91. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Sitzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle sehr herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Es gibt ein paar wenige Hinweise, bevor wir in die Tagesordnung eintreten können. Der Kollege Ralf Göbel hat sein Amt als Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Hermann-Josef Scharf vor. Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist der Kollege Scharf zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD:
Die aktuelle Lage der Menschenrechte in Simbabwe
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 12 und 13 auf Drucksache 16/4802
(siehe 90. Sitzung)
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 32)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hettlich, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Energieeinsparung zügig verabschieden - Energieausweis als Bedarfsausweis einführen
- Drucksache 16/4787 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Katastrophe in Simbabwe verhindern
- Drucksache 16/4859 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 33)
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 201 zu Petitionen
- Drucksache 16/4866 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 202 zu Petitionen
- Drucksache 16/4867 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 203 zu Petitionen
- Drucksache 16/4868 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 204 zu Petitionen
- Drucksache 16/4869 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 205 zu Petitionen
- Drucksache 16/4870 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 206 zu Petitionen
- Drucksache 16/4871 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 207 zu Petitionen
- Drucksache 16/4872 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 208 zu Petitionen
- Drucksache 16/4873 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 209 zu Petitionen
- Drucksache 16/4874 -
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unternehmensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze
- Drucksache 16/4855 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Konsequenzen der Bundesregierung aus den UN-Berichten des Sonderberichterstatters, Vernor Muñoz, zum deutschen Bildungssystem
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 26 c und 33 b werden abgesetzt.
Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 82. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Trendwende beim Klimaschutz im Verkehr - Nachhaltige Mobilität für alle ermöglichen
- Drucksache 16/4416 -
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Der in der 88. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rücknahme der Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/4735 -
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Auch das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Vereinbarte Debatte
Patientenverfügungen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache drei Stunden vorgesehen. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf verständigt, dass aufgrund der großen Anzahl der Redewünsche und der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit für die Aussprache die Reden derjenigen Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch nicht berücksichtigt werden kann, zu Protokoll gegeben werden können. Ich nehme an, dass es auch dazu Einverständnis gibt. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.
Joachim Stünker (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum debattieren wir heute über die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit von Patientenverfügungen? Wir debattieren darüber, weil circa 7 bis 8 Millionen Menschen in Deutschland eine Patientenverfügung gemacht haben und darauf vertrauen, dass ihre dort getroffenen Bestimmungen auch beachtet und befolgt werden. Sie wehren sich damit gegen die, wie sie es nennen, Apparatemedizin, gegen das Diktat des medizinisch Machbaren, gegen die Verlängerung eines Lebens, das für sie nicht mehr lebenswert ist.
Zwar ist der in der Patientenverfügung geäußerte Wille schon heute grundsätzlich verbindlich und Grundlage ärztlichen Handelns. Der Bundesgerichtshof hat dies trotz des Fehlens einer gesetzlichen Regelung wiederholt entschieden. Aber über genau die Frage, was im Einzelfall unter ?grundsätzlich verbindlich“ zu verstehen ist, wird ganz unterschiedlich diskutiert. Ich denke, die heutige Debatte wird das breite Spektrum der Meinungen, die in diesem Hohen Hause vertreten werden, sehr anschaulich zeigen.
Es kann einen Unterschied bedeuten, in welches Krankenhaus oder zu welchem Arzt ich nach einem Verkehrsunfall im Zustand der Bewusstlosigkeit gebracht werde, wenn ich mich nicht mehr selber äußern kann, aber eine Patientenverfügung bei mir trage, in der ich zum Beispiel für eine bestimmte Situation das Setzen einer Magensonde ausgeschlossen habe. Die einen erkennen dies als verbindlich an, die anderen nicht. Viele Anwälte, die tagtäglich im Medizinrecht tätig sind, können hierzu beredt Beispiele benennen; bei mir sowie bei vielen Kolleginnen und Kollegen stapeln sich dazu die Briefe.
Die Menschen wollen Rechtssicherheit. Ich meine, sie haben einen Anspruch darauf, dass der Staat ihnen hier Rechtssicherheit gibt.
Es handelt sich daher bei unserem Thema nicht, wie gestern zu lesen war, um ein von der Politik künstlich aufgebautes Thema, sondern, wie wir alle wissen, um ein Thema, das die Menschen in diesem Lande zunehmend brennend beschäftigt. Jeder Politiker, der dazu Veranstaltungen durchführt, weiß, dass bei einer solchen Veranstaltung der Saal voll ist.
Darum die Frage: Bringt denn eine gesetzliche Neuregelung für die Zukunft Rechtssicherheit? Ich sage: Ja, wenn es eine klar definierte materiellrechtliche Regelung zum zulässigen, verbindlichen Inhalt einer Patientenverfügung gibt. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entfaltet eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch Gültigkeit in allen Lebensbereichen. Die Frage der Rechtswidrigkeit eines medizinischen Eingriffs wird im Strafrecht dadurch entschieden.
Ich sage aber genauso deutlich Nein zu einer Regelung, die quasi nur einen Katalog der Voraussetzungen aufstellt, unter denen ein Mensch fordern kann, dass ein medizinischer Eingriff an ihm nicht vorgenommen wird. Das zum Beispiel wäre eine Regelung mit einer abgestuften Reichweitenbeschränkung. Dies würde nur neue Rechtsunsicherheit bedeuten und, wie ich meine, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Vormundschaftsgerichte sein. Ich betone daher: Gar keine Regelung ist besser als eine schlechte gesetzliche Neuregelung.
Wie müsste eine mich überzeugende Neuregelung aussehen? Im Mittelpunkt müsste das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Patienten stehen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 unseres Grundgesetzes bestimmen:
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Daraus folgt: Jeder Patient hat das Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden und gegebenenfalls deren Umfang zu bestimmen. Dieser Grundsatz gilt auch für den antizipierten Willen. Daraus folgt, dass der sicher festgestellte Wille des Patienten unabhängig von Art oder Stadium einer Erkrankung zu beachten ist. Eine Regelung, wonach eine Patientenverfügung nur in dem Fall verbindlich ist, wenn das Grundleiden des Betreuten nach ärztlicher Überzeugung bereits unumkehrbar einen tödlichen Verlauf angenommen hat, genügt dem Selbstbestimmungsrecht nicht und ist deshalb meiner Meinung nach mit Nachdruck abzulehnen.
Eine Patientenverfügung mit einer Reichweitenbeschränkung ist nach meiner Überzeugung mit unserer Rechtsordnung nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Unsere Rechtsordnung hat den philosophischen Meinungsstreit zwischen Determinismus und Indeterminismus eindeutig entschieden. Unsere Rechtsordnung beruht darauf, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden und sein Verhalten an den Normen des rechtlichen Sollens auszurichten. Daraus folgt zum Beispiel, dass der Staat bei Überschreitung dieser Normen das Recht zum Strafen hat. Das ist der tiefste Eingriff, den ich in die Freiheitsrechte vornehmen kann.
Der Umkehrschluss ist aber genauso zwingend: Der Staat hat es zu achten und darf sich nicht einmischen, wenn sich das Individuum in seinem Verhalten an diesen Normen des rechtlichen Sollens ausrichtet. Das Grundgesetz garantiert daher ein Recht auf Leben, es begründet aber keine Pflicht, zu leben.
Ansonsten müsste der Suizid strafbewehrt sein, was wir alle nicht wollen. Der Staat darf das Leben nie gegen den erklärten Patientenwillen schützen, wenn er denn frei und von einer geschäftsfähigen Person bestimmt worden ist.
Die Patientenverfügung findet nach dem Grundgesetz ihre Grenze allein in der Verletzung der Rechte anderer Menschen. Hierzu hat die höchstrichterliche Rechtsprechung, ebenfalls unter Berufung auf die Verfassung, festgestellt, dass ein Patient mit dem Verbot einer künstlichen Lebensverlängerung niemals die Rechte von Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen verletzen kann. Vielmehr verletzten diese sein Selbstbestimmungsrecht und seine körperliche Integrität, wenn sie eine solche Lebensverlängerung gegen den Patientenwillen aus Gewissensgründen durchführten.
Auch die Beurteilung der Pflicht des Staates zum Lebensschutz führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Pflicht bedeutet, dass eine Patientenverfügung so ausgestaltet sein muss, dass der Missbrauch dieser Patientenverfügung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Deshalb postuliert die heutige Rechtsprechung, auf die ich bereits Bezug genommen habe, entgegen anderslautender Interpretationen nach herrschender Meinung keine Reichweitenbeschränkung einer Patientenverfügung.
Rund um diesen Kernbereich, den ich zu skizzieren versucht habe, bedarf es deshalb klarer Regelungen zur Ermittlung des freien Willens des Patienten. Ich will die Eckpunkte dieser Regelung kurz skizzieren: Der Betroffene muss vor Unterzeichnung der Patientenverfügung ein breites Beratungs- und Informationsangebot zur Verfügung haben, er muss volljährig und geschäftsfähig sein, die Patientenverfügung muss immer den aktuellen oder aktuellsten Willen widerspiegeln, der Arzt und der Betreuer oder der Bevollmächtigte haben in der konkreten Krankheitssituation des Patienten festzustellen, ob die in der Patientenverfügung niedergelegten Voraussetzungen für die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff oder eine ärztliche Heilbehandlung bzw. für deren Untersagung vorliegen, und nur bei Nichtverständigung, beim Dissens zwischen Arzt und Betreuer ist das Vormundschaftsgericht einzuschalten.
Die Patientenverfügung muss zu ihrer Verbindlichkeit schriftlich abgefasst sein. Anderenfalls ist von Arzt und Betreuer der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln. Bei dieser Ermittlung sind insbesondere frühere mündliche und schriftliche Äußerungen, seine ethischen und religiösen Überzeugungen sowie persönliche Wertvorstellungen, die verbleibende Lebenserwartung und das Maß der zu erleidenden Schmerzen zu berücksichtigen.
Die Patientenverfügung ist jederzeit formlos widerrufbar. Hierzu genügt die natürliche Willensbekundung - ich betone: natürliche -, nicht die rechtsfähige Willensbekundung. Das heißt, auch ein Dementer kann natürlichen Lebenswillen äußern.
Wir müssen klar zum Ausdruck bringen, dass die Fürsorgepflicht der Ärzte für ihre Patienten die Achtung des Selbstbestimmungsrechts einschließt. Eine so skizzierte und normierte Patientenverfügung entspricht im Übrigen der Position der Bundesärztekammer; so habe jedenfalls ich deren Papier verstanden, das uns allen in diesen Tagen zugegangen ist.
Die Rechtspolitiker der SPD-Fraktion haben zusammen mit dem Bundesministerium der Justiz und Frau Ministerin Zypries eine so skizzierte Patientenverfügung in einem Gesetzentwurf vorgelegt. Wir werben für diesen Entwurf. Mit Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen sind wir im Gespräch. Ich bin sicher, dass wir Ihnen nach den Gesprächen, nach der Osterpause hierzu einen gemeinsamen Gruppenantrag vorlegen werden. Wir werden dann gemeinsam darüber diskutieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Anmerkung machen: In der öffentlichen Diskussion, aber auch in der Diskussion in diesem Hohen Hause sollten wir eine Verwechslung nicht vornehmen: Wenn wir über die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung diskutieren, reden wir nicht über aktive Sterbehilfe.
Die Tötung auf Verlangen nach § 216 des Strafgesetzbuches bleibt ausdrücklich strafbewehrt. Wir reden auch nicht darüber, dass der Gesetzgeber, dass wir und damit der Staat letzten Endes die Menschen massenhaft dazu bringen wollen, Patientenverfügungen zu machen. Das muss jeder Einzelne für sich entscheiden. All jenen Menschen, die keine Patientenverfügung machen, haben wir nicht hineinzureden. Aber die, die für sich entscheiden, eine zu machen, haben einen Anspruch darauf, dass ihr verfassungsrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht von uns und damit vom Staat beachtet wird.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Stünker, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag, verbunden mit allen guten Wünschen, nicht nur für das neue Lebensjahr.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Bosbach für die CDU/CSU-Fraktion.
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fasziniert bewundern wir alle die beeindruckenden Fortschritte der modernen Medizin, den rasanten medizinisch-technischen Fortschritt, aber auch die großartige Heilkunst der Ärztinnen und Ärzte. Die neuen, scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der modernen Medizin können aber nicht nur das Leben verlängern, sondern auch das Leiden und Sterben. Die Hoffnungen und Befürchtungen der Menschen liegen hier nahe beieinander. Je beeindruckender die medizinischen Möglichkeiten sind, desto eher erfahren wir den Tod nicht mehr als schicksalhaft, sondern als das Ergebnis menschlicher Entscheidung.
Beim Thema Lebensende gab es immer Fragen, die uns Menschen zu allen Zeiten begleitet haben. Werden wir friedlich einschlafen? Werden wir lange leiden? Werde ich den Tod annehmen können, oder versuche ich, gegen ihn anzukämpfen? Mit neuen Behandlungsmöglichkeiten stellen sich auch immer neue Fragen. Werde ich vielleicht selbst dann noch behandelt, wenn jede Hoffnung auf ein bewusstes Leben vergeblich ist? Wird mein Wille respektiert und können die Ärzte und alle, die mir nahestehen, mir dabei helfen, in Würde zu sterben? Der Staat kann keine Antworten auf alle Fragen geben. Aber er hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Menschenwürdegarantie unserer Verfassung im Leben wie auch im Sterben beachtet wird.
Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch dann zur Geltung kommt, wenn er zu einer bewussten Entscheidung nicht mehr in der Lage ist.
Der Gesetzgeber schuldet den Angehörigen, den Ärzten, den Pflegekräften und den rechtlichen Vertretern des Patienten die Gewissheit, dass alle unter sicheren rechtlichen Rahmenbedingungen handeln und auf sicherer Rechtsgrundlage Entscheidungen treffen. Bei Fragen von Leben und Tod, um die es heute geht, darf es keine rechtlichen Grauzonen geben.
Damit der Wille des Patienten auch dann noch beachtet wird, wenn er diesen krankheitsbedingt nicht mehr äußern kann, haben viele Menschen in den letzten Jahren Patientenverfügungen verfasst; die diesbezüglichen Schätzungen schwanken zwischen mindestens 2 und circa 8 Millionen. Parallel dazu gibt es eine Rechtsprechung, und zwar sowohl der Zivil- als auch der Strafgerichte, die sich intensiv mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Lebensschutzpflicht des Staates beschäftigt, die aber ganz unterschiedlich interpretiert wird.
Vor diesem Hintergrund diskutieren wir in Staat und Gesellschaft seit vielen Jahren über die Notwendigkeit der Schaffung einer klaren rechtlichen Regelung. Die heutige Debatte soll das in Kürze beginnende Gesetzgebungsverfahren vorbereiten. Gemeinsam mit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen haben René Röspel, Josef Winkler, Otto Fricke und ich vor wenigen Tagen einen eigenen Gruppenantrag vorgestellt. Es kann nicht Aufgabe dieser Debatte sein, jede einzelne darin getroffene Regelung näher zu erläutern. Deshalb möchte ich mich auf die Grundzüge konzentrieren.
In fast allen Gesprächen, die man mit Bürgern oder Journalisten über dieses Thema führt, wird nach wenigen Sekunden die Frage gestellt: Sind Sie für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oder für den Schutz des Lebens auch gegen dessen Willen? Das hört sich an, als seien Selbstbestimmung und Lebensschutz Gegensätze. Das sind aber keine Gegensätze. Unser Gruppenantrag will beiden Prinzipien Geltung verschaffen: das Selbstbestimmungsrecht des Patienten stärken und sein Wohl schützen. Das sollte übrigens die Aufgabe von Staat und Gesellschaft sein.
Wir schlagen im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Patientenverfügung zwar die Schriftform vor, verzichten aber auf weitere formelle Voraussetzungen. Natürlich wären eine vorherige ärztliche Aufklärung und eine regelmäßige Aktualisierung sinnvoll - dafür sollten wir auch im Parlament werben -, aber wir sollten beides nicht zur rechtlichen Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung machen. Jede weitere Hürde oberhalb der Schriftform würde die Zahl der gewollten, aber rechtlich nicht verbindlichen Patientenverfügungen erhöhen. Der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gebietet es, die Abfassung wirksamer Patientenverfügungen für jedermann so leicht wie möglich zu machen.
Dass wir die Schriftform vorschlagen, bedeutet aber nicht, dass man den einmal verfügten Willen nur schriftlich widerrufen kann. Wenn der Patient, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr an seiner Verfügung festhalten will, dann müssen auch eine mündliche Äußerung oder der durch Zeichen oder Gesten erkennbare Lebenswille ausreichend sein, um die vorherige schriftliche Verfügung außer Kraft zu setzen. In einem solchen Fall verdrängt der aktuelle Patientenwille, der immer Vorrang vor vorherigen Festlegungen haben muss, jede frühere Verfügung.
Darüber hinaus wollen wir sicherstellen, dass der nicht mehr äußerungsfähige Patient bei einem erkennbaren Irrtum bei der Abfassung seiner Verfügung nicht an ihrem Inhalt festgehalten wird. Wenn Grund zur Annahme besteht, dass sich der Patient in der Situation, in der er sich im Moment befindet, anders entschieden hätte, dann darf man ihn nicht an seine frühere Erklärung binden. Die Beendigung eines Lebens darf man nie auf Irrtum stützen.
In unserem Antrag wird deutlich gemacht, dass Inhalte einer Patientenverfügung, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, zum Beispiel gegen das Verbot der Tötung auf Verlangen, nicht wirksam sind. Das ist keine unzulässige Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts.
Die Zivilrechtsordnung darf nicht das erlauben, was das Strafrecht ausdrücklich verbietet.
Obwohl die Einzelfragen von großer Bedeutung sind, dreht sich die öffentliche Debatte fast ausschließlich um die Reichweitenbegrenzung. Man hat den Eindruck, als seien wir aufgerufen, nur über diese eine Frage zu entscheiden. Eine Begrenzung der Reichweite einer Patientenverfügung ist nach unserer Überzeugung nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch zum Wohle des Patienten erforderlich. Natürlich wissen wir, dass es leicht ist, daran Kritik zu üben - das liegt schon in der Natur der Sache -: Wer für Schrankenlosigkeit plädiert, der muss nur, ohne dies begründen zu müssen, darauf hinweisen, dass der Inhalt einer Patientenverfügung Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Menschen ist. Welcher Bürger würde nicht gerne seine eigenen Angelegenheiten selber regeln, ohne staatliche Bevormundung? Das klingt auf den ersten Blick ganz plausibel. Aber nur auf den ersten Blick. Denn das ändert sich schlagartig, wenn man die sich aus dieser Haltung zwangsläufig ergebenden Risiken für die betroffenen Patienten genauer ansieht. Diese Risiken sind nämlich erheblich.
Bei der Patientenverfügung geht es nicht um den aktuellen Willen des Patienten in einer Krankheitssituation, die er just in diesem Moment erfährt, erduldet, erleidet. Der aktuelle - wohlgemerkt: der aktuelle - Wille des Patienten ist immer und unter allen Umständen zu beachten. Selbst wenn die Ärzte oder die Angehörigen der Auffassung sind, dass der Patient sich objektiv unvernünftig, gegen sein Wohl entscheidet, ist die Entscheidung des Patienten verbindlich und muss von allen respektiert werden, selbst dann hat das Selbstbestimmungsrecht des Patienten Vorrang vor dem Willen anderer. Das war immer so, und das wird sich auch durch unseren Entwurf nicht ändern.
Im vorliegenden Fall geht es aber um eine antizipierte, um eine vorweggenommene Entscheidung für eine später vielleicht eintretende Erkrankung, mit der die Betroffenen, jedenfalls in den meisten Fällen, noch keine eigene, persönliche Erfahrung als Patienten gemacht haben. Dann beruhen die Erklärungen auf Erwartungen oder Befürchtungen, nicht auf persönlichen Erfahrungen. Misstrauen wir Erklärungen, hinter denen keine eigene, persönliche Erfahrung steht! Das ist bei den aktuellen Äußerungen eines Patienten anders: Er kann aufgeklärt werden, der Arzt kann ihm sagen, welche Risiken sich bei einer Behandlung ergeben können, aber auch, welche Heilungschancen er hat. Das alles ist bei einer vorweggenommenen Erklärung nicht möglich: Er kann nichts erfragen, er kann nichts erfahren, man würde ihn an seiner vorherigen, schriftlichen Festlegung festbinden.
Deshalb darf auch die Rechtsordnung den aktuellen Willen eines Patienten nicht gleichsetzen mit einer Verfügung, die er 15 Jahre zuvor einmal verfasst hat. Ich verkenne nicht, dass der damalige Wille der aktuelle Wille sein kann; das ist möglich. Aber es ist genauso gut möglich, dass er nicht mehr der aktuelle Wille ist. Wir wissen es nicht. Bei einem im Voraus erklärten Willen weiß man nie mit letzter Sicherheit, ob er dem aktuellen Willen des Betroffenen entspricht. Darum kann der antizipierte, der in einer Patientenverfügung vorweggenommene Wille nicht so behandelt werden wie der aktuelle Wille eines Patienten, der ganz konkret eine Krankheit hat und sich in Kenntnis aller Umstände für oder gegen eine Behandlung entscheiden kann.
Es ist keine kühne Behauptung, es ist alltägliche Erfahrung, dass die aktuellen Wünsche eines Patienten vom früher Geäußerten abweichen können. Menschen, deren Leben entgegen einem früheren Entschluss gerettet wurde, sind mit ihrer Rettung im Nachhinein sehr oft einverstanden. Jetzt bitte nicht sagen: ?Dem Patienten geschieht doch kein Leid; denn die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen beruht doch nur auf dem, was er selber einmal vorher geschrieben hat“; denn dahinter steht, zumindest unausgesprochen, der Gedanke: selber schuld - es muss ja niemand eine Patientenverfügung verfassen.
Wir hatten gestern Nachmittag ein Symposium bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Da hat ein bekannter Palliativmediziner uns gesagt: Ihr unterstellt immer, es gibt den bewusstlosen Patienten und es gibt den Patienten, der äußerungsfähig ist. Es gibt aber auch den Patienten, der äußerungsfähig ist und eine Patientenverfügung hat. Die Fälle, in denen ein äußerungsfähiger Patient so behandelt werden wollte, wie er zuvor schriftlich festgelegt hatte, kann ich am Daumen einer einzigen Hand abzählen. - Er selber habe in seiner ärztlichen Praxis also erst einen einzigen Fall gehabt, wo der Patient nach ärztlicher Beratung gesagt habe: Nein, es soll so bleiben, wie ich zuvor schriftlich festgelegt habe. - Ein Kollege, der neben ihm saß, hat sogar gesagt, er könne sich an keinen einzigen solchen Fall erinnern. In den allermeisten Fällen hätten die Betroffenen von ihrer vorherigen Verfügung Abstand genommen und sich nach ärztlicher Beratung anders entschieden. Ebenso wenig, wie wir den aktuellen und den vorweggenommenen Willen eines Patienten in Voraussetzung und Rechtsfolgen gleichsetzen können, können wir irreversible Krankheiten mit tödlichem Verlauf bei infausten Prognosen gleichsetzen mit heilbaren Erkrankungen. Im ersten Fall geht es um Hilfe zum Sterben, um Verkürzung von Leiden. Im zweiten Fall geht es streng genommen nicht um Sterbehilfe, sondern um die Lebensbeendigung von Erkrankten, die an ihrer Erkrankung nicht sterben müssten.
Wenn Verfassungsgüter miteinander in Konkurrenz treten, dann wird durch die Rechtsordnung nicht verlangt, dass das eine Verfassungsgut das andere verdrängt, sich also durchsetzt, sondern der Gesetzgeber ist verpflichtet, nach einem schonenden Ausgleich zu suchen: hier zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Lebensschutzpflicht des Staates.
Der Gesetzgeber kann nicht alles im Leben regeln, und niemand hat die Absicht, das Sterben zu normieren oder gar den Ärzten ihre Verantwortung oder den Patienten ihre Selbstbestimmung zu nehmen. Das wollen auch die Kolleginnen und Kollegen nicht, die diesen Gruppenentwurf gemeinsam vorstellen. Das Mögliche müssen wir aber schon regeln. Das schulden wir insbesondere den Schwachen und Hilflosen, die sich nicht selber helfen können. Ihnen gebührt in erster Linie der Schutz durch Staat und Gesellschaft.
Danke fürs Zuhören.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile dem Kollegen Michael Kauch für die FDP-Fraktion das Wort.
Michael Kauch (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschenwürdig leben bis zuletzt - das war das Leitmotiv der Enquete-Kommission ?Ethik und Recht der modernen Medizin“ in der letzten Wahlperiode, der ich angehören durfte.
Dieses Leitmotiv - Menschwürdig leben bis zuletzt - muss auch Leitmotiv dieser Debatte sein; denn der Sterbeprozess ist Teil des Lebens. Es ist unser aller Aufgabe, mit sterbenden Menschen Solidarität zu üben und sie nicht alleinzulassen. Das gilt persönlich genauso wie politisch; denn sie gehören zu den Schwächsten in unserer Gesellschaft.
