92. Sitzung
Berlin, Freitag, den 30. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen. Damit wir uns der bevorstehenden Osterpause möglichst zügig nähern, steigen wir ohne Verzug in die für heute vorgesehene Tagesordnung ein.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und b sowie den Zusatzpunkt 5 auf:
26. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008
- Drucksache 16/4841 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Unternehmen leistungsgerecht besteuern - Einnahmen der öffentlichen Hand stärken
- Drucksache 16/4857 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unternehmensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze
- Drucksache 16/4855 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesfinanzminister, Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe bei meinen letzten Reisen ins Ausland, insbesondere nach Brüssel, aber auch in andere europäische Hauptstädte und nach New York und Washington, zunehmend die Erfahrung gemacht, dass all meine Gesprächspartner überrascht sind, wie gut sich die Wirtschaft in Deutschland entwickelt hat und wie deutlich die Arbeitslosigkeit abgenommen hat. Das Interesse an dem Wirtschaftsstandort Deutschland hat in den letzten anderthalb Jahren deutlich erkennbar zugenommen.
Die meisten dieser Gesprächspartner beobachten sehr genau - gelegentlich habe ich den Eindruck, sie wissen besser Bescheid als diejenigen, die sich an der innenpolitischen Debatte beteiligen -, was mit der Agenda 2010 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Politik der Großen Koalition in Deutschland in Gang gesetzt worden ist, um das Wirtschaftswachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit zu verringern.
Man muss sich vor Augen führen, dass die Wirtschaft in Deutschland im letzten Quartal 2006 schneller gewachsen ist, als das in den USA der Fall war. Wer hätte das je für möglich gehalten? Die Aussichten für die Jahre 2007 und 2008 sind nicht sehr viel schlechter.
Alle Gesprächspartner, vornehmlich in der Europäischen Union, sind sehr an der Frage interessiert, ob Deutschland zu seiner alten Funktion als Wachstumslokomotive zurückfinden kann. Ich glaube, dass es dafür gute Chancen gibt. Um das richtig einzuordnen: Die Politik ist gewiss nicht allein für diese Entwicklung verantwortlich. Das behauptet übrigens niemand von der Großen Koalition oder von der Bundesregierung. Die Politik - das gilt insbesondere für die Reformagenda Agenda 2010 und die Maßnahmen der Großen Koalition der letzten anderthalb Jahre - ist aber zumindest beteiligt. Ich halte daran fest, dass die Entscheidungen der Großen Koalition die gute Entwicklung über die, wie ich es nenne, doppelte Tonlage - auf der einen Seite zu konsolidieren und auf der anderen Seite Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben - unterstützt haben.
Das spiegelt sich in einem erfreulichem Ergebnis wider: Sie alle wissen, dass wir ungefähr 825 000 Arbeitslose weniger haben als vor einem Jahr. Es gibt vor allem 450 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr, was eine sehr gute Entwicklung ist. Ich freue mich für die Menschen, die neue Arbeit gefunden haben, und für die vielen, die nicht mehr so große Angst um ihren Arbeitsplatz haben müssen wie noch vor anderthalb Jahren.
Als Finanzminister, der auch Anwalt kommender Generationen sein muss - eine ganze Reihe junger Menschen hört uns zu -, und als Anwalt derjenigen, die den Kapitaldienst der hohen Staatsverschuldung nicht als derart großen Wackerstein im Gepäck haben sollen, freue ich mich über den Rückgang der gesamtstaatlichen Neuverschuldung. Von 2005 zu 2006 haben wir sie halbiert. Viele von Ihnen wissen, dass ich für dieses Jahr ein Defizitkriterium in einer Größenordnung von 1,2 Prozent angeben kann. Das ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung.
Manche wirtschafts- und finanzpolitische Debatte des letzten Jahres klingt mir aber noch in den Ohren. Herr Solms, es wurden Horrorgemälde über die Auswirkungen unserer Politik, insbesondere der Mehrwertsteuererhöhung, gemalt. Die Begriffe ?Unfug“, ?Steuerirrsinn“ und ähnliche fielen in diesem Zusammenhang. Jetzt entpuppt sich vieles von dem, was damals gesagt wurde, als Horrorszenario.
Es wäre nicht schlecht, wenn der Lerneffekt aus den Erfahrungen des letzten Jahres derjenige wäre, in zukünftigen Debatten etwas abgewogener und seriöser, mit einem etwas größeren Augenmaß und mit weniger Aufregung zu debattieren.
Dieses Augenmaß sollte auch unter dem Eindruck ganz guter Zahlen walten. Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass wir zu Übertreibungen neigen, nicht nur dann, wenn es uns nicht so gut geht, sondern auch, wenn es uns besser geht. Wenn sich unsere Wirtschaft schlecht entwickelt, dann haben wir die Neigung, alles noch stärker schlechtzureden, als es ist. Bei der derzeit guten Entwicklung habe ich den Eindruck, dass es Übertreibungen nach oben gibt, die jedes Maß verlieren. Ich rate dazu, unter dem Eindruck guter Einnahmezahlen, guter Wachstumsperspektiven und guter Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt das Bild nicht wieder so zu zeichnen, als ob bereits alle Probleme gelöst seien. Nein, insbesondere haushaltspolitisch haben wir noch dieselben Probleme wie vor anderthalb Jahren.
Wir leben in einer sehr schnelllebigen Welt. Sie ist durch einen rasanten Wandel geprägt. Ich finde, dass die Bundesrepublik Deutschland auf einem guten Weg ist. Dies gilt auch mit Blick auf die Unternehmensteuerreform. Wir debattieren heute in erster Lesung über den Gesetzentwurf. Mit dieser Reform stärken wir die Wachstumsbasis in Deutschland. Vor allen Dingen bewirken wir eine Entwicklung, die darauf hinausläuft, dass Unternehmensgewinne, die Wertschöpfung, die in Deutschland erzielt wird, auch in Deutschland versteuert werden, anstatt ins Ausland abzuwandern, und dass die Verluste, die im Ausland gemacht werden, nicht steuermindernd in Deutschland wirken. Das ist die Kernzielsetzung der Unternehmensteuerreform.
Diejenigen, die die Unternehmensteuerreform kritisieren - sachlich, teilweise aber auch polemisch -, müssen die Frage beantworten, ob es der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer besser ginge, ob es für Deutschland günstiger wäre, wenn wir die Unternehmensteuerreform unterließen. Die Antwort lautet eindeutig: Wenn wir keine Unternehmensteuerreform machen, wird Deutschland weiter an Steuerbasis - die Technokraten nennen es Steuersubstrat - verlieren, und die Staatseinnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben werden auf Dauer nicht mehr, sondern weniger. Das heißt, wir hätten Nachteile aus einem Unterlassen. Die Verantwortung muss sich nicht nur bei der Frage stellen, was man tut, was die Konsequenzen des Handelns sind, sondern es muss politisch auch die Frage gestellt werden: Welche Konsequenzen hat das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen, die die Steuerbasis in Deutschland stärken?
Die Unternehmensteuerreform ist in meinen Augen übrigens durchaus ein Beleg für die Handlungsfähigkeit und Gestaltungskraft der Großen Koalition. Ich füge mit einer gewissen Befriedigung hinzu: Nicht zuletzt die erfreulich unaufgeregte Art ihres Zustandekommens ist ein Beleg dafür, dass es der Politik außerordentlich gut tun kann, wenn sie sich Zeit nimmt, um ein so komplexes Werk zu erarbeiten, und diese Zeit auch bekommt. Ein so komplexes Werkstück wie diese Unternehmensteuerreform muss reifen können, ohne mit täglichen Wasserstandsmeldungen medial zerrieben zu werden. Ich glaube, dass ist uns über die Wegstrecke von zwölf Monaten gelungen.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle all denjenigen danken, die behilflich gewesen sind, insbesondere denen, die fachlich versiert in den Landesverwaltungen von Hessen, von Bayern, von Rheinland-Pfalz insbesondere in den Bundesressorts tätig gewesen sind. Ich möchte auch denjenigen danken - viele von ihnen sind anwesend -, die mit mir in der politischen Arbeitsgruppe zusammengearbeitet haben, namentlich Herrn Ministerpräsidenten Koch, der die Seite der Union dabei geleitet hat. Ich glaube, das war ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken innerhalb dieser Großen Koalition.
Wir haben absichtlich keinen Systemwechsel vorgenommen. Sie wissen, dass wir am Beginn dieser Debatte über die Unternehmensteuerreform von Sachverständigen aufgefordert wurden - dem Sachverständigenrat genauso wie der Stiftung ?Marktwirtschaft“ -, eine fundamentale Veränderung, einen richtigen Paradigmenwechsel, des Unternehmensteuersystems in Deutschland zu machen. Wir haben vorsätzlich darauf verzichtet, weil eine solche fundamentale Veränderung eindeutig mit unwägbaren Asymmetrien, mit Nebeneffekten verbunden gewesen wäre, die unkalkulierbar sind und zu einem unübersehbaren Nachjustierungsbedarf geführt hätten und im Übrigen auch zu Einnahmenverlusten in zweistelliger Milliardenhöhe, die sich mit dem gemeinsamen Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht vertragen hätten.
Die wesentlichen Maßnahmen der Unternehmensteuerreform sind Ihnen so weit bekannt, dass ich aus Zeitgründen nicht im Einzelnen darauf eingehe. Aber ich will die wichtigsten Punkte nennen. Wir tun etwas, was von vielen - übrigens einem breitem Spektrum - in diesem Haus vor Beginn der Unternehmensteuerreform immer für richtig erachtet worden ist: Wir senken die nominalen Steuersätze und erweitern dabei die Bemessungsgrundlage. Das heißt, wir schränken die Gestaltungsmöglichkeiten, die derzeit legalen Möglichkeiten der Steuervermeidung, in Deutschland ein. Das war eine der Zielsetzungen der Unternehmensteuerreform.
Die Zahlen, wie hoch der Betrag ist, der am deutschen Fiskus ?vorbeigestaltet“ werden kann, gehen auseinander. Das DIW hat kürzlich eine Zahl von 100 Milliarden Euro genannt. Ein eher der Wirtschaft nahestehendes Institut redet von 30 Milliarden Euro. Egal wie hoch dieser Betrag genau ist, er ist auf jeden Fall zu hoch. Diese Verschiebebahnhöfe müssen unterbunden werden.
Wenn wir nur einen Teil dieser legalen grenzüberschreitenden Verlagerung eindämmen können, dann sichern wir die Steuerbasis in Deutschland, und das langfristig. Ich möchte nicht, dass die Unternehmensführungen vor allem in ihre Steuerabteilungen investieren, um herauszufinden, welche die besten legalen Steuervermeidungsstrategien sind, sondern ich möchte, dass die Unternehmen in Arbeitsplätze und in Realkapital in Deutschland investieren.
Wir haben sehr darauf geachtet, dass insbesondere die vielen kleinen und mittleren Unternehmen durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Deswegen wehre ich mich gegen die Äußerung, dass es eine Mittelstandslücke gibt. Übrigens hat gerade das sehr renommierte Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim deutlich gemacht, dass der Mittelstand einer der Gewinner dieser Reform ist.
Das liegt zum Teil daran, dass die Tarifsenkung bei mittelständischen Unternehmen voll positiv wirkt, während sie von den Elementen der Gegenfinanzierung aufgrund von Freigrenzen und Freibeträgen, übrigens auch aufgrund niedrigerer individueller Grenzsteuersätze, im Gegensatz zu den großen Unternehmen nicht betroffen sind. Es ist auch daran zu erinnern, dass der deutsche Mittelstand durch die Maßnahmen der Vorgängerregierung und die Steuerreformen bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts um 13 Milliarden Euro entlastet worden ist.
Die Steuerreformschritte des Jahres 2000 und folgende haben dazu geführt, dass die Effektivbesteuerung von 80 bis 85 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland inzwischen bei unter 20 Prozent liegt.
Mit Blick auf die jetzigen Maßnahmen möchte ich darauf hinweisen, dass insbesondere aufgrund der Verbesserung der Ansparabschreibung und der Thesaurierungsmöglichkeiten keine Mittelstandslücke existiert. In Deutschland gibt es ungefähr 3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen. 1 Million von ihnen werden in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betrieben. Sie alle profitieren von der Absenkung des Nominalsteuersatzes. Darüber hinaus gibt es 2 Millionen Personengesellschaften in Deutschland. Von diesen 2 Millionen Personengesellschaften haben lediglich 70 000 Unternehmen - mehr nicht - ein Eigenkapital von mehr als 210 000 Euro und können daher nicht die Möglichkeiten der Verbesserung der Ansparabschreibung in Anspruch nehmen. Es sind also ungefähr 2 Prozent der Personengesellschaften, die von diesen Vergünstigungen nicht profitieren. Ich möchte deutlich darauf hinweisen, dass der weit überwiegende Teil der Mittelständler durch die Thesaurierungsbegünstigung für ertragsstarke größere Personengesellschaften und durch die Möglichkeiten der Ansparabschreibung im Rahmen der Unternehmensteuerreform begünstigt wird. Insgesamt kann man feststellen, dass der deutsche Mittelstand, was die Besteuerung betrifft, im europäischen Vergleich im besten Drittel angekommen ist.
Um einen weiteren Punkt aufzugreifen: Gelegentlich höre ich, dass darauf hingewiesen wird, wie schädlich die Gewerbesteuer sei. Insbesondere aus den Reihen der FDP wurde ein Plädoyer dafür gehalten, die Gewerbesteuer abzuschaffen. In der Wahrnehmung der politischen Arbeitsgruppe war dieser Vorschlag immer ein Irrweg. Da ungefähr 60 Prozent der öffentlichen Investitionen von den Kommunen getätigt werden und diese Investitionen vornehmlich dem deutschen Mittelstand zugute kommen, muss man die Einnahmebasis und die Investitionsfähigkeiten der Kommunen stärken. Das tun wir mit der Unternehmensteuerreform.
Das bedeutet in meinen Augen nicht, dass die Kommunen irgendeinen Zuschlag bzw. einen Hebesatz aus den Einnahmen der Einkommensteuer oder einen größeren Anteil an den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bekommen müssen, sondern es bedeutet, dass sie eine eigene wirtschaftskraftbezogene Steuereinnahme mit eigenem Hebesatzrecht brauchen. Dies ist im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform gelungen.
Eigentlich geht es um noch mehr: Wir halten nicht nur die gute Perspektive im Hinblick auf die Einnahmesituation der Kommunen offen, sondern wir verstetigen auch ihre Einnahmen in erkennbarem Umfang, zum Beispiel durch Verbesserungen der Bemessungsgrundlage. Ich weiß, dass es Kritik daran gegeben hat, nach dem Motto: Ihr führt mehr ertragsunabhängige Elemente in die Bemessungsgrundlage ein, was dazu führt, dass die Unternehmen nicht mit der Konjunktur atmen können. - Ich möchte darauf hinweisen, dass der Anteil der ertragsunabhängigen Elemente an der Besteuerung in Deutschland einer der niedrigsten in ganz Europa ist. Wo also ist in diesem Zusammenhang das Problem? Es wird in meinen Augen jedenfalls deutlich übertrieben.
Es ist richtig, dass sich mit dieser Unternehmensteuerreform Mindereinnahmen verbinden. Aber noch einmal: Nichtstun würde dauerhaft zu größeren Mindereinnahmen führen. Man muss sehen, dass man diese Mindereinnahmen bei einer vollen Jahreswirksamkeit auf 5 Milliarden Euro begrenzen kann. Das heißt, zu dem Zeitpunkt, wo alle entlastenden und alle belastenden Elemente in einem Jahr wirken, haben wir die häufig genannten 5 Milliarden Euro. Richtig ist, dass wir im ersten Kassenjahr mit Mindereinnahmen von 6,5 Milliarden Euro zu rechnen haben. Aber entscheidend ist, wie sich die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren tatsächlich entwickeln, unter Berücksichtigung, dass wir Steuersubstrat zurückgewinnen, und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung. Alle Indikatoren weisen darauf hin, dass wir bei der Gewerbesteuer nach zwei Jahren und bei der Körperschaftsteuer nach drei Jahren auf demselben Einnahmeniveau sind wie 2007.
