83. Sitzung
Berlin, Freitag, den 2. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
83. Sitzung
Berlin, Freitag, den 2. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich sehr herzlich und wünsche alles, alles Gute.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
24. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Ludwig Stiegler, Christian Lange (Backnang), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse in der mittelständischen Wirtschaft
- Drucksache 16/4391 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Ilse Aigner, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Christian Lange (Backnang), Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Impulse für den Mittelstand
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand
- Drucksachen 16/557, 16/562, 16/1070 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Laurenz Meyer (Hamm)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte für die Bundesregierung.
Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Abbau von Bürokratie und die Suche nach besserer Regulierung da, wo sie nötig ist, ist einer der wichtigen Programmpunkte der Großen Koalition und der Bundesregierung. Jedes Übermaß an Bürokratie ist schädlich:
Notwendige Entscheidungen werden verhindert oder verlangsamt. Zeit und Geld von Verwaltungen, von Forschern, von Freiberuflern, von Arbeitnehmern, von Unternehmern werden vergeudet.
Bürokratie belastet mehr oder weniger, immer oder manchmal jeden Bürger.
Politik, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft sind dringend aufgefordert, alte bürokratische Zöpfe zurückzuschneiden und neu entstehende, wo immer möglich, zu vermeiden. Über dieses Programm sind wir uns hier im Parlament im Prinzip einig. Ich denke, wir können auch angesichts der heutigen Debatte mit einigem Stolz sagen: Noch nie hat sich eine Bundesregierung so intensiv von Beginn an mit diesem Thema beschäftigt wie die jetzige, von der Großen Koalition getragene Bundesregierung.
Wir sind systematisch an dieses Thema herangegangen: Wir haben das von vornherein im Koalitionsvertrag verabredet und dann viele Baustellen gleichzeitig eröffnet. Wir haben das Standardkostenmodell entwickelt und messen erstmals Bürokratiekosten. Wir evaluieren erstmals, wie viel bürokratischer Aufwand und welche Kosten durch neue Gesetze entstehen. - Unser Vorgehen - das ist auch zwingend nötig - ist ganz praktisch ausgerichtet: Der Normenkontrollrat, der mittlerweile eingerichtet wurde, erklärt bereits vor der parlamentarischen Beratung eines jeden Gesetzes öffentlich, wie viel Bürokratie damit verbunden sein wird. So können wir eine qualifizierte Debatte über drohende neue Bürokratie und Vermeidungsstrategien führen, weil wir wissen, worüber wir reden, weil wir etwas Handfestes auf dem Tisch haben.
Wir haben in der letzten Woche Abbauziele verabredet: 25 Prozent bis zum 31. Dezember 2011. Das ist ein mutiges Unterfangen; damit handeln wir sehr konsequent. Wir bewegen uns mit diesem Zeitrahmen in dem gleichen Rahmen, den beispielsweise die Engländer und Holländer in ähnlicher Situation gebraucht haben. Hier darf es keine Schnellschüsse geben. Es handelt sich vielmehr um einen kontinuierlichen, auch zeitbrauchenden Prozess. Ich denke, dass wir damit gut aufgestellt sind.
Dass sich Deutschland so intensiv mit dieser Frage beschäftigt, hat auch Auswirkungen auf die Europäische Union; denn auch da nimmt die Bereitschaft zu, das Thema ernst zu nehmen.
Von dort können wir in Zukunft ebenfalls mit festen Vorgaben rechnen. Hier hat man sich das Ziel gesetzt, einen Abbau von 25 Prozent der Bürokratiekosten zu erreichen, allerdings bis zum 31. Dezember 2012. Auch in allen 16 Bundesländern wird sehr intensiv über die Frage des Bürokratieabbaus in der jeweiligen Zuständigkeit geredet und entsprechend gehandelt.
Ich komme zu meiner Eingangsbemerkung zurück: Noch nie ist auf der politischen Ebene der Bürokratieabbau so ernst genommen, so breit angelegt und so intensiv versucht worden - ich sage das bewusst nachdenklich - wie unter der jetzigen Bundesregierung. Ich will keine falschen Erwartungen wecken; aber wir arbeiten mit voller Kraft an diesem Problem, und das ist schon einmal ein sehr guter Anfang.
Vor allem Wirtschaft und Mittelstand sind von der Bürokratie betroffen. Deshalb ist das Wirtschaftsministerium die treibende Kraft in dieser Debatte. Der Mittelstand ist besonders betroffen; denn je kleiner die Unternehmen, desto mehr leiden sie unter der Bürokratie.
Für sie entstehen dadurch Kosten und Belastungen, die erheblich sind. Die Zahlen sind zum Teil bekannt. Man sagt mittlerweile, 4 bis 6 Prozent des Umsatzes der mittelständischen Wirtschaft müssten für Bürokratie aufgewandt werden. Wenn diese Zahl stimmt, dann entstehen diesen Unternehmen jährlich mehr als 70 Milliarden Euro Bürokratiekosten. Bei dieser Dimension wird jeder erkennen, dass Bürokratie auch ein ganz wichtiger Standortfaktor ist.
Je besser wir im Hinblick auf Regulierungen und Bürokratie aufgestellt sind, desto wettbewerbsfähiger sind wir in der sich schnell verändernden Welt. Insoweit ist diese Baustelle ausgesprochen wichtig.
Wir haben in 2006 ein erstes Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Darüber hinaus haben wir einen Katalog mit 16 Einzelvorhaben und 37 Maßnahmen für mittelstandsfreundliche Reformvorhaben verabschiedet, die im Moment in der Umsetzung sind. Bei diesem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz waren wir noch nicht so weit, dass wir Bürokratiekosten messen konnten. Das geschieht jetzt erstmalig durch das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz.
Der Betrag, um den es hier geht, ist zunächst einmal relativ gering. Niemand sollte glauben, mit den 58 Millionen Euro, die wir hier ermitteln, hätten wir schon einen Durchbruch erzielt. Aber mit diesem Gesetz haben wir ein neues System angelegt und versuchen, eine Lösung des Problems zu finden. Es gibt da durchaus noch Schwächen; ich komme auf die eine oder andere Schwäche zurück. Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben ist auch noch nicht alles gemessen worden, was wir messen müssen und messen wollen. Die Entlastungswirkung ist aber insgesamt größer.
Ich denke, dass wir das miteinander im Prozess noch verbessern können. Wir sind nicht der Auffassung, wir hätten an dieser Stelle die Weisheit gepachtet. Wir sind noch auf der Suche.
Der Regelinhalt des zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes: Es reduziert die Menge unnötiger Vorschriften. 17 Deregulierungsmaßnahmen auf verschiedenen Rechtsgebieten sollen in Kraft gesetzt werden. Das soll zeitnah geschehen, jeweils so schnell es möglich ist. Einige Maßnahmen können praktisch mit der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten, andere brauchen eine gewisse Umsetzungsphase, aber in sehr überschaubaren Fristen.
Beim Thema Bürokratieabbau geht es immer wieder um Statistiken und Berichtspflichten. Wir wollen mit diesem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz zum Beispiel Existenzgründer in den ersten drei Jahren von statistischen Meldepflichten befreien; das ist ein ganz sinnvoller Vorschlag.
Wir alle sind uns einig: Wenn einer eine Existenz gründet, hat er genug zu tun; er muss sich um den Markt, das Produkt, die Organisation seines Unternehmens kümmern. Wenn dann noch lästige Bürokratieanforderungen hinzukommen, ist das ein Schlag ins Kontor und demotiviert möglicherweise. Deswegen denke ich, dass wir hier wenigstens einen wichtigen ersten Schritt gehen.
Auf die Zahlen wirkt sich das so aus, dass die Zahl der Existenzgründungen steigt. Bei 7 100 Existenzgründungen geht es um ersparte Bürokratiekosten - das fängt an zu wachsen - von 1,2 Millionen Euro. Das ist eigentlich ein kleiner Betrag. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es in dieser Debatte darum, dass ein guter Anfang gemacht worden ist; das ist noch nicht das Schlussergebnis. Dieser Prozess wird ja nicht abgebrochen, sondern er wird fortgesetzt und intensiviert; er wird an Fahrt gewinnen.
Eine weiterer Punkt des Gesetzes ist, dass statistische Erhebungen bei kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten auf drei Stichproben pro Jahr beschränkt werden. Im Jahr 2004 wurden 625 dieser Unternehmen zu mehr als drei Stichprobenerhebungen herangezogen.
An diesem Punkt wird deutlich: Die Gesellschaft hat ein Interesse an Information. Wir möchten wissen, welche Prozesse in den Wirtschaftsbereichen ablaufen. Wir wollen rechtzeitig erkennen, ob es Fehlentwicklungen gibt, und sind daher auf Informationen angewiesen. Viele Informationen werden von den Wirtschaftsverbänden selbst gewünscht und gefordert. Sie können ihre Steuerungs- und Beratungsfunktion nicht erfüllen, wenn sie sozusagen blind gemacht werden.
Wir müssen es also auf intelligente Weise schaffen, die notwendigen Informationen ohne unnötige Bürokratie mit modernen Methoden zu ermitteln. In diesem Findungsprozess befinden wir uns. Die Maßnahmen, die im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz enthalten sind, entsprechen diesem Ansatz.
In der Dienstleistungskonjunkturstatistik werden bereits verstärkt vorhandene Verwaltungsdaten genutzt. Wir müssen die Trennung bei denen, die im Besitz von Daten sind, aufheben. Dann ist ein Austausch von Informationen möglich. Eine einmal erhobene Zahl kann für sehr viele Prozesse verwendet werden. Sie darf nicht in der Schublade liegen bleiben, sondern sie muss weitergegeben werden. Dadurch entfallen Bürokratiekosten - wir fangen bescheiden an - in Höhe von insgesamt jährlich 3,5 Millionen Euro. Aber ein Anfang ist gemacht.
Herr Zeil, damit kein falscher Eindruck entsteht, sage ich noch einmal: Wir sagen nicht unter Fanfarenklängen, dieses Mittelstandsentlastungsgesetz sei der Durchbruch. Es ist ein kleiner Anfangsbaustein in einem Prozess, den wir verabredet haben.
Es gibt einen Wegfall der Genehmigungspflicht im Preisangaben- und Preisklauselgesetz. Ich bin selber Notar gewesen. Sie alle kennen diesen Fall: Wenn ein Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren zwischendurch an die Inflationsentwicklung angepasst werden sollte, dann musste man eine Genehmigung für diese Klausel bei der Preisklauselgenehmigungsbehörde einholen. Das ist ein unnötiger Vorgang. Der Wegfall dieser bürokratischen Maßnahme ist ebenfalls im Mittelstandsentlastungsgesetz enthalten. Zuletzt gab es diesbezüglich 17 000 Anträge pro Jahr. Eine solche Genehmigung einzuholen, war ärgerlich, hat immer Zeit gekostet und war völlig unnötig. Ich kenne aus meiner Praxis keinen Fall, bei dem die Klausel einmal nicht genehmigt wurde. Also weg damit! Das sind Elemente, die den Bürokratieabbau befördern.
Ich komme zu einem weiteren Punkt: Wegfall von Doppelprüfungen. An dieser Stelle haben wir die Entlastung nicht genau quantifiziert. Wir wollen, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht beide, also sowohl der Unfallversicherungsträger als auch der Rentenversicherungsträger, tätig werden müssen. Sie können die Zahlen untereinander austauschen. Wir haben uns auf diesen gegenseitigen Austausch von Informationen verständigt. Herr Müntefering, das ist ein Bereich, der zum Teil in Ihrem Hause zu bearbeiten ist.
Was sind die Konsequenzen? Dadurch entfallen jährlich 130 000 Doppelprüfungen. Diese Doppelprüfungen sind Außenprüfungen in den Betrieben. Da haben wir, wie schon gesagt, die sich ergebende Entlastung nicht konkret angesetzt. Für die Verwaltungen, die diese Prüfungen durchführen müssen, und für die Betriebe, die Material, Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen müssen, ergeben sich pro Tag Kosten in Höhe von 1 000 Euro. Bei 130 000 Prüfungen bedeutet das unter der Annahme, dass einen Tag lang geprüft wird, eine Einsparung von 130 Millionen Euro. Dieser Betrag ist in der im Gesetzentwurf angegebenen Nettoentlastung für die Wirtschaft von ungefähr 58 Millionen Euro nicht eingerechnet, weil wir ihn, wie gerade erläutert, noch nicht genau genug erfassen konnten. Wir waren der Meinung, diesen Betrag noch nicht zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass wir uns später darüber streiten, ob diese Zahl seriös ermittelt wurde oder nicht. Obwohl es sich bis dato nur um eine Schätzung handelt, können alle, die in der Wirtschaft zu Hause sind, erkennen, dass da etwas Nennenswertes passiert.
Wir machen weiter auf diesem Weg. Dies ist ein kleiner Baustein. Wir bereiten die nächsten Entlastungsgesetze in gleicher Weise vor. Aber noch wichtiger als diese Einzelgesetze bleibt das grundsätzliche Prinzip: Der Normenkontrollrat prüft jedes neue Gesetz. Wir können dann miteinander darüber streiten, wie bürokratisch und unnötig das entsprechende Gesetz ist. Das ist einer der wichtigsten Blöcke. Außerdem setzen wir das Standardkostenmodell für neue und mit zunehmender Zahl auch für alte bürokratische Regelungen an.
Wir sind auf einem guten Weg. Ich denke, wir sollten dieses Anliegen gemeinsam weiterverfolgen. Angesichts der Geißel Bürokratie, die uns alle ärgert, sind wir alle gefragt.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Herrn Kollegen Schauerte zu seiner Ernennung zum Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung gratulieren.
Sie stehen damit unter verschärfter Beobachtung. Aber Glückwunsch zur neuen Funktion, die Ihnen übertragen wurde!
Seit Jahren hat der Bürokratiewust zugenommen. Auch die sogenannte Große Koalition, die schwarz-rote Regierung, hat dem Mittelstand zunächst einmal kräftig einiges übergestülpt: Bei den Betrieben wurden die Sozialabgaben 13-mal abkassiert. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz, das weiter gefasst wurde, als es die EU verlangt, wurden Bürokratie und Schwierigkeiten draufgeknallt, und die Steuern wurden kräftig erhöht. - Das alles sind keine Beiträge, es dem Mittelstand in Deutschland leichter zu machen.
Wenn Sie jetzt den Hebel umlegen und den Rückwärtsgang im Hinblick auf die Bürokratie einlegen wollen, ist das richtig und begrüßenswert. Was Sie aber bisher vorlegen, kann man bestenfalls unter dem Motto ?Kleinvieh macht auch Mist“ zusammenfassen. Die Bürokratielasten werden auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Wenn man das, was Sie hier auf den Weg bringen, wohlwollend hochrechnet, macht das maximal 60 Millionen Euro aus. Das ist etwa 1 Promille der Bürokratielasten, die die Fachleute, die Sachverständigen feststellen. Das ist zwar relativ wenig; aber zumindest die Richtung stimmt.
Ich empfehle Ihnen sehr, auch die Themen der Generalunternehmerhaftung und der Bauabzugsteuer auf den Weg zu bringen. Die damit verbundenen Ziele waren durchaus ernst zu nehmen. Aber es hat sich herausgestellt, dass eine Riesenbürokratie und wenig Effekte entstanden sind. Schaffen Sie diese Steuer doch einfach ab! Wenn man merkt, man hat etwas falsch gemacht, dann sollte man es abschaffen und den Mittelstand nicht weiter mit Bürokratie belasten. Das wäre ein Beitrag, dies vernünftig und richtig zu regeln.
Es ist durchaus sympathisch, dass Sie sich um ein Milch- und Margarinegesetz kümmern. Aber der deutsche Mittelstand erwartet schon ein bisschen mehr und etwas anderes.
Ein großes Thema sind Unternehmensübergaben und die Erbschaftsteuer. Hierzu liegt kein Gesetzentwurf vor. Hier streiten sich Schwarz und Rot; da gibt es Gezänk. Man muss fürchten, dass es auch hier wieder sehr bürokratisch und sehr kompliziert wird. Ich nenne als Beispiel nur die Problematik der Abgrenzung zwischen produktivem und nichtproduktivem Betriebsvermögen. Ich wünsche viel Vergnügen; das wird außerordentlich schwierig werden. Da werden sich die Mittelständler sehr freuen. Bringen Sie dies aber wenigstens einmal auf den Weg, damit hier ein Stück Entlastungsperspektive entsteht und damit dort, wo Übergänge möglich sind und sie anstehen, diese auch erfolgen und nicht weiter gewartet wird, ob es eine Regelung gibt und welche.
Ich persönlich meine - das ist nicht Beschlusslage meiner Partei -, man sollte die Erbschaftsteuer ganz abschaffen
- das werden wir nicht schaffen, Herr Kollege Wend -; denn das wäre der größte Beitrag zur Bürokratievereinfachung.
Wenn Sie das nicht wollen, dann sollten Sie zumindest die Zuständigkeiten für die Ausgestaltung der Erbschaftsteuer auf die Länder übertragen. Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer betrugen im letzten Jahr insgesamt in allen neuen Bundesländern gerade einmal 60 Millionen Euro. Dort wurde so gut wie keine Erbschaftsteuer erhoben. Wenn diese sie abschaffen oder drastisch vereinfachen bzw. reduzieren würden, hätten sie einen Standortvorteil. Das wäre Wettbewerbsföderalismus. Haben Sie Mut, diejenigen, die sowieso Destinatar, also Begünstigte, von Steuern sind, dies selbst entscheiden zu lassen! Man nennt das in der Fachsprache Subsidiarität.
Zur Unternehmensteuerreform. Auch da streiten sich die Schwarzen und die Roten. Die SPD überlegt: Welches Volumen kann man überhaupt verantworten? Sollte man nicht mehr Masse beim Staat zur Umverteilung zurückbehalten? Auch dort ist nichts klar. Aber wir stehen weiter im Wettbewerb. Die Vergleiche zeigen: Wenn wir die Weichen hier nicht richtig stellen, gibt es weiter Abwanderungstendenzen.
Was der Mittelstand daneben bräuchte, ist mehr Flexibilität beim Arbeitsrecht und bei den Löhnen. Wir haben in Deutschland ein sehr kompliziertes Arbeitsrecht. Das ist eine Ausgeburt an Bürokratie und selbst für gute Juristen kaum noch logisch nachvollziehbar. Wir müssten vor allen Dingen den Mut haben, den Mitarbeitern in den Betrieben mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu geben, die Arbeitnehmerrechte im Betrieb zu stärken, die Funktionärsrechte ein Stück zurückzunehmen und betriebliche Bündnisse für Arbeit zu ermöglichen. Wir setzen eine hohe Schwelle: Wenn 75 Prozent der Belegschaft in freier und geheimer Abstimmung zum Ausdruck bringen, dass sie eine andere Regelung wollen, als das Kartell ihnen vorschreibt, muss diese andere Regelung Geltung finden. Die Betroffenen müssen das Recht haben, eine andere Entscheidung zu treffen. - Sie aber haben nicht den Mut, den Arbeitnehmern mehr Entscheidungsrechte zu geben, nicht einmal, wenn eine hohe Schwelle von 75 Prozent - das ist mehr als eine verfassungsändernde Mehrheit - vorgesehen wird. Nein, bei uns geht die Funktionärsherrschaft weiter. Warum wundern wir uns eigentlich, dass sich vieles nicht zum Vernünftigen ändert? Dieses Thema muss aber angepackt werden; sonst kommen wir nicht voran.
Die Diskussion über die Mindestlöhne ist sehr liebenswert. Ich gönne jedem jeden Euro. Mindestlöhne schaffen aber keine Arbeitsplätze. Es wäre reiner Zufall, wenn deren Höhe richtig wäre. Sind sie zu niedrig, haben sie null Effekt. Sind sie zu hoch, verhindern sie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Deshalb müssen Sie andere Instrumente, Kombiansätze - wir nennen es Bürgergeld -, wählen. Der Mindestlohn ist wieder so ein ideologisches Thema. Man rennt herum und sagt: Wir tun etwas für euch. - In Wahrheit gibt man denen, die draußen stehen, keine Chance, hineinzukommen. Das ist das Gegenteil von Hilfestellung.
Der Mittelstand ist sehr beunruhigt, dass in den Reihen der Koalition schon wieder darüber diskutiert wird, das Briefmonopol erneut zu verlängern. Das Verlängern der Monopole ist offensichtlich Ihr Beitrag zu ?Mehr Freiheit wagen!“, wie die Bundeskanzlerin ihre Regierungserklärung betitelt hat. Nein, wir müssen neuen Existenzen auch in diesem Bereich Freiraum bieten, damit sie sich entwickeln können. Überall, wo der Staat steuert, wo es Monopole gibt, haben wir Probleme. Ob bei EADS oder anderswo: Zu viel Staatseinfluss führt zu Fehlentscheidungen. Die Arbeitnehmer baden aus, dass sich der französische Staat zu stark eingemischt hat, aber die Deutschen wollen jetzt den gleichen falschen Ansatz wählen.
Oder nehmen Sie - letzte Bemerkung - das Telekommunikationsrecht. Hier führen Sie lieber einen Krieg mit der Europäischen Kommission. Sie haben etwas Einmaliges gemacht, etwas, das es noch nie in Deutschland gegeben hat: Selbst die milder Regulierung der Netzagentur gilt nicht, es gibt Regulierungspausen. - Das gab es früher: Als Madame Pompadour Louis XVI. eine tolle Nacht bereitet hat, erhielt sie das Monopol für den Kakaoausschank. Das sind nicht die Wege, auf denen wir im 21. Jahrhundert nach vorne kommen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend, SPD-Fraktion.
Dr. Rainer Wend (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Brüderle, es ist Aufgabe der Opposition, darauf hinzuweisen, wie wir noch besser werden können, natürlich auch beim Thema Bürokratieabbau. In Richtung FDP muss ich aber sagen: Fast alle Vorschriften, die wir jetzt wegen zu großer Bürokratie abschaffen wollen, sind von früheren FDP-Wirtschaftsministern erfunden worden, Kollege Brüderle.
Deswegen empfehle ich der FDP, in dem Prozess, in dem wir uns jetzt befinden, ein wenig mehr Demut zu zeigen.
Ich finde, dass die Große Koalition in Sachen Bürokratieabbau einen guten Prozess begonnen hat. Wir haben im letzten Jahr - Herr Schauerte hat darauf hingewiesen - das erste Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Damit haben wir eine Reihe von bürokratischen Regelungen, die gerade Kleinunternehmen und Mittelstand belasten, abgeschafft. Wir haben beispielsweise die Grenze für die Bilanzierungspflicht von Unternehmen angehoben, und zwar von einem Umsatz von 350 000 Euro auf einen Umsatz von 500 000 Euro.
Nach dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz haben wir etwas gemacht, wovon wir uns die größte Wirkung versprechen; das hat gerade der Staatssekretär angesprochen. Es geht darum, dass wir die Bürokratiekosten der Unternehmen, die aus ihren Berichts- und Dokumentationspflichten gegenüber staatlichen Stellen entstehen, in Geld messen und anschließend mit klaren Zielvorgaben reduzieren wollen. Die Bundesregierung hat am Mittwoch beschlossen, diese Bürokratiekosten bis zum Jahr 2011 um 25 Prozent zu reduzieren. Es sind inzwischen über 11 000 Vorschriften identifiziert, die auf ihre Kosten hin zu untersuchen und anschließend zu reduzieren sind.
Ich habe eine freundschaftliche Bitte an die Bundesregierung - alle Sozialdemokraten gehen freundschaftlich mit der Bundesregierung um -:
Eine Reduktion um 25 Prozent bis 2011 ist gut. Ich fände es aber schön, wenn es uns gelingen würde, ein Ziel bis zu den nächsten Wahlen in 2009 festzulegen. Es ist immer leicht, etwas auf Kosten künftiger Bundesregierungen - wenngleich sie möglicherweise so aussehen wie die jetzige; jedenfalls sollten die Sozialdemokraten daran beteiligt sein -
zu machen. Noch besser aber fände ich es, wenn es uns gelingen würde, für diese Legislaturperiode ein festes Ziel zu vereinbaren.
Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz und der Normenkontrollrat, der die Umsetzung des Standardkostenmodells überprüfen soll, waren die ersten Schritte. Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz - der Staatssekretär hat bereits einige Punkte daraus genannt -, mit dem wir noch einmal Erleichterungen bei der Bilanzierungspflicht vornehmen und Existenzgründern durch den Wegfall von Dokumentations- und Berichtspflichten helfen, ist der dritte Schritt beim Bürokratieabbau.
