105. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche allen Anwesenden im Plenarsaal und auf den Tribünen einen schönen guten Morgen und uns gute Beratungen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es zwei Mitteilungen: zunächst den Hinweis darauf, dass der Kollege Wolfgang Zöller am Montag dieser Woche seinen 65. Geburtstag gefeiert hat.
Der Beifall bringt offenkundig die guten Wünsche für die nächsten Lebensjahre nicht nur des Präsidenten, sondern des ganzen Hauses zum Ausdruck.
Außerdem müssen wir, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten können, noch das vom Deutschen Bundestag zu benennende Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung CAESAR wählen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt den Kollegen Uwe Schummer vor. Er ist sogar persönlich anwesend und könnte sich notfalls noch einmal kurz vorstellen. Wird das gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Sind Sie mit seiner Benennung einverstanden? - Dies findet eine breite Zustimmung. Es fängt heute Morgen also gut an. Damit ist interfraktionell vereinbart, dass der Kollege Uwe Schummer in den Stiftungsrat der Stiftung CAESAR einzieht.
Im Übrigen haben wir wiederum eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Notwendigkeiten einer zukunftsfesten Pflegereform im Verhältnis zu den pflegepolitischen Vorschlägen der Koalition
(siehe 104. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 33)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation
- Drucksache 16/5723 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verfahrensrechte in Strafverfahren in der Europäischen Union
- Drucksache 16/5606 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter
Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses
- Drucksache 16/5751 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Haltung der Bundesregierung zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen von Bundeswirtschaftsminister Glos
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutz und Nutzung der Meere - Für eine integrierte maritime Politik
- Drucksachen 16/4418, 16/5764 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren
- Drucksache 16/5738 -
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Omid Nouripour, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken
- Drucksache 16/5735 -
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für ein Europäisches Kartellamt
- Drucksache 16/5360 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 12, 16 b und 29 werden abgesetzt. In der Folge werden die Tagesordnungspunkte 13 und 14, 15 und 16, 17 und 18 sowie 19 und 20 jeweils getauscht.
Das scheint keine besonderen Irritationen hervorzurufen. Auch dazu gibt es offenkundig Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 3 a bis 3 f:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Nicolette Kressl, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Junge Menschen fördern - Ausbildung schaffen und Qualifizierung sichern
- Drucksache 16/5730 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Britta Haßelmann, Brigitte Pothmer, Josef Philip Winkler und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Perspektiven schaffen - Angebot und Struktur der beruflichen Bildung verbessern
- Drucksache 16/5732 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2007
- Drucksache 16/5225 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens
- Drucksachen 16/2996, 16/1063, 16/1127, 16/5760 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Willi Brase
Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Priska Hinz (Herborn)
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes
- Drucksache 16/2540 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- Drucksache 16/5761 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Willi Brase
Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Priska Hinz (Herborn)
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Wege in der Ausbildung - Strukturen verändern
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2006
- Drucksachen 16/2630, 16/1370, 16/5762 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Willi Brase
Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Priska Hinz (Herborn)
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Aussprache zu diesen Vorlagen eineinhalb Stunden dauern soll. - Auch das trifft offenkundig auf Einverständnis. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache zu den aufgeführten Beratungsunterlagen. Das Wort erhält zunächst die Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfolgreiche Berufsbildungspolitik ist ein wirksamer Weg zur Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation. Wenn wir von Talenten sprechen, dann meinen wir nicht nur Akademiker. Heute geht es um die Talente, denen wir gerecht werden müssen, aus dem weiten Feld und dem international hoch anerkannten Bereich der beruflichen Bildung in Deutschland.
Herzstück der beruflichen Bildung ist die duale Ausbildung, also die Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen, weshalb wir immer, wenn wir von Berufsbildungspolitik sprechen, Leidenschaft in politischen und den damit verbundenen Weichenstellungen brauchen. Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen auch Leidenschaft für junge Talente in unseren Unternehmen in Deutschland. Wir müssen alles tun - das haben wir mit dem Ausbildungspakt vereinbart -, damit jeder Jugendliche in Deutschland seine Chance bekommt.
Es sind bei näherer Betrachtung drei Aufgaben, denen wir uns zu stellen haben:
Die erste, bereits genannte Aufgabe - so steht es auch im Koalitionsvertrag; das ist für uns eine ganz bedeutsame Aufgabe, und zwar gerade in Zeiten, in denen Dynamik in der Wirtschaft zu verzeichnen ist - besteht darin, dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche qualifiziert, gebildet und ausgebildet werden kann. Dazu gehören die schulische Bildung als Voraussetzung für die Ausbildung sowie der Einstieg in die Ausbildung und die Perspektive, nach einer qualifizierten Ausbildung Beschäftigung zu bekommen.
Zweitens. Berufsbildungspolitik heißt heute auch, dem prognostizierten Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Drittens. Wir müssen Voraussetzungen für europäische Mobilität durch Transparenz und Vergleichbarkeit der Bildungsgänge schaffen. Dazu gibt es den Kopenhagen-Prozess in der Europäischen Union, der in der Zeit unserer Ratspräsidentschaft weiter vorangetrieben werden konnte. Auch hier gilt: Wir dürfen nicht nur von Mobilität sprechen, wenn es um Studierende geht. Für Auszubildende, gerade in bestimmten Grenzregionen in Deutschland, ist Mobilität ebenso wichtig, um die Chancen, die sich in Europa bieten, auch tatsächlich wahrnehmen zu können.
Um alle drei Aufgaben gemeinsam zu sehen und um die verschiedenen notwendigen Strategien aufeinander abzustimmen, wird die Bundesregierung unter dem Titel ?Jugend, Ausbildung und Arbeit“ im Herbst eine nationale Qualifizierungsinitiative vorlegen, die alle Stufen, nämlich Bildung, Ausbildung und den Übergang in den Arbeitsmarkt, betrifft. Diese Initiative betrifft die Aktivitäten des Bundes, der Länder und der Sozialpartner. Es ist also eine Initiative, die deutlich machen soll, dass viele Akteure gefragt sind, in den nächsten Jahren sehr konsequent eine Weiterentwicklung der Berufsbildungspolitik im engeren und weiteren Sinn zu leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage ist derzeit durchaus differenziert. Schauen wir uns die Zahlen an: Der Berufsbildungsbericht 2007 zeigt auf der einen Seite einen Anstieg der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 4,7 Prozent. Für 2007 sind weitere Steigerungen zu erwarten. Das heißt in einem Satz - das wissen auch alle Insider -: Dynamik auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht Dynamik auf dem Ausbildungsmarkt. Alles, was für den Arbeitsmarkt gut ist, ist auch gut für den Ausbildungsmarkt.
Der Berufsbildungsbericht zeigt aber auf der anderen Seite, dass derzeit 1,3 Millionen Schulabgänger im Alter bis zu 29 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind. Das ist eine Gruppe, auf die wir uns, beide Koalitionspartner, in besonderer Weise konzentrieren, weil - damit komme ich zum dritten Punkt, der zur Lage gehört - uns schon heute gesagt wird, dass es erste deutliche Anzeichen für einen prognostizierten Fachkräftemangel in den Unternehmen gibt. Wenn das so ist, dann ist es umso wichtiger, diese 1,3 Millionen Menschen in den Blick zu nehmen und ihnen auf unterschiedlichen Wegen, über die wir ja in Beratung sind, eine Chance zu geben.
Ich möchte an dieser Stelle sagen: Die Koalitionsarbeitsgruppe Arbeitsmarkt und der Innovationskreis Berufliche Bildung, das Arbeitsministerium und das Bildungsministerium arbeiten im Bereich der Berufsbildungspolitik und im Bereich des Ausbildungspaktes des Wirtschaftsministeriums außerordentlich gut zusammen. Ich bin überzeugt, wir kommen gerade deshalb gut voran, weil wir in diesen Fragen einen hohen Konsens und eine gute Zusammenarbeit haben.
Damit komme ich zu den Maßnahmen und Impulsen im Einzelnen:
Erstens haben wir die Möglichkeit - schon zu Beginn der Legislaturperiode eingeführt, sodass uns bereits erste Erfahrungen vorliegen - der Einstiegsqualifizierung geschaffen.
Diese entwickeln wir - das ist der zweite Punkt - gerade weiter. Wir haben das Bundesinstitut für Berufsbildung beauftragt, in einer Reihe von relevanten Berufsbildern Ausbildungsbausteine zu entwickeln, um Altbewerbern, die in die Gruppe der 1,3 Millionen Schulabgänger ohne Ausbildung fallen, aber auch Ausbildungsabbrechern, die bestimmte Kompetenzen erworben haben und möglicherweise mit einzelnen Ausbildungsbausteinen noch zu einem Abschluss geführt werden können, eine Chance zu geben. Die Einstiegsqualifizierung wird jetzt also strukturelle Unterstützung erhalten. Damit werden den besonders gefährdeten Gruppen neue Möglichkeiten gegeben.
Ich nenne drittens das Ausbildungsstrukturprogramm ?Jobstarter“. In der Befragung der Bundesregierung war gestern die Situation in den neuen Ländern ein Thema. In das Programm ?Jobstarter“ werden 125 Millionen Euro investiert, vor allem in den neuen Ländern und Berlin. Bis 2010 sollen 22 000 betriebsnahe Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir wissen, dass wir hier andere Wege gehen müssen. Das, was in anderen Regionen Deutschlands in einer selbstverständlichen Kooperation zwischen Unternehmen und Schule geschieht, muss hier stärker unterstützt werden: durch Verbundausbildung, überbetriebliche Werkstätten und andere mögliche betriebsnahe Wege.