Ich will an dieser Stelle dem Verdacht begegnen, wir hätten dort Selbstfinanzierungseffekte eingerechnet. Wir haben definitiv keine Selbstfinanzierungseffekte in diese Berechnungen einfließen lassen, sondern wir gehen von den Wachstumsmöglichkeiten, von den Wachstumsperspektiven aus und, in einem sehr bescheidenen Ausmaß, davon, dass wir über solche Verbesserungen die Steuerbasis, die in Deutschland verloren zu gehen droht, erhalten können.
Ein weiterer Vorwurf lautet - um zum Schluss zu kommen -, dass sich mit dieser Unternehmensteuerreform Bürokratiekosten verbinden. Ich möchte darum bitten, die Proportionen nicht aus den Augen zu verlieren: Richtig ist, dass dieser Gesetzentwurf mit Nachweispflichten und Meldevorschriften zusätzlichen Aufwand für die Unternehmen nach sich zieht, somit Bürokratiekosten entstehen. Aber dies ist im Interesse des deutschen Fiskus notwendig, sonst verlieren wir Einnahmen.
Entgegengehalten wird auch, dass der Normenkontrollrat mit Blick auf die Anlageverzeichnisse für geringwertige Wirtschaftsgüter, für Wirtschaftsgüter bis 1 000 Euro, mit Bürokratiekosten von 180 Millionen Euro rechnet. Aber ich bitte, auch hier im Blick zu behalten, dass sich diese 180 Millionen Euro, die dafür aufgewandt werden müssen, auf 5 Millionen Unternehmen erstrecken. Das heißt, pro Unternehmen und Jahr sind es 36 Euro Mehraufwand, 3 Euro pro Monat. Das sind die Proportionen, die wir im Blick behalten müssen. Das heißt, diese bombastische Zahl - nach dem Motto: Was inszenieren die da wieder für eine Bürokratie? - rückt sich doch zurecht, wenn man bereit ist, zu bedenken, dass diese Summe auf die in Rede stehende Anzahl der deutschen Unternehmen umzulegen ist.
Mit dieser Unternehmensteuerreform setzt die Große Koalition ihre erfolgreiche Arbeit am Wirtschafts- und Sozialmodell der Bundesrepublik Deutschland fort. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass der Mut zu grundsätzlichen Reformen, zu Strukturreformen, am Ende mit mehr Wachstum und mit weniger Arbeitslosigkeit belohnt wird. Dies sage ich auch für diese Unternehmensteuerreform voraus. Man braucht einen langen Atem dafür. Helfen wird eine gute Lunge; das Rauchverbot ist in diesem Zusammenhang vielleicht ganz hilfreich.
- Der Fraktionsvorsitzende der SPD ist dort anderer Auffassung. - Ich will darauf hinaus: Diese Steuerreform ist kein Geschenk an irgendjemanden, sondern bedeutet eine Investition in den Standort Deutschland, in die Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Ich wäre dankbar, wenn das so bewertet werden könnte.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto Solms.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Aufruf des Bundesfinanzministers zu Augenmaß als einen Aufruf in seine eigenen Reihen verstanden.
Denn die Oppositionstätigkeit innerhalb der Koalitionsfraktionen und zwischen den Koalitionsfraktionen ist sehr viel reger als das, was die Opposition gegenwärtig leisten kann.
Wir können uns ja kaum noch Gehör verschaffen, weil Sie die Oppositionsrolle mit übernommen haben.
Das Zweite, was ich dazu sagen wollte: Sie haben eine sehr wortreiche Verteidigungsrede für dieses Modell der Unternehmensteuerreform vorgetragen. Aus vielen Worten wird aber noch kein schönes Gedicht, Herr Finanzminister; denn die Frage lautet: Welchen Maßstäben muss eine solche Unternehmensteuerreform gerecht werden? Sie muss doch offenkundig dem Maßstab gerecht werden, die internationale Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich des Forschungsstandorts Deutschland, des Investitionsstandorts Deutschland - und damit des Arbeitsplatzmarkts Deutschland - und schließlich auch des Finanzplatzes Deutschland im Bereich der Steuern zurückzugewinnen. Hier sind wir international enorm zurückgefallen. Daran gibt es keine Zweifel.
Eine Unternehmensteuerreform ist aus Sicht der FDP überfällig. Sie muss mit Entlastungen der Unternehmen verbunden sein. Wenn ich mir die Diskussion innerhalb der Reihen der SPD gegenwärtig anhöre und das betrachte, was die Fraktion der Linken vorträgt, dann kann ich mich nur wundern. Der Volkskongress Chinas, einer der letzen kommunistischen Staaten dieser Welt - und zwar kein kleiner -, hat vor 14 Tagen beschlossen, dass alle Unternehmen jedweder Rechtsform nur noch mit 25 Prozent besteuert werden sollen.
Das hat man in Deutschland noch nicht verstanden. Das ist der Maßstab, der gesetzt wird.
Die Frage ist, wie wir dagegen bestehen wollen. Sie diskutieren darüber, ob 30 Prozent niedrig genug sind. Ganz egal, ob Sie das gut oder schlecht finden: Diesen Maßstäben können Sie sich in einem globalisierten Wettbewerb nicht entziehen. Die Reform, die Sie uns vorschlagen, ist bedauerlicherweise völlig unzusammenhängend und ein Bündel von Einzelmaßnahmen, die sich teilweise widersprechen. Sie ist unsystematisch, ungerecht und verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Darauf will ich eingehen.
Zunächst einmal begrüßen wir die Senkung der nominalen Steuersätze. Kommt denn aber wirklich eine Steuersenkung bei der Wirtschaft an, oder fangen Sie die positiven Effekte durch Ihre Gegenfinanzierungsmaßnahme nicht gerade wieder ein? Sie gaukeln der Wirtschaft vor, sie würde entlastet, sagen aber nicht öffentlich, dass die Wirtschaft die Entlastung selbst bezahlen muss. Noch viel schlimmer ist aber, dass Sie die Wirtschaft mit Ihren Maßnahmen nicht gleichmäßig treffen.
Es mag richtig sein, dass der Vorwurf einer Mittelstandslücke nicht genau trifft; allerdings stimmt es, dass Sie die gewinnschwachen, kapitalschwachen und forschungsintensiven Unternehmen zusätzlich belasten, während Sie die ertragsstarken, international tätigen Unternehmen entlasten. Sie erzeugen genau die falsche Lenkungswirkung.
Das ist eine Steuerreform für Siegerunternehmen.
Sie müssten dagegen die forschungsintensiven, die neuen und die noch kapitalschwachen Unternehmen stärken, damit sie im internationalen Wettbewerb überleben können und neue wirtschaftliche Tätigkeit entstehen kann. Das ist offenkundig nicht in Ordnung.
Darüber hinaus ist die Reform verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, weil Sie die Grundprinzipien der Besteuerung über Bord geworfen haben. Ich erinnere die Kollegen von der CDU/CSU und besonders den Kollegen Wolfgang Schäuble an die Steuerreformkommission des Jahres 1996 unter dem Vorsitz von Theo Waigel. In der ersten Sitzung ist die Frage gestellt worden, ob wir an den Grundprinzipien der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem objektiven Nettoprinzip festhalten wollen. Niemand hat sich dagegen ausgesprochen. Alle waren selbstverständlich dafür. Diese Prinzipien sind ja verfassungsrechtlich fundiert. - Heute spielt das keine Rolle mehr.
Umso mehr habe ich mich darüber gewundert, dass Ministerpräsident Koch aus Hessen zusammen mit Herrn Steinbrück durch das bekannte Koch/Steinbrück’sche Papier damit begonnen hat, die Grundprinzipien der Besteuerung sozusagen zur Beliebigkeit zu erklären.
Gegenwärtig wird ein Gutachten beim Bundesfinanzhof eingereicht - alle Fraktionen dieses Hauses sind darüber informiert und tragen dies mit -, in dem der Verfassungsrechtler Professor Waldhoff noch einmal darauf hinweist, dass diese Prinzipien Verfassungsrang haben. Ich will nur zwei Sätze zitieren:
Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leitet aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ein grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit her, das sich als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erweist.
Und an anderer Stelle:
In § 2 Abs. 2 EStG hat das objektive Nettoprinzip insofern seine Verwirklichung gefunden, als dass Einkünfte nur Reineinkünfte sind, das heißt der Gewinn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Durchbrechungen dieses Prinzips bedürfen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung.
Jetzt möchte ich gerne von Herrn Koch hören, wie er verfassungsrechtlich begründet - er ist ja ein anerkannter Jurist -,
dass das objektive Nettoprinzip nun offenkundig keine Rolle mehr spielt, weil Verluste und Kostenbestandteile in die steuerliche Bemessungsgrundlage aufgenommen worden sind. Das ist in unseren Augen überhaupt nicht akzeptabel.
Das ist im Übrigen wirtschaftlich auch gar nicht notwendig. Verfassungsgrundsätze können sich nicht an der politischen Tagesnotwendigkeit orientieren, sondern sie müssen gelten. Es ist aber auch deshalb nicht notwendig, weil es nicht stimmt, was Sie hinsichtlich der Gewinnverschiebungen ins Ausland behaupten. Es wurde ja gerade nachgewiesen, dass die international tätige Wirtschaft etwa 75 Prozent ihrer Gewinne im Ausland erzielt, trotzdem aber über 50 Prozent der Steuern in Deutschland abliefert. Das heißt, der deutsche Fiskus hat einen überproportionalen Anteil an der Gewinnbesteuerung der deutschen international tätigen Unternehmen. Es gibt also überhaupt keinen Anlass, diese Gewinnverschiebungen zu unterstellen. Deswegen bin ich der Meinung, dass in diesem Bereich eine Korrektur notwendig ist.
Ich sage Ihnen schon jetzt: Wenn Sie diese verfassungsrechtlich bedenklichen Vorschriften im Gesetzgebungsverfahren nicht korrigieren, dann werden Sie zwangsläufig - auf wessen Initiative hin auch immer - vor den Schranken des Bundesverfassungsgerichtes landen.
Aber was erreichen Sie damit eigentlich politisch? Sie versuchen, um Deutschland herum eine Steuermauer hochzuziehen, und zwar aus Angst, die Steuerpflichtigen würden Deutschland verlassen. Was erreichen Sie denn damit, wenn Sie eine Mauer bauen? Die DDR hat es Ihnen doch vorgemacht!
Kein Ausländer wird mehr hierher kommen, um hier zu investieren, und alle Inländer, die schnell und clever sind, werden das Land verlassen. Das ist die Konsequenz, wenn Sie eine solche Steuermauer aufbauen.
Oder wie es Manfred Schäfers von der ?Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schon im Sommer letzten Jahres geschrieben hat:
Wenn Unternehmen mit ihren Gewinnen nicht zurückkommen, sperrt man wenigstens die ein, die noch da sind. Das sind sozialistische Rezepte.
Das kann nicht funktionieren. Wenn Sie die Gewinne in Deutschland einsperren wollen, dann werden die Unternehmen ihren Sitz nach und nach ins Ausland verlegen. Genau das Gegenteil ist aber die Politik, die wir für Deutschland brauchen.
Herr Steinbrück, die Österreicher haben es uns doch vorgemacht: Sie haben eine exzellente Unternehmensteuerreform gemacht, die, im Gegensatz zu dem, was Sie hier bieten, auch europarechtsfähig ist.
Und was haben die Österreicher erreicht? Sie haben einen riesigen wirtschaftlichen Erfolg, dort liegt die Arbeitslosenquote nur halb so hoch wie in Deutschland, es gibt Wachstum und Auslandsinvestitionen - verhältnismäßig betrachtet, Österreich ist ja ein relativ kleines Land - in einem Ausmaß, wie wir es uns nur erträumen können.
Schließlich ein Wort zur Gewerbesteuer. Natürlich ist die Gewerbesteuer ein Fremdkörper. Reden Sie doch nicht drum herum! Es geht doch nicht darum, den Gemeinden die Finanzierungsgrundlage zu entziehen. Es geht darum, ein modernes, wettbewerbsfähiges, flexibles Unternehmensteuerrecht zu schaffen. Dabei hat die Gewerbesteuer nichts verloren.
Über die Abschaffung der degressiven AfA will ich gar nicht erst reden. Sie haben die degressive AfA für zwei Jahre angehoben und glauben, das wäre es gewesen, sie könnten die AfA jetzt abschaffen, die Wirtschaft boomt und das geht so weiter. Ich sage: Nein, beim nächsten Konjunktureinbruch wird sich das rächen. Sie werden sehen, dass die degressive AfA auch in Zukunft notwendig sein wird. Die Länder um uns herum machen es doch genauso. Wir sind doch nicht auf einer einsamen Insel.
Zusammenfassend möchte ich sagen, Herr Steinbrück: Wir brauchen eine Steuerreform. Die FDP hat ihre Vorschläge in Gesetzestextform vorgelegt. Wir sind bereit, darüber zu reden. Eine Senkung der Unternehmensteuerbelastung ist zwingend notwendig. Aber sie muss sich an den internationalen Maßstäben orientieren. Sie muss zudem auf der Basis der Prinzipien unserer Verfassung gestaltet werden. Eine Alternative dazu kann es nicht geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch.
Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unternehmensteuerreform ist ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aber nicht der einzige Baustein. Sicherlich muss sie im Zusammenhang mit den Fragen betreffend den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland, wie es in den letzten Monaten mehr und mehr - auch als eine Konsequenz aus dem 25-Milliarden-Euro-Programm, das die Große Koalition national aufgelegt hat und das die Länder ergänzen müssen - deutlich wurde, und manch anderer Maßnahme gesehen werden. Wenn ich lobend über die Unternehmensteuerreform als eine Chance spreche, dann will ich nicht verhehlen, dass aus meiner Sicht die offene Flanke bleibt, dass man ohne die notwendige Flexibilisierung des Arbeitsrechts die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht alleine durch eine Unternehmensteuerreform sichern kann. Es bleibt also auch in Zukunft noch etwas zu tun.
Das darf und soll aber nicht mindern, was wir hier gemeinsam erreichen können.
Der Gesetzentwurf, den Herr Kollege Steinbrück für die Bundesregierung eingebracht hat, ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den Koalitionsfraktionen und einem großen Teil der Bundesländer. Wir sind für diese Zusammenarbeit, die zu einem frühen Zeitpunkt begann und in die der Sachverstand der Landesfinanzverwaltungen einbezogen wurde, außerordentlich dankbar. Es war in der Tat wichtig, dass ein solches Thema nicht von Anfang an in die Mühlsteine ideologischer Auseinandersetzungen geraten ist. Wir sehen jeden Tag, dass diese Gefahr besteht. Ich bin Herrn Kollegen Steinbrück dankbar, dass wir auf beiden Verhandlungsseiten ein Klima geschaffen haben, das es uns ermöglicht, weiter gehende Schritte zu machen, als es viele in den Reihen der Großen Koalition für möglich gehalten haben.
Herr Kollege Solms, es stimmt, dass diese Unternehmensteuerreform zu einer veränderten Unternehmensbesteuerung führt. Aber wir müssen zum Beispiel von Österreich lernen. Eines der wesentlichen Hindernisse im deutschen Steuerrecht, die wir in der Vergangenheit als Problem mit uns herumgeschleppt haben, war, dass alle steuerlichen Systeme so eng miteinander vernetzt waren, dass die mit der Funktion des sozialen Ausgleichs belegte individuelle Einkommensteuer unmittelbare Konsequenzen für die Unternehmensbesteuerung im Ganzen hatte. Das bedeutet nüchtern gesehen, dass man, wenn man die Funktion des sozialen Ausgleichs der individuellen Einkommensbesteuerung nicht aufgeben will, die Unternehmensbesteuerung in ein enges Korsett zwängt. Dadurch haben wir zunehmend an internationaler und europäischer Wettbewerbsfähigkeit verloren.