Nun kommt von der Opposition die Kritik - das ist, wie ich finde, auch ihre Aufgabe -, dies sei zu wenig. Ich finde, wir sollten uns im parlamentarischen Prozess offen zeigen, an dem einen oder anderen Punkt weiterzuarbeiten. Das Stichwort Generalunternehmerhaftung ist genannt worden. Aber es ist ein bisschen komplizierter, Herr Kollege Brüderle, als Sie es dargestellt haben. Wahr ist, dass auf der einen Seite für die Generalunternehmer zusätzliche Belastungen entstehen, wenn sie für Subunternehmer, die sie beauftragen, haften müssen. Auf der anderen Seite kann dieses Verfahren dazu beitragen, dass Versicherungsbeiträge von Subunternehmern regulär gezahlt werden und somit Schwarzarbeit bekämpft wird. Das ist das Ziel dieses Gesetzes.
Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Zielen des Gesetzes und den Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, abzuwägen und zu beurteilen, ob sie in einem klugen Verhältnis zueinander stehen. Das müssen wir jetzt sorgfältig prüfen. Anschließend müssen wir zu einer Entscheidung kommen, wie damit zu verfahren ist.
Die SPD ist im parlamentarischen Prozess offen bezüglich möglicher Verbesserungen und Erweiterungen des zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes. Es gibt aber ein klares Nein der SPD zu vielen Dingen, die Sie hier formuliert haben, Herr Kollege Brüderle, zum Beispiel zu dem, was Sie in Ihrem Antrag zu Kündigungsschutz und betrieblichen Bündnissen geschrieben haben. Ich will Ihnen das einmal ohne Wenn und Aber sagen: Die SPD steht für bestimmte Regeln und will bestimmte Regeln in unserer Gesellschaft aufrechterhalten.
Wir sind vor 140 Jahren aufgrund ganz bestimmter Erwägungen gegründet worden. Es gab damals den freien Kapitalismus mit Kinderarbeit, ohne Kündigungsschutz und mit 60-Stunden-Woche. Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt wurden durch SPD und Gewerkschaften Regeln geschaffen, die den freien Kapitalismus eingeschränkt haben, durch Kündigungsschutz und Tarifautonomie. Wir wollen, dass er in dieser Weise eingeschränkt bleibt.
Ein Kernbestandteil unserer Programmatik ist die Tarifautonomie. Bevor es sie gab, wurden die Arbeitsbedingungen zwischen Unternehmern und einzelnen Arbeitnehmern verhandelt; die Arbeitnehmer waren den Unternehmern faktisch ausgeliefert. Erst durch Gründung der Gewerkschaften und die Einführung der Tarifautonomie gab es in etwa eine Gleichberechtigung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bei der Aushandlung von Arbeitsbedingungen.
Deswegen bleibt die Tarifautonomie Kernbestandteil unserer Programmatik. Wir werden eine Beseitigung der Tarifautonomie nicht zulassen, weil dadurch das alte Ungleichgewichtig zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite wiederhergestellt würde.
Ich möchte auch etwas zum sogenannten Staatseinfluss bei Airbus sagen. Ich teile insofern Ihre Auffassung, als ich glaube, dem Unternehmen Airbus würde es auf Sicht am besten gehen, wenn sich alle staatlichen Stellen aus unternehmerischen Entscheidungen zurückzögen.
Aber wenn einer der Eigentümer in dieser Gesellschaft, ein Staat, einen anderen Weg geht und sich dezidiert dazu bekennt - das hat die französische Seite getan -, wäre es doch fahrlässig gewesen, wenn die deutsche Seite auf Einflussnahme verzichtet hätte.
Deswegen war das, was wir in den letzten Wochen und Monaten getan haben, richtig. Wir stehen dazu.
Ich möchte etwas zum Briefmonopol sagen. Auch hier teile ich Ihre Ausgangsposition, dass es gut und richtig wäre, auf europäischer Ebene einen Weg zu finden, um mehr Wettbewerb und eine stärkere Liberalisierung zuzulassen. Aber ich muss auf etwas hinweisen, worauf ich auch beim Thema Airbus schon zu sprechen gekommen bin: Wenn einige Länder in Europa ihren Markt geschlossen halten, dann kann es doch nicht vernünftig sein, dass wir sie einladen, in unserem Land am Wettbewerb teilzunehmen, solange wir nicht die Möglichkeit bekommen, unsererseits am Wettbewerb in diesen Ländern teilzunehmen. Diese Ungleichbehandlung dürfen wir nicht zulassen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch etwas zum Thema Mindestlöhne sagen. Zunächst einmal danke ich dem Minister; Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie ihm das ausrichten. Ich habe nämlich in der Zeitung gelesen, dass sich der Minister offen dafür zeigt, im Hinblick auf die Entlohnung eine Untergrenze zu setzen - es muss ja nicht ?Mindestlohn“ heißen; über Begriffe braucht man mit mir nicht zu streiten -, weil ansonsten die Unternehmen, wenn wir Langzeitarbeitslosen über Kombilöhne oder Ähnliches helfen wollen, Mitnahmeeffekte ohne Ende haben, weil sie die Löhne stark senken können, da sie damit rechnen können, dass die Löhne ohnehin staatlicherseits aufgestockt werden. Ihr Minister ist auf dem richtigen Weg. Ich finde es gut, dass er das so formuliert hat.
Es ist nicht richtig, dass sich der Wettbewerb im Postbereich fast nur noch darum dreht, welches Unternehmen die niedrigsten Löhne zahlt und die Postzustellungen in unserem Land unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen erledigt.
Wettbewerb finde ich gut. Aber ein Wettbewerb, der ausschließlich um Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen geführt wird, ist für uns nicht akzeptabel. Wir wollen einen Wettbewerb um die Qualität von Leistungen.
Deswegen habe ich insbesondere an die FDP die Bitte: Lassen Sie uns den Bürokratieabbau gemeinsam in Angriff nehmen. Sie sollten aber nicht die Überschrift ?Bürokratieabbau“ wählen und sie dann als ?Abschaffung von Arbeitnehmerrechten“ buchstabieren. Dass wir in diesem Fall Ihr Gegner wären, muss Sie nicht betrüben. Aber dies würde auch dazu führen, dass Sie das Thema Bürokratieabbau diskreditieren und es in unserer Gesellschaft nicht mehr mehrheitsfähig wäre. Deshalb sagt die SPD mit aller Kraft Ja zum Bürokratieabbau, aber genauso deutlich und mit aller Kraft Nein zum Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erst einmal zu Herrn Wend: Herr Dr. Wend, ich fand es sehr wohltuend, von Ihnen zu hören, wie die Wurzeln der SPD einmal entstanden sind.
- Nein, Sie stehen nicht dazu, leider. Das Verhältnis zwischen der SPD und den Gewerkschaften ist sehr gestört. Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin nämlich DGB-Vorsitzende in der Region Vogtland-Zwickau.
Uns alle - das verstehen Sie jetzt vielleicht nicht - verbindet einiges. Wir alle waren nämlich einmal Kinder. Vielleicht kennen Sie noch die Geschichte von Jim Knopf und dem Scheinriesen.
- Genau. - Je näher man dem Riesen entgegenkommt, desto kleiner wird er. Genauso verhält es sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Großen Koalition. Laut Bundesminister Glos ist dieses Gesetz ein ?Leuchtturmprojekt“ der Bundesregierung auf dem Gebiet des Bürokratieabbaus. Schaut man sich das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz jedoch näher an, wird deutlich: Es handelt sich eigentlich nur um ein wirtschaftspolitisch kleines Licht.
Nach den Zahlen der Bundesregierung wird die mittelständische Wirtschaft mit einem Paket von 17 Einzelmaßnahmen um 60 Millionen Euro - das ist heute schon erwähnt worden - entlastet. Bei 3,4 Millionen mittleren und kleineren Unternehmen sind das durchschnittlich 17 Euro pro Jahr. Herr Schauerte - der Bundesminister ist ja heute leider nicht da -, was bedeuten 17 Euro je Unternehmen und Jahr für Wirtschaft und Beschäftigung? Sie täuschen hier das Wahlvolk und Hunderttausende kleine mittelständische Unternehmen.
Damit nicht genug: Unter dem Schlagwort des Bürokratieabbaus beschneidet die Bundesregierung seit Jahren systematisch die Statistik, und zwar genau den Bereich, der über die Lage der kleineren und mittleren Unternehmen informiert. Das legt den Schluss nahe, dass die Große Koalition den kleinen Mittelstand abgeschrieben hat.
Die Bundesregierung kennt nur den großen Mittelstand: Unternehmen, die über 100 Mitarbeiter haben, die am Exportgeschäft teilnehmen und die schwarze Zahlen schreiben.
Ich rede im Gegensatz dazu von der Mehrzahl der mittelständischen Unternehmen: denen mit weniger als fünf Beschäftigten. Das sind 2,8 Millionen von den 3,4 Millionen Unternehmen, die es in Deutschland gibt. Diese Kleinstunternehmen leiden seit Jahren unter dem Stagnieren der Binnennachfrage und dem Sparkurs der öffentlichen Hand.
Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre hat ausschließlich den Großunternehmen geholfen. Die Deutsche Bank hat diesbezüglich jüngst ganz interessante Zahlen veröffentlicht - ich gehe davon aus, Sie werden sie kennen -: Von 1997 bis 2004 ist der Wert der Gesamtleistung des deutschen Mittelstandes kaum gewachsen, nämlich nur um 2 Prozent, während die Großunternehmen in diesen acht Jahren viel kräftiger, nämlich um 30 Prozent expandiert sind.
Die Regierung feiert den Aufschwung:
2,7 Prozent Wachstum, seit Jahren nicht gehabt. Das ist gut und schön. Aber was nützt ein Wachstum, das immer noch an vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen vorbeigeht?
Dieses Problem betrifft vor allen Dingen den ostdeutschen Mittelstand. Ich zitiere den ostdeutschen Sparkassenverband von letzter Woche:
Der wirtschaftliche Aufschwung ist noch nicht beim ostdeutschen Mittelstand angekommen. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum von rund 2,8 Prozent im Osten Deutschlands beschränkt sich auf die industriellen Kerne.
Die jüngste Erholung, die die neuen Zahlen der KfW-Bankengruppe zeigen, erfolgt vor dem Hintergrund einer langen Durststrecke. Und es ist keineswegs ausgemacht, dass diese Erholung anhält. Zum Beispiel stellt sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks für dieses Jahr auf einen Wachstumsrückschlag ein.
Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie veranstalten viel Brimborium um das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz. Anscheinend soll damit verdeckt werden, dass diese Koalition auf die wirtschaftlichen Probleme des Mittelstandes keine Antwort weiß.
Um den mittelständischen Unternehmen zu helfen, braucht es keine weitere Kostenentlastung und schon gar keine Steuerreformen, wie sie die Bundesregierung gemacht hat und ankündigt. Der Mehrzahl der kleineren und mittleren Unternehmen fehlen schlicht die Aufträge; das müssten Sie eigentlich wissen. Deswegen setzt sich Die Linke für eine Stärkung der Binnennachfrage ein. Dazu gehören auch ordentliche Lohnsteigerungen.
Herr Wend, wenn Sie so die Wurzeln der Arbeiterbewegung suchen, dann unterstützen Sie sicherlich auch die Lohnforderungen der Gewerkschaften.
- Das ist schön. - Denn höhere Löhne und damit mehr Kaufkraft kommen vor allem den kleineren und mittleren Unternehmen zugute. Profitieren würde insbesondere der Einzelhandel, der - darüber haben wir noch gar nicht geredet - völlig am Boden liegt.
Ich fasse zusammen: Diese Große Koalition geht mit dem vorliegenden Gesetz das zentrale Problem des Mittelstandes überhaupt nicht an. Denn die fehlenden Aufträge werden hiermit nicht kompensiert. Die Linke fordert ein umfassendes öffentliches Investitionsprogramm von mindestens 30 Milliarden Euro
für die Zukunftsbereiche Energie, Bildung und kommunale Infrastruktur. - Es steht Ihnen frei, sich darüber aufzuregen. Wir können gerne in kleiner Runde darüber diskutieren.
Die von Ihnen vorgelegten Maßnahmen helfen den Hunderttausenden KMUs in Deutschland nicht. Das Mittelstandsentlastungsgesetz bleibt letztlich ein Scheinriese.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, am Anfang einer Debatte über Bürokratieabbau und die Halbherzigkeit der Regierung in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Bürokratie und die damit einhergehenden Regelungen notwendig sind. Aber selbstverständlich braucht der sozial und ökologisch verantwortliche Staat einen anspruchsvollen Ordnungsrahmen. Damit ist auch Bürokratie als effizienter Steuerungsmechanismus verbunden.
Wir brauchen Bürokratie, um Rechtssicherheit, aber auch - das wurde bereits angesprochen - um den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine gesunde Umwelt zu gewährleisten. Bürokratie muss aber auch effizient sein. Sie muss ihre Ziele erreichen und vor allen Dingen auch verständlich sein.
Ich möchte mit dieser Eingangsbemerkung Herrn Brüderle und der FDP noch einmal ins Stammbuch schreiben, dass ein Bürokratieabbau nach dem Motto ?Hau weg das Ganze!“, das in Ihren Anträgen immer wieder zum Tragen kommt, nicht unbedingt zu mehr Freiheit, sondern häufig zu mehr Unsicherheit und Chaos führt.
Unsere Aufgaben sind in einem sehr schwierigen Spannungsfeld zu erfüllen. Sir Ralf Dahrendorf hat, wie ich finde, dieses Spannungsfeld sehr schön beschrieben:
Wir brauchen die Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie uns, zu tun, wofür wir sie brauchen.
Ich finde, das ist die richtige Beschreibung der Situation: Keiner will Bürokratie haben, aber an vielen Stellen wird sie dann doch wieder von den jeweiligen Lobbys eingeklagt. Sie ist in vielen Bereichen historisch gewachsen. Die Aufgabe anzugehen, die Bürokratie effizient und überschaubar zu machen, erfordert Mut, zum Beispiel gegenüber den Lobbys. Vor allem in jüngster Zeit finden sich in der aktuellen Debatte immer wieder Beispiele, die zeigen, dass der Bundesregierung dieser Mut fehlt.
Ein aktuelles Beispiel ist der Kniefall der Bundesregierung vor der Autolobby im Zusammenhang mit den CO2-Emissionen. Das Vermischen von Kriterien - wie die jeweilige Höhe der CO2-Emissionen und die Anrechnung des Biospritverbrauchs - wird zu einem riesigen bürokratischen Aufwand bei der Grenzwertbestimmung führen. Sie reden zwar viel, tun aber an vielen Stellen genau das Gegenteil.
Sie haben - darauf hat Herr Schauerte schon hingewiesen - das Ziel formuliert, 25 Prozent der Bürokratiekosten abzubauen. Dafür haben Sie lange gebraucht. Sie haben angegeben, dieses Ziel bis zum Jahr 2011 erreichen zu wollen. Damit verschieben Sie das Vorhaben in die nächste Legislaturperiode. Das ist viel zu spät - Herr Wend hat schon darauf hingewiesen -, weil man Sie dann nicht an Ihren Maßnahmen messen kann. Wir fordern Sie auf, klare Ziele zu benennen, damit Sie an Ihren eigenen Vorstellungen gemessen werden können.
Das jetzt vorgelegte Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz sieht 17 Maßnahmen vor - Sie haben die Zahlen vorhin genannt -; umgerechnet entspricht das einem Anteil von 0,075 Prozent am Abbau der Bürokratiekosten. Das sind noch nicht einmal Trippelschritte.
Wenn man den Blick auf Ihr gesamtes Handeln richtet, dann wird deutlich, dass Sie nicht nur auf der Stelle treten, sondern zurücklaufen.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wie sieht die Unternehmensteuerreform aus, über die zurzeit diskutiert wird? Sie schaffen drei Informationspflichten ab und legen 32 neue auf. Auf eine abgeschaffte Informationspflicht kommen also zehn neue.
Betrachtet man das alles im Zusammenhang, dann kommt man zu dem Schluss, dass nicht weniger Bürokratie, sondern mehr Bürokratie geschaffen wird. Herr Schauerte, Sie haben gesagt, Sie seien systematisch vorgegangen. Aber hier offenbaren sich die Schwächen Ihres Gesamtkonstrukts. Der von Ihnen eingerichtete Bürokratie-TÜV setzt sich - das ist ein zentrales Problem - eben nicht mit allen Gesetzen auseinander, wie Sie behauptet haben. Er setzt sich allenfalls mit den Gesetzen der Bundesregierung auseinander. Aber das, was aus dem Parlament kommt, wird gar nicht überprüft. Das heißt, Sie haben von vornherein die Hintertür, ein riesengroßes Scheunentor, aufgemacht.
Im Rahmen des von Ihnen gefeierten Standardkostenmodells werden nur die Informationskosten überprüft und nicht das, was Bürokratie an vielen anderen Stellen kostenintensiv macht. Sie alle kennen doch die Beispiele wie die von Ihnen ins Feld geführten Erleichterungen bei den Unternehmensgründungen und die Anforderungen für Kleinbetriebe, die, wenn sie mehr als zwei Beschäftigte haben, zwei getrennte Toiletten für Männer und Frauen einrichten müssen. Ich könnte diese Liste beliebig verlängern. Das alles kann man im Rahmen der Informationskosten nicht messen. Das ist eine unsinnige Bürokratie, die wir abbauen müssen.
Wir fordern deswegen, dass alle Gesetze überprüft werden und dass alle Bürokratiekosten auf den Prüfstand gestellt werden, nicht nur ein ganz kleiner Teil.
Das Problem ist, dass Sie zwar groß blinken - es ist Chefsache -, sich aber nicht wirklich an den Bürokratieabbau heranwagen. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel aus der letzten Zeit. Dieses Bürokratiemonster eines Gesundheitsfonds ist von Ihnen selber an keiner Stelle zur Debatte gestellt worden.
Deswegen fordert meine Fraktion im Zusammenhang mit dem Bürokratieabbau einen parlamentarischen Ausschuss - ähnlich dem Haushaltsausschuss -, der sich jedes Gesetz vornimmt und es nicht zulässt, dass sich die Bundesregierung die Rosinen herauspickt und letztendlich um die große Aufgabe drückt.
Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass es sich hier eher um redaktionelle Änderungen handelt. Ich will nicht sagen, dass die einzelnen Änderungen überflüssig sind; natürlich brauchen wir sie. Aber sie bringen uns nicht wirklich voran. Herr Glos hat gesagt, das Vorhaben sei ein Leuchtturm der Regierungstätigkeit. 0,075 Prozent - ich habe diese Zahl vorhin genannt -, das ist meiner Ansicht nach ein ziemlich schwaches Licht für einen Leuchtturm. Ich befürchte, dass Ihr Projekt Bürokratieabbau an den Klippen zerschellt, wenn Sie so weitermachen.
Schauen wir uns einmal genau an, was Sie uns alles vorgelegt haben. Herr Wend, Sie selbst haben eingeräumt - das finde ich gut -, es fehle einiges. Sie haben das Problem der Generalunternehmerhaftung angesprochen. Gestern haben wir über die Bauabzugsteuer gesprochen. Im Hinblick auf das Erreichen des Ziels, die Schwarzarbeit am Bau einzudämmen, müssen wir die entsprechenden Gesetze auf den Prüfstand stellen; denn anstatt Schwarzarbeit zu verhindern und Effekte zu erzielen, sorgen sie in der Praxis offenbar für mehr Bürokratie.
Wir müssen mehr und umfassend über den Bürokratieabbau nachdenken, und zwar auch über die großen Projekte, die Sie still und heimlich unter den Tisch fallen lassen wollen.
An die Adresse der FDP, die sich immer wieder an die Spitze der Bewegung stellen will, sage ich: Machen Sie doch mit bei der endgültigen Entschlackung der Handwerksordnung! Wir waren hier schon weiter.
An die Adresse der Regierung sage ich: Machen Sie doch mit bei der modernen rechtlichen Gestaltung des Schornsteinfegerwesens, anstatt das Gebietsmonopol in Deutschland - ein Schornsteinfeger für eine Region, das ist vorsintflutlich - fortzuschreiben, sodass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher heute noch immer nicht den Schornsteinfeger aussuchen können, den sie beauftragen wollen!
Das alles führt nur zu mehr unsinniger Bürokratie. Das ist auch kein Verbraucherschutz, und das ist auch nicht ökologisch, sondern das Gegenteil von all dem.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, Herr Kollege Hinsken würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, gerne.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Frau Kollegin Dr. Dückert, Sie gehören einer Fraktion an, die von 1998 bis 2005 an der Regierung war. Würden Sie mir bitte sagen, was speziell in dieser Zeit zur Entlastung insbesondere des Mittelstandes von Bürokratie unternommen wurde? Ich sage Ihnen gleich, wie ich es empfinde: Es ist fast nichts geschehen. Jetzt geißeln Sie - zu Recht - diese Bürokratiebelastung; aber wenn Sie damals schon etwas in die Wege geleitet hätten, dann hätte das dem Bürokratieabbau mehr gedient, und Sie könnten etwas glaubwürdiger vor uns reden.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege Hinsken, ich habe gedacht, dass Sie, wie sonst üblich, nach der Handwerksordnung fragen. Ich kann aufgrund Ihrer Geschichte verstehen, dass Sie genau dieses große Projekt des Bürokratieabbaus nicht geschätzt haben,
aber es war eines der größten Projekte zum Bürokratieabbau, die dem Mittelstand genutzt haben. Wir haben infolge dieser Verschlankung der Handwerksordnung erlebt, dass der Mittelstand mit Existenzgründungen und einem Boom von Neugründungen reagiert hat. Ich denke, etwas Besseres konnte man gar nicht tun.
Ich möchte zum Schluss kommen. Es ist sicher verdienstvoll, dass das Thema jetzt in den Überschriften steht. Es gibt einen irrsinnigen, historisch gewachsenen Dschungel von Vorschriften, an die wir heranmüssen. Die Strukturen müssen geändert werden. Ich habe die Stichworte genannt: Der Bürokratie-TÜV, der Normenkontrollrat, muss sich um alles kümmern, um alle Gesetze, die hier diskutiert werden. Wir brauchen einen Ausschuss im Parlament, der sich originär damit befasst. Es ist wichtig, alle Kosten der Bürokratie auf den Prüfstand zu stellen und alle unsinnigen Auswüchse zu beseitigen.
Wir brauchen ein Arbeitsgesetzbuch, um den kleinen und mittleren Betrieben in dem Dschungel der verschiedenen Gesetze einen Wegweiser an die Hand zu geben. Damit meine ich nicht - das sage ich auch in Richtung FDP - den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten. Das ist bei Ihnen immer das trojanische Pferd. Wir brauchen, gerade was das Steuerrecht anbelangt, auf EU-Ebene eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage. Das würde uns viel bei der unübersichtlichen Steuergesetzgebung helfen. Meine Redezeit reicht jetzt nicht aus, um Ihnen noch all die Ideen vorzutragen, die wir in den Diskussionsprozess einbringen werden. Ich freue mich darauf, im Ausschuss weiter darüber zu debattieren.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dückert, ich kann wirklich nicht alles nachvollziehen, was Sie hier von sich gegeben haben. Gerade die Grünen haben doch in vielfältiger Weise dafür gesorgt, dass die Bürokratie in Deutschland gewachsen ist. Ich habe von Ihnen bis jetzt wirklich kaum konkrete Vorschläge gehört, wo wir die Bürokratie, von der wir viel zu viel haben - da sind wir uns völlig einig -, abbauen können. Sie hatten sieben Jahre lang Zeit, das zu tun, was Sie hier vorgeschlagen haben. Ich habe aber in den sieben Jahren der letzten Legislaturperiode - das habe ich im Wirtschaftsausschuss erlebt - von Ihnen dazu gar nichts gehört. Ich frage mich wirklich, wo Ihre Glaubwürdigkeit bleibt, wenn Sie jetzt das fordern, was Sie hätten tun können, als Sie in der Regierung waren. Sehr interessant, aber nicht glaubwürdig.
Diese Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, Bürokratie abzubauen, und sie tut das in vielfältiger Weise. Wir haben ein erstes Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet. Jetzt liegt uns der Entwurf eines zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes vor. Wir sind selbstverständlich bereit, mit Ihnen zusammen zusätzliche Punkte in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Wir werden darüber auch in den Berichterstattergesprächen diskutieren. Jeder in diesem Hohen Hause ist eingeladen, sich daran zu beteiligen.
