86. Sitzung
Berlin, Freitag, den 9. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsidentin Petra Pau:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 f auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen
- Drucksachen 16/4371, 16/4421 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen
- Drucksache 16/3793 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/4578 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kornelia Möller
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4581 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Beschäftigungspolitik für Ältere - für ein wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bundesagentur für Arbeit ermöglichen - Künstlerdienste sichern
- Drucksachen 16/241, 16/3027, 16/3779, 16/4578 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kornelia Möller
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)
- Drucksachen 16/4372, 16/4420 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)
- Drucksache 16/3794 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/4583 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Nein zur Rente ab 67
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Stichtagsregelung für die
Altersteilzeit im
RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Rente mit 67)
verlängern
- Drucksachen 16/2747, 16/3812, 16/3815, 16/4583 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Altersteilzeit fortentwickeln
- Drucksache 16/4552 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Rente mit 67 - Berichtspflicht zum Arbeitsmarkt nicht verwässern - Bestandsprüfungsklausel konkretisieren
- Drucksache 16/4553 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Zu dem Entwurf eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - ?RV“ soll wohl ?Rentenversicherung“ heißen -, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke sowie des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Konzept der Bundesregierung zum Übergang vom Erwerbsleben ins Rentenalter enthält vier zentrale Elemente: Erstens. Die Anhebung des Renteneintrittsalters - schrittweise von 2012 an bis zum Jahre 2029 - auf 67 Jahre, mit Sonderregelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Zweitens. Die Erhöhung der Beschäftigungschancen Älterer mit der Initiative ?50 plus“. Über diese beiden Punkte entscheidet der Deutsche Bundestag, entscheiden wir heute.
Der dritte Punkt des Konzepts heißt: Ausbau der betrieblichen Säule und der privaten Säule - Riester-Rente - zusätzlicher Altersvorsorge. Und viertens. Das Bemühen um alternsgerechte und altengerechte Arbeit und die Ausgestaltung der Phase des Übergangs von der Beschäftigung zur Rente. Diese beiden Elemente stehen noch zur Diskussion und zur Entscheidungsfindung an.
Wer vor 50 Jahren sein Berufsleben begann, der kennt noch die 48-Stunden-Woche und weiß, dass damals im Schnitt zehn Jahre lang Rente gezahlt wurde. Heute haben wir die 35-bis-40-Stunden-Woche und zahlen 17 Jahre lang Rente. Wir treten im Durchschnitt nicht mehr mit 16 ins Berufsleben ein, sondern mit 21. Wir arbeiten auch in Zukunft nicht länger, sondern weniger lang als die Generationen vor uns. 1960 kamen auf einen Rentner acht Personen im Erwerbsalter. Heute sind es 3,2 Personen.
2030 werden auf einen Rentner noch 1,9 Personen im Erwerbsalter kommen; die Rente würde dann durchschnittlich 20 Jahre lang gezahlt.
Man kann das alles ignorieren. Klug wäre das nicht und verantwortlich schon gar nicht. Wir haben aber die Verantwortung, und zwar für heute und für morgen, auch für die kommenden Generationen. Wir müssen handeln.
Das Problem ist nicht neu, und einiges ist in den vergangenen Jahren schon getan worden, um die Balance zwischen den Generationen zu wahren und um das System der beitragsgestützten Alterssicherung, der klassischen Rente, zukunftsfest zu machen und so lukrativ wie möglich zu halten. Der Rentenniveausatz sinkt bis 2030 auf rund 43 Prozent. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen bis 2020 nicht über 20 Prozent, bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Der Eintritt aus Arbeitslosigkeit in vorgezogene Rente mit Abschlag ist bald erst mit 63 Jahren möglich. Aus der Bundeskasse fließen jährlich rund 78 Milliarden Euro in indirekte oder direkte Rentenzahlungen - übrigens: 78 Milliarden Euro von 265 Milliarden Euro, die der Haushalt insgesamt umfasst. Ich sage das für die, die schlichtweg mehr Geld aus der Steuerkasse fordern. Auch um diese Perspektive nicht leichtfertig ins Rutschen zu bringen, verschieben wir das Renteneintrittsalter ab 2012 in achtzehn Jahresschritten bis 2029 von 65 auf 67 Jahre. Meine Damen und Herren, wenn daran Kritik geübt wird gibt es vor allen Dingen zwei Fragen, die man ernst nehmen muss. Die erste Frage heißt: Gibt es denn Arbeit für die, die schrittweise länger arbeiten sollen und wollen? Die zweite Frage lautet: Kann man physisch und psychisch bis 67 Jahre arbeiten?
Zur Antwort auf die erste Frage, ob es denn Arbeit gibt, trägt die Initiative ?50 plus“ bei, die wir heute ebenfalls auf den Weg bringen. 1998 waren 39 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland in Beschäftigung. Heute sind es 48 Prozent. Noch vor 2010 wollen wir bei über 50 Prozent sein. Ich habe keinen Zweifel, dass wir das schaffen werden.
Ich bin sicher, das schaffen wir so wie die skandinavischen Länder auch. Dort liegt diese Zahl bei über 70 Prozent. So anders als bei uns sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort nicht. Seit Anfang 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen in der Gruppe der über 50-Jährigen in Deutschland um 170 000 gesunken. Es gibt zurzeit 853 000 offene Stellen in Deutschland, 624 000 davon sind unmittelbar bei der BA gemeldet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist, ob wir als Gesellschaft wollen. Ob wir wollen, dass Arbeitnehmer nicht mehr mit 50, 55 oder 60 Jahren als unbrauchbar ausgegliedert werden. Ob wir wollen, dass sie eine echte Chance haben. Wir jedenfalls wollen das.
Allerdings müssen einige große Unternehmen damit aufhören, ihre Mitarbeiter auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme so früh wie möglich in die Frühverrentung zu drängen.
Die Initiative ?50 plus“ nimmt bestehende Aktivitäten auf, die schon seit einigen Jahren zu Erfolgen führen, und gibt ihnen neue Impulse. Viele Firmen erkennen inzwischen den Vorteil eines vernünftigen Altersmix in ihrer Belegschaft. Es tut sich etwas. Das verstärken wir mit unserer heutigen Entscheidung. Durch Kombilohn, Eingliederungszuschuss und Weiterbildungsangebote wird die Integration der über 50-jährigen Arbeitslosen von der BA und vom Bund gefördert. Die Initiative ?50 plus“ kann ein neuer Anfang werden. Man muss es, wie gesagt, nur wollen.
Auf die zweite Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, gibt es zwei Antworten, die einander ergänzen:
Die erste Antwort lautet: Man kann. In zahlreichen Berufen geht das, aber nicht in allen. Wir müssen in einer älter werdenden Gesellschaft systematisch darangehen, altersgerechte Arbeiten und altengerechte Arbeiten zu entwickeln und zu aktivieren. Die Humanisierung der Arbeitswelt, der Arbeitsschutz ist wichtig. Das ist keine Aufgabe von gestern und vorgestern, sondern bleibt eine zentrale Herausforderung.
Arbeit wird immer anstrengend sein; keine Illusion. Der Verschleiß ist unabwendbar. Aber durch aktiven Arbeitsschutz, gezielte Prävention und vernünftige Arbeitszeitgestaltung ist ein Teil der Belastungen vermeidbar, die heutzutage insbesondere zulasten der Augen, des Rückens und der Psyche gehen. Ich fordere Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, sich dieser Herausforderung bewusst und gezielt zu stellen. Seitens der Politik werden wir helfen, soweit das nur geht.
Aber das ist eine Aufgabe, die vor Ort in den Betrieben bewältigt werden muss. INQA ist eine Initiative, in der bereits eine Reihe von Firmen, unterstützt von der Politik, an dieser Herausforderung arbeiten, und zwar mit Erfolg.
Die zweite Antwort auf die Frage, ob man überhaupt bis 67 arbeiten kann, lautet: Das ist individuell sehr unterschiedlich. Deshalb braucht man individuelle Antworten. Sie hängen davon ab, welche Arbeit getan werden soll. Das Argument, dass der 66-jährige Maurer nicht mehr oben auf dem Gerüst stehen kann, ist in sehr vielen Fällen richtig. Der 64-jährige Maurer kann das allerdings auch nicht mehr.
Wenn Invalidität gegeben ist, wird es auch in Zukunft die teilweise oder volle Erwerbsminderungsrente geben. Teilrente bleibt grundsätzlich möglich, und die Frage nach dem Zuverdienst ist gestellt. Altersteilzeit in der klassischen - überwiegend praktizierten - Form wird es auch über 2009 hinaus geben. Der Eintritt in die vorgezogene Rente ab 63 muss nicht zu den vollen Abschlägen führen, wenn rechtzeitig dafür gesorgt wird, dass mit Zusatzbeiträgen an die Rentenversicherung gegengesteuert wird. Arbeitszeit- und Wertkonten können in Tarifverträgen eine größere Rolle spielen als bisher.
Das alles sind Punkte, die - systematischer als bisher - für den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente genutzt werden können. Wichtig für die materielle Sicherheit im Alter ist, ob es uns in Deutschland gelingt, generell den Wohlstand zu halten und zu mehren oder nicht. Neben die gesetzliche Rente, die das Kernstück der Alterssicherung in Deutschland bleiben wird, muss zunehmend die zusätzliche Altersvorsorge treten. Rund 17 Millionen Menschen nehmen an einer betrieblichen Altersvorsorge teil. Inzwischen sind über 8 Millionen in die Riester-Rente eingestiegen. Hier wollen wir im Laufe des Jahres noch eine Verbesserung erreichen. Die Koalition will, dass Familien mit aufwachsenden Kindern in der Riester-Rente noch stärker gefördert werden als bisher. Wir wollen zudem - da muss die Gestaltung noch vereinbart werden - den Ankauf von selbstgenutztem Wohneigentum oder Wohnrechten über die Riester-Rente noch deutlicher als bisher ermöglichen.
Wir haben den Insolvenzschutz für die Betriebsrenten verbessert. Wir stützen den Anspruch auf Portabilität solcher Vorsorge. Wenn die Firma insolvent wird oder wenn der Arbeitnehmer das Unternehmen freiwillig wechselt, bleibt die angesparte Altersvorsorge sicher; dafür garantieren wir.
Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters 2012 konkret wird, wird die Initiative ?50 plus“ schon fünf Jahre wirken. Sie wird auch darüber hinaus die Erhöhung des Renteneintrittsalters flankieren. Die heutigen Entscheidungen sind richtig. Es gibt keinen Grund, den Menschen in Deutschland wegen dieser Entscheidungen Angst zu machen. Im Gegenteil: Unser Land braucht den Erfahrungsschatz, das Wissen und das Können der älteren Generation, um seine Wohlstandsfähigkeit auch in Zukunft zu behalten.
Wir sichern damit auch die Spielräume für verstärkte Qualifizierung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Im Jahr 2010 wollen wir in Deutschland 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Für den Bund bedeutet das, dass er rund 6 Milliarden Euro mehr für diese Zwecke einsetzen muss. Diese Investition in die Innovationsfähigkeit unseres Landes ist keine Garantie, aber die einzige Chance, dass Deutschland auch in Zukunft Hochleistungsland und Wohlstandsland bleibt und damit auch ein Land mit insgesamt guter Alterssicherung. Denn das sind wir. Es gibt arme Rentnerinnen und Rentner; das ist wahr. Ihnen haben wir mit der Grundsicherung eine materielle Garantie gegeben. Wahr ist aber auch: Es gab noch nie eine Generation Älterer, die so zuverlässig und so stabil sozial abgesichert war wie diese; das soll so bleiben. Dafür kämpfen wir als Regierung und als Koalition.
Die vorgezogene Rente mit 63 wird 2029 in einem Hochleistungsland höher sein als eine volle Rente mit 67 in einem Land, das an Schwung verloren hätte. Wir müssen Hochleistungsland bleiben wollen. Deutschland darf seinen Wohlstand nicht verlieren. Wir müssen jetzt in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. Was wir für die Kinder und die jungen Menschen sowie die Weiterbildung ausgeben, ist der beste Garant dafür, dass die Rente in Deutschland auch in Zukunft sicher ist und dass die ältere Generation dann in einem Wohlstandsland eine Rente hat, von der sie leben kann.
Wir müssen den Gesamtzusammenhang sehen. Was wir jetzt in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen sowie in Ausbildung, Qualifizierung, Forschung und Technologie investieren, bildet die Grundlage dafür, dass 2020, 2030 die Renten in Deutschland hoch sein werden, und zwar so hoch, dass die Menschen davon ordentlich leben können. Das wollen wir. Und das können wir. Mit den heutigen Entscheidungen helfen wir, dies vorzubereiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die steigende Lebenserwartung der Menschen in unserem Land stellt wegen der damit verbundenen längeren Rentenbezugsdauer eine große demografische Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung dar. Die Antwort auf diese Herausforderung erfordert nach unserem Dafürhalten einen Paradigmenwechsel, also einen grundlegend neuen Ansatz bei der Gestaltung des Übergangs von der Arbeit in die Rente. Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild werden.
Denn tatsächlich sind in der Vergangenheit im Rahmen der Altersteilzeit ältere Arbeitnehmer regelrecht aus dem Erwerbsleben gedrängt worden.
Viele haben die Frühverrentung bzw. die Altersteilzeit aber auch bewusst als einen vergleichsweise sicheren Hafen in Zeiten einer schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere angesteuert.
Die Rente mit 67 ist nicht die einzige Möglichkeit, der demografischen Herausforderung zu begegnen. Die FDP setzt diesem Ansatz das Konzept eines flexiblen Übergangs in die Rente bei gleichzeitigem Wegfall der Zuverdienstgrenzen entgegen. Bevor ich Ihnen unser Konzept erläutere, will ich kurz darauf eingehen, warum wir Ihren Gesetzesvorschlag zur Rente mit 67 ablehnen.
- In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wo die Schwachpunkte liegen, Herr Brauksiepe. Das ist zum einen die Tatsache - insofern muss ich dem Minister widersprechen -, dass der weit überwiegende Teil der Betroffenen keine Chance haben wird, bis zum Erreichen des neuen Renteneintrittsalters von 67 Jahren zu arbeiten.
Professor Rürup - Ihr Berater, Herr Müntefering - hat in der Anhörung offen gesagt, es werde unterstellt, dass 40 Prozent der Betroffenen tatsächlich diese zwei Jahre länger arbeiteten. Das ist schon sehr viel, wenn wir bedenken, dass zurzeit nur noch 22 Prozent der Rentenzugänge aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erfolgen.
Wollen Sie ernsthaft behaupten, Herr Müntefering, Ihr Konzept ?50 plus“ - der zweite Aufguss von Instrumenten, die sich schon in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen haben - werde die Situation grundlegend ändern? Das können Sie getrost vergessen. Ich denke, Ihr Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen ist genauso ein Etikettenschwindel wie das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen. Was Sie uns damit präsentieren, ist weiße Salbe. Es ist alter Wein in alten Schläuchen. Die Wirkung liegt nahe bei null.
Wenn Sie das anders sehen würden, Herr Kollege Brandner und Herr Kollege Schaaf, dann hätten Sie doch in der Abstimmung in Ihrer Fraktion die Überprüfungsklausel mit einem konkreten Beschäftigungsziel scharf schalten können und sich daran messen lassen, welche Verbesserungen bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich erreicht werden können. Das haben Sie aber nicht getan.
Das ist der eine Punkt, den wir kritisieren.
Ein weiterer Punkt sind die massiven verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken, die in der Anhörung vorgetragen wurden und die Ablehnung Ihres Konzeptes zwingend erforderlich machen. Sie haben nämlich bei dem Versuch, die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 etwas ?aufzuhübschen“, eine Ausnahmeregelung für besonders langjährig Versicherte in den Gesetzentwurf aufgenommen, die auf breiten Widerspruch der Sachverständigen wie auch der Deutschen Rentenversicherung selbst gestoßen ist. Kritisiert wird, dass das Vorhaben gegen das Prinzip der Teilhabeäquivalenz verstößt und Frauen, Arbeitslose und freiwillig Versicherte keine Chance haben, von dieser Sonderregelung Gebrauch zu machen. Insofern gibt es gute Gründe, mit der Deutschen Rentenversicherung die Verfassungsmäßigkeit zu bezweifeln und mit dem Deutschen Juristinnenbund die Unvereinbarkeit mit europäischem Recht festzustellen.
Auf diese massive Kritik haben Sie aber nicht reagiert. Sie haben keine Änderungsanträge vorgelegt, um den Bedenken Rechnung zu tragen. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Struck’sche Gesetz, wonach angeblich nichts so aus dem Bundestag herauskommt, wie es hineingegangen ist.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Motto lautet vielmehr: Augen zu und durch.
Ich kann mir vorstellen, dass die SPD-Fraktion nach den jüngsten Umfragen am liebsten ganz auf die Debatte zur Rente mit 67 verzichtet hätte. Aber dass Sie uns zumuten, in eineinhalb Stunden zwölf Vorlagen im Parlament durchzuhecheln, und dass Sie in einer Sitzung des federführenden Ausschusses die Aussprache gar ganz verweigert haben,
zeigt, dass es Ihnen lieber ist, ein mängelbehaftetes Gesetz im Rekordtempo durch das Parlament zu peitschen, als gemeinsam nach einer tragfähigen Lösung zu suchen.
Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag vor, der Eckpunkte eines Konzeptes für einen flexiblen Übergang in die Rente enthält, den sich einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge zwei Drittel der Befragten wünschen und den wir für besser geeignet halten, den Bedürfnissen der Menschen nach individueller und abgesicherter Lebensgestaltung im Alter gerecht zu werden.
Ich will Ihnen dieses Konzept in seinen Grundzügen beschreiben. Erstens soll nach unserem Konzept für alle Versicherten ab 60 Jahren der Rentenzugang möglich sein, wobei die Versicherten wählen können, ob sie eine Vollrente oder eine Teilrente aus den bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Entgeltpunkten beziehen wollen. Voraussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist alleine die Grundsicherungsfreiheit. Die Prüfung erfolgt für die Bedarfsgemeinschaft, sodass in der Regel auch Frauen der flexible Rentenzugang ermöglicht wird. Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Versicherten diese Möglichkeit werden nutzen können.
Zweitens. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem Rentenbezug werden aufgehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob und in welchem Umfang sie neben einem Rentenbezug noch erwerbstätig sein wollen.
Dadurch wird es möglich, den Lebensstandard auch bei einem vorzeitigen Rentenbezug zu halten. Für den Zuverdienst werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Die durch die Rentenbeiträge erworbenen Entgeltpunkte können vom Arbeitnehmer zur Erhöhung der eigenen Rente eingesetzt werden.
Drittens. Es gibt einen individuellen Zugangsfaktor, mit dem berücksichtigt wird, wie lange der Versicherte arbeitet. Je länger er arbeitet, desto höher sind der Zugangsfaktor und damit die Rente. Es erfolgt eine für jede Alterskohorte, für jeden Jahrgang individuelle Berechnung des Rentenwertes. Dadurch wird eine gerechte Verteilung der Lasten der Alterung auf die verschiedenen Jahrgänge erreicht, während im Gesetzentwurf der Koalition die Jahrgänge 1964 bis 1979 besonders stark belastet werden.
Viertens. Wir wollen eine flankierende Reform des Arbeitsmarktes, sodass diejenigen, die aufgrund der verstärkten Anreize länger arbeiten wollen, auch länger arbeiten können.
Das ist das Konzept. Dieser in vier Punkten umrissene Ansatz ist im besten Sinne ein liberales Konzept.
Er setzt auf die freie Entscheidung des Einzelnen, während Sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg ein höheres Renteneintrittsalter anordnen wollen. Er berücksichtigt die verbreiteten Ängste der Menschen in unserem Lande, im Falle der Arbeitslosigkeit als ältere Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auf Hartz IV verwiesen zu werden und jenseits niedriger Schongrenzen eigenes Vermögen und eigene Altersvorsorge einsetzen zu müssen.
Darüber hinaus ist unser Modell - das wird der Regelfall sein - in den Fällen besonders interessant, in denen bei reduzierter Arbeitszeit und entsprechend reduziertem Verdienst eine bisherige Beschäftigung fortgeführt wird. Hier können durch den Abschlag auf die Teilrente entstehende Lücken nicht nur wieder geschlossen, sondern sogar überkompensiert, also eine auf Dauer höhere Rente erreicht werden, was natürlich die Neigung, tatsächlich länger tätig zu bleiben, deutlich erhöhen wird.
Dass trotz oder gerade wegen der Möglichkeit eines Rentenzugangs ab 60 die tatsächlichen Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen werden, zeigen die Erfahrungen in Dänemark und in Schweden, wo in der Altersklasse 55 bis 65 61 bzw. 69 Prozent der Betroffenen noch erwerbstätig sind. In Deutschland sind es gerade einmal 45 Prozent. Das ist der springende Punkt: Erst das Gefühl, nicht mehr arbeiten zu müssen, aber weiter arbeiten zu können, versetzt die Menschen in die Lage, sich für eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben zu entscheiden.
Jüngere und ältere Arbeitnehmer stehen auch nicht in einem Konkurrenzverhältnis, wie es uns die Erfinder der Altersteilzeit weismachen wollen. Nein, die Älteren verdrängen keine Jüngeren, sondern sie treten, wie Professor Sinn in der Anhörung gesagt hat, mindestens additiv hinzu, wenn sie nicht sogar Komplemente sind. Ältere Arbeitnehmer sind in der Lage, Jüngere anzuleiten, ihnen zu zeigen, wie man arbeitet, und sie können die Arbeit organisieren. Wenn wir diesen Bereich des Arbeitsmarktes stärken, entstehen zugleich auch zusätzliche Jobs für die Jüngeren. Deswegen bitte ich Sie heute, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, den Weg für ein modernes und flexibles Konzept des Übergangs vom Arbeitsleben in die Rente freizumachen und den Entwurf zur Rente mit 67 abzulehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Ilse Falk das Wort.
Ilse Falk (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung die beiden Vorhaben, nämlich Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen und Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung, zur Abstimmung stellen, und zwar unverändert zur Abstimmung stellen, dann tun wir das, weil wir überzeugt sind, dass es auf mittlere Sicht zu dieser Anpassung kommen muss, um gerade für die jüngere Generation schon heute ein Stück Verlässlichkeit in der Rentenpolitik zu erreichen.
Lassen Sie mich eines vorweg sagen, weil es eng mit dem Thema Rente verzahnt ist: Wir haben es in dieser Koalition geschafft, die Arbeitslosigkeit innerhalb eines kurzen Zeitraums signifikant zu senken, und, was noch wichtiger ist, wir haben eine Trendwende im Bereich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht. Seit einigen Monaten verzeichnen wir hier einen beständig wachsenden Aufwuchs.
Dies kann nicht oft genug betont werden, und es ist und bleibt ein Verdienst der Großen Koalition, dieser Regierung und damit der Bundeskanzlerin, die diese Regierung führt.
Diese positive Entwicklung bedeutet Einnahmen für die sozialen Sicherungssysteme und bewirkt natürlich auch eine leichte Entspannung in der Rentenkasse. Gleichwohl sind die beiden Gesetze, über die wir heute sprechen, notwendig. Ich bin dem Bundesarbeitsminister dankbar, dass er hierzu die Initiative ergriffen hat
und angesichts der massiven Kritik der Opposition und zahlreicher Verbände, allen voran der Gewerkschaften, standhaft geblieben ist.
Erfreulicherweise steigt die Lebenserwartung. Damit werden viele in den Genuss einer Rentenbezugsdauer kommen, die im Vergleich zu der der Generationen vor ihnen erheblich länger ist. Gleichzeitig - auch das ist die Wahrheit - werden nach wie vor zu wenige Kinder geboren. Damit stößt der Generationenvertrag, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen, an seine Grenzen. Deshalb müssen wir bereits heute Maßnahmen ergreifen, um die Rente für künftige Generationen zukunftsfest zu machen.
Verbesserte Rahmenbedingungen in der Familienpolitik tragen hoffentlich zur Entschärfung bei. So sollen Elterngeld und mehr Betreuungsplätze den Eltern die Erfüllung des Kinderwunsches und die vielfach gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
Dass sowohl Erwerbstätigkeit als auch die Übernahme von Erziehungsaufgaben mit der Notwendigkeit der Alterssicherung von Frauen heute immer eng verknüpft ist, gilt zwar als selbstverständlich, bedarf aber ganz sicher noch der Verbesserung. Das soll aber nicht durch die Verabschiedung dieses Gesetzes erreicht werden; vielmehr muss es ganz sicher an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen werden.
Die Anpassung der Regelaltersgrenze sichert die langfristige Finanzierbarkeit unseres Rentensystems. Gleichzeitig geben wir den jungen Menschen damit bereits heute ein Signal, worauf sie sich einzustellen haben.
Erstens: dass die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft eine solide Basis der Altersversorgung sein wird.
Zweitens aber auch: dass sie dringend zusätzlich sowohl private als auch - nach Möglichkeit - betriebliche Altersvorsorge betreiben sollten.
Erstaunt habe ich gesehen, dass gerade junge Menschen nicht an den Demonstrationen gegen die rentenpolitischen Maßnahmen teilgenommen haben.
Offensichtlich haben sie verstanden, dass es um ihre Interessen geht.
Es war schon interessant, zu beobachten, dass überwiegend diejenigen demonstriert haben, die von den heute zu beschließenden Maßnahmen überhaupt nicht betroffen sind.
Andere, so scheint mir, haben noch nicht einmal realisiert, dass die Anpassung bis zum Jahr 2029 stufenweise erfolgen wird.
Für die Aufgeregtheiten, die in den letzten Wochen gerade bei den älteren Arbeitnehmern kräftig geschürt worden sind, gibt es also keinerlei nachvollziehbaren Grund. Ich sage das bei allem Verständnis dafür, dass sich die Älteren mit den jungen Kollegen in dieser Frage solidarisch fühlen.
Die langfristige Finanzierbarkeit der Rentenversicherung ist allerdings nur ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Ein weiteres wesentliches Anliegen der heute zur Beratung anstehenden Maßnahmen ist, dass in Gesellschaft und Wirtschaft ein Umdenken stattfinden muss.
Einerseits werden sich die jüngeren Arbeitnehmer darauf einstellen müssen, dass sie den gleitenden Übergang in die Rente nicht schon mit 50 Jahren planen können, wie das ihre Eltern teilweise getan haben und zum Teil immer noch tun. Hier gilt es aufzupassen. Während das allgemeine Renteneintrittsalter langsam, aber kontinuierlich gestiegen ist, sinkt das Alter des Zugangs in die Erwerbsminderungsrente nach wie vor. Auch das muss uns zu denken geben, zumal längst nicht immer körperliche Beschwerden der Anlass sind, sondern immer häufiger psychische Erkrankungen.
Andererseits muss es auch ein Umdenken in den Unternehmen geben. Hier müssen Veränderungsprozesse forciert und aktiv begleitet werden. Dazu gehören nach meinem Verständnis Themen wie Weiterbildung und die Unterstützung lebenslangen Lernens. Außerdem müssen für Arbeitnehmer, die körperlich anstrengende Arbeit und/oder Schichtarbeit leisten, in der Tat Modelle weiterentwickelt werden, die sie vor gesundheitlichen Schäden bewahren. Beispiele wie Arbeitsplatzrotation im Betrieb zur Verhinderung von einseitigen Belastungen oder Anwendung der Erkenntnisse über die körperlichen Auswirkungen der Schichtarbeit müssen umgesetzt werden. Die Bevölkerungsentwicklung zeigt: Wir müssen in Kürze damit rechnen, dass ältere Arbeitnehmer auch deswegen gesucht sein werden, weil es gar nicht mehr genügend Berufseinsteiger geben wird, um den Bedarf zu decken. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, die sich in ihrer Personalpolitik rechtzeitig auf die veränderten Verhältnisse einstellen, schon heute darauf reagieren, die Beschäftigten länger in den Betrieben halten und auch dazu übergehen, wieder ältere Menschen einzustellen, statt sie über Frühverrentungsprogramme in die Frührente zu schicken. Die Initiative ?50 plus“ mit einem Bündel von Maßnahmen wird hierbei unterstützend wirksam sein.
Weil die Kritiker hartnäckig das Gegenteil behaupten, möchte ich einige Anmerkungen zur sozialverträglichen Ausgestaltung des Gesetzes machen. Der Union war es ein großes Anliegen, denjenigen, die über Jahrzehnte hinweg Beiträge gezahlt haben und damit über viele Jahre Solidarität geübt haben, auch weiterhin einen vorzeitigen Ruhestand ohne Abschläge zu ermöglichen.
Deshalb können diejenigen, die 45 Beitragsjahre aufzuweisen haben, weiterhin mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.
Ich will aber nicht verschweigen, dass die Sachverständigen in der Anhörung gerade hierzu kritische Anmerkungen gemacht haben.
Wir halten die getroffenen Regelungen dennoch für richtig und wichtig. Allerdings scheint es aus meiner Sicht lohnenswert zu sein, die vorgetragenen Anregungen für einen flexibleren Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit der gebotenen kritischen Sorgfalt ernsthaft zu bedenken.
Dabei darf allerdings die Regelaltersgrenze von 67 Jahren ebenso wenig in Frage gestellt werden wie die mit diesem Gesetz verfolgte Zielrichtung.
Auf einen weiteren Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen, der mir als Familienpolitikerin besonders wichtig ist. Wer Kinder großzieht, übt ebenfalls Solidarität mit der Gesellschaft. Deshalb soll die Familienleistung der Beitragsleistung gleichgestellt werden.
Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, dem wird diese Zeit auf die 45 Jahre angerechnet, also drei Jahre Erziehungszeit, die sich zugleich rentensteigernd auswirken, sowie die Kinderberücksichtigungszeiten, die zwar nicht finanziell wirksam werden, aber sich mit bis zu zehn Jahren pro Kind auf die Ermittlung der Beitragsjahre auswirken, plus eventuelle Pflegezeiten.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Falk, jetzt geraten Sie langsam in die Phase, in der Sie die Redezeit Ihrer Kollegen in Anspruch nehmen.
Ilse Falk (CDU/CSU):
Letzter Satz. - Uns ist klar, dass damit nicht der Nachteil der lückenhaften Rentenbiografien der Frauen ausgeglichen werden kann. Aber ohne diese Regelung hätten noch viel weniger Frauen die Chance, 45 Beitragsjahre zu erreichen.
Wir machen damit einen mutigen Schritt in einer Zeit, die allen Anlass zu Optimismus gibt. Wir machen es für die Menschen und nicht gegen sie.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Warum das Konzept der Regierung nicht funktioniert, ist mit zwei Sätzen aufgezeigt: Sie können nicht sagen, wo die Menschen länger arbeiten sollen, und Sie können auch nicht sagen, wie sie es machen sollen.
Das ist Ihr Problem. Deshalb geht Ihr gesamtes Konzept nicht auf.
- Da können Sie grölen, wie Sie wollen; das ist Fakt.
Schauen wir uns die Bauindustrie an: Nur 10 Prozent erreichen das zurzeit geltende Renteneintrittsalter von 65 Jahren. 33 Prozent scheiden wegen Erwerbsunfähigkeit vorher aus. Das Durchschnittseintrittsalter ist 58. - Sagen Sie denen doch einmal, wie sie es hinbekommen sollen, bis 65 zu arbeiten, ohne dass Sie das Gesetz ändern! Wenn Sie das können, dann haben Sie vielleicht eine Chance, hier ernst genommen zu werden.
Das Institut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB, hat festgestellt: 1,2 bis 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze sind notwendig, um das einigermaßen hinzubekommen. - Wo sollen die denn sein? Wir erleben doch gerade das Gegenteil. Schauen Sie sich einmal um! Trotz des Aufschwungs erleben wir einen Arbeitsplatzabbau. Wo bitte schön sollen denn die Menschen arbeiten? Ihr Konzept ist eine pure Luftnummer.
Weil auch Sie von der Sozialdemokratie das wissen - mein Kollege Schaaf weiß das ebenfalls -, haben Sie den Antrag abgelehnt, der von einigen Sozialdemokraten eingebracht wurde und darauf zielt, zumindest hinzubekommen, dass der Anteil - -
- Ihr habt ihn gar nicht abgestimmt. Ihr habt ihn verschoben nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. - Das macht ihr gerade; das ist eure Praxis.
Sie glauben selber nicht, dass Ihr Konzept aufgeht. Ihr Konzept hat einen wesentlichen Nachteil, nämlich den, dass es nicht aufgeht; das wissen Sie. Wenn Sie denken würden, es tatsächlich hinzubekommen, dass der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit im Jahr 2010 bei über 50 Prozent liegt, dann hätten Sie es beschlossen. Wenn Sie wirklich glauben würden, dass Ihr Konzept funktioniert, dann hätten Sie den Vorschlag des DGB ernst genommen, der empfohlen hat: Macht die Rente mit 67 dann, wenn die Arbeitslosigkeit auf 2 Millionen gesunken ist. - Das traut ihr euch aber hinten und vorne nicht. Das ist der Grund.
Was übrig bleibt, ist eine Rentenkürzung: Wer heute 40 Jahre arbeitet, erhält nach 40 Versicherungsjahren circa 950 Euro. Angenommen, wir hätten das, was Sie jetzt beschließen, schon vor 30 Jahren gemacht, dann läge die Rente jetzt bei 750 Euro, bei Einführung der Rente mit 67 läge sie sogar bei nur 700 Euro. Das ist Ihr Konzept. Das ist eine pure Rentenkürzung. Sie machen Politik zulasten der Leute.
- Da könnt ihr euch aufregen, wie ihr wollt. Ich weiß, dass es euch nicht gefällt, wenn man euch die Wahrheit sagt. Es gab einmal eine Sozialdemokratie, die den Namen auch verdient hat. Davon seid ihr himmelweit entfernt.