Viertens muss die vorhandene Überspezialisierung in dem Bereich der dualen Ausbildung abgebaut werden. ?Dual mit Wahl“ lautet der Vorschlag des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Ich halte ihn für gut. Wir wollen natürlich keine Berufe abschaffen, sondern auf diese Weise die Ausbildung zu Spezialberufen, die nahe beieinanderliegen, bündeln, indem das gemeinsame berufliche Fundament in einer ersten Phase gemeinsam vermittelt wird und die Spezialisierung in der zweiten Phase getrennt erfolgt. Ich sage voraus: Das wird auch in struktureller Hinsicht bedeutsam sein, weil wir, angesichts der Bevölkerungsentwicklung, schon jetzt die Weichen dafür stellen müssen, dass auch in fünf oder zehn Jahren gewährleistet ist, dass in allen Regionen in Deutschland gut ausgebildet werden kann. Deshalb müssen die Verbundausbildung gefördert und die überbetrieblichen Werkstätten stärker in die Erstausbildung hineingenommen werden, damit im Zweifelsfall Ausbildungsbausteine angeboten werden können, die ein Unternehmen vor Ort nicht anbieten kann.
Fünftens. Die Zahl der Schulabbrecher muss reduziert werden. Jeder Jugendliche braucht einen Abschluss, eine Qualifikation als Voraussetzung für berufliche Bildung. Das ist mit einem besonderen Appell an die Länder verbunden. Wir sind im Gespräch über konkrete Strategien, um in einem überschaubaren Zeitraum eine Reduzierung der Zahl der Schulabbrecher zu erreichen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Ministerin, gestatten Sie, bevor Sie zum nächsten Thema kommen, noch eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Ich dachte, ich müsste schon zum Ende kommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, auch das ist richtig.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Das ist nicht richtig; ich habe die Uhr im Blick. - Bitte schön.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Frau Ministerin, Sie haben hier verschiedene Strategien genannt. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass Sie darauf zu sprechen kommen, dass es bestimmte Gruppen von Jugendlichen gibt, deren Talente zu fördern nicht ganz so einfach ist. Ich denke an Migrantinnen und Migranten, aber auch an Menschen mit Behinderungen. Können Sie mir vielleicht erklären, wieso die Finanzmittel, die für berufsfördernde Bildungsmaßnahmen ausgegeben werden, in den letzten Jahren kontinuierlich sinken, und können Sie mir zweitens erklären, wieso der relative Anteil an Berufsausbildung für behinderte Menschen im Osten dreimal so hoch ist wie im Westen?
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Was Migranten angeht, so werde ich gerade heute Nachmittag ein sehr positives Beispiel erleben, indem ich eine große Gruppe türkischstämmiger Abiturienten empfangen werde. Ich rate uns sehr
- Sie haben von Migranten und Behinderten gesprochen; jetzt bleibe ich zunächst einmal bei der ersten Gruppe -, diese Gruppe der Jugendlichen nicht immer nur als Problemgruppe darzustellen. Wir haben im Dialog mit Unternehmenschefs mit Migrationshintergrund - vor allem die türkischen Wirtschaftsverbände sind dabei angesprochen - 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Dazu gibt es Regionalkonferenzen. Wir wissen, dass diese Unternehmen in den Kreis der Ausbildungsunternehmen aufgenommen werden müssen. Da wird also vieles getan.
Im Bereich der Förderung von beruflicher Qualifikation Behinderter hat es Veränderungen gegeben, die nicht allein mit Umschichtungen oder finanziellen Problemen in früheren Jahren zu tun hatten. Da gilt jetzt vielmehr das exakt Gleiche, was ich eben gesagt habe: Auf der Ebene der Länder und im Zusammenwirken mit vielen freien Trägern, die in diesem Bereich engagiert sind, wird man sich auch in diesem Bereich mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre um eine Wende bemühen müssen. Ich habe jetzt keinen exakten Überblick über die entsprechenden Zahlen. Diese will ich aber gerne in meinem Haus aufarbeiten lassen und Ihnen zur Verfügung stellen.
Der europäische Qualifikationsrahmen ist ein Aspekt, den ich im Zusammenhang mit dem vor der Zwischenfrage von mir genannten Punkt für wichtig halte. Deshalb entwickeln wir auch in Deutschland einen nationalen Qualifikationsrahmen.
Der sechste Punkt ist die bessere Verzahnung von Erst- und Weiterbildung. Weiterbildungssparen ist ein erster Schritt und nicht der letzte Schritt. Es werden weitere Schritte folgen.
Schließlich zu den benachteiligten Jugendlichen. Wir haben in 75 Berufen in Deutschland zweijährige Bildungsgänge eingerichtet. Es zeigt sich, dass der Einstieg über einen zweijährigen Bildungsgang für viele der richtige Weg ist, um sich weiterzuentwickeln. Meine Position ist: Da, wo nach einem zweijährigem Bildungsgang gewährleistet ist, dass eine Weiterentwicklung hin zu einem dreijährigem möglich ist, sollten wir dies offensiv angehen. Wir sollten dies nicht tun, wenn dies zu Sackgassen für die Jugendlichen führt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nationale Qualifizierungsinitiative wird uns Gelegenheit geben, Berufsbildungspolitik in Gänze darzustellen, einen Zusammenhang auch zu dem herzustellen, was für junge Leute im Bereich des Arbeitsmarktes wichtig ist. Dies wird uns die Gelegenheit geben, eine strukturelle, konzeptionelle Weiterentwicklung zu leisten.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir sollten in diesen Debatten nicht vergessen, dass die Berufsbildung in Deutschland trotz aller identifizierten Schwächen - Stichwort: Lehrstellenmarkt während vieler Jahre - erfolgreich und die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit ist. Das bestätigt bis heute der europäische Vergleich. Das wird am Interesse anderer Länder deutlich, diesen Bereich des Bildungssystems zu stärken.
Ich sage auch: Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir uns angesichts unserer Bevölkerungsentwicklung dauerhaft Gedanken darüber machen müssen, wie wir Talente aus anderen Ländern nach Deutschland holen können. Aber eine Priorität muss sein - auch dazu gibt es Konsens in der Koalition -, Jugendlichen hier in Deutschland eine Chance zu geben, das Potenzial, das wir haben, zu nutzen. Deshalb ist die Berufsbildungspolitik ein wirksamer Weg für die Zukunftschancen der jungen Generation.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Meinhardt für die FDP-Fraktion.
Patrick Meinhardt (FDP):
Sie bekommen auch gleich wieder die richtige Antwort, Herr Tauss.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da der Handel 5 Prozent mehr Ausbildungsplätze anbietet und das Handwerk trotz eines Verlusts von 60 000 Arbeitsplätzen mit einer Steigerung von annähernd 4 Prozent weit über den Bedarf ausbildet, fehlt mir wirklich jedes Verständnis dafür, dass wir in dieser Sitzung heute wiederum den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe beraten, der von der Linken vorgelegt worden ist und aus der Mottenkiste der politischen Ideologie stammt. Wir brauchen so etwas in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
Da die Koalition jetzt ein enormes Problem mit dem Mindestlohn hat, erfindet sie über Nacht einen sogenannten Bonus für ausbildungswillige Betriebe. Das hört sich zunächst einmal gut an. Das wollten Sie auch erreichen.
Was läuft aber über den Ticker, Herr Kollege Tauss? Auf den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung soll es einen Rabatt geben. Kleine Einzelheiten wie die Höhe des Rabatts und der Ausbildungsbedarf seien zwar noch nicht geklärt, angesichts der Unterschiede zwischen SPD und CDU, so die Tickermeldung, sei diese Einigung aber bemerkenswert. - Meine Damen und Herren, das einzig Bemerkenswerte ist, dass Sie mit einer so substanzlosen Ankündigung überhaupt an die Öffentlichkeit gehen.
Ich halte es mit dem DIHK, der Ihnen vorwirft - das steht heute in einer Tickermeldung -, dass der Vorschlag nicht zu Ende gedacht ist. Allein die Ermittlung dessen, was ?überdurchschnittlich“ eigentlich konkret heißt, würde zu unendlichen Diskussionen und noch mehr Bürokratie führen.
Auch ordnungspolitisch ist das Ganze fragwürdig. Wer entscheidet? Etwa die Bundesagentur für Arbeit? Daraus würde sich eine neue Bewilligungsbürokratie entwickeln. Gerade die kleinen Unternehmen würden dadurch benachteiligt. Nein, das ist der falsche Weg. Wir brauchen weniger bürokratische Bevormundung der ausbildungswilligen Betriebe.
Frau Ministerin, eine gute Bildung ist die Basis für alles. Bildung muss von Anfang an in ein Konzept lebenslangen Lernens eingegliedert sein. In einer liberalen Bürgergesellschaft haben wir dafür zu sorgen, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten gefördert wird. Das ist unsere Verantwortung. Gerade deswegen können wir nicht hinnehmen, dass jährlich 80 000 Schüler die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, dass Jahr für Jahr 250 000 Schüler sitzen bleiben, sich aber trotzdem keine nachhaltige Verbesserung ihrer Leistungen einstellt, dass 160 000 junge Menschen in berufsvorbereitenden Maßnahmen geparkt werden und 240 000 Berufsschüler die Berufsschule ohne Abschluss verlassen. Fast eine drei viertel Million junger Menschen erhält keine optimale Förderung. Das ist für ein Bildungsland wie die Bundesrepublik Deutschland ein nicht hinnehmbarer Zustand.
Frau Ministerin, deswegen brauchen wir aber keine neue europaweite PISA-Studie für den Bereich der Berufsschulen. Die Schulen kommen aus den Studienerhebungen ja gar nicht mehr heraus. Nicht nur angesichts des Fachkräftemangels muss doch festgestellt werden, dass wir in Deutschland kein Erkenntnisproblem haben, sondern es in diesem Land an der Umsetzung hapert.
Es gibt eine ganze Reihe von sehr konkreten Aufgaben: Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum dualen System und zur Notwendigkeit der Modernisierung des dualen Systems. Ganz bewusst sage ich hier und heute: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie auf der europäische Ebene für die volle Anerkennung des dualen Systems und für die volle Anerkennung des Meisters kämpft.
In einer Pressemeldung vom 12. Juni ist sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, dass noch nicht klar ist, ob der Meisterbrief, der in Deutschland Teil des dualen Ausbildungssystems ist, auf europäischer Ebene voll anerkannt wird. Bis zum 20. Oktober - Stichwort: EU-Richtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen - haben wir aber nicht mehr viel Zeit. Das ist eine Hausaufgabe, die diese Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu leisten hat.
