weltaidstag in der Debatte im Deutschen Bundestag deutlich machen, wie sehr wir gemeinsam - zum Teil auch mit unterschiedlichen Positionen; dazu komme ich gleich, Herr Kollege Parr - dafür eintreten, in der Welt, in Europa, aber auch in Deutschland mit Prävention und guter Behandlung der Betroffenen das Bestmögliche für alle zu erreichen.
Dabei ist es so, dass wir zum ersten Mal seit Jahren im Deutschen Bundestag über die Entwicklung von HIV/Aids in Deutschland debattieren. Meine Kollegin hat gerade schon die Position zur Entwicklungshilfe und zur Situation in Afrika und Osteuropa thematisiert. Von daher möchte ich mich auf die deutsche Situation konzentrieren.
Wir können konstatieren, dass die Präventionsarbeit in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren wie in kaum einem anderen Land der Welt erfolgreich war. Wir haben mit die niedrigsten Infektionsquoten, die es gibt. Wir haben sehr gute, auch ehrenamtliche Arbeit vor Ort, sehr gute Strukturen mit den Aidshilfen, der Aids-Stiftung und den vielen Verbänden, die sich engagieren.
Nichtsdestotrotz müssen wir neue Entwicklungen - ich möchte auf einige eingehen - zur Kenntnis nehmen. Da ist zum Ersten das Risikobewusstsein meiner eigenen Generation. Meine Generation hat das große Sterben der 80er-Jahre nicht mitgemacht, hat die Debatten Süssmuth, Gauweiler - all die Kontroversen, die es damals gegeben hat - nicht mitgemacht. In vielen Werbungen wird suggeriert, dass es Heilung gäbe, obwohl es am Ende nur Linderung gibt. Gerade diese Entwicklung macht sehr deutlich, dass Prävention immer wieder neu ansetzen muss, immer wieder neue Gruppen und nachwachsende Generationen erreichen muss. Darauf müssen wir unsere Arbeit ausrichten.
Zweitens haben wir die Entwicklung - das wurde schon angesprochen -, dass Infektionen auf entsprechenden Partys bzw. Veranstaltungen, die im Internet angeboten werden, bewusst in Kauf genommen werden. Hinter unserem Vorschlag, Herr Parr, zu prüfen, ob dagegen strafrechtlich vorgegangen werden kann, steht nicht die Absicht - das sage ich ausdrücklich -, Einzelne zu kriminalisieren oder strafrechtlich zu verfolgen.
Es geht vielmehr darum, wie in Österreich kommerzielle Angebote von solchen Partys, für die mit dem Slogan ?Sex ohne Kondom“, und zwar mit HIV-positiven und -negativen Partnern, geworben wird und für die auch Eintrittsgelder verlangt werden, zu unterbinden. Deshalb hat die Koalition beschlossen, zu prüfen, was da möglich ist.
Ich bin nämlich nicht bereit, zuzuschauen, wie über Eintrittsgelder und auf andere Weise Geld mit der Ausrichtung solcher Veranstaltungen verdient wird. Von daher möchten wir prüfen, welche Handhabe es gibt, dagegen entsprechend vorzugehen.