Wir sprechen heute über mehr Selbstbestimmung durch Patientenverfügungen. Dabei müssen wir erkennen, dass das ein Baustein einer Politik für ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt ist, aber eben nur ein Baustein. Wir brauchen mehr Qualität in der Pflege, wir brauchen ein Gesundheitssystem, mit dem wir nicht sehenden Auges in die Rationierung laufen, wir brauchen mehr menschliche Zuwendung für Sterbende, und wir brauchen gerade auch für die Menschen, die zu Hause sterben wollen, eine professionelle, leidmindernde Palliativmedizin nicht nur in wenigen Zentren, sondern in der Fläche.
Mit der Finanzierung der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung ist ein Anfang gemacht. Jetzt kommt es darauf an, dass wir auch in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegekräften hier Akzente setzen. All diese Maßnahmen sind aber kein Gegensatz zu einer Politik für mehr Patientenautonomie. Beides gehört zusammen: das Angebot einer optimalen Versorgung an die Gesellschaft, aber eben auch die Freiheit des Einzelnen, bestimmte Behandlungen, die er nicht wünscht, auch ablehnen zu dürfen. Selbstbestimmung ist nämlich untrennbarer Teil der Menschenwürde.
Eines möchte ich klarstellen - auch der Kollege Stünker hat das bereits getan -: Wir reden hier nicht über aktive Sterbehilfe.
Wir reden nicht über das gezielte Töten eines Menschen. Es geht auch nicht um die Verweigerung indizierter medizinischer Maßnahmen. Es geht nicht um Töten, es geht um Sterbenlassen.
Es geht darum, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn der Patient das wünscht.
Bereits 2004 und 2006 haben die Liberalen als bisher einzige Fraktion einen Antrag zur Stärkung der Patientenautonomie und Patientenverfügungen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Leitbild unseres Antrages ist dabei das Bild eines Menschen, der über sein Leben auch in existenziellen Fragen so weit wie möglich selbst entscheiden kann. Mit diesem Menschenbild geben wir der Selbstbestimmung Vorrang vor anderen Überlegungen, seien sie auch noch so fürsorglich motiviert. Das ist die eigentliche Trennlinie zwischen den Lagern, die sich hier in dieser Debatte abzeichnen. Die eine Seite nimmt fürsorglichen Paternalismus mit Zwangsbehandlung in Kauf, die andere Seite vertraut auf die Kraft und die Urteilsfähigkeit des einzelnen Menschen.
Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstellung von der Selbstbestimmung eines autonom handelnden Individuums. Natürlich ist der Mensch eingebunden in Beziehungen und auch in innere Zwänge. Gerade bei Patientenverfügungen kommt ein anderer Aspekt hinzu: Man verfügt etwas für die Zukunft, was man nicht genau abschätzen kann. Der vorausverfügte Wille ist immer schwächer als der aktuell verfügte.
Aber was ist die Alternative? Die Alternative zum vorausverfügten Willen unter Unsicherheit ist, dass ein Dritter für einen selbst entscheidet. Die Alternative ist die Fremdbestimmung des Menschen.
Bei aller Relativierung des autonom handelnden Menschen: Wir entscheiden uns deshalb für die Selbstbestimmung.
Die moderne Medizin hat viele Möglichkeiten geschaffen, die man sich vor 50 Jahren noch nicht vorstellen konnte. Für viele Menschen ist das ein Geschenk, für viele ist es aber auch eine Qual. Ob es als Geschenk oder Qual empfunden wird, kann nur jeder Einzelne für sich selbst entscheiden und nicht der Deutsche Bundestag.
Jede medizinische Maßnahme, nicht aber der Verzicht darauf, ist durch die Einwilligung des Patienten zu rechtfertigen. Eine Zwangsbehandlung ist Körperverletzung, die strafrechtlich bewehrt ist. Dies gilt im Grundsatz für den nichteinwilligungsfähigen Menschen.
Niemand muss eine Patientenverfügung abfassen. Jeder hat das Recht, auch existenzielle Entscheidungen seinem gesetzlichen Vertreter zu überlassen. Doch wer klar weiß, was er will und was er nicht will, dessen Verfügung muss geachtet werden.
Für die große Mehrheit der FDP-Abgeordneten kommt deshalb eine Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen nicht infrage. Eine Begrenzung der Reichweite auf irreversibel zum Tode führende Erkrankungen liefert Patientinnen und Patienten in bestimmten Fällen Zwangsbehandlungen gegen ihren erklärten Willen aus. Denn diese Rechtsfigur macht Patientenrechte von einer ärztlichen Prognose abhängig, deren Verlässlichkeit nicht in allen Fällen garantiert werden kann. Das gilt analog auch für die Erweiterung im Entwurf von Herrn Bosbach auf Zustände der Bewusstlosigkeit, bei denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein nicht wiedererlangt werden kann. Wie machen Sie denn diese Sicherheit fest? Der eine Arzt sagt 99 Prozent, der nächste 95 Prozent und der dritte 90 Prozent.
Wann ist die Wahrscheinlichkeit groß genug, und wann zwingen sie den Patienten trotz gegenteiliger Verfügung, weiter künstlich am Leben gehalten zu werden?
Eine Reichweitenbegrenzung bedeutet auch, dass gegen den Willen der Patienten Magensonden gelegt, Sehnen zerschnitten und Antibiotika verabreicht werden. Das hat mit Selbstbestimmung nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Auch über religiös motivierte Behandlungsbeschränkungen setzen Sie sich hinweg. Wenn ein Zeuge Jehovas verfügt, keine Bluttransfusionen zu wollen, weil das gegen seine religiöse Überzeugung verstößt, dann ist das aktuell wirksam. Warum endet die Religionsfreiheit in Ihrem Entwurf dann, wenn die Bewusstlosigkeit eintritt? Das ist - auch bei einer christlichen Partei - nicht hinnehmbar.
Nehmen Sie als weiteres Beispiel einen 85-jährigen Patienten, der nach einem Herzinfarkt schon einmal wiederbelebt wurde. Er weiß genau, dass bei einer weiteren Wiederbelebung nach einem Herzinfarkt die Wahrscheinlichkeit hoch ist, einen Gehirnschaden zu erleiden. Wollen Sie diesem Patienten, wenn er verfügt, keine Wiederbelebung zu versuchen, weil er in seinen letzten Jahren nicht dahinvegetieren will, wirklich sagen: ?Das darfst du nicht, weil wir das für falsch halten“? Das kann nicht Inhalt eines Gesetzes sein, das wir zugunsten von Patientenrechten verabschieden wollen.
Kernforderung unseres Antrags und zahlreicher Kollegen anderer Fraktionen ist es deshalb, Therapiewünsche, Therapiebegrenzungen und Therapieverbote durch eine Patientenverfügung für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes zuzulassen. Voraussetzung ist, dass die Patientenverfügung hinreichend klar formuliert ist und es keine offenkundigen - auch nonverbalen - Äußerungen des Patienten gibt, die dagegensprechen. Bei manchen Formen der Demenz wird man daran Zweifel haben müssen. Insofern ist es unser Anliegen, dass ein Gesetzentwurf dies berücksichtigt. In Zweifelsfällen muss dann pro vita entschieden werden.
Wir möchten, dass die Patientenverfügung schriftlich verfasst wird, aber wir lehnen eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung nach dem Motto ?Wenn seit der Unterschrift zwei Jahre vergangen sind, dann ist sie ungültig“ ab. Das entspricht nicht der Lebensrealität gerade älterer Menschen. Wir können nicht sagen: Wenn du vergessen hast, die Patientenverfügung wieder zu unterschreiben, dann legen wir sie beiseite und beachten sie nicht.
Auch eine generelle Beratungspflicht ist nicht praktikabel. Ich selbst habe diese einmal befürwortet, aber alle Experten - von den Kirchen bis zu den sonstigen Beratungsstellen - sagen, dass man eine solche Pflicht nicht ins Gesetz schreiben kann.
Wir müssen aber dafür werben, dass es in dieser Gesellschaft mehr Aufklärung gibt über die Möglichkeiten, die die moderne Palliativmedizin und neue Behandlungsmethoden bieten. Denn je aufgeklärter ein Mensch ist, desto selbstbestimmter kann er Entscheidungen treffen.
Darüber hinaus sprechen wir uns dafür aus, bei einer schriftlichen Patientenverfügung die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichtes einzuschränken. Nur im Konfliktfall zwischen dem behandelnden Arzt und dem gesetzlichen Vertreter soll das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden. Dabei ist für uns in unserem Antrag wichtig, dass zuvor die Pflegekräfte und die nächsten Angehörigen zumindest angehört wurden. Wenn sie dann mit einer Betreuerentscheidung nicht einverstanden sind, können sie das Vormundschaftsgericht anrufen. Damit gibt es eine zusätzliche Missbrauchskontrolle in dem Verfahren.
Meine Damen und Herren, die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen müssen endlich neu geregelt werden. Es herrscht verbreitete Rechtsunsicherheit über die Auslegung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Erst gestern habe ich es erlebt, dass eine Ärztin in einer Radiosendung angerufen hat, die gerade von einer Fortbildung über die rechtlichen Fragen in diesem Bereich kam. Mir standen die wenigen Haare, die mir verblieben sind, wirklich zu Berge. Was dort gesagt wurde, entsprach absolut nicht dem, was der Bundesgerichtshof entschieden hat. Die Rechtsunsicherheit, gerade unter den Ärzten, ist groß. Umso mehr ist eine gesetzliche Regelung erforderlich, um Klarheit in diesem Bereich zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wir werden jetzt versuchen, die Anliegen, die wir in unserem Antrag formuliert haben, mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen in einen Gesetzentwurf zu gießen. Unsere Leitlinie ist dabei die Selbstbestimmung des Patienten. Ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam diesen Gesetzentwurf zu formulieren.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Monika Knoche ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir brauchen diese Debatte, aber brauchen wir auch ein Gesetz?
Es geht um das gute Sterben. Ist das Vertrauen in die Medizin erschüttert? Ist die Gewissheit verloren gegangen, in schwersten Krankheitszuständen und in der Nähe des Todes eine fürsorgende, angepasste medizinische Behandlung zu bekommen? Oder ist gar das Gegenteil der Fall? Treibt die Menschen die Angst um, übertherapiert nicht sterben zu dürfen? Wenn das der Fall wäre, hätten wir in Deutschland einen schwerwiegenden Verlust des Humanen und eine Kulturlosigkeit des Sterbens zu beklagen.
Das allerdings wäre mit keiner Form der Verrechtlichung der Selbstbestimmung zu beheben. Gäbe es einen solchen Werteverfall, wäre die Propagierung von Patientenverfügungen für Behandlungsunterlassung unmoralisch. Darum kann es nicht gehen.
Es gibt die Angst, bei einem Leben im Wachkoma, bei fortgeschrittener Demenz die Würde, die Selbstachtung und den Respekt anderer zu verlieren, und deshalb den Wunsch, lieber sterben zu wollen. Trifft das alles zu? Dann ist es die vordringlichste Aufgabe, über die Palliativmedizin, die medizinischen Behandlungsrichtlinien und die großen Möglichkeiten der Gerontopsychiatrie umfassend aufzuklären, um unbegründete Ängste zu nehmen.
Auch muss das Thema Pflege und Hospizarbeit zentralen Stellenwert in der Gesellschaftspolitik bekommen. Ich weiß, Familien brauchen Hilfe und Zeit, wenn sie mit schwerstkranken Angehörigen zusammenleben. Die Debatte darüber steht noch aus.
Der Wunsch nach einem würdigen Leben bis zuletzt ist mit einem abstrakten rechtsphilosophischen Diskurs - wie weit reicht die Autonomie? - und mit einem Formular nicht zu beantworten.
Dennoch, wir sprechen über das Selbstbestimmungsrecht als den Kern des Menschenrechts - ein Grundrecht, das sich im Zustand der Hilfebedürftigkeit und Abhängigkeit durch Krankheit bewähren muss. Daneben geht es aber auch um die Schutzpflicht des Staates für das Leben eines jeden und einer jeden - unabhängig davon, wie sich dieses Leben zeigt. Schon heute ist die Einwilligung in eine medizinische Behandlung oder die Ablehnung einer solchen auch und gerade dann, wenn Patienten in das Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit eingetreten sind, möglich. Der Informed Consent, die informierte Zustimmung, ist Voraussetzung für das ärztliche Tun. Deshalb ist die Angst, an Schläuchen zu hängen oder nicht sterben zu dürfen, eigentlich nicht begründet; denn es gibt ärztliche Richtlinien zur Sterbebegleitung, die einzuhalten sind. Auch die Angst, in Angst und Schmerz aus dem Leben zu scheiden, sollte durch die Palliativmedizin gemindert werden. Wir müssen also Sorge dafür tragen, dass diese existenziellen Regeln in jedem Krankenhaus Anwendung finden und dass die Palliativmedizin stationär wie ambulant zum Standard in Deutschland wird.
Ärzte helfen im Sterben, aber Ärzte töten nicht. Sie töten nicht auf Verlangen, und sie assistieren nicht bei einem Suizid. Von diesem Einvernehmen gehe ich aus. Die Bundesärztekammer hat in diesen Tagen Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügungen herausgegeben. Sie sagt: Jede Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde, der Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patienten zu erfolgen. Sie verweist darauf, wie vielfältig die Fragen am Ende des Lebens sind und dass hochkomplexe und sehr individuelle Situationen das Lebensende charakterisieren können und somit das Nichtwissen über das Kommende nicht die Grundlage für eine rechtsverbindliche Verfügung sein kann.
Wenn aber ein schwerkranker Mensch über den absehbaren Verlauf seiner Krankheit weiß, muss er vorab verfügen können: Sollte meine Krankheit in einen Zustand der Nichteinwilligungsfähigkeit münden, soll meine Behandlung so oder so verlaufen. - Das ist eine Garantie, die wir den Menschen geben müssen. Schon heute ist das durch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht möglich. Ich spreche also gegen eine Reichweitenbegrenzung in diesem Fall.
Ganz anders denke ich über schwere Demenz, tiefe Depression, schizophrene oder manische Schübe und über Wachkoma. Allesamt sind das schwere Krankheitsbilder, die oft zwingend einer Behandlung in dieser existenziellen Notlage bedürfen. Hier kann das Freiheitssubjekt nicht als Begründung für Behandlungsverzicht greifen. Das möchte ich all den Damen und Herren des Deutschen Juristentages sagen. Die Entscheidung zum Suizid kann nicht als Form von Freiheit und Autonomie qualifiziert werden. Das halte ich nachgerade für unverantwortlich.
Ohne Selbstbestimmung können wir uns als Individuen aber gar nicht denken. Die Selbstbestimmung braucht gewissermaßen auch die Idee vom Ich. Dass Krankheit die Identität und die Persönlichkeit ganz verändern kann oder dass man unter Umständen nie mehr diejenige oder derjenige sein kann, als die oder der man sich in gesunden Tagen denkt, löst tiefe Ängste aus. Gerade Menschen in unserer Kultur fürchten den Verlust der kognitiven Fähigkeiten am meisten. Gerade deshalb habe ich große Probleme, bei irreversiblem Bewusstseinsverlust den vorab geäußerten Willen mit Absolutheit durchzusetzen. Wenn der betreffende Mensch im Moment der Anwendung seiner Verfügung nicht mehr derselbe ist, dann glaube ich nicht, dass verfassungsrechtlich gesehen nichts anderes in Betracht kommt als die Durchsetzung des vorab erklärten Willens.
Auch die Ermittlung des mutmaßlichen Willens durch Dritte passt nicht zu meinem Verständnis von voller Selbstbestimmung; denn es ist unerlässlicher Bestandteil der Autonomie, sich in diesen letzten Dingen ganz zu verschweigen. Was können Angehörige wirklich voneinander wissen? Letztlich müssen und sollen Ärzte die Möglichkeit haben, nach Maßgabe ihrer Kunst und in hoher ethischer Verantwortung das Richtige zu tun.
Meine Erwägungen münden bis jetzt in folgenden Feststellungen: Wir brauchen keine bürokratische und weitere Verrechtlichung der Situation. Wir brauchen keine Reichweitenbegrenzung für Patientinnen und Patienten, die auf Grundlage eines Informed Consent Festlegungen treffen, wann und wie sie bei einer tödlich verlaufenden Krankheit einen Behandlungsabbruch oder eine Änderung des Behandlungsziels wollen. Auszuschließen davon sind Patienten mit Wachkoma, Demenz und psychischen Erkrankungen.
Diese Überlegungen finden sich derzeit in keinem der bekannten Gesetzentwürfe wieder. Ich werbe also für einen weiteren Antrag, halte es aber für durchaus denkbar, dass das Parlament nach ausgiebiger Beratung zu dem Ergebnis kommt, dass es keines Gesetzentwurfes bedarf, um die Selbstbestimmung des Menschen zu sichern.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Würde des Menschen ist unantastbar - so der Art. 1 unseres Grundgesetzes. Aber wie steht es um die Würde alter und kranker Menschen in unserem Lande? Viele können in Pflegeheimen nicht in Würde leben, andere in Krankenhäusern nicht in Würde sterben. Eine halbe Million Menschen werden in Heimen dauerhaft künstlich ernährt, oft ohne medizinische Indikation oder gegen ihren Willen.
In Krankenhäusern werden häufig Menschen durch die Intensivmedizin am Sterben gehindert.
?Es hängt immer weniger von den Krankheiten selbst ab, wann der Tod eintritt, sondern von medizinisch-ärztlichen Maßnahmen“, sagt der Berliner Palliativmediziner Professor Christof Müller-Busch. So seien Sterben und Tod zu einer medizinischen Aufgabe geworden, und das Sterben in medizinischen Institutionen sei letztendlich immer nur dann möglich, wenn auf Maßnahmen verzichtet werde, die zu einer - wenn auch begrenzten - Lebensverlängerung beitragen könnten.
Aber gerade diese Verzichtentscheidung stellt an alle hohe ethische Anforderungen. Solange ein einwilligungsfähiger Mensch sich äußern kann, kann er oder sie jederzeit einen ärztlichen Eingriff ablehnen, selbst dann, wenn als Folge der Ablehnung der Tod eintritt. Das deutsche Recht stellt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper höher als die Schutzpflicht anderer über sein Leben. Das heißt, niemand hat das Recht, gegen den Willen eines Patienten oder einer Patientin eine Behandlung durchzusetzen; ansonsten macht er sich strafbar.
Das Selbstbestimmungsrecht bildet auch die Grundlage dafür, im Voraus Verfügungen über gewünschte oder unerwünschte Behandlungen für den Fall einer Einwilligungsunfähigkeit festzulegen. Die Verbindlichkeit solcher Verfügungen wurde vom Bundesgerichtshof im Jahre 2003 ausdrücklich bestätigt. Ungefähr 8 Millionen Menschen haben davon Gebrauch gemacht.
Trotzdem herrscht nicht nur in der Bevölkerung große Unsicherheit. Es existiert auch viel Unkenntnis in der Medizin und bei den Gerichten. Bei einer Umfrage hielten die Hälfte der Ärzte, aber auch ein Drittel der Vormundschaftsrichter die von einer Patientin gewollte Beendigung der künstlichen Beatmung für strafbare aktive Sterbehilfe. Auch darum sind wir im Bundestag aufgefordert, die Patientenautonomie am Lebensende durch gesetzliche Regelungen zu stärken und Rechtssicherheit zu schaffen.
Meine Vorredner haben es gesagt: Das bedeutet nicht den Einstieg in die aktive Sterbehilfe, wie das in der Vergangenheit vielfach behauptet wurde. Es stimmt auch nicht, dass jede Verfügung eins zu eins umgesetzt wird; denn nur unter vier Voraussetzungen ist eine Patientenverfügung überhaupt wirksam. Erstens. Die in der Verfügung beschriebene Situation stimmt mit der konkreten Situation überein. Zweitens. Der Wille ist aktuell, und es gibt keine Anzeichen einer Willensänderung. Drittens. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Verfügung unter Druck entstanden ist. Viertens. Es wird keine aktive Sterbehilfe verlangt.
Anstelle einer lebensverlängernden Therapie muss dann eine gute palliativmedizinische und pflegerische Versorgung in den Vordergrund treten, wie sie auch in vielen Hospizen geleistet wird. Ich habe den Eindruck, bis dahin sind wir uns in diesem Hause einig.
Aber die in den letzten Monaten mit großer Heftigkeit geführte Auseinandersetzung drehte sich doch darum, ob eine solche Patientenverfügung nur für den Fall Gültigkeit haben darf, dass das Leiden einen irreversibel tödlichen Verlauf haben wird, wie es auch der Vorschlag des Kollegen Bosbach vorsieht. Genau wie vor kurzem drei Viertel der Befragten in einer FORSA-Umfrage sage ich dazu: Nein. Wenn ein einwilligungsfähiger Mensch lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn die gleiche Person ihn im Voraus für eine bestimmte Situation festgelegt hat, in der sie keine Einwilligung mehr geben kann.
Achtet man den Willen, der aus einer Patientenverfügung hervorgeht, nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens, dann bedeutet das für alle anderen eine unerlaubte Zwangsbehandlung. Eine Begrenzung der Reichweite auf Personen mit einer irreversibel tödlichen Krankheit lässt sich meines Erachtens nicht rechtfertigen. Sie wirft nicht nur große medizinische Probleme auf, wie uns in den letzten Tagen die Bundesärztekammer deutlich gemacht hat; sie wäre meines Erachtens auch ethisch ohne Begründung und verfassungsrechtlich unhaltbar. Bevor wir ein solches Gesetz beschließen, sollten wir wirklich ganz darauf verzichten;
denn unser Grundgesetz verbietet jede Beschränkung der Selbstbestimmung, die nicht in der Verletzung anderer begründet ist. Darum darf es keine Reichweitenbeschränkung geben. Ich erinnere, wie vorhin der Kollege Kauch, an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2002 zu einem Angehörigen der Zeugen Jehovas, der eine lebensrettende Bluttransfusion ablehnte. Das gilt nicht nur in der aktuellen Situation, sondern das gilt auch, wenn diese Person nicht mehr äußerungsfähig ist. Das wird akzeptiert, und ich frage Sie: Warum soll ein religiös begründetes Behandlungsverbot eines Zeugen Jehovas bedingungslos akzeptiert werden, wenn man es für alle anderen Weltanschauungen unter eine Bedingung stellt? Das ist doch wirklich nicht nachvollziehbar.
Die Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht wirkt immer sehr formal. Fragt man die Menschen, wie sie sich ihr Sterben vorstellen, so wünschen sich die meisten einen Abschied vom Leben in Würde, ohne Schmerzen und im Beisein nahestehender Menschen. Zur Würde kann neben einer einfühlsamen Behandlung das Respektieren des Willens in einer Patientenverfügung beitragen. Die Schmerzen können durch die Palliativmedizin weitgehend ausgeschaltet werden. Die Nähe von liebenden Menschen aber bleibt ein Ziel.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich in den letzten vier Jahren einmal so einer Meinung mit Ihnen, Frau Schewe-Gerigk, war wie heute.
Diese Orientierungsdebatte, die wir heute führen, ist eine wichtige Debatte, und sie soll Aufschluss über das geben, was Frau Schewe-Gerigk ganz zum Schluss gesagt hat, nämlich über die Frage, ob wir wirklich ein Gesetz brauchen oder nicht. Ich würde Ihnen und Herrn Stünker, der das heute Morgen auch schon gesagt hat, zustimmen: Ehe wir ein Gesetz machen, das eine Reichweitenbegrenzung vorsieht und damit, wie ich meine, verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre, sollten wir besser kein Gesetz machen.
Die Erwartungen, die die Menschen in unsere Debatte heute und überhaupt zu diesem Thema haben, sind sehr hoch. Es gibt kein anderes Thema, das die Menschen so bewegt und zu dem wir so viel Post bekommen. Wir haben 700 000 Exemplare unserer Broschüre zur Patientenverfügung in den letzten zweieinhalb Jahren in Deutschland verschickt. Sie sehen, da besteht ein echter Bedarf. Der Anlass dafür ist, wie Herr Bosbach heute Morgen aufgezeigt hat - da sind wir uns im Befund einig -, dass wir eine ausdifferenzierte Apparatemedizin haben, die die Lebensverlängerung in einem hohen Maße erlaubt und die, so schön sie in einer Notfallsituation ist, vielen Menschen am Ende ihres Lebens Angst macht. Die Menschen haben Angst davor, dass das, was früher üblich war, nicht mehr geschieht, nämlich dass man dem Lebenslauf entsprechend friedlich aus dem Leben scheidet, dass ein Mensch, der alt ist und dessen Herz einen Stillstand hat, nicht so, wie es früher war, stirbt, sondern dass er im hohen Alter wiederbelebt und an Apparate angeschlossen wird. Diese Bedenken haben die Menschen. Der Segen dieser Medizin macht gleichzeitig Angst.
Ich meine, es muss darum gehen, den Menschen diese Angst zu nehmen und ihnen die Gewissheit zu geben, dass ihr Selbstbestimmungsrecht auch in denjenigen Situationen gilt, in denen sie sich nicht mehr äußern können. Wir sind uns einig: Solange man reden kann, solange man durch Gesten bedeuten kann, was man will, so lange darf niemand gegen seinen Willen behandelt werden. Das ist Konsens hier im Haus. So viel ist klar.
Das ist im Übrigen Rechtsprechung und Rechtslage in Deutschland, und es kann deshalb nur Konsens hier im Hause sein.