Wer der jungen Generation Chancen bieten will, der muss neue Ausbildungsberufe schaffen, der muss neue Wege gehen, aber auch kürzere Ausbildungszeiten vorantreiben. Es ist richtig, dass wir dringend mehr zweijährige Ausbildungsgänge brauchen. Nicht nur in der Autowerkstatt zeigt sich das: Die dreijährige Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker ist inzwischen in allererster Linie auf Realschülern und Gymnasiasten ausgerichtet, während die zweijährige Ausbildung zum Kfz-Servicemechaniker fast ausschließlich von Hauptschülern aufgenommen wird. Wir brauchen also kürzere Ausbildungszeiten in einem neuen, modernisierten, modularen System. Auf diesem Weg müssen wir gemeinsam weiter vorangehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Überraschend spät, aber immerhin noch vor Schluss Ihrer Rede, wünscht der Kollege Tauss, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.
Patrick Meinhardt (FDP):
Ich gestehe, dass es mich gewundert hätte, wenn keine Zwischenfrage gekommen wäre, Herr Kollege Tauss.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte, Herr Tauss.
Jörg Tauss (SPD):
Lieber Kollege Meinhardt, für Erkenntnisgewinn engagiere ich mich ohne Ende.
Deswegen stelle ich an dieser Stelle eine Frage. Sie haben soeben beklagt, dass die Ergebnisse der deutschen Berufsausbildung bis hin zur Meisterausbildung - da gebe ich Ihnen recht - im europäischen System noch nicht so anerkannt werden, wie wir es uns wünschen. Gleichzeitig plädieren Sie jetzt dafür, eine Berufsausbildung light zu machen. Frage: Sind Sie wirklich der Auffassung, dass die Akzeptanz des deutschen Berufsbildungssystems im europäischen Vergleich steigt, wenn wir systematisch auf verkürzte Ausbildungsgänge, die ja möglich sind, setzen?
Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass sie sinkt? Diesen Widerspruch müssen Sie auflösen und mir gegebenenfalls erklären.
Patrick Meinhardt (FDP):
Herr Kollege Tauss, ich sehe den Widerspruch nicht.
- Nein, nein, ich bin auf der Linie dessen - wenn man auf einer gemeinsamen Linie ist, sollte man das auch sagen -, was die Ministerin hier gerade gesagt hat.
Wir wollen eine Stärkung der Ausbildungsgänge im Bereich der zweijährigen Ausbildung. Es gibt bereits 75 bzw. 77 dieser Ausbildungsgänge. Ich glaube, Sie und ich sind ein und derselben Meinung, dass wir damit im modularen System noch nicht am Ende sind, dass durchaus noch mehr zweijährige Ausbildungsgänge möglich sind. Hier besteht überhaupt kein Widerspruch. Das Gegenteil ist der Fall: Mit den zweijährigen Ausbildungsgängen schaffen wir genau für die Jugendlichen Ausbildungsmöglichkeiten, denen wir eine zweite Chance eröffnen müssen, und nichts anderes.
Einen wichtigen Punkt möchte ich an dieser Stelle noch einmal exponiert ansprechen: Die Weiterbildung muss in einem solchen System von nachhaltiger Bedeutung sein. Deswegen halten wir als FDP es für äußerst fragwürdig, dass für ein System des Bildungssparens auf drei Jahre 45 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Sie müssen sich Folgendes vorstellen: 45 Millionen Menschen als Zielgruppe sollen in drei Jahren 45 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Ein Jahr in einer Weiterbildungsmaßnahme ist vorgesehen, und 1 Euro pro Person wird auf drei Jahre verteilt zur Verfügung gestellt. Soll das die neue Weiterbildungsinitiative der Bundesregierung sein? - Das ist ein politisches Armutszeugnis.
Wir hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler dieser sogenannten Großen Koalition dies merken werden. Wir wollen für jeden jungen Menschen in unserem Bildungssystem eine zweite Chance.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen zunächst einen Gruß von den Personen draußen in den weißen Zelten bestellen, die uns eingeladen haben, Blut zu spenden. Ich soll Ihnen sagen, Sie möchten vorbeikommen. Ich war heute Morgen schon da und habe Frau Enkelmann getroffen und festgestellt: Das Blut ist kein Stückchen mehr rot als meins.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Minister, darf ich mir eine geschäftsleitende Anmerkung erlauben: Es wäre gut, wenn diejenigen, die ohnehin nicht im Plenarsaal sind, von diesem Angebot vorrangig Gebrauch machten.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Ich nehme an, die sitzen alle in ihren Büros und hören zu. Ich lade auch die Besucher auf den Tribünen dazu ein. Man sagte mir, gestern sei eine Prinzessin dagewesen, und sie habe kein blaues Blut gehabt. Kollege Kauder war auch dort. Ich konnte aber nicht sehen, ob sein Blut schwarz ist oder rot.
Ganz im Ernst - ich will ja nicht ablenken -: Ich finde, dass wir den Frauen und Männer, die heute unsere Gäste sind und die viel ehrenamtliches Engagement investieren, ein Dankeschön sagen sollten. Sie leisten ganz tolle Arbeit.
Zum Thema. Frau Kollegin Schavan hat es angesprochen, und ich will das noch einmal aufgreifen. Der Antrag, der von den Koalitionsfraktionen vorgelegt worden ist, beinhaltet die Fragen: Was machen wir am Ausbildungsmarkt? Was machen wir für die jungen Menschen insgesamt? Deshalb sind der Wirtschaftsbereich, Arbeit und Soziales sowie Bildung und Forschung in besonderer Weise herausgefordert, ein gemeinsames Konzept zu schaffen. In dem Antrag steht die Herausforderung an uns, an die Koalition, aber auch an die Bundesregierung, unsere Arbeit in diesem Bereich zu konkretisieren und weiter voranzutreiben. Dazu wollen wir in diesem Herbst in aller Deutlichkeit beitragen.
Wenn man die Situation junger Menschen in Deutschland mit der in anderen europäischen Ländern vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland gut aussieht. Die anderen europäischen Länder gucken ziemlich neidisch auf Deutschland.
Trotzdem dürfen wir nicht zufrieden sein. Bei den unter 20-Jährigen läuft das sehr gut, aber zwischen 20 und 25 ist das schon eine kritische Altersgrenze. Wer da zwei-, drei- oder viermal nicht in den Beruf kommt, nicht in die Ausbildung kommt, gilt schon als zu alt, als Altbewerber und schon ein bisschen als aussortiert. Und deshalb müssen wir uns diesen Komplex insgesamt nähern.
Meistens diskutieren wir darüber unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten: Was liegt in unserem Interesse? Was braucht unsere Gesellschaft? Dazu muss man allerdings einen Satz sagen: Jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch darauf, Bildung und Ausbildung zu erfahren. Das ist ein Stück Grundlage der Demokratie und der Freiheitsidee überhaupt.
Jeder Mensch hat das Recht, unabhängig davon, ob es sich heute oder morgen volkswirtschaftlich rechnet, die Chance zu haben, Bildung zu erfahren. Deshalb finde ich die Feststellung in dem vorliegenden Antrag interessant, dass wir die Länder dringend bitten, zu veranlassen, dass nicht mehr so viele junge Menschen ohne Abschluss aus den Schulen kommen. Das kann so nämlich nicht bleiben.
Das richtet sich an die Bildungsministerin, aber auch an den Arbeitsminister und den Wirtschaftsminister.
Jungen Leuten, die die Schule mit 16, 17 oder 18 Jahren ohne Abschluss verlassen, zu sagen: ?Jetzt organisieren wir für euch soziale Gerechtigkeit“, ist ganz schwer.
Wir müssen früher anfangen. Deshalb ist die Debatte, die in der Koalition über die Bedeutung der vorschulischen Erziehung geführt wird, sehr wichtig. Hier fängt das Ganze an. Das ist ein Gesamtkomplex, den wir sehen müssen. Wir werden das Problem der Jugendlichen, die auch Schwierigkeiten haben, Ausbildung zu finden und Beruf zu finden, nur lösen können, wenn wir das Ganze im Gesamtkonzept der Bildungspolitik vernünftigerweise angehen.
Natürlich müssen wir im Interesse der Leistungsfähigkeit unseres Landes alle Potenziale, die wir haben, nutzen und vergrößern. Dazu gehört, im Interesse der jungen Menschen dazu beizutragen - so verstehe ich eine der Anregungen des Antrags -, dass nicht mehr unterschieden wird zwischen den Kindern von Eltern, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind, und den Kindern von Eltern, die das nicht sind.
Es kann doch nicht sein, dass wir bei der Berufsvorbereitung den jungen Menschen zunächst einmal vermitteln: Du gehst zur Arge; denn deine Eltern sind Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Die anderen, deren Eltern Arbeitslosengeld-I-Bezieher oder in normaler Beschäftigung sind, gehen zur BA.
Das ist für die jungen Menschen nicht gut. Deswegen finde ich gut, was die Koalitionsfraktionen aufgeschrieben haben: dass wir prüfen, dass der ganze Bereich von der Schule über die Berufsvorbereitung bis in die erste Ausbildung, bis in den ersten Job hinein in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit kommt, damit es keine Separierung von solchen Jugendlichen mehr gibt, die aus schwierigen Situationen in der Familie heraus auf die Ausbildung zugehen. Das ist ein guter Gedanke, den wir vertiefen sollten.
Wir müssen uns mehr als bisher mit der Situation der besonders benachteiligten Jugendlichen befassen. Zu diesem Zweck haben wir den Qualifizierungskombi geschaffen. Das ist keine Kleinigkeit. Hier geht es um die Frage, was wir mit den Jugendlichen unter 25 Jahren machen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben und danach lange arbeitslos waren oder aber ohne Ausbildung bzw. ohne Ausbildungsstelle dahindümpeln und keine Möglichkeit haben, ins Erwerbsleben einzutreten. Das betrifft die zweite Schwelle, aber auch diejenigen, die von Anfang an gescheitert sind.