Ich will euch noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen:
Die Rente mit 67, wenn sie denn eingeführt wird, macht 0,3 bis 0,5 Beitragssatzpunkte aus. Da frage ich mich: Geht es Ihnen wirklich darum, den Beitragssatz stabil zu halten? Das wesentliche Problem Ihres Ansatzes ist, dass Sie von der Beitragsstabilität ausgehen und nicht davon, dass wir in diesem Land eine vernünftige Rente brauchen. Das ist Ihr Problem. Ich sage Ihnen, worum es wirklich geht. Bleiben die Beiträge wirklich stabil? Das ist doch überhaupt nicht wahr. Die Beiträge bleiben nur für die Arbeitgeber stabil. Die Arbeitnehmer werden sich zusätzlich versichern müssen und bei Weitem mehr Belastungen haben als gegenwärtig. Das ist die Realität.
Die Forschungsgruppe Wahlen sagt, dass gegenwärtig 83 Prozent der Bürger in unserem Land das Anheben des Renteneintrittsalters ablehnen, 78 Prozent aus dem Lager der Union, 84 Prozent der SPD-Mitglieder. Ich habe Herrn Weiß im Ausschuss gehört. Er hat gesagt, die Zustimmung der Bürger zu diesem Konzept nehme zu. Ich weiß nicht, von welcher Skatrunde er das hat. Das ZDF-Politbarometer sagt etwas anderes. Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie hier machen, ist eine Politik gegen die große Mehrheit der Bürger unseres Landes. Deshalb haben Sie den Anspruch, Volkspartei zu sein, verwirkt.
- Dazu muss ich Folgendes sagen, Herr Kollege: Wenn man das Parlament durch den Haupteingang und nicht durch den Hintereingang betritt, stellt man fest, dass über dem Eingang ?Dem Deutschen Volke“ steht. Wenn ihr so weitermacht, müsst ihr draufschreiben: ?Der Deutschen Versicherungswirtschaft“. Das kommt eurer Politik nämlich näher.
Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken:
Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden es nicht vergessen, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie, die ihre Verbindung zu den Gewerkschaften so gerne betont, so etwas macht. Heute früh habe ich gesehen, dass der Kollege Steppuhn, ein Mitglied Ihrer Fraktion, gegen dieses Konzept stimmen wird. Im Gegensatz zu Ihnen, Kollege Brandner, versteht er noch etwas von der Praxis. Er weiß, was das bedeutet.
Gegenwärtig würde die SPD 25 Prozent der Stimmen erhalten. Sie nähern sich zielstrebig, von oben, dem Projekt 18. Das haben Sie auch verdient. Wenn man, wie Sie, die Arbeitnehmer auf die Weise betrügt, dass man vor der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was man nachher macht, und sich dann auch noch über die Beschwerden aufregt, wie Herr Müntefering, dann kann ich dazu nur sagen: Sie tragen dazu bei, dass der Politiker in diesem Land inzwischen den Ruf eines Trickbetrügers hat. Hören Sie auf mit dieser Politik!
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns waren in den letzten Monaten zu Veranstaltungen von Gewerkschaften und Verbänden eingeladen. Dort wurde deutlich: Die Rente mit 67 ist gewiss keine populäre Entscheidung, vor allem weil die meisten Menschen diese Entscheidung vor dem Hintergrund der heutigen Arbeitsmarktsituation sehen; wir haben gerade gehört, dass das bei der Linksfraktion ähnlich ist.
Dabei ist eines klar, Herr Ernst: Wenn die Rente mit 67 voll wirksam wird, also im Jahre 2029, wird es aufgrund der demografischen Entwicklung 8 Millionen Menschen im Erwerbsalter weniger geben.
Wenn Sie die Ihrer Meinung nach zusätzlich benötigten 1,2 Millionen Arbeitsplätze davon abziehen, haben wir immer noch eine erkleckliche Summe. Ihr Argument können Sie also vergessen.
Die Unternehmen werden also, ob sie wollen oder nicht, ihre Jugendzentriertheit aufgeben und sich auf eine alternde Belegschaft einstellen müssen. Die lange Übergangszeit von 22 Jahren schafft Planungssicherheit. Betriebe können rechtzeitig in die betriebliche Weiterbildung und Gesundheitsförderung sowie in eine bessere Arbeitsorganisation investieren.
Für uns Grüne ist die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt eine wesentliche Voraussetzung für die Rente mit 67.
Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns alle zwei Jahre die Beschäftigungssituation der über 55-Jährigen darlegt, damit möglicherweise weitere Maßnahmen ergriffen werden können.
Wir stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters, wie sie auch in Großbritannien, Dänemark und Portugal vorgesehen ist. Wir Grüne stehen dazu, und das auch in der Opposition. Wir wollen nämlich, dass auch unsere Kinder noch eine verlässliche Rente bekommen.
Die Linksfraktion macht es sich einfach. Sie leugnet die demografische Entwicklung. Neuerdings hat sich auch die FDP der Fundamentalopposition angeschlossen.
Noch in der Bundestags-Enquete-Kommission ?Demografischer Wandel“ waren Sie mit uns für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, Herr Kolb, was stört Sie schon Ihr dummes Geschwätz von gestern?
Ich kann dazu nur sagen: Mit einer solchen Position haben Sie ein Dauerabo für die Opposition gebucht.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr gerne, Herr Kolb.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel betreiben?
Sie wollen doch die Rente mit 67 ablehnen und haben kein eigenes alternatives Konzept.
Die FDP allerdings hat sich der Mühe unterzogen, hier einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten, wie die längere Teilhabe älterer Menschen am Erwerbsleben tatsächlich gewährleistet werden kann. Das unterscheidet uns.
Wir betreiben keine Fundamentalopposition. Wir bewerten - genau wie Sie - kritisch den Vorschlag der Regierung und werden - genau wie Sie - diesen Vorschlag ablehnen. Wir aber haben einen eigenen Vorschlag anzubieten, von dem wir glauben, dass er besser ist.
An der Stelle stehen Sie ziemlich nackt da. Wären Sie bereit, mir zuzustimmen?
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kolb, ich freue mich, dass Sie meine Redezeit verlängern. - Haben Sie vielleicht einmal auf die Tagesordnung geschaut, ob ein Entschließungsantrag der Grünen-Bundestagsfraktion darauf steht,
der da lautet, dass wir für die Rente mit 67 sind, dass wir eine Teilrente vorsehen, dass wir die Ausnahmeregelung ablehnen?
Haben Sie das vielleicht einmal gelesen?
Nun zu Ihrem Konzept. Ich hatte eigentlich nicht so viel Redezeit, aber wenn Sie mich dazu auffordern, sage ich etwas dazu.
Sie schlagen vor, dass man statt mit 67 mit 60, aber mit Abschlägen, in Rente geht
- ja, gehen kann. Wer kann denn diese Regelung in Anspruch nehmen? Das sind die gutverdienenden Männer, die eine entsprechend hohe Rente haben.
Sie wissen ganz genau, dass sich das In-Rente-Gehen mit 60 und den damit verbundenen Abschlägen in Höhe von 25 Prozent nur leisten kann, wer ein hohes Einkommen hat.
Schauen Sie sich einmal die durchschnittliche Rente von Frauen an! Sie haben gesagt, von der Möglichkeit könne nur jemand Gebrauch machen, der mindestens das Grundsicherungsniveau erreicht. Die durchschnittliche Frauenrente liegt heute bei 500 Euro. Viele Frauen könnten überhaupt nicht in den Genuss Ihrer Regelung kommen. Darum lehnen wir einen solchen Blödsinn ab. Er ist Ausdruck der Klientelpolitik und passt zu Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten von Norbert Blüm sind vorbei, in denen man den Menschen vorgaukeln konnte, die Rente sei sicher. Die Menschen erwarten auch von der Opposition nicht nur Klamauk oder Opportunismus, sondern ehrliche Antworten.
Zu diesen ehrlichen Antworten gehört, dass bei uns wegen der niedrigen Geburtenrate und der steigenden Lebenserwartung immer weniger Erwerbstätige immer mehr und immer längere Renten zahlen müssen.
Darum gerät der Generationenvertrag zunehmend aus dem Lot. Heute sind es zwei Erwerbstätige - ich habe da andere Zahlen als Sie, Minister Müntefering -, die für eine Rente aufkommen müssen, ohne Reformen wäre das Verhältnis künftig eins zu eins.
Es gäbe andere Möglichkeiten zur Stabilisierung der Rentenversicherung: Man kann die Beiträge erhöhen; aber damit belastet man einseitig die Erwerbstätigen. Man kann auch das Nettorentenniveau kürzen; dann betrifft das aber nur die Rentnerinnen und Rentner.
Das wäre eine Rentenkürzung. - Beide Lösungen scheiden für uns Grüne aus, weil wir nicht einseitig eine Generation belasten wollen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Schewe-Gerigk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gerne, Kollege Ernst.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Arbeitnehmer, wenn sie das Rentenniveau, das sie heute haben, sichern wollen, zusätzliche Beiträge in eine private Versicherung geben müssen und damit natürlich eine faktische Beitragserhöhung haben, die höher ist, als wenn sie paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert würde, oder ist Ihnen das entgangen?
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das ist mir nicht entgangen, Herr Kollege Ernst. Sie wissen, dass die Riesterrente inzwischen zu einem Erfolgsmodell geworden ist: 8 Millionen Menschen haben inzwischen einen solchen Vertrag abgeschlossen. Es gibt gar keine bessere Anlagemöglichkeit als diese,
weil sie vom Staat gefördert wird.
Ich sehe hier auf der Tribüne sehr viele junge Menschen. Man kann den jungen Menschen wirklich nur raten, sich rechtzeitig darauf einzustellen.
Denn wenn wir länger leben werden - und wir wissen, dass die Lebenserwartung weiter steigt -, dann brauchen wir sehr frühzeitig eine Absicherung, die auf drei Säulen steht.
Dazu gehören die gesetzliche Rentenversicherung, die gegen Armut sichert, eine private Vorsorge und eine betriebliche Alterssicherung. Diese drei Säulen werden es ermöglichen, dass die Menschen auch in vielen Jahrzehnten noch ein auskömmliches Leben haben werden. Dafür stehen wir.
Wir stehen für Generationengerechtigkeit und darum unterstützen wir die Initiative von Minister Müntefering im Grundsatz.
An dieser Stelle enden allerdings unsere Gemeinsamkeiten; denn meine Fraktion ist nicht bereit, Ihrer neuen abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren zuzustimmen.
Diese Regelung diskriminiert Frauen, Erwerbslose und Menschen, die spät in den Beruf einsteigen. Die Regelung ist sozial unausgewogen, verstößt gegen europäisches Recht, ist verfassungsrechtlich bedenklich und finanzpolitisch nicht vertretbar. Zugegeben, das ist jetzt harter Tobak, aber ich werde das gleich begründen.
Alle Sachverständigen, auch Ihre eigenen, haben das in der Anhörung so gesehen, und selbst der Bundesrat hat entsprechende Einwände vorgebracht.
Herr Minister, ich weiß ja, dass die Sauerländer stur sind, aber nach derart eindeutigen Aussagen hätte ich erwartet, dass Sie Ihr Gesetz noch einmal ändern. Sie verfahren nach dem Motto - da muss ich Ihnen Recht geben, Herr Kolb -: Augen zu und durch. - Ich kann nur noch einmal den Bundespräsidenten auffordern, diesem Gesetz seine Unterschrift zu verweigern.
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, gaukeln den Menschen vor, die abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren belohne Menschen in belastenden Berufen. Das ist wirklich Etikettenschwindel. Der Dachdecker kommt nicht in den Genuss; der geht nämlich mit 58 Jahren in die Erwerbsminderungsrente. Ein Bauarbeiter kommt wegen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Winter nicht auf die 45 Jahre und eine Krankenschwester erst recht nicht. Profitieren werden von Ihrer Regelung Angestellte im öffentlichen Dienst, die schon jetzt eine gute Versorgung haben. Finanzieren müssen das alle Versicherten. Damit haben Sie Ihr Ziel verfehlt; das wissen Sie auch.
Nur 4 Prozent der Frauen, die im Jahr 2004 in Rente gingen, hatten 45 Beitragsjahre erreicht. Bei den Männern waren es 41 Prozent; das ist das Zehnfache, wenn ich es richtig ausgerechnet habe. Das ist eine mittelbare Diskriminierung von Frauen.
Nun halten Sie dagegen: Die Erwerbstätigkeit künftiger Frauengenerationen nehme zu und außerdem gebe es künftig die Kinderberücksichtigungszeiten. - Dieses Glatteis betrete ich nicht. Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder nimmt die Frauenerwerbstätigkeit zu, dann werden diese Zeiten gar nicht berücksichtigt, oder die Frauen geben ihre Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer Kinder auf; dann erhalten sie die Anrechnungszeiten. Aber um mit den Anrechnungszeiten zu einer abschlagfreien Rente zu kommen, müssten nichterwerbstätige Frauen mindestens zehn bzw. 15 Kinder bekommen. Ein solches Familienkonzept hat, glaube ich, noch nicht einmal Die Linke im Saarland, Herr Lafontaine, oder?
Vizepräsidentin Petra Pau:
Frau Kollegin, Sie haben gleich die Möglichkeit, noch einmal zu sprechen, weil der Kollege Kolb eine Kurzintervention angemeldet hat. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme jetzt zum Schluss.
Ich frage die Vertreter und Vertreterinnen der Regierungskoalition: Wie wollen Sie eigentlich einer Verfassungsrichterin erklären, dass jemand, der mit 20 in den Beruf geht, zwei Jahre länger Rente bezieht als jemand, der das erst mit 22 Jahren tut, aber die gleichen Rentenanwartschaften hat? Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß.
Herr Minister, wenn Sie behaupten -
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie können jetzt nicht noch etwas Neues anfangen. Bitte den letzten Satz!
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
- das ist wirklich der letzte Satz -, dass Sie mit dieser Regelung die Akzeptanz der Rente mit 67 erhöhen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist keine glaubhafte Politik. Verkaufen Sie die Menschen doch nicht für dumm! Sie werden ganz schnell merken, wer die Zeche für Ihre Beruhigungspille zahlen muss. Glaubhafte Politik sieht anders aus. Darum werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kolb.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage unser Konzept - ich vermute einmal: versehentlich - falsch dargestellt. Sie haben keine weitere Zwischenfrage zugelassen, mit der ich die Falschdarstellung hätte korrigieren können. Deswegen muss ich diese Kurzintervention machen.
Erstens will ich Sie darauf hinweisen, dass man nach dem Konzept der FDP mit 60 in Rente gehen kann, aber nicht muss. Es ist ein Angebot an ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine wirksame Rückfallposition in einer schwierigen Situation, die nicht zuletzt mit Stimmen der Grünenfraktion in diesem Hause in den letzten Legislaturperioden herbeigeführt worden ist. Mit 60 den Arbeitsplatz zu verlieren, noch 18 Monate lang Arbeitslosengeld I zu beziehen und dann auf Hartz IV zurückgeworfen zu werden - das ist eine menschenunwürdige Situation, die viele Menschen in unserem Lande belastet.
Hier sagen wir: Mit dem Angebot der Rente ab 60 wird es möglich, sich aus eigener Kraft, mit dem, was man bis zu diesem Zeitpunkt an Anwartschaften erworben hat, in dieser schwierigen Situation zu helfen. Darum geht es, Frau Schewe-Gerigk; das muss ich hier deutlich machen.
Zweitens. Ich glaube nicht, dass durch unser Angebot ein Anreiz zu einer flächendeckenden Verrentung mit 60 erfolgt. Ich weiß nicht, woher Sie die Information haben, die Abschläge würden 27 Prozent betragen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Nach geltendem Recht sind es 18 Prozent, die man dann aber teilweise ausgleichen kann. Es ist vollkommen klar: Durch die Kumulation von Arbeitseinkommen und Rente, die zumindest teilweise versteuert werden muss, lohnt sich der Vollrentenbezug ab 60 in der Regel nicht. Aber es wird sehr interessant sein, eine reduzierte Arbeitszeit mit einer Teilrente zu kombinieren. Damit eröffnet man den Menschen die Möglichkeit, sich Zug um Zug gleitend aus dem Arbeitsleben zurücknehmen und in das Leben als Rentner sozusagen hineinzuwachsen. Darum geht es.
Der dritte Punkt, auf den ich hinweisen will. Für die Prüfung der Grundsicherungsfreiheit stellen wir auf die Bedarfsgemeinschaft ab. Das heißt, dass auch Frauen, die in der Regel niedrigere Ansprüche haben, in die Lage versetzt werden, ihre bis dahin erworbenen Anwartschaften in einen Rentenbezug umzusetzen.
Unser Modell ist kein Modell für Menschen mit höherem Einkommen. Das Modell steht allen offen. 90 Prozent der Bevölkerung werden die Möglichkeit haben, von diesem flexiblen Übergang Gebrauch zu machen. Das sind die Kernpunkte. Sie haben unser Modell bewusst falsch dargestellt. Deswegen war diese Kurzintervention erforderlich.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kolb, ich glaube, Sie haben mich bewusst missverstanden.