Herr Bosbach, wenn ich es richtig verstanden habe, sagen Sie: Wenn eine Krankheit ärztlicher Diagnose entsprechend einen irreversibel tödlichen Verlauf zu nehmen droht, dann soll man wieder entscheiden dürfen, wie man behandelt bzw. wie man nicht behandelt werden will. Zu dem Zeitraum dazwischen sagen Sie: Das ist eine Phase des Lebens, in der man im Zweifel nicht entscheiden kann. Ich habe noch nicht verstanden, wie Sie das legitimieren.
Sie haben in Ihrer Rede vorhin Folgendes gesagt - ich habe mitgeschrieben -: Wir können den tödlichen Verlauf einer Krankheit nicht gleichsetzen mit heilbaren Krankheiten. Dazu kann ich nur sagen: Selbstverständlich. Jeder Mensch, der eine heilbare Krankheit hat, kann heute festlegen, dass er nicht geheilt, dass er nicht behandelt werden will. Es gibt den Fall der Zeugen Jehovas, die das aus religiösen Gründen nicht wollen, und es gibt andere Menschen, die es aus anderen Gründen nicht wollen. Das ist vom Selbstbestimmungsrecht des Menschen umfasst.
Sie sagen: Der Wille wurde zuvor festgeschrieben; wir wissen aber nicht, ob das der aktuelle Wille ist; deshalb wollen wir uns vorsichtshalber einmal nicht danach richten, sondern andere darüber entscheiden lassen. Ich frage Sie: Was machen Sie denn, wenn es noch der aktuelle Wille ist und Sie gegen den Willen des Betroffenen handeln?
Ich meine, dieser Ansatz kann nicht richtig sein.
Man sollte nicht davon ausgehen, dass man es selbst - oder andere - in solchen Situationen, in solchen Phasen des Lebens, besser weiß
und dass man deshalb anstelle der Betroffenen entscheidet. Dazu sage ich Nein; das kann nicht sein. Nach Art. 2 Grundgesetz usw. hat man das Recht, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie man behandelt werden will. Das muss auch für den Moment gelten, in dem man es nicht mehr selbst artikulieren kann, in dem aber etwas Antizipiertes, etwas vorher Aufgeschriebenes vorliegt.
Wir können uns dann gern wieder darüber verständigen, welche Anforderungen an eine solche Patientenverfügung zu stellen sind. Was heißt das? Wir haben festgestellt - das hat auch Herr Stünker in seinem Entwurf formuliert -: Sie muss schriftlich sein; sie kann jederzeit mündlich widerrufen werden; die Situation soll nicht durch irgendwelche formalen Vorschriften erschwert werden. Auch wir sind der Auffassung, dass man klarmachen muss, dass es sich in der Tat um den aktuellen Willen einer Person handelt. Schließlich muss eine Patientenverfügung zur Überzeugung des Arztes den Willen des Patienten dokumentieren, und dazu gehört eben, dass sie nachvollziehbar ist, dass die Willenserklärung aktuell ist. Deswegen wird empfohlen, dass sie alle zwei Jahre neu unterschrieben wird.
Den Vorschlag zur Patientenverfügung in der Broschüre des Bundesministeriums der Justiz halte ich im Übrigen für sehr gut. Vorgeschlagen wird, eine gewisse Gesamtschau des Lebens vorzunehmen. Ob ein 85-Jähriger eventuell einen weiteren Herzinfarkt bekommt oder ob jemand mit Anfang 50 für den Fall Vorsorge trifft, seinen ersten Herzinfarkt zu bekommen, ist ein Unterschied. Die Lebenssituationen können ganz unterschiedlich sein. Die Position der Betroffenen dazu ist daher eine andere.
Im Übrigen gilt: Es ist immer sinnvoll, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Das sollte man schon heute tun, unabhängig von diesem Gesetzgebungsvorhaben; denn es ist keineswegs so, dass Ehepartner oder Kinder automatisch entscheiden können. Sie können nur entscheiden, wenn sie bevollmächtigt sind. Deswegen sollte eine Vorsorgevollmacht auf alle Fälle vorliegen. Der Bevollmächtigte kann dann zusammen mit dem behandelnden Arzt den Willen des Patienten deutlich machen, wenn es um die Auslegung der Patientenverfügung geht. Sie ist nämlich selbstverständlich - wie alle anderen schriftlichen Willenserklärungen - im Zweifel auslegungsbedürftig und natürlich auch - um das ganz klar zu sagen - auslegungsfähig.
Man kann sich also auch nicht auf den Standpunkt stellen: Da ist ein Halbsatz nicht deutlich genug; deswegen gilt das alles nicht. - Man muss schon aus dem, was zum Ausdruck kommt, am besten auch aus einer Gesamtschau des Lebens und der Situation, in der sich der Patient befindet, heraus argumentieren und - im Zusammenwirken von Arzt und Bevollmächtigten - zu dem Ergebnis kommen: Das scheint plausibel zu sein; das ist das, was der Patient gewollt hat.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Wolfgang Bosbach das Wort.
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):
Frau Ministerin, Sie haben mich direkt angesprochen. Sie sagten, Sie verstünden die Argumentation nicht, Sie verstünden nicht, warum wir in dem Gruppenantrag einen Unterschied machen, was den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung angeht. Deswegen will ich es noch einmal ganz kurz erläutern.
Selbstverständlich ist es ein Unterschied, ob jemand an einer Krankheit leidet, die unaufhaltsam zum Tode führt - es ist zwar nicht bekannt, wann der Tod eintreten wird, aber man weiß: Trotz aller ärztlichen Kunst wird der Patient nicht mehr zu heilen sein -, oder an einer Krankheit, die man therapieren kann, an der er nicht sterben muss.
Wenn man sagt: ?Wir machen keinen Unterschied zwischen der vorweggenommenen Willenserklärung und der akuten Willenserklärung“, dann muss man auch die Haltung einnehmen: Es macht keinen Unterschied, ob ein Patient sich für oder gegen eine Behandlung entscheidet in einer konkreten Krankheitssituation, die er also kennt, die er persönlich erfährt, erleidet, in der er vom Arzt über Chancen und Risiken aufgeklärt werden kann, oder in einer Situation Jahre zuvor. - Darin sehen die Verfasser des Gruppenantrags aber tatsächlich einen Unterschied.
Wir wollen die ärztliche Aufklärung nicht zur Voraussetzung machen - der Auffassung sind wir übereinstimmend -, sondern - in Anführungszeichen - nur die Schriftform. Wenn jemand in einer Situation, die er nicht kennt, die er gar nicht kennen kann - jedenfalls ist das in den allermeisten Fällen so -, in der es keine ärztliche Aufklärung gibt - zu dem Zeitpunkt weiß er auch gar nicht, ob es zum Zeitpunkt des Krankheitseintritts Heilungschancen, neue Therapiemöglichkeiten geben wird, die jetzt noch unbekannt sind -, eine Erklärung abgegeben hat - es handelt sich um eine vorweggenommene Erklärung -, dann ist das anders zu bewerten, als wenn wir es mit dem aktuellen Willen des Patienten zu tun haben, der immer, unter allen Umständen beachtlich ist.
Ein Beispiel aus der Nachbarschaft, aus einem Krankenhaus in meinem Wahlkreis: Eine ältere Patientin wird drei Tage künstlich beatmet. Die künstliche Beatmung kann dann abgestellt werden, weil sie wieder selbstständig atmen kann. Sie macht dem Arzt - in Anführungszeichen - einen Vorwurf. Sie sagt, sie habe doch eine Patientenverfügung. Die hatte sie in ihrem Handgepäck mit ins Krankenhaus gebracht. Sie war den Ärzten aber nicht bekannt. Daraufhin hat der Arzt gefragt, ob er nun einen Fehler gemacht habe. Die Patientin antwortete, nein, sie sei heilfroh, dass man ihre Patientenverfügung nicht gefunden habe. Die Patientin ist aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie hat noch zweieinhalb Jahre gelebt und ihre Enkel weiter aufwachsen sehen. Sie ist dann friedlich eingeschlafen.
Das Beispiel zeigt den Grund dafür, dass ich vorhin in einem Halbsatz gesagt habe: Wir können doch nicht blind darauf vertrauen, dass eine vorweggenommene Erklärung exakt dem Willen zum Zeitpunkt der Äußerungsunfähigkeit entspricht. Wohlgemerkt: Es kann sein, Frau Zypries, dass es der aktuelle Wille ist; er muss es aber nicht sein. Der aktuelle Wille kann ein anderer sein.
Deswegen sagen wir: im Zweifel für das Leben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Frau Kollegin Zypries.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Herr Bosbach, ich glaube, es sind zwei verschiedene Themen, die Sie ansprechen. Ihnen geht es zum einen um die Frage: Wie alt darf eine Patientenverfügung sein, oder wie aktuell muss sie sein? Sie heben darauf ab - das habe ich hinsichtlich der Differenzen herausgehört -, dass ein Wille geäußert wird und erst viele Jahre später ein solcher Krankenhausaufenthalt folgt. Das war das, worüber wir auch schon gesprochen haben. Es muss schon ein möglichst aktueller Wille sein.
Auf die andere Frage bin ich in meiner Rede bereits eingegangen. Sie sagen: Es kann sein, dass es der aktuelle Wille ist; es muss aber nicht der aktuelle Wille sein. - Ich frage Sie umgekehrt: Was machen Sie, wenn es der aktuelle Wille ist? Sie behandeln dann gegen den Willen des Patienten.
Das ist das, was ich problematisch finde. Darüber kommen Sie auch nicht hinweg. Sie müssen dann schon sagen: Normalerweise respektiere ich den Willen, aber in solchen Situationen eben nicht.
Da sage ich: Im Zweifel entscheidet jemand anders.
Sie können gar nicht wissen, was der Betroffene denkt oder will; denn er kann sich ja nun gerade nicht äußern.
- Ich gehe davon aus, dass er eine solche Situation antizipiert hat, sich bei Ärzten Informationen geholt hat - das empfehlen wir ja auch -, sich Gedanken darüber gemacht und dann eine Festlegung getroffen hat. Ich gebe zu, dass das keine einfache Situation ist; das habe ich auch nie behauptet. Ich habe nie gesagt, dass es einfach ist, eine Patientenverfügung zu verfassen; im Gegenteil. Ich habe vor unserer Broschüre gesessen. Ich habe Stunden gebraucht. Das ist nicht einfach. Das ist so. Man muss sich wirklich mit Grenzsituationen beschäftigen. Aber wenn sich jemand dazu durchgerungen hat, zu erklären: ?Das ist das, was ich will“, dann, finde ich, muss das von anderen respektiert werden, genauso, wie wenn er sich noch äußern könnte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Vorzug dieser Intervention und der Erwiderung liegt vielleicht darin, dass das Abwägungsproblem noch einmal verdeutlicht wurde, für das es eine rundum überzeugende Lösung vermutlich nicht gibt.
Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Zöller für die CDU/CSU-Fraktion.
Wolfgang Zöller (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch hat seinen eigenen Glauben, seine eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen, die wir respektieren und schützen müssen, vom Anfang bis zum Ende. Unser Handeln muss dieser Vielfalt gerecht werden.
Erfreulicherweise ist in der Diskussion heute früh festzustellen, dass wir uns in den Zielen einig sind, nämlich: Die Würde des Menschen ist unantastbar vom Anfang bis zum Ende seines Lebens, und Sterben ist ein Teil des Lebens. - Die Menschenwürde gebietet uns, die Selbstbestimmung der Patienten vor unberechtigten Eingriffen Dritter zu schützen und auch zu fragen: Wie kann ich dem Patienten die Unsicherheit und die Ungewissheit nehmen bezüglich seiner Frage, was mit ihm geschieht, wenn er nicht mehr entscheidungsfähig ist, und wie kann ich ihm die Angst nehmen, dass er zwangsbehandelt wird oder es in einer unwürdigen Behandlung oder Pflege endet? Dem Wunsch nach Zulassung der aktiven Sterbehilfe ist Einhalt zu gebieten; zugleich ist auf die Verbesserungen der palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgungsstrukturen hinzuweisen.
Es geht auch um die Frage: Welche gesetzlichen Vorgaben sind notwendig, um Rechtssicherheit zu gewährleisten?
Wie kann man diese Ziele am besten umsetzen? Ich habe Bedenken, wenn man mit Einzelbeispielen versucht, seinen Standpunkt zu belegen.
Es gibt für die unterschiedlichsten Ansichten jeweils zutreffende Einzelbeispiele. Weil dies so ist, bin ich persönlich der Meinung, dass man diese Vielfalt nicht sauber gesetzlich regeln kann.
Das Handeln muss sich nämlich am Wohl des Patienten ausrichten und darf nicht von der Angst vor der Staatsanwaltschaft bestimmt sein.
Meine sehr geehrte Damen und Herren, ich sehe, ebenso wie der Bundesgerichtshof, einen Auftrag an den Gesetzgeber im Zusammenhang mit Patientenverfügungen nur insoweit, als die Rolle der Vormundschaftsgerichte geklärt werden soll.
Für mich sind die Vormundschaftsgerichte immer dann zuständig, wenn es Meinungsverschiedenheiten zwischen Arzt und Betreuer des Patienten über den Willen des Patienten gibt. Das und nur das bedarf meiner Ansicht nach einer gesetzlichen Klarstellung.
Ich halte die Vorschläge der Bundesärztekammer und deren Zentralen Ethikkommission für zielführend, die eine besondere Bedeutung der Vorsorgevollmacht beimessen, mit der ein Patient eine Person seines Vertrauens zum Bevollmächtigten in Gesundheitsangelegenheiten erklärt. Ich darf zitieren:
Damit hat der Arzt einen Ansprechpartner, der den Willen des Verfügenden zu vertreten hat und der bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mitwirkt.
Herr Stünker, da bin ich anderer Auffassung als Sie; denn im zweiten Satz heißt es:
Die Praxis hat gezeigt, dass ein grundsätzlicher Unterschied besteht, ob Menschen in gesunden Tagen und ohne die Erfahrung ernsthafter Erkrankung eine Verfügung über die Behandlung in bestimmten Situationen treffen oder ob sie in der existenziellen Betroffenheit durch eine schwere, unheilbare Krankheit gefordert sind, über eine Behandlung zu entscheiden.
Deshalb halte ich eine Kombination aus Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung für ratsam; ich würde sie einer Patientenverfügung ohne Vorsorgevollmacht vorziehen.
Aus diesem Grund plädiere ich dafür, wirklich nur das unbedingt Notwendigste gesetzlich zu regeln. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Menschen respektiert und fördert, verbietet sich jede Überregulierung. Wir sollten uns darauf beschränken, die Rolle des Vormundschaftsgerichts zu klären und nicht mehr.
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung schließen. Ich denke in diesem Zusammenhang oft an den verstorbenen Papst Johannes Paul II. Laut einem offiziellen Bericht des Vatikans sprach Johannes Paul II als letzte Worte am 2. April 2005 um 15.30 Uhr auf Polnisch: ?Lasst mich zum Haus des Vaters gehen“. Vier Stunden später fiel er ins Koma, sechs Stunden später starb er im Alter von 84 Jahren in seinen Privaträumen. Einen erneuten Krankenhausaufenthalt und intensivmedizinische Behandlung hatte er abgelehnt. Dieser Wille ist respektiert worden - ohne das Vorliegen einer Patientenverfügung, ohne vorhergehendes Konzil und ohne Anrufung eines Vormundschaftsgerichts.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist die nächste Rednerin für die FDP-Fraktion.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Zöller, ich möchte gleich an Ihre letzte Bemerkung anschließen: Der Papst hatte zwar keine schriftliche Patientenverfügung verfasst; aber sein Wille war bekannt. Er hatte mündlich gesagt, er wolle nicht auf einer Intensivstation mit lebensverlängernden, jedoch nicht heilenden Maßnahmen gequält werden.
Aber wenn genau darüber sich jeder Einzelne schon vorher Gedanken macht und sich damit auseinandersetzt, nicht erst in dieser letzten Phase des Lebens, sondern sehr viel früher, dann ist es doch sehr wichtig und gut, wenn er seinen Willen in einer Patientenverfügung schriftlich niederlegt,
und zwar möglichst ausführlich. Denn viele Beispiele - allein anhand von Beispielen kann man diese Debatte allerdings nicht führen - zeigen, dass sich aus Patientenverfügungen nicht klar genug ergibt, was im Zustand des vollen Bewusstseins tatsächlich verfügt worden ist, als man sich mit diesen schwierigen Fragen beschäftigt hat: mit Blick auf einen Unfall mit Bewusstseinsverlust, schwersten Verletzungen, möglicherweise mit Komafolge oder auch mit Blick auf eine Erkrankung, die nicht heilbar ist, aber vielleicht einen ganz unterschiedlichen Verlauf nehmen kann.
Ich denke, dass unabhängig von jedweder rechtlichen Regelung den Bürgerinnen und Bürgern gesagt werden muss, dass sie sich, wenn sie eine Patientenverfügung verfassen, sehr intensiv und gründlich mit den Fragen, die wir hier ansprechen und die jetzt in vielen Zeitschriften und Medien teilweise ganz hervorragend dargelegt werden, befassen müssen. Beim Abfassen einer Patientenverfügung gibt es kein Multiple-Choice-Verfahren, sondern es sollte möglichst konkret das wiedergegeben werden, was man selbst denkt, empfindet, meint und an Wünschen und Erwartungen im Hinblick auf eine Situation hat, in der man nicht mehr einwilligungsfähig ist.
Deswegen spreche ich mich ganz deutlich dafür aus, dass eine solche schriftlich abgefasste Patientenverfügung in ihrer Reichweite, ihrer Wirkung nicht beschränkt werden darf.
Denn welche Rolle soll eine solche Vorausverfügung sonst spielen? Wenn das Niedergelegte im Ernstfall nicht gilt, dann brauche ich diese Patientenverfügung, die mein Selbstbestimmungsrecht konkretisiert und zum Ausdruck bringt, wirklich nicht.
Ich glaube, darin liegt einer der Hauptunterschiede bei der Bewertung der Bedeutung der Patientenverfügung. Die vielen als Beispiele angeführten Fälle, in denen es aus heutiger Sicht vielleicht doch richtig war, dass man die Patientenverfügung nicht beachtet hat, machen deutlich, dass letztendlich immer Dritte über das entscheiden, was in dieser schwierigsten Phase mit einem selbst passieren soll. Wenn man für Selbstbestimmung anstelle von Fremdbestimmung eintritt und damit gegen eine Zwangsbehandlung und gegen eine Lebensverlängerung um jeden Preis ist, dann muss man sich für eine Patientenverfügung aussprechen, die diese inhaltliche Beschränkung nicht enthält.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Daran kann man die unterschiedlichen Positionen in dieser Debatte und auch bei der anstehenden Beratung über - wahrscheinlich - zwei unterschiedliche Gruppenanträge festmachen.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie, Herr Zöller, und auch Sie, Frau Knoche, bereits angesprochen haben. Ich bin der Meinung, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen, die den wichtigen Punkt behandelt, wie sich eine Patientenverfügung auswirken soll.
Es besteht Unsicherheit bei der Frage, wann das Vormundschaftsgericht angerufen werden soll; denn es gibt, auf Einzelfällen beruhend, sehr unterschiedliche Entscheidungen unterer Instanzen, aber auch des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof selbst sagt, dass seine Rechtsprechung etwas unübersichtlich ist. Wie sollen denn Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige, die mit gutem Willen und den besten Absichten handeln wollen, in einer konkreten Situation eine Entscheidung treffen können, die von einer Einzelfallentscheidung des Bundesgerichtshofs abgedeckt wird?
Ich will doch nicht einen Anwalt am Krankenbett haben. Ich will doch nicht, dass die rechtliche Beratung im Vordergrund steht. Die Menschen dürfen nicht in rechtlicher Unsicherheit handeln, weil sie Angst haben müssen, dass es, auch wenn sie wohlmeinende Gründe für ihr Handeln hatten, zu einem Verfahren vor einem Strafgericht kommen kann. Damit kann vielleicht sogar die Existenz eines Arztes vernichtet werden. Erst in zweiter und dritter Instanz könnte dieses Unrecht gegebenenfalls korrigiert werden.
Ich spreche mich daher ganz eindeutig für eine gesetzliche Regelung aus. Ich glaube, dass eine solche Regelung nicht überbürokratisch ist. Wir können uns auf die wichtigsten Kernpunkte beschränken. Man muss aber auch deutlich machen, von welchem Bild des Menschen, der über sich verfügt und seinen Willen formuliert, man bei einer solchen gesetzlichen Regelung ausgeht. Ich denke, dass das, was in unserem Antrag formuliert ist und was aus einem früheren Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums stammt - auch aus Ihren Worten, Herr Stünker, ging dies hervor -, nach meiner Einschätzung und nach Überzeugung der Liberalen die Grundlage ist, auf der wir handeln und einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung machen sollten.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Die Linke ist die nächste Rednerin Frau Dr. Jochimsen.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich findet diese Debatte statt. Endlich holen wir das große Thema ?Tod und Sterben“ vom verdrängten Rand in die Mitte unseres politischen Denkens und Handelns.
In alten Texten finden wir immer wieder den Satz: Er fühlte seinen Tod nahen, rief die Seinen zusammen, regelte die weltlichen Dinge und nahm Abschied. - Wie viel Würde enthält diese Beschreibung! Diese Würde haben wir in unserer den Tod und das Sterben aus dem Bewusstsein verdrängenden Gesellschaft weitgehend verloren, was es schwer macht, sie jetzt zurückzuholen - auch weil die Situationen am Lebensende heute so komplex und individuell sind, wie sie es noch nie zuvor waren. Aber eine gesetzlich verbindliche, allen Menschen bekannt gemachte und für alle verlässliche Regelung zu selbst bestimmten Entscheidungen über medizinische Behandlung am Lebensende eröffnet uns jetzt diese Möglichkeit. Es geht um eine Kernfrage der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Individuums: um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper.
Seit Jahren kennen wir die grundsätzlich verbindliche Patientenverfügung, in der schriftlich festgelegt ist, welche Therapie der Verfügende sich wünscht und welche er ausschließt. Nun geht es darum, dass diese Patientenverfügung endlich gesetzlich geregelt wird. Ich halte diesen Schritt für überfällig und folgende Einzelheiten für notwendig:
Erstens. Niemand darf dazu gedrängt werden, eine Patientenverfügung zu verfassen.
Zweitens. Jede Person, die eine Verfügung verfasst hat, muss sicher sein, dass diese Verfügung geachtet und umgesetzt wird.
Drittens. Die Abfassung der Verfügung muss schriftlich erfolgen, und die Verfügung muss jederzeit - auch mündlich - widerrufen werden können.
Insofern halte ich den Fall, der vorhin beschrieben wurde, was nämlich Mediziner mit Patienten machen, die bei Bewusstsein sind, eine Patientenverfügung dabeihaben, nun aber etwas anderes wollen, nicht für einen Fall, der uns zu belasten hat.
Denn ein Wille ist vorhanden; er kann geäußert werden. Der Wille steht dann natürlich über der vorhandenen Patientenverfügung.
Viertens. Die Verfügung sollte so konkret und aktuell wie möglich sein: Will ich künstlich ernährt werden oder nicht? Soll eine auftretende Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt werden oder nicht? Soll mein jetziger Wille auch gelten, wenn ich an Demenz erkranke, oder nicht? - Wir fordern viel von Ärzten und Pflegern in den Situationen zwischen Leben und Tod. Da haben sie ihrerseits das Recht, sicher zu wissen, was ihre Patienten wollen.
Es geht eben im Grundsatz darum - Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat das gesagt -, dass sich jeder von uns in allen Lebensphasen damit auseinandersetzt, ob er sich, durch einen plötzlichen Unfall oder eine tödliche Krankheit getroffen oder in schwerem Siechtum gefangen, lebensverlängernden Maßnahmen unterziehen will oder nicht und, wenn ja, in welchem Umfang. Jeder muss diese Auseinandersetzung vollziehen. Nur wer sich dieser Auseinandersetzung stellt, kann auf seinem Selbstbestimmungsrecht bestehen.
Soll die Patientenverfügung eines 20-Jährigen auch noch 60 Jahre später gelten? Diese Frage hätte ich gern so beantwortet: Zum eigenen Schutz, zur eigenen Rechtfertigung und zur eigenen Klarstellung sollte jeder seine Verfügung alle drei bis fünf Jahre erneuern.
Nennen wir das doch nicht eine Zumutung. Wenn es um unsere Telefonverträge, unsere Versicherungspolicen und die Fahrtüchtigkeit unserer Autos geht,
dann sind solche Aktualisierungen selbstverständlich. Warum dann ausgerechnet nicht bei solch existenziellen Fragen wie schwerster Krankheit und Sterben?
Die Verfügung soll jederzeit veränderbar sein, den Phasen des individuellen Lebens angepasst. Sie sollte auch - das wäre die fünfte Forderung - für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes verändert werden können. Es darf keine Zwangsbehandlung geben, auch nicht bei Personen, die nicht einwilligungsfähig sind.
Sechstens. Liegt eine schriftliche Patientenverfügung vor, die konkret auf die Behandlungssituation anwendbar ist, dann ist das kein Fall für das Vormundschaftsgericht.
Vormundschaftsgerichte sollten nur noch im Fall von Konflikten zwischen Ärzten, Betreuern und Angehörigen angerufen werden.