Mit dem Qualifizierungskombi, mit Eingliederungszuschüssen und anderen Hilfen versucht die Koalition, diesen jungen Menschen eine Chance zu geben, ins Berufsleben hineinzuwachsen, und dafür zu sorgen, dass sie in den Unternehmen eine Qualifizierung erhalten, um sie möglicherweise doch noch ausbildungsfähig zu machen. Es ist eine Lebensweisheit, dass es Früh- und Spätstarter gibt. Mancher, der mit 16 oder 17 Jahren noch nicht in der Lage war, eine Ausbildung zu machen, schafft das vielleicht, wenn er 18 oder 19 Jahre alt ist. Die jungen Menschen haben einen Anspruch auf eine zweite und auf eine dritte Chance. Wir müssen uns gemeinsam dafür einsetzen, das zu organisieren.
Ich möchte noch einen Satz zu den Paten sagen, die im Antrag erwähnt sind. Ich finde, dass das eine gute Idee ist. In der Regel fangen wir mit der Berufsvorbereitung zu spät an. Junge Menschen, die in der achten, neunten oder zehnten Klasse einer Hauptschule sind, lernen Mathematik nicht mehr vor der Tafel. Wenn die aber Berufspraktika machen können, wenn wir sie an das praktische Leben heranführen wollen, dann wissen sie nach einer Woche genau, was ein Quadratmeter ist. Wir müssen mit ihnen früh darüber sprechen, wo denn ihre Lebenschancen sind.
Ich will versuchen, zu schauen, ob wir nicht einige Tausend Menschen in Deutschland haben, die berufserfahren und hinreichend pädagogisch ausgewiesen oder talentiert sind, die diese jungen Menschen früh, in Klasse acht, in Klasse neun, ansprechen und ihnen zeigen, wohin der Weg gehen kann, die diese jungen Menschen begleiten und ihnen eine Chance geben, ins Erwerbsleben, in die Ausbildung hineinzuwachsen, die also ganz praktisch solche Patenschaften übernehmen. Wieso soll es keine 50-jährigen Arbeitslosen oder 60-jährigen Frührentner geben, die so etwas kennen und können, die ein paar Jahre lang fünf oder zehn solcher jungen Leute begleiten und ihnen zeigen, wie sie den Weg finden? Denn diese jungen Leute bekommen von zu Hause oft keinen Impuls für duale Ausbildung, dort weiß man gar nicht um die Möglichkeiten der dualen Ausbildung. Denen müssen wir zeigen, wohin die Reise gehen kann.
Ich will ein Wort zu der Idee sagen, zu prüfen, ob wir nicht die Arbeitgeber, die überdurchschnittlich ausbilden, belohnen, ob wir ihnen nicht eine Vergünstigung geben.
Natürlich muss man so etwas möglichst unbürokratisch gestalten. Aber wenn ich mir die Gesamtlage in Deutschland ansehe, muss ich mich schon wundern, dass die Wirtschaft insgesamt so gnädig miteinander umgeht: 25, 30, 35 Prozent strengen sich an und schaffen noch einen Ausbildungsplatz und noch einen, während 60 bis 70 Prozent der Unternehmen mit Ausbildung nichts zu tun haben wollen. Wenn die jungen Leute dann ausgebildet sind, werben sie sie den anderen für zehn Cent mehr ab. Das kann so nicht sein.
Deshalb sage ich: Diejenigen, die ausbilden, sollten davon einen Vorteil haben. Wenn wir darüber sprechen, wie wir die Arbeitslosenversicherung an dieser Stelle in Zukunft gestalten, sollten wir - ohne dass ich mich jetzt auf Details festlegen wollte - unvoreingenommen darüber sprechen, wie man es erreichen kann, dass diejenigen, die überdurchschnittlich ausbilden, einen Vorteil gegenüber denen bekommen, die das ganze System hinterher ausbeuten.
Das ist so unvernünftig nicht, und diesen Weg sollten wir zusammen zu gehen versuchen.
Wir stehen in Europa und in Deutschland vor einer Qualifizierungsproblematik; das wissen wir alle. Schon heute sagen manche Branchen, es fehlten ihnen die Fachkräfte, sie bräuchten eigentlich 20 000 Auszubildende, hätten aber nur 12 000. Weshalb gucken die uns an? Dann sollen die ausbilden! Die Wirtschaft muss wissen, sie kann nicht einfach die schönsten, besten Maschinen kaufen und dann zur Politik kommen und fragen: Wo sind die Leute, die die bedienen können? Sie muss sich rechtzeitig darum kümmern, diese Menschen auszubilden, sie zu qualifizieren.
Sie muss dafür sorgen, dass wir die Potenziale, die wir in diesem Lande haben, nutzen, damit daraus Gutes werden kann.
Ich bedanke mich noch einmal bei den Koalitionsfraktionen. Ich glaube, dass wir in diesem Sommer, in diesem Herbst miteinander - Frau Schavan, Herr Glos und ich und andere aus dem Kabinett sicherlich auch - in der Gesamtverantwortung für die jungen Menschen in diesem Land noch einen entscheidenden Schritt tun können. Diese Koalition hat die Chance, in diesen beiden Jahren noch einen entscheidenden Schritt zu machen und die Langzeitarbeitslosigkeit bei den jungen Menschen abzubauen. Keiner soll von der Schule kommend in die Arbeitslosigkeit fallen, und junge Menschen, die später arbeitslos werden, sollen nicht länger als drei Monate draußen sein. Das ist ein Ziel, das wir uns setzen können und das wir auch erreichen können. Dazu bitte ich um Ihre Unterstützung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass kein Grund zur Selbstbeweihräucherung vorliegt, wie wir sie bisher anhören durften.
Schauen wir doch einmal, wie sich die Zahlen entwickelt haben: Die Zahl derer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, ist von 2002 bis heute von 480 000 auf 590 000 gestiegen. In derselben Zeit ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze um 100 000 zurückgegangen. Das ist ein riesiges Problem, unter dem jährlich Tausende Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, leiden.
Da hilft es Ihnen auch nicht weiter, dass Sie die Jugendlichen, die Sie in die Warteschleife schicken, aufgrund eines Tricks einfach nicht mehr mitzählen.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal Jugendliche, die sich in der Warteschleife befinden, besucht haben. Es mag hier und da auch etwas Vernünftiges passieren, aber der 16-jährige Junge, den ich besucht habe, wickelte die ganze Zeit Puppen. Na, der war vielleicht bedient. Das tat er schon den dritten Tag. Trotzdem würde ich ihm kein Baby anvertrauen. Sie müssen verstehen, dass ihm das nicht weiterhilft. Das demütigt ihn. Das ist doch kein Ausbildungsplatz, sondern eine Perspektive ohne Zukunft.
Ich habe in den letzten Jahren häufig daran gedacht, dass die allgemeine Schulpflicht zum Glück ja schon seit vielen Jahrzehnten besteht. Wann sie eingeführt wurde, ist für die einzelnen Bundesländer unterschiedlich. Stellen Sie sich einmal ernsthaft vor, dass nur die Hälfte unserer Kinder zur Schule ginge und wir vorschlagen würden, dass alle Kinder zur Schule gehen müssen. Dann würden Sie uns sagen: Unbezahlbar, populistisch, gar nicht machbar. - Bei der Schule besteht der große Vorteil, dass das Ob überhaupt nicht mehr zur Debatte steht, sondern nur noch das Wie. Warum bekommen wir es dann nicht hin, dass eine Ausbildung nach Schulabschluss eine völlige Selbstverständlichkeit wird und wir nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie diskutieren?
Dafür gäbe es eine ganz einfache Möglichkeit. Wir bekommen hier doch zwei Drittel zusammen. Beschließen wir doch einfach, das Grundgesetz zu ändern und hineinzuschreiben, dass jede Abgängerin und jeder Abgänger einer Schule einen Anspruch auf Ausbildung hat! Lassen Sie uns das doch im Grundgesetz verankern!
Das wollen Sie aber natürlich nicht, weil Sie einen solchen Anspruch nicht wollen. Das ist das Problem. Herr Müntefering, Sie haben von einem Anspruch gesprochen, aber Sie sind nicht bereit, ihn ins Grundgesetz aufzunehmen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Kosten sagen. Immer wieder höre ich das Argument: Was das alles kostet! - Es kann ja sein, dass Ausbildung teuer ist, aber ich sage Ihnen: Jugendgefängnisse sind viel teurer.
Wenn man jungen Leuten keine Perspektive gibt, dann zahlt man immer zu.
Lassen Sie mich noch etwas sagen, auch wenn Sie das besonders ärgert: In der DDR wurde jede Jugendliche und jeder Jugendliche ausgebildet, wobei die Wirtschaft viel maroder war. Nicht alle bekamen den Beruf, den sie sich wünschten, aber alle bekamen eine Ausbildung.
Wenn die DDR das bezahlen konnte, dann können Sie mir nicht erklären, dass die reiche Bundesrepublik Deutschland außerstande ist, das zu finanzieren.
- Ich wusste, dass Sie herumschreien. Nicht einmal auf diesen Punkt können Sie einen objektiven Blick werfen. Wir können die DDR gemeinsam kritisieren, aber akzeptieren Sie doch: Jeder Jugendliche bekam damals einen Ausbildungsplatz. Das ist heute nicht der Fall. Das ist die Wahrheit.
Die SPD hatte einmal eine gute Idee. Ich erinnere mich, dass ich mit Frau Nahles auf einer Kundgebung gesprochen habe. Damals nannten wir das noch Ausbildungsplatzabgabe, inzwischen sagen wir Ausbildungsplatzumlage. Sie reden vom Bonus. Es wäre doch ganz einfach. Beispiel: Ein Handwerksmeister, der ausbilden könnte, tut das nicht.
Daneben gibt es einen, der mehr ausbildet, als er braucht.
Sie haben das ja beschrieben. Wenn es eine Ausbildungsplatzumlage gäbe, müsste der eine etwas bezahlen, was wir dem anderen geben könnten, der mehr ausbildet.