Ich hatte mich zuerst versprochen, habe aber dann gesagt, dass man mit 60 in Rente gehen kann. - Aber wer kann denn mit 60 in Rente gehen? Schauen Sie doch einmal in der Dokumentation der Anhörung nach, wie hoch die Abschläge sein werden, wenn man mit 60 in Rente geht und das Referenzalter, wie Sie auch sagen, 67 ist. Das können nur Menschen, die ein hohes Einkommen haben und nebenbei noch etwas verdienen.
Bei dieser Gelegenheit wollen Sie dann gleich noch einen Kombilohn für Rentner und Rentnerinnen einführen; denn Sie wissen ganz genau: Wenn man mit 60 in Rente gehen und ohne Hinzuverdienstgrenzen, die Sie ja beseitigen wollen, erwerbstätig sein kann, dann werden die Menschen sicherlich von der Möglichkeit Gebrauch machen und noch sehr lange arbeiten, hinzuverdienen und ihre Arbeitskraft billig auf dem Arbeitsmarkt anbieten.
Ich habe Ihr Konzept verstanden. Ich verstehe, dass die FDP ein solches Konzept vorlegt, weil das wieder Klientelpolitik ist.
Die Berechnung, wie viele Frauen es sich wegen der Abschläge nicht leisten können, mit 60 Jahren in Rente zu gehen, reiche ich Ihnen nach. Wir werden ja sicherlich noch einmal darüber diskutieren.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
Klaus Brandner (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegen die Rente mit 67 gibt es massive und zuweilen wütende Proteste. Gerade wir Sozialdemokraten waren in den letzten Monaten Zielscheibe dieser Aktivitäten.
Dieser Streit ist aus meiner Sicht zum Teil in einer Art und Weise geführt worden, die ich bisher auch aus harten politischen Auseinandersetzungen nicht kannte. Abgeordnetenkollegen wurden steckbrieflich verfolgt, bedroht und als Arbeiterverräter beschimpft.
An mir, als jemand, der seine Heimat in der IG Metall und sein Leben in den Dienst der Arbeitnehmerinteressen gestellt hat, geht dieser Protest nicht spurlos vorüber.
Um es klar zu sagen: Ich habe Verständnis für die Sorgen und Ängste der Menschen. Diese Sorgen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, Ängste zu schüren und die Menschen zu verunsichern, ist jedoch heuchlerisch und verantwortungslos.
Wir haben es gerade wieder gehört: Erwartet wird, dass eine Politik nach Meinungsumfragen und möglichen Wahlergebnissen betrieben wird. Das ist keine Politik aus Verantwortung. Das ist eine Politik, die den Menschen Angst macht. Kollege Ernst, dafür haben Sie gerade wieder ein Beispiel geliefert.
Für mich und meine Partei will ich hier jedoch klar sagen: Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst.
Wir wissen: Viele Menschen können es sich nicht vorstellen, ihre Arbeit bis zum 67. Lebensjahr durchzuhalten. Natürlich kann man vom Dachdecker nicht erwarten, dass er seine Arbeit auf dem Dachfirst bei Wind und Wetter noch mit 67 leistet.
Was kann man zum Beispiel dem Sichtprüfer, der mit höchster Konzentration stundenlang Tausende von Teilen auf mikroskopisch kleine Fehler untersucht, oder dem Arbeiter im Dreischichtsystem am Band oder den Pflegekräften, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert werden, zumuten? Die Antwort kann nicht sein: weitere Arbeitsverdichtungen, längere Tages- und Wochenarbeitszeiten und weniger Pausen. Nein, wir brauchen eine tägliche Entlastung, angepasste Taktzeiten und weniger Belastungen. Wir fordern: Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden. Arbeit darf nicht krank machen, Arbeit muss leistbar sein.
Das heißt, wir brauchen gesundheitsgerechte und altersgerechte Arbeitsbedingungen.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wenn die großen Wirtschaftsverbände die Kraft, die sie für Forderungen zum Abbau des Kündigungsschutzes, der Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte generell aufbringen, dafür verwenden würden, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, dann wären wir in diesem Land schon ein wesentliches Stück weiter.
Wir müssen die Arbeit den Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Auch, um Belastungen zu mindern, brauchen wir in Zukunft gleitende Übergänge. Die Altersteilzeit bietet diese Möglichkeit, und die Altersteilzeit läuft nicht aus. Der Bundesarbeitsminister hat es hier noch einmal deutlich gesagt und den Menschen damit ein Signal des Vertrauens gesandt: Die Altersteilzeitregelung, die durch die Bundesagentur wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der geburtenstarken Jahrgänge besonders gefördert worden ist, aber von vornherein bis zum 31. Dezember 2009 befristet war - also noch fast drei Jahre gilt -, läuft mit Wirkung des Jahres 2015 aus. Das ist ein langer Planungszeitraum, auf den man sich einstellen kann. Wir Sozialdemokraten sind auch bereit, über flexible Übergänge zu reden, durchaus unter Einbeziehung der Bundesagentur. Aber eine verblockte Altersteilzeitform in der jetzt gültigen Fassung stellt ein Frühverrentungsmodell dar, das wir im Kern ablehnen und nicht als zukunftsgerichtet einschätzen.
Ich will an diesem Punkt auch ganz deutlich sagen: Es ist schon ungeheuerlich, was die Spitzenverbände der Wirtschaft in diesem Bereich tun. Hier in Berlin laufen sie den Abgeordneten die Büros ein und fordern laut die Abschaffung der durch die Bundesagentur geförderten Altersteilzeit. Vor Ort, zum Beispiel in den Großbetrieben wie Siemens, Bosch und Daimler, werden die Betriebsräte unter Druck gesetzt, und es wird gesagt: Würde es die durch die BA geförderte Altersteilzeit nicht mehr geben, könnten keine Auszubildenden mehr eingestellt oder Ausgebildete nicht in ein Anstellungsverhältnis übernommen werden. Man muss dazu deutlich sagen: Es ist ein Skandal, was sich teilweise im Land abspielt. Hier werden Betriebsräte instrumentalisiert. Das ist nicht in Ordnung. Insofern wehren wir uns gegen diese negative Praxis.
Für uns, meine Damen und Herren, stand immer fest: Rente mit 67 kommt nur, wenn ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Das ist die Voraussetzung für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Deshalb haben wir im Gesetz auch eine Überprüfungsklausel vorgesehen. Weil es sich um eine verbindliche Überprüfung handelt, sind wir damit eine politische Verpflichtung eingegangen. Ich kann die Forderung von Frau Schewe-Gerigk, alle zwei Jahre einen entsprechenden Bericht vorzulegen, nur begrüßen. Aus der von der Bundesagentur veröffentlichten Statistik geht jeden Monat hervor, wie sich die Zahl der älteren Arbeitslosen in diesem Land entwickelt bzw. welche Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Die Beschäftigungsquote der Älteren muss steigen; das steht fest. Mit der Initiative 50 plus schaffen wir zum einen Bedingungen, dass Ältere gar nicht erst arbeitslos werden müssen, und zum anderen sorgen wir durch geeignete Förderinstrumente dafür, dass diejenigen, die arbeitslos sind, wieder eine Chance auf Beschäftigung bekommen.
Es tut sich was in diesem Land, meine Damen und Herren. Man muss sich nur einmal die Datenlage des letzten Monats vor Augen führen: Die Zahl der arbeitslosen über 50-Jährigen ist im Vergleich zum Vorjahr, also von Februar 2006 zu Februar 2007, um 172 000 zurückgegangen. Wir sehen also, dass sich die Verhältnisse ändern. Diesen Prozess müssen wir aktiv gestalten, anstatt so zu tun, als sei die Welt statisch und die jetzige Ausgangssituation für immer festgeschrieben und nicht veränderbar.
Deshalb sage ich Ihnen, Kollege Ernst, der Sie von einer Luftnummer bei der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen gesprochen haben, ganz klar: Wer hier Luftnummern verzapft, spürt jeder anhand der Datenlage. Wir nehmen die Zahlen ernst. Wenn Sie auch ernst genommen werden wollen, dann sollten Sie diese harten Daten akzeptieren.
Der Schlüssel zu längerer Erwerbstätigkeit liegt in der fortlaufenden Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten, und zwar, bitte schön, nicht nur in der Führungsetage, sondern aller Beschäftigten. Zu den jetzt schon wieder von vielen Unternehmen zu hörenden Klagen über Fachkräftemangel sage ich ganz klar: Der Gesetzgeber ist der völlig falsche Adressat. Der Adressat ist die Wirtschaft selber. Sie hat es jetzt in der Hand, dafür zu sorgen, dass es genügend Fachkräfte in unserem Land gibt.
Wir erwarten in diesem Bereich seitens der Unternehmen ganz klar mehr Anstrengungen und mehr aktive Unterstützung für die Bemühungen der Betriebsräte, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Ausbau der Weiterbildungsmöglichkeiten zu forcieren.
Für uns steht fest: Wir müssen den Rentenzugang flexibilisieren. Das ist eine wichtige Aufgabe. Alle Parteien haben diese Notwendigkeit bei den Beratungen in der letzten Sitzung des Ausschusses, die sich zu diesem Themenkomplex über mehrere Stunden erstreckten, Herr Kollege Kolb, erkannt. Natürlich müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das ist die Hauptaufgabe der Unternehmen. Nur so können wir erreichen, dass die Menschen gesund in Rente gehen können.
Wir wollen die Finanzierungsgrundlage der Rente stärken. Mehr Menschen in Arbeit; der Weg ist beschrieben. Dazu brauchen wir gutes wirtschaftliches Wachstum; das entwickelt sich zurzeit. Wir wollen die Altersgrenzen an die demografische Entwicklung anpassen. Wir wissen: Wir starten später im Arbeitsleben und leben länger. Es gibt also keine Verlängerung der Lebensarbeitzeit, sondern nur eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse und die Entwicklungen der Vergangenheit. Wir wollen die Beschäftigungschancen Älterer erhöhen: durch alternsgerechtes Arbeiten, gleitende Übergänge, flexiblen Ausstieg. Das leisten wir mit dem Tandem der vorliegenden Gesetzentwürfe. Beide Gesetze gehören zusammen, und beide sind - davon bin ich überzeugt - notwendig und richtig und werden das deutsche Rentenversicherungssystem zukunftssicher in die nächsten Jahre führen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde für die FDP-Fraktion.
Jörg Rohde (FDP):
Herr Minister Müntefering! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die heutige Debatte um die Rente mit 67 und die Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer beschließen ein missglücktes Kapitel sozialpolitischer Reformversuche, auch wenn heute natürlich versucht wird, das anders darzustellen.
Die Rente mit 67 und die arbeitsmarktpolitischen Begleitgesetze werden weder den Menschen, die sie betreffen, gerecht, noch lösen sie die anzugehenden Probleme.
Herr Ernst, warum man die Linke nicht ernst nimmt, ist mit einem Satz gesagt: Sie bleiben vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Antwort schuldig, wie Sie in der Zukunft ein stabiles und finanzierbares Rentensystem erreichen wollen.
Frau Schewe-Gerigk, Sie sind eben auf die Riester-Rente eingegangen. Die Riester-Rente war nur ein Propagandatrick, um die Rentenkürzung durch Rot-Grün zu kaschieren. Auch das muss einmal gesagt werden.
Herr Brandner hat sich mit der Aufgabe von Betriebsräten auseinandergesetzt. Betriebsräte vor Ort sollten sich weder von Unternehmen noch von Gewerkschaften oder gar von der SPD instrumentalisieren lassen.
Sie werden von den Arbeitnehmern vor Ort gewählt. Deswegen sollen sie unabhängig sein.
Dann können sie ihre Aufgabe wahrnehmen.
Die Anhörungen haben gezeigt, dass das vorgeschlagene Paket der Arbeitsmarktmaßnahmen unzureichend ist. Die Beschäftigungsquote Älterer wird nicht nachhaltig gesteigert. Die von Ihnen aufgeführten Maßnahmen kann man wieder nur als alten Wein in alten Schläuchen bezeichnen.
Weder die vorgeschlagene Ausweitung von Weiterbildungsmaßnahmen für befristete Arbeitsverhältnisse noch Lohnzuschüsse werden die Beschäftigung Älterer signifikant steigern können.
Entsprechend erwartet das Bundesministerium auch nur eine Zunahme der Beschäftigung Älterer von bis zu 100 000 Personen, was für die 55- bis 64-Jährigen gerade einmal eine Steigerung von 1 Prozentpunkt von 45 auf 46 Prozent ausmachen würde. Das kann ja wohl nicht reichen.
Um den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden, ist es nach Ansicht der FDP notwendig, ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Rentenversicherung anzustoßen und das Verhältnis von Arbeit und Rentenbezug neu anzupassen. Die Lebensarbeitzeit der Menschen ist zu verlängern und dafür die Beschäftigungsquote Älterer zu erhöhen. Dies kann aber nicht durch eine verordnete Rente mit 67 über die Köpfe der Versicherten hinweg geschehen. Vielmehr müssen Möglichkeiten zum Beschäftigungsaufbau im Alter durch geeignete Rahmenbedingungen und Anreize geschaffen werden.
Dr. Kolb hat eben den konstruktiven Vorschlag der FDP dargelegt. Mit einem solchen System wird man den Interessen Älterer gerecht, wie ich an einem Beispiel kurz schildern möchte: Ein Versicherter, der mit 60 arbeitslos wird, weil seine Firma insolvent wird, fällt nach heutiger Rechtslage erst auf das ALG I und nach 18 Monaten auf das ALG II, Hartz IV, zurück. Er muss dann sein Vermögen einsetzen, bevor er eventuell, wenn er 45 Versicherungsjahre gearbeitet hat, mit 63 Jahren in Rente gehen kann. Allerdings unterliegt er dann - heute bis zum 65., später bis zum 67. Lebensjahr - engen Zuverdienstgrenzen; bei einer Vollrente sind das 350 Euro. So kann er seine Abschläge nicht durch Zuverdienst ausgleichen und seinen Lebensstandard halten.
Mit dem von der FDP vorgeschlagenen Modell kann der Versicherte entweder sofort nach der Insolvenz oder nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes I seine Rente beanspruchen und sie durch Zuverdienst aufstocken, je nachdem, was für eine Teilzeitbeschäftigung er finden möchte und kann.
Dadurch kann er erstens seinen Lebensstandard halten und zweitens durch den Erwerb von Entgeltpunkten die Abschläge für die vorzeitige Rente zum Teil ausgleichen. Den Versicherten könnten so wirkungsvoll die Ängste vor einem Rückfall auf Hartz IV im Alter genommen werden.
Mit dem FDP-Modell wird so eine freiheitliche Gestaltung des Übergangs vom Erwerbsleben zum Ruhestand ermöglicht. Genau dies wünschen sich die Menschen. Es entspricht auch den Erfordernissen einer älter werdenden Gesellschaft. Zwar sind die Menschen immer leistungsfähiger - auch bis ins höhere Alter -; aber das gilt bei weitem nicht für alle Menschen. Daher muss gerade im Alter ein Wahlrecht für die Versicherten geschaffen werden, ihren Möglichkeiten entsprechend zu arbeiten und ihren Lebensstandard zu sichern.
Ich freue mich, dass auch die SPD Überlegungen anstellt, wie man den Renteneintritt flexibler gestalten kann, und dass sie die Vorschläge der FDP vielleicht aufgreifen möchte. Auch die Gewerkschaften fordern flexible Regelungen. Was Sie heute vorlegen, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Daher lehnt die FDP die Rente mit 67 ab.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gehen heute angesichts einer älter werdenden und schrumpfenden Bevölkerung einen wichtigen Schritt, um die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig zu sichern. Deswegen ist dies ein guter Tag für alle, denen das solidarische Sicherungssystem am Herzen liegt.
Drei Jahre längere Lebenserwartung bis 2030 und zwei Jahre längere Lebensarbeitszeit: Das bedeutet immer noch ein Jahr längere Rentenbezugszeit. Wer das leugnet und darauf basierende Maßnahmen bekämpft, der versucht, Adam Riese zu bekämpfen. Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen.
Angesichts eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen um 13,4 Prozent allein in einem Jahr ist dieser Schritt, den wir gehen, verantwortbar.
Wie richtig dieser Gesetzentwurf ist, kann man sehen, wenn man sich mit dem beschäftigt, was die Opposition hier vorgelegt hat. Ich will das einmal tun und beginne mit dem FDP-Antrag.
Dieser Antrag hat eine Vorgeschichte. Herr Kolb hat auf dem letzten FDP-Parteitag einen Antrag zur Rente mit 67 gestellt. Herr Westerwelle und Herr Niebel haben sich dagegen ausgesprochen. Nach dem Motto ?Wir sind doch Opposition! Warum sollen wir das beschließen?“ ist der Antrag abgelehnt worden. Dann haben Sie lange über die Frage gestritten, ob Sie nun für die Rente mit 67 oder für die Rente mit 65 sind, Herr Kolb. Das vorliegende Ergebnis ist eine Rente mit 60,
allerdings nur für diejenigen, die sich das leisten können. Sie haben die Frage also nicht beantwortet.