Das Unternehmensteuerrecht, das nun geschaffen wird, ermöglicht uns zwei Dinge getrennt zu sehen: die individuelle Besteuerung persönlichen Einkommens und die Belastung der Unternehmenserträge im internationalen Vergleich. Dies ist die einzige Chance, mittelfristig mit Nachbarländern wie den Niederlanden und Österreich sowie den großen Wettbewerbern in der Welt zu konkurrieren. Deshalb ist diese Unternehmensteuerreform ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Die Entscheidung der beiden Koalitionsfraktionen und derjenigen, die den Gesetzentwurf begleitet haben, Zinserträge zu unternehmerischen Erträgen und nicht mehr zu privaten Erträgen zu rechnen, das heißt, sie in die Pauschalierung durch eine Abgeltungsteuer einzubeziehen, ist für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das nicht nur viel Kapital braucht, sondern das auch eine außerordentlich große Kompetenz darin hat, Kapital zu verwalten, ein wichtiger Schritt, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Konzert zu erhalten.
Ich, der ich das Bundesland Hessen vertrete und aus Frankfurt komme, das mit London im Wettbewerb steht, kann nur sagen: Wir haben aufgrund bestimmter Fehler im Investmentbanking nicht mehr ganz die Nase vorne, wohl aber im Asset Management. Um das Asset Management auf Dauer in Deutschland zu halten, ist es außerordentlich wichtig, ein einfaches und überschaubares Steuerrecht - auch bei der Besteuerung von Zinserträgen und Unternehmenserträgen - zu haben. Ich erlaube mir, an dieser Stelle zu sagen: Auch wegen des Verhetzungspotenzials, das bei solchen Reformen bestehen kann, ist das eine Aufgabe, die eine große Koalition erledigen muss. Ich bin froh darüber, dass sich die beiden Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag entschlossen haben, diese Aufgabe zu leisten. Sie wird weit über die Jahre einer solchen Regierung hinaus Bedeutung für die deutsche Wirtschaft haben.
Wir befinden uns doch in einer Situation, in der wirklich niemand auf den Gedanken kommen kann, man könnte in dieser Frage eine Mauer ziehen. Das hat Konsequenzen: Man muss sicherstellen, dass Menschen, die überall auf der Welt unternehmerische Entscheidungen treffen, die Frage, ob sie denn hier in der Bundesrepublik Deutschland unternehmerisch aktiv sein wollen, positiv beantworten können. Wenn ich einem Unternehmer sage, dass der Spitzensteuersatz zwar grob 25 Prozent mehr - 40 statt 30 Prozent - als in jedem anderen Land in Europa und in der Welt beträgt, in dem sie ihre unternehmerischen Entscheidungen treffen könnten, und dann hinzufügen muss: ?Nimm das aber nicht so tragisch; denn wenn man alle Verrechnungs-, Ausgleichs- und Abschreibungsmöglichkeiten berücksichtigt, dann sieht man, dass die Realbesteuerung viel niedriger ist“, dann muss dieser Unternehmer über die Frage entscheiden: Nehme ich ein Land mit einem einfachen Steuergesetz und einem niedrigen Steuersatz, oder nehme ich ein Land mit einem hohen Steuersatz und beschäftige einen guten Steuerberater? Warum soll er die zweite Alternative wählen? Wir geben ihm in Zukunft die Möglichkeit, die erste zu wählen, meine Damen und Herren. Das ist ein wichtiger Teil internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Es sei auch klar gesagt: Natürlich verursacht eine solche Steuerreform am ersten Tag einen Ausfall, schon deshalb, weil die niedrigeren Sätze am ersten Tag gelten, die Gegenfinanzierungsmechanismen aber erst langsam wirken, und auch deshalb, weil ein Unternehmen sich überhaupt erst entscheiden muss, hierherzukommen - das dauert - und sich anzusiedeln - das dauert -, und für das erste Jahr Steuern zahlen muss - das dauert noch einmal -, bis wir tatsächlich Wirkungen feststellen. Es ist aber ein entscheidender Schritt, dass man in einem internationalen Standortwettbewerb sagen kann: Wir kommen jetzt auf einen Steuersatz, der dem durchschnittlichen Steuersatz internationaler Konzerne - wo immer auf der Welt sie angesiedelt sind - entspricht; es gibt keinen Grund mehr, einen Bogen um Deutschland zu machen. Das ist eine wichtige Botschaft, die wir mit dieser Unternehmenssteuerreform senden.
Es gibt aber auch die andere Seite. Herr Kollege Solms, hier bin ich wirklich anderer Meinung als Sie. Wir haben bei dieser Steuerreform mit den Länderfinanzverwaltungen etwas gemacht, was nicht selbstverständlich ist: Wir haben sehr viele Steuerakten gezogen, sehr viele Realvergleiche gemacht, über den letzten Sommer sehr viele Basistests gemacht und uns Unternehmen angeschaut, sodass wir jetzt einen ziemlich präzisen Überblick darüber haben, was in den Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland wirklich steuerlich geschieht. Zu sagen, dass es keine Verlagerung ins Ausland gebe, widerspricht jedem Gespräch, das doch auch Sie mit Beteiligten in den Wirtschaftskreisen geführt haben, in dem mit stolz geschwellter Brust über die Optimierungsmöglichkeiten der steuerberatenden Gesellschaften in den letzten Jahren geredet wurde.
Wir haben es hier mit konkreten Fällen zu tun. Ich sehe ja, wer jetzt zu mir kommt, wer Probleme hat und wo er die Schwierigkeiten sieht. Das ist alles geltendes Recht. Wenn ich eine Investition in einem anderen europäischen Land oder in Amerika tätige und meine Erträge, die ich dort erziele - die aber sehr hoch sind, weil ich die Kosten nicht in diesem Land geltend gemacht habe -, vollständig in diesem Land versteuere und nach dem Doppelbesteuerungsabkommen am Ende steuerfrei nach Deutschland transferiere, gleichzeitig aber hier in Deutschland die vollen Kreditkosten geltend gemacht habe, weil ich sie in Deutschland verrechnet habe, dann ist das geltendes Recht in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist niemandem übel zu nehmen. Es ist wahrscheinlich in einer Kapitalgesellschaft sogar Untreue, wenn man es nicht so machen würde. Aber wenn der durchschnittliche Steuersatz dem Weltsteuersatz entspricht, dann kann ich erwarten, dass die Allokationen wieder da stattfinden, wo die wirtschaftlichen Erträge sind. Ein Unternehmen, das 60 Prozent des Umsatzes in Deutschland macht und 40 Prozent der Produktion in Deutschland hat, kann nicht 98 Prozent der Zinskosten in Deutschland haben. Das geht nicht.
Das ist kein ganz theoretischer Fall.
Es ist eine notwendige Balance, auf der einen Seite internationale Steuersätze zu haben und auf der anderen Seite diesen Schritt in einer solchen Weise zu ermöglichen. Wir werden eine solche Steuerreform immer zwischen den unterschiedlichen Triebkräften der Wirtschaft balancieren müssen. Hier geht es auch um einen Wettbewerb von internationalen Konzernen. Ich glaube, das sollte man auch nicht bestreiten; denn wenn wir die internationalen Konzerne nicht mehr in Deutschland haben, dann werden Millionen von Arbeitsplätzen in mittelständischen Unternehmen, die eng mit diesen Konzernen vernetzt sind, nicht mehr da sein. Ich kann ein großes internationales Unternehmen, etwa einen Automobilkonzern, nicht unter dem Motto betrachten: Da sind die Superreichen, die entlaste ich steuerlich. Wenn sich dieses Unternehmen aus steuerlichen Gründen dazu entscheidet, nicht mehr hier tätig zu sein, dann hat dies Auswirkungen auf eine riesige Zahl von mittelständischen Unternehmen. Gehen Sie durch das Land: Das ist in der Automobilindustrie so, das ist in der Dienstleistungsindustrie so. Es ist nicht richtig, zwischen den Großunternehmen und dem Mittelstand zu unterscheiden. Wir brauchen in der Steuerpolitik eine Kombination, die beide berücksichtigt. Wir müssen schauen, mit welchen Maßnahmen wir den Mittelstand in den letzten Jahren entlastet haben, und wir dürfen ihn nicht erneut belasten. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Qualität des Standortes Bundesrepublik Deutschland internationales Niveau erreicht. Genau das geschieht in diesen Tagen.
Ich glaube, dass in den Beratungen im Bundestag und im Bundesrat noch über manches Detail gesprochen werden wird. Eines sollte dabei deutlich werden: Wir haben eine neue Philosophie von Freigrenzen und Freibeträgen eingeführt, die logischerweise Mittelstandsgrenzen sind. Mit Freigrenzen und Freibeträgen kann ich einen Weltkonzern nicht besonders glücklich machen. Wenn der Freigrenzen braucht, ist er kein Weltkonzern mehr. Aber ein mittelständisches Unternehmen, das bisher bei der Gewerbesteuerhinzurechnung vom ersten Cent an gezahlt hat, in Zukunft aber eine Freigrenze von 100 000 Euro hat, erhält dann einen massiven Spielraum und erfährt eine massive Entbürokratisierung. Wenn man bedenkt, dass ein Unternehmen einen Kredit in Höhe von 20 Millionen Euro aufnehmen muss, bevor die Zinsschranke und andere Maßnahmen greifen, dann ist ersichtlich, dass der überwiegende Teil der mittelständischen Industrie davon gar nicht betroffen ist. Das ist die Absicht. Wir wollen international wettbewerbsfähige Großkonzerne im Land haben, die im Zusammenwirken mit mittelständischen Unternehmen neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und neue Unternehmensgründungen ermöglichen.
Ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass über manches Detail der Unternehmensteuer auch in Zukunft im Deutschen Bundestag gestritten werden wird. Ich nenne die Stichworte Funktionsverlagerung, Mantelkauf, PPP-Geschäfte und Venturecapital. Ich weiß, dass in den Beratungen der Ausschüsse in den nächsten Wochen viel Papier gewendet werden wird. Ich finde, dass es denen, die an dem Gesetzentwurf mitgewirkt haben, nicht schlecht ansteht, zu sagen, dass sie wissen, dass sie Kompromisse gemacht und manchmal technisches Neuland beschritten haben und sie auch nicht die Allerklügsten in der Welt sind. Das heißt, man kann über die Frage, was im Einzelfall gemacht werden kann, sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle reden.
Wir sehen, dass zum Beispiel in der Leasingbranche manche Diskussion geführt wird. Leasing hat sich etwas anders entwickelt, als es eigentlich unternehmerisch gedacht war. Leasingunternehmen sind manchmal in ihrem realen Verhalten zu Banken geworden. Das macht ihnen jetzt Schwierigkeiten. Darüber muss man miteinander sprechen. Ich glaube, dass es Lösungen für die Probleme gibt. Wir müssen weiter über die Frage reden, was uns die Forschung wert ist. Das betrifft auch die Frage der Bewertung gerade von jungen Unternehmen. Die Diskussion, ob man bei kleinen und mittleren Unternehmen im Bereich der Forschung, die neu an den Markt kommen, die Zinsschranke mit dem EBIT in irgendeiner Weise verbinden kann, ist vollkommen unideologisch. Es interessiert beide Seiten der politischen Lager, wie forschungsintensive Unternehmen angelockt werden können. Es wird jedoch am Ende ein ausgewogenes Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben geben müssen.
Die 5 Milliarden Euro Entlastung mögen manchem als eine fixe Grenze erscheinen. Sie ist in der Tat eine politische Grenze und ein Ergebnis des politischen Kompromisses. Manchmal wäre es uns leichter gefallen, unseren sozialdemokratischen Kollegen zu sagen, dass es vielleicht nicht ganz so entscheidend ist, ob es 5,2 Milliarden Euro oder 4,9 Milliarden Euro sind, vor allem wenn man weiß, wie solche Zahlen errechnet werden. Aber eines will ich auch sagen: Wenn jetzt über diese Frage eine Diskussion stattfindet, dann muss jedermann klar sein, dass es die feste Überzeugung derer ist, die diese Unternehmensteuerreform vorgelegt haben, dass es sich dabei um eine unternehmerische Aktivität der Bundesrepublik Deutschland handelt. Es geht um die Frage: Wie schafft man es, auf einem internationalen Markt, auf dem es keine Grenzen gibt, Unternehmen dazu zu bringen, in die Bundesrepublik Deutschland zu investieren? Wie gebe ich ihnen eine Chance, ihre wirtschaftliche Zukunft hier zu sehen? Denn die einzige Möglichkeit für uns als Steuereinnehmer, ?Geld zu verdienen“, besteht darin, dass sich Unternehmen entscheiden, sich hier anzusiedeln und auch hier zu bleiben. In einem Europa ohne Grenzen kann man in Frankreich, in Polen, in Österreich und an vielen anderen Plätzen in Kilometerentfernung, nicht in kontinentaler Entfernung, alle Aktivitäten entfalten, die man auch in der Bundesrepublik Deutschland entfalten kann. Man kann Waren zollfrei und ohne nennenswerte Kosten in die Bundesrepublik Deutschland bringen. Wer nicht will, dass wir am Wettbewerb um den besten Standort teilnehmen, der kann sich auf den Standpunkt stellen, einem Unternehmen keinen einzigen Cent als Anreiz zu geben. Der wird aber am Ende weniger Steuereinnahmen haben. Wenn man aber jetzt wettbewerbsorientierte Steuerpolitik betreibt, dann gibt man kein Geschenk an die Unternehmen, sondern ein Geschenk an die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die auf Dauer mehr Geld zur Verfügung haben
und in diesem Land mit hohem Standard und vernünftiger sozialer und politischer Infrastruktur leben.
Darüber werden wir auch in den nächsten Monaten eine Debatte führen.
Ich glaube sehr wohl, dass man - das schreibt auch Herr Professor Lang in der heutigen Ausgabe der ?Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ - alle Probleme, von den verfassungsrechtlichen bis hin zu den finanziellen, lösen kann. Ich bin nach wie vor davon überzeugt: Zahlreiche Punkte dieser Unternehmensteuerreform sind vielen in den Wirtschaftsverbänden, in den beiden politischen Lagern und in der Wissenschaft, die uns lange beraten hat, schwergefallen. Dennoch sind nahezu alle von ihnen der Auffassung - das finde ich spannend -, dass das Gesamtwerk ein großer Schritt in die richtige Richtung ist und dass daher nicht jeder Punkt, der persönliche Beschwernis bereitet, zum Anlass genommen werden sollte, wieder mit großem Geschrei gegen diese politische Entscheidung vorzugehen.
Ich wünsche den Beratungen von Bundestag und Bundesrat, dass das in den nächsten Wochen nicht anders wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir etwas tun, was Menschen, die in diesem Land Arbeit suchen, hilft, was dem Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb hilft und was, wenn es gelingt, nicht zuletzt auch dem Ansehen der Politik in der Bundesrepublik Deutschland keineswegs schadet.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tagesordnungspunkt 7 der Finanzausschusssitzung am Mittwoch war eine Diskussion über die Empfehlung für eine Stellungnahme des Rates der Europäischen Union zum aktualisierten Stabilitätsprogramm Deutschlands. Ich zitiere daraus:
Ein signifikantes Risiko erwächst überdies aus der 2008 geplanten Unternehmenssteuerreform. ... So könnte es erforderlich werden, etwaige Einnahmeausfälle bei der Körperschaftssteuer durch zusätzliche Ausgabenzurückhaltung aufzufangen.
Das heißt, Herr Steinbrück, nicht nur wir als Linke, nicht nur viele Wissenschaftler, sondern auch Politiker auf europäischer Ebene sehen Ihre Reform äußerst kritisch und zweifeln an der Richtigkeit der geplanten Steuerausfälle in Höhe von 6 Milliarden Euro.
Es stellen sich zwei politische Fragen: Erstens. Brauchen wir eine Unternehmensteuerreform? Zweitens. Können wir uns eine Reform leisten, die zu massiven Steuerausfällen für die öffentliche Hand führt?
Die erste Frage beantworte ich Ihnen ganz klar mit Ja; denn es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Aristoteles formulierte: Des Staates höchstes Gut ist die Gerechtigkeit, und gerecht ist, was dem Gemeinwesen frommt. Das Gerechte muss aber für alle etwas Gleiches sein.