Zurzeit passiert aber Folgendes: Der eine Handwerksmeister bildet fünf Lehrlinge aus, obwohl er im Anschluss an die Ausbildung nur zwei braucht. Der andere bildet gar nicht aus, stellt sie aber ein, und zwar kostenlos. Das ist doch einfach nicht hinnehmbar und innerhalb der Wirtschaft grob ungerecht. Deshalb: Führen Sie die Ausbildungsplatzumlage ein!
Zwei Parteien haben das auf ihren Parteitagen beschlossen, nämlich die Grünen und die SPD. Sie haben sieben Jahre lang regiert. Niemand hat Sie daran gehindert, das einzuführen.
- Nein, nein, nein, nein. - Dann haben Sie ein Gesetz gemacht.
Herr Müntefering, kurz, bevor es in Kraft treten konnte, hat die Wirtschaft bei Ihnen gebettelt. Sie haben dann gesagt: Na gut, wir setzen es nicht in Kraft, wir machen mit der ewigen Bettelei bei der Wirtschaft, dass sie Ausbildungsplätze bereitstellt, weiter.
Seit 1990 bin ich mit einer Unterbrechung im Bundestag. Seit 1990 erlebe ich Jahr für Jahr dasselbe - erst war es Kohl, dann Schröder, jetzt Merkel -: Es wurden immer Briefe an die Unternehmen geschrieben, mit der Bitte, noch ein paar Ausbildungsplätze bereitzustellen. Diese gab es dann nicht. Jedes Mal blieben Tausende Jugendliche ohne Ausbildung und damit ohne Perspektive und Zukunft. Ich sage Ihnen: Das bezahlen wir teuer.
Lassen Sie uns hier einfach einmal die Weichen umstellen und sagen, dass die Ausbildung zur Selbstverständlichkeit und im Grundgesetz festgeschrieben wird. Dann würden wir die Gesellschaft positiv verändern.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will kurz in Erinnerung rufen, um wen es in unserer heutigen Debatte eigentlich geht. Es geht um 17 400 junge Menschen, die in diesem Ausbildungsjahr keine Ausbildungsstelle bekommen haben. 40 000 sind zwar zunächst versorgt worden, suchen aber weiterhin einen regulären Ausbildungsplatz. Des Weiteren gibt es 386 000 Altbewerberinnen und -bewerber aus den Jahren vor 2006, die nach wie vor einen Ausbildungsplatz suchen.
Jeder einzelne junge Mensch in diesem Land muss aus unserer Sicht eine qualifizierte Ausbildung bekommen, damit er an unserer Gesellschaft teilhaben kann und sein ökonomisches Auskommen hat. Es gibt aber - das hat die Koalition auch anerkannt - keine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt; zudem gibt es Jugendliche, die besonders benachteiligt sind. Vor allem sind das Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Das duale System, das im Antrag der Koalition als tragende Säule bezeichnet wird, nimmt inzwischen nur noch weniger als 50 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs auf. Vor dieser Situation stehen wir heute.
Der Ausbildungspakt kann nicht alle Probleme lösen. Das hat die Koalition in ihrem Antrag zu Recht festgestellt. Die 60 000 Ausbildungsplätze, die in diesem Jahr geschaffen werden sollen, sind im letzten Jahr schon mit dem alten Pakt übererfüllt worden. Von daher ist dieses Ziel nicht gerade ehrgeizig. Dieser Ausbildungspakt enthält zudem keine Vorgaben hinsichtlich der Förderung von Migranten.
Wir führen heute eine Debatte, an der zwei Kabinettsmitglieder beteiligt sind. Insofern könnte man konkrete Ansätze und Lösungsvorschläge für diese Ausbildungsmisere erwarten.
- Die Analysen waren zwar richtig, aber dem Antrag merkt man nicht an, dass Sie schon zwei Jahre regieren.
In dem Antrag werden keine Lösungsansätze vorgestellt, die die reale Situation verbessern würden.
Herr Müntefering, Sie verweisen auf die Länder, mit denen man ein gemeinsames Konzept erarbeiten müsse. Sie haben seinerzeit für die SPD die Föderalismusreform im Bildungswesen verbockt.
Jetzt können Sie doch nicht darauf verweisen, dass Bund und Länder gemeinsam in der Verantwortung stehen und ein gemeinsames Konzept erarbeiten müssen. Hören Sie mir damit auf!
Gestern wurde von der SPD die Nachricht verbreitet, dass besonders ausbildungswillige Betriebe einen Rabatt beim Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung erhalten sollen. Das ist Ihr konkreter Wunsch, den Sie gestern über die Ticker verbreiten ließen. Lassen Sie mich an dieser Stelle aus Ihrem Antrag zitieren:
Bei dem Gesamtkonzept sollen ... folgende Ansätze auf Umsetzbarkeit geprüft und in möglichem Maße und Umfang einbezogen werden:
Das ist der Wortlaut, dem dann der Vorschlag folgt, den Betrieben einen Rabatt bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zu gewähren.
Bei so viel Selbsttäuschung der SPD finde ich es verwunderlich,
dass Sie es als Highlight hinausposaunen, dass damit die Ausbildungsplatzsituation verbessert werden soll.
Der Ansatz zur qualifizierten Stufenausbildung in Ihrem Antrag ist zwar gut, aber wir waren 2005 schon weiter. Die Unionsfraktion stimmte damals dem Antrag der Grünen und der SPD zu, in dem die Stufenausbildung als Ziel formuliert war. Sie regieren seit fast zwei Jahren. Seitdem liegt das Vorhaben auf Halde. Jetzt holen Sie mit Ihrem Antrag diese ?olle Kamelle“ wieder hervor.
Anscheinend sind Ihnen die Innovationsstuhlkreise inzwischen auch etwas zu langsam. Frau Schavan hätte schon längst handeln können. Sie hätte das, was damals beschlossen wurde, durchsetzen und umsetzen können.
Als eine der wenigen konkreten Maßnahmen in dem langen Antrag wird gefordert,
dass die Vermittlung in außerbetriebliche Ausbildung nicht mehr zwingend davon abhängen soll, dass Bewerberinnen oder Bewerber vorher mindestens sechs Monate lang in einer Warteschleife waren. Super; klasse! Das haben wir zwar schon länger gefordert, aber jetzt scheinen Sie es umsetzen zu wollen. Aber das gilt nur bis zum Ende des Jahres 2007. Warum wollen Sie diese Vorbedingung überhaupt aufrechterhalten, wenn Frau Ministerin Schavan permanent erklärt: ?Wir müssen Warteschleifen beenden“?
Dann tun Sie es doch! Nehmen Sie diese Vorbedingung aus dem Gesetz heraus! Sie hatten in diesem Frühjahr bereits die Möglichkeit dazu.
Das EQJ - -
- Natürlich. Wir haben gefordert, das herauszunehmen.
- Ja, ich kritisiere, dass diese Ausnahme nur bis 2007 gilt. Das ist der Punkt.
Sie agieren doch wieder nur halbherzig, meine Damen und Herren von der SPD.
Die Einstiegsqualifizierung - das EQJ - könnte eine gute Maßnahme sein, wenn sie bestimmten Kriterien unterworfen wäre. Bislang wird das EQJ in der Hauptsache von Schulabgängerinnen und Schulabgängern besucht, die einen höheren Bildungsabschluss oder einen Realschulabschluss haben. Die Zielgruppe der Hauptschüler oder der Jugendlichen ohne Abschluss wird nur im geringen Maße erfasst.
50 Prozent gehen während des EQJ nicht in eine Berufsschule. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass das EQJ hinterher auf eine Ausbildung anerkannt wird.
Sie sollten jetzt einmal die kritisierten Mitnahmeeffekte, die dadurch bei den Betrieben entstehen, ausschalten. Aber was machen Sie? Sie wollen die Maßnahme EQJ - so schlecht, wie sie derzeit noch läuft - als Ermessensspielraum ins Gesetz aufnehmen. Das ist der Vorschlag des Arbeitsministers. Sie wollen eine schlechte Warteschleife jetzt also auch noch gesetzlich normieren. Da sagen wir: Das ist der falsche Weg. Sie müsste zertifiziert und auf Ausbildungsschritte anerkannt werden.
Dann wäre es eine gute Maßnahme.
Aber so, wie es jetzt läuft, ist es keine gute Maßnahme.
Mit Ihrem Kombilohn, Ihrem Qualifizierungszuschuss für jüngere Arbeitnehmer, entsteht wieder eine neue Maßnahme.
Für ein Jahr sollen Jugendliche in einem Betrieb zu einem Kombilohn beschäftigt werden können, wenn sie dabei einen Qualifizierungsanteil von 15 Prozent erreichen. Hier tritt doch wieder das Problem auf, dass damit Mitnahmeeffekte entstehen. Es ist nicht geklärt, dass die Jugendlichen hinterher ein Zertifikat bekommen. Es ist nicht geklärt, dass sie eine Berufsschule besuchen können. Es ist nicht geklärt, dass sie hinterher in eine Ausbildung übernommen werden.
Meine Damen und Herren, auch dies bedeutet die Ausweitung des schlechten Übergangssystems, das allerorten beklagt wird. Damit bekommen wir mehr Altbewerberinnen und Altbewerber, die nicht ausreichend für eine Ausbildung qualifiziert sind.
Sie können nicht behaupten, dass Ihr Antrag tatsächlich eine Strukturreform oder eine Minimierung des Übergangssystems bedeutet. Im Gegenteil: Es festigt die schlechten Strukturen, die wir im Ausbildungssystem haben.
Zur Strukturreform. Wir sind in der Diskussion - auch unter den Bildungspolitikern - schon einmal weiter gewesen, was das Übergangssystem angeht - und vor allen Dingen auch, was die Strukturreform angeht.
Dies ist im Antrag genauso hasenfüßig ausgedrückt, wie Frau Schavan in der Umsetzung ist. In Ihrem Antrag steht wörtlich, es sei Zielsetzung der Bundesregierung,
die duale Berufsausbildung zur Deckung des zukünftigen Fachkräftebedarfs unter Beibehaltung des Berufsprinzips und der bundeseinheitlichen Abschlussprüfung zukunftssicher zu fördern. Zu diesem Zweck können auch strukturelle Reformen und verbesserte Übergänge ... in Pilotprojekten erprobt werden;
Meine Damen und Herren, seit zwei Jahren redet ein Innovationskreis der Ministerin über Modularisierung, Zertifizierung, Strukturreform und Anerkennung von Ausbildungsabschnitten in reguläre Ausbildung.