Ihren Antrag haben Sie im Ausschuss wenige Stunden vor der Sitzung vorgelegt. Auf den Hinweis, warum Sie so lange gebraucht haben, haben Sie gesagt, Sie hätten ihn schon ein paar Tage vorher über die ?FAZ“ eingebracht.
Die ?Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist zwar eine gute Zeitung, aber sie mit einem Verfassungsorgan zu verwechseln, ist doch seltsam. Man muss sich daher nicht wundern, dass Sie manchmal Probleme haben, zu prüfen, ob ein Vorschlag verfassungsgemäß ist.
Herr Kolb, fragen Sie einmal Ihre Friseurin, welche Rentenansprüche sie mit 60 hat und ob sie davon leben kann. Fragen Sie einmal ihren Briefträger bei der nächsten Gelegenheit, welche Ansprüche er mit 60 hat und ob er davon leben kann. Was Sie uns hier vorlegen, ist doch zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Gerne.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bitte.
Otto Fricke (FDP):
Verehrter Kollege Brauksiepe, es ist ja in Ordnung, wenn sich die Abgeordneten der Regierungskoalition, wie das jetzt der Fall ist, lieber Stück für Stück an den Vorschlägen der Opposition abarbeiten als an den eigenen Vorschlägen. Wenn Sie, was Ihr gutes Recht ist, unsere Vorschläge kritisieren, dann muss ich Sie allerdings fragen, ob Sie heute wenigstens sagen können: Die Rente mit 67 ist sicher. Bevor Sie andere kritisieren, sollten Sie das tun. Ich möchte Sie daher bitten, diesen Satz zu sagen.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Kollege, die Kollegin Falk und die Kollegen von der SPD haben das, was wir zur ersten Lesung eingebracht haben, ausführlich erläutert. Mit den von uns vorgelegten Entwürfen erreichen wir die Ziele, die wir uns mit Blick auf das Rentenniveau und die Beiträge gesetzt haben, und das ist auch notwendig. Sie müssen, wenn Sie schon solchen Unsinn vorlegen, damit leben, dass darüber geredet wird. Mir ist klar, dass Ihnen das peinlich ist. Wir reden über Ihre Vorschläge, weil sie so unseriös sind, dass man sie nicht umsetzen kann.
Jetzt möchte ich etwas zu dem sagen, was die Grünen hier vorgelegt haben. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die Grünen den Grundsatz mittragen, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden muss. Ich kann feststellen: Die Große Koalition und die Grünen erklären gemeinsam: Es muss eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über einen langen Zeitraum hinweg geben. Nur FDP und PDS sind dagegen. Das erkenne ich im Hinblick auf die Grünen ausdrücklich an.
Nun sind Sie am Ende nach langem Versuchen aber doch in die Populismusfalle hineingeplumpst. Sie nehmen Anstoß an einer Günstigstellung von Menschen, die besonders lange Beiträge gezahlt haben. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich spreche Sie direkt an: Ich bitte Sie zunächst einmal, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Sie sagen, dass bei Bauarbeitern witterungsbedingte Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht mitgewertet werden, dann hat das etwas mit der Vergangenheit und nichts mit der Gegenwart zu tun. Mit der Einführung des Saisonkurzarbeitergeldes ist dieses Problem gelöst. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Nun gibt es ja in dieser Zeit interessante Entwicklungen. Oft wimmelt unser ganzes Land von Hobbybundestrainern. Seit ein paar Tagen erleben wir, dass die Opposition voll von Hobbyverfassungsrichtern ist,
die alle mal soeben erklären, was alles angeblich nicht verfassungsgemäß ist.
Hobbyverfassungsrichter brauchen wir aber nicht.
Wir haben diese gesetzlichen Initiativen geprüft. Die jetzige Justizministerin war auch unter Ihrer Regierung Justizministerin. Warum glauben Sie es nicht, wenn von diesem Justizministerium erklärt wird, dass die geplanten Regelungen verfassungsgemäß sind? Dies hat seine guten Gründe, Frau Schewe-Gerigk: Die allgemeine Mindestversicherungszeit beträgt fünf Jahre. Für untertagebeschäftigte Bergleute kennt das Rentenrecht eine Wartezeit von 25 Jahren. Da bedarf es nicht der Entgeltpunkte für einen Obersteiger. Und wenn Sie nach 35 Beitragsjahren eine Regelung für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen wollen, fragt auch keiner, welche Entgeltpunkte Sie angesammelt haben. In all diesen Fällen geht es nur um die Beitragszeiten.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Wenn ich meinen Gedanken beendet habe, Frau Präsidentin.
Frau Kollegin, Sie haben hier Folgendes gemacht: Sie haben sich gedacht: Warum sollen wir von der Opposition ein Gesetz, das umstritten ist, mittragen? Sie haben ein Haar in der Suppe gesucht, und es leider bei Menschen gefunden, die sehr verdienstvoll zu den sozialen Sicherungssystemen beitragen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Langjährige Beitragszahler, Menschen, die 45 Jahre in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt haben, haben Respekt verdient und nicht die Neiddebatte, die Sie hier führen.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Kollege, Sie haben gerade von Hobbyverfassungsrichtern gesprochen. Es ist ja so, dass in der jüngsten Zeit Gesetze der Bundesregierung vom Bundespräsidenten kassiert wurden. Würden Sie auch diesen unter die Hobbyverfassungsrichter einreihen?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Kollege Ernst, ich darf Sie auf die Verfassungslage hinweisen, nach der die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird und nicht vom Bundespräsidenten.
Die Verfassungslage ist da eindeutig.
Der Bundespräsident muss ein Gesetz nicht unterzeichnen; aber er ist nicht für die abschließende Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zuständig.
Dafür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.
Wir sehen jeder Überprüfung dessen, was wir hier vorlegen, mit großer Gelassenheit entgegen.
Lassen Sie mich noch wenige abschließende Bemerkungen machen. Wir werden insgesamt ein Gesetzespaket verabschieden, das politisch und auch verfassungsrechtlich Bestand haben wird. Es geht in der Tat darum, dass man hier politische Entscheidungen treffen muss. Wir haben uns politisch entschieden, und wir haben uns verfassungsrechtlich abgesichert. Ich will deutlich sagen: Man sollte sich nicht hinter der Verfassung verstecken, wenn man politische Wertungen vornimmt. Alle diejenigen, die sich im Ausschuss dazu geäußert haben, sind nun wirklich keine Verfassungsrichter.
- Das ist der Unterschied: Ich lasse mich von Experten beraten.
Ich muss nicht alles selber wissen, Herr Westerwelle. Ich nehme das auch nicht für mich in Anspruch.
Wir werden uns noch mit der Initiative ?50 plus“ und der Förderung der beruflichen Weiterbildung beschäftigen. Wie wichtig das ist, sieht man - zwar nicht in der heutigen Debatte, aber in anderen - am Beispiel des Herrn Lafontaine. Wer aus Ärger über den Chef die Brocken hinwirft, Jahre später in den Beruf zurückkehrt und die Zeit dazwischen nicht genutzt hat, sich weiterzubilden, der redet so wie Oskar Lafontaine und die PDS in dieser Debatte.
Deswegen ist es wichtig, dass wir älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das ersparen.
Wir treten hier nicht an, um einen Populismuspreis zu gewinnen - wir tun das, was in dieser Situation notwendig ist. Deswegen darf ich mich bei den Mitgliedern der Bundesregierung und den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition herzlich bedanken, dass wir dies gemeinsam stemmen.
Lieber Klaus Brandner, du hast im Zusammenhang mit dieser Debatte von persönlichen Verletzungen gesprochen. Lass mich dazu sagen: Diese Art von Debatte, wie ihr sie jetzt auch erlebt habt, die haben wir schon über viele Jahre erlebt, auch vor 1998.
Vielleicht können wir daraus gemeinsam die Konsequenz ziehen, auch wenn wir wieder einmal politische Gegner sind, dass es Arten des Umgangs miteinander gibt, die wir nicht wollen und die man sich in einer Demokratie schenken sollte.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank an alle, die dieses wichtige Gesetz mit vorbereitet haben. Wir setzen heute das gemeinsam als richtig Erkannte in der Großen Koalition gemeinsam durch, im Interesse heutiger und zukünftiger Generationen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Brauksiepe, vom Leiden bei Debatten verstehen auch wir eine Menge, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen. Zweitens muss ich Ihnen doch eine kleine rechtliche Belehrung erteilen: Der Bundespräsident ist nicht berechtigt, nach eigenen Vorstellungen zu entscheiden, ob er ein Gesetz unterschreibt oder nicht. Er ist verpflichtet, Gesetze zu unterschreiben, es sei denn, sie sind offenkundig grundgesetzwidrig; das ist der einzige Anhaltspunkt, den er hat.
Aus diesem Grunde hat er zwei Gesetze nicht unterschrieben.
Ich finde es gut, wenn wir viele Amateurverfassungsrichterinnen und -verfassungsrichter haben, weil das nämlich bedeutet, dass sie sich Gedanken darüber machen, ob das, was sie beschließen, grundgesetzwidrig ist oder nicht. Ein Finanzgericht hat gerade festgestellt, dass Ihre Kürzung der Pendlerpauschale zumindest nach dessen Auffassung grundgesetzwidrig ist, und den Fall deshalb zum Bundesverfassungsgericht geschickt. Ich finde, etwas mehr Belehrung auf der Strecke ist für Sie sinnvoll.
Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; darauf weisen Sie ständig hin. Doch ich würde Sie gerne einmal fragen, wer von diesem wirtschaftlichen Aufschwung eigentlich etwas hat. Gibt es für die Arbeitslosen irgendeine Verbesserung? Sie haben die Jüngeren vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, und es gibt keinen Inflationsausgleich; die Arbeitslosen haben alle Verteuerungen aus eigener Tasche zu bezahlen. Es gibt also keine Verbesserungen.
Bei den Geringverdienenden kann man nur sagen: Es gibt jetzt mehr von ihnen. Auch sie bekommen keinen Inflationsausgleich. Die Geringverdienenden dienen im Kern nicht nur als billige Arbeitskräfte, sondern auch zum Vertuschen, wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsächlich ist.
Den Kranken bleiben die Zuzahlungen erhalten. Die Große Koalition hat eine Gesundheitsreform beschlossen, die ich in bestimmten Teilen für verfassungswidrig halte - wieder so ein Amateurrichter.
Wir werden sehen, ob das eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht so einschätzt. Klar ist bei der Gesundheitsreform, dass die Beiträge der Versicherten ständig steigen werden. Den Beitrag, den die Unternehmen zahlen, wollen Sie dagegen an einer bestimmten Stelle einfrieren. Das Ganze hat mit mehr sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun, ganz im Gegenteil.
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben Sie trotz der zunehmenden Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz die Pendlerpauschale für die ersten 20 Kilometer gestrichen und für die restlichen Kilometer deutlich gekürzt. Das hat, wie gesagt, bereits das erste Finanzgericht als verfassungswidrig eingestuft. Dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung hätten, kann also keiner behaupten.
Zur Lohnentwicklung. Wir sind das einzige neoliberal geprägte Land, das so konsequent ist, dass die Löhne in Deutschland in den letzten acht Jahren um 0,9 Prozent gesunken sind - selbst in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in der gesamten EU sind die Löhne und Gehälter gestiegen. Nur in Deutschland sind sie gesunken. Jene haben vom wirtschaftlichen Aufschwung nichts.
- Jetzt gibt es die erste Ausnahme: Im Bereich der Chemie ist eine Lohnsteigerung von 3,6 Prozent vereinbart worden. Ich bin sehr gespannt, wie es in den anderen Bereichen ausgeht. Nur, wir müssen hinzufügen: Es gibt immer weniger Menschen, die tarifgebunden bezahlt werden; im Osten sind es gerade noch 20 Prozent. Die anderen Menschen freuen sich schon, wenn sie einen Haustarif haben.
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nützt der Wirtschaftsaufschwung also auch nicht.
Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern, um die es heute geht. In dieser Debatte geht es weniger um die heutigen Rentnerinnen und Rentner als vielmehr um die künftigen - weshalb ich auch nie verstehe, warum die Grünen immer sagen, das alles geschehe im Interesse der jungen Leute. Wieso soll es im Interesse der Jungen liegen, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Rente bekommen?
- Draußen demonstrieren übrigens gerade 3 000 junge Leute, weil sie von Ihren Vorschlägen so ?begeistert“ sind; das sollten Sie sich einmal ansehen.
Seit Jahren gab es für die Rentnerinnen und Rentner Null- und Minusrunden. Jetzt wird beschlossen, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen. Bundesminister Glos - der sich gerade amüsiert - und Bundesminister Schäuble weisen regelmäßig darauf hin: Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Sie müssen das Renteneintrittsalter in Zukunft noch weiter erhöhen. - Mich würde interessieren: An welches Renteneintrittsalter denken Sie? Wo soll das Ganze enden, bei 70, bei 75?
Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Das ist keine Lösung des Problems.
Wahr ist aber - hier sind wir gefordert -, dass wir Alternativen anbieten müssen. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, dass einem das nicht passt. Solche Alternativen gibt es. Wir müssen zum Beispiel über die Frage nachdenken: Wer zahlt eigentlich in die gesetzliche Rentenversicherung ein? Zu Bismarcks Zeiten taten dies 90 Prozent der Beschäftigten, weil 90 Prozent aller Einkommensbezieher abhängig beschäftigt waren. Heute sind dies nur noch 60 Prozent. Nur 60 Prozent der Einkommensbezieher sind abhängig beschäftigt und zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein.
Deshalb schlagen wir Ihnen erstens vor, schrittweise dazu überzugehen, alle Einkommensbezieher in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Dann wäre das Finanzierungsproblem an einer entscheidenden Stelle gelöst.
Zweitens. Es gibt Beitragsbemessungsgrenzen. Das heißt, mit dem oberhalb einer gewissen Grenze liegenden Einkommen haftet man nicht mehr für die Rentenversicherung. Wir schlagen Ihnen vor, die Beitragsbemessungsgrenzen schrittweise aufzuheben, sodass man auch für das höhere Einkommen Beiträge zahlen muss. Damit die Renten nicht ins Unermessliche steigen, sollte dieser Rentenanstieg abgeflacht werden. All diese Maßnahmen wären grundgesetzgemäß und möglich.
Schließlich schlagen wir Ihnen vor, bei den Unternehmen die Sozialabgaben, die Sie leichtfertig Lohnnebenkosten nennen, nicht länger nach der heutigen Form zu berechnen, sondern andere Kriterien heranzuziehen. Man könnte zum Beispiel die Wertschöpfung der Unternehmen zugrunde legen, um bei der Berechnung flexibler vorgehen zu können und zu gerechteren Ergebnissen zu kommen. Ich möchte nicht, dass ein Unternehmen, das die doppelte Zahl von Beschäftigten, aber den gleichen Gewinn wie ein anderes Unternehmen hat, doppelt so hohe Abgaben wie letzteres Unternehmen zahlen muss. Hier muss man mehr Gerechtigkeit herstellen. Das wären echte Reformen. Aber Sie verschieben immer nur alles nach hinten, um die Rente zu kürzen.
Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Sie ignorieren die ökonomische Tatsache, dass die Produktivität schneller wächst als die Wirtschaft. Jahr für Jahr werden in derselben Arbeitszeit mehr Güter hergestellt und mehr Dienstleistungen erbracht; so viel können wir gar nicht verkaufen. In eine solche Zeit passt eine Kürzung der Arbeitszeit, nicht aber eine Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Jahre.
Es gibt nur zwei Gruppen, die etwas vom Wirtschaftsaufschwung haben - das ist leider viel zu wenig -: die Best- und Besserverdienenden und ein bestimmter Teil der Konzerne. Das ist das Problem.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Gysi, wir stehen tatsächlich zur Notwendigkeit, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, und zwar aus Rücksicht auf die jungen Menschen und die nachfolgenden Generationen: weil wir sie nicht durch übermäßig hohe Beiträge belasten wollen und belasten dürfen. Durch Ihren Vorschlag, weitere Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, wird dieses Problem nicht gelöst. Denn das hätte nicht nur zur Folge, dass es mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler gibt, sondern auch, dass dann eine weitaus größere Gruppe aus dem Topf der gesetzlichen Rentenversicherung bedient werden müsste und davon profitieren würde.
Im Rahmen einer Bürgerversicherung wäre das möglich, auch wenn es hier zu gewissen Verschiebungen kommen würde. Aber in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung geht diese Rechnung so nicht auf. Hier muss man zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Dazu stehen wir.
Wir sagen aber ganz deutlich, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zwingend mit einem noch größeren Kraftaufwand verbunden sein muss, um ältere Menschen ins Erwerbsleben zu bringen bzw. sie im Erwerbsleben zu halten. Wenn das nicht gelingt, dann ist die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein verkapptes Rentenkürzungsprogramm. Ich finde, das muss in diesem Zusammenhang deutlich gesagt werden.