In den Jahren 1991 bis 2004 - in diesem Zeitraum war jeweils eine der beiden Fraktionen, die heute die Große Koalition bilden, Regierungsfraktion - stiegen die Einkommen aus Vermögen in Deutschland um 43 Prozent und die aus Gewinnen um 27 Prozent. Demgegenüber stiegen Löhne und Gehälter gerade einmal um 10 Prozent. Bei den Lohnabhängigen und bei den Beamten waren allerdings nicht 10 Prozent mehr im Portemonnaie; denn ihre Steuerbelastung stieg unter anderem auch durch die Mehrwertsteuererhöhung um 1 Prozent.
Bei den Gewinnen und Vermögen sah es natürlich anders aus. Sie wurden sogar noch entlastet: Die effektive Steuerlast sank in diesen Jahren. Der Anteil der Gewinnsteuern, also der Erträge der Kapitalgesellschaften am Bruttoinlandsprodukt, lag 2003 in Deutschland bei gerade einmal 1,3 Prozent. Im OECD-Durchschnitt waren es 3,3 Prozent. Wir in der Bundesrepublik haben also ein massives Gerechtigkeitsproblem. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass es im Sinne der verhältnismäßigen Gleichheit notwendig ist, dass die wirtschaftlich Leistungsfähigeren einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens an Steuern zahlen müssen. Daran sollten Sie sich messen lassen.
Wir haben Ihnen unsere Vorschläge für eine Unternehmensteuerreform in einem Antrag vorgelegt. Diese Unternehmensteuerreform soll eine sozial gerechte Beteiligung der Unternehmen an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben sicherstellen. Ich nenne Ihnen nur einige Stichpunkte: Beibehaltung des Körperschaftsteuersatzes bei 25 Prozent; Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage von Unternehmen; Aufdeckung und Unterbindung von konzerninternen Gestaltungsmodellen. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die im Inland anfallen, werden durch obligatorische Kontrollmitteilungen der Banken an die Finanzämter effektiver erfasst und bei allen Einkommensteuerpflichtigen nach dem Einkommensteuertarif besteuert.
Mit diesen Vorschlägen und ihrer Umsetzung ist auch die zweite Frage von uns gut zu beantworten: Wir können es uns nicht leisten, auf Geld für die öffentliche Hand zu verzichten. Das wäre mit der Umsetzung der von uns vorgeschlagenen Reform gesichert.
Mit dem, was Sie bei Ihrer Unternehmensteuerreform vorschlagen - ja, auch Sie möchten eine -, mit dem Wie zeigen Sie, dass Ihnen jegliches, aber auch wirklich jegliches Gefühl für Gerechtigkeit abhandengekommen ist.
Sie behaupten doch allen Ernstes, dass die Kapitalgesellschaften und ertragsstarken Unternehmen - das sind die, die Sie mit Ihrem Gesetz entlasten wollen - bei der Steuerentlastung im Vergleich zu den kleinen und mittleren Personenunternehmen, die in der Steuerreform 2000 entlastet wurden, einen Nachholbedarf haben. Ich frage mich wirklich: Denken Sie, hier sind alle dumm und mit dem Klammerbeutel gepudert? Meinen Sie, dass die Steuerbeschlüsse von Rot-Grün vergessen sind? Wann haben wir denn den Körperschaftsteuersatz gesenkt? 2001 wurde er auf nur noch 25 Prozent gesenkt.
Wie ist es denn mit der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen? Allein das kostet die öffentliche Hand jährlich 13 Milliarden Euro, Geld, das dringend gebraucht wird.
Natürlich muss von Ihnen jetzt wieder der Zwischenruf kommen: internationaler Wettbewerb, Globalisierung; wir müssen senken. Ich kann mich aus Zeitgründen nicht weiter damit auseinandersetzen. Ich zitiere einfach den ersten Satz aus dem Papier der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion: Von einer zu hohen steuerlichen faktischen Gesamtbelastung der Unternehmen in Deutschland kann auch im internationalen Vergleich überhaupt keine Rede sein.
Abgesehen davon, dass für eine Standortentscheidung die Steuersätze nicht der entscheidende Faktor sind, abgesehen davon, dass ein guter Standort es rechtfertigt, dass auch etwas mehr Steuern bezahlt werden müssen, und abgesehen davon, dass die effektive Steuerlast der deutschen Unternehmen im europäischen Mittelfeld liegt: Herr Steinbrück, haben Sie sich einmal gefragt, wo Sie enden, wenn Sie diese Steuersenkungspolitik - von 1982 bis 2004 eine Senkung der Tarife von 30 auf 17 Prozent - fortsetzen? Ich sage Ihnen: 2045 sind wir bei null Steuern.
Da ist Ihre Entscheidung gefragt. Statt als mächtigstes Industrieland in Europa heute zu sagen: ?Halt! Stopp mit diesem Steuerwettbewerb! Das können wir uns nicht leisten“, stellen Sie sich an die Spitze des Steuerwettbewerbs und wollen weiter in diese Richtung marschieren. Das ist keine intelligente Reaktion, wie Sie sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs noch versprechen.
Sie haben nur eines sichergestellt: dass Ihre Reform wieder durch Kinder, Studierende, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlt wird. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte haben Sie durchgedrückt; da bleibt ja locker Geld zur Entlastung der Unternehmen.
Die Abgeltungsteuer ist schon ein besonderes Schmeckerchen. Man sagt, die Erotik des Alters sei das Essen. Ich habe im Prozess der Auseinandersetzung mit Ihrem Gesetzentwurf gelernt, dass es noch eine typisch deutsche Kompensation für Erotik gibt. Die Sucht nach Gestaltungsmodellen und Vergünstigungen in Deutschland ist größer als der Sexualtrieb. - So der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Herr Ondracek, aus langjähriger Erfahrung der Finanzbeamten.
Wie reagieren Sie? Sie schaffen mit der Abgeltungsteuer eine finanzamtsfreie Zone.
Ich frage Sie mit der parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion: Steuerausfälle von mindestens 25 Milliarden Euro über die nächsten fünf Jahre, ein Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent und eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent, das soll mit einem Mal sozialdemokratische Zukunftspolitik sein?
Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn Sie es durchsetzen, im Zuge der Unternehmensteuerreform eine Unternehmensteuerreform in unserem Sinne zu machen und gleichzeitig, wie versprochen, die sozial gerechte Besteuerung von Vermögen und Erbschaften, die Einführung eines Mindestlohns von 8 Euro und die beitragsfreie Kinderbetreuung zu diskutieren.
Sie haben noch die Chance, auf Ihrem falschen Weg umzukehren.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Christine Scheel für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Höll, mein Fraktionschef hat gerade so schön gesagt: ?Die Wiedervereinigung mit der SPD wird so schnell nicht stattfinden.“ Ich glaube, die Sozialdemokraten, die sich das heute angehört haben, haben große Probleme mit solch einer Vorstellung.
Das, was Sie gesagt haben, hört sich vielleicht für den ein oder anderen in der Bevölkerung so an, als würden Sie sich für die Gerechtigkeit einsetzen. In Wirklichkeit wäre die Umsetzung Ihrer finanzpolitischen Vorstellungen für Deutschland ein Rückschritt, kein Fortschritt: Sie würde keine neuen Arbeitsplätze bringen; sie würde bei unseren Unternehmen zu riesigen Problemen führen. Letztendlich wären die, von denen Sie glauben, Sie müssten sich für sie hier hinstellen, die Geschädigten, wenn Ihre Politik umgesetzt würde; Gott sei Dank wird sie nicht umgesetzt.
Man muss sehen, dass Ihre Neidrhetorik nichts bringt. Man muss mit einer solchen Thematik bei der Betrachtung der Vorlage, die Herr Steinbrück heute vorgestellt hat, wirklich mit Augenmaß und Vernunft umgehen. Wir leben nicht auf der Insel; wir müssen uns auch daran orientieren, was über unseren nationalen Tellerrand hinaus passiert.
Wenn wir das tun, dann stellen wir fest: In West- und Nordeuropa gibt es Länder, in denen die Belastung durch den Steuersatz im Unternehmenssektor, bei den Körperschaften, 30 Prozent beträgt. In Osteuropa beträgt die Belastung im Durchschnitt etwa 20 Prozent. Es gibt extreme Beispiele: In Estland beträgt die Belastung 0 Prozent; in Irland beträgt sie 12,5 Prozent. Wir in Deutschland - das ist richtig - liegen mit einer Steuerbelastung von fast 40 Prozent an der Spitze. Minister Steinbrück hat zu Recht gesagt, dass das nicht so bleiben kann. Auch Herr Koch hat darauf hingewiesen, dass wir im internationalen Wettbewerb stehen und wir uns daran orientieren müssen.
Ich halte es für falsch, zu unterstellen, dass eine Senkung der Steuersätze auf einigermaßen internationales Niveau - auf das Niveau des Mittelfelds - Steuerdumping bedeutet. Steuerdumping sollten, können und wollen wir nicht betreiben; denn der Staat braucht selbstverständlich Einnahmen, um in die Bildung, in die Infrastruktur investieren zu können. Selbstverständlich müssen auch die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, wenn sie viel Umsatz machen und Gewinne einfahren, ihren Beitrag dazu leisten.
Natürlich müssen wir uns nicht nur am internationalen Standortwettbewerb orientieren; denn die Steuersätze allein - das wissen auch Sie, Herr Koch - sind nicht das Kriterium dafür, ob sich ein Unternehmen in Deutschland ansiedelt. Unternehmen kommen, weil sie eine gute Bildungssituation vorfinden, weil sie sehen, dass es sich um einen guten Wissensstandort handelt, um einen Standort, an dem gute Forschung betrieben wird, an dem eine gute Infrastruktur vorhanden ist, an dem die Absatzmärkte vernünftig aufgestellt sind und an dem auch eine vernünftige Binnennachfrage vorhanden ist. Deswegen kommen Unternehmen nach Deutschland; Steuersätze haben allein eine Signalwirkung bei der Entscheidung, wo Kapital investiert wird, und tragen damit einen Teil zu der Entscheidung bei, wo am Ende neue Arbeitsplätze entstehen.
Die Höhe der Steuersätze entscheidet ein Stück weit darüber - das stimmt -, wo ein Unternehmen seine Gewinne versteuert, aber auch darüber, wo die Kosten anfallen. Wegen der hohen Steuersätze und der vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten, die wir in Deutschland haben, ist es für viele Unternehmen, was die Kosten- und Verlustrechnung anbelangt, sehr attraktiv, so vorzugehen, dass Gewinne im Ausland besteuert werden. Letztendlich fehlt dann hier in den Kassen das Geld. Dagegen müssen wir etwas tun; so kann es nicht bleiben.
Deshalb brauchen wir eine grundlegende Strukturreform, Steuersätze auf international wettbewerbsfähigem Niveau, aber auch eine vernünftige Verbreiterung der sogenannten Besteuerungsbasis; beides gehört zusammen. Man kann die Verantwortung für die Stärkung des Wirtschaftsstandorts, der Beschäftigung und der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland nur unter folgendem Aspekt betrachten: Wie ist die Finanzierung für unsere Unternehmen im Einzelnen aufgestellt? Wir reden heute über die Senkung der Unternehmensteuersätze bei Körperschaften. Das sind etwa 15 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland; die anderen 85 Prozent der Unternehmen profitieren von diesen Steuersatzsenkungen nicht. Auch das muss man den Bürgern und Bürgerinnen in diesem Zusammenhang sagen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns die Seite der Finanzierung genau anschauen, um sie vernünftig zu gestalten. Da hilft kein Populismus, Frau Höll. Auch Herr Lafontaine wird das gleich hier darlegen; er kann das ja noch viel besser. Aber mit Rhetorik und Populismus allein generieren wir keine Wirtschaftskraft und keine Beschäftigung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen in der Großen Koalition, nicht alles, was Geld kostet, ist deswegen schon eine Reform. Das hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal so gesagt. Wenn jemandem etwas geschenkt wird, wird oft so getan, als sei das eine Reform. Reform bedeutet aber, dass man sich strukturell vernünftig aufstellt, dass Probleme gelöst werden, wo Probleme sind, und zwar wohlgemerkt, ohne größere Probleme an anderer Stelle zu schaffen.
Das ist die Kritik, die wir als Bündnis 90/Die Grünen an diesem Werk haben; denn wir sehen, dass neue Probleme für unseren Standort Deutschland geschaffen werden, wo keine sein dürfen. Das ist das, was der Großen Koalition nicht gelungen ist: die Steuersatzsenkung mit einer Finanzierung zusammenzubringen, die wirklich vernünftig ist und den Unternehmen, und zwar allen Unternehmen, in der Bundesrepublik Deutschland hilft.
Wir haben - Sie wissen es - eine Finanzierungslücke von etwa 9 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Knapp ein Drittel der Reformen ist nicht solide finanziert. Sie von der Großen Koalition
finden das vielleicht gar nicht so schlimm; denn man liest zurzeit und sieht es auch in den Statistiken, dass die Steuereinnahmen sprudeln. Das ist sehr schön; darüber freuen wir uns alle. Aber man muss bei der Entwicklung einer solchen Reform natürlich auch sehen, dass man den Leuten nicht vermitteln kann, dass Steuerausfälle in den nächsten Jahren nicht so schlimm seien, nachdem man ihnen vor nicht allzu langer Zeit noch die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, den Sparerfreibetrag halbiert und die Pendlerpauschale verfassungswidrig ausgestaltet hat. Man darf nicht glauben, dass die Menschen einem dann folgen und verstehen, warum jetzt plötzlich Geld da sein soll, um die Unternehmen im nächsten Jahr um 9 Milliarden Euro zu entlasten. Das verstehen die Menschen nicht.
Man muss den Menschen sagen, wie das funktionieren soll; man muss sie mitnehmen, wenn man eine Reform macht. Das müssten auch Sie mittlerweile gelernt haben.
Wir können uns - das ist ein zweites Problem - auch nicht immer auf das Handeln der großen Unternehmen verlassen. Schauen Sie sich doch an, was in den letzten Tagen geschehen ist. Einige Vorstandsmitglieder der Firma Siemens sitzen mittlerweile im Gefängnis. Siemens ist ein international aufgestelltes Unternehmen. Es schmerzt einen, wenn man sieht, wie desolat das Management von manchen großen Unternehmen - sehr viele Unternehmen machen es gut; die kleinen und mittleren machen es alle sehr gut - ist.
Man sieht, dass es eben nicht so ist, dass die Bevölkerung das Vertrauen haben kann, dass die Unternehmen alles richtig machen, und dass es gerechtfertigt wäre, ihnen etwas mitzugeben. Das müssen Sie den Menschen erklären; ich glaube, da sind Sie in der Bringschuld.
Ein weiterer Punkt ist, dass Sie auf das Prinzip Hoffnung setzen. Sie gehen davon aus, dass die Steuerquellen weiter sprudeln und dass Sie durch die weitere Entwicklung, an die Sie glauben - es wäre ja gut, wenn es für den Standort insgesamt so positiv weiterginge -, die Steuerausfälle verdecken können. Das ist nicht in Ordnung. Wenn man sagt, dass man eine Reform durchführt, die sich selbst finanziert, dann darf man nicht die allgemeine Entwicklung mit hineinrechnen und so tun, als ob die konjunkturelle Entwicklung ein Stück weit als Gegenfinanzierung dienen könne. Die Steuermehreinnahmen aufgrund der positiven konjunkturellen Entwicklung müssen wir in Forschung und Bildung, in unsere Kinder investieren. Diese Mehreinnahmen dürfen nicht, wie Sie es vorhaben, für eine Entlastung der Großkonzerne verwendet werden.
Die Unternehmensteuerreform braucht - der Finanzminister und auch Ministerpräsident Koch haben darauf hingewiesen - eine wirksame und unbürokratische Mittelstandskomponente, die sich an der Schaffung von Arbeitsplätzen orientiert. Die Finanzierung dieser Reform ist aber ein buntes Sammelsurium ohne inhaltlichen Zusammenhang. Sie haben bei der Gegenfinanzierung anscheinend überall ein wenig herumgestöbert, um zu schauen, was man da machen kann. Aber Ihre wirtschaftspolitischen Überlegungen haben Sie hintangestellt. Minister Glos hat ein neunseitiges Schreiben verfasst, warum es für die mittelständische Wirtschaft schlecht wäre, wenn diese Reform so ausgestaltet bleibt, wie Sie das bislang vorgesehen haben.