Das wären aus meiner Sicht die wichtigsten Einzelheiten der gesetzlichen Regelung. Im Übrigen muss sie aber auch unbedingt Teil einer großangelegten Aufklärungskampagne sein; da stimme ich dem FDP-Antrag nachdrücklich zu. Die Grundsatzfragen von Sterben und Tod waren in unserem Lande lange tabu; das liegt auch an der mangelnden Auseinandersetzung mit den Todesapparaten der nationalsozialistischen Diktatur. Sie sind immer noch tabu, weil die Gesellschaft sehr säkular und materialistisch geworden ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich mit dem Thema Patientenverfügung bisher nicht befasst. Viele Menschen haben ganz irrige Vorstellungen und wenig Wissen.
Eine gesetzliche Regelung ist jetzt das Wichtigste, genügt allein aber nicht. Diese Debatte heute könnte der Anfang für eine Wende, einen neuen Umgang mit Alter, Krankheit, Sterben und Tod unter dem Schild der freiheitlichen Selbstbestimmung und des sie schützenden Rechts sein. Sie muss aber auch das Thema ?Schmerztherapie für Sterbende“ neu aufgreifen. Immer noch müssen Sterbende in unserem Land Schmerzen erleiden, die medizinisch nicht sein müssten, wodurch ihnen das Sterben oft schwer gemacht wird. In diesem Land die Möglichkeit zu schaffen, selbstbestimmt und schmerzfrei zu sterben, ist eine Aufgabe für uns alle. Meine Fraktion ist bereit, daran aktiv mitzuarbeiten.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Josef Winkler für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in meinem erlernten Beruf als Krankenpfleger in den letzten fünf Jahren vor meiner Wahl in den Deutschen Bundestag in einer Abteilung gearbeitet, in der sich sehr viele an Demenz, also an Krankheiten wie Alzheimer erkrankte Patienten befanden.
In diesen Jahren habe ich immer wieder mit Menschen zu tun gehabt, die im Anfangsstadium ihrer Krankheit noch relativ geringe Ausfallerscheinungen hatten, im weiteren Verlauf aber einen fast vollständigen Gedächtnis-, häufig auch Bewusstseinsverlust erlitten. Wenn später eine schwere Demenz eingetreten ist, waren diese Patienten oft von einer sehr ausgeglichenen, freundlichen, oft fröhlichen Lebensweise geprägt, was sich Gesunde, die nicht mit Dementen zu tun haben, oft überhaupt nicht vorstellen können.
Das gilt aber auch für andere Erkrankungen. Dass Kranke anders denken als Gesunde, wurde heute schon mehrfach gesagt.
In der Öffentlichkeit und in diesem Hause wird immer wieder die Forderung aufgestellt, man müsse bei dieser oder anderen Erkrankungen die Möglichkeit schaffen, mit einer Patientenverfügung die medizinische Behandlung von Sekundärerkrankungen wie Lungenentzündung oder Ähnliches auszuschließen. Ich halte das für eine absolut nicht unterstützenswerte Forderung.
Wenn ich mir die Fälle, die ich beurteilen kann, weil ich sie selbst miterlebt habe - es handelt sich nicht nur um Fälle, in denen Menschen an Demenz erkrankt sind -, vor Augen führe, muss ich sagen, dass wohl sehr viele dieser Patienten in der Anfangsphase ihrer Erkrankung weitreichende Patientenverfügungen unterschrieben hätten, wenn dies damals üblicher gewesen wäre. Sie wären sicherlich der festen Überzeugung gewesen, dass sie in einem bestimmten, späteren Stadium ihrer Krankheit nicht mehr am Leben erhalten werden wollten. Wir müssen uns aber immer vor Augen halten, was es heißt, wenn man dieser Forderung folgen würde: Das Leben eines nicht mehr äußerungsfähigen Menschen würde aufgrund von Entscheidungen, die er zwar selbst getroffen, an die er sich aber nicht mehr erinnern kann, die ihm nicht mehr bewusst sind, vorzeitig beendet;
denn der wirklich aktuelle Wille, der nicht mehr geäußert werden kann, würde nach dem Willen mancher hinter der oft nicht mehr aktuellen Willensbekundung in einer Patientenverfügung zurückstehen müssen. Das wäre aus meiner Sicht die Beendigung eines Lebens durch Dritte und nicht die erwünschte Hilfe beim Sterben.
Deshalb will ich ganz offen bekennen, dass ich daran zweifele, ob die Regelung, die die Kollegen Bosbach, Röspel, Fricke, andere Kollegen und ich für die, wenn man so sagen will, noch schlimmeren Fälle, für Wachkomapatienten und Schwerstdemente, die wohl endgültig ohne Bewusstsein, aber eben keine Sterbenden sind, erarbeitet haben, ein wirklich gangbarer Kompromiss ist.
Zu den konkreten Vorschlägen, die sich auf tatsächlich Sterbende beziehen. Wir schlagen in diesem Zusammenhang vor, dass, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, die eine Hilfe beim Sterben verlangt, und die Krankheit nach ärztlicher Meinung vermutlich einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat, von lebenserhaltenden Maßnahmen abzusehen ist. Es ist natürlich auch der Fall denkbar, dass zwar ein irreversibel tödlicher Verlauf vorliegt, aber keine Patientenverfügung zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen abgefasst wurde. Wenn dieser Wunsch nach Meinung des Betreuers vorliegt, sollte das - das schlagen wir vor - in einem Konsil aus ärztlichem und Pflegepersonal gemeinsam mit dem Betreuer und den Angehörigen geklärt werden. Falls danach der mutmaßliche Wille zwischen Arzt und Betreuer einheitlich gesehen wird, sind die lebenserhaltenden Maßnahmen ebenfalls einzustellen, und zwar ohne dass sich das Vormundschaftsgericht damit zu befassen hat.
Den nach Meinung des Betreuers mutmaßlichen Willen des Patienten auf Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen aber auch dann gelten zu lassen, wenn keine irreversibel tödliche Erkrankung vorliegt, würde meiner Meinung nach das Gleichgewicht zwischen den mehrfach angesprochenen Verfassungswerten ?Recht auf Selbstbestimmung des Patienten“ auf der einen Seite und ?Verpflichtung zum Schutz des Lebens und der Würde des Menschen“ auf der anderen Seite zerstören.
Deshalb muss meiner Meinung nach nicht nur die Reichweite von Patientenverfügungen, sondern auch die Reichweite des sogenannten mutmaßlichen Willens in ihrer Wirkung eingeschränkt werden, wenn es nicht um Krankheiten geht, die einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen haben. Diese dürfen meiner Meinung nach keinesfalls in unbeschränkter Form zulässig sein. Dafür werde ich mit den anderen Kolleginnen und Kollegen, die sich in dieser Form äußern, im weiteren parlamentarischen Verfahren werben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion.
Olaf Scholz (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Millionen Menschen - auf die hohe Zahl ist schon hingewiesen worden - haben eine Patientenverfügung unterschrieben. Sie haben sich sorgfältig Gedanken darüber gemacht, was mit ihnen geschehen soll, wenn sie nicht mehr einwilligungsfähig sind. Wir diskutieren hier heute darüber, ob diese vielen Patientenverfügungen gelten sollen oder nicht. Darum geht es in dieser Debatte, wenn wir über Reichweitenbeschränkungen sprechen. Deshalb sollten wir dieses Thema so ernst nehmen, wie es die Sache gebietet.
Eine solche Debatte wird bei uns Abgeordneten des Bundestages genauso verlaufen wie bei jedem anderen Menschen: Wir schließen von uns auf andere. Das ist bei einer so wichtigen Angelegenheit mehr als angemessen. Deshalb will ich nicht verheimlichen, dass ich selbst eine Patientenverfügung unterschrieben habe und dass ich in dieser Patientenverfügung Festlegungen getroffen habe, die nach der möglichen Umsetzung einiger Gesetzesvorschläge, die heute anberaten werden, nicht mehr wirksam sein würden. Insofern können Sie sich vorstellen, dass sich mit mir viele Hunderttausende - vielleicht auch Millionen - Menschen Sorgen machen, dass etwas, was sie sich gut überlegt haben, nicht mehr gelten soll, weil andere, insbesondere der Deutsche Bundestag, es besser wissen wollen.
Ich kann mich damit nicht abfinden - und bin mir übrigens sicher, dass viele andere das auch nicht tun werden und dass sie, falls der Bundestag ihnen mit seiner Weisheit nicht hilft, das Bundesverfassungsgericht um Hilfe bitten werden.
Da wiederum bin ich mir sicher, dass manche der hier zur Beratung stehenden Gesetzesvorschläge mit unserer Verfassung nicht vereinbar sind und deshalb vor Gericht keinen Bestand haben würden.
Gestatten Sie mir, ganz kurz auf Aspekte einzugehen, die in dieser Debatte eine Rolle spielen. Einer hat damit zu tun, dass wir etwas aus meiner Sicht Unverantwortliches tun: Wir unterscheiden zwischen dem antizipierten Willen und dem aktuellen Willen. Das klingt zwar zunächst einmal vernünftig, ist aber so selbstverständlich nicht. Sehr oft in unserem täglichen Leben - etwa wenn wir etwas unterschreiben - drücken wir unseren Willen aus und sind auch völlig damit einverstanden, dass wir hinterher daran gebunden sind. Insofern ist es aus meiner Sicht Sophismus, eine solche Unterscheidung vorzunehmen, um sich als Gesetzgeber das Recht zu verschaffen, in dem Fall, in dem der Mensch ganz hilflos und bewusstlos ist, über ihn zu verfügen, obwohl er genau das mit seiner Patientenverfügung ausschließen wollte.
Als ein Argument werden die Schwierigkeiten bei der Feststellung des Willens genannt. Rechtssoziologen sagen uns, dass der Interpret, der Bevollmächtige, das Gericht oder wer auch immer sich damit beschäftigt, sich selbst als Person bei der Auslegung einbringt. Das wissen wir. Sogar wenn uns etwas ganz klar erscheint, spielt die Auslegung bei der Ermittlung des Sachverhalts eine Rolle. Trotzdem trauen wir uns das zu und halten es für möglich. Das müssen wir auch. Denn wenn wir uns nicht vorstellen könnten, dass wir uns auf die Auslegung eines Willens verständigen können, dann könnten wir gar nicht vernünftig zusammenleben. Deshalb ist es notwendig, dass wir so eine Entscheidung akzeptieren. Der Verweis darauf, dass man sich bei der Auslegung irren kann, rechtfertigt eine Ablehnung dennoch nicht; denn das ist eigentlich nur ein Hinweis darauf, dass wir uns unglaublich viel Mühe geben müssen. Selbstverständlich, wenn ein 20 Jahre alter Patientenwille vorliegt, dann muss sich derjenige, der darüber zu entscheiden hat, große Mühe geben, um herauszufinden, ob das wirklich noch der aktuelle Wille ist.
- Das ist ganz einfach. Man kann zum Beispiel fragen, ob der Patient seinen Willen mündlich oder auf irgendeine andere Weise widerrufen hat. Niemand in diesem Haus hat einen Zweifel daran, dass das möglich ist. Daher sollte man das nicht zum Anlass für die Gesetzgebung nehmen.
Das gilt aus meiner Sicht - das will ich ausdrücklich sagen - auch im Hinblick darauf, dass wir eine auf sorgfältige Weise getroffene Entscheidung akzeptieren müssen. Es hat also auch dann zu gelten, wenn ein Mensch nicht mehr einwilligungs- und geschäftsfähig ist, er aber noch eine Willensäußerung von sich geben kann, die deutlich macht, was er will. Auch daran gibt es keinen Zweifel. Das gilt in der Rechtsprechung, und das gilt insgesamt.
Meine Zeit ist kurz. Gestatten Sie mir deshalb nur noch eine Bemerkung.
- Ja, meine Redezeit. Schönen Dank. Es beruhigt mich, dass Sie das klarstellen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es liegen bisher auch keine Absichten einer anderen gesetzlichen Regelung vor, Herr Kollege Scholz.
Olaf Scholz (SPD):
Auch das beruhigt mich.
Noch ein kurzer Hinweis: Es wird gesagt, man müsse unterscheiden zwischen der Situation, in der jemand verfügt, so nicht sterben zu wollen, und der Situation, in der jemand verfügt, so nicht leben zu wollen. Das ist sprachlich schön, aber nicht das Gegensatzpaar, um das es in dieser Debatte geht.
Denn in der Patientenverfügung verfügt man sowohl für den Fall, dass man bald stirbt, als auch für den Fall, dass man noch lange lebt - eventuell aber ohne Bewusstsein -, nur, so nicht am Leben erhalten werden zu wollen.
Wenn man begreift, dass es sich dabei nicht um zwei unterschiedliche Zustände handelt, sondern dass das ein und derselbe Zustand ist und dass diese Unterscheidung künstlich herbeigeführt wird, um sich Gesetzgebungskompetenzen anzumaßen, die man sich besser nicht anmaßen sollte, dann kommt man zum Ergebnis, dass das Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund stehen sollte.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist eine Debatte der leisen Töne. Es ist ein außergewöhnliches Phänomen, dass die Ränge noch so voll sind, und das, obwohl bereits sehr viele Reden gehalten worden sind und trotz der fortgeschrittenen Zeit. Das zeigt, wie wichtig diese Debatte ist. Ich denke, die Besucher auf der Tribüne und sogar die Zuschauer am Fernseher können förmlich spüren, wie schwer man sich mit diesem Thema tut.
Typischerweise gibt es in den Debatten im Deutschen Bundestag eine geborene kontradiktorische Schlachtordnung zwischen Regierung und Opposition. Es fallen Begriffe wie ?richtig“ und ?falsch“, ?gut“ und ?böse“, ?schlecht“ und ?dilettantisch“, es werden Zurufe gemacht, und es wird hart gefochten, manchmal auch unterhalb der Gürtellinie, weil man meint, seine besondere Eloquenz für die Galerie unter Beweis stellen zu müssen.
Das ist heute anders. Die heutige Debatte ist - trotz gelegentlich vorkommender spaßiger Einwände, zu denen auch der Präsident immer wieder beizutragen vermag - so ernst, dass man keine Meinung, die hier vertreten wird, auch wenn sie nicht der eigenen entspricht, a priori für abwegig erklären würde. Das sollte man auch nicht tun, schon gar nicht mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Denn vor diesem Hintergrund wären auch Regelungen im Erbrecht - etwa, dass der Erblasser aufgrund der Tatsache, dass es einen Pflichtteil gibt, nicht uneingeschränkt bestimmen kann, was mit dem Nachlass seines Vermögens geschieht - per se verfassungswidrig. Ich könnte also nicht einfach sagen - obwohl ich das gerne täte -: Mein gesamtes Vermögen vermache ich meinem Freund Volker Kauder.
Einen Teil des Vermögens - den ich ihnen natürlich auch nicht vorenthalten möchte - würden demnach als Pflichtteil meine Frau und meine Kinder bekommen. Sie sehen: Der Gesetzgeber hat de lege lata durchaus Grenzen für die Selbstbestimmung gesetzt.
Wenn man sieht, dass jemand, der, aus welchen Gründen auch immer, selbstmordgeneigt ist, von einem Dach springen will, dann geht man nicht teilnahmslos vorbei und sagt sich, das ist nun einmal sein letzter Wille, und das ist Selbstbestimmung, sondern dann versucht man, ihn davon abzubringen, und es werden zum Beispiel Sprungtücher aufgespannt. All das geschieht, obwohl dieser Mensch das vielleicht gar nicht will.
Zur Frage der Kongruenz bzw. Inkongruenz von aktuellem Willen und sogenanntem antizipierten bzw. vorweggenommenen Willen möchte ich noch eine andere Variante ansprechen. Wir haben eben von Herrn Zöller gehört, dass Einzelbeispiele sicherlich nicht geeignet sind, ein gesamtes Konzept zu Fall zu bringen: Je nachdem, vor welchem Publikum und mit welcher Verve Sie etwas vorbringen, bekommen Sie vielleicht zunächst tosenden Beifall. Aber dann bringe ich ein anderes Beispiel, und es ist auch so.
Doch längst nicht alle, die eine Patientenverfügung verfassen, sind in der Lage, die Begriffe zu verstehen.
Wir sind doch nicht alle Volljuristen. Nehmen wir an, ein Modellathlet, der für die Olympischen Spiele vorgesehen ist, schreibt: Wenn ich morgen einen Motorradunfall habe und das Bewusstsein verliere, möchte ich nicht, dass die Beatmung weitergeführt wird. - Würden Sie das machen wollen? Im ?Spiegel“ von dieser Woche ist ein Streitgespräch zwischen Herrn Borasio, einem Palliativmediziner, und Herrn Hoppe zu lesen, in dem Herr Borasio gesagt hat: Zum bloßen Automaten, zum Vollstreckungsgehilfen von Patientenverfügungen möchte ich auch nicht werden. Direkt die Weiterbeatmung einstellen, das würde ich nicht machen; das würde auch dem hippokratischen Eid eines Arztes widersprechen. Wenn er aber merke, dass dieser Patient das Bewusstsein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wieder erlangt, dann stelle sich die Sache ganz anders dar.
Heute Morgen ist eingewandt worden: Was heißt eigentlich ?mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“? Das ist ein Begriff, den wir auch sonst im Beweisrecht kennen. Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Herr Bosbach hat darauf hingewiesen, dass auf die Frage: ?Würden Sie jetzt auch noch so entscheiden, wie Sie sich vor Jahren in Ihrer Patientenverfügung festgelegt haben?“ die Antwort sehr gut lauten kann: ?Nein, das würde ich nicht.“ - Die Frau Justizministerin wiederum argumentiert, es könne auch den umgekehrten Fall geben.
Insofern sind wir wieder einmal in der Situation, dass der Fall des Zweifels vom Gesetzgeber gesetzlich geregelt werden muss - wie auch sonst bei der Beweislastverteilung, die wir vom Zivilprozess kennen, eine non liquet. Deshalb muss der Gesetzgeber entweder sagen ?In dubio pro vita“ oder ?In dubio pro …“ - Nun fällt mir der lateinische Begriff für ?Selbstbestimmung“ nicht direkt ein. Ganz ungewöhnlich, nicht wahr, meine Damen und Herren? - Diese Regelung müssen wir treffen.
Ein Letztes: Natürlich steht der Patient, steht das Schicksal des Patienten im Vordergrund. Aber ich habe es vor zwei Jahren in meiner eigenen Familie erfahren: Vor zwei Jahren hat meine Mutter einen irreparablen medialen Hirnschlag erlitten. Sie ist gefunden worden von einem Arzt, und dann war die PEG-Sonde dran. Nun standen mein Bruder und ich vor der Situation: Sollen wir einwilligen, dass weiterhin künstlich ernährt wird, oder nicht? Ohne Anrufung des Vormundschaftsgerichts wäre gerade ich als Politiker - sehr beliebt bei der heimischen Presse - Gefahr gelaufen, mit der Überschrift versehen zu werden: Bundestagsabgeordneter lässt seine Mutter verhungern.
Das zeigt, dass nicht nur der Patient selber, sondern das gesamte Konsil, die Hinterbliebenen, die Ärzte und das Pflegepersonal, Rechtssicherheit haben müssen - Ihre Entscheidung ist schwer genug. Wir sollten nicht so anmaßend sein, zu glauben, ihnen diese Entscheidung mit irgendeinem Gesetz abnehmen zu können. Aber wir normieren nicht das Sterben, sondern wir normieren bestimmte Verhaltensweisen in kritischen Situationen. Ich finde, da sollte jeder dem anderen zubilligen, dass er das nach bestem Wissen und Gewissen und in der besten Absicht macht. Deswegen werben wir in der nächsten Zeit auch in diesem Hohen Hause um die Zustimmung zu verschiedenen Anträgen. Ich finde es schön, dass die Abstimmung völlig freigegeben ist und niemand mit dem Stigma rechnen muss, in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Hans-Michael Goldmann ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele Vorredner begrüße auch ich diese Debatte, die wir aus meiner Sicht auch in der gebotenen Breite führen, sehr. Es ist vorhin angesprochen worden, dass es nicht nur darum geht, für Patienten in einer bestimmten Lebenssituation eine Regelung zu finden. Es geht meiner Meinung nach auch ganz entscheidend darum, dass man Menschen vor dem Hintergrund der veränderten Situation in der Medizin und vor dem Hintergrund der veränderten Situation, in der sie häufig auch in ihrem persönlichen Lebensumfeld stehen, das Trauma des Sterbens und das Trauma des Leidens bis zum Tod nimmt, dass wir uns intensiv beschäftigen mit Bereichen der Hospizbewegung, der Hospizarbeit und der Palliativmedizin und dass wir endlich dazu beitragen, dass Ärzte und Ärztinnen zur Verfügung stehen, die Patienten in dieser Phase die richtige Hilfestellung geben.
Ich empfinde die Situation als schwierig und gleichzeitig als sehr intensiv.
Ich will einen Aspekt einbringen, der gewissermaßen aus meiner Aufgabe in unserer Fraktion als Sprecher für Kirchen- und Religionsgemeinschaften erwächst. Ich finde es interessant, dass sich, soweit ich weiß, in dieser Diskussion kaum Menschen zu Gehör melden, die keine christliche Glaubenshaltung haben. Die Äußerungen der katholischen Kirche, des ZdK, sind mir sehr wohl bekannt. Aber sind Ihnen Äußerungen der Muslime zu dieser Thematik bekannt?
Fast jeder von Ihnen, wie auch ich, verfügt über sehr persönliche Erfahrungen mit diesem Thema. Der Vater brauchte lange, bis er verstarb, und die Mutter ist 92 Jahre alt. Da beschäftigt man sich mit solchen Dingen, und man versucht, seinen Standpunkt zu finden. Ich finde das, was Kollege Scholz und auch der Kollege Gehb eben gesagt haben, hervorragend, nämlich dass wir uns alle in unserem Ringen um die beste Lösung angenommen fühlen sollten.
Ich frage mich - auch als praktizierender Katholik -, was in diesem Bereich eigentlich Aufgabe des Staates ist. Meine Mutter hat Angst davon, dass der Staat hier etwas für sie regeln will. Durch Aufklärung und Information versuche ich, ihr diese Sorge zu nehmen und klarzumachen, dass in der Ausgestaltung einer Patientenverfügung gerade auch für gläubige Menschen eigentlich eine große Chance besteht. Ich kann in diese Patientenverfügung hineinschreiben, wie ich mein Leben beenden will, und ich meine, andere müssen sich daran halten.
Die anderen haben nicht das Recht, dieser meiner persönlichen und glaubensbestimmten Haltung entgegenzuarbeiten. Ich finde, das ist eine große Chance. Ich bin der Auffassung, dass die katholische Kirche in dieser Frage nicht ganz auf dem richtigen Weg ist.
Ich bin dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, sehr substanzielle Patientenverfügungen auszugestalten - detailliert, eigenverantwortlich und, wie gesagt, glaubensorientiert -, weil ich möchte, dass nicht andere dort hineinregieren. Das dürfen sie aus meiner Sicht zu keiner Zeit.
Vorhin ist - ich glaube, von Ihnen, Kollege Winkler - die besondere Situation bei Demenzkranken angesprochen worden. Es ist richtig, dass es dort eine besondere Problematik gibt. Wir machen aber doch auch Erfahrungen mit Demenzkranken. Wir könnten eine Patientenverfügung im Grunde genommen entsprechend ausgestalten, weil wir wissen, wie es um Menschen mit dieser Krankheit bestellt ist.
Wir wissen auch, wie es um Menschen bestellt ist, die im Koma liegen. Wir können zu ihnen hingehen und haben Kontakt zu ihnen.
Der Erfahrungsschatz nimmt auch in diesen Bereichen insgesamt immer weiter zu. Deswegen glaube ich, dass man zum Zeitpunkt des Abschließens einer Patientenverfügung sehr wohl darüber im Klaren sein kann, wie sich diese Patientenverfügung in einer speziellen Situation - beim Ableben, im Alter - auswirkt. Ich plädiere daher nachdrücklich dafür, dass eine solche Patientenverfügung eine uneingeschränkte Reichweite hat.
Wir dürfen es nicht anderen überlassen, die individuelle, die persönliche, die eigenverantwortliche Entscheidung sozusagen wieder rückgängig zu machen. Das kann meiner Meinung nach nicht Aufgabe des Gesetzgebers und damit auch nicht Inhalt einer Patientenverfügung sein.
Ich finde die Ausführungen von Herrn Andreas Lob-Hüdepohl, des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe ?Patientenverfügungen“ des ZdK, immer wieder großartig und sehr lobenswert. In der letzten Sitzung des ZdK haben wir einen ganzen Tag darüber diskutiert, liebe Julia Klöckner. Ich denke aber, dass er mit seiner Kritik, die er hinsichtlich der Wachkoma- und Demenzpatienten anbringt, wirklich falsch liegt. Ich befürchte nicht den Dammbruch zur Tötung unwerten Lebens,
sondern ganz im Gegenteil: Ich plädiere für die Festschreibung, dass auch ein Demenzkranker und ein Komapatient das Recht auf ein Weiterleben haben, wenn sie in ihren Patientenverfügungen festgeschrieben haben, dass sie nicht möchten, dass jemand ihr Leben deswegen beendet.
In diesem Sinne, meine ich, sollten wir die Diskussion intensiv weiterführen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es kann in Deutschland keine Debatte über den Wert und den Schutz menschlichen Lebens und über die Würde des Menschen und seine unantastbaren, garantierten Menschenrechte geben, ohne den Blick zurück in die Geschichte zu richten. Die Barbarei der nationalsozialistischen Diktatur und ihre Menschenverachtung sind deshalb auch Mahnung für unsere heutige Debatte über das Selbstbestimmungsrecht bis in den Tod, über die menschliche Würde im Sterben und über die Pflichten der Gesellschaft und des Staates zum Schutz der Würde und des Lebens von uns allen.