Herr Müntefering, ich bin tatsächlich der Meinung, dass die Anstrengungen der Regierung im Rahmen der Initiative ?50 plus“ völlig unzureichend sind. Mit Ihrem Programm erreichen Sie, wenn alles gut läuft, maximal 100 000 Menschen. Wir haben aber circa 1,3 Millionen arbeitslose Menschen über 50. Das heißt, hier stimmen die Relationen bei weitem nicht. Die Zahl der arbeitslosen älteren Menschen stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Daran hat auch der Konjunkturaufschwung nichts Wesentliches geändert. Herr Brandner, was wirkt, sind in erster Linie die 58er-Regelung, die Altersteilzeitregelung und die Unterbringung von Menschen in Maßnahmen. Mit anderen Worten: Was wirkt, ist die Statistik. Aber im wirklichen Leben hat es keine großen Veränderungen gegeben. Das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit hat sich leider nicht verringert. Es gibt lediglich Verschiebungen im Zahlenverhältnis von offener zu verdeckter Arbeitslosigkeit älterer Menschen. Hier wird ein Problem mehr verschleiert als tatsächlich gelöst. Das müssen wir, die zu dem Konzept ?Rente mit 67“ stehen, deutlich sagen.
Das ist einer der zentralen Gründe dafür, dass es in der Bevölkerung noch immer großen Widerstand gegen das Konzept der Rente mit 67 gibt. Nach wie vor sind weit über 70 Prozent gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ein weiterer Grund dafür ist, dass Sie nicht wirklich für dieses Konzept eintreten und Überzeugungsarbeit leisten.
Wenn wir - ich sage ganz bewusst: wir - dieses Projekt erfolgreich umsetzen wollen, dann reicht es nicht, das im Parlament mit Mehrheit - egal wie groß sie ist - zu beschließen. Vielmehr brauchen wir eine Mehrheit in der Bevölkerung für dieses Projekt. Das bedeutet, dass wir dafür kämpfen und argumentieren müssen. Hier darf man sich nicht in die Büsche schlagen, wie die Vertreter der Großen Koalition das immer wieder tun.
Sie versuchen noch nicht einmal, den Menschen diesen notwendigen Schritt plausibel zu machen. Wir Grüne waren in den vergangenen Wochen und Monaten bei sehr vielen Podiumsdiskussionen vertreten, genauso wie Die Linke und die FDP. Diese haben aber Seit an Seit gegen die Rente mit 67 gekämpft.
Die CDU glänzte durch Abwesenheit, während sich SPD als Gegner der Rente mit 67 präsentierte. Wenn wir Grüne für die Rente mit 67 argumentieren, dann müssen wir uns anhören, wir würden das Geschäft der CDU betreiben. Herr Steppuhn, was sagen Sie eigentlich dazu?
Angesichts dieser Gemengelage sind wir die Einzigen, die die Rente mit 67 vertreten. Herr Brauksiepe, wir suchen nicht das Haar in der Suppe. Vielmehr sind wir diejenigen, die die Suppe servieren, die Ihre Leute offensichtlich gar nicht essen wollen.
So kann man die Menschen nicht überzeugen. Sie müssen den Rücken gerade machen und sich in den Wind stellen. Opportunismus und Wegducken nutzen hier gar nichts. So kommen Sie nicht weiter. Wir werden jedenfalls nicht länger Ihre Aufgabe erfüllen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD-Fraktion.
Anton Schaaf (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Pothmer, die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in dieser Frage nicht wegducken. Wir haben am Dienstag in großer Einvernehmlichkeit beschlossen, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich sage das ausdrücklich, weil das, was Sie hier dargestellt haben, zumindest nicht in Gänze den Tatsachen entspricht. Viele von uns waren in den letzten Wochen unterwegs, ich persönlich als rentenpolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber auch Klaus Brandner, Elke Ferner, Ludwig Stiegler und andere. Wir haben überall, wo es strittig war, den Kopf für diesen Gesetzentwurf hingehalten und ihn vertreten.
Dass es auch andere Meinungen gibt, gestehe ich zu. Dass das Vorhaben in der SPD-Bundestagsfraktion nicht unumstritten ist, ist kein besonderes Geheimnis. Dass wir uns heute nicht leicht tun, in einer so wichtigen Frage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entscheiden, ist für Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit.
Zum Gesetzentwurf ist einiges gesagt worden. Deswegen will ich mich zunächst mit dem Entschließungsantrag der FDP beschäftigen. Sehr geehrter Herr Kolb, Sie haben Ihr Konzept ausdrücklich als liberal bezeichnet. Ich habe Ihr Konzept sorgfältig gelesen. Sie haben das Aktionsprogramm ?50 plus“ als weiße Salbe bezeichnet und festgestellt, es sei nahezu ohne Wirkung. In Ihrem Entschließungsantrag finden sich Ihre liberalen Positionen dazu zwar in Klammern gesetzt, aber klipp und klar wieder: Einschränkungen für ältere Arbeitnehmer beim Kündigungsschutz, bei der Tarifautonomie und der Betriebsverfassung. Das ist Ihr Aktionsprogramm ?50 plus“! Das geht aus Ihrem Entschließungsantrag eindeutig hervor.
Gott sei Dank haben Sie für diesen neoliberalen Weg - als liberal kann man ihn nämlich nicht bezeichnen - keine Mehrheiten in diesem Haus.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Sie haben gefordert, Versicherten ab 60 Jahren den vorzeitigen Rentenzugang zu ermöglichen, wenn sie dies wollen. In der Anhörung haben aber Ihre Sachverständigen darauf hingewiesen, dass Abschläge in Höhe von 0,3 Prozent pro Monat nicht ausreichen; notwendig seien vielmehr 0,6 Prozent, also das Doppelte. Bezogen auf die sieben Jahre, die zwischen einem Rentenzugang mit 60 und der Rente mit 67 liegen, bedeutet das 50 Prozent Abschläge. Das ist ein Programm für Besserverdienende und Hochqualifizierte, die sich diese Abschläge leisten können; das ist aber kein Programm für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Leben lang schwer gearbeitet haben.
Das ist eine Tatsache. Insofern ist Ihr Programm nicht liberal, sondern zutiefst neoliberal.
Herr Kollege Ernst, Sie haben festgestellt, dass es um eine Rentenkürzung geht.
Wenn man aber berücksichtigt, dass wir die Lebensarbeitszeit durch unser aller Dazutun permanent verkürzt haben und damit die Rentenbezugsdauer immer weiter angestiegen ist, dann müsste man im Umkehrschluss feststellen, dass das eine gigantische Rentensteigerung - nämlich durch die Steigerung der durchschnittlichen Rentenbezugszeit von zehn auf 17 Jahre - war. Wenn man wie Sie argumentiert, dann müsste man im Umkehrschluss auch das Argument vorbringen. Das tun wir nicht.
Wir gehen aber davon aus, dass wir - wenn wir diesen Schritt nicht gehen würden - die Renten auf absehbare Zeit noch weiter absenken müssen, als es ohnehin notwendig wird. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns.
Ich halte angesichts der zu berücksichtigenden Stellschrauben die Rente mit 67 für einen möglichen Weg, der demografischen Herausforderung zu begegnen. In der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es drei Stellschrauben: die Beiträge, die für die Rentnerinnen und Rentner erbrachten Leistungen und die Steuern. Vor diesem Hintergrund ist die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre für uns der verträglichste Weg, auf die demografischen Herausforderungen zu antworten.
Was die Erwerbsquote Älterer angeht, haben Sie die Situation als dramatisch schlecht bezeichnet. Sie ist in der Tat nicht befriedigend. Genauso unbefriedigend ist, dass 4,2 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Aber wenn man die Rente mit 67 ablehnt und die derzeitigen Arbeitslosenzahlen und die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Zukunft projiziert, dann konstatiert man damit, dass man nicht mehr daran arbeitet, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Sozialdemokraten werden es aber nicht hinnehmen, dass die Arbeitslosenquote auf dem derzeitigen Stand bleibt.
Wir finden uns mit dieser Tatsache nicht ab. Darin besteht der entscheidende Unterschied zwischen uns.
Was beispielsweise Ihre Äußerung angeht, es hätte eine Quote festgelegt werden müssen, will ich Ihnen entgegenhalten, dass sich seit dem Jahr 2000 die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 55 folgendermaßen verändert hat: In 2000 lag die Quote der Beschäftigten über 55 in den Betrieben bei 38 Prozent. Mittlerweile sind es 48,9 Prozent. Die Quote hat sich insofern deutlich verändert.
Mir kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob die Quote 50 Prozent oder 60 Prozent beträgt; die Frage ist vielmehr, ob wir es bis 2010 - dann soll die Überprüfungsklausel tatsächlich zum Zuge kommen - schaffen, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern reale Chancen zu bieten.
Hilfreich ist dabei keine Quote; es geht vielmehr um die Chancen, die die Menschen haben. Das ist das entscheidende Kriterium, das man zugrunde legen muss.
Des Weiteren haben Sie gesagt - das stimmt mich sehr nachdenklich, übrigens bin ich dabei auch selbstkritisch; das gebe ich zu -, die Menschen könnten zum Teil gar nicht so lange arbeiten. In der Tat, das ist so. Es ist aber auch so, dass ganz viele Menschen es einfach nicht schaffen, bis 65 zu arbeiten. Man muss schlichtweg dazusagen, dass dem so ist.
Was haben wir gemacht? Ich war übrigens daran beteiligt und sage Ihnen, was wir gemacht haben. Wenn jemand schwer und hart in diesem Land arbeiten musste, dann haben wir uns weniger um die Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekümmert als vielmehr darum, dass die Erschwernis bezahlt wurde. Die Folge war, dass sich die Menschen sogar darum gerissen haben, schwer und hart zu arbeiten, weil sie mehr verdient haben. Mit 55 waren sie dann kaputt, und wir, die Akteure im System, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie die Betriebsräte, haben nach dem Sozialstaat gerufen, damit er sich der kaputten Leute annimmt. Wieso lassen wir zu, dass Arbeit so kaputtmacht, dass sich die Allgemeinheit, der Sozialstaat, um die Menschen kümmern muss?
An dieser Stelle brauchen wir endlich einen Mentalitätswechsel, und zwar bei allen gesellschaftlichen Akteuren. Lasst uns ernsthaft über die Humanisierung der Arbeitswelt nachdenken. Humanisierung der Arbeitswelt kann nicht bedeuten, dass diejenigen, die schwer arbeiten, besser entlohnt werden, sondern sie müssen besser geschützt werden, damit sie in einem vernünftigen Gesundheitszustand in Rente gehen können. Darum wird es in Zukunft verstärkt gehen.
Lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, weil Herr Ernst auf die Umfragen hingewiesen hat. Wer wird es ihm verdenken? Ja, Herr Ernst, die Umfragen für die SPD sind in der Tat im Moment nicht besonders toll. Sie sagen, wir hätten keine Zustimmung für die Politik, die wir machen. Insgesamt muss ich feststellen, dass die Große Koalition, wenn man zusammenrechnet, immer noch auf 60 Prozent und mehr kommt. Sie kommen auf 8 Prozent Zustimmung. Wenn man den Anteil der WASG herausrechnen würde, würde die PDS alleine auf 6 Prozent kommen. So sieht es letzten Endes aus.
Wir haben, zumindest was die gesellschaftlichen Fragen angeht, eine breite Mehrheit bei allen Umfragen - im Gegensatz zu Ihnen.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen waren im Deutschen Bundestag, bevor es die WASG gab, bei der Sozialdemokratie ordentlich aufgehoben.
- Hören Sie gut zu! - Ich sage Ihnen zum Schluss Folgendes: Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen werden in diesem Deutschen Bundestag durch die SPD auch weiterhin ernst und wahrgenommen, wenn Sie schon alle Geschichte sind.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die Unionsfraktion.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein notwendiges Gesetz, nämlich ein Gesetz zur Sicherung der Rente in der Zukunft. Ich danke zu Beginn sehr herzlich vor allen Dingen dem Bundesminister, dass er so stark dafür eingetreten ist, und darüber hinaus den beiden Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, dass sie in einer schwierigen Phase eine schwierige Entscheidung für die zukünftige Rentenpolitik getroffen haben und trotz starker Kritik an diesem Gesetz, manchmal auch übermäßiger Kritik, standhaft geblieben sind.
Ich möchte dies begründen. Die Lebenserwartung steigt. Das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben eine längere Rentenbezugsdauer. Auch das ist gut für die Menschen in Deutschland. Wir haben aber in demselben Zeitraum einen Rückgang an Beitragszeiten erwerbstätiger Personen durch verlängerte Ausbildungszeiten und durch Frühverrentungsmaßnahmen. Diese Last kann zukünftig nicht mehr geschultert werden. Deshalb sind wir gefordert, die vorgesehenen Maßnahmen heute zu verabschieden. Ein Letztes: Die demografische Entwicklung ist für alle, die Entscheidungen herbeiführen und heute abstimmen, gleich. Heute stehen zwei Beitragszahler einem Rentner gegenüber, im Jahr 2050 wird ein Beitragszahler einem Rentner gegenüberstehen. Dass deshalb Maßnahmen notwendig sind, um die Rente für die Bürgerinnen und Bürger sicher zu gestalten, liegt auf der Hand. Deshalb kann ich nur alle auffordern, sich an diesem Prozess zu beteiligen und dem heutigen Gesetz zuzustimmen.
Was wäre - darauf sind schon vielfältige Antworten gegeben worden, auch vorhin von meinem Kollegen Anton Schaaf -, wenn wir nichts tun? Linke und Gewerkschaften fordern das, und sie tragen tagtäglich entsprechende Ansinnen an uns heran. Wenn wir nichts tun, dann bedeutet das letztendlich höhere Beitragssätze für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in diesem Haus gewollt ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land das wollen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schui?
Max Straubinger (CDU/CSU):
Ja.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bitte, Herr Schui.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Produktivität der Arbeit sich bis zum Jahre 2050 mehr als verdoppelt haben wird? Gegenwärtig kann ein Erwerbstätiger Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Euro pro Stunde produzieren. In dem von Ihnen angegebenen Zeitraum wird dieser Wert wahrscheinlich bei 100 Euro liegen. Aus dieser Masse lässt sich ein steigender Rentenaufwand - die Anzahl der Rentenberechtigten steigt - doch locker finanzieren.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Herr Kollege Schui, daran erkennt man letztendlich den Unterschied zwischen den Linken und den Verantwortlichen hier im Hohen Hause. Sie verfrühstücken bereits das, was prognostiziert wird, während wir uns auf die wirtschaftlichen Ergebnisse einstellen.
So war auch die Politik in der ehemaligen DDR. Der Kollege Gysi hat bereits vorhin ein Rentenversicherungssystem angepriesen, in das alle einzahlen, aus dem aber keiner etwas bekommt. So war es in der Vergangenheit in der DDR.
Den Bürgerinnen und Bürgern gerade im Osten Deutschlands ist man dadurch besonders entgegengekommen, dass sie in die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland eintreten konnten.
- Das macht nichts; aber er vertritt dieselbe Politik.
Heute wurde schon über einen abschlagsfreien Rentenzugang ab dem 65. Lebensjahr nach einer Beitragszahlungsdauer von 45 Jahren unter den verschiedensten - auch unter verfassungsrechtlichen - Aspekten diskutiert. Ich will mich hier nicht einmischen. Ich möchte auf etwas sehr Bemerkenswertes hinweisen: Wir wollen mit einer Sonderregelung diejenigen, die 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, belohnen. Man kann auch sagen: Wir wollen die Treue zur gesetzlichen Rentenversicherung belohnen. Ich glaube, es ist notwendig, das hier darzustellen.
Die Kollegen von der FDP treten wie wir besonders für eine kapitalgedeckte Vorsorge ein. Man hat hier zum Beispiel noch nie in Frage gestellt, dass bei einer abgeschlossenen Lebensversicherung, in die über die gesamte Vertragsdauer eingezahlt wurde, ein Schlussgewinn anfällt. Ein solcher Gewinn wäre nicht angefallen, wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt worden wäre. Selbst bei einer kapitalgedeckten Vorsorge wird eine langjährige Vertragsbindung honoriert. Mit anderen Worten: Langjährige Treue wird auch hier besonders belohnt. Ich bin der Meinung, dass eine solche Regelung auch in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollte. Dafür stehen wir.
Ich möchte noch etwas zum Konzept der FDP sagen. Auf der einen Seite wird gesagt: Wir wollen den Leuten ermöglichen, bis zum 67. Lebensjahr auf freiwilliger Basis zu arbeiten; sie können aber mit 60 in Rente gehen. Die jetzigen Erfahrungen mit unseren Frühverrentungsprogrammen - Sie selbst fordern, sie abzuschaffen - zeigen sehr deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst früh in Rente gehen wollen. Wenn wir das Ganze der Freiwilligkeit überlassen, dann werden sich in der Zukunft noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entscheiden, mit 60 in Rente zu gehen, wenn sie es überhaupt können. Bei Ihrem Modell wären 25 Prozent und mehr Abschlag notwendig. Das kann sich vor allen Dingen der geringverdienende Arbeitnehmer nicht leisten.