Herr Koch, es ist sehr widersprüchlich, wenn Sie auf der einen Seite sagen, Sie würden für den Mittelstand eintreten und Sie wollten den Mittelstand nicht mehr belasten, und auf der anderen Seite Bedingungen geschaffen werden, die für die kleinen und mittelständischen Unternehmen unter dem Strich doch zu einer Belastung führen. Sie müssen sich schon entscheiden. Sie können nicht sagen, diese Reform sei für alle eine tolle Sache, und auf der anderen Seite anders handeln. Das ist nicht in Ordnung. Wir werden Ihnen das im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht durchgehen lassen.
Fakt ist, dass die Bundeskanzlerin den Nationalen Normenkontrollrat eingesetzt hat. Er wurde mit einem riesigen Brimborium auf den Weg gebracht. Ich kann mich noch gut an die Aussagen der Frau Bundeskanzlerin und anderer hier im Saal erinnern. Sie haben gesagt, dieses Gremium solle dafür sorgen, dass bei jedem Gesetzgebungsvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland darauf geachtet wird, dass vom Parlament verabschiedete Gesetze nicht zu neuen bürokratischen Hemmnissen, nicht zu Verirrungen und Verwirrungen führen.
Dieser Rat hat, wie ich meine, völlig zu Recht beanstandet, dass es ein deutliches Missverhältnis zwischen dauerhaften bürokratischen Lasten und zeitlich begrenzten Mehreinnahmen im Zuge dieser Reform gibt. Das heißt, Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Mit Ihren Maßnahmen bürden Sie 5 Millionen Unternehmen im Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen neue bürokratische Lasten auf. Es kann nicht sein, dass der Normenkontrollrat diesen Missstand zwar benennt, Sie aber so tun, als gäbe es keine Probleme mit der Bürokratie für diese Unternehmen.
Auch die Verlustvorträge sind ein Riesenproblem. Man möchte völlig zu Recht, dass Missbrauch bekämpft wird. Missbrauch und entsprechende Steuergestaltungsmöglichkeiten müssen bekämpft werden. Aber es ist ein Problem, wenn bei einem Eigentümerwechsel die Verrechnung mit Gewinnen nicht möglich ist. Gerade die jungen und innovativen Unternehmen müssen doch atmen können und müssen die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln.
Aber bei ihnen besteht die Gefahr, dass die Substanz besteuert wird.
Mit Ihrer sogenannten Gegenfinanzierung schlagen Sie voll über die Stränge. Sie treffen genau die Unternehmen in Deutschland, die innovativ sind, die Arbeitsplätze schaffen wollen und die hier nicht nur forschen, sondern auch entwickeln wollen. Das müssen Sie ändern.
Die Frau Bundeskanzlerin hat einen Tag vor dem Beschluss des Kabinetts darauf hingewiesen, dass es an dieser Stelle ein Riesenproblem gibt. Ich hoffe, dass Sie dieses Problem angehen, negative Wirkungen für unseren Standort bezüglich Wachstum und Beschäftigung verhindern und für eine vernünftige Ausgestaltung der Reform sorgen. Dieser Unsinn muss gestoppt werden.
Ich appelliere an Sie: Machen Sie die Reform unbürokratischer! Wir erwarten von Ihnen wirtschaftlichen Sachverstand. Führen Sie keine Regelungen ein, die Wachstumsbremsen sind! Reißen Sie sich zusammen! Stellen Sie wirtschaftspolitische Überlegungen an und legen Sie Ihren Tunnelblick hinsichtlich der Steuersystematik ab! Denken Sie daran, dass wir diese Reform für die Bürgerinnen und Bürger und auch für die Wirtschaft machen und nicht für irgendwelche Statistiken!
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Jörg-Otto Spiller ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Jörg-Otto Spiller (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Scheel, erst einmal gratuliere ich Ihnen dazu, dass Sie heute die ganze Redezeit, die Ihrer Fraktion zur Verfügung steht, ausnutzen durften. Sie hatten damit allerdings auch Ihre Probleme.
Vielleicht lesen Sie im Protokoll einfach noch einmal die erste Hälfte Ihrer Rede nach. Sie passte zur zweiten überhaupt nicht.
Es ist ein bisschen schwierig, wenn man erst einmal korrekt darstellt, wie gut die Ansätze der Reform der Unternehmensbesteuerung sind, und dann aus der Verpflichtung als Oppositionsrednerin heraus, dazu etwas Kritisches zu sagen, noch ein bisschen im Gemüseladen herumkramt. Ihre Rede war schon einmal besser.
Hohe Steuersätze sind keine Garantie für hohe Steuereinnahmen. Das gilt in besonderem Maße für die Besteuerung der zunehmend international verflochtenen Unternehmen. Nahezu alle großen und viele mittlere in Deutschland ansässige Unternehmen sind heute Haupt oder Glieder internationaler Konzerne. Wo innerhalb der Unternehmensgruppe in welcher Höhe Kosten oder Erträge anfallen, ist damit in einem erheblichen Umfang gestaltbar.
Ein Beispiel. Warum die nächste Investition aus dem in Deutschland zu versteuernden Gewinn finanzieren, wenn es einen steuerlich viel hübscheren Weg gibt: Die in einem Land mit niedrigeren Steuersätzen angesiedelte Tochter gewährt der deutschen Mutter einen Kredit. Für die Mutter sind die Zinsen Betriebsausgaben, mindern also ihren steuerpflichtigen Gewinn. Da der aber im Land der Tochter geringer zu versteuern ist als in Deutschland, lohnt sich die Operation. Der Verlierer ist der deutsche Fiskus.
Ein anderes Beispiel. Die deutschen Filialen einer beliebten Möbelhauskette weisen trotz guter Umsätze zu ihrem größten Bedauern keine nennenswerten steuerpflichtigen Gewinne aus, weil für die Nutzung des Firmennamens und des gelb-blauen Markenzeichens leider hohe Lizenzgebühren an eine Konzernschwester in einem Niedrigsteuerland zu zahlen sind; denn diese verfügt über die Namens- und die Markenrechte.
Herr Kollege Dr. Solms, trifft denn das objektive Nettoprinzip zu,
wenn jemand seine Gewinne hin und her schieben und seine Gewinn- und Verlustrechnung manipulieren kann? Ich bin ganz sicher: Wenn ein Gericht prüft, was gleichmäßige Besteuerung und was das objektive Nettoprinzip ist, wird es zu dem Ergebnis kommen, dass solche Tricksereien in keiner Weise mit dem Prinzip der gleichmäßigen Besteuerung vereinbar sind. Ich bin sicher: Wir sind auf dem richtigen Weg, auch was die Verfassungsmäßigkeit dieser Reform angeht.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, hat kürzlich in einer interessanten Studie zur Unternehmensbesteuerung dargelegt, dass die deutschen Steuersätze mit einer tariflichen Gesamtbelastung von nominal rund 39 Prozent im internationalen Vergleich an der Spitze liegen. Diese hohen Sätze machen Deutschland aber anfällig gegenüber Gestaltungen. Das tatsächliche Steueraufkommen wird empfindlich geschmälert. Das Ergebnis ist - so sagt das DIW - ein trotz hoher Sätze bestenfalls durchschnittliches und im Verhältnis zu den tatsächlichen Gewinnen unangemessen niedriges Steueraufkommen.
Wer sicherstellen will, dass die in Deutschland ansässigen Unternehmen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben leisten, muss gegen die Erosion der Steuerbasis angehen. Ebendies ist das zentrale Anliegen der Unternehmensteuerreform. Dass in den Medien und in einem Teil der öffentlich geführten Debatte häufig zwei andere Punkte, nämlich die beabsichtigte Senkung des Körperschaftsteuersatzes und die anfänglichen Steuermindereinnahmen, im Vordergrund stehen, ist zwar verständlich, aber eben doch ein sehr verengter Blickwinkel.
Der SPD-Parteirat hat - wenn ich das einmal sagen darf; auch wir führen innerhalb der Partei Debatten; das stimmt - in seiner Entschließung zur Unternehmensteuerreform auf den Punkt gebracht, worum es geht:
Deutschland braucht ein Unternehmenssteuerrecht, das international wettbewerbsfähig ist, die Unternehmen animiert, Gewinne nicht länger ins Ausland zu transferieren, sondern in Deutschland zu investieren, und dadurch insgesamt den Standort Deutschland und seine Arbeitsplätze stärkt.
Wir wollen die deutsche Steuerbasis nachhaltig sichern. Die Kluft zwischen den nominalen Steuersätzen einerseits und den tatsächlichen Steuerzahlungen muss sich schließen. Diesem Ziel dient die Unternehmenssteuerreform.
Die Reform der Unternehmensbesteuerung beruht auf zwei gleich wichtigen Pfeilern: der Sicherung der Steuerbasis und der Stärkung der Attraktivität des Standortes durch Senkung der Sätze. Insgesamt werden wir zu einer nominalen steuerlichen Belastung von knapp 30 Prozent kommen. Das bedeutet, dass der deutsche Körperschaftsteuersatz etwas über den Sätzen Dänemarks, Schwedens und Finnlands und etwas unter den Sätzen Großbritanniens, Luxemburgs und der Niederlande und damit im europäischen Mittelfeld liegen wird.
Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Wir müssen uns im Übrigen vor Augen halten, dass neben den Unternehmen auch die Anteilseigner der Unternehmen Steuern zahlen müssen.
Die Gesamtbelastung eines ausgeschütteten Gewinns, die sich aus der Belastung, die das Unternehmen trägt, und der des Anteilseigners ergibt, wird rund 48 Prozent betragen. Das gilt sowohl für die Kapitalgesellschaften als auch für die ertragsstarken Personengesellschaften. Das ist eine beachtliche Größenordnung, die man bei der Debatte im Blick behalten muss.
Wir wollen, dass die Leistungsfähigkeit der Unternehmen erhalten bleibt. Wir wollen aber insbesondere, dass die Unternehmen künftig mehr Steuern in Deutschland zahlen. Es mag zwar sein, dass das eine oder andere Unternehmen weniger Steuern zahlen wird als heute, es mag auch sein, dass das eine oder andere Unternehmen mehr Steuern zahlen wird als heute, aber ich bin mir sicher, dass auf Dauer alle mehr Steuern in Deutschland zahlen werden und dazu beitragen werden, dass sich das Land bzw. der Wirtschaftsstandort und die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben gut entwickeln.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Heuschrecke im Kopf hat, dem kann die Wirtschaft nicht am Herzen liegen. Diese Einstellung zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Unternehmensteuerreform. Sie ziehen Mauern für die Wirtschaft hoch und verbauen damit Zukunftschancen für unser Land.
Die Unternehmensteuerreform bedeutet nichts anderes als ein in Gesetzestext gegossenes Misstrauensvotum gegenüber der deutschen Wirtschaft. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen zum Beispiel ist doch steuerpolitischer Unsinn, Herr Minister Steinbrück. Hierbei zeigt sich einmal mehr, dass gut gemeint längst nicht dasselbe ist wie gut gemacht.
Es ist richtig, dass Sie die Unternehmen nicht dabei unterstützen wollen, in Deutschland Arbeitsplätze abzubauen. Es ist aber falsch, wenn Sie versuchen, zukünftig im Zusammenhang mit Patenten und Lizenzen anfallende Gewinne zu besteuern. Wer kann denn schon heute wissen, was er morgen mit einer Idee verdienen kann?
Das ist nichts anderes als der Versuch, den Kaffeesatz als feste Größe im Unternehmensteuerrecht zu etablieren. Bei so einem Unfug macht die FDP nicht mit.
Herr Minister Steinbrück, es ist zwar richtig, dass wir eine Unternehmensteuerreform brauchen, es ist aber nicht richtig, dass Deutschland Ihre Unternehmensteuerreform braucht. Sie tun so, als sei das ganze Vorhaben gesetzt und als stünden Sie aus innerer Überzeugung hinter diesem Reformvorhaben. Dabei hat die Bundeskanzlerin einen Tag nach dem Kabinettsbeschluss in München Vertretern der deutschen Wirtschaft erklärt, dass Änderungen notwendig seien.
Herr Kauder, ich war doch dabei, als Sie diese Woche gegenüber dem VCI erklärt haben, dass es zu Änderungen kommen müsse.
Nur, Herr Minister Steinbrück, davon habe ich vorhin nichts gehört. Herr Struck - er ist jetzt leider nicht mehr anwesend - hat gesagt, dass er zustimme, dass man noch einmal darüber reden müsse. Sie sollten uns deshalb nicht vormachen, Ihre Unternehmensteuerreform sei der Weisheit letzter Schluss.
Die Widersprüchlichkeit dieses Entwurfs wird auch an anderer Stelle deutlich. Im Prinzip wollen wir doch alle mehr Investitionen am Standort Deutschland. Deswegen sollten Sie investierende Unternehmen nicht bestrafen. Die Zinsschranke und die Abschaffung der degressiven Abschreibung sind nichts anderes als eine Strafsteuer für Unternehmen mit hohen Investitionskosten. Nach Ansicht einiger Konjunkturforscher könnte die Abschaffung der degressiven Abschreibung die Investitionsquote in Deutschland halbieren.
Wie sensibel die Unternehmen auf Änderungen im Bereich der Abschreibungsregeln reagieren, haben wir bei der Steuerreform 2000 gesehen. Die damalige Gegenfinanzierung der Steuersenkung durch eine Verlängerung der Abschreibungsdauer und eine Reduktion des Höchstsatzes hat zu einer Senkung der Investitionsquote um 4,6 Prozent geführt. So negativ werden auch die Auswirkungen dieser Reform sein, wenn sie so Gesetz wird.
Wer in Deutschland Arbeitsplätze schaffen will, darf diejenigen, die investieren, nicht bestrafen. Das klingt zwar einfach, aber die SPD tut sich schwer damit. Herr Spiller, ich hatte vorhin den Eindruck, dass Sie Ihre Rede ausschließlich für die Reihen der Sozialdemokraten gehalten haben.
Eine Unternehmensteuerreform, die den Namen verdient, muss nicht von den Unternehmen gegenfinanziert werden, sondern finanziert sich selbst. Sie finanziert sich durch mehr Wachstum, durch die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und durch mehr Investitionen. Eine vernünftige Unternehmensteuerreform führt unterm Strich nicht zu weniger, sondern zu mehr Steuereinnahmen. Von Ihrem Gesetzentwurf geht kein Signal des Aufbruchs aus. Was Sie vorne weniger abkassieren, kassieren Sie hinterher doppelt.
Mit Ihrem Gegenfinanzierungsmodell konterkarieren Sie Ihre eigenen Absichten. Vor allem führt Ihr Gesetzentwurf aber zu mehr Bürokratie. Ihr Normenkontrollrat hat eine Mehrbelastung in Höhe von 180 Millionen Euro errechnet und gesagt, dass 40 neue Informationspflichten entstehen würden. Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie noch von Bürokratieabbau sprechen können. Mit jedem Steuergesetz tun Sie genau das Gegenteil von dem, was die Kanzlerin verspricht.
Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Schauen Sie sich Ihre Gegenfinanzierung doch einmal an: Ein Bürostuhl muss künftig über fünf Jahre abgeschrieben werden. Angesichts dessen müsste in der Republik eigentlich ein Aufschrei der Bürokratiebeauftragten der Bundesregierung ertönen.
Man hört aber nichts, weil Sie sich von diesem Ziel in Wahrheit schon längst verabschiedet haben. Die Neidreflexe der Linken von der SPD machen es der Union nicht möglich, eine vernünftige Unternehmensteuerreform auf den Weg zu bringen. Regelungen, die sich über 15 Jahre bewährt haben, werden einfach abgeschafft. Die Abgeltungsteuer - Herr Minister Steinbrück, dazu haben Sie heute Morgen nichts gesagt; das ist anscheinend ein Problem für die Sozialdemokratie - ist im Grunde richtig. So wie Sie es machen, taugt es aber wieder nichts; denn es nicht richtig, die Veräußerungsgewinne mitzubesteuern. Ferner sind die Steuersätze in diesem Bereich international nicht wettbewerbsfähig, sodass wir auch auf diesem wichtigen Feld in Deutschland keinen entscheidenden Schritt weiterkommen.