Wir haben einen Normenkontrollrat eingerichtet - auch das hätten Sie machen können; aber wahrscheinlich hatten Sie noch nicht einmal die entsprechenden Ideen -, und er hat viel schneller seine Arbeit aufgenommen als zum Beispiel das entsprechende Gremium in den Niederlanden, Actal. Bei uns läuft dieses System. Die Messverfahren werden bis zum Frühsommer dieses Jahres abgeschlossen sein.
Die Bundesregierung hat Ziele festgelegt. Ich bin mit dem Kollegen Wend völlig einig, dass diese Ziele nicht zu langfristig ausgelegt sein sollten; vielmehr sollten wir die Bundesregierung durchaus auffordern, Ziele festzulegen, die bis zum Jahre 2009 zu erreichen sind. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es innerhalb von zwei Jahren nicht zu einem Abbau um 25 Prozent kommen kann. Dennoch sollten die Ziele eindeutig formuliert werden.
Diese Bundesregierung tut konkret etwas für den Mittelstand. Sie labert nicht nur herum, sondern sie handelt. Beispielhaft dafür möchte ich nennen, was das Ministerium für Wirtschaft und Technologie und das Ministerium für Bildung und Forschung getan haben:
Handwerkliche und haushaltsnahe Dienstleistungen sind steuerlich besser absetzbar. Das hat jede Menge gebracht. Auf einmal ist zum Beispiel die Schwarzarbeit ein wenig zurückgegangen.
Diese Maßnahme hat also geholfen, und wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, diesen Weg weiterzugehen.
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bringt etwas. Es gibt schon heute in Deutschland große Probleme, Sanierungsmaterialien zu bekommen. Beispielsweise sind Dachlatten mittlerweile ein Mangelprodukt - ich kann das nicht nachvollziehen -; sie werden jetzt aus Litauen importiert. Anscheinend funktioniert das so gut. Frau Zimmermann, das, was Sie gerade von sich gegeben haben, waren die üblichen Sprüche, die man von der Linken hört. Dies entbehrt jeglicher gründlicher Recherche. Gerade den mittelständischen Handwerksbetrieben geht es aufgrund der Maßnahmen dieser Bundesregierung so gut wie seit langer Zeit nicht mehr.
Die Existenzgründungsoffensive hat etwas gebracht. Wir haben die Förderungen neu gestaltet. Auch das ist richtig. Wir haben die Internetplattform Startothek geschaffen. Frau Dückert, all das hätten Sie ebenfalls machen können.
Wir straffen jetzt das Außenwirtschaftsgesetz, und wir werden dafür sorgen, dass die Mittelständler vermehrt in Auslandsmärkte eintreten. Genau das ist notwendig; denn der heimische Markt allein ist auch für viele Mittelständler mittlerweile zu klein.
Wir haben eine Hightech-Strategie entwickelt, die bis zum Jahre 2009 mit immerhin 15 Milliarden Euro unterlegt ist. Wir müssen versuchen, dafür zu sorgen, dass in Deutschland neue Produkte auf den Markt kommen. Diese Produkte müssen hier also nicht nur erdacht, sondern auch hergestellt werden.
Das ist eine Strategie dieser Bundesregierung. Ich halte sie für sehr richtig.
Last, but not least: zwei ganz wichtige Reformen. Wir werden eine Unternehmensteuerreform durchsetzen.
Ich hoffe, wir sind uns darüber einig, dass es darüber keine Diskussionen geben sollte. Das gehört zur Glaubwürdigkeit unserer Politik.
Genau so gehört es zur Glaubwürdigkeit unserer Politik, dafür zu sorgen, dass der Unternehmensübergang im Erbfall vernünftig geregelt wird. Wir haben den Entwurf eines Unternehmensnachfolgegesetzes in der Pipeline. Dieser Entwurf muss schnellstmöglich ins Parlament. Wir haben den Unternehmen nämlich zugesagt, dass dieser Gesetzentwurf innerhalb kurzer Zeit beraten wird und zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt. Deswegen werden wir uns mit diesem Gesetzentwurf intensiv beschäftigen. Es muss auf diesem Sektor weitergehen.
Selbstverständlich hat das Auswirkungen. Lassen Sie uns doch ganz einfach einmal die aktuellen Zahlen anschauen. Gestern hat die Bundesagentur bekannt gegeben, dass wir 822 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr haben. Die ?Bild“-Zeitung, die ja nicht unbedingt ein regierungsfreundliches Blatt ist, lobt das erste Mal die Bundeskanzlerin, und zwar völlig zu Recht. Nicht nur, dass es 822 000 Arbeitslose weniger gibt; es sind innerhalb von einem Jahr auch 455 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen worden. Darauf können wir stolz sein.
Ich bin ziemlich sicher: Wenn der Kollege Brüderle heute Wirtschaftsminister wäre, dann hätte er vor lauter Kraft kaum bis zum Rednerpult laufen können.
Der Chef der Bundesagentur spricht von einem ?Bilderbuchaufschwung“. Er sagt auch, dass das nicht nur mit der milden Klimasituation zu tun hat, sondern dass das ganz klar Folgen des Wirtschaftsaufschwungs sind.
Deswegen möchte ich eine Forderung an uns, an die Regierungsfraktionen, stellen. Bei diesen exzellenten Zahlen, die wir aus Nürnberg bekommen, sollten wir überprüfen, damit das nämlich so weitergeht, ob wir nicht den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter senken können. Für uns muss das Ziel sein, die Lohnzusatzkosten weiter zu senken. Wir können wahrscheinlich sehr bald - der Meinung bin ich - auf einen Beitragsatz von 3,5 Prozent kommen; das sollten wir zumindest anstreben.
Herr Kollege Wend, es gibt ja in vielerlei Hinsicht zusätzliche Belastungen. Diese haben nichts mit der jetzigen Situation, mit der Gesundheitsreform zu tun; sie resultieren aus den Altlasten. Die Belastungen sind groß. Die AOK Rheinland-Pfalz hat den Beitragssatz zur Krankenversicherung um 2,2 Punkte erhöht. Wir müssen versuchen, meine ich, jeden Freiraum zu nutzen, um zu weiteren Absenkungen zu kommen. Deswegen muss die politische Forderung hier ins Haus, in der Arbeitslosenversicherung jeden Spielraum zu nutzen, um das Geld denjenigen zurückzugeben, die gezahlt haben, nämlich den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Arbeitgebern.
Ich halte es für notwendig, dass wir auf dem Weg des Bürokratieabbaus weitermachen. Wir werden ein drittes Mittelstandsentlastungsgesetz brauchen. Wir alle, alle Frauen und alle Männer, sollten darüber nachdenken, was dort zusätzlich aufgenommen werden kann; denn wir können nicht warten, bis der Normenkontrollrat alle diese einzelnen Punkte abgearbeitet hat.
Für mich gehört auch dazu, dass wir dem Mittelstand Glaubwürdigkeit vermitteln - Glaubwürdigkeit durch eine vernünftige Steuerreform, Glaubwürdigkeit durch eine vernünftige Erbschaftsteuerreform, aber auch Glaubwürdigkeit, was die Diskussion über das berühmte Thema Mindestlöhne angeht. Ich halte den Ansatz von Bundeswirtschaftsminister Glos genauso wie Sie, Herr Kollege Wend, für richtig. Ich ärgere mich darüber, dass beispielsweise Gewerkschaften so tun, als wäre es ein Skandal, wenn da so geringe Mindestlöhne vereinbart werden. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal herauszusuchen, wer denn diese Löhne vereinbart hat. Bei der Friseurinnung in Sachsen war es die Gewerkschaft Verdi, die den Tarifvertrag mit 3,82 Euro abgeschlossen hat - ich habe den Tarifvertrag dabei und kann Ihnen das zeigen, wenn Sie mir nicht glauben - und ihn obendrein auch noch für allgemeinverbindlich in Sachsen hat erklären lassen. Ich spreche Herrn Bsirske die Berechtigung für sein permanentes Gejaule ab. Das kann nicht angehen.
Auf der einen Seite zu sagen, das würde man nicht zulassen, und auf der anderen Seite solche Tarifverträge abzuschließen, das halte ich schon für sittenwidrig.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wend?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Aber selbstverständlich.
Dr. Rainer Wend (SPD):
Herr Kollege Fuchs, stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Gewerkschaft Verdi den Tarifabschluss, den Sie kritisieren, möglicherweise nicht deshalb getätigt hat, weil sie glücklich darüber war, zu nur gut 3,80 Euro abschließen zu können, sondern deshalb, weil die Kräfteverhältnisse so waren, dass es ihr nicht möglich war, zu anderen Abschlüssen zu kommen? Solche Abschlüsse sind ja immerhin noch besser, als wenn die Lohngestaltung völlig ungeregelt bleibt. Wäre das nicht ein gutes Argument dafür, dass sich der Gesetzgeber fragen muss, ob er bei der Entlohnung gerade im unteren Lohnbereich nicht hilfreich sein muss?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Lieber Herr Kollege Wend, wenn eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt - ich habe selber über viele Jahre Tarifpolitik gemacht und viele Tarifverträge persönlich unterschrieben -, dann ist das immer ein Ausbalancieren der Situation, dann hat das immer auch etwas mit der Produktivität in den einzelnen Bereichen zu tun. Wenn man sagt, dies sei als Tariflohn nicht in Ordnung, ist es meines Erachtens angezeigt, nicht zu unterschreiben.
Niemand hat Verdi gezwungen, einen solchen Vertrag zu unterschreiben.
Tarifverträge sind keine Versailler Verträge, sondern werden ausgehandelt.
Wenn die Gewerkschaft das unterschreibt, dann hat sie es auch zu verantworten. Diese Verantwortung erfordert es dann auch, dazu zu stehen und nicht so zu tun, als gäbe es das nicht.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns bitte gemeinsam auf diesem Sektor weitermachen! Lassen Sie uns bitte gemeinsam weiter versuchen, Bürokratie abzubauen und den Mittelstand zu entfesseln! Er dankt es uns, und er wird uns zusätzliche Arbeitsplätze bescheren; denn er ist der Jobmotor Nummer eins in Deutschland.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Martin Zeil, FDP-Fraktion.
Martin Zeil (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum einen ist von der Machete für den Dschungel die Rede, die anderen sprechen von Leuchttürmen. Herr Staatssekretär Schauerte, es ist sehr interessant, dass Sie verbal etwas abgerüstet und uns auf die ganz kleinen und zaghaften Schritte in diesem Gesetz eingeschworen haben. Ich glaube, damit haben Sie die Wahrheit besser getroffen als mit den ewigen großen Worten und Ankündigungen.
Es ist gut, dass nach der Vorgabe der Trippelschrittpolitik jetzt wenigstens einige von meiner Fraktion seit Jahren geforderte Schritte in dem Gesetz enthalten sind: Entlastung der Existenzgründer, Vereinfachung der Bilanzierungspflichten und die Einführung der Datenübertragung für Arbeitgeberbescheinigungen. Das alles sind gute Beispiele für kleine Schritte, die Sie wegen des offenbar vorhandenen geistigen Tempolimits in der Koalition vor Kurzem aber noch abgelehnt haben.
Werfen wir doch einmal einen Blick auf die nüchternen Zahlen: Eine Entlastung in Höhe von 60 Millionen Euro ist schon genannt worden. Die Gesamtbelastung liegt bei etwa 50 Milliarden Euro. Wenn Sie in diesem Tempo pro Gesetz weitermachen und man berücksichtigt, dass Sie eine Kostensenkung von 25 Prozent erreichen wollen, dann erkennt man, dass Sie möglicherweise mit dem 125. Mittelstandsentlastungsgesetz am Ziel sein werden.
Sie schreiben schöne Worte:
Unnötige Bürokratie und Überregulierung behindern unternehmerisches Engagement und wirtschaftliche Dynamik.
Niemand würde Ihnen da widersprechen. Im konkreten Teil machen Sie aber nicht entschlossen weiter. Dadurch erzielen Sie auch keinen spürbaren Effekt. Die Vorschläge liegen ja vor. Sie sprechen von Offenheit im Verfahren. Allein der DIHK hat 66 Vorschläge vorgelegt, die erneut weitgehend unberücksichtigt bleiben. Ich will einige Beispiele nennen:
Erstens. Warum führen Sie bei der Buchführungspflicht denn nicht die Millionengrenze ein?
Zweitens. Die Unternehmens- und die Erbschaftsteuerreform sind schon genannt worden. Hier deutet sich an, dass alle Grundsätze der Steuervereinfachung und der Entbürokratisierung über Bord gehen werden. Es zeichnet sich ab, dass gerade die Personengesellschaften zwar ihren Beitrag zur Gegenfinanzierung leisten, von den tollen steuerbegünstigten Gewinnrücklagen und den Ansparabschreibungen aber kaum profitieren werden. Hier gibt es keine Planungssicherheit, und hier fehlt der Impuls für unternehmerisches Engagement und wirtschaftliche Dynamik.
Drittens. Herr Kollege Wend, ich will auch noch etwas zum Arbeitsmarkt sagen. Es ist immer schön, wenn man sich die Pappkameraden gegenseitig vorhält. Sie werfen uns immer vor, wir wollten die Tarifautonomie und die Arbeitnehmerrechte abschaffen.
Finden Sie es denn wirklich richtig - wie neulich in Bayern wieder geschehen -, dass 230 Arbeitsplätze nicht gesichert werden konnten, weil es den Arbeitnehmern, die einer Vereinbarung mit 98 Prozent zugestimmt haben, nicht möglich war, ihre Rechte in die eigenen Hände zu nehmen?
Viertens. Auch hinsichtlich einer durchgreifenden Reduzierung der Statistikpflichten im Arbeits- und Sozialrecht herrscht Fehlanzeige. Sie begnügen sich letztlich mit einer Bonsai-Politik. Die Dinge werden nicht weitergetrieben.
Sie haben die 11 000 Informationspflichten genannt, und Sie schaffen neue. Zwischen dem Inkrafttreten des ersten Mittelstandsentlastungsgesetzes und dem des zweiten heute haben Sie allein mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der Gesundheitsreform wieder einen derartigen Bürokratieschub ausgelöst, dass Sie selbst das unternehmerische Engagement und die wirtschaftliche Dynamik behindern, die Sie so schön an den Anfang des Gesetzes schreiben.
Die beiden Entlastungsgesetze lassen sich so zusammenfassen: Die Bundesregierung versucht den Bürokratieabbau, aber kaum jemand merkt etwas.
Mit diesem Doppelspiel - einerseits Placebogesetze, andererseits mittelstandsfeindliche Maßnahmen in Hülle und Fülle - muss endlich Schluss sein. Ein engmaschiges Netz bürokratischer Regelungen liegt immer noch wie Mehltau über unserem Land.
Ludwig Erhard hat einmal gesagt: Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie. Erst wenn der Wirtschaftsminister dieses Vermächtnis erfüllt, wird er seiner Aufgabe gerecht.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion.
Christian Lange (Backnang) (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Fuchs, so einfach wie Sie kann man es sich nicht machen. Sie haben auf den Kollegen Dr. Wend nach dem Motto geantwortet: Wenn man bei den Tariflöhnen nichts anderes aushandeln kann, dann ist es eben so, oder man unterschreibt diesen Vertrag nicht. Ich denke, gerade wir als Abgeordnete, die wir nicht Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind, müssen uns fragen: Was wollen wir eigentlich? Ich sage Ihnen: Ich möchte - ich denke, auch die SPD möchte das -, dass die Menschen von ihrer Lohnarbeit leben können. Das muss doch das Ziel sein!
Wenn man das in der Tarifautonomie nicht mehr aushandeln kann, dann stellt sich in der Tat die Frage, ob wir dieses System um das Instrument des Mindestlohns ergänzen müssen.
Ich glaube, wir alle haben das Spektrum, in dem wir diese Bürokratiekostendebatte führen, hier erlebt. Auf der einen Seite ist da Die Linke. Ich war sehr überrascht darüber, was Sie hier gesagt haben. Sie haben die Abschaffung der Statistikpflichten für kleine Unternehmen als einen Angriff auf diese Unternehmen bezeichnet. Nehmen Sie eigentlich nicht zur Kenntnis, dass mittlerweile 4 bis 6 Prozent des gesamten Umsatzes von kleinen und mittleren Unternehmen in Bürokratie fließen? Behaupten Sie, das würde diese Unternehmen freuen? Ich kann mich nur darüber wundern, wie Sie sich hier eingelassen haben.
Auf der anderen Seite ist da die FDP, die nach wie vor auf klassischen Manchesterkapitalismus setzt und dies ein bisschen mit dem Thema Bürokratie bemäntelt.
Gerade Ihnen von der FDP sage ich noch einmal: Wissen Sie, was die Vorteile des Standardkostenmodells und des Normenkontrollrats auf diesem Weg, auf den wir uns jetzt begeben haben, sind? Wir sind aus der alten Diskussion heraus getreten, die aus den Schützengräben geführt wurde. Bei dieser Diskussion standen auf der einen Seite diejenigen, die die Arbeitnehmerrechte und die Tarifautonomie schleifen wollen. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die deregulieren wollen. Ein Grund dafür, dass Sie von der FDP in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gerade bei diesem Thema versagt haben, war der, dass wir uns in dieser Auseinandersetzung festgehakt haben. Erstmals gehen wir einen Weg dazwischen. Wir messen, was Dokumentationspflicht und was Berichtspflicht ist. Wir messen, was diese jeweils kosten. Dieses Thema anzugehen und hier etwas abzuschaffen, ist das Ziel. Zugegeben, wir machen kleine Schritte, aber wir machen die ersten Schritte, und das ist gut so. Diesen Weg werden wir fortsetzen.
Wir wissen, dass Bürokratieabbau mühsam ist. Mit diesem zweiten Bürokratieentlastungsgesetz haben wir für die Unternehmen 58 Millionen Euro und für die Verwaltungen 5 Millionen Euro freigesetzt. Das ist schon etwas!
Wir haben nun schon über vieles gesprochen. Jetzt will ich noch einmal den Fokus auf das Gesetzgebungsvorhaben selbst lenken. Ich meine, das lohnt sich. Ich will Ihnen sieben Beispiele dafür geben.
Erstens zu den Existenzgründungen. Wir haben Existenzgründer in den ersten drei Jahren von den statistischen Meldepflichten befreit. Davon sind 7 100 Existenzgründerinnen und Existenzgründer in Deutschland betroffen. Für diese Unternehmen bedeutet das eine geschätzte Entlastung von 1,2 Millionen Euro.
Zweitens zu den statistischen Erhebungen. Bei kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten werden statistische Erhebungen auf drei Stichproben pro Jahr beschränkt. Davon sind 625 Unternehmen betroffen. Das sind nicht viele, aber es geht in die richtige Richtung.
Drittens. Für 33 000 kleinere Dienstleistungsunternehmen wird die vierteljährliche Befragung entfallen. Das bedeutet für diese Unternehmen eine Kostenersparnis von 3,5 Millionen Euro pro Jahr.
Viertens zu einer besseren Strukturierung der Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern wird so bei der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur vereinfacht. Der Verwaltungsaufwand reduziert sich enorm. Davon sind jährlich rund 2 000 Förderfälle betroffen, bei denen die KMU-Betriebe zuletzt Investitionen in Höhe von insgesamt 2,7 Milliarden Euro ausgelöst haben. Es wurden rund 40 000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert.
Fünftens zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. In jährlich rund 900 000 Fällen werden Auskünfte über Gewerbetreibende von den Gewerbebehörden, die die Auskunftsersuchen noch manuell bearbeiten, auf die Finanzbehörden verlagert, die praktisch ohne jeden Zusatzaufwand auf automatisierte Verfahren zurückgreifen können. Auch hier gibt es Einsparungen von circa 2,2 Millionen Euro.
Sechstens. Die Vorausbescheinigung des Arbeitsgebers für die Rentenversicherung wird durch eine Sondermeldung im Meldeverfahren der Sozialversicherung ersetzt. Bei durchschnittlich rund 800 000 Vorausbescheinigungen pro Jahr ergibt sich aufseiten der Unternehmen eine Bürokratiekostenentlastung von rund 8 Millionen Euro.
Siebtes Beispiel: Vereinfachung der Auskunftsverfahren für Daten aus dem Gewerberegister. Damit entfallen Hunderttausende Auskunftsanträge ganz oder werden durch automatisierte Verfahrensabläufe erleichtert. Die dadurch geschätzte Gesamtentlastung für die Zukunft beläuft sich auf 42 Millionen Euro.
Es ist mühsam, und - das zeigen diese Details - es geht um das Kleine. Aber genau diesen Weg müssen wir gehen. Es ist genau das, was Existenzgründer, was kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe in Deutschland drückt. Wir ändern etwas daran. Dies sollten wir auch entsprechend würdigen.
Nun zu Ihnen, Herr Fuchs, und zu Ihren Vorschlägen in Sachen Generalunternehmerhaftung und Bauabzugsteuer. Die Generalunternehmerhaftung wurde 2002 für den Baubereich eingeführt. Demnach haftet der Hauptunternehmer dafür, dass Subunternehmer die Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Wir wollen - das ist Ziel des Gesetzes - erreichen, dass Sozialversicherungsbeiträge korrekt abgeführt werden. Ich finde, das ist ein richtiges Ziel. Ich nehme allerdings auch zur Kenntnis, dass in der ?FAZ“ vom 22. Januar zu lesen war, dass es in zwei Jahren nur etwa acht Haftungsbescheide gegeben hat und nur in einem Fall tatsächlich eingegriffen worden ist. Ich nehme das sehr wohl zur Kenntnis.
Auch mit der Bauabzugsteuer verfolgen wir ein, wie ich meine, wichtiges Ziel, nämlich den Umsatzsteuerbetrug zu verhindern. Die Auftraggeber von Handwerkern oder Baufirmen müssen die Umsatzsteuer auf der Handwerkerrechnung selbst direkt an das Finanzamt überweisen. Wir wissen, dass sich diese Regelungen nur über Freistellungserklärungen umgehen lassen. Diese wiederum erfordern einen hohen bürokratischen Aufwand der Unternehmen.
Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Warum, Herr Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung, lassen Sie diese beiden Gesetze nicht einmal vom Normenkontrollrat überprüfen? Wir halten an der Zielsetzung beider Gesetze fest, überlegen uns aber, ob es nicht einen besseren Weg gibt, zum gleichen Ziel zu kommen. Das entspricht dem, was wir uns vorgenommen haben und was der Normenkontrollrat prüfen soll: an dem Ziel festhalten, aber einen besseren Weg finden. Das wäre doch eine Aufgabe für den neuen Mittelstandsbeauftragten. Wir würden das unterstützen.
Lassen Sie uns den Weg weitergehen, Mittelstand und Handwerk zu entlasten, an den Zielsetzungen festzuhalten und zu überlegen, wie wir bessere Wege finden können, um es Handwerk und Mittelstand in Deutschland leichter zu machen, dadurch Existenzgründungen zu fördern, statt sie zu behindern. Ich denke, dann sind wir auf einem guten Weg.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Diether Dehm, Fraktion Die Linke.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle, bei Ihnen habe ich manchmal den Eindruck, dass Sie zwar ?Mittelstand“ sagen, aber eigentlich immer nur die Konzerne und Großbanken meinen.
Das zeigt sich darin, dass Sie die Erbschaftsteuer abschaffen wollen. Wir als Linke sagen: Setzen Sie die Erbschaftsteuer rauf, aber erhöhen Sie den Freibetrag, damit es die Kleinen nicht und die Mittleren weniger trifft.
Sie aber wollen die Erbschaftsteuer ganz abschaffen und damit den Milliardären und Konzernen, den Großaktionären helfen. Dafür nehmen Sie das schön klingende Wort ?Mittelstand“.
Weder in der EU noch in Deutschland gibt es einen einheitlichen Mittelstand. 1 Prozent der Unternehmen sind Großunternehmen, 1 Prozent sind mittelständische Unternehmen. 7 Prozent der Unternehmen haben bis zu 49 Beschäftigte. 91 Prozent sind Kleinstunternehmen mit bis zu 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es geht um diese Klein- und Kleinstunternehmen. Herr Fuchs, ich weiß manchmal nicht, ob Sie nicht sehr einseitig nur mit einer bestimmten Kategorie von Unternehmern verkehren, wenn Sie sagen: Denen geht es so gut wie nie. - Haben Sie noch nicht erlebt, dass es vielen Unternehmerinnen und Unternehmern im Handwerksbereich in Deutschland manchmal schlechter geht als Arbeitnehmern und es einigen so geht wie Hartz-IV-Empfängern?
Haben Sie die Menschen noch nicht kennengelernt, die überschuldet sind, dann ein Unternehmen halten wollen? Das ist ein entscheidender Punkt, mit dem sich Bürokratieabbau auseinandersetzen muss. Bürokratieabbau darf nicht zum Wortnebel werden, hinter dem die Abhängigkeit der Kleinunternehmen von Konzernen ungehemmt noch weiter verschärft wird.