Deshalb stehen wir zu unserem Konzept. Das ist sozial ausgewogen und sichert die Rente nach dem alten Blüm’schen Satz: Die Rente ist sicher. - Dafür sorgen wir hier in Deutschland mit unserer Zustimmung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass Sie sich schon zur namentlichen Abstimmung hier versammeln. Ich bitte Sie aber, die Gespräche, die vielleicht dringend zu führen sind, draußen zu führen oder eben doch einzustellen, sodass wir dem Kollegen Meckelburg, dem ich jetzt für die Unionsfraktion das Wort erteile, noch zuhören können.
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner vor einer namentlichen Abstimmung hat man es häufig nicht so leicht. Deswegen will ich nicht mehr viele Zahlen zitieren, sondern die Grundbotschaften noch einmal zusammenfassen.
Wir verabschieden heute zwei Gesetze im Doppelpack: die Rente mit 67 und die Verbesserung der Beschäftigungschancen für Ältere, die sogenannte Initiative ?50 plus“. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Aus demografischen Gründen ist es notwendig, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, nämlich von 65 auf 67. Ein solches Ziel ist aber nur erreichbar, wenn wir auch die Beschäftigung Älterer in den nächsten fünf bis 22 Jahren - das ist der Zeitraum, über den wir reden - erhöhen.
Die Zahlen zur demografischen Entwicklung sind genannt worden. Ich will sie noch einmal zusammenfassen. Auf der einen Seite: Die Jüngeren, die Rentenversicherungsbeiträge zahlen, werden immer weniger; die Beitragszahlungsjahre nehmen ab. Auf der anderen Seite: Die Älteren, die Rente beziehen, werden immer älter; die Rentenbezugszeiten nehmen zu.
Die Botschaft Nr. 1 aus diesen Zahlen ist: Für die Politik ergibt sich Handlungsbedarf, und wir als Große Koalition handeln.
Die Alternative dazu wäre: nichts tun und abwarten. Das endet im Chaos. Die populistische Alternative dazu wird natürlich wie immer von den Linken vertreten: Augen zu vor der Realität, keine Strukturveränderung - denn das könnte den Menschen wehtun -; stattdessen alles so lassen, wie es ist, und unter Missachtung der Notwendigkeit von Korrekturen sogar noch draufsatteln. Das ist die Position der Linken. Hier paart sich die Wahrnehmung der Realität nach dem Motto ?Augen zu!“ mit nicht begründetem ?Alles wird gut“-Glauben und zusätzlichen Traumschiff-Versprechungen.
Die Botschaft Nr. 2 lautet: Populismus hilft in dieser Frage nicht weiter, oder, fürs Volk gesagt: Leute, glaubt den Linken kein Wort!
Es ist in der Tat so: Sie stehen jeden Tag auf dem Bahnsteig und warten darauf, dass Sie sich in irgendeinen populistischen Zug setzen können. Wenn keiner kommt, setzen Sie selber einen aufs Gleis. Sie lassen von allem, was den Menschen wehtun könnte, die Finger. Sie machen Traumschiff-Versprechungen, die in der Realität nicht zu halten sind. - Lasst die Finger von den Linken!
Rente mit 67. Ich will noch einmal deutlich sagen, worüber wir reden, weil vor allem diejenigen, die jetzt in Rente sind, sich darüber aufregen und erhitzen. Alle die, die jetzt in Rente sind, sind davon gar nicht betroffen. Wir reden über die Erhöhung des Renteneintrittsalters über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Bis 2011 wird sich da überhaupt nichts tun. Von 2012 bis 2023 wird das Renteneintrittsalter jährlich nur um einen Monat erhöht. In den letzten Jahren, von 2024 bis 2029, wird es jährlich um zwei Monate steigen. Wir werden also erst im Jahr 2029 die Rente mit 67 Jahren erreicht haben. Das ist ein langer Zeitraum. Es ist verantwortungsvolle Politik, wenn man über einen so langen Zeitraum etwas vorbereitet, auf das sich die Menschen, die Wirtschaft und alle miteinander einstellen können.
Botschaft Nr. 3 also: Die Erhöhung des Renteneintrittsalters erfolgt über den langen Zeitraum von 22 Jahren. Das ist Politik mit Verantwortung und Augenmaß.
Wir wissen, dass es notwendig sein wird, in der Gesellschaft zu einem Mentalitätswechsel zu kommen. Wir müssen alle miteinander begreifen, dass es notwendig ist, länger im Berufsleben zu bleiben. Der Gesetzgeber begleitet dies mit der Initiative ?50 plus“. Ich will die Maßnahmen noch einmal nennen: Wir werden durch den Kombilohn für Ältere bei der Entgeltsicherung zu Verbesserungen kommen; wir werden den Eingliederungszuschuss für die Einstellung Älterer verbessern; wir werden bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung etwas tun; wir werden die mehrfache Verlängerung der Beschäftigungsverhältnisse über befristete Arbeitsverträge bis fünf Jahre für Ältere zulassen.
Botschaft Nr. 4 lautet also: Die Bundesregierung, die Koalition flankiert den Prozess, ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist verantwortungsvoll.
Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation für ältere Arbeitnehmer deutlich verbessern wird. Woher nehme ich diesen Optimismus?
Erstens. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bei Älteren - ich spreche über die 50- bis 65-Jährigen - von Juni 1999 bis 2006 um 730 000 zugenommen. Man muss sich klarmachen, was das heißt: Wir sind bereits bei einem gesellschaftlichen Mentalitätswandel angekommen. In einer Zeit, wo die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse allgemein zurückgegangen ist, hat bei den über 50-Jährigen ein Aufwuchs stattgefunden, und zwar seit 1999 um jährlich etwa 100 000. Das gibt mir die Hoffnung: Alle, vor allen Dingen die Unternehmen und die Tarifparteien, haben begriffen, dass wir auf diesem Gebiet etwas tun müssen.
Zweitens. Ein weiterer Grund für meinen Optimismus ist die Entwicklung des allgemeinen Wirtschaftswachstums. Wir haben erreicht, dass sich die Beschäftigungssituation Älterer verbessert hat. Bei der Erwerbstätigenquote haben wir einen Anstieg auf 48,3 Prozent gegenüber 45 Prozent im Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Gott sei Dank nimmt generell die Erkenntnis zu, dass ältere Arbeitnehmer für die Unternehmen notwendig sind. Sie sind aber nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung und aufgrund des Fachkräftemangels in der Arbeitswelt notwendig, sondern viele ältere Menschen wollen auch wirklich arbeiten. Botschaft Nr. 5 lautet: Wir sind auf einem guten Weg.
Zum Schluss möchte ich ein Versprechen einlösen, das ich der Kollegin Rita Pawelski gegeben habe, indem ich darauf hinweise, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine gesetzgeberische Grauzone beim Künstlerdienst der Bundesagentur geregelt haben. Mit der Novellierung des Vermittlungsauftrages der Bundesagentur unterstützt die Große Koalition Künstler und Kulturschaffende, vor allem die vielen selbstständigen, die vielen jungen und die nicht berühmten, die sehr gute Leistungen bringen und auf diesen Dienst angewiesen sind.
Diese beiden Gesetze gehören zusammen. Ich bitte Sie, heute beiden Gesetzen zuzustimmen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/3793, 16/4371 und 16/4421. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4578, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich gebe zu, Kolleginnen und Kollegen: Es ist etwas schwierig, festzustellen, wer sich aus dem Grund der Zustimmung erhoben hat und wer sich in der Erwartung kommender Ereignisse, der namentlichen Abstimmung, erhoben hat. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Es ist mir nicht möglich, das genaue Abstimmungsergebnis festzustellen.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4578 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/241 mit dem Titel ?Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich in der Abstimmung fortfahre, bitte ich Sie noch einmal, sich hinzusetzen und nicht, indem Sie hier vorne stehen, Abstimmungsergebnisse zu verfälschen.
Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 b. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3027 mit dem Titel ?Beschäftigungspolitik für Ältere - für ein wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3779 mit dem Titel ?Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bundesagentur für Arbeit ermöglichen - Künstlerdienste sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen.
Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes auf den Drucksachen 16/3794, 16/4372 und 16/4420. Mir liegen dazu 37 Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4583, die genannten gleichlautenden Gesetzentwürfe zusammenzuführen und unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linken verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie jetzt gleich verwenden werden, Ihren Namen tragen und dass sich die Zahl 16 für die 16. Legislaturperiode vor Ihrer Nummer befindet. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an allen Abstimmungsurnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - So, ich glaube, jetzt haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4618? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4617? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4619? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Grünen abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/4583 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2747 mit dem Titel ?Nein zur Rente ab 67“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3812 mit dem Titel ?Neue Kultur der Altersarbeit - Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an längere Rentenlaufzeiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3815 mit dem Titel ?Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Rente mit 67) verlängern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenommen.
Tagesordnungspunkte 20 e und 20 f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/4552 und 16/4553 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/4298, 16/4571 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Jürgen Trittin
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4580 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen
- Drucksachen 16/4047, 16/4576 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat
- Drucksachen 16/4048, 16/4614 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
r. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich
- Drucksachen 16/4096, 16/4613 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist der deutsche Entwicklungs- und Wiederaufbauhelfer der Welthungerhilfe Dieter Rübling im Norden Afghanistans ermordet worden. Wir alle trauern um Dieter Rübling. Wir danken ihm für sein zutiefst humanitäres Engagement. Unsere Gedanken sind bei der Familie und den Freunden des Toten. Wir trauern mit ihnen. Wir trauern mit der Welthungerhilfe, die seit über zwei Jahrzehnten so wertvolle Arbeit in Afghanistan und weltweit leistet.
Dieter Rübling ist in dieser schweren Zeit nach Afghanistan gegangen, um den Menschen dort beim Wiederaufbau selbstlos zu helfen. Afghanistan nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Fremdherrschaft und des Talibanregimes wiederaufzubauen und zu stabilisieren, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es in diesen Tagen gibt. Die Arbeit der zivilen Helfer und Helferinnen, die unbewaffnet sind, ist mit großen Gefährdungen und Risiken verbunden. Dies wird allzu oft vergessen, wenn von zivilem Wiederaufbau gesprochen wird. Umso mehr verdienen die Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer in Afghanistan unser aller Hochachtung, Respekt, Unterstützung und Dank.
Wir fordern alle afghanischen Behörden auf, die Mörder zu stellen und der gerechten Strafe zuzuführen. Noch immer wissen wir nicht genug über die Hintergründe dieses Mordes. Aber ich will sagen: Unser Land hat seit 2001 allergrößte Anstrengungen unternommen, um den Menschen in Afghanistan zu helfen. Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen sowie Soldaten haben ihr Leben riskiert, um den geschundenen Menschen in Afghanistan beim Aufbau ihres Landes zu helfen. Wir bauen Schulen, wir sorgen für die Wasserversorgung, wir helfen vor allem den Frauen und Kindern. Die Menschen in Afghanistan, die auf uns hoffen, können sich darauf verlassen, dass wir sie auch in Zukunft nicht im Stich lassen und uns nicht zurückziehen werden. Das sind wir ihnen schuldig. Das sind wir aber auch dem Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe schuldig, um den wir heute trauern. Das sind wir all denen schuldig, die Aufbauarbeit leisten.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 20 c und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen: 581. Mit Ja haben gestimmt 408, mit Nein haben gestimmt 169, Enthaltungen vier. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Namens der FDP-Fraktion danke ich Ihnen, Frau Bundesministerin, dafür, dass Sie diese Debatte eröffnet haben, und für die Worte, die Sie gefunden haben. Ich denke, der ganze Deutsche Bundestag teilt das Bedauern und die Betroffenheit, die Sie zum Ausdruck gebracht haben.
Meine Damen und Herren, es wäre vielleicht auch sonst gar nicht schlecht gewesen, dass die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung diese Debatte eröffnet; denn an diesem furchtbaren Ereignis von gestern ist deutlich geworden, wie gefährlich die Lage ist und dass wir uns nicht in eine Situation begeben sollten, in der wir insofern zwischen Nord und Süd, Zivilem und Militärischem, Aufbau und Schutz sowie Deutschen und Amerikanern, Kanadiern oder Italienern unterscheiden. Jeder Tote ist einer zu viel.
Im Zentrum unserer Debatte steht aber zunehmend die Notwendigkeit des Aufbaus in Afghanistan - das kommt in allen Anträgen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck -, die Notwendigkeit, diesen Aufbau voranzutreiben, effektiv zu machen und schnell wirksam werden zu lassen. Ich würde es begrüßen, wenn es vielleicht durch Überweisung in die Ausschüsse gelingen würde, diese Anträge der Fraktionen - zumindest von Schwarz/Rot sowie von Grün und Gelb - zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzuführen. Es wäre ein starkes Signal, wenn der Deutsche Bundestag die Notwendigkeit dieses Umsteuerns gegenüber der Regierung gemeinsam kraftvoll zum Ausdruck bringen würde.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zustimmen. Es gibt bei uns aber kein Hurra. Ich habe Ihnen in der letzten Woche die außerordentlich schwierige Abwägung, die wir vorgenommen haben, hier ausführlich vortragen können und will mich nicht wiederholen. Es ist klar, dass viele Kolleginnen und Kollegen die schiefe Ebene fürchten. Deswegen ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir aufpassen werden, dass wir nicht weiter in etwas hineinrutschen, was wir dann nicht mehr beherrschen können.
Es ist wichtig, dass wir respektieren, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die befürchten und Sorge haben, dass wir vielleicht vergessen, warum wir überhaupt dort sind, welche Verantwortung wir für das Leben der Menschen in Afghanistan und für unsere eigenen Entwicklungshelfer, Soldaten und andere haben, die sich um den Aufbau Afghanistans bemühen. Es gibt übrigens auch solche, die Sorge haben, dass wir vergessen, dass wir Teil eines Bündnisses sind, das für uns ein Teil der Staatsräson ist, und dass wir der Renationalisierung unserer Sicherheitspolitik ein für alle mal abgeschworen haben.
Das ist keine leere Floskel. Was heißt denn Bündnisfähigkeit? - Bündnisfähigkeit heißt doch nicht, einem anonymen Organ oder den amerikanischen Freunden zu gefallen. Bündnisfähigkeit bedeutet, in der Lage zu sein, auf politische und militärische Strategie, Taktik und Operationsführung aktiv Einfluss zu nehmen, gemeinsam getroffene Entscheidungen solidarisch zu tragen, gegebenenfalls dort, wo ein Veränderungsbedarf gegeben ist, gemeinsam umzusteuern und gegebenenfalls - auch das kann niemand ausschließen - eines Tages gemeinsam herauszugehen.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit der Umsteuerung ist evident. Es ist dringend geboten, das Politische vor das Militärische und den Aufbau vor den Aufmarsch zu setzen sowie die Priorität der Politik zu gewährleisten. Das muss sich auch in der Rhetorik widerspiegeln. Wir bringen uns doch unnötig in ein falsches Licht, wenn wir immer von dieser Offensive reden, ohne dabei zu sagen, dass sie dazu dient, den Aufbau zu schützen. Es würde nämlich die Arbeit unserer Entwicklungshelfer unmöglich machen, wenn zum Beispiel von den Taliban, wie angekündigt, der riesige Staudamm, der fast eine halbe Million Menschen mit Wasser versorgen soll, zerstört würde. So macht das ja alles Sinn. Aber sich selbst rhetorisch in die Situation des Aggressors zu bringen, ist nicht sonderlich klug.
Auch hier ist Umsteuerung und damit rhetorische Abrüstung geboten.
Nun, meine Damen und Herren, zur großen Sorge, die viele von uns haben: Stehen wir möglicherweise vor dem Scheitern? Helfen uns da Durchhalteparolen? Hilft es uns, wenn wir markig sagen: Afghanistan ist erst verloren, wenn wir es verloren geben? Nein, meine Damen und Herren, das wird den Risiken und der Komplexität der Aufgabe nicht gerecht. Wir brauchen eine realistische Definition unserer Ziele. Wenn wir daran gehen, müssen wir Abstriche machen, nicht bei der Aufbauarbeit, Frau Bundesministerin, nicht bei der konkreten Hilfe für die Menschen - diese ist notwendig -, sondern bei der Vorstellung, wir könnten innerhalb kürzester Zeit eine Westminsterdemokratie entwickeln
und wären in der Lage, innerhalb kurzer Zeit die Errungenschaften der Aufklärung über das Land zu bringen.
Wenn es uns in Erinnerung an das, was vor dem 11. September in Afghanistan los war und was danach geschaffen wurde, gelingt, die Menschen besser vor eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, wenn es gelingt, uns selber hier in Europa und anderswo den Terror vom Leibe zu halten, dann haben wir sehr viel gewonnen. Dazu können die Aufklärer der Bundeswehr einen Beitrag leisten. Denn sie leisten natürlich auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz der eigenen Soldaten, zum Schutz unserer Verbündeten und zum Schutz der Menschen in Afghanistan vor sogenannten Kollateralschäden, das heißt vor der Einbeziehung unschuldiger Zivilisten in Kriegshandlungen. Nach schwieriger Abwägung werden wir deshalb dem vorgelegten Antrag der Bundesregierung mit großer Mehrheit zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, auch im Namen meiner Fraktion möchte ich Ihnen herzlich für Ihre einfühlsamen Worte danken, die Sie zum Tode von Dieter Rübling gefunden haben. Sein Tod sollte uns allen eine Mahnung sein, dass die Lage in Afghanistan gefährlich ist, unser Engagement dort wichtig ist und wir Afghanistan eben nicht verloren geben dürfen.