Durch die ganze Unternehmensteuerreform zieht sich Folgendes: An manchen Stellen wird verschämt entlastet, an anderen unverschämt belastet. Die CDU und die Steinbrück-SPD rufen hü und die Linke der SPD ruft hott, Ergebnis: Stillstand in Deutschland.
Wenn Sie wirklich eine Unternehmensteuerreform machen wollen, die diesen Namen verdient, hören Sie auf die Bundeskanzlerin: Wagen Sie mehr Freiheit! Gehen Sie ins Offene!
Riskieren Sie etwas! Senken Sie die Steuersätze! Vereinfachen Sie das Steuerrecht! Beharren Sie nicht auf Ihrer kleinkrämerischen Gegenfinanzierung! Die SPD muss einmal verstehen, welche Entscheidungen in Deutschland dringend notwendig sind.
Herr Steinbrück, Sie haben von Augenmaß gesprochen. Genau dieses Augenmaß ist bei der Großen Koalition aber längst zum Mittelmaß geworden. Mittelmaß können wir uns aber nicht leisten; denn mit mittelmäßiger Politik kann man im internationalen Wettbewerb nicht bestehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Unternehmensteuerreform wird unseren Standort Deutschland attraktiver machen. Sie ist wachstumssteigernd, investitionsfreundlich und letztlich arbeitsplatzschaffend. Die Versteuerung in Deutschland wird angereizt, und die Steuereinnahmen werden weiter ansteigen. Eine solche Reform ist kein Wunschkonzert. Aber wir haben eine pragmatische, zielführende und systematische Lösung gefunden. Daran sollte es keinen Zweifel geben.
Natürlich gibt es immer wieder Kritik. Herr Solms, Ihr Vergleich mit der DDR war aber voll daneben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Eine Steuermauer der FDP gibt es bei dieser Reform nicht. Ich möchte der FDP ein Zitat aus der Bibel entgegenhalten. Schon Jesaja sagte uns:
Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?
Ich kann Ihnen nur sagen - es sind Tatsachen -: Die Wirtschaft boomt. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist besser geworden. Die Konjunktur ist stark und robust. Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht. Im Vergleich zum März 2006 sank die Zahl der Arbeitslosen um immerhin 869 000. Im heutigen ?Handelsblatt“ steht: ?Unternehmen schaffen Jobrekord“. Herr Dr. Wissing, Sie sprechen von Stillstand. Das kann doch wohl nicht sein. Die Bundesagentur für Arbeit meldet gut 800 000 offene Stellen.
Frau Scheel, einen Gegensatz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufzubauen, schadet letzten Endes dem Gemeinwohl. Denn man braucht erst Investitionen und neue Arbeitsplätze; daraus erwachsen Wachstum und Beschäftigung sowie mehr Steuereinnahmen. So wird es ein Erfolg. In dieser Weise müssen wir in Deutschland vorangehen; wir dürfen nicht in den Gegensätzen von gestern verharren.
Wir halbieren das Staatsdefizit. Wir haben laut der Prognose des Kieler Instituts für Weltwirtschaft statt bisher 2,1 Prozent 2,8 Prozent Wachstum zu erwarten. Die Bundesbank hält in diesem Jahr ein Defizit von 1 Prozent für möglich und 2010 sogar einen ausgeglichenen Haushalt für erreichbar. Das wäre der erste ausgeglichene Haushalt seit 40 Jahren. Ich bin der Auffassung, dass das mit dieser Steuerreform weiter angegangen werden kann, weil es zu einer Selbstfinanzierung dieser Reform kommen wird.
Wir erleben es ja: Bund, Länder und Gemeinden werden nach Auffassung des iwd bei den Steuern mit einem Einnahmeplus von rund 24 Milliarden Euro im Jahr 2007 rechnen können. Die Steuerschätzung im Mai werden wir natürlich erst dann richtig zur Kenntnis nehmen. Aber man muss sehen, dass hier etwas wächst. Wann hatten wir das zuletzt? Dieser Erfolg sollte uns die notwendige Kraft und Disziplin geben, auf unserem Kurs der finanzpolitischen Verantwortung und der neuen steuerpolitischen Impulse voranzuschreiten.
Es zeigt sich mehr und mehr, dass Reformen Früchte tragen. Es wird deutlich, was in Deutschland steckt, wenn Kräfte freigesetzt werden. Eins ist gewiss: Die Erfolge unserer Reformpolitik können nur dauerhaft gesichert werden, wenn wir nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Wir dürfen uns nicht ausruhen. Die Anstrengungen müssen fortgesetzt werden. Seit der Unternehmensteuerreform 2000 ist der Steuerwettbewerb in der Europäischen Union weiter vorangekommen. Deswegen müssen wir im internationalen Vergleich der Steuersätze mit der Gesamtbelastung der deutschen Unternehmen diesen Wettbewerb annehmen.
Man kann natürlich sagen: Ich will mit der globalisierten Wettbewerbsentwicklung nichts zu tun haben. Aber die Globalisierung findet nun einmal statt. Ich rate uns allen: Marschieren wir aufs Spielfeld, und spielen wir mit. Es ist ein Erfolg für die Menschen in unserem Land, wenn wir mitspielen und uns nicht verweigern. Das ist das Gebot der Stunde.
Das Konzept der Unternehmensteuerreform ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Die Senkung der Nominalsteuersätze auf unter 30 Prozent ist der entscheidende Faktor, um einen Anreiz zu schaffen, in Deutschland Gewinne zu versteuern. Natürlich gibt es Länder mit günstigeren Steuersätzen . In Irland beispielsweise beträgt die Unternehmensteuer 12,5 Prozent; das werden wir nicht erreichen können. Aber wir müssen den Wettbewerb angehen und all unsere Wettbewerbsvorteile nutzen.
Ich wende mich gegen die Aussage - die immer wieder getroffen wird -, das seien Milliardengeschenke an die Unternehmen. Ich bin der Auffassung, dass diese Reform durch den Konjunkturaufschwung, also von den Unternehmen selbst finanziert wird. In der neuesten iwd-Studie wird darauf hingewiesen, dass die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer, die vor der Reform 58,5 Milliarden Euro betragen haben, durch die Reform auf 51,6 Milliarden Euro sinken werden. Aber allein aufgrund der gegenwärtigen konjunkturellen Entwicklung erhöhen sich diese Einnahmen schon im Jahre 2007 auf 56,2 Milliarden Euro. Das heißt, dass die Entlastung, die mit der Reform einhergeht, voll gegenfinanziert wird. Hinzu kommt die veranlagte Einkommensteuer. Es kann also überhaupt nicht von Milliardengeschenken die Rede sein. Das ist nur Verhetzung und Volksverdummung. Wir müssen uns ganz massiv dagegen aussprechen, dass immer wieder dieser Gegensatz konstruiert wird.
Wir müssen die einzelnen Beratungen und Prüfungen im Rahmen dieser Reform sehr detailliert durchführen. Wir wollen, dass alle 2,5 Millionen Mittelstandsbetriebe in Deutschland Akzeptanz für die Unternehmensteuerreform entwickeln. Denn sie alle müssen sich mehr oder weniger an der Gegenfinanzierung beteiligen.
Wir haben einige Freigrenzen geschaffen, die mittelstandsfreundlich sind und eine wichtige Mittelstandskomponente darstellen. Von Bedeutung ist, dass alle Mittelstandsbetriebe entlastet werden; darauf werden wir achten. Es ist sinnvoll, eine Mittelstandsprüfung durchzuführen, weil über 70 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland im Mittelstand beschäftigt werden. Den einen oder anderen Punkt werden wir uns noch genauer ansehen müssen. Aber es besteht überhaupt kein Anlass zu einer pauschalen Ablehnung.
Die steuerliche Gesamtbelastung auf einbehaltene Gewinne von Personengesellschaften beträgt in Zukunft 28,25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag. Sie hat somit erstmals das gleiche Niveau wie die Belastung von Kapitalgesellschaften. Der größte Erfolg dieser Reform ist, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften mehr gibt.
Das ist ein großer Wurf für die vielen Familiengesellschaften und für die größeren Mittelstandsbetriebe. Ich weiß, wovon ich spreche; denn ich führe ein Unternehmen, das seit 1879 am Markt ist. Ich habe mich immer über die Wettbewerbsverzerrungen zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften geärgert. Ich kann Ihnen sagen: Die systematische Lösung, die wir gefunden haben, ist ein großer Vorteil, den man nicht kleinreden darf. Im Vergleich zu den Kapitalgesellschaften werden die Personenunternehmen steuerlich entlastet.
Wir tun allerdings auch etwas für kleinere Personenunternehmen. Die bisherige Ansparrücklage nach § 7 g Einkommensteuergesetz wird zu einem Investitionsabzugsbetrag ausgebaut. Begünstigt ist die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens, das überwiegend betrieblich genutzt wird. Den Rücklagenhöchstbetrag haben wir von 154 000 Euro auf 200 000 Euro erhöht. Es ist natürlich das Ziel, dass möglichst alle Unternehmen nach § 7 g Einkommensteuergesetz einen Investitionsabzugsbetrag geltend machen können. Wir müssen uns - ich glaube, das ist sinnvoll - die Stellschrauben für das Betriebsvermögen daraufhin anschauen, ob wir hier alle Betriebe erfassen. Das ist in den Beratungen sicher möglich.
Wir müssen den Vorwurf der Mittelstandsdelle ernst nehmen. Aber es gibt keinen Zweifel, dass in vielen Bereichen Erfolge erzielt wurden. Zum Beispiel leistet die Zinsschranke einen Beitrag zur Finanzierung dieser Reform. Man muss auch feststellen: Sie ist in jedem Fall übersichtlicher als die bisherige Regelung. Was haben wir mit § 8 a Körperschaftsteuergesetz - Gesellschafterfremdfinanzierung - in der Vergangenheit für Probleme gehabt! Man muss auch einmal sehen, dass hier eine klarere Regelung entstehen wird.
Natürlich muss dafür Sorge getragen werden, dass weitere Beteiligungen von Einzelunternehmen - PPP-Projektgesellschaften; die nicht in den Konzern eingebundenen Betriebe - damit nicht erfasst werden. Darauf müssen wir speziell achten. Denn wir wollen nicht, dass durch die Zinsschranke mittelständische Betriebe beschädigt werden. Wir müssen deshalb ganz genau auf die Steuerschraube schauen und nach Lösungsansätzen suchen.
Ich glaube, dass wir auch bei den Mittelstandskolleginnen und -kollegen mit dieser Reform letzten Endes bestehen können. Denn auch für den Mittelstand ist diese Reform im Gesetzblatt immer noch mehr, als es Wunschdenken auf dem Papier ist. Deswegen sollten wir uns jetzt an die Arbeit machen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Oskar Lafontaine.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Wörter haben in den letzten Jahren die Politik bestimmt, stärker als viele, die glauben, sie hätten auf politische Entscheidungen Einfluss. Das eine Wort ist das von den Lohnnebenkosten. Das ist ein wunderbares Wort, wenn man bestimmte Interessen durchsetzen will. Man kann dann sagen: Ich möchte die Lohnnebenkosten senken - das ist ja mittlerweile weitgehend Allgemeingut aller Parteien -; man muss dann nicht sagen: Ich möchte das Geld für Rentner, für Arbeitslose, für Kranke oder für Pflegebedürftige kürzen. Die Formulierung ?Ich möchte die Lohnnebenkosten senken“ ist viel praktischer. Daher ist sie so gängig und wird überall gebraucht.
Dieses Wort hat noch einen weiteren Vorteil. Wenn man sagt, man will die Lohnnebenkosten senken, dann muss man nicht sagen, man möchte den Unternehmen Milliarden zurückgeben; das würde ja unpopulär klingen. Es ist viel populärer, zu sagen, wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten. Die Lohnnebenkosten haben wir in den letzten Monaten bereits gesenkt, wir haben den Unternehmen bereits Milliarden erlassen. Ich möchte nur darauf hinweisen, damit das in der heutigen Debatte nicht vergessen wird.
Ein zweites Wort, das Politik gemacht hat, ist das vom Standortwettbewerb. Ein wunderbares Wort, wenn man bestimmte Lobbyisteninteressen vertritt. Dann kann man sagen: Ist doch klar, wir sind alle im Wettbewerb. Es müssen die Löhne sinken; denn anderswo sind sie niedriger. Es müssen die sozialen Leistungen sinken; denn anderswo sind sie niedriger als bei uns. Und natürlich müssen die Steuern sinken; denn anderswo sind sie bereits niedriger.
Diese wunderbare Logik hat sich in der Politik ausgebreitet, und sie hat Folgen. Irgendwann denkt vielleicht der eine oder andere nach und sagt: Na ja, ob man mit den Löhnen ganz runtergehen kann? Das könnte auch Probleme geben. Denn bei Steuersätzen von null und Löhnen von null will wahrscheinlich niemand hier investieren. Selbst Steuersätze von null werden dann nicht ausreichend sein, um Gewinne zu machen. Spätestens da wird diese Logik also infrage gestellt.
Aber bei den Löhnen waren wir bereits sehr tüchtig - ich nenne die Zahlen noch einmal -: Saldiert über die letzten zehn Jahre haben wir bei den Löhnen ein Minus von 5 Prozent. Wir liegen weit hinter den anderen Industriestaaten zurück und sehen hier, wenn wir über Steuerpolitik reden, offensichtlich keinen Korrekturbedarf.
Bei den Unternehmensteuern dagegen gibt es nun wirklich keinen Korrekturbedarf. Ich weiß nicht, wie oft wir schon Unternehmensteuern gesenkt haben. Allein in meinem politischen Leben habe ich mindestens an zehn Runden mitgewirkt, in denen die dringende Not der Unternehmen aufgegriffen worden ist und die Unternehmensteuern wegen des internationalen Wettbewerbs immer wieder gesenkt werden mussten. Ich prophezeie den Damen und Herren, die uns hier zuschauen, dass dieses Hohe Haus in dieser Legislaturperiode mindestens eine weitere Unternehmensteuerreform konzipieren wird, weil der internationale Wettbewerb dies ja dringend gebietet.
Nur, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ganze stimmt nicht. Die Zahlen, die hier gehandelt werden, sind schlicht und einfach falsch, die Logik schlägt Purzelbäume.
Ich beginne einmal beim Finanzminister, der uns ja immer mit solchen logischen Überraschungen beglückt. Er sagt zum Beispiel: Wenn wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhen, müssen wir die Rente kürzen.
Diese Logik ist bestechend. Was will man dagegen sagen? Vor lauter Sprachlosigkeit oder Atemlosigkeit kann man eine solche Logik schlicht und einfach nicht mehr durchbrechen. Heute hat er gesagt: Wenn wir die Steuereinnahmen erhöhen wollen, dann müssen wir die Steuern senken.
Diese verblüffende Logik ist international natürlich einmalig.
Sie wird auf jeden Fall beachtliche Wirkungen im internationalen Dialog entfalten.
Es wird auch immer wieder davon gesprochen, dass mit falschen Zahlen hantiert wird. Ich habe hier die Übersicht 2005 über die Körperschaftsteuersätze. Sie können sehen, dass wir bei weitem nicht oben liegen, sondern dass die Länder im unteren Teil - ich habe ihn rot angekreuzt - weitaus höhere Steuersätze haben. Es ist richtig, Estland hat einen Steuersatz von 0 Prozent, das viel zitierte Irland hat einen Steuersatz von 12,5 Prozent, Lettland hat einen Steuersatz von 15 Prozent usw. Eine ganze Reihe von Staaten liegt aber über uns: Frankreich mit 33 Prozent, Belgien mit 34 Prozent, Malta sogar mit 35 Prozent und die USA mit 35 Prozent. Ich will sie nicht alle vorlesen. Es ist einfach ein Märchen, wenn hier gesagt wird, unser Körperschaftsteuersatz sei zu hoch.