Es gibt kein Konzept dafür. Es gibt nichts als Presseerklärungen, die Interviews folgen und umgekehrt. Sie müssen schon einmal springen, wenn Sie eine echte Strukturreform wollen!
In den Diskussionen sind wir doch viel weiter. Wir sind uns doch einig - das sagen wir ganz ausdrücklich -: Wir brauchen innerhalb der Ausbildung eine breite Grundausbildung und dann eine Spezialisierung. Berufsvorbereitende Maßnahmen müssen zertifiziert werden. Die Ausbildung muss bei Beibehaltung des Berufsprinzips modularisiert werden. Nur dann können Ausbildungsabschnitte, die vor einer regulären Ausbildung begonnen wurden, anerkannt werden. Dann haben wir die Anschlussfähigkeit bei der Weiterbildung. Dann ist es möglich, einzelne Ausbildungsabschnitte schneller zu modernisieren. Die Unternehmen beklagen doch dauernd, dass die Ausbildung nicht so schnell reformiert werden kann, wie sich die Berufsbilder ändern.
- Natürlich sind die Klagen teilweise gerechtfertigt.
Vor allen Dingen könnten wir dann neue Ausbildungsplätze schaffen; denn bestimmte Betriebe sind so sehr spezialisiert, dass sie eine ganze Ausbildung über drei, dreieinhalb Jahre gar nicht mehr anbieten können.
Wenn wir stärker modularisierten, könnten sich mehr Betriebe, die sich zurzeit weigern, bereit erklären, einen Teil der Ausbildung zu übernehmen.
Wir erreichten so eine Flexibilisierung von Lernorten. Das ist in der heutigen Zeit durchaus sinnvoll.
Wir haben Ihnen in den letzten zwei Jahren in vielen Anträgen umfassende Vorschläge über Migrantenförderung, Genderaspekte, Berufsberatung und -orientierung, Produktionsschulen und sozialpädagogische Begleitung gemacht, Herr Müntefering. Aber Sie haben alle unsere Anträge abgelehnt. In unserem nun vorliegenden Antrag konzentrieren wir uns auf die Beseitigung der Missstände des Übergangssystems - diese habe ich genannt - und auf eine Strukturreform, die in diesem Jahr endlich begonnen werden muss.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nicht nur die Grünen, sondern vor allen Dingen die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen in diesem Lande werden es Ihnen danken, wenn Sie zumindest diesem unseren Antrag zustimmen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.
Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hinz, ich empfehle Ihnen: Erst lesen, dann reden. Alles, was Sie aufgezählt haben, steht in unserem fraktionsübergreifenden Antrag, und zwar Punkt für Punkt.
- Es ist zwar schön, dass Sie das für uns vortragen. Aber es wäre hilfreich gewesen, darauf hinzuweisen, dass das bereits in Angriff genommen wird. Dann hätten Sie das nicht kritisieren müssen.
Die berufliche Ausbildung in Deutschland wird gerade im Ausland immer als beispielhaft gelobt. Im Inland nehmen wir dieses Thema insbesondere dann wahr, wenn wir über fehlende Ausbildungsplätze sprechen. Aber die duale Ausbildung ist auch ein Erfolgsmodell. So richtig es ist, darüber zu sprechen, dass es viele gibt, die noch keinen Ausbildungsplatz haben, so richtig ist es auch, darüber zu sprechen, dass wir ein einzigartiges Erfolgssystem in Deutschland haben; denn die duale Ausbildung ermöglicht Auszubildenden gleichermaßen eine solide praktische und berufsnahe Ausbildung in den Betrieben, verbunden mit fachgerechten theoretischen Kenntnissen über das Berufsbild.
Herr Gysi, was im Hinblick auf den Ausbildungsmarkt wenig hilft, ist eine komplett undifferenzierte Kritik an den Betrieben, die nicht ausbilden; denn diese Vorwürfe schrecken ab. Sie führen nicht zur Bereitschaft, mehr für junge Leute zu tun. Sie verkennen mit Ihrer Kritik die weltweit anerkannte Qualität der fundierten Berufsausbildung in Deutschland, die sich - das hat der Arbeitsminister bereits erwähnt - in einer im europäischen Vergleich noch immer relativ geringen Jugendarbeitslosigkeit manifestiert. Im Vergleich zum Vorjahr wurde bei den Ausbildungsverträgen ein Plus von 4,7 Prozent erreicht. Das sind 26 000 Ausbildungsplätze mehr als zuvor, und das ist der höchste Stand seit Bestehen des Ausbildungspaktes. Das ist ein Erfolg.
Der Anteil an Altbewerbern bei den Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, ist aber spürbar angestiegen. Zum Stichtag 30. September 2006 waren rund 49 500 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Aber es ist den Partnern im Ausbildungspakt in den vergangenen Monaten gelungen, diese Lehrstellenlücke noch einmal deutlich zu verringern. Die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern in Deutschland werben erfolgreich in ihren Betrieben um Ausbildungs- und Praktikumsplätze. Dafür sind wir ihnen dankbar.
Wir haben in der Wirtschaft, im DIHK und in den Kammern verlässliche Partner. Die Kammern unterstützen verstärkt die Pilotinitiative des BMBF im Rahmen der regionalen Umsetzung, damit ausbildungsfähige Jugendliche so schnell wie möglich in die Ausbildung kommen.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch eine Ausbildungsbremse ansprechen. Die Besetzung offener Lehrstellen scheitert immer häufiger auch am Bewerber selbst. Die Ausbildungsfähigkeit der Schulabgänger wird von Jahr zu Jahr leider nicht besser, eher schlechter. Die Betriebe sind immer weniger in der Lage, diese Defizite auszugleichen. Hier sind neben den Elternhäusern vor allem die Schulen in der Pflicht. Es muss grundlegende Verbesserungen insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern geben. Mein Appell richtet sich an die Länder, das zu thematisieren. Denn ohne Mathematik und ohne Physik geht es in den zunehmend technischer werdenden Berufen eben nicht.
Nach wie vor gilt: von der Schule in die Lehre. 58 Prozent eines Altersjahrgangs durchlaufen die duale Berufsausbildung. Es gibt viele regionale Initiativen. Ich möchte die Initiative der IHK aus meinem Heimatland Brandenburg ?Auf die Plätze. Fertig. Zukunft!“ erwähnen. Das sind wichtige Maßnahmen, um jungen Leuten klarzumachen, welche beruflichen Chancen sich eigentlich bieten.
Aber hier müssen auch die regionalen Arbeitsagenturen besser werden. Wir haben 350 Berufe in unserem Land. Das ist eine Vielfalt von Berufen für eine Vielfalt von Talenten. Aber nur die wenigsten Jugendlichen - dazu gehören vor allem die, auf die wir zielen - wissen, worum es eigentlich geht und welche Vielfalt und welche Auswahl sie haben. Hier muss es eine noch stärkere Vernetzung geben. Das heißt, wir müssen frühzeitig in die Schulen gehen und informieren, damit wir die Jugendlichen erreichen.
Die demografische Entwicklung zeigt: Wir müssen uns um jeden Einzelnen bemühen. Wir müssen Talente erkennen und sie gewinnen. Jeder wird gebraucht, und jeder soll sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen können. Denn eines gilt: Stärker als früher sorgt das Bildungssystem für die Verteilung von Lebenschancen. Das mag sich banal anhören, hat aber weitreichende Konsequenzen. Ich bin überzeugt, dass es Chancen beinhaltet. Aber dafür braucht es gute Rahmenbedingungen.
Somit ist die Modernisierung des Systems der beruflichen Bildung ein wichtiger Punkt. Nicht umsonst hat Annette Schavan gleich nach Amtsantritt dieses Thema ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Sie hat erfolgreich den Innovationskreis berufliche Bildung ins Leben gerufen mit Praktikern aus Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Schulen, Ländern und der Wissenschaft.
Die Ziele sind vielfältig. Es geht um Modernisierung und um verbesserte Kooperationsstrukturen zwischen beruflichen Schulen und betrieblicher Ausbildung. Es geht auch um die Stärkung der Benachteiligtenförderung. Aber wir müssen uns auch um junge Erwachsene kümmern, die ohne Schulabschluss oder Ausbildungsabschluss sind. Es gilt dafür Sorge zu tragen, dass wir die Gruppe der Altbewerber beobachten und passgenau mit Angeboten bedienen. Denn Altbewerber ist nicht gleich Altbewerber. Es geht also um eine Gesamtstrategie zur Verzahnung und Optimierung der Förderstrukturen und um den Abbau von Warteschleifen.
Ich möchte noch einmal das Ausbildungsprogramm Jobstarter erwähnen. Die Mittel wurden mittlerweile um 25 Millionen Euro auf 125 Millionen Euro angehoben. Das ist ein wichtiges Signal für junge Menschen mit schlechteren Startbedingungen.
Unser Antrag beinhaltet ein ganz konkretes Maßnahmenpaket, wie wir die Ausbildungs- und Arbeitschancen für Altbewerber und benachteiligte Jugendliche vorantreiben können. Wir setzen vor allem auf die Stufenausbildung und auf Ausbildungsbausteine. Es bleibt unser gemeinsames Ziel, dass jeder ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhält.
Benjamin Franklin bemerkte einst: Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen. - Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Er hatte recht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Dirk Niebel ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Qualifikation, Leistungsbereitschaft und die begründete Hoffnung auf sozialen Aufstieg sind die Basis für den Wohlstand weiter Bevölkerungsteile. Für Liberale ist auch deshalb Bildung ein Bürgerrecht. Eine gute Bildung führt zu guten Teilhabechancen, zu der Möglichkeit, ein selbstgestaltetes Leben führen und seine Wünsche erfüllen zu können. Eine gute Bildung ist auch ein Wettbewerbsfaktor in einer internationalen Wirtschaft. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns hier nicht nur über Berufsbildung, sondern insgesamt über Bildung unterhalten.