Wenn wir uns die gesamte Lage in Afghanistan vor Augen führen, dann ergibt sich, wie der Kollege Hoyer zu Recht geschildert hat, ein differenziertes Bild. Es gibt gute und es gibt schlechte Nachrichten.
Eine gute ist, dass Afghanistan heute kein sicherer Hafen für global agierende Terroristen mehr ist, dass die Taliban von der Macht vertrieben sind und dass die Terrorcamps von al-Qaida in Afghanistan zerschlagen sind.
Eine schlechte Nachricht ist, dass insbesondere das letzte Jahr, in dem die Zahl der Selbstmordattentate um das Fünffache zugenommen hat und der Drogenanbau enorm angestiegen ist, für Afghanistan und die internationale Gemeinschaft ein schwieriges Jahr gewesen ist.
Es bleiben uns realistischerweise nur noch 18 bis 24 Monate, um den Trend zur Destabilisierung zu stoppen und die Trendumkehr zu bewerkstelligen. Wenn uns das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsraum für islamische Fundamentalisten wird, die in ihrem Hass auf alles Westliche und Liberale die Welt erneut mit transnationalem Terrorismus überziehen wollen. Es handelt sich deshalb bei Afghanistan eben nicht um irgendein Entwicklungsland am Hindukusch, sondern unser Erfolg dort ist von geopolitischer Bedeutung. Deswegen hat Peter Struck auch völlig recht, wenn er davon spricht, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird.
Wir setzen mit unserer Afghanistanpolitik, sowohl was die Ziele als auch was die Prinzipien angeht, das fort, was unter der rot-grünen Bundesregierung begonnen wurde. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie wir unsere Maßnahmen der veränderten Lage anpassen; aber es gibt ausdrücklich weder bei den Zielen noch bei den Prinzipien eine Veränderung. Deswegen finde ich es wenig glaubwürdig, wenn ehemalige Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung heute gegen den Einsatz stimmen oder wenn die Menschenrechtsbeauftragte der früheren Bundesregierung sich gegen diesen Einsatz ausspricht.
Außerdem ist der militärische Einsatz unter Rot-Grün deutlich gefährlicher gewesen als heute; denn unter Rot-Grün haben wir Bodentruppen im Süden gehabt, haben deutsche Spezialkräfte gegen al-Qaida gekämpft.
Wir brauchen eine nüchterne Analyse der kritischen Lage. Wir müssen erkennen, dass die Entwicklung der Lage nicht allein eine Folge der Ausweitung des ISAF-Einsatzes in den Süden und den Osten des Landes ist. Zur Herstellung der Stabilität im Süden und im Osten des Landes muss ISAF - nicht im völkerrechtlichen, aber im militärischen Sinne - Krieg führen. Es geht um asymmetrische Kriegsführung. Dazu werden die Tornados einen erforderlichen Beitrag leisten. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne die Operationen ISAF und OEF strikt voneinander trennen. Beide Operationen werden immer weiter miteinander verschränkt. Es gelten dieselben Einsatzregeln. Deutschland hat - auch bereits unter Rot-Grün - beide Operationen mandatiert. Die Erfolge von OEF und ISAF sind eng miteinander verknüpft.
Deswegen wäre es falsch, den Begriff ?restriktiv“ im Antrag der Regierung so zu verstehen, dass ISAF prinzipiell OEF Informationen vorenthalten würde. ?Restriktiv“ bedeutet, dass die militärische Führung über die Weitergabe der Informationen entscheidet. Aber, wie gesagt, die Erfolge beider Operationen hängen eng miteinander zusammen.
Auch eine Illusion ist, dass es im Rahmen der NATO unterschiedliche Strategien geben kann. Es gibt unterschiedliche Verantwortungsbereiche; aber wir haben nur gemeinsam Erfolg oder würden gemeinsam scheitern. Von der Entwicklung in der nächsten Zeit wird abhängen, ob die bisherigen und die mittlerweile zusätzlich bereitgestellten militärischen und zivilen Mittel ausreichen.
Deswegen ist es heute aus meiner Sicht nicht viel mehr als eine vage Hoffnung, dass wir, wie einige glauben, mit der Zustimmung zum Tornadoeinsatz von weiteren Anforderungen in Bezug auf den Süden und Osten des Landes verschont bleiben. Als Bündnispartner müssen wir bereit sein, nicht nur dieselben Lasten, sondern auch dasselbe Risiko wie unsere Verbündeten zu tragen. Das ist das Wesen eines Bündnisses. Nur so wird es uns auch gelingen, den erforderlichen Einfluss auf die Gesamtstrategie der NATO auszuüben.
Wenn ich davon gesprochen habe, dass wir uns viel mehr anstrengen müssen als bisher, dann gilt das nicht nur in militärischer, sondern auch und vor allem in ziviler Hinsicht. Weite Teile der afghanischen Bevölkerung empfinden keine Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen. In der Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung - nur die ist entscheidend - ist die bisherige Entwicklungsbilanz nicht überzeugend. Dabei gibt es sicherlich überzogene subjektive Wahrnehmungen; aber wir müssen dafür sorgen, dass wir die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen und Verbesserungen erreichen, die die Menschen in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeit auch als solche empfinden.
Ohne Entwicklung gibt es keine Sicherheit, aber ohne Sicherheit eben auch keine Entwicklung. Dazu muss die internationale Gemeinschaft in allen Bereichen - beim Aufbau der Polizei, beim Aufbau der Rechtsstaatlichkeit, beim Aufbau der Verwaltung, bei der Bekämpfung des Drogenanbaus und der Förderung von Anbaualternativen -, die wir gemeinsam übernommen und in internationalen Konferenzen festgelegt haben, ihre Anstrengungen wesentlich erhöhen.
Wir brauchen bereits in den nächsten Monaten einen ?Big Push“ beim Aufbau des Landes. Es geht um eine Konzentration der Kräfte und einen rascheren Mittelabfluss in die prioritären Bereiche. Wir brauchen Leuchtturmprojekte, die der Bevölkerung in Afghanistan deutlich machen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass sich unser Engagement für sie lohnt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege von Klaeden, der Herr Kollege Paech möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Bitte.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit geht zu Ende, aber Sie haben bis jetzt mit keinem Wort die schwerwiegenden verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die aus Reihen Ihrer Fraktion vorgebracht werden, erwähnt. Sie wissen, dass nach der Abstimmung einige Mitglieder Ihrer Fraktion eine Verfassungsklage in Karlsruhe einreichen.
Meine Frage lautet: Ist Ihnen nicht bewusst, dass das, was Sie hier vortragen, eine Aufforderung zu einem schweren Völkerrechtsbruch ist? Ich will zur Begründung drei Punkte anführen.
Erster Punkt. Sie schicken die Tornados in einen Krieg im Süden Afghanistans, der nach übereinstimmender Meinung von Kollegen nicht nur des Europaparlaments, sondern auch dieses Parlaments schon lange die Genfer Konvention verletzt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, es ist richtig, dass Sie im Rahmen einer Zwischenfrage eine Bemerkung machen können. Aber Sie können keine Kurzintervention machen.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Darf ich meine Frage begründen?
Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, dass ISAF und OEF ununterscheidbar sind und zusammenwachsen. Das ist eine Sprengung des Mandats von ISAF, also eine schwere Völkerrechtsverletzung.
Dritter Punkt. Die Einbeziehung in OEF, also in den Antiterrorkampf gegen al-Qaida - Sie haben selbst gesagt, dass die Camps gar nicht mehr bestehen -, kann nicht mehr als Verteidigungsauftrag nach Art. 51 Abs. 6 der UNO-Charta begründet werden. Sechs Jahre Selbstverteidigung sind eine Absurdität. Das alles ist auch nicht mit dem Verteidigungsauftrag unserer Verfassung zu begründen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden. - Danke schön.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Ich möchte gerne, dass Sie sich dazu äußern. - Danke schön.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Paech, das tue ich gerne. Wir haben die verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken, die von zwei Kollegen meiner Fraktion geäußert wurden, in unserer Fraktion und ebenfalls im Auswärtigen Ausschuss ausführlich erörtert. Ich muss aber gegen diese Mischung von Vorurteilen und üblen Unterstellungen, die Sie gerade in Ihrer Frage, was das Vorgehen der NATO in Afghanistan angeht, geäußert haben, protestieren und möchte meine beiden Kollegen, die diese Bedenken geäußert haben, gegen die Vereinnahmung durch Sie in Schutz nehmen.
Zur verfassungsrechtlichen und zur völkerrechtlichen Situation. OEF ist mandatiert durch denn Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Selbstverteidigung. Diese Mission ist bisher nicht abgeschlossen. Wenn Sie sich mit der Situation vor Ort beschäftigen, dann wissen Sie, dass der Aufwand für OEF immer weiter abgeschmolzen wird. Die Zahl der für Afghanistan vorgesehenen Einsatzkräfte ist längst nicht mehr so hoch wie vor einigen Jahren.
Damit korrespondiert die Ausweitung des ISAF-Einsatzes. ISAF steht für die Stabilisierung und Unterstützung der afghanischen Regierung. Dieser Einsatz ist ebenfalls mandatiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ausdrücklich gefordert, dass die Operationen ISAF und OEF in Afghanistan stärker miteinander verschränkt werden. Wir stehen also mit beiden Missionen auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage.
Was die verfassungsrechtlichen Bedenken angeht, so muss man sagen: Die Kollegen beziehen sich auf ein Minderheitenvotum, das vom Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1994 geäußert worden ist. Dieses Minderheitenvotum ist aber in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aufgegeben worden. Man kann zwar nach wie vor die in diesem Votum dargelegte Rechtsansicht vertreten, aber man kann für sie nicht mit Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts - auch nicht in Form eines Minderheitenvotums - rechnen.
Ich war dabei, die Prioritäten zu erläutern, die sich auf ziviler Seite ergeben. Das gilt für den Aufbau und Ausbau der Infrastruktur, insbesondere für den Straßenbau, die Energie- und die Wasserversorgung. Wir brauchen diese Projekte als Katalysator für eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung in Afghanistan. Dabei sollten wir uns auch vor Augen führen, dass wir uns in unseren Bildungs- und Frauenförderprojekten stärker darauf konzentrieren - ich weiß, dass das für manchen politisch nicht korrekt klingt -, was die religiösen und kulturellen Traditionen dieses Landes sind, um mit solchen Projekten nicht konservativen oder fundamentalistischen Kräften in die Hände zu spielen.
Ich habe davon gesprochen, dass Afghanistan eine geopolitische Dimension hat. Dazu gehört eben auch, den Blick auf die Nachbarn Afghanistans zu richten: auf den Iran und insbesondere auf die Nuklearmacht Pakistan. Wir wissen, dass Pakistan enorme Schwierigkeiten hat, in seiner Grenzregion, in den sogenannten Tribal Areas, zu Afghanistan die Staatsgewalt auszuüben. Wir wissen, dass es dort Lager für Flüchtlinge aus Afghanistan mit über 3 Millionen Menschen und Koranschulen, sogenannte Madrassas, gibt, in denen der Nachwuchs der Taliban herangezogen wird.
Wir müssen alles tun, um auch die pakistanische Regierung bei der Herstellung der Staatsgewalt zu unterstützen. Wir müssen sie aber auch an dem messen, was sie international versprochen hat. Dazu brauchen wir einen institutionalisierten Dialog zwischen Afghanistan und Pakistan sowie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, damit es dazu kommen kann, dass gerade in den Grenzregionen eine entsprechende Stabilisierung stattfinden kann.
Ein letzter Blick auf das, was andere leisten. Die Kanadier haben gerade ihren Entwicklungshilfeansatz um 200 Millionen kanadische Dollar erhöht. Die Amerikaner haben ihre Mittel für den zivilen Aufbau um 10,9 Milliarden US-Dollar erhöht. Allein 2 Milliarden US-Dollar sind für die Unterstützung alternativer Anbaumethoden zur Bekämpfung des Drogenanbaus vorgesehen.
Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen wir bereit sein, sowohl auf militärischer als auch vor allem auf ziviler Seite deutlich mehr zu tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Trittin. - Herr von Klaeden, Sie können dann antworten.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Herr Kollege von Klaeden, als Befürworter von ISAF, die wir beide sind, hätten wir darüber streiten können, ob der Einsatz dieser Tornados für einen Erfolg von ISAF von absoluter Bedeutung ist. Ich kann dies nach dem, was die Bundesregierung vorgetragen hat, nicht nachvollziehen. Wir sollten es aber beide unterlassen, uns in diesem Zusammenhang gegenseitig fehlende Glaubwürdigkeit zu attestieren. Deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet.
Sie selber haben darauf hingewiesen: Es gibt in Afghanistan Notwendigkeiten, die dringend geändert werden müssen; das sage ich als jemand, der zu Afghanistan steht. Sie selber haben darauf hingewiesen: Wir brauchen mehr zivile Hilfe. Nun gibt die Bundesregierung jährlich 20 Millionen Euro mehr. Sie selbst haben die Zahlen zitiert: Kanada gibt 200 Millionen kanadische Dollar mehr. Die USA geben jährlich 1 Milliarde US-Dollar für den zivilen Bereich aus. Das ist das 50-Fache von dem, was Ihre Bundesregierung zur Verfügung zu stellen bereit ist.
Wir sind uns einig, dass wir mehr Polizeihilfe brauchen. In der diesbezüglichen Novelle reden wir aber immer noch von 40 Mitgliedern. Heute besteht die Situation, dass Feldjäger der deutschen Bundeswehr in der Polizeiausbildung in Masar-i-Scharif engagiert sind; ich finde das richtig. Ich sage Danke zu den Feldjägern. Aber ich sage auch: Gibt es nicht dem Innenministerium und dem Außenministerium zu denken, dass das Militär, die Bundeswehr, heute offensichtlich zivile Aufgaben übernimmt? Das ist doch der Punkt, an dem Sie als Mehrheit hier in diesem Hause hätten handeln müssen, anstatt anderen an dieser Stelle die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Ich füge ein Letztes hinzu. Wir haben Zweifel, ob das, was wir, diese Koalition und meine Partei, gemeinsam wollen, nämlich einen Strategiewechsel, tatsächlich am Boden angekommen ist, wenn wir gleichzeitig erleben müssen, dass Einigungsversuche zwischen den Briten und den Stammesältesten mithilfe von Raketenangriffen auf Familienangehörige von vermuteten Talibananhängern sabotiert werden. Das sind die umfassenden Zweifel, die meine Fraktion hat. Ein Teil meiner Fraktion sagt: Wir sagen trotz dieser Bedenken Ja. Andere sagen: Unter diesen Bedingungen können wir zu einem Einsatz von Tornados - nicht zu ISAF - nur Nein sagen. Ich finde, beides sind respektable Positionen, und beides ist kein Grund, irgendjemandem von uns die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege von Klaeden.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Trittin, ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie nicht einsehen wollen, dass die Verbesserung der Aufklärungsfähigkeiten dem Einsatz von ISAF dient. Gerade der relativ geringe Truppenansatz, den die NATO für Afghanistan gewählt hat - die 40 000 Soldaten sind ins Verhältnis zur Größe des Landes zu setzen -, macht deutlich, dass der Erfolg, die Effizienz und nicht zuletzt der Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Aufbauhelfer eine höhere Zielgenauigkeit der militärischen Einsätze erfordert. Das kann man - das ist eine Binsenweisheit - nur durch verbesserte Aufklärung erreichen. Deswegen ist es unverständlich, dass Sie nicht in der Lage sind, das nachzuvollziehen.
Mein zweiter Punkt. Mir kommen Ihre Hinweise, die Entwicklungshilfe sei aus Ihrer Sicht zu gering - das ist sie auch aus meiner Sicht -, wie eine Ausrede vor. Es wäre Ihnen schließlich während Ihrer Regierungszeit möglich gewesen, die Ansätze entsprechend zu erhöhen. Aber vor allem ist es doch so, dass die Sicherheit, die ISAF in Afghanistan schafft und zu der die Tornados einen wesentlichen Beitrag leisten, erst die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt zivile Hilfe geleistet werden kann.
Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Sie müssen immer davon ausgehen, dass Ihr Votum - nicht Ausdruck einer politischen Strömung in Ihrer Wählerschaft - zur allgemeinen Regel für das Regierungshandeln gemacht werden kann. Wenn wir ISAF die nötige Unterstützung verweigern würden und ISAF deswegen nicht erfolgreich sein kann, dann hätte auch der zivile Aufbau keine Chance mehr. Deswegen ist Ihre Argumentation nicht überzeugend und, wie ich finde, auch nicht glaubhaft.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
[Fortsetzung folgt noch heute,
Freitag, 9. März 2007,
durch fortlaufende Ergänzung dieser Datei]