Nehmen Sie einmal die Auto- und Elektronikkonzerne. Wo bleibt die Reparaturfreundlichkeit? Es gibt kaum noch Reparaturmöglichkeiten. Fertigteile werden irgendwo hergestellt, über Autobahnen oder Schifffahrtswege ins regionale Handwerk gebracht. Versuchen Sie einmal, einen elektrischen Fensterheber reparieren zu lassen.
Sie müssen gleich die Zentralverriegelung und die drei anderen Fensterheber mitreparieren lassen.
Wir müssen per Gesetz die Konzerne zwingen, damit das Handwerk mehr Freiheiten hat.
Wer den Konzernen nicht Freiheiten nimmt, kann den Kleinunternehmerinnen und -unternehmern nicht Freiheiten geben.
Nehmen Sie einmal die Abhängigkeit von den Großbanken. Haben Sie jemals versucht, als Kleinunternehmer ein Darlehen zu bekommen? Sie hätten da eine entwürdigende Bürokratie bei den Banken erleben können, auch bei den Sparkassen; denn auch diese stehen unter Druck, zum einen weil die öffentliche Hand dadurch, dass sich die Großbanken der Steuerpflicht entziehen, kaum Gelder mehr zur Verfügung stellen kann, zum anderen weil durch Basel II die Kreditvergabe so reglementiert wurde, dass man sagen kann: Ein Kleinunternehmer in Deutschland bekommt nur dann einen Kredit von einer Bank, wenn er ihr lückenlos nachweist, dass er keinen braucht.
Gerade die Kleinstunternehmer haben in den Bereichen der sozialen Sicherung ähnliche oder sogar identische Probleme und Interessen wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das gilt für die Alterssicherung, für die Krankenversicherung und für die Absicherung im Fall der Arbeitsunfähigkeit.
Die FDP hat zehn Punkte aufgeschrieben. Diese nützen nicht den Interessen des Mittelstands, sondern zielen darauf, den abhängig Beschäftigten zu schaden: Die Forderungen nach betrieblichen Bündnissen, nach Abbau des Kündigungsschutzes und nach dem Verzicht auf gesetzliche Mindestlöhne wenden sich direkt gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften. Die Forderungen nach Privatisierung der Daseinsvorsorge und dem als Reform bezeichneten Abbau der öffentlichen Sozialversicherungen haben mittelbar dieselbe Stoßrichtung.
Als Unternehmer weiß ich: Nicht ideologische Sprüche und blumige Sonntagsreden helfen den Kleinunternehmen aus dem Joch der Energiekonzerne, der Großbanken und der turbokapitalistischen EU-Pleitemaschine namens Dienstleistungsrichtlinie und Neoliberalismus.
- Selbstverständlich hat auch in folgendem Punkt der Kollege Wend recht; ihm habe ich schon vorhin im Zusammenhang mit den Monopolen zugestimmt: Die große Mehrheit derjenigen, die zum Mittelstand gezählt werden, haben keinen wirklichen Nutzen von den Vorschlägen der Koalition und der FDP.
Wir sollten nicht Zwietracht zwischen den Kleinunternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern säen, sondern mit gezielter Mehrwertsteuersenkung, mit gesetzlichen Mindestlöhnen, mit echten staatlichen Investitionsprogrammen dafür kämpfen, dass die Mehrheit der Menschen, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Kleinunternehmer, wieder mehr Geld in die Hand bekommt, damit mittelständische Dienstleistungen und Produkte auch gekauft werden können.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf Ihre Redezeit.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. - Vereinfachte frische Kredite, aber vor allem ein kräftiger Kaufkraftzuwachs, das ist das, was die Mehrheit der Arbeitslosen, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer und die Mehrheit des Mittelstandes dringend braucht.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr gehrte Damen und Herren! Herr Dr. Dehm, es ist eigentlich kaum zu glauben, dass Sie sich als Unternehmer, der Sie ja offensichtlich sind, hier hinstellen und zusätzliche staatliche Lenkung fordern.
Wir wollen Freiheit, keine staatliche Gängelung. Das ist unser Verständnis von Wirtschaftspolitik.
Ich begrüße es, dass wir uns in dieser Debatte auch intensiv über die Bedeutung des Mittelstandes und nicht ausschließlich über den Bürokratieabbau unterhalten. Die gestern bekanntgegebenen Arbeitslosenzahlen belegen die Fortsetzung des positiven Trends der letzten Monate beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Erstmals seit sieben Jahren gibt es im Februar einen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen und im Vergleich zum letzten Jahr 826 000 arbeitslose Menschen weniger. Diese positive Entwicklung wird maßgeblich vom deutschen Mittelstand getragen. Deutschland ist wieder der wirtschaftliche Gipfelstürmer in Europa. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos ist der Bergführer des Aufschwungs. So muss man das sehen.
Nicht nur die Arbeitslosigkeit geht zurück, auch die Ausbildungslücke wird deutlich kleiner. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt. Die Unternehmer und Handwerker investieren wieder. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der Kollege Fuchs hat die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen angesprochen. Ich glaube, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Ich denke, dass über eine Umsetzung des Vorschlags des Bundeswirtschaftsministers nachgedacht werden sollte, nämlich zukünftig nicht nur 20 Prozent von 3 000 Euro, sondern 25 Prozent von 4 000 Euro absetzbar zu machen. Das wäre ein richtiger Schritt, den man verfolgen sollte. Wenn wir die erkennbare positive Stimmung nachhaltig unterstützen wollen, müssen wir mehr Bürokratie abbauen, als wir das bisher getan haben.
Die Bundesregierung ist unter dem Motto ?Reformieren, investieren, Zukunft gestalten“ angetreten. Das heißt, dass wir die Probleme, die wir haben, jetzt lösen müssen und sie nicht in die Zukunft verschieben und auf die nächste Generation verlagern dürfen. Anders formuliert: Wir müssen das Zukunftsinteresse vor das Gegenwartsinteresse stellen. Das klingt vielleicht etwas kompliziert. Aber der eine oder andere unter den Zuhörern kennt vielleicht den Satz, der genau das ausdrückt, was ich damit meine, nämlich: Ich will, dass es meinen Kindern einmal besser geht als mir. - Das meine ich, wenn ich sage, dass das Zukunftsinteresse vor das Gegenwartsinteresse gestellt werden muss. Das ist die Politik, die wir vorantreiben müssen, um Wachstum und Beschäftigung auf hohem Niveau zu erreichen und Wohlstand und Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten.
Dazu gehört, die Belastungen der Wirtschaft abzubauen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt, dass Bürokratieabbau bis zu 600 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland bringen und neue Wachstumsimpulse setzen kann. Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz, wie wir es heute beraten, ist ein Meilenstein auf dem Weg dahin.
Damit ist das Ziel noch nicht erreicht - das ist heute auch schon angesprochen worden -; aber es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel.
Wenn Sie über Bürokratieabbau reden, können Sie feststellen, dass Ihnen drei verschiedene Reaktionen Ihrer Zuhörer entgegenschlagen: erstens Zustimmung. Die Menschen erkennen, dass es sich um ein wichtiges Anliegen handelt; denn viele sind persönlich sehr stark von Bürokratie betroffen. Zweitens gibt es Protest von einer Reihe von Menschen, die sagen, es gehe sowieso nicht vorwärts; seit Jahrzehnten werde über Bürokratieabbau geredet, aber es bewege sich nicht wirklich etwas; nur wieder einer mehr, der zu diesem Thema redet. Die dritte mögliche Reaktion, die zu erkennen ist, ist die gefährlichste: Spott. Inzwischen ernten wir bei dem Thema Bürokratieabbau auch Spott, weil viele Menschen den Eindruck haben, dass die Politik nicht mehr glaubhaft versichern kann, dass sie sich dem Bürokratieabbau wirklich widmet.
Umso wichtiger ist es, dass wir Ziele formulieren. Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass wir das Ziel des Abbaus um 25 Prozent, das das Kabinett diese Woche beschlossen hat, ernsthaft angehen. Ich stimme ausdrücklich dem Kollegen Fuchs und dem Kollegen Wend zu, die gefordert haben, dass wir ein Ziel formulieren, das wir bis zur nächsten Bundestagswahl erreichen wollen. Damit unterstreichen wir glaubhaft das, was wir den Menschen sagen: Wir machen Ernst mit Bürokratieabbau.
Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz bietet, glaube ich, Herr Staatssekretär Schauerte, wesentlich ambitioniertere Entlastungsmöglichkeiten, als in dem Gesetzentwurf aufgeführt wird. Ich glaube, dass die Entlastung sich nicht nur auf die genannte Summe belaufen wird, sondern eine Entlastungswirkung für die deutsche Wirtschaft von weit über 200 Millionen Euro entfaltet wird. Außerdem muss man auch immer wieder darauf hinweisen, dass mit dem Bürokratieabbau für die Betroffenen eine spürbare Erleichterung verbunden ist, die über den finanziellen Aspekt hinausgeht.
Sie haben angesprochen, dass die Existenzgründer in den ersten drei Jahren von den statistischen Meldepflichten befreit werden. Jetzt kann man sagen, das sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Über diese Selbstverständlichkeit diskutieren wir im Deutschen Bundestag seit Jahren.
Auch von der Vorgängerregierung ist sie nicht in Angriff genommen worden. Jetzt endlich wird hier ein Ergebnis erzielt. Die Entlastungswirkung wird für die circa 7 000 Unternehmen vor allem in der kritischen Phase des Aufbaus des Unternehmens spürbar, in der sich der Unternehmer zum Beispiel um die Kundenakquise kümmern muss. In dieser kritischen Phase hat eine Entlastungswirkung noch wesentlich mehr Bedeutung als zu einer späteren Zeit.
Herr Staatssekretär, Sie haben noch einen weiteren Punkt angesprochen. Für Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten wird es zukünftig eine Begrenzung auf maximal drei Stichprobenerhebungen geben. Das klingt vielleicht nicht allzu ambitioniert. Aber in der Praxis zeigt sich, dass es bei den Gutmütigen immer mehr wird, dass sich bei denen, die auf Anforderung einen Statistikbogen nach dem anderen ausfüllen und die sich nicht dagegen wehren, das Ganze häuft. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier wirksame Regelungen finden.
Herr Kollege Zeil, ich will noch auf einen Punkt eingehen, den Sie angesprochen haben. Sie haben gefragt, warum wir nicht mehr bei der Buchführungspflicht machen. Ich habe die entsprechende Stelle im Gesetzestext herausgesucht:
... wird die steuerliche Buchführungspflicht vereinfacht.
Im Nachgang zur Erhöhung der Umsatzschwelle für die steuerliche Bilanzierungspflicht von 350 000 auf 500 000 Euro im Ersten Mittelstands-Entlastungsgesetz erfolgt nun auch die Anhebung der Gewinngrenze von 30 000 auf 50 000 Euro.
Allein diese Maßnahme wird zusätzlich 200 000 Unternehmen in Deutschland entlasten, die zukünftig mit einer einfachen Einnahme-Überschuss-Rechnung auskommen. Wir haben es im Programm; wir haben es gemacht.
Wir sind diejenigen, die die Bürokratie weiter abbauen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Dr. Michael Bürsch (SPD):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die 90 Minuten dieser leidenschaftlichen Debatte zum Bürokratieabbau zusammenfassen soll, so stelle ich fest: Alle reden von Bürokratieabbau, aber viele verstehen darunter sehr Unterschiedliches. Ich will am Schluss der Debatte den Versuch machen, eine grundsätzliche Betrachtung über den Bürokratieabbau anzustellen und den Blick darauf zu weiten.
Wir müssen zwei Fragen beantworten. Erste Frage: Wo entsteht Bürokratie, wer sind die Verursacher, wer sind die Täter und die Opfer? Zweite Frage: Was können wir dagegen tun?
Ich danke Frau Dückert ausdrücklich für den hervorragenden Hinweis: In einem Rechtsstaat sind materielle Vorschriften, festgelegte Verfahren und Informationspflichten grundsätzlich ein unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaftsordnung. Das muss man als Ausgangspunkt deutlich formulieren. Wenn man manche Reden der FDP wörtlich nimmt, dann kommt man zu dem Ergebnis: Alle Steuern und alle Gesetze müssen weg; dann geht es uns wunderbar; das ist das Paradies auf Erden.
Aber so ist es nicht, Herr Brüderle.
Ich sage es einmal deutlich: Nicht Regulierungs- und Verwaltungsverfahren an sich sind das eigentliche Übel, sondern die Überdosierung sowohl inhaltlicher als auch verfahrensmäßiger Art, die dann zu zu viel Bürokratie führt.
Dieses Grundverständnis vorausgesetzt, will ich Ihnen nun erklären, wie Bürokratie entsteht. Wir haben heute Morgen im Grunde nur über Gesetze geredet und haben uns den Schuh angezogen, alle Schuld auf uns zu nehmen, indem wir von uns sagen: Wir sind die Täter, weil wir zu viele Gesetze schaffen. Ich sage Ihnen: Das ist eine sehr verkürzte Sicht. Sicherlich entstehen Bürokratie und Verwaltungsaufwand durch Gesetze und durch Standards, die wir setzen.
Ich gebe dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit, das zeigt, dass die Verwaltung zu Bürokratie beiträgt, nämlich die Fahrradverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 17. Januar 2006. Dort wird der wunderbare Versuch unternommen, ein Fahrrad zu definieren:
Fahrräder … sind alle Fahrzeuge mit mindestens zwei Rädern, die durch die Muskelkraft des Fahrers oder der Fahrer mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln angetrieben werden.
Kinderfahrräder, Kinderroller und ähnliche nicht motorbetriebene, zum Gebrauch durch Kinder bestimmte Fortbewegungsmittel sind nicht Fahrräder im Sinne dieser Verordnung.
Das ist wunderbar; das schafft Klarheit. So muss es aber, ehrlich gesagt, nicht sein.
Ein Beispiel muss auch die Bundesregierung ertragen.
Ich möchte darauf hinweisen: Das ist noch lange nicht alles, was uns an Bürokratie täglich und monatlich überzieht. Denn wenn Sie den Blick etwas weiter schweifen lassen, stellen Sie fest: Es gibt viele Überregulierungen, die nicht auf staatlicher Initiative oder gesetzlicher Gestaltung beruhen, zum Beispiel die Vorgaben der Berufsgenossenschaften, das Regelwerk zwischen Krankenkassen und Ärztevereinigung im Gesundheitswesen oder das, was sich die verschiedenen nationalen und internationalen Normgremien, die Fachbruderschaften, ausdenken. Daran ist keiner von Ihnen, keiner von den Kolleginnen und Kollegen, also kein Gesetzgeber, sondern daran sind Menschen aus dem Handwerk und der Wirtschaft beteiligt.
Die rund 20 000 DIN-Normen reichen von der einheitlichen Kennzeichnung von Lineaturen in Schulheften - das ist die DIN 16552-1 - über Prüfnormen für den Knieschutz bis zum IT-Management. Das Europäische Komitee für Normung hat 2006 sehr stolz verkündet: Wir haben den zehntausendsten europäischen Standard erreicht, nach dem Motto: Hoch lebe der genormte Krümmungswinkel der Banane! Auch das sollte man bei der Gesamtbetrachtung bitte im Auge haben.
Ich weite den Blick noch etwas: Wir Bürger reden gerne darüber, dass wir uns über die Verwaltung ärgern. Aber tragen wir nicht selber dazu bei, indem wir zum Beispiel größten Wert auf Einzelfallgerechtigkeit bei allen möglichen Entscheidungen legen? Ich denke zum Beispiel an den Fall, dass ich kritisiere, wie ein Lehrer meine Tochter oder meinen Sohn beurteilt hat, und damit vor Gericht gehe und mir von vielleicht drei Instanzen bestätigen lasse, ob die Vier minus richtig war oder nicht. Auch diese Mentalität spielt bei uns Bürgerinnen und Bürgern eine Rolle. In die Gesamtbetrachtung sollte man also auch die Gerichte einbeziehen.
Ich möchte auf Folgendes hinweisen, wenn wir von Bürokratie, zu großem Verwaltungsaufwand, von Überdosierung und Verwaltungsanforderungen sprechen: Es gibt sicherlich den Täter Gesetzgeber; aber es gibt sehr viele mehr, die davon betroffen und nicht nur Opfer sind. Angefangen von der Verwaltung über die Wirtschaft bis hin zu uns Bürgerinnen und Bürgern sind wir an dem Gesamtkunstwerk ?Bürokratieaufbau“ mitbeteiligt.
Zur zweiten Frage: Was ist zu tun? Der Staat - damit fängt es an - sollte seinen Anspruch auf Allzuständigkeit und Vielfachkontrolle aus meiner Sicht aufgeben. Nicht für jede staatlich reglementierte Lebenssituation muss der Staat ein eigenes Testat ausstellen. Muss zum Beispiel ein öffentlich bestellter Schornsteinfeger die Feststellungen eines geprüften Heizungsbauers noch einmal prüfen und dann bestätigen? Muss ein Statiker des kommunalen Bauamtes jeweils die Ergebnisse eines diplomierten Statikers testieren? Das ist, glaube ich, bei deutscher Übergründlichkeit nicht nötig.
Die Wirtschaft - um diese Adresse zu nennen - könnte nach meinem Verständnis viel stärker Eigenverantwortung übernehmen, zum Beispiel durch freiwillige Selbstverpflichtung. Wir müssen der Wirtschaft doch nicht alles par ordre du mufti vorgeben. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit außergerichtlicher Interessenausgleichsverfahren. Es gibt freiwillige Vereinbarungen zur Feinstaubminderung, zur Altautoentsorgung. Es gibt Audits, das heißt selbstangelegte Überprüfungen im Datenschutz und an anderen Stellen. Ich werbe sehr dafür, dass diese Instrumente der freiwilligen Übernahme von Verpflichtungen viel stärker genutzt werden.
Schließlich wieder an unsere eigene Adresse gerichtet: Wir Bürgerinnen und Bürger könnten manches viel mehr als bisher in Selbstorganisation und Eigenverantwortung übernehmen. Das bedeutet allerdings, dass wir an manchen Stellen nicht so sehr darauf pochen, welche Rechte wir haben und dass wir auch noch bis in die letzte Instanz Recht bekommen. Vielmehr sollten wir auch ein paar Pflichten übernehmen und uns zum Beispiel selber zusammentun, um Missstände zu beseitigen.
Auch die Gerichte könnten ihrerseits das Prinzip der Selbstbeschränkung entdecken. Es gibt auch für Gerichte die Möglichkeit, zu sagen: Nein, darüber entscheiden wir nicht. Wir gehen nicht noch in die letzte Verästelung einer Prüfungsentscheidung oder einer dienstlichen Beurteilung.
Ich werbe sehr dafür, dass die Verwaltung ihre Aufgabe stärker darin sieht, Ermessensspielräume auszunutzen, und dass sie nicht den ?Doktor Kontrolletti hoch drei“ an den Tag legt. Wir könnten sehr viel mehr Bürokratieabbau erreichen, wenn aufseiten der Verwaltung erkannt wird: Ich muss nicht eine doppelte und dreifache Kontrolle in jede Verästelung hinein vorsehen. Ich begreife mich nicht als Verwalter, sondern als Gestalter der öffentlichen Dinge. Das ist vielleicht eine Art neue Verwaltungskultur. Aber ich sage Ihnen: Es geht.
Wo dies besonders eine Rolle spielt, ist der Bereich, der mich sehr beschäftigt: der Bereich des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen Engagements. Ich könnte Ihnen Hunderte, Tausende von Fällen nennen, Ihnen sieben, acht, zehn Aktenberge auf den Tisch legen, um Ihnen zu zeigen, welche Hürden es in dem Bereich des Ehrenamts, des freiwilligen Engagements, gibt, die wirklich nicht nötig sind. An dieser Stelle appelliere ich ausdrücklich an die Verwaltung, zu erkennen: Ich kann das entscheiden. Niemand wird mich festnageln oder mir einen Schadenersatzprozess an den Hals hängen, wenn ich zugunsten des Engagements weniger bürokratisch entscheide.
Fazit von alledem: Der Abbau von Bürokratie ist nicht allein Sache des Gesetzgebers, obwohl auch er gefordert ist. Einiges ist auf den Weg gebracht worden. Heute ist viel von Bonsais, Bergführern, kleinen und größeren Leuchttürmen gesprochen worden. All das ist richtig. Auf diesem Wege muss es vorangehen. Genauso richtig finde ich den Normenkontrollrat.
Das Gesamtprojekt betrifft aber die Gesellschaft, den Staat und die Wirtschaft. Wir müssen zusammenwirken. Das ist eine Gesamtaufgabe. Ich stelle mir vor: Wir könnten gemeinsam eine Leitlinie für das Gesamtprojekt Bürokratieabbau ausgeben, nach dem Motto von Konfuzius: ?Wer etwas will, sucht Wege, wer etwas nicht will, sucht Gründe.“ Es wurden genug Wege beschrieben. Also: Bürokratieabbauer aller Länder, vereinigt euch!
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/4391 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 24 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf der Drucksache 16/1070. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/557 mit dem Titel ?Neue Impulse für den Mittelstand“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/562 mit dem Titel ?Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für eine Politik der gleichberechtigten Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern
- Drucksache 16/4414 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung unterstützen
- Drucksache 16/4425 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Dr. Norman Paech, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für eine Afrikapolitik im Interesse der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit
- Drucksache 16/4410 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesaußenminister, Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gründe für eine Afrikadebatte in diesem Hause gibt es reichlich. Ich freue mich, dass die Fraktionen des Deutschen Bundestages Anlässe für eine solche Debatte geschaffen haben. Ich bin Ihnen dankbar dafür. Ich bin Ihnen dankbar, dass wir die Debatte jetzt führen; denn 2007 ist in der Tat ein wichtiges Jahr für Afrika. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Ghana fast auf den Tag genau vor 50 Jahren unabhängig geworden ist und damit einen historisch einmaligen Prozess der Dekolonialisierung, und zwar unumkehrbar, eingeleitet hat.
Schauen wir heute auf dieses Land: Ghana zeigt gerade mit der Bereitschaft, den Vorsitz in der Afrikanischen Union zu übernehmen, seine Entschlossenheit, auch künftig als Pionier in Afrika voranzugehen. Das, was wir jetzt sehen, ist in diesem Jahr wichtig. In diesem Jahr haben wir allein in Westafrika bis zu elf Wahlen vor uns, darunter die ganz besonders wichtige Präsidentschaftswahl in Nigeria, die ganz sicher - egal wie sie ausfallen wird - Signalwirkung für den gesamten Kontinent haben wird.
Ich betone das, weil ich denke, dass der vor uns liegende Wahlkalender in Afrika eines zeigt, nämlich dass Demokratisierung und politische Entwicklung unseres Nachbarkontinents viel weiter sind, als wir in Europa das manchmal wahrhaben wollen.
Ich sage das, obwohl ich die Probleme kenne: Elend und Bürgerkrieg in manchen Regionen dieses Kontinents. Aber es gibt eben auch die positiven Zeichen. Ich erinnere mich, dass Thabo Mbeki Ende der 90er-Jahre eine ?Afrikanische Renaissance“ gefordert hat. Ich erinnere mich, wie viele darüber gelächelt haben. Was damals noch als Träumerei galt, ist heute in vielen Teilen Afrikas politische Realität geworden. Sie kennen das Engagement vieler afrikanischer Staaten in der Entwicklungspartnerschaft NEPAD, in der sie zeigen, dass sie sich zu mehr Demokratie und Transparenz verpflichten. Sie haben den Prozess der letzten Jahre mitverfolgt, in dem sich die Afrikanische Union mehr und mehr zu einer handlungsfähigen Gemeinschaft entwickelt hat.
Was zeigt das? Afrika hat sich aus meiner Sicht auf der Weltbühne zurückgemeldet - nicht nur als bloßer Empfänger von Entwicklungstransfers, sondern als Mitgestalter unserer gemeinsamen globalen Zukunft. Ich nenne nur - Sie haben das aus jüngster Zeit in Erinnerung - die Gastgeberrolle Kenias beim Weltsozialforum Anfang dieses Jahres. Die Umweltpolitiker unter Ihnen erinnern sich an die Weltklimakonferenz Ende 2006. Mir liegt fachlich sehr viel näher die positive Rolle, die etwa Ghana und Südafrika im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde gespielt haben, auch und gerade bei der Behandlung des immer noch nicht gelösten Konflikts mit dem Iran.