Ich möchte trotzdem mit der Berufsbildung beginnen. 376 000 junge Menschen waren Ende Mai arbeitslos gemeldet. Wir dürfen und müssen - gerade wir in diesem Hause - uns schon die Frage stellen, warum trotz der guten konjunkturellen Situation der Aufschwung an diesen Jugendlichen und an den Langzeitarbeitslosen vorbeigeht. Das sind die Personengruppen, die offenkundig von der konjunkturellen Situation im Moment am wenigsten profitieren. Man muss sich die Frage stellen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, und welche gegeben sein müssen, damit sie besetzt werden können.
- Das werde ich Ihnen sagen, Herr Tauss; denn es ist immer gut, wenn auch Sie etwas dazulernen.
Die Rahmenbedingungen für den Ausbildungsstellenmarkt sind genau die gleichen, die auch am Arbeitsmarkt wirken. Wenn man durch zu viel Regulierung Freiräume einengt, dann wird es schwieriger, Menschen in Beschäftigung, aber auch Menschen in Ausbildung zu bringen. Wir wollen aber dafür sorgen, dass die Menschen eine gute Grundbildung bekommen, damit sie die Möglichkeiten für ihr eigenes Leben nutzen können. Deswegen ist es wichtig, dass der Staat etwas schafft, was Herr Tauss leider bisher noch nicht verstanden hat: Chancengerechtigkeit am Start und nicht Ergebnisgleichheit am Ziel. Das ist das Entscheidende, was wir schaffen müssen.
Anders formuliert: Der Staat muss dafür sorgen, dass wie bei einem Wettlauf die Läufer zum gleichen Zeitpunkt am Start sind, dass sie die gleichen Startblöcke haben und dass die Laufbahnen gleich lang sind, aber der Staat muss nicht dafür sorgen, dass die Läufer zur gleichen Zeit am Ziel sind. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer politischen Einstellung und unserer politischen Einstellung.
- Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden. Dann werde ich sie beantworten. Ansonsten will ich meine Redezeit nicht mit Ihnen verschwenden, Herr Tauss.
Nun haben wir die Rede von Herrn Kollegen Gysi hier gehört. Jetzt könnte man meinen, es seien allein die Kommunisten, die eine Ausbildungsplatzumlage fordern würden. Das ist aber mitnichten der Fall. Auch die Sozialdemokraten fordern sie.
Ich erinnere mich an die Worte Ihrer designierten stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Frau Nahles. Sie ist leider nicht hier. Frau Nahles hat in ihrer Funktion als Juso-Bundesvorsitzende einmal gesagt - Zitat -: Wer nicht ausbildet, wird umgelegt. -
Ich sage Ihnen: Wer umgelegt worden ist, kann nicht mehr ausbilden.
Das Entscheidende ist, dass trotz der konjunkturellen Situation viele Betriebe in Deutschland eine fundamentale Eigenkapitalschwäche haben. Sie werden durch ein Umlagesystem, das die Liquidität der Betriebe zusätzlich einschränkt, Ausbildungsplätze vernichten und nicht zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen.
Interessant ist es, wenn Sie durch die Republik reisen und mit Betrieben, die ausbilden, und mit solchen, die nicht ausbilden, reden und fragen, warum das so ist. Sie werden feststellen, dass, egal in welcher Region und in welcher Branche Sie sich bewegen, über die geringer gewordene Ausbildungsfähigkeit der jungen Menschen geklagt wird. Nun mag dahingestellt sein, ob die Menschen dümmer oder die Schulen schlechter geworden sind. Eines ist auf jeden Fall klar: Die Berufsbilder sind komplexer geworden. Vergleichen Sie einmal den heutigen Mechatroniker mit dem Mechaniker und dem Elektroniker. Sie werden feststellen, dass die Welt komplizierter geworden ist
und dass es immer mehr Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, einen Abschluss auf Kammerniveau zu erreichen. Hier ist es zwingend notwendig und eine echte Hilfe nicht nur für die betroffenen jungen Menschen, sondern auch für die Wirtschaft, für die der Fachkräftemangel eine Wachstumsbremse darstellt, über modulare Ausbildung und lebenslanges Lernen den Einstieg in qualifizierte Berufe unterhalb des Kammerniveaus zu schaffen.
Wenn dann im Beruf, in der Arbeitswelt persönliche Reifung und Kompetenzgewinn hinzukommen, dann muss das nächste Modul daraufgesetzt werden. Das darf nicht nur in der Erstqualifizierung so gesehen werden, sondern im Rahmen lebenslangen Lernens muss man das auch in den Bereich der Weiterbildung einbeziehen. Es ist doch schlechterdings nicht möglich, dass diese Bundesregierung über die Rente mit 67 redet, aber die letzte Weiterbildung für Arbeitnehmer mit 42 bis 44 Jahren stattfindet.
Das wird nie funktionieren. Deswegen gehört das zwingend dazu.
Bildung ist auch eine staatliche Aufgabe - eine ganz wichtige -, aber nicht nur eine staatliche Aufgabe. Jeder einzelne Mensch muss ein fundamentales Eigeninteresse daran haben, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und dadurch seine Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen. Deswegen ist Weiterbildung auch eine private Aufgabe, und sie ist eine Aufgabe der Wirtschaft. Weiterbildung führt nämlich dazu, dass die Menschen gegenüber ihren Mitbewerbern im Vorteil sind. Wir werden im internationalen Wettbewerb nur dann erfolgreich bleiben können, wenn wir kompetente und leistungsfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben.
Bildung als Bürgerrecht bedeutet, dass man mit der Vermittlung von Bildung möglichst früh beginnen muss. Deswegen sind wir für Bildungs- und Betreuungsgutscheine, auch im frühkindlichen Bereich.
- Ja, ja. - Diese Gutscheine führen dazu, dass junge Menschen eine möglichst gute Ausbildung bekommen. Wir wollen mit Betreuungsgutscheinen und Bildungsgutscheinen dafür sorgen, dass Chancengerechtigkeit am Start gewährleistet ist und dass die Wahlfreiheit der Eltern gesichert wird. Das führt auch dazu, dass Familie und Beruf besser miteinander vereinbar sind. Hier sind die Liberalen Vorreiter. Die Rede des Arbeitsministers hat gezeigt - das ist Fakt -, dass unsere Regierung blutarm ist. Es wäre besser, wenn Sie sich mehr um die Probleme der Menschen als um Ihre internen Streitereien kümmerten.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Kressl erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion.
Nicolette Kressl (SPD):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass Herr Niebel von der Forderung nach Betreuungsgeld - bildungspolitisch wäre es ein Rückschritt im Vergleich zu dem, was Frau Pieper dann durchgesetzt hat, nämlich die Forderung, tatsächlich in Bildung zu investieren - Abstand genommen hat. Ich finde das erstaunlich. Aber eine gewisse Flexibilität sind wir bei der FDP ja gewohnt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kressl, möchten Sie schon zu diesem frühen Zeitpunkt eine Frage Ihres Vorredners beantworten?
Nicolette Kressl (SPD):
Wenn der Herr Niebel die Chance braucht, sich zu rechtfertigen, gern.
Dirk Niebel (FDP):
Liebe Kollegin Kressl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von Anfang an für das Gutscheinsystem war und dass es nur in einer Detailfrage, bei der Betreuung durch die eigenen Eltern, einen inhaltlichen Dissens gegeben hat? Ich habe mir sagen lassen, dass man auch in der Sozialdemokratie ab und zu über Inhalte streitet. Es ist schade, dass Sie das offenkundig vergessen haben. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir Liberale an der Sache arbeiten und uns daher auch auseinandersetzen.
Nicolette Kressl (SPD):
Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich nehme gern zur Kenntnis, dass Sie während des Bundesparteitags offensichtlich von Teilen Ihrer eigenen Partei davon überzeugt worden sind, dass die Umsetzung Ihres Vorschlags, ein Betreuungsgeld auszuzahlen, bildungspolitisch eine Katastrophe gewesen wäre; denn man hätte Anreize geschaffen, jungen Kindern keine Frühförderung zukommen zu lassen.
Wie gesagt, wundere ich mich über Ihre Flexibilität, dies hier als Ihren Vorschlag darzustellen. Wenn Sie dazulernen, dann ist das in Ordnung.
Wir diskutieren heute über Möglichkeiten und Lösungsansätze, jungen Menschen, die seit mehreren Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, mehr Chancen zu eröffnen. Um solche Lösungsansätze tatsächlich auf den Weg zu bringen, muss man als Erstes eine ehrliche Analyse vornehmen. Zu dieser ehrlichen Analyse gehören zwei Punkte:
Erstens. Der Ausbildungsmarkt an sich - es ist gut, dass wir das feststellen können - entwickelt sich positiv.
Im Berufsbildungsbericht wird darauf hingewiesen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal damit rechnen können, dass es über 600 000 betriebliche Ausbildungsplätze geben wird. Die Zwischenmeldungen der Kammern zeigen, dass die Entwicklung positiv sein wird: bisher 12,7 Prozent mehr Ausbildungsverträge im Handwerk, 9,8 Prozent mehr Ausbildungsverträge bei der IHK. Ich halte es für falsch - ich wende mich an alle Oppositionsparteien -, diese gute Lage schlechtzureden.
Im Antrag der Grünen steht, dass wir dieses Jahr wieder weniger betriebliche Ausbildungsplätze haben werden. Frau Hinz, Sie beziehen sich wahrscheinlich wider besseres Wissen auf die reine Meldestatistik der BA, obwohl Sie wissen, dass BA-Statistik und tatsächliche Entwicklung seit mehreren Jahren auseinanderklaffen. Ehrlich gesagt, halte ich das für unredlich. Es dient einer sachlichen Diskussion über diese Frage überhaupt nicht.