Es ist wichtig, dass wir dies im Verlauf dieser Debatte und auch aller folgenden nicht vergessen. Für mich ist das Kürzel ?T 4“ das Stichwort: Es steht für eine Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin Mitte. Diese Villa gibt es nicht mehr, nur noch eine Gedenktafel ist dort zu finden. Dort wurde - in unüberbietbarem Zynismus als Gnadentod bezeichnet - die Entscheidung über die Vernichtung von über 100 000 Kranken, Alten und Behinderten getroffen, denen ein Recht auf Leben und jedes Menschenrecht abgesprochen wurde.
Nicht zuletzt dieser Schrecken war es, der zu den für uns unumstößlichen Prinzipien führte: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar.
Nur dann, wenn wir das zur Grundlage unserer Überlegungen machen, wird es uns gelingen, die Vor- und Nachteile der vorgestellten Gesetzesvorschläge sachlich und respektvoll miteinander zu diskutieren.
Ich will die Punkte nennen, in denen wir uns einig sind. Wir sind uns einig, dass das Selbstbestimmungsrecht jedes einwilligungsfähigen Patienten zu beachten ist. Wir sind uns einig, dass die Patientenverfügung auf eine eingetretene konkrete Situation zutreffen muss und dass sie jederzeit, in jeder Form, auch formlos und ohne Worte konkludent widerrufen werden kann. Wir sind uns auch einig, dass eine Patientenverfügung nur dann wirksam sein kann, wenn sie schriftlich vorliegt, frei und ohne Zwang verfasst wurde, nicht irrtümlich oder unter Täuschung entstanden ist und nichts Gesetzwidriges verlangt.
Weitere Begrenzungen darüber hinaus - insbesondere in der Reichweite - halte ich nicht für richtig. Denn wer verlangt, dass sie nur in Kenntnis der möglichen medizinischen Behandlungen und zukünftiger medizinischer Entwicklungen wirksam sein soll, der macht praktisch alle Patientenverfügungen wertlos.
Auch ihre Begrenzung auf Leiden, die einen unumkehrbar tödlichen Verlauf genommen haben, und auf Bewusstlose, die ihr Bewusstsein mit Sicherheit niemals wiedererlangen werden, verbietet den Menschen, gerade das zu regeln, was sie für ihr Lebensende verbindlich regeln wollen. Dahinter stehen verständliche Ängste und Befürchtungen. Sie werden aber mit diesen Begrenzungen auf falsche Weise gelöst und bringen letztlich nicht weniger, sondern mehr Leid und mehr Fremdbestimmung.
Zwei Grundsatzfragen müssen wir beantworten. Erstens. Kann und darf man seinen Willen für die Zukunft binden? Darf der geäußerte und eindeutige Wille des Patienten von Ärzten, Betreuern oder Gerichten in Zweifel gezogen werden? Ich meine, nein. Es kann nicht darum gehen, zu beweisen, dass der geäußerte Wille weiter gilt - das ist nie möglich -; vielmehr tragen diejenigen, die ihn anzweifeln, die Beweislast, dass er sich wirklich geändert hat.
Zweitens stellt sich die Frage nach unserem Selbstbestimmungsrecht, also unserem Recht, selbst zu bestimmen, wie wir leben wollen oder es nicht mehr wollen. Dabei hat der Staat die Pflicht, Leben zu schützen und zu erhalten. Steht in Fragen, die Menschen in einer Patientenverfügung verbindlich regeln wollten, die Pflicht des Staates gegen das Recht der Menschen?
Darf der Staat lebenserhaltend gegen das Selbstbestimmungsrecht angehen und es in fremdbestimmte Schranken weisen? - Ich meine, nein.
Ich will mit einem Zitat der Vorsitzenden Richterin des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, Frau Dr. Hahne, enden. Sie hat die grundlegende Entscheidung getroffen, nach der Patientenverfügungen überhaupt Verbindlichkeit genießen. Ich zitiere:
Wünschenswert wäre eine gesetzgeberische Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dergestalt, dass die Patientenverfügung, der geäußerte Patientenwille, absoluten Vorrang hat. Denn nur der Patient ist es, der über sein Leben, aber auch über die Art und Weise seines Todes - seines Weggehens aus diesem Leben - zu entscheiden hat. Niemand sonst hat darüber zu entscheiden, denn es ist das Leben des Patienten. Der Patient hat zwar ein Lebensrecht, aber er hat keine Lebenspflicht.
Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass wir diese Worte beherzigen und danach ein bestmögliches Gesetz zustande bringen.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich mich vor vier Jahren zum ersten Mal mit dem Thema Patientenverfügung befasste, war mir ziemlich schnell klar, welche Meinung ich dazu habe: Na klar, ich will selbst entscheiden, wie ich einmal sterben werde. Wer sonst soll denn das Recht dazu haben, über mich und meinen Tod zu entscheiden?
Ich habe mich intensiver mit diesem Thema befasst, Gespräche darüber geführt und irgendwann Menschen kennengelernt, die froh waren, dass ihre Patientenverfügung nicht umgesetzt worden ist. Der Motorradfahrer, der als 18-Jähriger ein Leben im Rollstuhl für unerträglich gehalten hat und nun nach einem Unfall im Koma lag - wir wissen nicht, was er selbst entschieden hätte. Hätte er den Tod herbeigesehnt oder nach dem Leben geschrien? Dritte haben für ihn entschieden. Die Ärzte haben sich entschieden, weiterzumachen. Heute lebt er im Rollstuhl. Er führt ein anderes Leben, als er es sich als 18-Jähriger vorgestellt hat, aber er hat eine Perspektive. Und er freut sich, wenn ihn seine Kinder besuchen. Es gibt übrigens genug andere gute Gegenbeispiele, das ist keine Frage.
Aber alle diese Erfahrungen haben in mir Zweifel wachsen lassen: Können wir wirklich die Entscheidung eines Gesunden, der sich nicht in einer Krankheitssituation befindet, mit der Entscheidung gleichsetzen, die er in einer Situation als Kranker treffen würde? Folgenlos bleibt übrigens ein Irrtum in einer solchen Entscheidung immer nur dann, wenn es sich um eine tödlich verlaufende Krankheit handelt. Deswegen, glaube ich, ist eine Reichweitenbegrenzung möglich und auch notwendig.
Warum wird in letzter Zeit so viel über Patientenverfügungen gesprochen? Viele Menschen haben Angst davor, einen einsamen Tod zu sterben. Viele Menschen haben Angst davor, einen schmerzhaften Tod zu sterben. Viele Menschen haben Angst davor, bis ans Ende und über das erträgliche und würdige Maß hinaus an Schläuchen zu hängen und der Apparatemedizin ausgeliefert zu sein. Und viele äußern einfach den Wunsch, den Angehörigen nicht zur Last zu fallen: Ich will meinen Kindern keine Last sein, also möchte ich nicht, dass diese oder jene Maßnahme ergriffen wird.
Sind Patientenverfügungen die Lösungen dieser Probleme? Geben sie die richtigen Antworten auf die Fragen, die wir diskutieren müssen? Ist die Patientenverfügung geeignet, diese Ängste zu nehmen?
Wir sind uns sicherlich einig, dass die Lösungen auf einer ganz anderen Ebene liegen - das ist vorhin schon gesagt worden -: den Menschen helfen und garantieren zu können, schmerzfrei in den Tod zu gehen, bessere Palliativ- und Schmerzmedizin, Hospizarbeit, damit man in diesem Land nicht einsam sterben muss. Wahrscheinlich ist es auch dringend notwendig, das Arzt-Patienten-Verhältnis wieder ins Lot zu bringen, also die Abwägung zwischen der Selbstbestimmung auf der einen Seite und der Fürsorgepflicht des Arztes auf der anderen Seite - auf beiden Elementen besteht die Ärzteschaft - vorzunehmen. Dies also muss ins Lot gebracht und ausbalanciert werden, weil das Misstrauen gegenüber moderner Medizin und Ärzten in den letzten Jahren größer geworden ist und sicherlich auch dazu beiträgt, dass viele Menschen solche Entscheidungen treffen wollen. Wenn wir die Defizite in diesem Bereich beseitigen, brauchen wir - davon bin ich fest überzeugt - weniger über Patientenverfügungen zu reden.
Wir sollten aber nicht nur darüber diskutieren, was eine Patientenverfügung für den Einzelnen bedeutet. Wir müssen vielmehr auch darüber diskutieren, was Patientenverfügungen für die Gesellschaft bedeuten. Viele Menschen haben - das wurde vorhin angesprochen - nicht unberechtigte Angst vor den Zuständen in den Pflegeheimen sowie vor würdeloser und endloser Behandlung. Sie fürchten sich vor einer Magensonde. Es ist immer wieder zu hören: Ich will auf keinen Fall eine Magensonde. - Vor diesem Hintergrund müssen wir uns fragen: Werden die Patientenverfügungen zu einem ?leichten Ausweg“ aus der Pflegemisere? Wird der Kostendruck die Umsetzung von Patientenverfügungen beschleunigen? Wird der gesellschaftliche Druck, anderen nicht zur Last fallen zu wollen oder zu müssen, zunehmen? Egal was wir tun, welche Variante wir bevorzugen, wir werden prüfen müssen, welche Auswirkungen die von uns beschlossenen Gesetze auf die Situation in der Pflege und den Umgang mit Pflegebedürftigen haben. Ich meine, das haben wir noch nicht zu Ende gedacht. Das müssen wir aber tun. Einig sollten wir uns aber zumindest in einem Punkt sein: Wenn es wirklich stimmt, dass einige Pflegeheime die Aufnahme davon abhängig machen, dass man eine Patientenverfügung abschließt, in der bestimmte kostenträchtige Maßnahmen ausgeschlossen sind, dann sollten wir alle gemeinsam darauf hinwirken, dass das verboten wird.
Wenn jemand sagt: ?Ich will so nicht sterben“, dann sollten wir das akzeptieren und dem Tod nichts in den Weg stellen. Ich glaube, das ist ein Unterschied. Wenn jemand sagt: ?Ich will so nicht leben“, dann steht der Tod noch nicht vor der Tür; das ist etwas anderes. Dann hat die Gesellschaft die Pflicht, die richtige Lösung für seine Verzweiflung anzubieten. Vor vier Jahren habe ich gefragt, wer denn außer mir die Entscheidung in einer Krankheitssituation treffen soll. Heute weiß ich die Antwort: Ich.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Hans Georg Faust für die Fraktion der CDU/CSU.
Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot. Nach diesem Leitsatz handeln Ärzte seit der Antike. Der Wille des Patienten ist oberstes Gesetz, sagen uns Ärzten die Juristen in einer modernen Gesellschaft. Gut, wenn beides Hand in Hand geht, wie es die Berufsordnung der Ärzte vorgibt. Dafür ist aber, auch wenn es vielstimmig gefordert wird, nach meiner festen Überzeugung eine umfassende, neue gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung nicht notwendig.
Die Patientenverfügung war schon bisher Richtschnur ärztlichen Handelns. Sie soll jetzt zum gesetzlichen Gebot erhoben werden. Auch den Befürwortern einer mehr oder weniger weitgehenden Bindungswirkung für das ärztliche Handeln ist dabei klar, dass es sich eben nicht um einen vollwertigen Ersatz einer aktuellen freien Willensäußerung des Patienten handelt. Wie anders wären die Diskussionen über eine Reichweitenbegrenzung zu verstehen? Wie anders wären die Diskussionen darüber zu erklären, dass Vorschläge zur Form der Patientenverfügung, zur Aktualisierung und insbesondere zur Interpretation von Befundkonstellationen gemacht werden? Das ist eine der entscheidenden Fragen: Stimmt die Krankheitssituation mit dem überein, was der Patient in seiner Patientenverfügung vorgesehen hat und für das er ein Behandlungsgebot oder ein Behandlungsverbot festgelegt hat?
Der Arzt, der auf der einen Seite dem Leben verpflichtet ist, der die Gesundheit schützt und wiederherstellen will, der auf der anderen Seite Leiden lindert und den Sterbenden bis zum Tod begleitet, fragt sich, ob mit den zur Diskussion stehenden Änderungen Rechtsklarheit geschaffen wird. Er fragt sich, ob nicht bestenfalls die Abläufe nur komplizierter werden, schlimmstenfalls er aber als Arzt in Gewissensnot kommen kann, wenn objektiv unvernünftige, dem Wohl des Patienten zuwiderlaufende Anweisungen aus der Patientenverfügung umgesetzt werden müssen.
Die Probleme liegen doch nicht auf der Intensivstation, wo die Menschen, wie man so häufig sagt, ?an Schläuchen hängen“. Dieses Wortbild ist die Sicht des Außenstehenden, es ist nicht die Sicht des Patienten auf der Intensivstation. Ich habe in über 30 Jahren intensivmedizinischer Erfahrung in den seltensten Fällen Probleme gehabt, die sich mit den jetzt angedachten Neuregelungen zur Patientenverfügung hätten besser lösen lassen. Nein, meine Damen und Herren - Herr Röspel hat es angesprochen -, es geht darum, dass in deutschen Pflegeheimen bei nicht vom Tode bedrohten Patienten mit oder ohne Demenz zur Erleichterung der Nahrungsaufnahme Magensonden - sogenannte PEG-Sonden - in großem Umfang gelegt werden und damit eine Lebensentwicklung über Jahre hinweg vorprogrammiert wird, in die dann alle anderen Maßnahmen zur Lebensverlängerung zwangsläufig einmünden. Hier liegt aus meiner Sicht das Problem, und hierüber sollten wir uns Gedanken machen.
Nach meiner Auffassung soll der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille eines Patienten wie bisher grundsätzlich verbindlich bleiben. Dennoch entstehen Behandlungssituationen, die wichtige Fragen zu dem in der Patientenverfügung genannten Willen offenlassen. Hier ist es sehr hilfreich, wenn von dem Patienten eine Vorsorgevollmacht ausgestellt wurde und man die darin genannte Vertrauensperson zurate ziehen kann. Im Übrigen ist es selbstverständlich, dass die Angehörigen, die man als Arzt immer umfassend informiert und einbezieht, zur Interpretation des Willens beitragen. Am Ende steht dann nach meiner Erfahrung in den allermeisten Fällen eine für alle Beteiligten mit ruhigem Gewissen zu tragende Entscheidung über Behandlung oder Behandlungsabbruch, die der Sorge um das Wohl des Patienten Rechnung trägt und seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Dem steht nicht entgegen, dass wir als Parlament für auch in Zukunft auftretende Konfliktfälle die Rolle des Vormundschaftsgerichtes weiter präzisieren und klarstellen.
Das Wohl des Patienten und sein Wille sind in der Regel keine Gegensätze. Das Bild vom Arzt als Verfechter einer seelenlosen Apparatemedizin, der um jeden Preis menschliches Leben verlängern will, und das Bild vom Juristen, der ihm mit Vorschriften und Gesetzen bewaffnet in den Arm fallen muss: Beide sind falsch. Noch haben Patienten, Ärzte und Angehörige eine Vertrauensbeziehung, in der die bisherige Patientenverfügung und weitere behutsame gesetzliche Regelungen entscheidende Hilfen für Lebensentscheidungen sein können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Detlef Parr (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hat es sich nicht leicht gemacht. Über Jahre haben wir in Enquete-Kommissionen, in denen ich für die FDP mitarbeiten durfte, über Möglichkeiten und Grenzen der Autonomie am Lebensende nachgedacht. Wir müssen bald den Mut zur Entscheidung haben.
Mitmenschlichkeit ist gefragt, Vertrauen und Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. So viel bei der geltenden Rechtslage möglich ist, so wenig Rechtssicherheit ist für alle Beteiligten gegeben, im Krankenhaus, aber mehr noch bei der ambulanten und stationären Pflege. Das müssen wir ändern, zum Beispiel durch mehr Beratung und Schulung von Ärztinnen und Ärzten, Heimleitung und Pflegekräften sowie durch mehr Wissensvermittlung über Palliativmedizin und Hospizbetreuung.
Unsere Diskussion ist eingebettet in eine immer sprachloser werdende Gesellschaft. Manche Eltern und Kinder finden über Gespräche nicht nahe genug zueinander. Manche reden viel, aber zu wenig miteinander. Dabei werden gerade die Probleme des Alters verdrängt und die Unausweichlichkeit des Sterbens ausgeblendet. Das beste gegenseitige Verständnis und die höchste Entscheidungssicherheit bringen aber Gespräch und Beratung mit dem Ziel einer umfassenden Vorsorge, zum einen in der Familie, zum anderen auch mit dem Geistlichen oder aber auf eigene Initiative auch mit dem Arzt. Durch unsere hochtechnisierte Medizin werden wir immer mehr Zeit für Kommunikation brauchen und auch die Bereitschaft - nicht nur des Arztes -, uns diesen elementaren Fragen zu stellen. Eine Patientenverfügung muss also mehr sein als das Ausfüllen eines Formulares im stillen Kämmerlein.
Sie sollte im Ergebnis eine Übereinkunft sich nahestehender Menschen sein, die einander ohne Wenn und Aber vertrauen und sich aufeinander verlassen können. Diese Verlässlichkeit muss auch der Staat garantieren. Dabei ist es eine Illusion, einen Ausgleich zwischen dem Grundrecht auf Selbstbestimmung und dem Grundrecht auf Lebensschutz finden zu können. Wer einer Reichweitenbegrenzung das Wort redet, sorgt eben für diese Verlässlichkeit nicht.
Wir leben in einer freien Gesellschaft. Wir müssen den Vorrang der Selbstbestimmung respektieren. Ich stimme dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor Hoppe, ausdrücklich zu: Eine Lebensverlängerung um jeden Preis ist abzulehnen. Natürlich wollen wir kein Gesetz, das bei den Ärzten einen Automatismus in Gang setzt, jeder Verfügung uneingeschränkt Folge leisten zu müssen. Ein Konsilium, in dem vor einer Entscheidung über den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen Angehörige und Pflegekräfte bei Nichtvorliegen einer Patientenverfügung gehört werden, ist die richtige Grundlage für einen Dialog, der unverzichtbar ist.
Ich wünschte mir, dass ich keine Patientenverfügung brauchte. Ich wünschte mir, wenn ich nicht mehr selber entscheiden kann, Menschen um mich zu haben, die nach bestem Wissen und Gewissen für meine Belange eintreten. Wenn dies aber nicht möglich ist und keine Vertrauensperson meine Wünsche vertreten kann, soll mein erklärter Wille auf eindeutiger, rechtssicherer Grundlage nicht nur ernst genommen, sondern auch umgesetzt werden. Ich möchte nicht zum Spielball ideologischer, religiöser oder moralischer Wertvorstellungen anderer werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat der Kollege Dr. Ilja Seifert, Fraktion Die Linke, das Wort.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte hier wird so geführt, dass man manchmal das Gefühl hat, als ob die freie Selbstbestimmung von staatlicher Bevormundung bedroht sei. Ich sehe diesen Konflikt eigentlich nicht. Wir haben die Situation in diesem Lande, dass Zehntausende von Menschen gegen ihren Willen in Pflegeheimen mit Magensonden und ähnlichen ?pflegeerleichternden Maßnahmen“ versorgt werden. Was sie nicht wollen, was sie nicht brauchen und was auch nicht gut ist. Wir tun hier so, als ob eine Patientenverfügung, mit der jemand entscheidet, dass er nicht an Schläuchen oder Drähten liegen will, am Lebensende die Rechtssicherheit schaffen würde, die man brauchte. Ich glaube dieses Märchen nicht. Je länger ich der Diskussion hier zuhöre, desto eher tendiere ich dazu, lieber keine Regelung zu treffen als eine schlechte. Ich bin also einer von denjenigen, die noch nicht entschieden haben, wie sie am Ende abstimmen werden, wenn hier entsprechende Anträge vorliegen.
Ich möchte ausdrücklich hinzufügen, dass ich Herrn Kollegen Montag sehr dankbar dafür bin, dass er die geschichtliche Dimension eingebracht hat. Ich kann es mir jetzt sparen, das zu wiederholen. Wir leben nun einmal mit der Geschichte der Euthanasie. Wir können nicht so tun, als ob es sie nicht gäbe. So schlimm es ist und so heftig alle beteuern, dass es nie wieder so sein wird, wissen wir doch: Die Gefahr, dass so etwas wiederkommt und eines Tages wieder welche kommen und sagen: ?Wir tun doch nur das Beste für euch, wenn wir euch umbringen“, ist nicht von der Hand zu weisen.
- Das ist ein hartes Wort, ich weiß. Ich sage es auch gar nicht gern.
Ich bin nun einmal sehr tief in der Behindertenbewegung verwurzelt. Es ist kein Zufall, dass der Verband, dessen Gründungspräsident ich war, schon in seinem Namen die Worte ?Selbstbestimmung und Würde“ trägt. Ich halte diese Begriffe sehr hoch. Selbstbestimmung aber so hehr darzustellen, als wäre sie ein unumstößliches Faktum, vor allen Dingen so, als würde sie wirklich jeden Tag praktiziert, ist mit dem realen Leben doch nicht vereinbar. Wir erleben jeden Tag etwas anderes.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr halte ich es in diesem Punkte mit einem Satz unserer ehemaligen Kollegin Margot von Renesse, die in der 14. Wahlperiode Vorsitzende der Enquete-Kommission ?Recht und Ethik der modernen Medizin“ war. Mit Frau von Renesse stimmte ich in vielen Punkten nicht überein. Aber: Sie sagte immer wieder, insbesondere in den Pausen: Das Arzt/Patient-Verhältnis lässt sich nicht verrechtlichen; es beruht am Ende auf Vertrauen oder auf Nichtvertrauen; wenn wir es nicht zustande bringen, dass zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient ein Vertrauensverhältnis besteht, dann nützen alle rechtlichen Zusagen nichts, weil das Verhältnis zwischen beiden Parteien eben nicht gleichberechtigt ist. Das kann es auch überhaupt nicht sein, weil der Patient gar nicht das Wissen des Arztes hat.
Ich bin ein sehr großer Verfechter des Informed Consent; das ist gar keine Frage. Ob aber ein Patient wirklich kluge Entscheidungen fällen kann, hängt von vielem ab, unter anderem von der Vorbildung, aber auch davon, wie viele Schmerzen - sie beeinträchtigen unter Umständen die Wahrnehmung und die Entscheidungsfähigkeit - eine Krankheit bereitet.
Vielleicht brauchen wir weniger Patientenverfügungen als vielmehr eine gesetzliche Regelung des Arzt/Patient-Verhältnisses, durch die der Arzt nicht als jemand Paternalistisches, nicht als ein allwissender Gott in Weiß dargestellt wird, aber auch nicht als ein Bösewicht, gegen den man nur mit seinem Rechtsanwalt ankommt.
Ich hatte im vergangenen Monat das zweifelhafte Vergnügen, eine Weile im Krankenhaus zu sein. In den 14 Tagen, die ich dort war, wurde mir von Ärzten oder auch vom Pflegepersonal ungefähr 17-mal gesagt: Dieses und jenes müssen wir aus rechtlichen Gründen so und so machen. Ich weiß nicht, wie viele Papiere ich unterschreiben musste, um diesem oder jenem zuzustimmen.
Es ist ja schon jetzt fast so, dass die Ärztin ihrerseits oder der Arzt seinerseits mit dem Rechtsanwalt drohen muss und dass der Patient seinerseits mit seinem Rechtsanwalt drohen muss, bevor entschieden werden kann, ob eine Spritze gegeben werden darf oder nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns lieber das vernünftig regeln als eine Situation, die in der Wirklichkeit immer anders ist als antizipiert.
Eine Vorsorgevollmacht - das heißt unter anderem, man legt fest, zu wem man Vertrauen hat - ist eine einfache Sache. Mit dem anderen richten wir aber womöglich mehr Schaden an, als wir Nutzen stiften.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Loske, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, dem wir uns alle nur sehr zögerlich nähern wollen, vor dem wir uns auch allzu gerne drücken: Wir sprechen über das Sterben, vor allem über das Sterben unter schwierigen Bedingungen.
Wir sind unser ganzes Leben lang auf andere Menschen angewiesen, die uns wohlgesonnen sind. Angewiesen sind wir auf sie aber nie so sehr wie am Beginn und am Ende des Lebens. In diesen Phasen sind wir noch nicht oder nicht mehr das, was man heute gemeinhin als ?vollautonom“ bezeichnet.
Sofern wir uns mit diesem Thema überhaupt beschäftigen, haben wir eine Idealvorstellung, wie es sein sollte, wenn wir selber einmal sterben: möglichst nach einem langen, prallen Leben, mit kurzer Leidenszeit, möglichst bei vollem Bewusstsein und im Kreise unserer Liebsten. Viele wünschen sich auch religiöse Rituale. Das wurde ehedem als Ars Moriendi, als Kunst des Sterbens, beschrieben. Vielleicht ist es auch so, dass wir als moderne Gesellschaft diese Kunst oder - sagen wir besser: - Kultur ein wenig verlernt haben und dass es durchaus an der Zeit ist, sie wieder zu entdecken.