Ich meine, all das zeigt: Die Staaten Afrikas wollen gestalten, nehmen das Leitmotiv ?African Ownership“ ernst und sind bereit, sich über ihren eigenen Kontinent hinaus aktiv einzubringen.
Was ich über die politische Entwicklung sage, gilt auch - vorsichtig gesehen - für die wirtschaftliche Entwicklung. Nach den Wachstumsraten, die seit zwei oder drei Jahren relativ stabil sind und sich in diesem Jahre offensichtlich so fortsetzen, können wir mit einem soliden Wirtschaftswachstum des afrikanischen Kontinents von im Durchschnitt immerhin 5 bis 6 Prozent rechnen. Ich weiß, dass ein Großteil dieses Wachstums auf die hohen Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Ich weiß auch, dass die Gründung von Wachstum nur auf Ausbeutung von Rohstoffressourcen seine eigenen Probleme mit sich bringt. Wirtschaftlich gesehen zeigen die Fakten: Afrika ist - Sie alle wissen das - für private Investoren interessanter geworden, zumal für asiatische und insbesondere für Investoren aus China.
Für die politische wie für die wirtschaftliche Zukunft Afrikas wird ganz entscheidend sein, dass der eben angesprochene positive Reformkurs fortgesetzt wird. Das gilt ganz sicher politisch und auch beim Ausbau der Bildung, bei dem wir viel helfen müssen. Es gilt aber auch wirtschaftlich; auch dort brauchen wir eine Fortsetzung der Reformen. Denn Sie alle wissen oder ahnen: Nur wenn es gelingt, dass ausländisches Kapital und ausländisches Know-how nach Afrika kommen, werden wir Armut auf diesem Kontinent wirksam und nachhaltig bekämpfen können.
Nur wenn das gelingt, dann wird die Jugend dieses Kontinents und damit die Hälfte der Einwohner Afrikas eine Zukunft in ihrem eigenen Land sehen. Nur dann können politische und wirtschaftliche Institutionen aufgebaut und erhalten werden, solche Institutionen, die in der Lage sind, Herausforderungen wie Aids, regionale und innerstaatliche Konflikte, Urbanisierung und Migration wirksam anzugehen und hoffentlich auch zu meistern. Meine Damen und Herren, wir in Deutschland bzw. in Europa insgesamt wollen Afrika auf seinem Weg in die Zukunft partnerschaftlich begleiten. Das sollte die Botschaft sein, die von der heutigen Debatte ausgeht.
Deutschland und die Europäische Union haben mit ihrem Engagement zur Absicherung der Wahlen im Kongo gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und die Partnerschaft, von der ich eben gesprochen habe, mit Leben zu füllen. Ich habe, als wir schon einmal über den Kongo diskutierten, gesagt: Eine nachhaltige Stabilisierung gerade der Region der Großen Seen wäre ein Meilenstein für die Entwicklung Afrikas insgesamt.
Natürlich müssen wir auch Gefahren und Krisenherde außerhalb dieser Region weiter im Fokus behalten. Es geht nicht nur um den Kongo. Wir unterstützen auch die Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, die Möglichkeiten der Afrikanischen Union im Sudan schlagkräftiger zu machen und sie mittelfristig mit den Anstrengungen der Vereinten Nationen zu verknüpfen. Die Europäische Union wird weitere Mittel freigeben bzw. freigeben müssen, damit die Finanzierung der AU-Kräfte sichergestellt werden kann. Am kommenden Montag werden wir im EU-Außenministerrat darüber beraten.
Natürlich werden wir die sudanesische Regierung anhalten müssen, sich viel stärker als bisher zu einer politischen Öffnung bereit zu erklären. Ich freue mich, dass mein ehemaliger schwedischer Kollege Jan Eliasson in dieser Region unterwegs ist und versucht, neue und jetzt endlich belastbare Absprachen und Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen und der Regierung zu treffen. Ich denke, wir sollten ihm bei seinem Bemühen auch von hier aus großen Erfolg wünschen.
Was ich über den Sudan gesagt habe, könnte ich in abgeschwächter Form auch über Somalia sagen. Wir haben uns in diesem Jahr erneut mit der Situation in diesem Land beschäftigen müssen. Hierzu sage ich: Militärische Präsenz allein wird die Probleme nicht lösen. Sie ist kein Ersatz für eine politische Lösung, die wir in diesem Land dringend brauchen.
Auch auf europäischer Ebene habe ich die Auffassung vertreten: Wenn wir, wie gerade geschehen, 15 Millionen Euro für die Bemühungen der Afrikanischen Union freigeben, dort einigermaßen stabile Verhältnisse sicherzustellen, dann muss das unter der Voraussetzung geschehen, dass die somalische Übergangsregierung bereit ist, den politischen Prozess bzw. den innerstaatlichen Versöhnungsprozess wirklich nachhaltig einzuleiten.
Gott sei Dank kann Deutschland in diesem Jahr aufgrund seiner EU- und G-8-Präsidentschaft ganz besondere Akzente setzen; Frau Wieczorek-Zeul wird dazu gleich aus der Perspektive der Bundesregierung berichten. In der Europäischen Union tun wir das, indem wir versuchen, in diesem Jahr endlich die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die in der Vergangenheit einem EU-Afrika-Gipfel im Wege gestanden haben.
Im Hinblick auf die internationalen Aktivitäten, die Sie alle beobachten, müssen Sie sich einmal vorstellen: Seit nunmehr sieben Jahren gab es zwischen der Europäischen Union und den afrikanischen Staaten keine Zusammenkunft auf Gipfelhöhe, also auf der Ebene der Regierungschefs. Die Gründe dafür sind bekannt. Wir versuchen nun intensiv, und zwar gemeinsam mit der nachfolgenden portugiesischen Ratspräsidentschaft, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wir wollen, dass in der zweiten Jahreshälfte, ungefähr im September, endlich ein solcher Gipfel möglich wird.
Schließlich komme ich auf die G-8-Präsidentschaft Deutschlands zu sprechen. Ganz bewusst haben wir sie unter das Motto ?Wachstum und Verantwortung“ gestellt. Wir werden mit besonderer Beachtung der afrikanischen Staaten - der afrikanischen Staaten, die als Leistungsträger gelten - die dortigen Reformprozesse unterstützen.
Wir wollen die Kapazitäten der Afrikanischen Union und der Regionalinstitutionen im Bereich Frieden und Sicherheit weiter ausbauen. Ziel ist aus außen- und sicherheitspolitischer Sicht, dass es uns langfristig gelingt, in Afrika eine umfassende eigene Sicherheitsstruktur zu schaffen.
Die Zeiten, in denen afrikanische Staaten als Bittsteller behandelt wurden, gehören - ich möchte sagen: Gott sei Dank! - der Vergangenheit an. Afrika, in all seiner Vielfalt und Dynamik, ist längst wichtiger Partner geworden. Ich bin überzeugt: In einer Welt, die immer stärker zusammenwächst, die sich zum globalen Dorf entwickelt, brauchen wir ein starkes, ein handlungsfähiges Afrika, ein Afrika, das gleichberechtigt und auf Augenhöhe wahrgenommen wird.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster, FDP-Fraktion.
Marina Schuster (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 900 Millionen Menschen, 54 heterogene Staaten, zwölf Minuten Redezeit für die FDP und sechs Minuten Redezeit für mich - das zeigt auch, dass Afrika, verglichen mit anderen Themen in der Politik, immer noch zu wenig Beachtung bekommt.
Deswegen begrüße ich es sehr, dass wir heute zu dieser Stunde, in der Kernzeit, diese Debatte führen.
Aktuell gibt es zahlreiche Herausforderungen: Denken wir an den Konflikt am Horn von Afrika, vor dem wir noch im Dezember gewarnt hatten; denken wir an die Lage in Darfur und an die Flüchtlingsdramen an den Südgrenzen der EU! Diese Konflikte zeigen, dass Afrika längst im Zentrum internationaler Interessen steht. Die Konflikte erhalten ihr teuflisches Potenzial meist im Windschatten ganz anderer Interessen: In Darfur geht es natürlich auch um Öl. In Somalia geht es um Sicherheitsinteressen, um den eritreisch-äthiopischen Konflikt. Im Kongo geht es seit Jahrzehnten um knappe, wertvolle Rohstoffe.
Die Bedeutung Afrikas in der Welt hat in den letzten Jahren zugenommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Afrikapolitik nicht immer nur mit einem rein entwicklungspolitischen Ansatz verfolgen.
Die hierzulande weitverbreitete Ansicht, dass Entwicklungshilfe und wirtschaftliches Engagement einen Gegensatz darstellen, hilft dem afrikanischen Kontinent nicht. Deutschland kann sein Engagement in Afrika ausbauen, politisch und wirtschaftlich. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung Afrika auf die Agenda gesetzt hat. Sie hat die einmalige Chance, sich stärker für die Lösung der Konflikte einzusetzen und dabei vor allem europäische und international abgestimmte Initiativen auf den Weg zu bringen. Doch leider besteht der Eindruck, dass schon innerhalb der Bundesregierung die rechte Hand nicht immer weiß, was die linke tut.
Es gibt wirklich positive Entwicklungen und Chancen auf dem afrikanischen Kontinent; Herr Steinmeier hat es ausgeführt. Wir sehen wieder erfreuliches Wachstum, Schritte zur Demokratie. Gerade im Süden und Westen des Kontinents gibt es wirklich viele Chancen. Wenn wir diese Prozesse genau anschauen und ganz ehrlich sind, dann müssen wir feststellen: Sie sind das Ergebnis von Wirtschaftsreformen im Innern und Investitionen von außen und einer Einbindung in den internationalen Handel.
Stellen wir also die beiderseitigen Chancen in den Mittelpunkt unserer Debatten! Die Bundesrepublik hat das vorhandene wirtschaftliche Potenzial in vielen Ländern Afrikas verschlafen, obwohl Deutschland insgesamt ein angesehener Partner ist. Ich meine, die Bundesregierung muss sich stärker als bisher für eine Verbesserung der Bedingungen für Investitionen deutscher Betriebe und Unternehmen in Afrika einsetzen und dabei auch gezielt für den Umweltschutz und für erneuerbare Energien werben. Denn hier liegt eine Menge Potenzial, in beiderseitigem Interesse.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung für Afrika ist nicht nur interessengeleitet - sie ist interessen- und werteorientiert. Die Verpflichtung zur Armutsbekämpfung, zur Konfliktprävention, zur Hilfe beim Kampf gegen Aids und Hunger und beim Umweltschutz - all das resultiert aus unserer natürlichen Verantwortung. Wir möchten auf dem Weg zur Stabilität, zu einer rechtstaatlichen Gesellschaftsordnung und einer freien und demokratischen Zivilgesellschaft Unterstützung zur Selbsthilfe leisten.
Mit dem höheren Stellenwert Afrikas gehen verstärkte Anstrengungen für diese Aufgaben vor Ort einher. Eine konkrete Forderung richtet sich an Sie, Herr Minister Steinmeier: Notwendig ist die entsprechende Ausstattung der deutschen Botschaften.
Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen. Die Rückzugspolitik, die wir bei den Botschaften in Afrika unter Rot-Grün erlebt haben, war - das muss deutlich gesagt werden - verheerend.
Die Ausstattung der Botschaften ist noch heute unzureichend. Wenn zum Beispiel eine deutsche Botschaft in einem afrikanischen Land mit drei politischen Mitarbeitern auskommen muss, in der französischen oder britischen Auslandsvertretung sind es hingegen zehn bis 14, dann bedeutet das, dass wir uns auf das Operative beschränken und dass das Konzeptionelle vernachlässigt wird.
Erlauben Sie mir abschließend noch eine Anmerkung zur politischen Zusammenarbeit. Die Afrikanische Union hat die Möglichkeit, sich langfristig zum politischen Zentrum Afrikas zu entwickeln. Der Aufbau und die finanzielle Absicherung der AU schreiten jedoch nur langsam voran. Wenn wir es mit dem Konzept des ?African Ownership“ ernst meinen, dann müssen wir die AU stärker als bisher unterstützen, und zwar finanziell, personell, beim Aufbau der Organisation und beim Know-how-Transfer.
Was die Sicherheitskomponente anbelangt, kann es nicht sein, dass wir die AU einerseits als ?security provider“ einsetzen wollen und sie dann andererseits im wahrsten Sinne des Wortes in der Wüste stehen lassen. Denn das unterminiert unsere Glaubwürdigkeit und die der AU.
Kofi Annan hat in seinen letzten Wochen als UN-Generalsekretär der deutschen Bundesregierung noch eine gewaltige Aufgabe mit auf den Weg gegeben. Er hat festgestellt, dass es für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents - insbesondere in Subsahara - entscheidend auf die deutschen Präsidentschaften ankommen wird, weil wir unsere Bemühungen intensivieren und bündeln müssen.
Ich wünsche mir, dass sich aus den verstärkten Bemühungen der deutschen Präsidentschaften spätestens in Heiligendamm ganz Konkretes ergibt, nämlich Taten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Mit den Worten ?Die Menschlichkeit der Welt entscheidet sich am Schicksal Afrikas“ hat Bundespräsident Köhler in seiner Vereidigungsrede am 1. Juli 2004 deutlich gemacht, welche zentrale Bedeutung Afrika nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Politik hat.
Das Bild Afrikas hat sich geändert. Zwar bestimmen Hunger, Armut, Unterentwicklung, Krieg und Bürgerkriege, zerfallende Staaten, Flüchtlingsströme, massive Menschenrechtsverletzungen und nicht zuletzt Aidsepidemien nach wie vor das Bild Afrikas. Das Bruttosozialprodukt aller Länder südlich der Sahara entspricht etwa dem Argentiniens. Von 51 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt liegen 42 in Afrika. Aber es gibt auch ein vorwärtsgewandtes, Optimismus ausstrahlendes und dynamisches Afrika. Deswegen besteht für uns die Gelegenheit, die bereits vorhandenen Ansätze für eine neue und echte Partnerschaft mit Afrika in einer neuen Qualität zu entdecken und weiterzuentwickeln.
Wir müssen uns von einem vom altruistischen Paternalismus geprägten Afrikabild hin zu einem strategischen Dialog mit Afrika entwickeln. Wir müssen einen strategischen Blick auf den Kontinent richten. Dabei sollten wir auch berücksichtigen, welch hohes Ansehen Deutschland in vielen Ländern Afrikas hat. Deutschlands Ansehen ist höher als das vieler anderer europäischen Länder, die immer noch mit ihrer kolonialen Vergangenheit in Verbindung gebracht werden. Dieses Ansehen sollten wir im Interesse Afrikas, im Interesse Europas und nicht zuletzt auch in unserem eigenen Interesse nutzen.
Wenn wir über die Asymmetrien im Handel sprechen, dann sollten wir darauf achten, den afrikanischen Staaten mehr Möglichkeiten zu bieten, auf unsere Märkte zu exportieren.
Wir sollten aber auch die afrikanischen Staaten ermuntern und ihnen helfen, selbst für ein geeignetes Investitionsklima zu sorgen.
Nach wie vor prägen Rechtsunsicherheit, Staatsgläubigkeit und Überregulierung die meisten Wirtschaftssysteme in Afrika. Traditionen belasten zudem die Entwicklung. Beispielsweise können in vielen Ländern Afrikas Frauen, auf deren Schultern häufig die Landwirtschaft ruht, das bewirtschaftete Land nicht erben mit der häufigen Folge, dass sie nach einem Erbfall verelenden und das Land brachliegt. Einige afrikanische Staaten - leider noch nicht genug - haben diese Defizite erkannt.
Die Integration in die Weltwirtschaft ist eine Voraussetzung für die Entwicklung Afrikas. Dabei sollten wir die afrikanischen Staaten ermuntern, sich stärker dem Aufbau regionaler Märkte zu widmen, als primär auf den notwendigen, jedoch nur mühsam zu erreichenden Abbau von Handelsbarrieren der industriellen Welt zu warten.
Ein wesentlicher Erfolg unseres Landes besteht darin, dass ein großer Teil unserer Exporte in die Europäische Union geht, dass also unsere wirtschaftliche Kraft und unser Wohlstand vor allem vom regionalen Handel abhängen. Ich finde, dieses Beispiel sollte auch in Afrika Schule machen.
Was gehört zu einem strategischen Blick auf Afrika? Ich will drei Punkte nennen: erstens die Sicherung des Friedens, zweitens Afrika als Partner bei der Gestaltung der Globalisierung sowie drittens Ressourcen- und Energiesicherheit.
Die große Gefahr besteht darin, dass die in weiten Teilen Afrikas herrschenden Konflikte über die Grenzen des Kontinents hinaus wirken und auch uns unmittelbar betreffen. Im Herzen Afrikas, an den Großen Seen, in Teilen Westafrikas und am Horn von Afrika ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine explosive Mixtur aus sozialer Verelendung, Werteverfall, wirtschaftlichem Niedergang, Rechtlosigkeit, politischem Zerfall und exzessiver Gewaltanwendung entstanden, die in ihren verheerenden Folgen der uns nur zu gut bekannten Entwicklung in Afghanistan in den 90er-Jahren ähnelt. Politische Instabilität sowie Armut und Hoffnungslosigkeit stellen eine große sicherheitspolitische Gefahr dar. Internationale Waffen - und Drogen - sowie kriminelle Kartelle und transnationale Terroristen machen sich diese Umstände bei Operationen, Rekrutierung und Finanzierung - Beispiele sind Blutdiamanten oder Coltan - zunutze und verschärfen diese Konflikte in ihrem Interesse.
Es gibt leider nach wie vor genügend Anzeichen dafür, dass Somalia und andere Konfliktregionen Afrikas nicht nur Quellen des transnationalen Terrorismus waren, sondern zum Teil noch sind. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Osama Bin Laden, bevor er nach Afghanistan ging, sein Terrornetzwerk vom Sudan aus geführt hat. Deshalb ist es richtig, dass wir den Aufbau des Terrorismusbekämpfungszentrums der AU in Algier unterstützen.
Es kommt insbesondere beim Aufbau der Sicherheitsstrukturen in Afrika auf das an, was man so schön African Ownership nennt. Am 31. Januar 2007 waren weltweit über 82 000 Polizisten und Soldaten im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen im Einsatz. Eine Rekordzahl! Davon waren allein in Afrika 55 000 Polizisten und Soldaten eingesetzt. Die afrikanischen Länder stellten 18 000 Polizisten und Soldaten für diese VN-Missionen zur Verfügung. Das ist ein beeindruckender Beitrag. Nichtsdestotrotz ist der Saldo Afrikas bei der Herstellung der eigenen Sicherheit - im Vergleich zu 55 000 auf dem afrikanischen Kontinent eingesetzten Polizisten und Soldaten die erwähnten 18 000 afrikanischen Soldaten und Polizisten - bedauerlicherweise negativ. Deswegen liegt es auch in unserem Interesse, in das Zentrum unserer Bemühungen den Aufbau und die Stabilisierung der entstehenden afrikanischen Sicherheitsarchitektur zu stellen.
Dabei steht die Afrikanische Union im Mittelpunkt, deren wichtigstes Organ der Friedens- und Sicherheitsrat ist, der im März 2004 seine Arbeit aufgenommen hat. Die westafrikanische ECOWAS ist die aus sicherheitspolitischer Sicht am weitesten entwickelte Regionalorganisation in Afrika. Sie hat wie keine andere Regionalorganisation in Mitgliedsländern militärisch interveniert, in denen gewaltsame Konflikte eskalierten, und entschlossen und eindeutig auf MiIitärputsche in Niger und Gambia sowie an der Elfenbeinküste und in Togo reagiert. Das heißt, es kommt ganz wesentlich darauf an, diese Sicherheitsarchitektur bei allen Defiziten, die sich zum Beispiel auch im Rahmen von AMIS im Sudan gezeigt haben, zu unterstützen. Dabei, Frau Kollegin Schuster, kommt es auch darauf an, dass zunächst einmal die Initiative von den afrikanischen Staaten selber ausgeht. Ich hatte eben den Eindruck, als wollten Sie in Ihrem Beitrag zuerst die Europäische Union und damit auch die Bundesregierung für die Schwierigkeiten in Darfur verantwortlich machen.
Es geht vor allem um African Ownership, was Voraussetzung für eine nachhaltige Friedenslösung ist, für die wir uns einsetzen. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, dass sich die Bundesregierung bei der Gründung des Kofi Annan International Peace Keeping Training Centre in Ghana engagiert und sich auch am Aufbau eines Krisenfrühwarnsystems am Sitz der AU in Addis Abeba beteiligt.
Der zweite Punkt ist die Gestaltung der Globalisierung. Wir dürfen angesichts der internationalen Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt-, Klima- und Sicherheitspolitik nicht vergessen: Afrika besitzt in internationalen Organisationen eine große Macht schon allein deswegen, weil es mit seinen über fünfzig Staaten ein hohes numerisches Gewicht in multilateralen Organisationen und Institutionen einzubringen hat, in denen das Prinzip ?One Country, One Vote“ gilt. Es ist aber auch wichtig, dass Afrika erkennt, dass es seine Rolle in diesen Institutionen besser koordinieren muss, und dass vor allem die Lösungen der Probleme, die nur in diesen internationalen Organisationen erreicht werden können, wie zum Beispiel die Konsequenzen der Erderwärmung oder die Fragen des Klimaschutzes, zuallererst Afrika zugutekommen; denn kein Kontinent droht so sehr unter der globalen Erwärmung zu leiden wie Afrika.
Der dritte Punkt betrifft die Rohstoff- und Ressourcensicherheit. Auch daran haben wir ein eigenes, elementares Interesse; denn wir legen Wert auf Diversifikation, und wir wollen unsere Abhängigkeit von Russland und auch von der notorisch instabilen Region des Nahen und Mittleren Ostens verringern. Dazu bietet sich ein Engagement in Afrika an, ein Engagement, das unseren Standards entspricht und dafür sorgt, dass es zu einer wirklich fairen Partnerschaft kommt und dass die Völker der Länder, die über diese Ressourcen und Energievorräte verfügen, tatsächlich von deren Exploration profitieren können.
In diesem Zusammenhang ist beeindruckend, was China in Afrika macht. Das ist aber auch ein Warnsignal; denn China unterläuft mit seiner Entwicklungszusammenarbeit unsere westlichen Standards von Good Governance. Ich selber habe auf einer Reise nach Afrika im letzten Jahr erlebt, dass afrikanische Regierungen händeringend darum bitten, dass sich Europa und insbesondere Deutschland stärker engagieren. In Kongo-Brazzaville habe ich den stellvertretenden Außenminister getroffen. Der Ton des Gesprächs war freundlich, aber was Europa anging, so war er leicht indigniert. Er fragte: Wann wird endlich wieder die deutsche Botschaft in unserem Land eröffnet? Wann endlich kommt es dazu, dass nicht nur hohe Diplomaten aus China, Nordkorea oder Iran sich um unser Land kümmern, sondern dass wir auch wieder Staatsekretäre und Minister aus Europa bei uns begrüßen können? - Dieses Land hatte zu dem Zeitpunkt, als ich es besuchte, die Präsidentschaft der Afrikanischen Union inne, spielte also gerade bei den Konflikten, mit denen wir uns nahezu wöchentlich auch hier im Bundestag beschäftigen, eine entscheidende Rolle.
Ein anderes Gespräch bei einem Besuch bei Außenminister Ping in Gabun hatte einen ähnlichen Ton. Dieser Außenminister war Präsident der 59. VN-Generalversammlung. Er berichtete mir, dass sein Land gerade einen großen, über Jahrzehnte laufenden Vertrag mit der Volksrepublik China über die Exploration von Eisenerz und über mehrere Straßenbauprojekte abgeschlossen hatte. Auch er fragte: Wo ist das Engagement Europas? Wo ist das Engagement des Westens? Wir hätten gerne mit euch Verträge abgeschlossen, wir hätten gerne mit euch kooperiert, aber die Angebote, die uns China macht, diese All-Inclusive-Pakete, gibt es von euch nicht. - Es fehlt also an Engagement und an staatlicher Unterstützung für eine echte wirtschaftliche Kooperation und eine auf Augenhöhe stattfindende Partnerschaft und Zusammenarbeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Das ist der letzte Satz, Herr Präsident. - Afrika strategisch zu begreifen und es wirklich zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe kommen zu lassen, ist das Ziel unserer Afrikapolitik.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Die Linke erhält nun das Wort der Kollege Aydin.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen behaupten in ihrem Antrag:
Im Bereich Frieden und Sicherheit sind in den vergangenen zehn Jahren deutliche Fortschritte gemacht worden.