Eine dritte Entwicklung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen - auch diese ist schon angesprochen worden -, ist die Zunahme der Infektionszahlen bei Migranten und insbesondere bei Migrantinnen, also Frauen, die erst in Deutschland von ihrer Infektion erfahren. Hier gibt es große Probleme vor allem deswegen, weil in dem kulturellen Umfeld, aus dem sie kommen, dieses Thema oft tabuisiert ist. Da darf uns, Frau Kollegin Knoche - Sie sprachen ja überwiegend von der dramatischen Entwicklung in Afrika -, auch die Entwicklung in Osteuropa und Russland nicht ruhen lassen. In manchen Ländern, die ja direkt vor unserer Haustür liegen, hat die Entwicklung eine solche Dynamik angenommen, wie es sie in der Anfangszeit von Aids in Afrika gab. So hat die Infektionswelle vor 20, 25 Jahren auch in Afrika auf niedrigem Niveau begonnen, aber dann sind die Infektionszahlen in die Höhe geschnellt. Das Gleiche erleben wir leider im Moment auch in Russland und einigen anderen osteuropäischen Ländern. Gerade deswegen, weil das direkt vor unserer Haustür geschieht, stehen wir in der Verantwortung, gemeinsam mit den betroffenen Ländern Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Eine vierte Entwicklung ist bei der Forschung zu verzeichnen. Die dort erzielten Erfolge sind zunächst einmal sehr positiv zu sehen. Es gibt kaum einen anderen Bereich, in dem es innerhalb von 25 Jahren - man überlege sich einmal, was seit Entdeckung des Virus alles möglich geworden ist - so viele Erfolge in der Pharmaforschung gegeben hat. Das hatte im Übrigen auch Auswirkungen auf andere Forschungsbereiche wie die Vakzineforschung, die Erforschung von Diagnostika usw. Es wurden da viele Erkenntnisse gewonnen und es fielen viele Nebenprodukte ab, die uns in anderen Bereichen weiterhelfen.
Dass es gelungen ist, die Lebenserwartung von HIV-Infizierten und Aids-Kranken zu erhöhen, stellt uns im Übrigen vor ganz neue Herausforderungen. Bei einem Gespräch mit Vertretern der Aids-Stiftung, die ja unter anderem auch das Ziel hat, Aidskranken eine letzte Reise zu finanzieren, wurde mir gesagt, manche hätten zum zehnten Mal ihre letzte Reise beantragt, weil es die medizinische Entwicklung möglich gemacht hat, länger zu leben. Das bringt aber auch neue Herausforderungen für die Sozialarbeit und die medizinische Forschung mit sich. So gibt es jetzt ältere HIV-Infizierte, die seit zehn, 15 oder gar 20 Jahren mit dieser Infektion leben und dadurch ganz neue Krankheitsbilder und soziale Situationen erleben, mit denen wir uns auseinander setzen müssen.
Ich möchte die Erfolge, die die Pharmaindustrie in der Forschung erzielt hat, einmal mit Blick auf die sonst übliche Pharmaschelte - auch mir ist klar, dass da nicht alles sauber läuft und es viele Bereiche gibt, über die wir diskutieren müssen - hervorheben: Wenn es die Pharmaforschung nicht gäbe, wären wir bei der Behandlung von HIV und Aids bei weitem noch nicht da, wo wir heute stehen. Auch das sollte man an der einen oder anderen Stelle in der Diskussion berücksichtigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Forschungsförderung des Bundes hinweisen, auf die auch im Antrag der Koalitionsfraktionen eingegangen wird. Zum einen geht es um Grundlagenforschung, zum anderen aber um die Frage der Anwendungsforschung. Hier ist insbesondere ein Projekt zu nennen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird: Das Kompetenznetzwerk HIV/Aids hat eine Kohorte von 14 500 Patienten, die regelmäßig betreut werden, bei denen geschaut wird, wie deren Entwicklung verläuft, und die entsprechend unterstützt werden. Gemeinsam müssen wir mit der Wirtschaft, die hier auch in der Verantwortung steht, und der Wissenschaft schauen, wie es gelingen kann, dieses Projekt, aus dem auch weltweit wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können, fortzuführen.