Aber wir alle wissen, dass es so, wie wir es uns wünschen, leider, muss man sagen, oft nicht geschieht. Trotz und wegen des technischen Fortschritts in der Medizin sind die Fragen zum Lebensende komplizierter geworden. Es wimmelt gewissermaßen nur so von Ambivalenzen aller Art. Einerseits genießen wir natürlich die Errungenschaften der medizinischen Kunst, die uns länger leben lassen, andererseits graut uns aber bei der Vorstellung, wir endeten gegen unseren Willen an Schläuchen und Maschinen, die uns nicht sterben lassen, obwohl wir es doch wollen. Auch von selbstherrlichen Ärzten - das wurde gerade schon gesagt - ist gelegentlich die Rede.
In diese Ambivalenz fällt auch die Debatte, die wir heute führen. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh darüber, dass sie nicht nach dem Muster verläuft: hier der Lebensschutz, da die Selbstbestimmung. Das wäre eine völlig falsche Polarisierung; denn natürlich haben beide Rechtsgüter, die Selbstbestimmung und der staatlich garantierte Lebensschutz, bei uns einen sehr hohen Rang, und zwar zu Recht.
Die Frage, vor der wir jetzt stehen, lautet: Brauchen wir eine explizite gesetzliche Regelung über die rechtliche Bindungswirkung von Patientenverfügungen? Dabei rankt sich der Streit in ganz besonderer Weise um die Frage der Reichweite der Patientenverfügung: Soll sie unter allen Umständen gelten, oder soll es Fälle geben, in denen von ihr abgewichen werden kann, wenn nämlich eine Differenz zwischen dem in der Patientenverfügung ehemals geäußerten Willen und dem aktuellen Willen vermutet wird?
Ich glaube nicht, dass das die entscheidenden Fragen sind. Ähnlich wie mein Vorredner bin auch ich von der Notwendigkeit einer rechtlichen Regelung noch nicht überzeugt. Ich sehe nicht, dass nur zwei Vorschläge im Korb sind, nämlich der von Stünker et al. und der von Bosbach et al. Wir müssen ernsthaft auch eine dritte Variante in unsere Überlegungen einbeziehen, nämlich die, die Patientenverfügung bis auf Verfahrensfragen nicht rechtlich zu normieren und stattdessen alles dafür zu tun, dass die Informationslage verbessert wird und vor allem dass die Kommunikation zwischen allen Beteiligten, die einen Menschen beim Sterben begleiten und seinem vorab verfügten Willen entsprechen wollen, verbessert wird.
Das sind die Angehörigen und, sofern vorhanden, Vorsorgebevollmächtigten auf der einen Seite und die Betreuer, Pfleger und Ärzte auf der anderen Seite.
Auf diesen Zusammenhang hat Oliver Tolmein, Hamburger Rechtsanwalt, in seinem wirklich sehr lesenswerten Buch mit dem schönen Titel ?Keiner stirbt für sich allein“ zu Recht hingewiesen. Seine These lautet in etwa so: In der letzten Lebensphase sind nicht Rechtsfragen entscheidend, sondern eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten. - Das scheint mir plausibel zu sein.
Ich muss mich ein bisschen sputen, damit ich mit meiner Zeit auskomme. - Wir haben in den letzten Tagen zahlreiche Positionspapiere erhalten. In allen Positionspapieren, so unterschiedlich sie auch sind, wird betont, dass eine verbesserte palliativmedizinische Versorgung und eine verbesserte Hospizversorgung essenziell für humanes Sterben in diesem Land sind. Das will ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen. Wir sollten alle diejenigen, die in diesem Bereich ehrenamtlich arbeiten, ermutigen, ihnen helfen und gleichzeitig die Krankenkassen zu mehr Kooperation auffordern. Das scheint mir sehr wichtig zu sein.
Zur Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung von Patientenverfügungen haben wir aus der Gesellschaft allerdings keine einheitlichen Antworten bekommen. Die Hospizstiftung ist für eine gesetzliche Regelung. Die Behindertenverbände und die Bundesärztekammer halten eine solche nicht für erforderlich und sind dagegen. Ich habe diese Positionspapiere bzw. die Handreichung der Bundesärztekammer sehr intensiv studiert. Ganz unabhängig davon, welcher Position man zuneigt, kann man ohne Weiteres sagen: Wenn das, was die Bundesärztekammer in Bezug auf Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen vorgestern vorgelegt hat, in den Krankenhäusern und Pflegeheimen zum Standard würde, dann wären wir schon einen großen Schritt vorangekommen.
Zu den Anträgen will ich mich im Detail nicht äußern. Nur so viel: Meine Vorbehalte gegenüber dem Antrag Stünker et al. beziehen sich vor allem darauf, dass das ein sehr individualistisches Konzept ist und nach meinem Empfinden eine gewisse Rationalisierung des Sterbeprozesses bedeutet. Die Beteiligten in diesem Prozess werden zu wenig berücksichtigt. Die Reichweitenbeschränkung im Antrag Bosbach et al. ist ethisch gut gemeint, aber juristisch, glaube ich, schwierig und nicht handhabbar; sie wirft mehr Rechtsprobleme auf, als sie löst.
Auch den Vorschlag zur Behandlung von Wachkomapatienten halte ich für sehr problematisch, weil hier eine Stufung in der Wertigkeit von Leben vorgenommen wird, die wir bis jetzt nicht gehabt haben.
Da könnte ich - muss ich sagen - auf keinen Fall mitgehen.
Bei diesem ernsten Thema darf man natürlich keine Witze machen. Aber eine Sache will ich Ihnen zum Schluss doch nicht vorenthalten, weil uns das, glaube ich, doch zeigt, was uns hier verbindet und wo wir nicht hinwollen. Vor wenigen Tagen war im ?Spiegel“ in einem Artikel unter der Überschrift ?Medizinethik - Computer errät Patientenwillen“ nachzulesen:
Forscher der National Institutes of Health in den USA haben ein Computerprogramm entwickelt, das den mutmaßlichen Patientenwillen angeblich genauso gut ermitteln kann wie die nächsten Angehörigen. Beide lagen in verschiedenen Tests mit fiktiven medizinischen Fällen ... in etwa 78 Prozent der Fälle richtig.
Bei den 22 Prozent will man nicht sein. Aber man kann ganz sicher auch sagen: Das ist eine Entwicklung, die wir alle nicht wollen, und das eint uns.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen, um die es heute geht, wühlen auf. Wenn wir ehrlich sind, wühlen sie nicht nur die Menschen auf, mit denen wir reden - darüber ist heute viel berichtet worden -, sondern jeden von uns. Das ist auch sehr begreiflich; denn Sterben oder Leiden anzunehmen, ist extrem schwer, wenn es überhaupt möglich ist.
Ich glaube, deswegen ist es vernünftig, dass wir miteinander reden - wenn es irgendwie geht -, ohne dass der eine oder andere meint, er hätte in dieser oder jener Form immer Recht. Es gibt Annäherungen, die wir als Gesetzgeber sehen müssen und die wir berücksichtigen müssen, wenn wir überhaupt Gesetze machen.
Frage Nummer eins ist ja: Wie ist es denn eigentlich mit der Selbstbestimmung des Menschen? Da ist heute und in der Zukunft völlig klar: Wenn ich klaren Kopfes bestimme, was mit mir sein soll, wenn ich also eine medizinische Behandlung nicht will, dann ist dies völlig eindeutig. Das kann unvernünftig sein. Aber wenn ich informiert und aufgeklärt bin, dann ist das völlig eindeutig. Heute gilt im Prinzip auch das - wenn ich es selber nicht mehr sagen kann -, was ich niederschreibe. Das heißt, wir können heute nicht so tun, als gäbe es keine Patientenverfügungen bzw. als seien sie nicht rechtsverbindlich, wenn sie den Willen des Patienten, des Leidenden oder Sterbenden deutlich machen. Das gilt heute.
Wir haben auch die Vorsorgevollmacht, die ebenfalls, und zwar in der Kommunikation mit Ärzten, Angehörigen und Betreuern, Gott sei Dank - das will ich jetzt einmal mit großem Dank an die Beteiligten sagen - in den allermeisten Fällen hilft.
Dies haben wir. Das Problem sind, glaube ich, andere Bereiche. Das Problem ist, dass wir unglaublich viel Unsicherheit darüber haben, was heute eigentlich gilt. Diese Unsicherheit muss behoben werden. Diese Unsicherheit muss bei den Beteiligten, bei den Ärzten, bei den Angehörigen, in den Kliniken und beim Pflegepersonal behoben werden. Dazu ist - das will ich auch noch einmal unterstreichen - das Entscheidende, dass wir Informationen haben, dass wir Handreichungen, Klarstellungen und Empfehlungen in allen Bereichen geben. Das brauchen wir mit einer ebenso großen Klarheit und Deutlichkeit wie eine flächendeckende hospizliche Versorgung. Auch das ist erwähnt worden. Ich will das nur noch einmal im Namen der etwa 150 000 Frauen und Männer, die sich auf diesem Gebiet engagieren, hervorheben.
Jetzt stellt sich aber die Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Brauchen wir eigentlich eine neue gesetzliche Regelung? Ich bin der Auffassung: Wir brauchen sie eigentlich nicht. Wir brauchen sie zwar - da hat Herr Zöller Recht -, weil die technische Veränderung hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit erforderlich ist. Aber ich neige sehr stark dazu, dem zu folgen, was die Ärzte dazu sagen oder was ich als Schirmherrin der Hospizbewegung höre, weil die neuen gesetzlichen Regelungen die Probleme, die es heute in der Praxis aufgrund der Unsicherheit gibt, möglicherweise gar nicht lösen können und weil wir durch eine gesetzliche Regelung möglicherweise nur die Illusion verstärken würden, die praktischen Probleme würden gelöst.
Vor dieser Illusion sollten wir uns hüten. Deswegen lassen Sie mich sozusagen - wir Juristen sagen immer: - höchst vorsorglich Folgendes fragen: Was müssen wir denn eigentlich bedenken, wenn wir ein Gesetz machen? Wenn wir ein Gesetz machen, müssen wir bedenken, dass eine schriftliche Patientenverfügung im eintretenden Fall durchaus von dem aktuellen Willen abweichen kann, der immer vorgehen muss; denn die Patientenverfügung rechtfertigt sich nur dadurch, dass sie den Willen des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung deutlich machen soll.
Das bedeutet - das hätte ich jetzt gern dem Kollegen Scholz gesagt, wenn er noch da wäre -, dass es keine gesetzgeberische Arroganz ist, wenn wir feststellen, dass wir diese Unterschiede berücksichtigen müssen. Es ist eine Lehre aus der Erfahrung von Ärzten oder, wie wir gerade vom Kollegen Winkler gehört haben, von Sterbebegleitern - das begegnet auch mir ständig -, dass wir prüfen müssen, und zwar in jedem Fall, ob eine Kongruenz, eine Übereinstimmung besteht.
Diese Prüfung und Bewertung in jedem Fall - das bitte ich zu bedenken, lieber Kollege Stünker - liegt immer in der Hand eines Dritten: der Angehörigen, der Ärzte, der Betreuer. Deswegen ist Kommunikation notwendig, und deswegen darf man nicht die Illusion verbreiten, die Patientenverfügung könne dieses Problem lösen; denn das kann sie nicht.
Jetzt stellt sich die Frage: Wie wirkt ein Gesetz, das das nicht berücksichtigt? Deswegen bitte ich, noch einmal zu überdenken, wie sich Ihre Formulierung auswirkt. Eine klare - sozusagen automatisch geltende - Gleichstellung dessen, was in einer Patientenverfügung niedergeschrieben worden ist, mit dem aktuellen Willen ist annäherungsweise am ehesten in den Fällen möglich, die Herr Bosbach und Herr Röspel so definiert haben, dass die Krankheit einen irreversibel tödlichen Verlauf nimmt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wille deckungsgleich ist, am größten. Dann kann Sterbenlassen unter der Formulierung auf jeden Fall so gesehen werden. Ich bin der Auffassung: Wenn ein Gesetz, dann ist seine Idee eines Gesetzes richtiger; es vermeidet große Fehler.
Ich will Ihnen als Letztes sagen, welche Sorge ich habe, wenn wir ein Gesetz machen, das falsche Gleichsetzungen automatisiert. Sorge Nummer eins ist, dass die praktischen Probleme nicht gelöst werden und die Menschen Steine statt Brot haben. Davor sollten wir uns hüten, gerade im Hinblick auf Informationskampagnen und Handreichungen in der Öffentlichkeit. Die zweite Sorge angesichts eines Automatismus bei einer falschen Gleichsetzung bezieht sich nicht auf aktuellen Missbrauch oder gar auf den bösen Willen des einen oder anderen Kollegen hier bzw. der Ärzteschaft oder der Pfleger, sondern darauf, dass die Auswirkung eines solchen Gesetzes sein kann, dass in Zweifelsfällen eben nicht für das Leben entschieden wird, sondern in der Richtung, dass Alte, Schwerstkranke, Leidende oder Sterbende nicht optimal betreut und versorgt werden.
Das ist meine Sorge. Deshalb ist die Tatsache, dass wir uns, wenn wir denn ein Gesetz machen, mit einer Gesetzesformulierung unglaublich viel Mühe geben, gerechtfertigt.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.
Thomas Rachel (CDU/CSU):
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Alten Testament, der hebräischen Bibel, dem gemeinsamen Buch von Juden und Christen, steht beim Prediger Salomo, bei Kohelet:
Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit.
Für uns Christen liegen Leben und Sterben in Gottes Hand. Wir wissen und spüren, dass im Versuch einer gesetzlichen Regelung immer auch ein Stück Hilflosigkeit liegt. Denn ein Mensch ist letztlich immer hilflos, wenn es um seinen Tod geht. In der letzten Lebensphase haben unsere Wünsche ein besonderes Gewicht. In diesem Moment wird die Patientenverfügung wichtig. Sie dient der Achtung der Menschenwürde, indem sie ein Instrument bereitstellt, mit dem wir unsere Selbstbestimmung auch dann zur Geltung bringen können, wenn wir zu einer bewussten Willensäußerung nicht mehr in der Lage sind.
Die Wertschätzung der Patientenverfügung wird auch dadurch deutlich, dass die beiden Kirchen seit über sieben Jahren ein eigenes Patientenverfügungsformular mit einer Handreichung anbieten und davon bereits mehr als 1,5 Millionen Exemplare abgegeben haben. Patienten, Angehörige, Ärzte und Betreuer sind verunsichert. Sie brauchen aber mehr Rechtssicherheit bei den Entscheidungen am Lebensende. Deshalb sollte die Verbindlichkeit und Stellung der Patientenverfügung gestärkt werden, indem sie gesetzlich geregelt wird.
Aber kann man alles Denkbare in einer solchen Verfügung festlegen? Befürworter einer unbeschränkten Patientenverfügung führen meistens an, es könne nicht sein, dass jemand gegen seinen Willen einer medizinischen Maßnahme unterzogen wird. Das ist richtig. Aber gilt dieser Satz auch für die Patientenverfügung? Müssten wir den Satz nicht anders formulieren: Niemand darf gegen seinen früheren Willen behandelt werden? Damit sind wir mitten im Problem. Es geht um eine Entscheidung für die Zukunft.
Es ist möglich, dass sich das Empfinden und die Maßstäbe, an denen Freud und Leid gemessen werden, und auch die Wertvorstellungen des Patienten in der Zwischenzeit grundlegend ändern. Dies zeigen auch die Erfahrungen von Ärzten, wenn sie interveniert haben. Manche Patienten sind froh gewesen, dass ihre Patientenverfügung nicht befolgt wurde.
Ein Leben, das mit erheblichen Einschränkungen verbunden ist, schätzen gesunde Menschen vielfach geringer ein als davon betroffene Menschen. Wir müssen den Unterschied zwischen vorausverfügtem Willen und aktuellem Willen beachten. Je gravierender die Folgen eines Behandlungsverzichts sind, desto mehr Vorsicht ist geboten. Wir müssen versuchen, Selbstbestimmung des Patienten und Fürsorge für ihn in einen schonenden Ausgleich zu bringen.
Der Lösungsweg, der maßgeblich von Wolfgang Bosbach initiiert wurde und der die Fälle unumkehrbar tödlicher Krankheitsverläufe oder irreversiblen Bewusstseinsverlustes umfasst, ist ein guter und gangbarer Weg. Denn gerade bei den unumkehrbar tödlichen Krankheitsverläufen ist die Trennlinie klar: Es geht deutlich erkennbar um das Sterbenlassen.
Wenn von anderer Seite die unbegrenzte Möglichkeit zum Abbruch lebenserhaltender Behandlungen angestrebt wird, dann geht es dort um Lebensbeendigung von Erkrankten, die an dieser Erkrankung aber nicht sterben müssten. Genau hier liegt der entscheidende Unterschied.
Aber auch für Situationen, in denen Betroffene ohne Bewusstsein sind und nach ärztlicher Überzeugung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein niemals wiedererlangen werden, muss es möglich sein, in einer Patientenverfügung das Unterlassen einer Behandlung festzulegen.
In einer aussichtslosen Situation, zum Beispiel im Fall eines langfristig stabilen Wachkomas, sollte der staatliche Lebensschutz hinter den erklärten Willen des Betroffenen zurücktreten, wenn dies in der Patientenverfügung ausdrücklich verlangt wurde. Meines Erachtens kann der Staat einen Patienten nicht zwingen, über Jahre in schwerstem Wachkoma zu bleiben, wenn der Patient in einer Patientenverfügung ausdrücklich und klar medizinische Maßnahmen abgelehnt hat.
Auch das grundlegende Papier der Evangelischen Kirche in Deutschland geht genau diesen Weg, indem es besagt, dass wir zum Besten des Patienten handeln müssen, was einschließt, dass man seine Sicht und seinen Willen soweit wie möglich achtet. In diesen schwierigen Fällen darf das Unterlassen einer lebenserhaltenden Maßnahme aber nicht auf einen mutmaßlichen Willen, sondern nur auf eine konkrete Patientenverfügung gestützt werden. Außerdem sollte das Vormundschaftsgericht auf jeden Fall einbezogen werden.
Eine Basisversorgung sollte in allen Fällen durchgeführt werden. Dazu zählt beispielsweise das Stillen des Gefühls von Durst und Hunger. Eine Magensonde wird jedoch oft als ein Eingriff in die eigene körperliche Integrität wahrgenommen. Der Patient muss deshalb die Möglichkeit haben, im Wege der Patientenverfügung auf eine künstliche Ernährung verzichten zu können.
Nach christlicher Überzeugung gilt, dass Gott allen Dingen ihre Zeit bestimmt. Der Mensch steht letztlich vor der Aufgabe, zu erkennen, wann was an der Zeit ist. Dazu kann eben die Erkenntnis gehören, dass auch dem Sterben seine Zeit gesetzt ist, es also darauf ankommt, den Tod zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr entgegenzusetzen. Es gibt also keine Pflicht zur Leidensverlängerung um jeden Preis. Wir sollten uns also um eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung, den Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung und der Hospizdienste kümmern und uns gemeinsam bemühen, die Bedürfnisse der Ältesten und Schwerstkranken wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Carola Reimann, SPD-Fraktion.
Dr. Carola Reimann (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der medizinisch-technische Fortschritt hat dazu geführt, dass Leben in einem wesentlich größeren Umfang als früher gerettet und auch verlängert werden kann.
Wie so häufig hat eine im Grunde positive und erfreuliche Entwicklung auch eine Kehrseite. Heute haben viele Menschen Angst vor Schmerzen und vor Leiden am Lebensende. Die Vorstellung, nicht mehr äußerungsfähig zu sein und somit nicht selbst über medizinische Maßnahmen entscheiden zu können, ist für viele beängstigend.
Genau hier setzt die Patientenverfügung an, über deren gesetzliche Verankerung wir heute debattieren und für die ich mich ausdrücklich ausspreche. Denn ich glaube nicht, dass der bloße Aufruf zu mehr Kommunikation, zu mehr Information und zu mehr Kooperation ausreicht. Wir wollen mit der Patientenverfügung die Patientenautonomie stärken und eine selbstbestimmte Entscheidung am Lebensende ermöglichen. Wie viele andere Unterstützer des sogenannten Stünker-Entwurfs bin ich der Auffassung, dass die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen nicht davon abhängen darf, dass das Grundleiden irreversibel und trotz medizinischer Behandlung zum Tode führen wird.
Fragen wir uns doch einmal, warum Millionen von Menschen Patientenverfügungen verfassen. Das Abfassen einer Patientenverfügung, vor allem einer Ablehnungsverfügung - das sind die allermeisten -, ist in fast allen Fällen dadurch motiviert, dass jemand, auch wenn er nicht mehr äußerungsfähig ist, selbst über seine Weiterbehandlung bestimmen und dies eben nicht den Ärzten und damit dem überlassen will, was sie in dieser Situation für richtig halten.
Wenn man aber die Verbindlichkeit der Patientenäußerung auf Situationen begrenzt, in denen ich nicht äußerungsfähig bin und an einer irreversibel zum Tode führenden Grunderkrankung leide, lege ich diese Entscheidung doch wieder in die Hände von Dritten, in die Hände von Medizinern und Ärzten. Dies ist eine Entscheidung, mit der sich im Übrigen auch die Ärzte schwertun werden, zumal diese Beurteilung in vielen Fällen nicht eindeutig zu treffen ist und den Ärzten - das kommt hinzu - im Falle einer Fehleinschätzung Sanktionen drohen können.
Vor diesem Hintergrund ist abzusehen, dass Ärzte behandlungsablehnende Patientenverfügungen nicht beachten werden und der in der Verfügung festgehaltene Wille des Patienten letztlich unberücksichtigt bleibt.
Darüber hinaus vertrete ich die Auffassung, dass die Reichweitenbeschränkung - darauf haben die Juristen schon hingewiesen - das Recht jedes Einzelnen auf Selbstbestimmung zu stark beschneidet. Bei aller gebotenen und notwendigen Fürsorge des Staates darf der Gesetzgeber meiner Ansicht nach die Freiheit des Einzelnen, der ja für sich persönlich eine informierte Entscheidung trifft und eine solche auch treffen will - das alles ist freiwillig -, nicht in diesem Ausmaß begrenzen.
Wir erwarten, dass jeder, der eine Patientenverfügung abfasst, damit für sich eine individuelle, informierte und reflektierte Entscheidung trifft; auf die Problematik der Vorausverfügung ist heute Morgen schon hingewiesen worden. Deshalb bin ich dafür, dass eine Patientenverfügung ohne Einschränkung der Reichweite verbindlich ist, wenn bestimmte Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählen für mich neben der Schriftlichkeit die ärztliche Beratung und Information vor der Abfassung einer Patientenverfügung und eine regelmäßige Aktualisierung. Ich will sagen, warum. Die ärztliche Beratung dient dazu, über Krankheiten, denkbare Krankheitsverläufe, über medizinische Möglichkeiten und Behandlungsalternativen wirklich informiert zu sein. Mögliche Fehlvorstellungen, Fehleinschätzungen auch durch Unwissenheit und Ängste können so reduziert und die Folgen eines Behandlungsverzichts deutlich gemacht werden.
Mein Eindruck ist auch, dass viele, die schon heute Patientenverfügungen verfasst haben, im Vorfeld einer solchen Patientenverfügung das Gespräch mit ihrem Arzt gesucht haben. Auch die Aktualisierung der Patientenverfügung sollte mit einer erneuten Beratung einhergehen, damit die Verfasser einer Patientenverfügung - gegebenenfalls vor dem Hintergrund einer eigenen fortschreitenden Erkrankung - auf diese Weise regelmäßig über medizinisch-technische Fortschritte, neue Behandlungsmöglichkeiten und Entwicklungen in der Palliativmedizin informiert werden, die mit in die Entscheidung einfließen.
Durch die genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen wird meiner Ansicht nach sichergestellt, dass der Einzelne eine informierte und reflektierte Entscheidung trifft. Unter diesen Umständen ist eine uneingeschränkte Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen bei aller Fürsorgepflicht des Staates vertretbar. Ich finde es wichtig, dass jeder auf der Basis einer selbstgetroffenen und gut informierten Entscheidung ein menschenwürdiges und bis zuletzt selbstbestimmtes Leben führen kann. Die Koppelung der Reichweite und der Verbindlichkeit an diese Wirksamkeitsvoraussetzungen ist meiner Meinung nach der beste Weg, dieses Ziel zu erreichen und die Patientenautonomie auch am Lebensende zu stärken.
Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich eine Vorsorgevollmacht in Ergänzung zur Patientenverfügung für mehr als empfehlenswert halte; das ist heute schon mehrfach angeklungen.
Ich danke für das Zuhören.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Hubert Hüppe, CDU/CSU-Fraktion.
Hubert Hüppe (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je länger ich mich mit dem Thema Patientenverfügung auseinandersetze, umso unsicherer bin ich - das hat sich auch durch die heutigen Debattenbeiträge bestätigt -, ob es wirklich Sinn macht, zu diesem Thema ein Gesetz zu machen. Ich frage mich, ob es richtig ist, zu glauben, der Gesetzgeber könne alles regeln, bis in den Tod hinein. Ich glaube, wir übernehmen uns damit.