Belügen Sie das Volk doch nicht, wenn Sie hier reden, sondern geben Sie zunächst einmal die Tatsachen wieder, wie sie sich international darstellen!
Im Übrigen ist die Höhe der nominalen Steuersätze schlicht und einfach nicht aussagefähig, wie wir wissen. Deswegen war es gut, dass der Finanzminister gesagt hat, der Steuersatz für die mittleren Unternehmen liege bei etwa 20 Prozent. Dem möchte ich für meine Fraktion nicht widersprechen. Es wäre aber gut gewesen, wenn er noch ergänzt hätte, dass die effektive Steuerbelastung der Kapitalgesellschaften im Jahre 2005 in Deutschland bei 16 Prozent lag.
- Ja, Sie werden sicherlich ein Institut finden, das eine andere Zahl dargelegt hat.
Bei vielen ist sie noch deutlich niedriger, verehrter Herr Finanzminister. Das ist die Realität in Deutschland. Es ist so, wie Sie sagen: Sie sind sehr kundig, wenn es darum geht, Steuern zu mindern und zu verschieben. Insofern möchte ich diese Zahl einmal festgestellt haben.
Ein Redner der FDP - Herr Solms, glaube ich - hat heute gesagt, dass China jetzt einen Steuersatz von 25 Prozent hat. Nach der Logik des Standortwettbewerbs werden wir jetzt ja eine Invasion chinesischer Unternehmen nach Deutschland erleben; denn ein kleines Unternehmen zahlt nur 20 Prozent und ein großes Unternehmen nur 16 Prozent.
Das ist schlimm. Stellen Sie sich einmal vor, dass jetzt nach der Logik des Standortwettbewerbs 1 Milliarde Chinesen aufbrechen und hier in Deutschland investieren! Das ist wirklich eine ganz schlimme Geschichte.
Nun noch ein paar Worte zu einem weiteren Punkt. Wenn Sie schon einen solchen Unsinn fabrizieren, dann sollten Sie nicht auch noch die degressive Abschreibung abschaffen. Karl Schiller - er ist dem einen oder anderen noch bekannt - hat jahrelang dafür geworben, dass die degressive Abschreibung nicht abgeschafft wird, damit den Unternehmern auch der Anreiz gegeben wird, zu investieren. Warum machen Sie diesen Unfug? Diejenigen, die die Steuerreform an dieser Stelle kritisieren, haben völlig Recht.
Wenn Sie wirklich zu viel Geld haben, dann geben Sie es doch nicht den DAX-Konzernen, denen es im Moment nun wirklich aus den Ohren läuft. Heute wird hier ja fast ein neuer Orden gestiftet, nämlich der Orden der barmherzigen Brüder für die DAX-Konzerne. Sie leiden aber keine Not. Wenn Sie etwas tun wollen, dann korrigieren Sie endlich eine Ungerechtigkeit des Steuersystems, nämlich den Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif. Hierfür hätten Sie wirklich Gründe. Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages errechnet hat, würde das 22 Milliarden Euro kosten. Ihr Ministerium wird das auch errechnet haben. Wenn Sie gegenfinanzieren wollen, brauchen Sie ja nur den Spitzensteuersatz etwas anzuheben. Dadurch kommen Sie sogar noch unter die Ausfälle, die Sie bei Ihrer Unternehmensteuerreform zu gewärtigen haben.
Wie kann man denn in einer Situation, in der die Unternehmen wirklich einmalige Gewinne erwirtschaften, die Unternehmensteuer weiter senken, während bei stagnierenden oder sogar zurückgehenden Realeinkommen über zehn Jahre niemand auf die Idee gekommen ist, die fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten? Im Gegensatz zu dem, was Sie vorhaben, wäre das hier jetzt doch tatsächlich angebracht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist kein Wunder, dass die Steuerreform eine Vorgeschichte hat. Ein Wirtschaftsminister, der jetzt bei einer Leiharbeitsfirma angeheuert hat, ist zu Frau Christiansen geflogen. Im selben Flugzeug saß der Präsident des BDI. In der Sendung sagte man sich gegenseitig, Deutschland habe ein großes Standortproblem. Anschließend gab es den Steuergipfel, an dem Frau Merkel auch beteiligt war. Der damalige Kanzler hat gesagt: Aus Gründen des Standortwettbewerbs müssen wir unbedingt irgendetwas tun.
Die Runde hat nur etwas übersehen, was in Deutschland seit vielen Jahren bekannt ist. Ich zitiere den Christdemokraten und Chefredakteur des ?Handelsblatts“, Hans Mundorf. Er hat immer gesagt, die angebliche Steuerüberbelastung in Deutschland ist ein Phantomschmerz.
Frau Kollegin Scheel, ich möchte Ihnen noch etwas zum Thema Populismus sagen. Wenn man hier sagt, entlastet doch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dann ist das vielleicht Populismus. Das ist uns aber lieber als die Liebedienerei gegenüber den Unternehmerverbänden, die seit Jahren die Politik bestimmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Staatsminister der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Ingolf Deubel.
Dr. Ingolf Deubel, Staatsminister (Rheinland-Pfalz):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Unternehmensteuerreform, die heute zur Debatte steht, hat einen langen und intensiven Vorlauf. Daran haben sich auch die Länder beteiligt. Viele Details, wie zum Beispiel Zinsschranke, Thesaurierungsrücklage, Weiterentwicklung der Gewerbesteuer, aber auch das neue Verrechnungssystem der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer, gehen auf Vorschläge der Länder zurück.
Für die offene, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit möchte ich mich beim Kollegen Steinbrück, aber auch bei allen anderen Mitgliedern der politischen Arbeitsgruppe ausdrücklich bedanken.
Das Reformvorhaben konzentriert sich zu Recht auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmensteuersystems. Wettbewerbsfähigkeit heißt hier zum einen die Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland und damit weitere positive Impulse für den Arbeitsmarkt, zum anderen aber auch - und genau das ist das Problem unseres Steuersystems -, dass zukünftig Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch zur Zahlung von Steuern in Deutschland führen.
Es nützt nichts, dass in Unternehmensbilanzen großer Unternehmen große Gewinne ausgewiesen werden, wenn man dann als Finanzminister, der in die steuerliche Situation ja etwas mehr Einblick hat, feststellen muss, dass davon nur ein sehr geringer Teil in Deutschland als Steuern ankommt.
Ich möchte dieses Thema aber nicht vertiefen, sondern mich zwei anderen Aspekten widmen, nämlich den Auswirkungen der Änderung bei der Gewerbesteuer auf die Kommunen einerseits und auf kleine und mittlere Personenunternehmen, also klassische Mittelständler, andererseits. Dass die kommunalen Spitzenverbände die geplante Reform ungewöhnlich positiv beurteilen, hat nicht nur damit zu tun, dass die Gemeinden finanziell glattgestellt werden, sondern vor allem auch damit, dass sich die Qualität der Gewerbesteuer aus kommunaler Sicht deutlich verbessert. Sie wird durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen an Stetigkeit gewinnen, und vor allem in Gemeinden mit vielen kleinen Unternehmen dürfte das Aufkommen kräftig steigen.
Hierfür wird vor allem die Abschaffung des Staffeltarifs für Personenunternehmen sorgen, aber auch die Einbeziehung der Zinsanteile von Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzzahlungen. Durch die Einbeziehung dieser Zinsanteile wird eine Gleichbehandlung unterschiedlicher Fremdfinanzierungskonstruktionen erreicht, während bisher nur Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer zugerechnet wurden.
Nun könnte man vermuten, dass sich die deutlichen Verbesserungen für die Kommunen bei den Unternehmen als entsprechende Verschlechterungen widerspiegeln. Dies ist jedoch keineswegs so. Zwar müssen viele kleine und mittlere Personenunternehmen in Zukunft an ihre Gemeinde eine höhere Gewerbesteuer abführen als bisher, unter dem Strich wird diese Zusatzbelastung jedoch mehr als kompensiert.
Dies liegt an der völlig veränderten Verrechnungsmethode bei der Gewerbesteuer. Bisher hat die Gewerbesteuer zunächst ihre eigene Bemessungsgrundlage reduziert, die daraus entstehende Gewerbesteuerlast hat dann wiederum die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer reduziert, und am Schluss ist noch einmal ein Teil der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld verrechnet worden - ein Fall für Steuerberater. Die meisten Unternehmer haben das nie verstanden. Deswegen haben diejenigen, die kaum noch durch die Gewerbesteuer belastet wurden, weiterhin über die Gewerbesteuer geklagt. Dieses komplizierte System wird nun deutlich vereinfacht. Gewerbesteuer und Einkommensteuer werden getrennt berechnet. Anschließend kommt es zu einer Verrechnung bei Personenunternehmen, und zwar zu einer Vollverrechnung bis zu einem Hebesatz von 400 Prozent.
Im Vergleich zum bisherigen System bedeutet das nicht nur einen erheblichen Zugewinn an Einfachheit und Transparenz, sondern vor allem an Gerechtigkeit und Mittelstandsfreundlichkeit. An Gerechtigkeit deshalb, weil bisher eine Verrechnung der Gewerbesteuer zwar im Fall des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer und bei einem Hebesatz von 400 Prozent zu gut 90 Prozent, aber bei einem niedrigeren persönlichen Einkommensteuersatz von zum Beispiel 15 Prozent - das ist Realität bei den meisten kleinen Unternehmen - nur zu 60 Prozent erfolgt. Im Durchschnitt aller Personenunternehmen wurden deshalb im vergangenen Jahr lediglich rund 75 Prozent der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer verrechnet. Das heißt im Umkehrschluss, rund 25 Prozent bzw. mehr als 3,5 Milliarden Euro verblieben als Nettobelastung durch die Gewerbesteuer bei Personenunternehmen.
Wenn der Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung beschlossen wird, entfällt diese Belastung zumindest für sämtliche Personenunternehmen, die in Kommunen mit einem Hebesatz von 400 Prozent oder weniger ansässig sind. Sie entfällt auch unabhängig davon, ob der persönliche Einkommensteuersatz bei 42 Prozent oder bei 15 Prozent liegt. Diese Verbesserung für sämtliche Personenunternehmen ist der eigentliche Beleg für die Mittelstandsfreundlichkeit. 3,5 Milliarden Euro sind kein Pappenstiel.
Unabhängig davon, ob eine Ansparabschreibung oder eine Thesaurierungsrücklage in Anspruch genommen wird, es ist unter dem Strich eine Verbesserung. Deswegen kann man von einer Mittelstandslücke nun wahrlich nicht reden.
Wer von einer Mittelstandslücke fabuliert, sollte sich zur besseren Orientierung zuerst einmal mit den Auswirkungen der Neuordnung der Gewerbesteuer und der Gewerbesteuerverrechnung befassen. Dann kommt man sehr schnell zu anderen Ergebnissen.
Die weiteren Beratungen werden in den nächsten Wochen hier im Hohen Hause und dann im Bundesrat stattfinden. Über Details wird gesprochen werden müssen. Wer Änderungen wünscht, sollte gleichzeitig Gegenfinanzierungsvorschläge machen. Zumindest die 5 Milliarden Euro sind eine feste Größe. Ich freue mich auf spannende und ertragreiche Beratungswochen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion.
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt für die Unternehmensteuerreform, mit der wir uns heute in erster Lesung befassen, ist der Tatbestand, dass Deutschland mittlerweile eine Spitzenposition innerhalb der EU bei der nominellen Besteuerung von Unternehmergewinnen hat. Herr Lafontaine, Ihre Berechnungen sind falsch. Sie dürfen nicht nur die Körperschaftsteuer sehen, sondern müssen auch die Gewerbesteuer einbeziehen. Wenn das, was Sie vertreten, in Deutschland Gesetz würde, wäre der Aufschwung zu Ende. Die Notleidenden wären nicht die DAX-Werte, sondern die Arbeitnehmer in Deutschland. Ich kann nur sagen: Eine solche Steuerpolitik wäre das Ende des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Der Tatbestand, dass wir zurzeit mit knapp 39 Prozent nominell die höchsten Steuersätze haben, hängt nicht damit zusammen, dass wir in Deutschland die Sätze erhöht hätten. Vielmehr haben wir sie gesenkt. Das Problem ist: Andere Länder haben sie stärker gesenkt. Wir haben eine ganze Reihe von neuen Ländern in die EU aufgenommen, die von vornherein deutlich niedrigere Sätze hatten. Mit einem Spitzensteuersatz von knapp 30 Prozent lägen wir in einer mittleren Position innerhalb der EU, nicht im unteren Drittel. Das brauchen wir bei der Qualität unseres Standortes aber auch nicht.
Meine These ist, dass die großen Firmen die vielen legalen Gestaltungsmöglichkeiten, die sie bei einem Steuersatz von 39 Prozent natürlich genutzt haben, bei 30 Prozent nicht mehr nutzen werden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass ein erheblicher Teil der Gewinne, die heute in Deutschland entstehen, hier aber nicht besteuert werden, in Zukunft wieder in Deutschland besteuert wird. Ich glaube, dass wir mit den niedrigeren Steuersätzen - ich vermute, schon 2009, Herr Minister - höhere Steuereinnahmen haben werden als heute und dass diese Unternehmensteuerreform damit auch ein Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen ist.
Der zweite große Punkt - Kollege Michelbach hat bereits darauf hingewiesen -: Wir werden die niedrigeren Steuersätze in vollem Umfang auf die Personengesellschaften übertragen. Wir gehen in diesem Bereich zu einem Steuersystem über, das wir schon einmal einige Jahre nach dem Krieg hatten: dem System des gespaltenen Steuersatzes. Das bedeutet, Gewinne von Personengesellschaften, die in der Firma bleiben, werden niedriger besteuert als Gewinne, die aus der Firma genommen werden. Dies ist ein toller Beitrag zur Stärkung des Mittelstandes und insbesondere der Eigenkapitalsituation im Mittelstand.
Dennoch besteht natürlich Diskussionsbedarf. Es gibt ja den bekannten Spruch, dass noch kein Gesetzentwurf so aus dem Bundestag herausgekommen ist, wie er hineingekommen ist.
Das wird auch diesmal der Fall sein. Diskussionsbedarf - ich sage noch nicht Veränderungsbedarf; der kann aus der Diskussion entstehen - besteht insbesondere bei sechs Punkten.
Der erste Punkt. Ich sage es in aller Deutlichkeit: Wir nehmen natürlich sehr ernst, was der Nationale Normenkontrollrat sagt. Wir werden uns die 40 zusätzlichen Meldepflichten ganz genau ansehen, wohl wissend, dass sich viele aus Wahlrechten bei der Besteuerung ergeben. Wir werden uns auch die 180 Millionen Euro bei den geringfügigen Wirtschaftsgütern sehr genau anschauen. Es wäre gut, wenn wir in der zweiten Lesung sagen könnten: Die neue Unternehmensteuerreform bedeutet unter dem Strich nicht 72 Millionen Euro mehr Bürokratie, sondern vielleicht 20 oder 30 Millionen Euro weniger Bürokratie. An dem Ziel werden wir arbeiten.
Der zweite Punkt. Ich weiß natürlich, dass leistungsstarke Personengesellschaften durch die Thesaurierungsmöglichkeit viele Vorteile haben. Ich weiß auch, dass der größte Teil des Mittelstandes eine Besteuerung von unter 30 Prozent hat. Der erhebliche Teil davon profitiert aber von der verbesserten Investitionsrücklage. Nun gibt es im Handwerk und bei anderen eine Diskussion über die 210 000-Euro-Grenze. Lassen Sie uns auch hierüber noch einmal diskutieren; vielleicht finden wir noch eine Möglichkeit, in Richtung 250 000 Euro zu marschieren.