Die neuen Entwicklungen, die ich gerade genannt habe, spiegeln sich - es ist schon gesagt worden - in den auch in Deutschland steigenden Zahlen wider. Das Ganze befindet sich natürlich noch immer auf einem niedrigen Niveau; aber jede Zahl ist eine zuviel. Wir hatten im Jahr 2001 etwa 1 500 Neuinfektionen; im Jahr 2006 werden es etwa 2 700 Neuinfektionen sein, was eine Steigerung von fast zwei Dritteln innerhalb kürzester Zeit bedeutet. Wenn wir uns dieser Herausforderung nicht stellen würden - was wir unter anderem durch eine Erhöhung der Mittel in dem Bereich um immerhin ein Drittel tun -, würde sich diese Dynamik fortsetzen und dann kämen noch ganz andere Dimensionen auf uns zu. Deswegen ist es richtig, früh darüber zu reden und diesen neuen Entwicklungen angemessen zu begegnen.
Hinsichtlich der Entwicklung der Präventionsarbeit und der Frage, was zu tun ist, nehme ich alle in die Verantwortung. Es gibt immer noch einige, auch bei den Aidshilfen, die, wie gesagt, gute Arbeit geleistet haben, die sich aber weigern, sich mit dem neuen Phänomen der Partys und der Internetportale, wo Entsprechendes angeboten wird, offensiv auseinander zu setzen, die meinen, das liege in der Verantwortung des Einzelnen und es sei schwer, da etwas zu unternehmen. Es geht nicht darum - ich sage es noch einmal -, Menschen zu kriminalisieren oder zu stigmatisieren. Aber auch die Aidshilfen müssen die Entwicklung anerkennen und sich bei ihrer Arbeit entsprechend offensiv damit auseinander setzen.
Abschließend möchte ich noch zwei kurze Bemerkungen machen. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir heute diese Debatte führen, weil HIV auch in Deutschland immer noch mit Stigmatisierung verbunden ist. Es ist nun einmal eine andere Krankheit als etwa Krebs, die auch mitten in der Gesellschaft ein Thema ist; das sieht man daran, wie in den Medien damit umgegangen wird. Über HIV/Aids hingegen wird - natürlich weil es infektiös ist, im Übrigen aber auch, weil es mit einer Moral- und Schuldfrage, die leider oft reflexartig gestellt wird, verbunden ist - ganz anders diskutiert.
Auf der Aidsgala hat einer der Redner berichtet, dass er einen schwer kranken Aidskranken im Krankenhaus besucht und dessen Hand genommen hat, woraufhin derjenige sagte: Sie sind der Erste seit Wochen, der meine Hand nimmt; alle anderen haben Angst, mich zu berühren. Das hat mich sehr berührt. Ich glaube, gerade eine Debatte wie die heutige kann helfen, dass genau das nicht mehr passiert.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Volker Beck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, Sie haben gesagt, es gehe nicht um eine Kriminalisierung. Gleichzeitig spricht die Koalition in ihrem Antrag von einem Prüfauftrag für strafrechtliche Regelungen in dem Kontext von Bare-Back-Partys und Bare-Back-Profilen im Internet. Ich glaube, der Erfolg der deutschen Aidspräventionspolitik in der Vergangenheit - vorhin ist der Name Rita Süssmuth genannt worden - lag gerade darin, dass wir auf Aufklärung, Information und das verantwortliche Handeln der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande gesetzt haben. Darauf sollten wir weiter setzen.
Wir haben gegenwärtig beim Thema Aufklärung und Information natürlich Defizite. Wir haben in der Aidsprävention nicht nachvollzogen, was für die sexuelle Kontaktaufnahme, gerade in der Gruppe der Homosexuellen, heute das Internet bedeutet. Die Kontaktaufnahme hat sich von konkreten Bars an Orte in der virtuellen Welt verlagert. Die Aidshilfen nutzen noch nicht die personalkommunikativen Möglichkeiten, die das Medium Internet bietet.
Wir müssen bei der Aufklärung dem Wandel entsprechen. Es hat überhaupt keinen Sinn, dass wir bestimmte Phänomene durch Kriminalisierung in den Untergrund treiben und damit den Einfluss auf die Menschen und den Zugang zu ihnen völlig verlieren.