Inzwischen hört man auch von den Betroffenen, die an vorderster Front arbeiten - die Ärztekammer ist schon häufiger zitiert worden -, dass die Erwartungen, die an die Patientenverfügung geknüpft werden, viel zu hoch sind. Die Frage ist: Können Patientenverfügungen die Selbstbestimmung so absichern, wie sich das viele wünschen? Es ist etwas anderes, wenn ich einwilligungsfähig bin. Dann kommt der Arzt, erklärt mir die Diagnose und sagt, welche Behandlung im Vordergrund stehen wird. Er wägt mit mir die Chancen und Risiken ab. Gemeinsam werden wir berücksichtigen, welche Erfolgsaussichten bestehen. Wenn ein Arzt der inneren Medizin eine neurologische Erkrankung erkennt, dann wird er diese Entscheidung über die Behandlung nicht mit mir allein treffen, sondern einen Neurologen hinzuziehen.
All das kann man durch eine Patientenverfügung, die man möglicherweise Jahre zuvor verfasst hat, nicht abdecken. Selbst wenn man sich alle Mühe gibt, wenn man sich vorher ärztlichen Rat einholt, wird man nicht für jede mögliche Situation vorsorgen können. Deswegen muss man, denke ich, mit dem, was man sagt, sehr vorsichtig sein. Man könnte sonst nämlich den Eindruck erwecken, dass man die Selbstbestimmung durch eine Patientenverfügung wirklich durchsetzen kann und die Situation dadurch für diejenigen, die am Bett sitzen, einfacher wird.
Man muss einmal in Länder schauen, in denen es gesetzliche Regelungen zur Patientenverfügung bereits gibt. In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es seit ungefähr 16 Jahren eine Regelung zur Patientenverfügung. Überall, in jeder Einrichtung, in jedem Krankenhaus und in jeder Pflegeeinrichtung, wird dafür Werbung gemacht. Trotzdem haben dort nur 18 Prozent aller Menschen eine Patientenverfügung.
Interessant ist, dass die Patientenverfügung in sehr wenigen Fällen, in denen eine Entscheidung erforderlich ist, angewandt wird, weil die Patientenverfügung entweder gar nicht verfügbar ist, nicht aufgefunden wird, oder weil sie - das ist häufiger der Fall - gar nicht auf die Situation passt.
Herr Kollege Stünker, deswegen habe ich ein bisschen Angst vor der Regelung, die Sie vorschlagen. Sie betrifft nämlich auch die 97 Prozent der Fälle, in denen entweder keine Patientenverfügung vorliegt, oder eine, die nicht genau zu der Situation passt. Sie wollen eine Regelung für die Fälle schaffen - das sieht Ihr Entwurf, wenn er denn noch so steht, vor -, in denen keine Patientenverfügung vorliegt. Dann sollen zwei Personen, nämlich der behandelnde Arzt und der Betreuer - ich sage in Klammern: möglicherweise nur der Berufsbetreuer -, allein entscheiden, ob eine lebensnotwendige Maßnahme durchgeführt wird oder nicht. Das ist nicht Selbstbestimmung. Da entscheiden zwei andere.
- Es sei denn, Sie haben es geändert. Sie machen das ohne das Vormundschaftsgericht.
- Ich habe Ihren Vorschlag natürlich gelesen. Er enthält viel Gutes, in diesem Punkt halte ich ihn aber für gefährlich; Sie wollen das Vormundschaftsgericht nicht einbeziehen.
In diesem Zusammenhang muss ich sagen: Auf der einen Seite wollen Sie in § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches die Regelung beibehalten, dass man das Vormundschaftsgericht befragen muss, wenn es um einen Eingriff geht, der für den Menschen zwar lebensgefährlich ist, der sein Leben aber retten soll. Auf der anderen Seite soll das Vormundschaftsgericht aber nicht entscheiden, wenn eine Behandlung abgebrochen bzw. überhaupt nicht durchgeführt werden soll, was zwangsläufig den Tod nach sich ziehen würde. Das halte ich für falsch; diese Regelung sollten wir nicht treffen.
Zum Schluss möchte ich betonen - hier teile ich, was andere bereits gesagt haben -: Es trifft nicht hauptsächlich für Fälle auf der Intensivstation zu. Manchmal wird so getan, als ob Hunderttausende von Menschen auf der Intensivstation sterben. Das Problem liegt tatsächlich in den Pflegeheimen. Ich sage Ihnen: Wenn es wirklich so ist - ich will nicht die Pflegeheime als solche insgesamt desavouieren -, dass Menschen dort nur aus Zeitgründen eine Magensonde gelegt wird, weil das Geben der Nahrung zu viel Zeit beanspruchen würde, dann ist da bereits die Menschenwürde verletzt, dann müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diesen Zustand ändern.
Es wurde bemängelt, dass es eine Grauzone gibt. Aber ich glaube, als Abgeordnete müssen wir uns damit abfinden, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt.
Vielen Dank fürs Zuhören.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese, SPD-Fraktion.
Kerstin Griese (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns haben hier aus einem christlichen Selbstverständnis heraus gesprochen. Auch ich will das tun; ich spreche hier als evangelische Christin. Ich spreche auch als Kirchenbeauftragte meiner Fraktion. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich glaube, dass es niemanden gibt, der für sich in Anspruch nehmen kann, dass er oder sie allein eine christliche Position vertritt. Ich bin mir sicher: Auch die Christenmenschen in diesem Parlament werden sich am Ende für verschiedene Anträge entscheiden. Wir müssen uns gegenseitig darüber Auskunft geben, was unser Werthorizont ist und warum wir uns wie entscheiden.
Ich will mich in diesem Zusammenhang ganz herzlich bedanken. Gemeinsam mit der Kollegin Fischbach und den Kollegen Goldmann, Ramelow und Winkler hatten wir die evangelische und katholische Kirche zu einem fraktionsoffenen Nachmittag zum Thema Patientenverfügung eingeladen, der, glaube ich, für viele von uns erkenntnisreich war. Wir haben dort eine gute Form der Zusammenarbeit und der Diskussion gestartet.
Es ist schon erwähnt worden: Auch die Kirchen geben christliche Patientenverfügungen heraus, seit 1999 über 2,5 Millionen. Es gibt eine große Nachfrage. Die zweite Auflage wurde bezüglich der Reichweite erweitert, nämlich um zusätzliche Verfügungen für Situationen außerhalb der eigentlichen Sterbephase. Das heißt, das Bedürfnis danach ist anscheinend vorhanden und sehr groß.
Mir ist ganz wichtig, festzuhalten, dass wir uns darüber einig sein müssen, dass es niemals so etwas wie eine Pflicht zu einer Patientenverfügung geben darf. Niemals darf es so sein, dass ein Pflege- oder Altersheim verlangt, dass jemand, der dort aufgenommen wird, eine Patientenverfügung hat. Ich denke, das muss klar sein und dagegen müssen sich alle äußern.
- Aber es ist nicht anständig, wenn es gang und gäbe ist. Das darf nicht sein. Auch das muss man sagen dürfen.
- Es ist sogar rechtlich nicht zulässig.
Mein zweiter Punkt. Leben und Sterben haben ihre Zeit. Leben und Sterben liegen nach christlichem Selbstverständnis in Gottes Hand. Aber dennoch dürfen und müssen wir Menschen darüber nachdenken, wie wir sterben wollen. Deshalb ist die Hospizarbeit, die hier schon vielfach erwähnt wurde, so wichtig. Die Schriftstellerin Hilde Domin hat einmal vom ?kostbarsten Unterricht am Sterbebett“ gesprochen. Wenn wir diese Arbeit machen und wenn wir damit in Kontakt kommen, belehrt uns das über uns selbst. Ich bin froh, dass wir endlich begonnen haben, die Palliativmedizin und Hospizarbeit stärker zu unterstützen.
Wichtig ist mir: Wir leben nicht allein, wir sterben auch nicht allein. Zum Sterben gehören pflegende Angehörige, Freundinnen und Freunde, Ärztinnen und Ärzte, Seelsorgerinnen und Seelsorger. Ich glaube, wir sollten Selbstbestimmung und Fürsorge nicht gegeneinandersetzen. Das dürfen keine Gegensätze sein. Gerade am Ende des Lebens gehören Selbstbestimmung und Fürsorge zusammen. Krankheit, Sterben und Tod eines Menschen können nicht ohne seine soziale Einbettung, ohne die Fürsorge anderer Menschen verstanden werden.
Ich will die Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland zitieren, die unter dem Titel ?Sterben hat seine Zeit“ ein interessantes Papier vorgelegt hat. Dort heißt es:
Der Respekt vor der Selbstbestimmung der Patienten ist ... geradezu eine Implikation der Fürsorge.
Das heißt, Fürsorge und Selbstbestimmung gehören zusammen. Es gehört gerade zur Fürsorgepflicht der Ärzte, dass sie die Selbstbestimmung achten, dass sie Leben erhalten und Sterben nicht verlängern. Zum Leben gehört das Sterben. Patientenverfügungen sollen dazu beitragen, dass Ärzte diese Fürsorgepflicht wahrnehmen.
Ich glaube, dass wir in der Frage der Verbindlichkeit und Gültigkeit sehr eindeutige Regelungen für Patientenverfügungen brauchen. Ich glaube, man kann meinem Kollegen Stünker nicht unterstellen, dass er in seinem Entwurf einen Automatismus befürwortet. Selbstverständlich muss eine Patientenverfügung immer interpretiert werden. Es muss immer die Möglichkeit bestehen, dass auch mündliche Äußerungen, körperliche Regungen oder Zeichen eines Patienten in die Interpretation der Patientenverfügung einfließen. Brigitte Zypries hat das vorhin die ?Gesamtschau des Lebens“ genannt. Niemand wird sagen können, dass es einen absoluten Automatismus gibt.
Auch die, die sich für die Regelung einer Patientenverfügung aussprechen, werden, wie ich hoffe - zumindest ist das mein Eindruck aus dieser Diskussion -, sagen: Wir müssen darauf achten, wie und wo sie zutrifft.
Ich möchte noch einmal aus dem Papier der EKD zitieren:
Wenn ein urteilsfähiger Patient angesichts von schwerster Krankheit und Leiden Nahrung verweigert, verbietet es der Respekt vor dessen Selbstbestimmung, ihn in diesem Fall zwangsweise zu ernähren. Wenn wir aber in dieser Weise den Willen und die Selbstbestimmung des urteilsfähigen Patienten respektieren, muss dies prinzipiell auch für den Fall seiner Urteilsunfähigkeit gelten.
Das macht deutlich, dass Respekt vor dem Patienten und Fürsorge wichtig sind. Der aktuelle Wille hängt nun einmal sehr stark mit dem zusammen, was man vorher als Willen aufgeschrieben hat. Aber es kommen weitere Aspekte hinzu. Auch das muss ein verantwortlicher, fürsorglicher Arzt, ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer klären.
Ich will kurz auf die Bestimmung der Reichweite eingehen. Dieser Punkt, der der ethisch schwierigste Aspekt in dieser Debatte ist, macht mir persönlich - ich sage das ganz ehrlich - die meisten Probleme; da ich dieser Diskussion bereits seit 9 Uhr folge, kann ich sagen, dass sie eine der interessantesten ist, die wir je geführt haben.
Ich glaube, dass ich in eine Patientenverfügung schreiben würde, dass sie für tödlich verlaufende Krankheiten gelten soll. Aber ich kann nicht zu der Entscheidung kommen, das allen anderen Menschen so vorzuschreiben.
Hier müssen wir genau unterscheiden.
Ich habe auch ein Problem damit, dass Demenz und Wachkoma in einigen Diskussionen gleichgesetzt werden. Ich bin der Meinung, dass es einen großen Unterschied zwischen Demenz und Wachkoma gibt und dass man damit unterschiedlich umgehen sollte.
Mein letzter Punkt - ich spreche diesen Aspekt nur ganz kurz an, weil die Kolleginnen Reimann und Volkmer dazu bereits Vorschläge gemacht haben -: Ich glaube, wir brauchen unbedingt die Festlegung auf die Schriftform, die Pflicht zur Aktualisierung und die Möglichkeit der Beratung. All das ist notwendig, um deutlich zu machen, dass die Würde und der Wille der Schwerstkranken unsere obersten Prinzipien sind, damit bei der Abfassung einer Patientenverfügung nicht die Angst vor Fremdbestimmung oder Apparatemedizin die Feder führt. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens bis zum Ende, also bis zum Sterben, das zum Leben gehört, ist eine Aufgabe, die weit über die Patientenverfügung hinausreicht. Ich hoffe, dass wir auch bei anderen Themen, bei denen wir uns mit solchen Fragen beschäftigen müssen, gute Lösungen finden werden.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte, die wir nun schon seit fast drei Stunden führen, hat mich sehr nachdenklich gemacht, und ich denke, auch Sie. Es sind Aspekte und Akzentuierungen zur Sprache gekommen, die auch diejenigen, die in dieser Frage eine feste Meinung haben, doch noch einmal zum Reflektieren bringen. Ich finde, wir sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, uns innerhalb der Fraktionen erneut mit diesem Thema zu beschäftigen.
Vorweg zu meiner persönlichen Positionierung: Ich unterstütze den Antrag der Kollegen Bosbach, Winkler, Fricke und Röspel. Für mich ist die Frage von Bedeutung, welche Alternativen wir im politischen Prozess haben. Wenn man die beste Entscheidung nicht erreicht, dann sollte man überlegen, welche Entscheidung die zweitbeste ist, um sozusagen - das sage ich aus meiner Sicht; damit möchte ich andere Meinungen nicht abqualifizieren - etwas Schlimmeres zu verhindern.
Dass wir alle sterben werden, ist unausweichlich. Wenn allerdings danach gefragt wird, wie jemand sterben möchte - das hat eine Umfrage der Deutschen Hospiz-Stiftung ergeben -, dann antworten die meisten Menschen: erst im hohen Alter, man möchte geistig und körperlich fit sein, alle Lieben um sich versammelt haben, in Frieden vereint sein und irgendwann einfach zu Hause einschlafen. - Das ist eine wunderbare Vorstellung. Doch nur ein ganz geringer Prozentsatz wird das so erleben. Denn die Patientenverfügung hat einen ganz klaren Gegner: die Realität. Wir möchten mit Blick auf die letzte Lebensphase für Sicherheit sorgen, aber das einzige, was sicher ist, ist die Unsicherheit.
Es ist nicht gerade erheiternd für die nachmittägliche Runde in der Familie, über Patientenverfügungen oder über den letzten Lebensabschnitt zu reden. Aber wir brauchen Kommunikation. Kommunikation leisten wir heute auch mit dieser Debatte. Deshalb auch Dank an die Vorsitzenden und an die Geschäftsführer aller Fraktionen, dass wir in der Kernzeit drei Stunden lang und ohne gewissermaßen Schaum vor dem Mund zu haben darüber debattieren.
Auch wenn wir ein Gesetz machen, können wir damit nicht alle Klarheiten schaffen, die wir uns wünschen und von denen heute auch geredet wurde, bzw. die Unklarheiten ausräumen, die heute bemängelt wurden. Aber was wir schaffen können und sollten, ist Klarheit für die am Prozess Beteiligten, auch für diejenigen, die eine solche Patientenverfügung umsetzen müssen. Heute früh bekam ich einen Anruf von dem Chefarzt eines Krankenhauses in meinem Wahlkreis. Er hat mir erzählt, dass eine Klage von einem Sohn anhängig ist, der sich dadurch, dass der Arzt nicht die Patientenverfügung umgesetzt hat, wodurch es zu erhöhten Pflegekosten kam, um sein Erbe betrogen fühlt. Wir brauchen Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte.
Ich möchte auch sagen: Ich bin für eine Reichweitenbegrenzung, um Missbrauch zu verhindern. Ich gebe zu, dass ich Bauchschmerzen habe angesichts dessen, dass das Wachkoma laut Entwurf in die Reichweitenbegrenzung einbezogen werden soll. Denn ich habe ein Wachkomazentrum besichtigt. Kollege Hüppe ebenfalls; er hat in seinem Wahlkreis auch eines.
- Viele andere auch. Herr Kauch, ich freue mich, dass auch Sie in einem waren.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Wachkomapatienten nicht zwingend Sterbende sind, sondern dass das Wachkoma auch ein Zustand der Behinderung sein kann. Wir müssen uns also fragen: Was bedeutet es, wenn wir diese Reichweite noch vergrößern oder ganz wegfallen ließen? Wie gehen wir um mit Behinderung in unserer Gesellschaft?
Wir müssen aufpassen, dass wir die Autonomie nicht konterkarieren. Ich habe gestern Abend im Taxi den Fahrer gefragt, ob er sich schon einmal über das Thema Patientenverfügung Gedanken gemacht habe. Er antwortete mir: Ja, abschalten. Das war schwierig, und unser Gespräch zog sich dann etwas länger hin. Allein dass jemand so schnell eine Antwort finden zu können meint, macht mir schon Sorge. Die Frage ist: Muten wir den Bürgerinnen und Bürgern, die keine medizinische, keine juristische Ausbildung haben, bei dieser Entscheidung nicht zu viel zu? Auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes heißt es: Beim Haustürgeschäft gilt ein 14-tägiges Widerrufsrecht, weil man sich irren kann. Wenn hingegen eine solche Patientenverfügung umgesetzt wird, das heißt lebenserhaltende Maßnahmen eingestellt werden, ist irren zwar menschlich, aber unumkehrbar. Ohne Reichweitenbeschränkung, meine ich, werden wir gerade das Gegenteil bekommen.
Abschließend möchte ich auf den Freiburger Appell hinweisen, unterzeichnet von Professor Dr. Thomas Klie und Professor Dr. Christoph Student. Beide haben, finde ich, etwas Wichtiges festgehalten: dass es nicht sein kann, dass der Tod das kleinere Übel ist, um unzureichende Lebensbedingungen zu beenden, und dass es nicht sein kann, dass diejenigen, die keine Patientenverfügung verfassen, das Gefühl haben müssen, dass nicht in ihrem Sinne entschieden wird. Ich bin der Meinung, wir müssen uns zusammensetzen, wir müssen schauen, wie wir Rechtsklarheit schaffen, aber im Zweifel für das Leben plädieren. Sicherheit, Selbstbestimmung - aber für das Leben.
Besten Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg, SPD-Fraktion.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird keine Not entstehen, wenn wir uns Zeit lassen mit diesem Gesetz zu Patientenverfügungen. Die Patientenverfügung ist ein kleiner, juristischer Baustein in einem größeren Problemfeld. In diesem großen Problemfeld um das Sterben in Deutschland gibt es in der Tat viel zu tun, auch für den Gesetzgeber. Wir haben schon einiges getan: Wir haben die Bedingungen für Hospize verbessert. Wir hoffen, dass die Krankenkassen jetzt etwas mehr als bisher für die Palliativversorgung tun. Es ist nicht leicht für die Kassen, das zu tun; denn die Sterbenden sind häufig die teuersten Versicherten. Eine Kasse, die sich dort anstrengt, muss das auch zahlen. Im Wettbewerb der Kassen wird das manchmal schwierig. Das mag ein Grund dafür sein, dass es bisher so wenig Palliativversorgung gibt.
Wenn wir uns die tägliche Not ansehen - die es in der Tat gibt -, dann stellen wir fest, dass es zum einen die Not derjenigen gibt, die krank sind, dass es zum anderen aber auch die Not derjenigen gibt, die den Kranken gegenüberstehen. Ich bin lange Stationsarzt auf einer Intensivstation gewesen. Ich habe Menschen reanimiert und mir hinterher Vorwürfe gemacht, dass ich sie reanimiert habe. Ich habe Apparate ausschalten und Menschen sterben lassen müssen. Ich habe versucht, Angehörige zu erreichen, was ich nicht immer geschafft habe. Das Ganze geschah im Schichtdienst und unter großem zeitlichem Druck. Das ist seit der Zeit, in der ich im Krankenhaus gearbeitet habe, noch schlimmer geworden.
Es besteht Personalknappheit. Durch die Arbeitskapazität, die für die Bedienung der vielen tollen technischen Möglichkeiten erforderlich ist, und die administrativen Vorgänge wird die Zeit des Personals, der Pflegekräfte und Ärzte, aufgefressen, die diese eigentlich bräuchten, um solche Gespräche zu führen, wie wir sie uns vorstellen.
Hier liegt nicht nur möglicherweise ein Versagen juristischer Apparate, sondern auch ein Organisationsversagen in den Einrichtungen vor, in denen Menschen in Deutschland sterben. Hier müssen wir etwas tun.
Ich sagte es bereits: Wir haben damit angefangen, etwas zu tun. Wie sieht es aber in den Pflegeheimen aus? Mir ist von Ärzten eines Krankenhauses von einem Fall berichtet worden, über den sie dort lange diskutiert haben: Aus einem Pflegeheim wurde eine Frau eingewiesen, der eine Magensonde gelegt werden sollte. Das Pflegeheim sagte: Wir können das nicht, wir können sie nicht mehr ernähren. Die Ärzte im Krankenhaus haben ihre eigenen Pflegekräfte angeordnet: Nein, versucht einmal, sie zu füttern und ihr etwas zu trinken zu geben. Das hat geklappt. Diese Patientin wurde wieder zurück ins Pflegeheim verlegt. Die Ärzte haben dann herausbekommen, dass sie eine Woche später in das Nachbarkrankenhaus eingeliefert wurde. Dort hat man die Sonde sofort gelegt.
Ich glaube, es wird klar, was das bedeutet und wie wichtig schon die Indikationsentscheidung ist. Wenn Sie sich anschauen, dass im Wettbewerb die Ausgaben für das Personal gesenkt werden, wie wenig Zeit auch für das Pflegepersonal vorhanden ist, um Gespräche zu führen, und welche Not in den Pflegeheimen herrscht, dann wird klar, dass es nicht die Pflegekräfte sind, die unverantwortlich handeln. Sie haben gar keine Zeit für das geduldige Füttern und für Gespräche!
Wir müssen uns fragen, weshalb 80 Prozent der Menschen sagen: Um Gottes willen, ich will nicht ins Heim, ich will zu Hause bleiben, wenn es mir schlecht geht. Das wissen wir ganz eindeutig. Trotzdem landen die meisten dort. Hier gilt es, etwas zu tun.
Wir werden über die Pflegeversicherung beraten. Dann wird wirklich etwas entschieden, weil wir dort nämlich etwas tun und dafür sorgen können, dass die Menschen zu Hause bleiben können, dass sie dort nicht allein gelassen werden
und dass der Hausarzt jederzeit jemanden heranziehen kann, der sich mit der Schmerztherapie auskennt. Das Wesentliche ist, dass wir solche Gesetze vernünftig gestalten.
Das, was wir jetzt tun, ist ein juristisches Ablassgeschäft. Von daher denke ich, dass wir uns konzentrieren sollten. Wir verlieren nichts, wenn wir hierüber ruhig diskutieren. Mit dieser Debatte ist der große Vorteil verbunden, dass wir die Chance haben, uns die ganze Problematik wirklich in Ruhe und in all ihren vielen Dimensionen anzusehen.
Wenn ich die juristischen Perspektiven betrachte, dann erkenne ich, dass das meiste geregelt ist. Die Sorgfaltspflicht derjenigen, die als Arzt, als Pflegekraft und als Betreuer Verantwortung tragen, besteht bereits. Jeder muss sich danach erkundigen und müsste nachforschen, was der wirkliche Wille des Patienten ist. Es wäre schön, wenn wir auch die notwendige Zeit dafür zur Verfügung stellen könnten und es ermöglichen würden, dass das dann auch geschieht.
Viele sagen, die Vorsorgevollmacht sei eigentlich die bessere Lösung. Dabei wird jemand bestimmt, der mich kennt und für mich entscheidet, weil er weiß, wie ich jetzt entscheiden würde. Das ist ohne Zweifel besser als eine Patientenverfügung. Das Problem ist nur: 60 Prozent der Haushalte in Berlin und in anderen Städten sind Einpersonenhaushalte.
Was kann man da also machen? Man muss dafür sorgen, dass sich die Leute treffen. Wir müssen Möglichkeiten dafür schaffen, dass man über diese Dinge diskutiert. Warum soll nicht jeder Hausarzt eine Möglichkeit anbieten, sich zu treffen, zu diskutieren und jemanden zu finden, mit dem man sich verabredet?
All diese Punkte können vermittelt werden. Wir können sehr viel dafür tun. Deshalb bitte ich darum, dass wir uns bei dieser Gelegenheit vornehmen, noch viel mehr zu tun, als nur diese rechtliche Regelung zur Patientenverfügung zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Christ kann ich sagen: Ich weiß mein Leben in Gottes Hand. Dieses Wissen gibt vielen Menschen auch mit Blick auf das Ende des Lebens Gelassenheit. Deswegen werden viele im Vertrauen auf gute Ärzte, Pfleger und liebe Angehörige, die sie am Ende ihres Lebens begleiten, auch in Zukunft darauf verzichten, eine Patientenverfügung zu verfassen.
Aber je mehr sich die Möglichkeiten der modernen Medizin und Technik weiterentwickeln, desto stärker kann der Eintritt des Todes durch menschliches Handeln beschleunigt oder verzögert werden. Deswegen werden mit Sicherheit immer mehr Menschen hinsichtlich dieses menschlichen Handelns in einer Patientenverfügung Vorsorge treffen wollen.
Das eigentliche Problem der Patientenverfügung liegt darin, dass man zu einem frühen Zeitpunkt bei vollem Bewusstsein etwas niederschreibt, das man im Falle der Nichteinwilligungsfähigkeit nicht mehr korrigieren kann. Deswegen verstehe ich die Polemik gegen die im Bosbach-Entwurf vorgeschlagene Reichweitenbegrenzung einer Patientenverfügung nicht.