Der dritte Punkt. Die Zinsschranke ist etwas Neues. Man weiß nicht so ganz genau, wie sie in allen Bereichen wirkt. In den Vereinigten Staaten gibt es etwas Vergleichbares seit vielen Jahren. Frankreich hat eine Zinsschranke am 1. Januar dieses Jahres eingeführt. Wir diskutieren hier nicht über Dinge und über Probleme, die es nicht auch in anderen Ländern gibt. Nur, wir wollen uns die Auswirkungen der Zinsschranke auf vier moderne Finanzierungsformen, die wir brauchen, noch einmal ganz genau anschauen: Leasing, Factoring, PPP und Private Equity.
Der vierte Punkt. Wir wollen, dass in Zukunft Schluss mit den Mantelkäufen ist. Firmenkäufe, die nur den Zweck haben, sich den Verlustvortrag zu sichern, wollen wir nicht. Das ist schon jetzt ganz erheblich eingeschränkt. Wir wollen aber noch einmal über die Frage diskutieren, wie es mit den Verlustvorträgen bei Sanierungen und Umstrukturierungen in internationalen Konzernen aussieht. Hier muss noch diskutiert werden; ob wir zu Veränderungen kommen müssen, mögen wir dann überlegen.
Der fünfte Punkt. Es ist in allen Ländern üblich, dass Funktionsverlagerungen besteuert werden. Aber uns interessiert noch die Auswirkung der Funktionsverlagerung auf den Bereich Forschung und Entwicklung. Wir wollen nicht, dass es zu Nebenwirkungen kommt, die keiner will, um das klar zu sagen.
Deutschland ist bei Forschung und Entwicklung an der Spitze der Welt; wir sind da bei den großen Nationen mit dabei:
Dies muss auch so bleiben. Es soll nicht durch die steuerliche Behandlung der Funktionsverlagerung gefährdet werden. Das sind Punkte, über die wir diskutieren. Ich sage aber genauso deutlich, insbesondere an die Kollegen von den Sozialdemokraten gerichtet: Wir werden uns nur in einem Rahmen bewegen, der die 5-Milliarden-Euro-Grenze nicht überschreitet. Darauf haben wir uns politisch geeinigt, und dabei bleibt es. Deshalb sage ich jedem, der tolle Vorschläge hat, dass wir diese durchaus umsetzen können, dass aber die Gegenfinanzierung aus dem eigenen Projekt, also im Rahmen der Unternehmensteuerreform, erfolgen muss. Ich glaube, dass dann, wenn dies zur Bedingung gemacht wird, die Wünsche weniger werden.
Dieser Gesetzentwurf umfasst noch ein ganz wichtiges Thema für den Standort Deutschland - der hessische Ministerpräsident hat darauf hingewiesen -, nämlich den Übergang zur Abgeltungsteuer. Das ist ein Instrument, das mit Sicherheit den Kapitalmarkt in Deutschland stärken wird, es ist ein Instrument, das sicherstellt, dass wir in Zukunft auf viele Informations- und Mitteilungsmeldungen verzichten können. Wer die 180 Millionen Euro bei den geringfügigen Wirtschaftsgütern kritisiert - das tue ich auch -, der sollte auch darauf hinweisen, dass der Übergang zur Abgeltungsteuer Bürokratiekosten von 150 Millionen Euro erspart.
Sicher kann man darüber diskutieren, liebe Kollegen von der FDP, ob 25 Prozent der richtige Satz sind. Ich sage: Zum Einstieg und bei den Möglichkeiten, die wir angesichts der Haushaltssituation haben, ist das ein Prozentsatz - das sagen uns auch die Bankenvertreter -, mit dem man einsteigen kann. Ich glaube, dass wir auch bei diesem Instrument, ähnlich wie bei der Körperschaftsteuer, beim Übergang relativ schnell keine Ausfälle mehr haben werden, wie es in den Berechnungen des Ministeriums heißt, sondern dass wir durch die Erweiterung der Bemessungsgrundlage und durch den Tatbestand, dass weniger Geld Deutschland verlassen wird, wenn wir das neue System haben - ich gehöre sogar zu den Optimisten, die erwarten, dass Geld zurückkommt -, mit der Abgeltungsteuer ab 1. Januar 2009 einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Kapitalmarktes in Deutschland und letztlich auch zur Sanierung der Finanzen leisten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms zulassen?
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Gerne.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Herr Kollege Bernhardt, was die Abgeltungsteuer anbetrifft, so können wir als FDP - Sie haben uns angesprochen -, mit 25 Prozent durchaus leben. Das ist nicht das Problem. Das Problem bei der Einführung der Abgeltungsteuer, wie Sie sie vorgesehen haben, ist die Besteuerung der Veräußerungsgewinne.
Da darf ich Sie auf ein Zusatzproblem hinweisen, welches dringend zu beachten ist. Das wird die private Altersvorsorge beispielsweise beim Fondssparen ganz stark belasten und zu einer erheblichen Besteuerung führen, die die Sparer nicht einkalkuliert haben, weil sie das nicht wissen konnten, als sie ihre Sparverträge abgeschlossen haben. Wenn es dort keine Änderung gibt, dann wird das eine echte Schwächung der privaten Altersvorsorge bedeuten.
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Zunächst einmal freue ich mich, dass wir darin übereinstimmen, dass der Übergang zur Abgeltungsteuer ein richtiger Weg ist, den auch die FDP unterstützt. Sie sehen Probleme bei der zukünftigen Besteuerung der Veräußerungserlöse. Den Punkt, den Sie angesprochen haben, sehen wir auch. Es stellt sich die Frage, ob wir darüber noch diskutieren müssen. Ich habe das nicht als siebten Punkt bei mir aufgenommen. Es gibt bei uns eine Diskussion über Instrumente, die vielleicht zwölf Jahre laufen und erst nach dem 60. Lebensjahr in Form von Renten ausgezahlt werden. Auch das werden wir im Rahmen der Anhörung sehen. Aber ein erheblicher Teil der Kritik an der Abgeltungsteuer hat in der Regel nichts mit der Abgeltungsteuer zu tun, wie auch Sie eben dargestellt haben, sondern mit der Besteuerung der Veräußerungserlöse. Nur, das ist unsere politische Entscheidung, die wir schon im Koalitionsvertrag getroffen haben. Ich weiß, dass andere Länder dieses Problem zum Teil anders lösen. Aber dies ist der gemeinsame Wille der Großen Koalition. Dabei werden wir bleiben. Ob wir zugunsten der privaten Altersvorsorge steuerlich noch etwas machen können, ist auch bei uns noch in der Diskussion.
Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit nicht vergessen, ein zweifaches Dankeschön zu sagen. Das erste Dankeschön gilt unserem sozialdemokratischen Koalitionspartner. Ich weiß, dass sich die vielzitierte Basis der SPD mit diesem Thema schwerer tut als unsere. Auf der anderen Seite gibt es bei uns eine Reihe von Mittelständlern, die es gerne gesehen hätten, dass für den Mittelstand deutlich mehr gemacht wird. Ihnen mussten wir immer wieder sagen: 5 Milliarden Euro ist die Grenze, zu der wir stehen.
Ein besonderes Dankeschön gilt aber auch den Ministerien: zum einen dem Bundesfinanzministerium, aber auch den Landesfinanzministerien - der Minister hat sie schon genannt -, die hierbei als technische Arbeitsgruppe mitgearbeitet haben. Es war für mich faszinierend, zu sehen, wie diese Zwölfergruppe kurzfristig mit umfassendem Zahlenmaterial bedacht wurde.
Ich finde gut, dass uns der Fehler mit der Körperschaftsteuer und den entsprechenden Ausfällen - Sie wissen, wovon ich spreche - diesmal nicht passieren wird, weil man viele Hunderte Akten studiert hat und das, was wir jetzt vorschlagen, schon einmal durchgerechnet hat. Das heißt, wir haben uns an der Wirklichkeit orientiert. Das war natürlich nur unter Einschaltung verschiedener Bundesländer möglich. Ich kann nur sagen: Hier ist hervorragende Arbeit geleistet worden.
Zurück zur Unternehmensteuerreform. Dies ist mit Sicherheit eines der ganz großen Reformvorhaben der Großen Koalition. Um es klar zu sagen: Dieses Vorhaben lassen wir uns von niemandem zerreden. Alle Fachverbände stimmen in ihren Stellungnahmen von der Grundtendenz her zu, auch wenn in Halbsätzen immer wieder der Wunsch ?Es könnte ein bisschen mehr sein“ geäußert wird.
Ich erinnere daran, dass die Große Koalition sich in der Finanzpolitik zwei Ziele gesetzt hat, die sie gleichzeitig verwirklichen will: erstens Stärkung der Wachstumskräfte der Wirtschaft. Dem werden wir mit dieser Unternehmensteuerreform gerecht. Zweitens: Konsolidierung der öffentlichen Finanzen; deshalb haben wir eine Grenze bei 5 Milliarden Euro gezogen.
Dieses Reformvorhaben ist ein hervorragender Beitrag, um den Standort Deutschland zu stärken. Das heißt ganz konkret, Herr Lafontaine: Es ist ein Beitrag zur Sicherung vorhandener Arbeitsplätze. In diesem Sinne werden wir dieses Projekt abschließen. Der Regierungsentwurf ist schon deutlich besser als der Referentenentwurf. Ich bin davon überzeugt: Das, was wir hier am 25. Mai in zweiter und dritter Lesung verabschieden, wird noch besser sein. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dem Kollegen Reinhard Schultz erteile ich jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man zwei Jahre zurückblickt, sich die Ausgangspositionen in der Diskussion über eine Reform der Unternehmensbesteuerung anschaut und einen Vergleich zu dem zieht, was heute hier ins Parlament eingebracht wurde, dann wird erst richtig deutlich, was in der Zwischenzeit politisch geleistet worden ist und welche Integrationsleistung innerhalb der Koalition erbracht worden ist.
Zu Beginn der Diskussion hat unser Koalitionspartner zum Beispiel noch überlegt, auf die Gewerbesteuer vollständig zu verzichten.
Wir haben eine Diskussion über Vorschläge der Stiftung Marktwirtschaft geführt. Die Umsetzung dieser Vorschläge hätte dauerhafte Steuerausfälle in Höhe von 20 bis 40 Milliarden Euro mit sich gebracht. Man wollte an vielen völlig unbekannten Stellschrauben im Steuersystem drehen. Die Kollateralwirkungen wären für niemanden absehbar gewesen.
Die jetzt vorgesehene Steuerreform zielt darauf ab, dass die Steuerbelastung und die Steuersätze möglichst nahe beieinanderliegen. Der Steuersatz soll Unternehmen im Inland und im Ausland signalisieren, was sie tatsächlich zu zahlen haben.
Kollege Lafontaine, Sie haben von dem Mundorf’schen Phantomschmerz geredet. Auch ich habe den Mundorf’schen Artikel gelesen, in dem zu Recht dieses Bild gezeichnet wird. Tatsächlich haben viele international tätige Unternehmen über den hohen Steuersatz geklagt, wohl wissend, dass sie diese Steuern niemals zu zahlen brauchen, weil es genügend Stellschrauben und Verschiebebahnhöfe gibt, um dafür zu sorgen, dass für sie ein ganz niedriger Steuersatz gilt. Wir haben doch eine Tabelle, aus der hervorgeht, wie die Steuerbelastung der DAX-Unternehmen trotz höchster Gewinne ist. Das einzige Unternehmen, das da wirklich einigermaßen nahe an der Wirklichkeit und an der Steuerehrlichkeit war, ist - das muss man neidlos anerkennen - BASF. Der Rest fiel deutlich ab. Zum Teil wurde nur unter 10 Prozent dessen, was an Gewinnen ausgewiesen wurde, hier auch tatsächlich versteuert.
Das ist nicht hinnehmbar. Das muss zurückgeholt werden. Insofern wird mit dieser Unternehmensteuerreform insgesamt ein Volumen von 30 Milliarden Euro bewegt, wovon mindestens 25 Milliarden Euro gegenfinanziert sind, was sozusagen der Stabilisierung der Steuerbasis dient. Dabei geht es bei den großen Konzernen um die Zinsschranke. Das heißt, die Konzernbinnenfinanzierung wird sozusagen da behindert, wo es ein Gefälle in Richtung Billigsteuerländer gibt. Auch bei Funktionsverlagerungen wird darauf geachtet, dass hochwertige Ideen, Erfindungen, Patente nicht unter Preis über die Grenze geschoben werden mit der Folge, dass im Nachhinein hohe Lizenzgebühren entstehen, die Gewinne sozusagen ins Ausland verschieben helfen. So wären noch viele andere Maßnahmen zur Stabilisierung zu nennen.
Unter dem Strich werden diejenigen, die in der Vergangenheit ausgewichen sind, in Deutschland deutlich mehr bezahlen als bisher - sie werden im Ausland weniger, aber in Deutschland mehr als bisher bezahlen -, während diejenigen mittelständischen Unternehmen, die in der Vergangenheit kaum Möglichkeiten hatten, Eigenkapital anzusparen, für Investitionen Vorsorge zu treffen - in der Wirtschaftskrise der letzten Jahre ist das sehr deutlich gewesen -, deutlich entlastet werden; das hat Ingolf Deubel klar gesagt. 2,5 Milliarden Euro ist tatsächlich eine Menge Geld. Das geht im Wesentlichen zugunsten der Stärkung von Eigenkapital und Investitionen.
Von einer Mittelstandslücke kann überhaupt keine Rede sein - das kann ich nur unterstreichen -; im Gegenteil. Selbst wenn man nur auf den Investitionsabzugsbetrag schaute und feststellte: ?Es gibt einige wenige Unternehmen, die davon nicht betroffen sind, weil sie zu groß sind, weil sie eine zu hohe Eigenkapitalausstattung haben“, so gilt doch: Sie würden unter normalen Bedingungen in jedem Fall etwas von den Thesaurierungsvorteilen haben;
es sei denn, sie haben eine so hohe Eigenkapitalausstattung und eine so kümmerliche Eigenkapitalrendite - das mag es auch geben -, dass man ihnen dringend raten sollte, zu überlegen, ob sie den Betrieb unter diesen Bedingungen überhaupt fortführen. Aber unter normalen Bedingungen würden sie eher von der Möglichkeit der Thesaurierung Gebrauch machen. Das heißt: Alle sind mit im Boot. Eine Lücke ist überhaupt nicht zu erkennen.
Natürlich gibt es auch die Klage von sehr gering verdienenden Unternehmen, sie hätten von dieser Steuerreform nichts.
Die haben wir eigentlich bereits mit der Steuerreform von 2000 erreicht. Wir wissen, dass die Personenunternehmen im Schnitt nur 19 Prozent Steuern bezahlen. Denen können wir mit solchen Maßnahmen nicht helfen, weil wir sie bereits vor einigen Jahren erheblich entlastet haben. Es gibt zwischen 200 000 und 300 000 Unternehmen, die so geringe Erträge haben, dass sie wegen der hohen Freibeträge überhaupt keine Steuern zahlen. Für die kann der Steuergesetzgeber natürlich nichts mehr tun.
Uns geht es wirklich um Unternehmen, die Leistung bringen, die investieren sollen, die Beschäftigung schaffen sollen. Dann gibt es die Großunternehmen, die aufgrund ihrer starken internationalen Verflechtungen dazu beitragen, dass Deutschland immer wieder Exportweltmeister wird. Wir wollen uns die Weltmeisterschaftsprämie mit diesen Unternehmen gern teilen. Davon muss auch diese Gesellschaft etwas haben. Insofern, glaube ich, ist die Sache rund.
Natürlich weiß auch ich: Der Teufel steckt im Detail. Wir werden den Gesetzentwurf im Rahmen der weiteren Beratungen auch unter dem Gesichtspunkt der Praxistauglichkeit auf den Prüfstand stellen. Möglichkeiten für weitere Entlastungen unter dem Strich sehen wir allerdings eindeutig nicht; im Gegenteil: Wir sehen eher die Notwendigkeit, zu stabilisieren, wenn denn Möglichkeiten zur Stabilisierung gegeben sind.
Ich bin fest davon überzeugt: Die kommenden acht Wochen werden wir gemeinsam nutzen und am 25. Mai mit einem guten Ergebnis aufwarten können.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Von den Fraktionen ist Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4841, 16/4857 und 16/4855 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 92. Sitzung - wird am
Montag, den 2. April 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]