Herr Kollege, solange es aus diesem Haus Interventionen gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gegen die Verbreitung bestimmter Broschüren der Aidshilfen, auch über das Internet, gibt, die explizit über sexuelle Verhaltensweisen sprechen - die vielleicht nicht jedem hier im Hause gefallen und nicht dem guten Geschmack entsprechen - und die die Menschen, die das praktizieren, aufklären, wie sie sich schützen können, solange uns der gute Geschmack mehr wert ist als die Frage, wie die Menschen umfassende Kenntnis darüber erlangen, wie sie sich schützen können, so lange ist es heuchlerisch, wenn wir gleichzeitig über Strafrecht reden.
Die Koalition hat trotz des positiven Ergebnisses der Studie über die Heroinabgabe an Schwerstabhängige nicht den Mut, endlich eine Regelversorgung auf den Weg zu bringen. Stattdessen lässt sie das Modellprogramm praktisch auslaufen, indem keine Neuzugänge zu dem Programm mehr möglich sind, obwohl alle Fachleute sagen, dieses Programm habe sich bewährt; es würde denjenigen Menschen, die HIV-positiv sind, helfen, ihre Gesundheit zu stabilisieren, und es würde diejenigen Menschen, die nicht HIV-positiv, aber schwerstabhängig sind, davor schützen, sich mit HIV zu infizieren. Ich finde es daher doppelt heuchlerisch, dass wir in diesem Zusammenhang gleichzeitig über das Strafrecht reden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Spahn.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Herr Kollege Beck, man würde sich wünschen, Ihre Fraktion hätte Ihnen zu diesem Thema Redezeit zugestanden; denn Sie haben im Grunde genommen eine Rede gehalten, durch die alle Themen in diesem Zusammenhang abgedeckt wurden.
Zum Ersten. Wir erkennen in unserem Antrag die erfolgreiche Präventionsarbeit in Deutschland, die insbesondere von den Aids-Hilfen seit 25 Jahren geleistet wird, ausdrücklich an und wollen, dass ihre Arbeit weitergeht. Das habe ich in meiner Rede klar und deutlich gesagt.
Zum Zweiten. Es geht nicht um die Frage des guten Geschmacks. Die einzige Broschüre, in der es, soweit ich weiß, um das ging, worüber Sie geredet haben, enthielt Zitate von Vertretern der Aids-Hilfe, es sei halt so, dass es auf Partys Sex ohne Kondom gebe. Wir sind aber nicht bereit, dies zu akzeptieren.
Wir wollen vielmehr, dass mit Prävention und Aufklärungsarbeit dafür gesorgt wird, dass das nicht mehr der Fall ist.
Nun zum Thema Strafrecht. Ich habe vorhin deutlich gesagt: Es geht mir nicht darum, Einzelne zu kriminalisieren. Es geht vielmehr darum, gegen diejenigen vorzugehen, die damit Geld verdienen, dass sie gewerbliche Angebote machen, bei denen sich Menschen infizieren können. Wir wollen aber nicht gegen diejenigen vorgehen, die sich dabei infizieren. Diesen Unterschied habe ich vorhin deutlich gemacht.
Im Übrigen habe ich in den letzten Wochen heftige Auseinandersetzungen unter anderem mit der Barmer Ersatzkasse geführt - die Frau Staatssekretärin weiß es -, was das Nachverfolgen angeht. In einem Zweizeiler an jemanden, der sich kurz zuvor mit HIV infiziert hatte, wollte man von ihm wissen, bei wem er sich infiziert habe. Wir sind vehement dagegen vorgegangen und setzen uns dafür ein, dass so etwas nicht mehr passiert. Insofern lasse ich mir von Ihnen an dieser Stelle nicht etwas anderes unterstellen.
Zum Schluss zum Thema Heroinabgabe.
Wir haben ein gutes Angebot für Schwerstabhängige. Sie tun so, als gäbe es für Schwerstabhängige in diesem Land kein entsprechendes Angebot.