Das ist reine Beschönigung. Ihnen selbst fallen mit Somalia, Elfenbeinküste, Äthiopien und Darfur bereits mehr heiße als gelöste kriegerische Konflikte ein. Viele andere Konflikte, wie jener im Nigerdelta Nigerias, werden von Ihnen gar nicht erst angesprochen. Der Grund ist einfach: Die Politik der G 8, darunter jene der Bundesregierung, trägt nicht wirklich zu dauerhaften Konfliktlösungen bei.
Fehler Nummer eins: Wenn Sie von Afrika sprechen, dann meinen Sie immer die Herrschenden in Afrika. Die kommen mit den neoliberalen Programmen der Weltbank und des IWF ganz gut klar. Denn häufig genug sind es Konsortien von afrikanischen und transnationalen Unternehmen, die von der erzwungenen Privatisierung des afrikanischen Staatsvermögens profitieren. So war es im Fall des tansanisch-deutsch-britischen Unternehmens City Water, das 2003 die Wasserwerke in der tansanischen Hauptstadt Daressalam übernommen hatte. Verlierer war die Masse der Bevölkerung, die mit enormen Preissteigerungen des Wassers zu kämpfen hatte.
Auffällig ist: Die reichsten Potentaten Afrikas waren immer auch die Lieblinge des Westens. So war es bei Kibaki in Kenia oder bei Mobutu in Zaire, dem heutigen Kongo. An dieser Politik hält die Bundesregierung weiterhin fest. So erfahren wir, dass der Innen-Staatssekretär Hanning mit den Geheimdiensten Algeriens gemeinsame Vereinbarungen zur Abwehr afrikanischer Flüchtlinge trifft. Leider erfahren wir nichts darüber, wie die humanitäre Situation der Flüchtlinge in den nordafrikanischen Lagern verbessert werden soll, geschweige denn, wie man endlich den Tod von Tausenden Afrikanern verhindern will, die von Woche zu Woche - vielleicht gerade in diesem Augenblick - auf hoher See ertrinken.
Sprechen wir es aus: Jedes Jahr sterben zehnmal mehr Menschen an den Mauern der Festung Europa als in 28 Jahren an der schrecklichen Berliner Mauer. Frau Merkel, Herrn Steinmeier, nutzen Sie die EU-Präsidentschaft und reißen Sie endlich ein Loch in diese Mauer der Schande!
Es muss endlich eine Lösung geben, wie Afrikaner auf legalem Weg nach Europa gelangen können.
Ja, es gibt auch Fortschritte in Afrika, zum Beispiel dort, wo Entwicklungsprogramme auf den Aufbau der sozialen Daseinsfürsorge und der Infrastruktur setzen. Das heißt: Fortschritte sind dort zu verzeichnen, wo die Entwicklungspolitik in der Praxis die Auswirkungen neoliberaler Strukturanpassungsprogramme bekämpft.
Nehmen wir Äthiopien als Beispiel. Dank der Wasser- und Sanitärprogramme der UNICEF ist die Kindersterblichkeit seit 1992 um 40 Prozent zurückgegangen. Doch noch immer sterben in Äthiopien zwölf von 100 Kindern in den ersten fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten. Dieses Leid ist keine Folge von Naturkatastrophen; es ist eine Folge der Armut, die der Weltkapitalismus unter anderem über Schwarzafrika gebracht hat.
Über 80 Prozent der Äthiopier leben von weniger als 1 Dollar pro Tag. In einem Land mit einer reichen Vegetation haben die meisten Menschen einfach nicht genug Geld, um sich ausreichend Nahrungsmittel zu kaufen. Die Folge ist, dass die Hälfte aller Kinder Äthiopiens an chronischer Unterernährung leidet. Ihr Immunsystem ist zu schwach gegen Durchfall- und Atemwegserkrankungen, an denen fast drei Viertel der betroffenen Kinder sterben.
Das heißt: Auf der einen Seite haben wir die UNICEF, die um das Leben der Kinder Äthiopiens kämpft. Auf der anderen Seite haben wir die USA und die EU, die die Regierung dieses verarmten Landes aufrüsten und zu einem militärischen Einmarsch nach Somalia ermutigen. Ist es das, was die Bundesregierung unter ?gleichberechtigter Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern“ versteht?
Jede Afrikapolitik muss sich daran messen lassen, was sie den Armen in Afrika bringt. Die vorgelegte EU-Strategie für Afrika setzt einseitig auf die Förderung privater Investitionen - als wenn das allein schon irgendetwas für die Bevölkerungsmehrheit bringen würde! Blicken wir auf die Investitionen im Bergbau, etwa im Kongo! Die illegale Ausbeutung der Ressourcen hat der Bericht einer parlamentarischen Kommission in Kinshasa wohl dokumentiert. Herr von Klaeden, das müssen Sie ja kennen. Von ihr profitieren sowohl zahlreiche internationale Konzerne wie auch kongolesische Warlords und Geschäftemacher. Doch obwohl der Bericht nun schon ein Jahr vorliegt, wird er von EU und Bundesregierung totgeschwiegen. Anders ausgedrückt: Die Bundesbürger zahlen mit Millionen einen Einsatz der Bundeswehr im Kongo, doch die krummen Geschäfte in dem Land werden ungestört weiterbetrieben.
Wenn es hingegen um den Schutz von Arbeitnehmern in Afrika geht, bleibt die Bundesregierung systematisch untätig. Gestern lag hier im Bundestag ein Antrag der Linken zur Ratifizierung des IAO-Übereinkommens über Heimarbeit vor. Dieses Übereinkommen soll die Regierungen in Entwicklungsländern dazu verpflichten, Mindeststandards einzuführen und wenigstens den Mutterschutz zu gewähren. Doch die Regierungsfraktionen stimmten dagegen. Sie signalisieren ihren reichen Freunden in den Regierungen der armen Entwicklungsländer: Sorgt dafür, dass bei euch die Heimarbeiterinnen weiter rechtlos bleiben! Denn das hilft, das Lohnniveau zu drücken, und zwar weltweit, unter anderem eben auch in Deutschland.
Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine Politik, die erstens Armut in Afrika bekämpft, zweitens keine Kriege zwischen den afrikanischen Staaten anzettelt
und drittens solidarisch für die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten in Afrika eintritt,
mit anderen Worten: das Gegenteil der Politik, wie sie die G 8 und die EU unter der deutschen Ratspräsidentschaft verwirklichen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem Lamento darüber, wie schlecht es in Afrika ist und dass der Kapitalismus daran schuld ist - die Welt stimmt also wieder -, will ich mit den positiven Signalen aus Afrika anfangen. Es ist in der Tat so, dass sich Afrika auf den Weg gemacht hat, auf den Weg zu einer politischen Gemeinschaft mit dem Anspruch auf Selbstständigkeit und dem Anspruch auf grundlegende Reformen. Das haben wir auch hier bisher viel zu wenig zum Thema gemacht.
Ohne Zweifel bleiben die Probleme in Afrika immens; viele haben das schon angesprochen. Auch für die Erreichung der Millenniumsziele sieht es sicherlich nicht gut aus, vor allem wegen Afrika-Subsahara. Doch die Gründung der Afrikanischen Union, der gesamte NEPAD-Prozess, die zunehmende Zahl demokratischer Regierungen - alles das sind wirklich positive Zeichen für einen Aufbruch. Es gibt auch volkswirtschaftliche Erfolgsgeschichten; ich nenne nur einmal Botswana. Auch das gehört zur afrikanischen Realität. Ich will jetzt einmal den Ausblick auf die Fußball-WM 2010 geben. Da wird die Welt dieses selbstbewusste Afrika des Aufbruchs kennenlernen, und das finde ich wirklich gut.
Wir haben Afrika gegenüber nicht nur entwicklungspolitische Verpflichtungen. Afrika ist auch ein Kontinent politischer Chancen. Da muss ich bei Ihnen, Herr von Klaeden, noch einmal einhaken. Bei allem, was China oder die Amerikaner oder Vertreter anderer Kontinente da machen, hat Afrika an Europa, an die Europäer immer noch die höchsten Erwartungen und die größten Hoffnungen. Das Problem ist, dass die Europäer - auch wir Deutsche - diese Chance nicht begreifen.
Immerhin reden wir alle jetzt - auch heute hier - von Partnerschaft: der Außenminister, die Kanzlerin. Vor allem der Bundespräsident hat sich der Sache angenommen. Das heißt, bei unserem Blick auf Afrika hat sich etwas getan. Ich glaube, es kommt darauf an, diesen Begriff der Partnerschaft durch eine konkrete Politik mit Leben zu erfüllen.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich will schon fragen: Wie kann man eine wirkliche Partnerschaft aufbauen, wenn bisher weder die Kanzlerin noch der Außenminister Afrika besucht haben - mit Ausnahme der Maghreb-Staaten - und Afrika immer hinten herunterfällt? Ich weiß, dass es gerade während der EU-Ratspräsidentschaft viele und wichtige Schwerpunkte gibt. Aber ich finde das schade, und wir müssen darauf achten, dass dieses Wort der Partnerschaft nicht zur Floskel verkommt.
- Ja, das können wir gerne tun. Sie werden dann sehen, dass das anders war.
Wenn wir von Partnerschaft reden, dann müssen wir auch selbst zum Politikwechsel bereit sein. Wie steht es mit der viel beschworenen Anhebung der ODA-Quote auf 0,7 Prozent? Wann sehen wir einen konsequenten Abbau der europäischen Agrarsubventionen, durch die die afrikanische Landwirtschaft ruiniert wird? Wann gibt es eine Änderung der EU-Fischereipolitik - der Bundespräsident hat neulich darauf hingewiesen -, durch die die Fischer Westafrikas arbeitslos gemacht werden? Mit unserer eigensüchtigen Agrar-, Fischerei- und Welthandelspolitik konterkarieren wir die Entwicklungspolitik in afrikanischen Staaten. So werden wir die Millenniumsziele in Afrika nicht erreichen.
Ich sage: Damit sind wir zu einem erheblichen Teil mit an dem schuld, was an Europas Grenzen passiert. Wie reagieren wir denn auf diese Migration? Wir tun das eben nicht mit dem Abbau dieser verheerenden Subventionspolitik, sondern mit einer aufgerüsteten EU-Grenzschutzagentur und mit neuen Verfahren zur Abschiebung. Das hat meines Erachtens nichts mit einer Partnerschaft mit Afrika zu tun.
Wir müssen die Afrikaner auch bei der Befriedung der vielen bewaffneten Konflikte auf dem Kontinent unterstützen. Die Afrikanische Union und ihre Regionalorganisationen haben inzwischen erstaunliche Fortschritte beim Aufbau eigener Friedenstruppen gemacht. Nach dem Einsatz der Afrikanischen Union in Darfur - AMIS - steht jetzt in Somalia eine neue Mission an. Es ist völlig klar: Ohne die Unterstützung der EU wird das nicht funktionieren. Das ist zu bedenken, wenn es um eine konkrete Partnerschaft geht. Allerdings wird das in Darfur und bei anderen Konflikten nicht ausreichen. Die Vereinten Nationen werden der wichtigste Träger von Peacekeeping-Missionen in Afrika sein: im Kongo, in der Elfenbeinküste, in Liberia und in anderen Staaten.
Auch das will ich in dieser Debatte, in der es um die Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf Afrika geht, ganz klar ansprechen: An diesen UN-Missionen ist Deutschland leider immer noch nur minimal beteiligt. Diese schwere Aufgabe des Peacekeeping in Afrika überlassen wir immer noch lieber Staaten der Dritten Welt. Ich meine: Wenn wir die Partnerschaft mit Afrika und unsere Unterstützung der Vereinten Nationen wirklich ernst nehmen, dann müssen wir uns stärker auch an diesen Friedensmissionen in Afrika beteiligten.
Sie haben die Stabilisierungsmission im Kongo erwähnt. Das war ein erster positiver Schritt. Aber auch hier muss man sagen: Welche Debatten mussten wir darüber führen! Es ist vielen schwergefallen, zu entscheiden, dass man sich daran beteiligt. Vor allen Dingen: Was ist jetzt eigentlich mit dem Aufbauprozess? Viele haben hier in der Debatte gesagt, dass das zivile Engagement das Wichtigste ist. Ich kann da bisher nicht viel sehen.
Wo sind nicht nur unsere entwicklungspolitischen Initiativen? Wo ist zum Beispiel das Wirtschaftsministerium? Hier liegen jetzt Chancen. Wenn wir schon dort hingehen, dann müssen wir diese Chancen auch begreifen.
Meines Erachtens ist die Bundesregierung beim Thema Darfur vollkommen gescheitert. Zurzeit gibt es dort die größte humanitäre Krise weltweit. Die sudanesische Regierung spielt Katz und Maus mit der internationalen Gemeinschaft und lehnt eine UN-Mission immer noch ab. Herr von Klaeden, wenn es um Völkermord geht, dann kann man sich nicht hinter African Ownership verstecken.
Es geht inzwischen um Völkermord. Deshalb noch einmal: Herr Außenminister, Sie haben das in der nächsten Woche stattfindende Außenministertreffen erwähnt. Warum ergreifen die Außenminister nicht endlich entsprechende Maßnahmen wie die Verhängung von EU-Sanktionen, um den Druck auf das Regime zu erhöhen, sodass die UNO-Mission endlich zugelassen wird?
- Sie möchten eine Zwischenfrage stellen?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, die kann ich schon deshalb nicht mehr zulassen, weil Sie außerhalb Ihrer Redezeit sprechen würden.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich würde sie gern beantworten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das habe ich mir gedacht.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich würde mir wünschen, dass es in Bezug auf diese Krisen ein stärkeres Engagement der Bundesregierung gäbe. Wir würden Sie dabei in jedem Fall unterstützen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es besteht der Wunsch nach einer Kurzintervention. Bitte schön.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Frau Kollegin Müller, Sie haben mir vorgeworfen, ich würde mich bezüglich des Völkermords in Darfur hinter African Ownership verstecken. Das weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie Butter bei die Fische täten und sagen würden, dass die Grünen für eine militärische Intervention sind, ohne dass es dafür in den Vereinten Nationen die notwendige Unterstützung gibt und ohne dass es von der Regierung im Sudan dafür die notwendige Zustimmung und Unterstützung gibt. Feuilletonistisch alles zu beklagen und der Regierung fehlendes Handeln vorzuwerfen, selber aber nicht zu sagen, was man zu tun bereit wäre, ist, finde ich, ziemlich fahrlässig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Frau Kollegin Müller.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege von Klaeden, mir in der Darfurfrage feuilletonistische Reden vorzuwerfen, ist ziemlich absurd. Ich kann Ihnen das aber sehr konkret sagen. Ich habe das auch schon im Plenum für die Fraktion gesagt; wir sind in dieser Frage ziemlich klar. Ja, wir sind für die von der UNO bereits beschlossene robuste UNO-Mission. Das Problem ist, dass diese UNO-Mission nicht ins Land gelassen wird. Nach dem Beschluss der UNO ist es noch nicht einmal notwendig, dass die sudanesische Regierung zustimmt. Natürlich wäre das wünschenswert. Deshalb gibt es auch die diplomatischen Initiativen. Deshalb habe ich hier immer gefordert, dass man darauf hinwirkt, dass die Russen und die Chinesen ihren Einfluss geltend machen. Notwendig wäre das nicht. Die UNO hat bereits eine robuste Truppe beschlossen.
- Ja, sicherlich.
Wenn es um Völkermord geht, dann müssen wir alles tun, um diesen Völkermord zu stoppen. Letztlich bin ich auch der Meinung, dass wir dies gegen den Willen der sudanesischen Regierung tun müssen. Selbstverständlich. Jetzt muss aber erst einmal alles versucht werden, um die Zustimmung zu bekommen. Die EU hat die Verhängung von Sanktionen zigmal beschlossen. Warum werden diese nicht umgesetzt? Dies wäre ein Drohmittel gegen das Regime.
Zum Schluss kann ich nur an das erinnern, was Kofi Annan gesagt hat. Er ist jemand, der sich wirklich in den Krisen dieser Welt auskennt. Es gibt eine Krise, die er uns zum Abschluss in allen Reden sozusagen ins Stammbuch geschrieben hat. Das ist die Krise in Darfur. Er tat dies mit der eindringlichen Aufforderung an uns, sich hier gemeinsam zu engagieren und mit einer robusten UNO-Truppe alles dafür zu tun, das Morden dort zu stoppen. Darum geht es mir.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erteile ich das Wort der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika bildet einen Schwerpunkt des G-8-Gipfels in Heiligendamm und ist ein zentrales Thema der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union. Das ist ein praktisches Zeichen für unsere Unterstützung dieses Kontinents.
In allen Diskussionsbeiträgen wurde immer wieder darauf hingewiesen: Afrika nimmt seine eigene Verantwortung wahr. Wir wollen Afrika dabei unterstützen. Ich finde, wir sollten Erfolge, die auch unsere Erfolge sind, nicht immer vergessen. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen um die Frage, ob wir Soldaten in den Kongo schicken, um dort den Wahlprozess abzusichern und einen Bürgerkrieg zu verhindern. Es ist gelungen, diese Wahlen abzusichern und den Bürgerkrieg zu verhindern.
Es gibt aber noch weitere Erfolge. Am 15. Dezember 2006 haben die elf Mitgliedstaaten der Internationalen Konferenz Große Seen einen Stabilitäts- und Solidaritätspakt unterzeichnet. Dieser regionale Prozess ist, so würde ich sagen, mit dem vergleichbar, was die KSZE in Europa war. Die Region jedenfalls ist noch größer als Europa.
Zu der Aussage von Frau Müller, sie sehe hierzu nichts, möchte ich sagen: Unser Ministerium unterstützt das Konferenzsekretariat, das diese Konferenz leitet, die die Themen Wirtschaft, Sicherheit, Menschenrechte sowie Energiefragen behandelt. Wir setzen dazu beratend unsere Entwicklungszusammenarbeit ein. Ich finde, das sollten wir nicht kleinschreiben, sondern sehen, dass wir einen aktiven Beitrag zur Friedenssicherung leisten.
Zu Herrn Aydin will ich sagen: Man muss immer auf der Höhe der Zeit bleiben, wenn man wirklich helfen möchte. Ihre Ausführungen gingen an der Realität vorbei. Was jedoch machen wir? Unser Ministerium trägt mit dazu bei, dass das Protokoll zur Eindämmung der illegalen Rohstoffausbeutung unterschrieben und damit der illegalen Rohstoffausbeutung ein Ende gesetzt wird. Das sind doch praktische Erfolge, die wir nicht selber kleinschreiben dürfen.
Vielleicht eine Anmerkung zur Situation in Darfur, die uns allen, Frau Müller, entsetzlich auf der Seele lastet. Wir dürfen die Augen nicht vor dieser entsetzlichen Situation der Vertreibung und der Ermordung von Menschen verschließen, die immer noch anhält. Ich sage an dieser Stelle - ich glaube, das verbindet uns alle -: Es ist gut, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag endlich Schuldige, die selbst in der sudanesischen Regierung sitzen, benannt hat. Wir erwarten die Anklage und die entsprechenden juristischen Maßnahmen gegen diese Schuldigen.
Niemand wird - obwohl das eine entsetzliche Situation ist -, wenn er wirklich abwägt, sagen können, dass man gegen den Willen der sudanesischen Regierung in das Land gehen sollte. Das würde ein noch schrecklicheres Morden bedeuten. Umso wichtiger ist es, massive Sanktionen gegen die sudanesische Regierung voranzubringen. Wir brauchen endlich ein Waffenembargo für den ganzen Sudan und nicht nur für Darfur. Die Situation dort ist doch absurd. Setzen wir uns dafür ein und tragen wir dazu bei, dass Druck auf die sudanesische Regierung ausgeübt wird!
Die Schwerpunkte des deutschen Engagements, auch die unseres Ministeriums, sind: Förderung von Frieden und Sicherheit, Stärkung von verantwortlicher Regierungsführung. Das, was wir tun, wird in Afrika hoch anerkannt. Aber ich will auch hier noch einmal sagen: Wir unterstützen den Aufbau des Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs. Deutschland ist der größte Geber und Unterstützer beim Aufbau des Panafrikanischen Parlaments. Das sind alles Schritte hin zu wirklich demokratischen Entwicklungen, die wir im Rahmen der Partnerschaft leisten. Ich finde, das sollte anerkannt werden und das sollte auch stärker in das öffentliche Bewusstsein gelangen.
Wir unterstützen Handel, Regionalorganisationen, Wachstum, nachhaltige Förderung der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Außerdem ist Afrika der regionale Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Im Jahr 2005 - ich kann nur diese Zahlen nennen, weil lediglich dazu die ODA-Zahlen vorliegen - haben wir knapp 2 Milliarden Euro sowohl für bilaterale als auch für multilaterale Leistungen oder für Leistungen für Afrika zur Verfügung gestellt - Official Development Assistance - und Schuldenerlasse in Höhe von rund 1 Milliarde Euro ermöglicht. Ich wiederhole an dieser Stelle: Das entspricht auch unserer Selbstverpflichtung. Wir alle, die G 8, haben auf dem G-8-Gipfel in Gleneagles zugesagt, die Finanzmittel für Afrika bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Wir haben uns verpflichtet und sind nun verpflichtet, diese Zusage auch einzuhalten.
Es geht neben den Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit, also den öffentlichen Finanztransfers, auch darum - das ist in der Diskussion mehrfach angesprochen worden -, die Wachstumskräfte in Afrika zu stärken. Afrika braucht breitenwirksames Wachstum, damit in den unterschiedlichen Ländern, die es in Afrika gibt, auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei geht es um dreierlei: Erstens geht es darum, mehr Transparenz bei der Produktion in den erdölfördernden Ländern zu verwirklichen. Zweitens geht es darum, Länder wie Ghana und Tansania, die als Topreformer wirklich hervorragende Leistungen aufweisen können, zu unterstützen. Drittens muss den kleineren Entwicklungsländern dabei geholfen werden, ihre Märkte durch regionale Kooperation auszuweiten.
- Herr Präsident, da möchte eine Kollegin etwas fragen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Da Sie das offenkundig zulassen wollen: Bitte schön, Frau Kollegin Wolf.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Frau Wieczorek-Zeul, hier war jetzt schon mehrfach die Rede davon, dass das deutsche Engagement in Afrika gerade im Hinblick auf Investitionen zu gering sei. Jetzt sprachen auch Sie gerade davon, dass man mithilfe der von uns immer unterstützten HIPC-Initiative bei der Entschuldung vorankommen wolle. Seit einiger Zeit treibt mich angesichts der Investments, die die Chinesen in gerade entschuldeten Ländern Afrikas tätigen, die Frage um, warum die Deckungshöhe von Hermesbürgschaften für Investitionen gerade in den HIPC-Staaten so niedrig ist und warum diese nur eine so kurze Laufzeit haben. Vielleicht wird dadurch die Hemmschwelle für kleine und mittlere Unternehmen, in diesen Ländern zu investieren, unnötig erhöht. Mich würde interessieren, ob Sie meine Analyse teilen und ob die Bundesregierung gewillt ist, von der niedrigen Deckungshöhe und -dauer von 250 000 Euro über 365 Tage bei diesen Ländern Abstand zu nehmen.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Ich kann sagen, dass es Überlegungen gibt, die Absicherungsmöglichkeiten von Krediten zu verbessern, um entsprechende Investitionen zu fördern. Zu den Details kann ich Ihnen noch nichts sagen, weil wir darüber gerade im Rahmen der G 8 beraten. Auf das Engagement Chinas möchte ich im Folgenden etwas ausführlicher eingehen, Frau Kollegin, weil ich an dieser Stelle den Punkt China ohnehin aufgreifen wollte.
Manche stellen es in der Diskussion so dar, als sei das Auftreten Chinas in Afrika eine Entwicklung der letzten Tage. Ich möchte darauf hinweisen: Die internationale Gemeinschaft ist im Dialog mit verschiedenen neuen Geberländern; das betrifft nicht nur China, sondern auch andere Länder. Nach meiner Meinung machen neue Finanzmittel für Afrika dann Sinn, wenn sie nach internationalen Standards eingesetzt werden: Ökologische und soziale Normen müssen respektiert und die lokalen Arbeitsmärkte dürfen nicht zerstört werden. Das liegt auch im Interesse der afrikanischen Bevölkerung. Von dieser werden dabei die Investitionen und anderen Unterstützungsmaßnahmen Europas sehr viel höher geschätzt als die All-inclusive-Investments Chinas. Was zählt, ist, dass dauerhaft neue Arbeitsplätze auf den lokalen Märkten der afrikanischen Länder entstehen und gesichert werden.
Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das vorhin schon von Herrn von Klaeden und anderen genannt wurde: die Frauen. Vor einer Woche haben wir in Berlin eine Konferenz über Gleichberechtigung von Frauen, insbesondere von afrikanischen Frauen, durchgeführt. Wir haben dabei alle zusammen noch einmal darauf hingewiesen: Zugang zu Landbesitz, Sicherung des Erbrechts sowie Zugang zu Krediten und Beschäftigung sind zentrale Forderungen. Dass Frauen weltweit nur über 2 Prozent des gesamten Landes verfügen, ist doch ein Skandal.
Wichtig ist - das wird in Afrika immer mehr verstanden; aber wir müssen dazu beitragen, dass der Zusammenhang noch deutlicher wird -: Die Gleichberechtigung von Frauen ist natürlich eine Frage von Menschenrechten und Demokratie, aber nicht nur das. Hohe Wachstumsraten korrelieren in Entwicklungsländern mit dem Engagement für die Gleichberechtigung der Frauen und ihrem Zugang zu wirtschaftlichen Chancen. Die Benachteiligung von Frauen geht mit einer Senkung der Wachstumsraten einher. Das heißt, die Benachteiligung von Frauen ist auch wirtschaftlich zutiefst schädlich. Das sollten wir immer wieder deutlich machen und die Chancen der afrikanischen Frauen beim Zugang zu Krediten sowie Land- und Erbrecht verbessern.
Wer Frauen stark macht - auch das ist ein wichtiger Punkt -, der schwächt die Aidspandemie. Deshalb wird die Bekämpfung von HIV/Aids ein zentrales Thema auf dem G-8-Gipfel sein, besonders bezogen auf die Infizierung von Frauen und Kindern. Frauen machen im südlichen Afrika 60 bis 70 Prozent aller Infizierten aus. Da ist ein dramatischer Anstieg zu verzeichnen, dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen.
Zwei Bemerkungen an dieser Stelle. Erstens. Ich werbe für den globalen Fonds, mit dem die Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose unterstützt wird. Dieser Fonds ist vor wenigen Jahren eingerichtet worden. Er hat mit seiner Arbeit 1,5 Millionen Menschen das Leben gerettet; jeden Monat können weitere 100 000 Menschen gerettet werden, darunter sehr viele Kinder. Lassen Sie uns diesen Fonds so stärken, dass mehr Menschenleben gerettet werden können! Das ist unsere gemeinsame Verpflichtung.
Zweitens werbe ich dafür, dass die internationale Gemeinschaft während unserer Präsidentschaften einen Verhaltenskodex beschließt, der die Abwerbung medizinischen Personals aus afrikanischen Ländern untersagt.
Ärzte und Krankenschwestern werden in diesen Ländern gebraucht für die Gesundheitsversorgung, für die Aidsbekämpfung und für die Krankheitsbekämpfung im Allgemeinen. Lassen Sie uns dazu beitragen, dass sie dort gefördert werden, damit die Menschen dort Chancen haben und damit das Ausbluten afrikanischer Länder verhindert wird!
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Königshaus hat nun das Wort für die Fraktion der FDP.
Hellmut Königshaus (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Kollegin Müller eben gehört hat, könnte man glauben, sie habe nie einer Bundesregierung angehört, die schon vor all den Problemen gestanden hat, die sie hier so lauthals beklagt hat, wo es aber keine Strategien gab, diese wirklich nachhaltig zu lösen.
Insofern sollte sie hier vielleicht ein bisschen zurückhaltender sein.
Alle reden über Afrika. Es gibt Strategien und alle möglichen sonstigen wohlfeilen Aktivitäten. Aber wenn es tatsächlich ans Eingemachte geht, dann stellt sich schnell heraus, dass die Probleme doch etwas vielschichtiger sind und dass es schwer ist, die Einzelteile zu sortieren. Man hat das gemerkt, als sich der Kollege von Klaeden eben mühsam durch sein Manuskript gearbeitet hat.
Das ist mit einer zusammenhängenden Strategie nicht zu vereinbaren.
- Klar schaue ich auf mein Manuskript. Es war sehr schwer, sich zu merken, was der Kollege von Klaeden überhaupt gesagt hat, wenn ich da einmal ehrlich bin. Deshalb musste ich mir das notieren.
- Ja, zur Sache.
Die Probleme können natürlich nicht mit einer einfachen und schnell umsetzbaren Strategie gelöst werden. Was wir brauchen, sind Maßstäbe, anhand derer wir die Lösung der jeweiligen Probleme tatsächlich gezielt angehen können. Wir brauchen Maßstäbe für jedes Problem, jedes Land, jedes Themenfeld.
Das heißt auch, angemessene und kohärente Lösungsansätze herzuleiten. Daran fehlt es uns leider noch immer. Auch die hier zur Beratung anstehenden Anträge helfen da nicht weiter.
Übrigens, Frau Ministerin, weil Sie gerade das Thema Aids ansprachen: Wir hatten ja als FDP im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit verlangt, dass dafür ein namhafter Betrag festgeschrieben wird. Auch das ist wieder abgelehnt worden. Ich hoffe, dass wir in Zukunft zu einer vernünftigeren Handhabung solcher Dinge kommen. In Bezug auf Afghanistan sind Sie unseren Vorschlägen ja immerhin letztlich dann doch gefolgt. Die Bundesregierung kann also offensichtlich auch dazulernen.
Dass wir hier Afrika so sehr in den Fokus stellen, ist in erster Linie dem Bundespräsidenten zu verdanken, der zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hat, er wolle Afrika zum Schwerpunkt seiner Arbeit machen.
Er hat dazu allen Grund gehabt; denn es ist dringend erforderlich, die verheerenden Schäden, die während der Zeit der rot-grünen Regierung auf dem afrikanischen Kontinent entstanden sind, zu beheben. Herr Bundesaußenminister, mit Blick auf Afrika ist Ihnen zugute zu halten, dass Sie den verheerenden Trend, immer mehr Botschaften zu schließen, immer mehr Personal abzuziehen und sich immer weniger diesen Ländern zuzuwenden, gestoppt haben. Es wäre begrüßenswert, wenn Sie in der Koalition dafür werben würden, dem Antrag der FDP zur Stärkung des diplomatischen Dienstes zuzustimmen; denn dann könnten wir gemeinsam an diesem Projekt arbeiten.
Dass wir auf diesem Kontinent präsent sein müssen, damit wir dort die Probleme lösen können, ist für jedermann nachvollziehbar.
Afrika ist ja nicht per se arm. Wenn man die Rohstoffsituation betrachtet, muss man sagen, dass Afrika im Grunde genommen ein reicher Kontinent ist. Aber wir müssen helfen, dass die Afrikaner in der Lage sind, von diesem Reichtum selbst zu profitieren. Dass wir über solch gravierende Probleme reden müssen wie Hunger, Analphabetentum, Rückständigkeit und HIV/Aids, liegt eben daran, dass die Afrikaner ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht selbst nutzen können.
Eben wurde völlig zu Recht davon gesprochen, welche gravierenden Auswirkungen die Dürre angesichts des sich abzeichnenden Klimawandels haben wird. Man muss aber auch über die Ursachen sprechen. Eine der Ursachen ist eben, dass wir zwar gut gemeinte Maßnahmen auf den Weg bringen - beispielsweise die Beimischung von Biokraftstoffen -, dass aber dafür Regenwälder geopfert werden müssen. Es wird also das Gegenteil von dem bewirkt, was wir eigentlich erreichen wollen. Über diese Problematik müssen wir etwas intensiver nachdenken.
Ich möchte noch Folgendes anfügen: Protokolle zu unterschreiben, genügt nicht. Man muss auch eine durchdachte Politik betreiben. Was hier im Moment passiert, ist aber nicht durchdacht.
Ich konnte das am Beispiel Indonesien selbst beobachten.
In Afrika gibt es unbestritten sehr große Hilfeleistungen westlicher Geber. Aber diese verpuffen in der Regel aufgrund der typisch afrikanischen Probleme wie Korruption, Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung; wir haben schon darüber gesprochen. Die westlichen Geber bemühen sich, diese Probleme zu lösen, indem sie völlig zu Recht die Hilfe an Bedingungen wie gute Regierungsführung und Korruptionsfreiheit knüpfen. Aber wir können die Einhaltung solcher Kriterien nur im Konsens mit allen anderen Gebern durchsetzen. Anderenfalls - so lehrt uns die Lebenswirklichkeit - werden sich korrupte Eliten und skrupellose Kleptokraten an den Hilfsgeldern und an den Hilfsgütern bereichern.
Vor allem müssen wir verhindern, dass die Rohstoffe dieses Kontinents weiter geplündert werden. Denn diese Rohstoffe sind die einzige Chance, dass dort eine nachhaltige Entwicklung stattfinden kann. Der Kontinent ist viel zu groß, als dass wir das ganz allein bewirken könnten.
Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang über China sprechen, aber ohne - da haben Sie, Frau Ministerin, völlig Recht - in ein China-Bashing zu verfallen. China ist nur einer von vielen neuen Gebern, die sich dort einbringen. China betreibt dort Realpolitik, schert sich aber keinen Deut um Menschenrechte und sonstige Grundsätze, die wir alle hochhalten. Wir müssen daher versuchen, zu vernünftigen Regelungen zu kommen, um die Chinesen, Inder und andere, die auf diesem Kontinent aktiv werden, einzubinden und auf unsere Grundsätze zu verpflichten.
Denjenigen, der in Afrika und anderswo Entwicklungshilfe leistet - zum Teil aus egoistischen Motiven -, muss man darauf hinweisen, dass er im eigenen Land die Armut aus eigenen Mitteln bekämpfen muss. Es kann nicht angehen, dass beispielsweise in China die Armut mit deutschen und europäischen Mitteln bekämpft wird, währen die Chinesen in Afrika mit erheblich größerem Mitteleinsatz als Geber auftreten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartwig Fischer von der CDU/CSU-Fraktion.
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung nutzt die Chance der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr sowie des G-8-Vorsitzes, den afrikanischen Kontinent verstärkt in das Bewusstsein der Politik, der Wirtschaft und der Medien zu bringen. Wir wollen mit dem vorliegenden Koalitionsantrag die Grundlage für eine parlamentarische Diskussion, aber auch für die Begleitung des Prozesses in den nächsten Monaten schaffen. Wir von der Koalition werden in den nächsten Monaten einen weiteren Antrag zur Entwicklungspolitik einbringen.
Viele in Deutschland und Europa kennen Afrika aufgrund einer zum Teil verzerrten und einseitigen Darstellung nur unter dem Begriff der sieben Ks: Konflikte, Korruption, Kriminalität, Kapitalflucht, Krankheiten sowie Natur- und Hungerkatastrophen. Es gibt derzeit elf bewaffnete Konflikte, von denen über 150 Millionen Menschen betroffen sind. Gerade in Darfur ist die Situation menschenverachtend und fast ausweglos.
Korruption wird nicht selten als afrikanischer Tumor bezeichnet. Laut Transparency International liegen nahezu alle afrikanischen Länder auf dem Korruptionsindex bei drei Punkten, was sehr negativ ist. In diesem Zusammenhang ist es auch ein Verbrechen an den Menschen Afrikas, wenn es einigen afrikanischen Despoten weiterhin gelingt, ihre durch Korruption, Betrug, Erpressung, Plünderung öffentlicher Kassen und Raub zusammengestohlenen Dollarvermögen ungestraft ins Ausland zu transferieren.
Ich bin deshalb der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie auf dem 24. französisch-afrikanischen Gipfel in Cannes deutliche Worte zum Beispiel für den simbabwischen Diktator Mugabe gefunden hat.
Hier muss Afrika selbst handeln. Insbesondere Südafrika darf sich von Mugabe nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Das langsame Siechtum Simbabwes beginnt nun auch die bisher gute Entwicklung Südafrikas und seiner Nachbarländer zu gefährden. Wenn es so weitergeht, werden in wenigen Jahren weitere Teile der Bevölkerung Simbabwes ihre Heimat verlieren und nach Südafrika oder in andere Länder emigrieren. Hier droht nicht nur ein neuer Konflikt; er weitet sich vielmehr gerade aus.
Eben wurde die Bedrohung durch die Pandemie Aids angesprochen. Etwa 30 Millionen Menschen, also 6 Prozent der Bevölkerung, sind davon betroffen. Die Zahl der Aidswaisen in Afrika liegt derzeit bei etwa 12 Millionen und wird laut UNICEF in den nächsten drei Jahren auf 20 Millionen steigen.
Auch Afrika wird bekanntlich nicht von Hunger- und Dürrekatastrophen verschont. Wir wissen das von Kenia, wo seit 2005 etwa 3 Millionen Menschen betroffen sind. Sie haben in den letzten Tagen die Überflutung von Teilen Mosambiks erlebt. Über 300 000 Menschen waren davon betroffen; 100 000 Menschen sind obdachlos. Ich danke der Entwicklungshilfeministerin und dem Außenminister für ihr unglaublich schnelles Handeln. Innerhalb von vier Tagen wurden Mittel zur Verfügung gestellt, damit die Hilfsorganisationen vor Ort und auch unsere Durchführungsorganisationen arbeiten können. Ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie zusätzlich 1 Million Euro für das nationale Institut für Katastrophenmanagement in Mosambik zur Verfügung gestellt haben.
Aber es gibt auch ein ganz anderes, ein modernes Afrika, ein Afrika, das in den letzten Jahren in allen Bereichen enorme Anstrengungen unternommen hat und sich der Zukunft stellt. Dies umfasst Anstrengungen und deutliche Verbesserungen in den Bereichen der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie bei Menschenrechten und Good Governance. Deutschland und Europa müssen diese afrikanischen Bestrebungen jetzt deutlicher unterstützen.
Bundespräsident Köhler hat recht, wenn er sagt, dass es an der Zeit ist, Afrika als Partner auf Augenhöhe zu betrachten. Der Schutz der Menschenwürde und die Förderung der Menschenrechte sind die Grundlage eines partnerschaftlichen Dialogs.
Bei den Gesprächen mit unseren afrikanischen Partnern und Freunden muss es jedoch auch um die Grundwerte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit gehen. Zu einer offenen und ehrlichen Partnerschaft gehört auch, gemeinsame, aber auch gegenteilige Interessen zu benennen. Meine Fraktion hat es sehr bedauert, dass es, als es im UN-Menschenrechtsrat um die Verurteilung der Regierung im Sudan ging, bei der ersten Abstimmung des Antrages des finnischen Ratspräsidenten im vergangenen Herbst fast einen Block afrikanischer Länder gegeben hat, die eine Abstimmung zulasten der Regierung in Khartoum verhindert haben. Wir begrüßen, dass es später zu einer Änderung gekommen ist. Aber es gab nur zwei afrikanische Staaten, die den finnischen Ratspräsidenten unterstützt haben. Das war falsch verstandene Solidarität afrikanischer Länder.
Afrika darf nicht einfach als Ort einer ständigen Wohltätigkeitsveranstaltung gesehen werden, wie es von verschiedenen Seiten suggeriert wird. Afrika ist ein Kontinent, an dem und in dem die internationale Staatengemeinschaft vitale Interessen haben muss. Die Bestandserhaltung des afrikanischen Regenwaldes mit seinem Reichtum an Flora und Fauna ist von globaler Bedeutung und liegt im ökologischen Interesse.
Der steigende weltweite Energieverbrauch und CO2-Ausstoß, die Erderwärmung und die Veränderung des globalen Klimas rücken Afrika immer stärker in den Fokus geostrategischer Politik. Der aktuelle Bericht der Vereinten Nationen über eine mögliche Klimakatastrophe zeigt deutlich, wie wichtig Afrika auch für das Klima in Mitteleuropa ist.
- Danke, Frau Kollegin Koczy.
Darüber hinaus droht Afrika die Gefahr weiterer Wüstenbildung, so die UN. Die fruchtbaren Landstriche am Kap, in Angola, in Simbabwe und in Mosambik könnten sich in den kommenden Jahrzehnten in Halbwüsten verwandeln, damit Lebensgrundlagen entziehen und somit neue Konflikte heraufbeschwören. Migrationsbewegungen größten Ausmaßes wären die Folge.
Dass Afrika immer wieder in den Fokus energie- und rohstoffhungriger Staaten gerät, beweisen China und die USA. Aber auch Deutschland ist ein ressourcenarmes Land und sollte daher ein natürliches Interesse an den mineralischen und energetischen Ressourcen Afrikas haben. Wir müssen die afrikanischen Regierungen unterstützen, damit der Abbau dieser Ressourcen auf umweltverträgliche Weise erfolgt und vor allem die Menschen Afrikas davon profitieren.
Es kann und darf nicht sein, dass nur wenige Kleptokraten und unverbesserliche Diktatoren den Nutzen aus dem Abbau, lassen Sie mich sagen: aus dem Raubbau von Rohstoffen haben.
Die afrikanischen Länder müssen dabei unterstützt werden, ihre Rohstoffe zertifiziert abzubauen und die daraus erzielten Gewinne transparent in den jeweiligen Staatshaushalt fließen zu lassen. Die positive Vorreiterrolle Botsuanas zeigt, dass dies möglich ist und der Entwicklung des Landes und damit der Bevölkerung dient. Der Initiative für einen transparenten Rohstoffabbau, EITI, gebührt deshalb unsere volle Unterstützung.
Zur Ehrlichkeit mit Partnern gehört: Deutschland hat als Exportland selbstverständlich auch wirtschaftliche Interessen in Afrika. Die afrikanische Wirtschaft wuchs im Jahr 2005 um durchschnittlich knapp 5 Prozent, im Jahr 2006 um 6 Prozent. Dennoch zeigt der mit 2 Prozent sehr geringe Anteil Afrikas am Welthandel, dass viele Länder den Anschluss an die weltwirtschaftliche Entwicklung noch finden müssen.
Wir müssen uns - ich sage das bewusst mit Blick auf unser Bundeswirtschaftsministerium - mit einer Wirtschafts- und Investmentstrategie stärker in diesen Prozess einbringen. Wir können dazu beitragen, dass sich Schwellenländer zu Ankerländern entwickeln. Es gibt viele Länder wie Angola, Botsuana, Namibia, Mosambik, Tansania oder Ruanda, die in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine wichtigere Rolle spielen könnten.
Spätestens seit dem 11. September 2001 rücken fragile und instabile Staaten als Rückzugsräume für Terroristen und nichtstaatliche Gewaltakteure immer mehr ins Blickfeld sicherheitspolitischer Überlegungen. Wir müssen uns für Frieden und Sicherheit für die Menschen in Afrika einsetzen; denn Deutschland hat nicht nur ein humanitäres, sondern auch ein großes sicherheitspolitisches Interesse an stabilen politischen Verhältnissen in Afrika. Es liegt weder in unserem noch im afrikanischen Interesse, wenn Gefahren und Bedrohungen, die von unserem Nachbarkontinent ausgehen, zu Sicherheitsrisiken führen.
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Strategien zum Aufbau einer afrikanischen Truppe unter dem Einsatz der Afrikanischen Union, die dafür sorgen soll, dass Afrika bei Krisenherden selbstverantwortlich handeln kann.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Keskin?
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön, Herr Kollege Keskin.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört und dabei den Eindruck gewonnen, dass Sie die Afrikaner selbst für die vorhandenen Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte verantwortlich machen und die alte koloniale Vergangenheit und auch die jetzige Einmischung von außen, insbesondere von ehemaligen Kolonialherren, gänzlich ausblenden. Meinen Sie nicht, dass auch heute noch die alte koloniale Politik und die neue mehr oder weniger hegemoniale Politik für viele der Probleme und Konflikte eine maßgebliche Verantwortung haben?
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
Herr Kollege Keskin, Punkt eins: Ich persönlich bin der Überzeugung, dass die koloniale Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat, weil viele der afrikanischen Länder auf die Freiheit nicht vorbereitet waren.
Punkt zwei: Die Rohstoffe in Afrika werden in vielen Bereichen für die Afrikaner zum Fluch. Dies ist aus zweierlei Gründen so: einerseits, weil Staaten in der freien Welt bereit sind, ausgebeutete Rohstoffe aufzukaufen, und andererseits, weil es in diesen Ländern Despoten gibt, die dies nutzen, um von den Korruptionsgeldern gut zu leben.
Deshalb haben wir uns mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung zum Beispiel gegen diejenigen gewandt, die in Deutschland Coltan verarbeitet haben, das im Kongo gefördert wurde. Hier gibt es eine ganz klare Linie. Wir unterstützen, um diese Vergangenheit zu bewältigen und die Rohstofffrage zu lösen, das System EITI, aber auch mit all unseren Stiftungen den Aufbau von Good Governance, weil das die Grundlage dafür ist, dass für die Menschen in diesen Ländern etwas getan werden kann.
Ich glaube, damit ist Ihre Frage beantwortet.
Ich sehe, dass meine Redezeit - trotz des Anhaltens der Uhr für die Beantwortung der Zwischenfrage - abgelaufen ist. Lassen Sie mich trotzdem zur Linken noch einmal sagen: Für mich ist es bedrückend, wenn jemand - wie Herr Aydin - die Situation im Kongo nicht offen und ehrlich darstellt. Wir kennen die Ereignisse - es gab dreieinhalb Millionen Tote - und wissen, dass die Bundeswehr neben der ganzen Zivilorganisation einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung geleistet hat.
- Ihre Fraktion hat gegen den Einsatz gestimmt. - Menschen, die vorher in Flüchtlingslagern waren, sind jetzt wieder in ihren angestammten Bereichen. Sie versuchen, die Situation falsch darzustellen.
Eines ist für mich sicher: Der Satz ?Keine Hälfte der Welt kann ohne die andere Hälfte der Welt überleben.“, der auf einem Plakat des BMZ steht, muss Prämisse unseres Handelns sein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zuerst etwas zu Ihnen, Frau Müller, sagen. Ich finde es schon ein starkes Stück, dass Sie hier dafür plädieren, ohne eine Zustimmung seitens der sudanesischen Regierung Truppen nach Darfur zu schicken. Das wäre in meinen Augen keine Friedensmission. Das ist eine Aussage für einen Kriegseinsatz in Darfur.
Sie können doch bei so einer komplizierten Situation wie der in Darfur, für deren Bewältigung Sie viel mehr Akteure an einen Tisch bekommen müssen, nicht dafür plädieren, jetzt einfach Truppen dorthin zu schicken! Wie wollen Sie die Situation dort militärisch lösen? Das finde ich hanebüchen.
Sie als ehemalige Staatsministerin müssten das wissen.
Noch zu einem anderen Punkt. Sie haben Recht: Es gibt ein selbstbewusstes modernes Afrika. Aber dass das erst bei einer Fußball-WM zu finden ist, bezweifle ich. Das gibt es bereits. Im Januar fand das Weltsozialforum zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent statt. Mehr als 50 000 Menschen kamen in Nairobi zusammen. Die Menschen dort haben sehr gute Ansätze und ganz andere Vorstellungen, wie Afrika, wie ihre Länder sich entwickeln sollen, als die, die ich hier gehört habe. Das ist das Afrika, das wir zu Wort kommen lassen müssen. Das würde Partnerschaft und Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe bedeuten.
Diese Menschen haben ihre Lebenssituation geschildert, die nun einmal düster ist. Denn trotz der verbesserten ökonomischen Werte, die wir in den letzten Jahren in Afrika verzeichnen, hat sich die Situation für viele Menschen in den afrikanischen Ländern verschlechtert. Vielen geht es heute schlechter als Anfang der 90er-Jahre. Die Armut hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Hungernden ist weltweit weiter gestiegen. Dafür sind in hohem Maße die deutsche und europäische Handelspolitik verantwortlich. Während eine Afrikanerin durchschnittlich 8 Dollar Entwicklungshilfe im Jahr erhält, wird eine Kuh in Europa mit über 900 Dollar im Jahr subventioniert.
- Ja, so zynisch ist unsere Außenpolitik. - Wir müssen aufpassen, wohin die Gelder fließen. Wir subventionieren unsere Agrarprodukte. Das geht auf Kosten der Entwicklungschancen der Menschen in den Ländern des Südens.
Es ist ein Mythos, dass Handelsliberalisierung den Entwicklungsländern Wohlstand und Entwicklung bringt. Genauso wenig stimmt es, dass Wachstum per se Arbeitsplätze schafft. Wir sehen im Moment in Europa: Trotz Wachstums gehen immer mehr Arbeitsplätze verloren. Die Hilfsorganisation Christian Aid hat errechnet, dass die Handelsliberalisierung die afrikanischen Länder südlich der Sahara in den vergangenen 20 Jahren über 270 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Zwei Jahrzehnte der Liberalisierung haben diese Länder so viel gekostet, wie sie an Entwicklungshilfe erhalten haben. Wären diese Länder nicht zur Liberalisierung gezwungen worden, um Schuldenerlass und Kredite zu erhalten, hätten sie genug Geld gehabt, um jedes Kind impfen zu lassen und jedem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen.
Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen.
Das schreibt der UN-Sonderberichterstatter für Nahrung, Jean Ziegler, in seinem Buch ?Das Imperium der Schande“. Doch die EU arbeitet schon an neuen Liberalisierungs- und Marktöffnungsvorhaben. Bekannt sind die Verhandlungen über die EPAs. Es ist ganz klar, dass es hierbei um eine Senkung der Zölle und um eine weitere Öffnung der Märkte geht, und zwar nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte der EU, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das Beschaffungswesen.
Das hätte katastrophale Folgen für all die lokalen Märkte in den afrikanischen Ländern und für die regionale Integration. Es hätte auch sehr negative Auswirkungen auf die Umwelt, weil dann viele Staaten gezwungen wären, ihre Rohstoffexporte zu erhöhen - zum Beispiel den Export von Öl oder Tropenholz -, um die fehlenden Zolleinnahmen zu kompensieren.
Frau Wieczorek-Zeul, auch die Situation der Frauen würde sich dadurch sehr verschlechtern, weil davon insbesondere lokale Händlerinnen und Bäuerinnen betroffen wären. Insofern kann ich nur an uns alle appellieren: Unterstützen wir die Forderungen der sozialen Bewegungen in den afrikanischen Ländern, stoppen wir die EPA-Verhandlungen und schreiben wir ein neues Mandat aus!
Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Kriege und Krisen in den afrikanischen Ländern. Die Potenziale der Bevölkerung werden ausgeblendet. Stattdessen wollen wir von außen immer stärker militärisch intervenieren. Ich frage mich: Wie soll eine afrikanische Sicherheitsarchitektur ohne die aktive Beteiligung der Zivilbevölkerung aussehen? Es gibt dort enorme Potenziale. Sie werden aber nicht einbezogen.
Herr Steinmeier, in diesem Zusammenhang würde mich interessieren: Was sagen Sie eigentlich zu AFRICOM, der neuen Kommandozentrale der US-Amerikaner in Stuttgart, die dazu dient, neue militärische Interventionen in diesen Ländern zu koordinieren? In meinen Augen ist diese Entwicklung falsch. Wir brauchen eine Stärkung der Zivilbevölkerung. Nur so können wir auf die Krisen und Konflikte in diesen Ländern eine nachhaltige Antwort geben.
Mein letzter Satz. Statt Milliardenbeiträge in die Schaffung militärischer Einheiten zur Abwehr von Flüchtlingen an Europas Außengrenzen und in den Aufbau europäischer Interventionstruppen - unter anderem auch für Einsätze im Kongo - zu stecken, sollten wir sie in die Umstellung des europaweiten Energiesystems auf regenerative Energien und gleichzeitig in den Aufbau dezentraler alternativer Energiesysteme in den afrikanischen Ländern investieren. Dies wäre für mich eine Afrikapolitik auf der Höhe des 21. Jahrhunderts.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Koczy, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für eine Schande und Blamage für die internationale Gemeinschaft, dass es nicht gelingt, die Menschen in Darfur vor der Ermordung, vor dem Völkermord und vor Ihrer eigenen Regierung zu schützen. Ich hoffe, dass die Worte Kofi Annans nicht ungehört verhallen. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir eine Verantwortung haben. Es ist sehr bedauerlich, dass man hier nicht weiterkommt.
Es ist sicherlich vermessen, mal eben in 5 Minuten die ganze Bandbreite einer modernen Entwicklungspolitik in, für und mit Afrika darzustellen. Was haben Länder wie Südafrika und Ägypten oder Nigeria und Burundi gemeinsam? Dennoch halte ich ein Plädoyer für die Vertiefung der Beziehungen zu Afrika, weil wir mit diesem Kontinent stärker verbunden sind, als uns gemeinhin bewusst ist.
Im Jahr der deutschen Doppelpräsidentschaft geht es uns Grünen darum, unsere Afrikastrategie mit Leben zu füllen. Deswegen haben wir unseren Antrag mit dem Titel ?Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung unterstützen“ eingebracht.
Afrikapolitik vollzieht sich heute in einem grundlegend veränderten Umfeld. Den afrikanischen Staaten stehen neue Optionen zur Verfügung. Vor allem China zeigt uns, dass wir Europäerinnen und Europäer in Afrika auch wegen unseres Desinteresses an Boden verloren haben. Nicht zuletzt die USA vertiefen ihre Kooperation mit afrikanischen Ländern. Der Hintergrund ist offensichtlich: Es geht um die Schätze Afrikas, um Öl, Gold, Coltan und Kobalt - Rohstoffe, die für unser tägliches Leben eine Rolle spielen. Ich sage es zugespitzt: Es gilt aus Interesse an Frieden und Gerechtigkeit zu verhindern, dass Afrika erneut als Beutekontinent angesehen wird und seine Reichtümer aufgeteilt werden.
Wir können vor hier aus dazu beitragen, Afrika mit neuen Chancen zum Durchbruch zu verhelfen. Deswegen muss die Bundesregierung, muss die EU mit den afrikanischen Staaten, aber auch mit China, Indien und den USA viel stärker darum ringen, sich zu Best Practices und internationalen Standards zu bekennen. Der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft muss gemeinsam und gezielt geführt werden. Die von China verfolgte Nichteinmischung in innere Angelegenheiten hat - das muss man ganz deutlich sagen - eine gefährliche Schlagseite: Sie gefährdet den sozialen Frieden. Wenn China und Indien eine größere Bedeutung als weltpolitische Akteure erlangen, müssen sie auch in Haftung genommen werden für Entwicklungen, die destabilisieren und zerstören.
Die Gleichzeitigkeit von ökonomischen und demokratischen Fortschritten auf der einen Seite und Krisen und Katastrophen auf der anderen Seite kennzeichnen afrikanische Wirklichkeiten. Es ist schon gesagt worden: In fast einem Dutzend afrikanischer Staaten stehen Wahlen an, die mehr oder weniger demokratisch ablaufen. Das Wirtschaftswachstum beträgt in vielen afrikanischen Staaten nun schon im vierten Jahr in Folge mehr als 5 Prozent. Gerade im Rohstoffsektor steigen die Investitionen. Es gibt eine innerafrikanische Reformorientierung im Rahmen von NEPAD. Die Initiative zur Entschuldung der ärmsten Länder ermöglicht Fortschritte.
Aber es gibt auch andere afrikanische Wirklichkeiten - auch sie sind heute schon benannt worden -: Afrika ist die einzige Region auf dieser Erde, in der die Zahl der Hungernden immer noch steigt, in der immer noch so viele Menschen an Unterernährung leiden. Es ist eine Schande, dass es uns nicht gelingt, in den ländlichen Räumen Fortschritte zu erreichen.
Ich will weitere Stichwörter nennen: Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, HIV/Aids, Genitalverstümmelung, Brustbügeln in Kamerun, eine weitere Misshandlung von Frauen, die in patriarchalen Strukturen leben, von der wir erfahren haben. Wir wissen inzwischen, dass wir die Millenniumsziele, wenn die Umsetzung in dem Tempo fortgesetzt wird, wahrscheinlich nicht erreichen werden. Und dann sind da noch der Klimawandel und die Perspektivlosigkeit.
Deswegen geht es darum, dass wir auf die Dinge, die wir beeinflussen können, Einfluss nehmen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es nicht nur darum geht, von unserer Seite aus etwas zu tun. Wir müssen uns mit den afrikanischen Ländern, mit den Staatsführern, mit den örtlichen Wirtschaftseliten zusammentun und etwas gestalten. Es braucht aber auch Lösungen von unten: Wir müssen die Organisationen afrikanischer Bäuerinnen, die Frauen, die Handwerker und andere zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen, damit sie bei wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsfragen stärker mitreden können.
Doch all das wird nicht viel bringen, wenn wir nicht die Rechte der Frauen stärken.
Sie sind das Rückgrat Afrikas. Aus Zeitstudien in Benin, Madagaskar, Mauritius und Südafrika geht hervor, dass die Frauen pro Tag bis zu sieben Stunden länger beschäftigt sind als die Männer. Der schöne Ausdruck ?faire la natte“ - übersetzt: sich auf die Matte legen, dem Müßiggang frönen -, den ich im Tschad kennengelernt habe, bringt dieses bizarre Ungleichgewicht auf den Punkt. Diese sozialen und kulturellen Normen, die die Arbeitsteilung im Haushalt festlegen, führen zu einer eklatanten Benachteiligung der Frauen. Sie gefährden den Frieden in Afrika, sie gefährden die Zukunft. Ich bin der Meinung, dass wir uns in diesem Bereich weitaus mehr engagieren müssen, als wir es bisher getan haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Gelegenheit, über Afrika zu reden. Heute behandeln wir dieses Thema erneut.
Ich denke aber, dass wir heute keine Wiederholungsdebatte führen, weil es zwei bemerkenswerte Neuerungen gibt: Erstens - das wurde schon mehrfach erwähnt - hat Deutschland zurzeit die Präsidentschaften innerhalb der Europäischen Union und der G8. Das verpflichtet zu einer Schwerpunktpolitik gegenüber Afrika.
Die zweite Neuerung ist, dass der Deutsche Bundestag mit den vorliegenden Anträgen die Afrikapolitik nicht nur begleitet, sondern in der Tat inhaltlich in seine Arbeit mit aufnimmt. Ein Blick in die Anträge zeigt, dass bei allen Unterschieden, liebe Frau Hänsel, und bei allen Vorwürfen doch sehr viele Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Zum einen wächst das Engagement für Afrika. Das ist zu begrüßen. Zum anderen stellen wir fest, dass von niemandem in diesem Haus in irgendeiner Weise kritisiert wurde, dass Afrika Partner der Politik sein soll.
Das ist in der Tat neu. Wenn man das ernst meint - wir werden sicherlich noch daran arbeiten müssen -, dann heißt das, dass sich einige, die in diesem Hause geredet haben, aber auch viele, die sich in der Öffentlichkeit zu Afrika äußern, von manchen Klischees verabschieden müssen.
Es ist in der Tat richtig - darin stimme ich dem Kollegen Fischer ausdrücklich zu -, dass Afrika unter den drei Ks - Krieg, Krisen und Katastrophen - zu leiden hat. Afrika ist aber nicht nur der Kontinent der drei Ks, auch wenn das sensationsträchtig sein mag.
Afrika eignet sich überhaupt nicht als Objekt der Aggression gegen die deutsche oder europäische Politik, liebe Frau Hänsel. Das ist falsch.
Sie haben zwar recht, dass vieles dringend geändert werden muss. Manches ist in der Tat zynisch. Aber den Vergleich der Subventionierung einer Afrikanerin mit der einer Kuh finde ich nicht nur unangemessen, sondern er ist auch in der Sache falsch, weil - wie alle, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, wissen - die vorhandenen Unterstützungsgelder zum Teil nicht abließen können. Denn die Fortschritte beim Empowerment und die Unterstützung bei der Institutionenbildung sind noch nicht so weit gediehen, wie sie sollten.
Wir sollten aber auch vermeiden, Afrika in erster Linie nur noch als Ressourcenlieferanten zu betrachten. Afrika sollte auch nicht mehr als Objekt unserer Fürsorge missverstanden werden, sei sie auch noch so gut gemeint. Afrika entspricht aber auch nicht dem Bild, das in den letzten Monaten und Jahren in den Medien gezeichnet wird. Auf der einen Seite stelle ich mit Freude fest, dass die Berichterstattung über Afrika zugenommen hat. Auf der anderen Seite beunruhigt mich aber gelegentlich, dass der Anteil ziemlich schmalziger Homestorys mit vermeintlich afrikanischem Lokalkolorit überwiegt.
Was ich vermisse und was in den kommenden Monaten unserer vertieften Befassung mit Afrika deutlicher zum Ausdruck kommen sollte, ist, dass wir mehr von der Vielfalt und Kultur Afrikas, der afrikanischen Dynamik und den Persönlichkeiten zur Kenntnis nehmen, die nicht nur uns, sondern der ganzen Welt viel zu geben haben.
Manches ist heute schon angesprochen worden. Ich will noch das eine oder andere ergänzen. Die Zahl der Bevölkerung Afrikas entspricht heute der der 46 Mitgliedsländer des Europarats. Morgen wird das anders sein, weil allein in den drei Ländern Uganda, Kenia und Tansania - das wurde bereits erwähnt -, die ein beträchtliches Veränderungspotenzial haben und dies auch nutzen, mehr als 40 Prozent - zum Teil mehr als 50 Prozent - der Bevölkerung jünger als 15 Jahre sind. Wir können uns keine Vorstellung davon machen, welche Veränderungsmöglichkeiten das mit sich bringt.
Ich glaube, dass Bischof Tutu, dessen moralische Autorität wir alle nur bewundern können, völlig recht hat, wenn er von Afrika nicht mehr von einem schlafenden, sondern von einem erwachenden Riesen spricht, der auf den verschiedenen Feldern eine Menge dazu beizutragen hat, dass das Leben auf unserer Erde und die Nachbarschaft mit dem Kontinent Europa in Zukunft durch Frieden und Gemeinsamkeit geprägt werden kann.
Ich meine auch - um auf die Kultur zurückzukommen -, dass wir Nobelpreisträger wie Wole Soyinka endlich mit einer größeren Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nehmen sollten, übrigens nicht nur in dem, was er literarisch geschrieben hat, sondern auch dann, wenn er das wiederholt, was Kofi Annan nicht müde wird, immer wieder zu sagen. Es gibt zwar unendlich viele Analysen und Beschreibungen von einzelnen Bereichen und Problemen, auch von Lösungswegen zu Afrika; daran herrscht kein Mangel. Aber was wir brauchen, ist eine partnerschaftliche Politik im Hinblick auf Afrika, die zu einer Umsetzung führt. Hier geht es um die Frage des ?deliver“, wie es Kofi Annan in seiner letzten Rede ausgedrückt hat; das ist das Entscheidende.
Wenn man die Politik der Bundesregierung unvoreingenommen betrachtet, dann kann man sie genau so loben wie die der Europäischen Union. Es gibt viele Pläne, Lösungswege und Unterstützungsprojekte zur Armuts-, Hunger- und Krankheitsbekämpfung, zum Schuldenabbau, zur Bekämpfung der Korruption sowie zur Durchsetzung der Menschenrechte und von Good Governance. Es kommt aber nun darauf an - das ist auch Aufgabe des Parlaments -, dass wir der Umsetzung zunehmend mehr Kraft verleihen und Schwerpunkte setzen; denn wir können nicht alles auf einmal machen.
Lassen Sie mich zwei Bereiche nennen, die in dem Antrag der Großen Koalition aufgeführt sind und die ich für das kommende halbe Jahr für besonders wichtig halte. Erstens. Wir können die Zusammenarbeit mit unseren Partnerparlamenten in Afrika verstärken. Wenn wir hier Fortschritte erreichen, dann tun wir viel für Transparenz, Good Governance, Kontrolle, Partizipation und Demokratie. Lassen Sie uns das bitte stärker in unsere Überlegungen einbeziehen.
Zweitens. Im Zusammenhang mit der notwendigen und richtigen militärischen Unterstützung für die Wahlen im Kongo als Begleitprozess haben wir gesehen, dass wir nicht alleine oder schwerpunktmäßig Peace-Keeping betreiben oder militärische Einsätze durchführen dürfen. Vielmehr müssen wir Peace-Building, das heißt Institution-Building betreiben, bevor Institutionen zusammenbrechen. Wir müssen in dem Moment fördernd eingreifen, in dem tatsächlich Möglichkeiten für die Entwicklung von Demokratie und Gemeinsamkeiten entstehen.
Dieses Peace-Building liegt mir sehr am Herzen. Manchmal habe ich in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass wir viel leichter Geld für militärische Einsätze - welcher Art auch immer - bekommen als für Peace-Building bzw. Institution-Building, das so wichtig für Empowerment ist.
Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen, den die Bundesministerin angesprochen hat und der so wichtig ist, dass er auf dem Afrikagipfel und dem G-8-Gipfel besprochen werden sollte. Das ist die wirklich üble Entwicklung des Braindrains. Wir alle sind zwar für afrikanisches Empowerment und leisten viel Unterstützung. Aber das nutzt nichts, wenn Ärzte und andere Spezialisten nach ihrer Ausbildung in Afrika - davon berichten Kolleginnen und Kollegen, egal aus welchem afrikanischen Land, immer wieder - meistens von englischsprachigen, aber auch von französischsprachigen Ländern abgeworben werden. Dagegen können und sollten die EU- und die G-8-Länder etwas tun.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Partnerschaftliche Politik mit und für Afrika ist Sache nicht nur dieses Parlaments, sondern auch der Menschen - und zwar in zunehmendem Maße -, die sich zusammen mit partnerschaftlichen Organisationen in unseren Gemeinden und Regionen für Afrika einsetzen und hier ein unglaublich großes Engagement an den Tag legen.
Es sind nicht nur die großen Hilfsorganisationen, sondern auch die partnerschaftlichen Organisationen, die zusammen mit den Menschen gegen Aids, Armut und Hunger kämpfen sowie für Frauen und Kinder streiten. Ihnen sollten wir nicht nur Dank sagen, sondern auch unsere Unterstützung zusichern.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Anke Eymer, CDU/CSU-Fraktion.
Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die außenpolitische Diskussion und die internationale Wahrnehmung haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt der Themen des afrikanischen Kontinents angenommen. Wir wissen: Afrika ist kein Rand- und auch kein Sonderthema. Dementsprechend nimmt Afrika auch in der deutschen Außenpolitik eine wichtige Position ein. Der vorliegende Antrag der Koalition ist ein adäquater Ausdruck dafür.
Eingedenk der Geschichte Afrikas und Europas muss Ziel all unserer Bestrebungen sein, Afrika zu einem Produkt der Afrikaner werden zu lassen. Wir setzen uns auf allen Ebenen für eine gleichberechtigte Politik in enger Abstimmung mit den afrikanischen Partnern ein. Eine Grundkonstante dabei ist die Einbindung Deutschlands in die Politik der Europäischen Union. Daher fordere ich eine noch engere Abstimmung der Vorgehensweisen der europäischen Partner in Bezug auf eine gemeinsame Afrikapolitik. Die deutsche Ratspräsidentschaft und der Vorsitz in der G 8 - das wissen wir inzwischen, auch nach den Reden heute Morgen - geben uns dazu eine hervorragende Gelegenheit. Das gestärkte deutsche Interesse an einer guten Entwicklung in Afrika und einem partnerschaftlichen Miteinander steht auf breitem Fundament.
Dieses zeigt sich ganz besonders in dem Engagement unserer Regierung, zum Beispiel auch in der Planung unserer Bundeskanzlerin, Ende dieses Jahres nach Afrika zu fahren.
- Frau Müller, Sie meinten vorhin etwas anderes.
Grundlage unseres Handelns sind der G-8-Aktionsplan für Afrika und die EU-Afrikastrategie. Im Rahmen seiner internationalen Bündnisse und Verpflichtungen ist Deutschland in den letzten Jahren zu einem aktiven und wichtigen Protagonisten der internationalen Afrikapolitik geworden. Wir haben uns internationalen Missionen nicht entzogen, und wir werden uns in Zukunft internationalen Missionen nicht entziehen. Wir werden weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv Verantwortung für Frieden und eine gute Entwicklung in Afrika übernehmen. Dazu gehört auch, die Afrikanische Union zu unterstützen. Dabei geht es um ihre Bemühungen und Projekte für Frieden und eine stabile Entwicklung in Afrika. Im internationalen Dialog vom Prinzip und der Forderung nach guter Regierungsführung, also nach Good Governance, abzurücken, wäre unverständlich und auch unverantwortlich.
Auf einem Kontinent, auf dem in den vergangenen Jahren noch Millionen von Menschen durch Krieg und Gewalt vertrieben und getötet worden sind, müssen Frieden und Sicherheit vorrangige Ziele jeder Bestrebung sein. Eine erfolgreiche Sicherheits- und Friedenspolitik braucht starke afrikanische Partnerstaaten. Dazu gehört sinnvollerweise, regionale afrikanische Kapazitäten zur Konfliktbewältigung und zur Konfliktprävention auszuweiten und zu unterstützen. Das betrifft auch das Problem der Migration, sowohl der Binnenvertriebenen in Afrika als auch jener Flüchtlinge, die unter Lebensgefahr versuchen, nach Europa zu kommen. Es ist sicherlich keine Lösung, die Kriterien der deutschen Asylpolitik im großen Stil aufzuweichen.
Wer vorgibt, mit solchen unrealistischen und unrealisierbaren Mitteln Probleme in Afrika lösen zu wollen, die vorrangig durch Prävention vor Ort zu lösen sind, der bietet uns nur eine unverantwortliche Grimm’sche Märchenstunde.
Sicherheit betrifft auch die Frage nach dem internationalen Terrorismus. Das ist die Frage, inwieweit religiöse Fundamentalisten in Afrika in jenen Bereichen Fuß fassen, die durch staatliche Strukturen nicht mehr kontrolliert werden. Der interreligiöse und der interkulturelle Dialog sind in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist nicht nur für eine intellektuelle Elite fruchtbar. Elite ist wichtig und muss auch gefördert und gehört werden. Ich möchte an dieser Stelle auf die Arbeiten der Universität Fort Hare hinweisen. Das ist eine Universität, die für zahlreiche afrikanische Politiker der Ausgangspunkt war und ist. Kultureller Austausch und Präsenz helfen, auf breiter Ebene Missverständnisse abzubauen. Hier ist auch die Arbeit der zahlreichen Stiftungen und die Arbeit des Goethe-Instituts zu nennen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass in Zukunft ausreichend Mittel für diese Arbeit bereitstehen.
Was den Bereich der menschlichen Entwicklung angeht, möchte ich einen Punkt herausstreichen - er wurde im Laufe dieser Debatte schon angeführt -: die Bedrohung durch Pandemien wie HIV und Aids, die eine besondere Gefährdung darstellen. Afrika ist von HIV und Aids besonders stark betroffen, und es ist auf internationale Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muss die Versorgung der Betroffenen mit modernen Medikamenten sicherstellen. Aber das Bewusstsein mancher Verantwortlicher in Afrika, ja selbst das Anerkennen, dass es HIV und Aids gibt, ist leider nicht immer gegeben.
Wie dringend der Handlungsbedarf hier ist, muss nicht weiter unterstrichen werden.
Zu diesem Thema gehört die besondere Rolle der Frauen und Mädchen; denn sie sind von HIV und Aids stärker betroffen. Auch in diesem Bereich ist die Stärkung der Position der Frauen und Mädchen dringend notwendig.
Der große Afrikaner und ehemalige Präsident von Südafrika, Nelson Mandela - er ist im Laufe dieser Debatte leider noch nicht erwähnt worden -, hat hierzu eine einfache Wahrheit ausgesprochen - ich zitiere -:
Wir müssen diese Krankheit beherrschen, sonst werden wir von ihr beherrscht.
Mandela ruft damit gleichzeitig alle Verantwortlichen auf, in dem Kampf gegen die Ausbreitung und in der Sorge um die Betroffenen nicht nachzulassen.
Deutsche Interessen in Afrika sind natürlich auch wirtschaftlicher Natur. Die Rohstoffe gehören den afrikanischen Bevölkerungen, die am Gewinn fair beteiligt werden müssen. Aber auch der Aufbau dauerhafter stabiler Wirtschaftsstrukturen, die nicht nur auf Rohstoffabbau ausgerichtet sein dürfen, gehört dazu.
Ebenso wichtig ist der Dialog mit den neuen internationalen Akteuren, die sich verstärkt für die afrikanischen Länder interessieren, also mit Ländern wie China und Indien. Ziel des Dialogs mit diesen neuen Akteuren muss es sein, dass vor allem eine chinesische Darlehens- und Investitionspolitik und ein chinesisches Interesse an den afrikanischen Rohstoffen nicht zu einer Einbahnstraße für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika werden.
In dem vorliegenden Antrag der Koalition wird die Bedeutung Afrikas als Wirtschaftspartner, im Bereich Demokratisierung und Konflikteindämmung und bei Fragen der internationalen Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung deutlich. Daher bitte ich Sie, den Antrag der Koalition zu unterstützen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Mit besonderem Dank an die letzte Rednerin, die jedenfalls einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung der ursprünglich vereinbarten Redezeit geleistet hat, schließe ich diese Debatte.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 83. Sitzung - wird am
Montag, den 5. März 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]