Denn was die Behauptung angeht, durch die Reichweitenbegrenzung würde das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ausgehebelt, meine ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich meine, dass die Reichweitenbegrenzung Ausdruck von Hochachtung gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht ist; denn aufgrund unserer Lebenserfahrung wissen wir, dass der aktuelle Wille von dem Willen differieren kann, den man vor vielen Jahren in schriftlicher Form verfügt hat.
- Er kann differieren. Aber das ist ein wichtiger Punkt.
Ich kann auch den Hinweis auf andere Verträge nicht nachvollziehen. Jeden Vertrag können wir wie alles, was wir tun, zu korrigieren versuchen. Aber die Entscheidung über Leben und Tod ist endgültig; sie ist nicht korrigierbar. Deswegen haben wir, glaube ich, so große Schwierigkeiten, diese Entscheidung gesetzlich zu regeln.
Ich glaube auch nicht, dass man den Abgeordneten des Parlaments vorwerfen kann, sie würden sich als Besserwisser gegenüber denjenigen aufführen, die in einer Patientenverfügung eine Festlegung getroffen haben. Ich glaube vielmehr, dass wir Abgeordneten, die über das Gesetz entscheiden, die Lebenserfahrung berücksichtigen müssen, dass ein einmal verfügter Wille nicht immer auch dem aktuellen Willen entspricht. Deswegen plädiere ich für die Reichweitenbegrenzung.
Für mich und, wie ich weiß, etliche andere Kollegen ist eine der schwierigsten Fragen, wie im Falle schwerster Demenz und eines seit langem anhaltenden Wachkomas mit einer Patientenverfügung umzugehen ist. Die Entscheidungsfindung in dieser Frage wird auch nicht dadurch leichter, dass vonseiten der wissenschaftlichen Ethik und der christlichen Kirchen dazu differenzierte Empfehlungen gegeben werden. Dass es dabei nicht um Sterbende, sondern um Schwerstkranke geht, ist klar; es sind allerdings Schwerstkranke, die nach ärztlicher Erkenntnis das Bewusstsein niemals wiedererlangen werden und die in ihrer Patientenverfügung eine Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen angeordnet haben.
Ich glaube, dass für diesen Fall besonders strenge Voraussetzungen definiert werden müssen, um einer Patientenverfügung Geltung zu verschaffen. Dazu gehört, dass der Betroffene selber lebenserhaltende Maßnahmen für diesen konkreten Fall in einer Patientenverfügung wirksam ausgeschlossen hat, dass er ohne Bewusstsein ist und nach ärztlicher Erkenntnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischer Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird und dass das Vormundschaftsgericht dies überprüft und genehmigt hat. Keinesfalls darf eine Basisversorgung unterbleiben, und keinesfalls darf ein nur mutmaßlicher Wille ausschlaggebend sein.
Ich glaube, dass mit diesen hohen Anforderungen der Pflicht, einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen zwischen den verfassungsrechtlichen Geboten der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen und der staatlichen Schutzpflicht für das Leben, Genüge getan werden kann.
Nun wird in dieser Debatte - und erst recht von außerhalb des Parlaments - geraten, gesetzlich eher nichts zu regeln. Ich bin aber der Auffassung: Wenn wir für die Menschen, die uns fragen, was ihre Patientenverfügung wert ist und was sie wirklich bedeutet, und für diejenigen, die als Ärzte, Bevollmächtigte, Betreuer oder Pfleger mit einer Patientenverfügung umgehen, mit einem Gesetz mehr Klarheit schaffen können, dann sollten wir vor dieser Aufgabe nicht kneifen, sondern eine entsprechende gesetzliche Regelung treffen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat die Kollegin Dr. Marlies Volkmer von der SPD-Fraktion das Wort.
Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns mit dem Thema Patientenverfügung befassen, dann sprechen wir gleichzeitig über unsere innersten Überzeugungen, über den Umgang mit Leben und Sterben. Das sieht bei jedem Menschen anders aus. Jeder Mensch hat ganz eigene Vorstellungen davon, was für ihn eine unzumutbare Belastung ist oder was er als würdelos empfindet. Das haben wir zu akzeptieren.
Patienten schreiben Verfügungen, um ihrem Willen dann Geltung zu verschaffen, wenn sie sich nicht mehr selbst äußern können. Aber mit der Begründung der notwendigen Fürsorge werden immer wieder Patientenverfügungen missachtet, und zwar deswegen, weil die Meinungen darüber, welche Rechtsqualität und Bindung eine Patientenverfügung für Ärzte hat, weit auseinandergehen. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, damit Rechtssicherheit herrscht.
Wir brauchen in diesem Bereich eine gesetzliche Regelung, auch wenn es gleichzeitig notwendig ist, die Palliativmedizin und das Hospizwesen zu stärken und die Organisationsstrukturen im Krankenhaus und im Pflegeheim zu ändern.
Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung kann nicht davon abhängen, dass das Leiden einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen oder der Patient einen endgültigen Bewusstseinsverlust erlitten hat. Abgesehen davon, dass eine solche Einschränkung medizinisch unsinnig ist, ist sie auch ethisch nicht tragbar. Sie widerspricht der Selbstbestimmung der Menschen und würde in der Konsequenz zu Zwangsbehandlungen führen.
Die Zulässigkeit einer Behandlung muss in jedem Fall - unabhängig vom Krankheitsstadium - vom tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten abhängen.
Es ist zweifellos richtig, dass eine Patientenverfügung für eine im Voraus nur schwer vorhersehbare Situation getroffen wird. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, die verbindliche Patientenverfügung, die Arzt und Vorsorgebevollmächtigten bzw. Betreuer bindet - diese müssen die Verfügung ja umsetzen -, an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen, nämlich die dokumentierte ärztliche Beratung und die Aktualisierung.
Ich möchte das kurz begründen. Es ist notwendig, den Dialog über die Behandlung, der ja mit dem äußerungsunfähigen Patienten nicht mehr geführt werden kann, vor Abfassung der Patientenverfügung mit dem Arzt des Vertrauens zu führen. Es geht darum, möglichst genau zu beschreiben, welche Maßnahmen in welcher Situation durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Das kann ein Patient in der Regel nicht allein. Er braucht hierzu eine professionelle Beratung. Eine Patientenverfügung ist ein Dokument, bei dem es letztlich um Leben und Tod geht. Auch darüber muss sich der Patient im Klaren sein.
Eine Aktualisierung der Patientenverfügung - zum Beispiel alle fünf Jahre - ist erforderlich, weil sich die Medizin schnell weiterentwickelt und schon nach fünf Jahren im Lichte neuer Behandlungsmethoden oder Erkenntnisse möglicherweise durch den Patienten eine andere Entscheidung getroffen wird.
Patientenverfügungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung als starkes Indiz für den Patientenwillen zu beachten und natürlich zu befolgen. Aber hier erfolgt die Umsetzung eben nicht unmittelbar durch den Vorsorgebevollmächtigten oder den Betreuer. Hier muss dann der gesetzliche Vertreter - natürlich immer in enger Beratung mit dem Behandlungsteam - über das weitere Vorgehen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten entscheiden.
Der Respekt vor der Patientenautonomie und die gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen sind nach meiner Überzeugung wesentliche Voraussetzungen, damit das Verbot der aktiven Sterbehilfe auch in Zukunft in Deutschland eine breite gesellschaftliche Akzeptanz findet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.
Daniela Raab (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wünscht sich nicht für sein späteres Ableben, sanft einzuschlafen? Leider sieht die Realität in den meisten Fällen anders aus. Gerade der medizinische Fortschritt hat dazu geführt, dass nicht nur das Leben, sondern auch das Leiden verlängert werden kann. Deshalb stellt sich für immer mehr Menschen die Frage: Wie kann ich mich und meine Angehörigen darauf vorbereiten, und wie kann ich meinen Willen bzw. den meiner Angehörigen durchsetzen oder durchsetzen lassen, wenn ich selbst bzw. meine Angehörigen dazu nicht mehr in der Lage sind? Obwohl sich aus der bisherigen Rechtslage eine Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ableiten lässt und obwohl wir eine gute Rechtsprechung haben, stellen immer mehr Menschen fest, dass trotz Vorliegens einer eindeutigen Patientenverfügung diese oft unterschiedlich interpretiert wird. Deswegen sehe ich genauso wie viele meiner Kollegen - darin sind wir uns einig - gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Was wollen wir? Wir wollen in der Tat eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung, um gerade Rechts- und Verhaltensunsicherheiten in einer Situation zu beseitigen, die an sich schon zu sensibel und zu schwierig ist, um sie noch mit zusätzlichen Unsicherheiten zu belasten. Deshalb sieht der Bosbach-Entwurf, zu dem ich mich eindeutig bekenne, eine einfache äußerliche Form, die Schriftform, vor. Wir wollen keine notarielle Beurkundung. Wir wollen keine Pflichtberatung im Vorfeld. Wir können diese nur empfehlen. Natürlich würde sie Sinn machen. Wir wollen sie aber nicht gesetzlich vorschreiben. Unser Petitum ist klar: möglichst niedrige Hürden für die Patientenverfügung.
Wir wollen - wir haben darüber lange diskutiert und waren uns nicht immer ganz einig - kein Verfallsdatum für eine Patientenverfügung. Sie wird niedergelegt und gilt, solange sie nicht - in welcher Form auch immer - widerrufen wurde.
Wir wollen zudem eine in ihrer Reichweite beschränkte Patientenverfügung; dazu wurde schon vieles gesagt. Es ist juristisch argumentiert worden. Aber man muss hier auch zutiefst menschlich argumentieren. Ich stelle die Frage, die mich bewegt - Herr Stünker, ich habe mich mit Ihrem Entwurf sehr intensiv auseinandergesetzt und habe gut zugehört, weil ich mich noch immer überzeugen lasse; aber bisher hat Ihre Argumentation nicht gegriffen -: Können wir immer mit absoluter Sicherheit sagen, dass der Patient in der eingetretenen Krankheitssituation, in einer Situation, in der er nicht mehr bei Bewusstsein ist, genauso entscheiden würde, wie er es Jahre zuvor verfügt hat? Ist es tatsächlich noch sein aktueller Wille, den er im Voraus verfügt hat? Man muss sich das einmal praktisch vorstellen: Allein die persönliche Lebenssituation kann sich zwischen Niederlegung der Patientenverfügung und Auftreten einer Krankheit verändert haben.
Nehmen Sie folgenden Fall als Beispiel - vorhin wurde gesagt, wir sollten keine Beispielsfälle anführen; aber wir brauchen solche Beispiele, um es plausibel zu machen -: Ein junger Mann verfasst eine Patientenverfügung, in der sinngemäß steht, eine Querschnittslähmung sei für ihn das Allerschlimmste, was ihm passieren könne.
- Ich sagte ?sinngemäß“; ich möchte hier jetzt keine Patientenverfügung ausformulieren. - Er schreibt hinein - sinngemäß -: Wenn ihm etwas passiert, er bewusstlos ist und ihm eine Querschnittslähmung droht, dann möchte er auf gar keinen Fall weiter behandelt werden. Mittlerweile sind nach dieser Verfügung zehn Jahre vergangen, der junge Mann ist Familienvater geworden und hat sich mit dem Gedanken an seine Patientenverfügung nicht weiter beschäftigt; auch das soll vorkommen, auch das ist zutiefst menschlich. Er wird jetzt Opfer eines schweren Autounfalls, fällt in die Bewusstlosigkeit und kommt ins Krankenhaus.
Die Patientenverfügung liegt auf dem Tisch. Was tun wir nun? Wollen wir ernsthaft ihm und - das bitte ich nicht zu vergessen - seinen Angehörigen sowie den Ärzten nun zumuten, die Geräte abzuschalten?
Ich sage Nein. Für uns gilt immer noch die Unterscheidung - das haben wir auch im Entwurf klar niedergelegt -: Lassen wir einen Sterbenden sterben, oder beenden wir das Leben eines noch Lebensfähigen, dessen Gesundung nicht ausgeschlossen ist? Deswegen plädiere ich für eine klare Reichweitenbeschränkung.
Ich habe allergrößten Respekt, Herr Stünker und auch Kollege Bosbach, vor dem Vorhaben, überhaupt eine gesetzliche Regelung zu treffen; denn Sie haben sich hier - wie auch viele Kollegen - mit einem äußerst sensiblen Thema befasst, um das man sich gerne drücken möchte. Ich plädiere wirklich dafür, dass wir uns intern schon darüber auseinandersetzen, was wir wollen und was nicht, was unsere Grundüberzeugungen sind und was nicht, ohne dass jemand in die eine oder andere Ecke gestellt wird. Ich persönlich kann Sie nur bitten, unseren Weg - wenn ich das so sagen darf - mitzugehen und damit für Selbstbestimmung und Lebensschutz zu entscheiden.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel, SPD-Fraktion.
Rolf Stöckel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte war gut - ich bin ja der vorletzte Redner und wage das insofern zu beurteilen -, sie war vor allen Dingen wichtig - das haben viele Kollegen hier deutlich gemacht -, und sie war von Respekt vor den jeweils anderen Auffassungen getragen.
Ich glaube, dass wir gemeinsam Ja sagen zu einer neuen Lebens- und Behandlungsqualität im Sterbeprozess, die im Palliativ- und Hospizbereich, aber ebenso im Pflegebereich auszubauen ist. Wir sagen aber Nein zu einem Lebensverlängerungs- und Behandlungszwang, der rein gar nichts mit ärztlicher Fürsorge zu tun hat. Weil das in den bisher 29 Reden nicht vorgekommen ist, sage ich an dieser Stelle, dass eine Patientenverfügung natürlich auch bewirken kann, dass alle medizinisch indizierten und möglichen lebensverlängernden Maßnahmen eingefordert werden.
Heute garantiert die moderne Medizin ein immer längeres Leben und eine fast unbeschränkte Erhaltung körperlicher Funktionen - auch bei Krankheitszuständen, welche die Betroffenen selbst für sich nicht mehr als verlängerungswürdig empfinden. Da kann wohl niemand mehr glaubwürdig darstellen, Leben und Sterben lägen in ?Gottes Hand“ oder entsprächen noch einem natürlichen Lauf der Dinge.
Ich empfinde es im Übrigen als großen Fortschritt, dass viele engagierte Menschen berufs-, partei- und weltanschauungsübergreifend mitgeholfen haben, dass in dieser Debatte mittlerweile nicht mehr bedenkenlose Euthanasiebefürworter oder paternalistische Kreuzritter den Ton angeben, sondern engagierte Mediziner und Juristen überall in Deutschland, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ambulanten wie stationären Pflege- und Palliativteams sowie Patientenberatungs- und Hospizdiensten genauso wie Theologen und Medizinethiker.
Ich sage auch ganz klar, dass mir diese Entwicklung zu einer bürgerschaftlichen und professionellen Praxis für ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Sterben noch wichtiger ist als eine Gesetzgebung, die oft dem Einzelfall gar nicht gerecht werden kann. Die Gesetzgebung kann und muss meiner Meinung nach aber einen klarstellenden Rahmen im Betreuungsrecht für die Praxis vorgeben; denn sonst werden die Rufe nach einer Regelung für aktive Sterbehilfe wie der niederländischen - das Beispiel des Taxifahrers haben wir gerade gehört - nicht nur nicht verstummen, sondern lauter werden. Dann werden uns die Menschen fragen: Ist die Politik nicht in der Lage, einen wesentlichen Lebensbereich, nämlich den Sterbeprozess, rechtlich in einer Rahmenregelung niederzulegen?
Was ich wie viele Experten für verwirrend und nicht umsetzbar halte, ist der Vorschlag im Entwurf des Kollegen Bosbach, nämlich die Reichweitenbeschränkung, auf die schon eingegangen worden ist. Diese Beschränkung im Bosbach-Antrag ist ein Rückschritt hinter die bestehende Rechtsprechung. Ich meine, dass sie nicht nur praxisfern, sondern auch mit der aktuellen Rechtsprechung und den Verfassungsgrundsätzen unvereinbar ist. Das würde nämlich Millionen von Patientenverfügungen, die schon existieren - das ist hier oft gesagt worden -, wertlos machen.
Es muss uns doch zu denken geben, dass sich höchst unterschiedliche Persönlichkeiten und Organisationen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten und Wertvorstellungen in einem entscheidenden Punkt einig sind - die Bundesärztekammer hat es uns allen vorgestern noch einmal geschrieben -: keine Reichweitenbeschränkung. Diese Ansicht vertreten in der Öffentlichkeit namhafte Palliativmediziner, der Präsident der Bundesärztekammer, der im aktuellen ?Spiegel“ warnt - ich zitiere -: ?Die Reichweitenbeschränkung führt praktisch zu einer Lebensverlängerung um jeden Preis. Das lehnt die Ärzteschaft ganz klar ab.“ Die ?Aktion Gemeinsinn“, deren Schirmherr Bundespräsident Horst Köhler ist, warnt vor Bestrebungen - ich zitiere -:
die Verpflichtung zur Befolgung des Patientenwillens aufzuweichen, sie auf die Todesnähe zu beschränken oder grundsätzlich die Prüfung durch ein Vormundschaftsgericht vorzusehen.
Das ist ein Zitat aus dem Aufruf ?Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Ebenfalls gegen eine Reichweitenbeschränkung ausgesprochen haben sich der Vormundschaftsgerichtstag, der Deutsche Juristentag 2006, namhafte Bundesrichter, unter anderem Klaus Kutzer, und Organisationen, die Patienten, zum Beispiel auch Psychiatriebetroffene, vertreten oder sich für humanes Sterben in Würde einsetzen. Aktuell waren es die Bundesärztekammer, die ich zitiert habe, und ihre zentrale Ethikkommission. Ich kann nur davor warnen, dass wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages uns so weit von der Lebenswelt und der Erfahrungspraxis in unserem Land entfernen, eine Reichweitenbeschränkung zu beschließen - ein Konstrukt, das übrigens in Ländern mit vergleichbaren Regelungen unbekannt ist.
Ich bin zutiefst überzeugt: Wir brauchen einfache, rechtspolitisch klare und verantwortbare Regeln für die Patientenverfügung, eine qualitative Verbesserung der Palliativmedizin und der Hospizversorgung, aber keinen Behandlungs- und Lebenszwang mit einer Reichweitenbeschränkung. Kranke und gesunde Menschen haben sich innerhalb von Familien und zusammen mit ihren Ärzten oder anderen kompetenten Beraterinnen und Beratern ernsthafte Gedanken gemacht. Das hat nichts mit überzogener Autonomie, sehr wohl aber mit Verantwortung und persönlichem Gewissen zu tun. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollten uns nicht anmaßen, in Details unsere eigenen Vorstellungen anderen mündigen Bürgerinnen und Bürgern aufzuzwingen,
zumal an deren Eigenverantwortung sonst doch so gern und oft in diesem Hause appelliert wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Markus Grübel, CDU/CSU-Fraktion.
Markus Grübel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letzter Redner kann ich feststellen: Es ist gut, dass wir heute diese ausführliche Orientierungsdebatte geführt haben. Wir haben jahrelang in verschiedenen Kommissionen beraten. Es wäre gut, wenn wir nun eine Regelung schaffen würden. Der heutige § 1904 BGB hat die schwierigsten Fragen eigentlich ausgeklammert. Er regelt im Grunde die harmloseren Fragen. Wenn eine ärztliche Untersuchung oder Heilbehandlung eingeleitet wird, die der Heilung dient und die mit Risiken verbunden ist, dann braucht man die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Aber die viel schwierigere Frage, was geschieht, wenn die Behandlung abgebrochen oder erst gar nicht aufgenommen wird, ist in § 1904 nicht geregelt. Diese Lücke hat der Gesetzgeber beim ersten Betreuungsrechtsänderungsgesetz durchaus gesehen, aber er hat sie offengelassen. Wenn der Bundestag bewusst keine Regelung beschließt, dann kommen wir an die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Dann muss der Bundestag handeln, und wir können uns nicht auf die Rechtsprechung verlassen.
Ich halte die aktuelle Rechtsprechung in Teilen auch für widersprüchlich. Keiner von uns weiß, wie sich die Rechtsprechung in Zukunft entwickelt. Auch darum brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die die Reichweite, die Verbindlichkeit und das Verfahren regelt.
Heute haben alle Redner nur vom Zivilrecht gesprochen. Das Zivilrecht liefert die Rechtfertigung für die Behandlung oder Nichtbehandlung und schlägt so auch auf das Strafrecht durch. Eine Änderung des Strafrechts würde den Anschein erwecken, wir würden tragende Grundsätze insbesondere beim Verbot des Tötens auf Verlangen aufweichen. Darum ist es gut, dass keiner das Strafrecht ändern will.
Um welche Fragen geht es heute ganz besonders? Es geht entscheidend um die Frage, ob der aktuelle und der vorausverfügte Wille gleich sind. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall. Gefragt wäre ein ausführliches Gespräch zwischen Arzt und Patient. Im Fall der Patientenverfügung hat der Arzt ein Blatt Papier auf dem Tisch mit einer Unterschrift. Der Arzt kann nicht nachfragen, der Patient kann seine Erklärungen nicht interpretieren, und er kann Missverständnisse nicht aufklären.
Der Arzt weiß regelmäßig auch nicht, woher der Patient die Patientenverfügung hat. Es gibt in Deutschland mehr als 200 gängige Muster. Frau Ministerin Zypries hat zuvor geschildert, wie schwer sie sich selber getan hat, aus den vielen Bausteinen des Bundesjustizministeriums eine Patientenverfügung auszuwählen. Der Arzt kann häufig auch nicht feststellen, ob die Unterschrift echt ist und ob der Unterzeichner bei der Unterschrift einwilligungsfähig war. Eine Patientenverfügung mit unbeschränkter Reichweite wäre so auch eine scharfe Waffe, die ein Mensch gegen sich selber oder die ein anderer gegen ihn richten könnte.
Wie ich bereits sagte, tut sich der Arzt schwer, die Urheberschaft der Patientenverfügung und die Einwilligungsfähigkeit zur Zeit der Abfassung sicher zu klären. Mehrere Untersuchungen zeigen uns auch, dass junge und dass gesunde Menschen eine andere Einstellung als Kranke, Behinderte und Pflegebedürftige haben. Kranke Menschen haben einen viel größeren Lebenswillen, als sie in gesunden Tagen meinen. Das können wir bei der Bewertung des vorausverfügten Willens nicht unberücksichtigt lassen. Die Unterschiede bei aktuellem und vorausverfügtem Willen haben Folgen für die Fragen der Reichweite und der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung.
Die Diskussion in den vergangenen Monaten hat mir aber auch gezeigt: Viele Menschen haben Sorgen vor einer Übertherapie im Krankenhaus. Darum darf ich daran erinnern, dass Voraussetzung für die Fragen der Patientenverfügung ist, dass der Arzt eine Behandlung überhaupt anbietet. Wo eine kurative, also heilende Behandlung nicht mehr angezeigt ist, darf sich die Frage nach einer Patientenverfügung überhaupt nicht mehr stellen.
Hier ändert sich das Therapieziel hin zur palliativen Versorgung. Dies wäre ein wichtiges Feld für die Aus- und Fortbildung der Ärzte.
Im Grenzfall kann eine Patientenverfügung aber eine Ergänzung sein und dem Arzt die Entscheidung erleichtern.
Ich habe schließlich die Sorge, dass die Gesellschaft Druck auf Patienten, insbesondere auf ältere Menschen, ausübt oder dass ältere, kranke und behinderte Menschen nur den Eindruck haben, sie fielen der Gesellschaft oder ihrer Familie zur Last und könnten diese Last durch eine weitreichende Patientenverfügung nehmen.
Selbstbestimmung ist wichtig; wichtig ist aber auch der Schutz des Lebens. Beides sind gleichwertige Verfassungsgüter. Die Verfassung verlangt von uns einen schonenden Ausgleich zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz. Dieser Ausgleich ist nach meiner Meinung im Gruppenantrag, den der Kollege Bosbach vorgestellt hat, am besten gelungen. Dieser Antrag bildet auch am ehesten die heutige Rechtsprechung ab.
Wer die Selbstbestimmung absolut setzt, landet aus meiner Sicht früher oder später bei der aktiven Sterbehilfe, weil es hier keine denktechnische Grenze gibt. Die aktive Sterbehilfe ist im Grunde die Höchstform der Selbstbestimmung. Der aktiven Sterbehilfe hat hier keiner das Wort geredet, und das war gut so. Aber die Frage, die ich stellen möchte, ist: Wo ist die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, und worin besteht der Unterschied? Was die praktische Tätigkeit angeht, gibt es keinen Unterschied; denn auch das Beenden einer Maßnahme kann durchaus aktiv sein.
Die Antwort einer menschlichen Gesellschaft auf diese Fragen sind nicht Sterbehilfe, sondern Palliativmedizin und Hospizarbeit. Ich bin froh, dass es uns bei der aktuellen Gesundheitsreform gelungen ist, hier deutliche Verbesserungen zu erreichen. Neben einer Klärung der rechtlichen Fragen sollte man darum auf dem Weg weitergehen, die palliativmedizinische Versorgung und die Hospizarbeit in Deutschland zu verbessern. Auch daran müssen wir arbeiten.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wie zu Beginn der Debatte vereinbart, haben eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben. Insgesamt haben dies neun Abgeordnete - sie kommen aus allen Fraktionen - getan.
Dieses Thema wird uns in diesem Haus in den nächsten Monaten noch mehrfach beschäftigen.
Ich schließe damit die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 91. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 30. März 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]