- Ich rede von dem bestehenden regulären Angebot. - Es gibt Spritzentausch und eine Methadonversorgung auf einem - richtigerweise - sehr hohen Niveau. Sie tun aber so, als gäbe es keine Angebote für Schwerstabhängige.
Wir von der Union sagen: Wenn sich einige mit dem gleichen Engagement, mit dem sie für die Abgabe einer der härtesten Drogen, die es gibt, kämpfen, für die Metadonabgabe und für den Ausstieg aus der Sucht bei Schwerstabhängigen einsetzen würden,
dann würden wir in diesem Bereich wesentlich mehr erreichen können. Das würde ich mir von Ihnen wünschen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel, SPD-Fraktion.
Christel Riemann-Hanewinckel (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für das, was ich Ihnen sagen möchte.
Ich möchte Sie bitten, mit mir einen Blick auf die Gruppen weltweit zu werfen, die in einer ganz besonderen Art und Weise von HIV/Aids betroffen sind. Wir haben viel gehört über das Ausmaß und die Auswirkungen der Aids-Pandemie. Ich möchte vor allen Dingen Ihren Blick auf die Kinder und die Jugendlichen lenken. Sie wissen, dass vor allen Dingen junge Menschen auf die unterschiedlichste Art und Weise von Aids bedroht sind. Junge Menschen, die Mutter oder Vater werden wollen und die für die Kindererziehung einstehen wollen, sind für die soziale Sicherung und das wirtschaftliche Leben in ihrem Land und in ihrer Gesellschaft unentbehrlich.
Wir haben schon gehört, dass die Frauen überdurchschnittlich stark betroffen sind - und das nicht nur in Afrika, sondern auch in Osteuropa und in Zentralasien. Immer wieder sind sehr junge Frauen und sogar Mädchen entweder durch bestimmte Sexpraktiken oder auch dadurch, dass ihnen Gewalt angetan wird, massiv von Aids betroffen.
Wir verfügen inzwischen über ziemlich genaue Zahlen; sie sind dramatisch. Es gibt inzwischen weltweit 14 Millionen verwaiste Kinder, deren Vater oder Mutter - oder beide Elternteile - an Aids gestorben sind. Diese Zahl übersteigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Deutschland um 2 Millionen. Was das bedeutet, kennen wir aus verschiedenen Sendungen im Fernsehen und Berichten in Zeitungen.
Ich finde es in der heutigen Debatte besonders wichtig, auf die Gruppe aufmerksam zu machen, die zum Teil noch nicht aidsinfiziert ist, und zu sehen, was das für unsere Arbeit bedeutet. Denn auf Kinder und Jugendliche kommt nicht nur eine mögliche Aids/HIV-Infizierung zu. Sie werden vielmehr doppelt und dreifach eingeengt. Armut, Hunger, Gewalt, Stigmatisierung und Aids begünstigen sich in diesen Ländern immer gegenseitig.
Kinder und Jugendliche, denen die Eltern, Verwandte, Lehrerinnen und Lehrer sowie Ärztinnen und Ärzte und andere Personen im medizinischen Bereich einfach wegsterben, verlieren jegliche Zukunft und jede Lebensperspektive. Sie werden ausgegrenzt; sie können oft nicht zur Schule gehen. Sie müssen Verantwortung übernehmen, der sie oft überhaupt noch nicht gewachsen sind, indem sie ihre Geschwister großziehen. Ihnen droht Kinderarbeit, weiterhin sexuelle Ausbeutung und dann auch immer wieder die HIV-Infektion.
Wenn wir Politikerinnen und Politiker heute in Deutschland über dieses Thema reden, dann ist es mir besonders wichtig, dass wir diese Kinder, obwohl sie Schutz und Begleitung brauchen, nicht nur als hilflose Opfer ansehen. Wir müssen sie langfristig und umfassend unterstützen, damit sie sich selbst helfen und ihre eigene Lebenssituation verändern können. Dazu gehören eben nicht nur Prävention und Aufklärung in Deutschland, sondern vor allen Dingen in den Ländern, wo es schon Millionen verwaiste Kinder gibt. Bildung, Aufklärung und Prävention sind aus meiner Sicht für diese Gruppe die wichtigsten Wege, die eingeschlagen werden müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, aus dieser Krise herauszukommen.
Bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen, und bei allen Verpflichtungen, die wir international eingehen und eingegangen sind, muss dieser Zusammenhang aus meiner Sicht immer wieder im Mittelpunkt stehen. Schätzungen zufolge wird die Zahl der Aidswaisen bis zum Jahre 2025 auf rund 25 Millionen ansteigen. Wenn wir es so weit kommen lassen, dann haben wir kaum noch Chancen, wirklich etwas zu tun. Deshalb ist es jetzt an der Zeit und notwendig, mit entsprechenden Projekten, Programmen und Überlegungen einzusteigen.
Das heißt im Moment, dass wir Verwandte und Familien, vor allem aber auch die Großmütter, die Aidswaisen aufgenommen haben bzw. für sie sorgen, stärken müssen. Wir müssen für einen universellen Zugang zu Pflege, Behandlung und Medikamenten sorgen, um die Lebenserwartung erkrankter Eltern zu verlängern. Wir müssen vor allen Dingen auch darauf drängen, dass, wenn es um infizierte Kinder geht, endlich kindgerechte Aidsmedikamente entwickelt bzw. die Medikamente, die wir jetzt haben, entsprechend weiterentwickelt werden. Die Kinder, die für andere Kinder sorgen müssen - das ist der wichtigste Punkt -, haben in der Regel kein Geld zur Verfügung. Deshalb müssen diese Medikamente für Kinder zu angemessenen Preisen abgegeben werden. Da sind dann wirklich alle gefragt.
Jungen und Mädchen muss der Schulbesuch ermöglicht werden und es muss altersgerecht über HIV/Aids aufgeklärt werden. Bis heute haben zwei Drittel aller Jugendlichen in den so genannten Entwicklungsländern kein Wissen darüber, wie sie sich vor Aids schützen können.
Mädchen und Frauen muss ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vermittelt werden; das haben die Kollegin Pfeiffer und andere sehr deutlich ausgeführt. Sie brauchen politische Teilhabe, um mitentscheiden zu können, wie es in der Prävention und der Begleitung derer, die betroffen sind, weitergehen kann.
Sowohl Männer als auch Frauen brauchen Zugang zu Verhütungsmitteln, zu Diensten der Familienplanung und der Schwangerschaftsvorsorge sowie zu Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Mutter-Kind-Übertragungen.
Die Regierungen der betroffenen Länder brauchen Unterstützung, um ihre Verantwortung im Kampf gegen Aids wahrnehmen zu können. Wir haben aber schon weltweite Vereinbarungen, die vor allem Kinder und Jugendliche schützen sollen. Ich erinnere an die UN-Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Diese Konvention schreibt fest, dass Kinder Rechte haben und nicht bloß Adressaten von Hilfeleistungen sind.
Mehr als die Hälfte der 40 in dieser Konvention formulierten Kinderrechte werden durch die Auswirkungen der Epidemie mit Millionen von Aidswaisen ganz unmittelbar verletzt. Wenn wir uns auf diese Rechte beziehen und international entsprechend handeln, dann setzen wir nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention um, sondern lassen den betroffenen Kindern und Jugendlichen weltweit das zukommen, was ihnen zusteht: nicht nur Kinderrechte, sondern vor allem das Recht auf Leben.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3610, 16/3615, 16/3097 und 16/3616 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/2364 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ?Den Südsudan beim Wiederaufbau unterstützen und vor AIDS bewahren“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/586 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Linksfraktion und der Grünen gegen die Stimmen der FDP angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 71. Sitzung - wird am
Montag, den 4. Dezember 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]