Zweitens. Zu dieser ehrlichen Analyse gehört natürlich auch, dass wir uns vor Augen führen müssen, dass seit Ende der 90er-Jahre immer mehr Bewerberinnen und Bewerber auf dem Ausbildungsmarkt sind, die länger als ein Jahr nach einem Ausbildungsplatz suchen. Ich will bewusst nicht den technischen Begriff ?Altbewerber“ verwenden, weil es um junge Menschen geht. Dennoch: Von 300 000 Altbewerben im letzten Jahr konnten wieder 170 000 keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden.
In der Analyse, die nicht so ganz einfach und schematisch zu machen ist, stellen wir fest: Es ist eine neue Dynamik auf dem Ausbildungsmarkt entstanden. Ich bin sicher, dass der Ausbildungspakt dazu beigetragen hat. Aber es sind auch Zeit und Raum notwendig, um sich über die jungen Menschen Gedanken zu machen, die einen besonderen Förderbedarf haben. Dazu gehört eben auch ein bestimmter Anteil der Altbewerberinnen und Altbewerber.
In diesem Zusammenhang - ich habe dazu heute Morgen etwas im Ticker gelesen - will ich mich ausdrücklich bei der Wirtschaft und den Unternehmen bedanken, die sich da engagieren. Ich appelliere von dieser Stelle aus aber auch ausdrücklich zum Beispiel an Herrn Braun - er hat heute Morgen die Tatsache, dass es junge Menschen mit Förderbedarf gibt, eine ?Qualitätslücke“ genannt -: Ich würde mir wünschen, dieser technische Begriff würde nicht benutzt,
und wir würden uns gemeinsam mehr Gedanken darüber machen, wie wir diesen jungen Menschen helfen können.
Wir schlagen in dem heute vorliegenden Antrag ein sehr konkretes Maßnahmenpaket vor. Auch da täuschen Sie sich, Frau Hinz. Darin sind sehr viele konkrete Maßnahmen aufgeführt. Zum Teil sind sie schon auf den Weg gebracht, zum Teil sind sie noch in der Prüfung. Ich will hier sechs konkrete Punkte nennen, damit Sie nicht behaupten können, das sei nur ein vager Text:
Erstens. Wir wollen, dass der Vorschlag des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit - damals unterstützt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern - aufgegriffen wird.
Unternehmen, die zusätzliche Ausbildungsplätze für benachteiligte junge Menschen schaffen, sollen finanziell unterstützt werden.
Ich halte das für einen ganz wichtigen und sehr konkreten Schritt.
- Frau Hinz, Ihre Anträge - um das aufzugreifen - haben sich vor allem auf außerbetriebliche Ausbildungsplätze bezogen.
Die haben wir, wie ich finde, zu Recht abgelehnt. Hier geht es um betriebliche Ausbildungsplätze.
Zweitens. Der Einsatz von Paten - Herr Müntefering hat das angesprochen - soll ausgebaut werden. Wenn wir Hauptschülerinnen und Hauptschüler im Besonderen rechtzeitig und frühzeitig begleiten, setzen wir natürlich viel früher an und verbessern die Situation dergestalt, dass wir in Zukunft nicht mehr über so viele Altbewerber reden müssen. Ich bin ganz fest der Überzeugung: Die Begleitung, die individuelle Förderung von jungen Menschen, deren Elternhaus das manchmal nicht leisten kann, ist ein entscheidender Ansatz, um hier zu einer verbesserten Situation zu kommen.
Drittens. Wir bitten die Bundesregierung, zu prüfen, wie überdurchschnittliches Ausbildungsangebot honoriert werden kann,
auch gerade mit Blick auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das ist noch nicht im Detail durchdacht. Aber hier einen Stein ins Wasser zu werfen, ist spannend.
Viertens. Wir wollen mit dem Antrag weiter erreichen - das ist uns ganz besonders wichtig -, dass ein besonderes Augenmerk auf die Berufsberatung und die Ausbildungsvermittlung gerichtet wird,
auch was die Frage der Zusammenführung angeht - auf der einen Seite sind junge Menschen, die Arbeitslosengeld II erhalten, und auf der anderen Seite solche, die von der Bundesagentur betreut werden -; da gibt es eine Schnittstellenproblematik, die im Interesse der jungen Leute gelöst werden muss.
Wir wollen ferner, dass auch genau auf die personelle Ausstattung der Berufsberatung geschaut wird; denn hier gilt das Gleiche wie für die Paten: Da rechtzeitig anzusetzen, richtig zu begleiten, gut zu beraten, ist besser, als nachher Berufsvorbereitung zu bezahlen.
Fünftens. Wir unterstützen ausdrücklich die geplante Pilotinitiative des Bundesbildungsministeriums zur Erprobung von Ausbildungsbausteinen, besonders deshalb - das halte ich für den entscheidenden Punkt -, weil sie ausdrücklich mit der gezielten Förderung von Altbewerbern verbunden wird.
Da unterscheidet sich das, was Frau Schavan vorhat, von dem, was die FDP einfordert, nämlich eine allgemein niedrigere Qualifikation.
Wir sind uns in diesem Punkt mit der Union absolut einig. Es geht darum, zum Schluss für die jungen Menschen, die Förderbedarf haben, mehr Qualifikation und eben nicht eine allgemein niedrigere Qualifikation zu erreichen. Ich lege sehr großen Wert darauf, dass wir uns da von der FDP deutlich unterscheiden.
Das Unterstützen von jungen Menschen, die Förderung brauchen - das ist der sechste konkrete Punkt -, muss vor der Ausbildung ansetzen. Es ist aber auch ganz besonders wichtig, dass das während der Ausbildung weiter fortgesetzt wird. Deshalb haben wir im Antrag auch noch einmal ein besonderes Augenmerk auf die Verstärkung der ausbildungsbegleitenden Hilfen gelegt. Wichtig ist, dass wir diesen Bereich noch einmal verstärkt auch finanziell fördern und unterstützen. Ich appelliere aber auch an alle Unternehmen, einen jungen Mann oder eine junge Frau zu qualifizieren. Häufig wissen sie ja nicht, dass es ausbildungsbegleitende Hilfen gibt, wenn sie einen jungen Menschen mit Förderbedarf einstellen. Das ist aber die Chance, denn damit verbunden sind sozialpädagogische Begleitung oder auch Hilfen in der Theorie für den Fall, dass man sich hier überfordert sieht. Hier können politische Rahmensetzungen und Engagement der Unternehmen ausgezeichnet zusammenspielen. Das ist ein guter Weg; den wollen wir weiter ausbauen. Auch dieser konkrete Vorschlag ist im Antrag enthalten. Es lohnt sich also wirklich, diese jungen Menschen zu unterstützen.
Diese sechs Punkte stellen nur ausgewählte Beispiele aus dem großen Maßnahmenbündel dar, das wir im vorliegenden Antrag geschnürt haben. Ich bedanke mich ausdrücklich, wie schon gesagt, für die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Koalitionsfraktionen und den Berichterstattern. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass wir alle bei dem Vorhaben, jungen Menschen Chancen zu eröffnen, aus Verantwortung für die jungen Menschen an einem Strang ziehen müssen. Ich appelliere erstens an die Länder und an die Wirtschaft, sich an dieser gemeinsamen Anstrengung zu beteiligen.
Ich appelliere zweitens ausdrücklich an die Opposition, sich hier von dem Politikritual, alles schlechtzureden, zu verabschieden. Den jungen Menschen ist damit nämlich, wie ich glaube, überhaupt nicht gedient.
Den jungen Menschen ist damit gedient, wenn wir die heutige Debatte zum Anlass nehmen, gemeinsam zu überlegen, wie wir die Chancen für junge Leute verbessern können. Das wäre ein lohnenswertes Ziel. Bringen Sie deshalb gemeinsam mit uns in den Beratungen dieses Antrages etwas Positives auf den Weg.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kressl, wenn den Jugendlichen irgendetwas ganz sicherlich nicht hilft, dann ist das der Antrag, den Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Union uns heute vorlegen. Man kann das, was Sie da machen, kurz zusammenfassen: Es handelt sich um eine Fortsetzung der bisher wirklich schlechten Berufsbildungspolitik. Sie trampeln auf dem Recht der Jugendlichen auf Ausbildung herum und buckeln vor den Arbeitgebern.
- Sie brauchen sich jetzt hier gar nicht künstlich aufzuregen. Wir können einfach den Antrag durchgehen. Ich möchte Ihnen drei Punkte nennen, bei denen das offensichtlich wird:
Erstens. In diesem Antrag steht wiederum Ihr absolutes Lieblingsinstrument, das jedes Jahr von neuem genannt wird, nämlich der Ausbildungspakt. Ich habe es hier schon wiederholt ausgeführt: Das offensichtlichste Ergebnis von diesem Pakt ist, dass die Ausbildungssituation in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr schlechter geworden ist.
Sie aber schreiben in Ihrem Antrag:
Der Ausbildungspakt hat sich als ein Instrument zur Verbesserung der beruflichen Bildungschancen junger Menschen erwiesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erzählen Sie das einmal den Jugendlichen, die auf der Straße stehen. Sie geben in Ihrem Antrag selber zu, dass mittlerweile 50 Prozent sogenannte Altbewerberinnen und -bewerber sind. Diesen zu erzählen, Ihr Pakt sei ein Erfolg, ist einfach eine Lüge. Das ist auch für die ganz große Mehrheit der Jugendlichen mittlerweile offensichtlich.
Wir als Linke sagen: Eine freiwillige Selbstverpflichtung und der damit verbundene bloße Appell an die Unternehmen stellen die falsche Grundlage dar. Es muss Schluss gemacht werden mit diesem Pakt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barth?
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Ja, können wir machen.
Uwe Barth (FDP):
Frau Kollegin, Sie sagten gerade, die Koalition würde vor den Arbeitgebern buckeln - ich bin jetzt nicht hier, um die Koalition zu verteidigen -, und riefen auf, den jungen Menschen etwas zu erzählen. Ich erzähle nun Folgendes und schließe, Herr Präsident, eine Frage an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schlage vor, mit der Frage relativ zügig aufzuwarten.
Uwe Barth (FDP):
Das mache ich. Dann beginne ich mit der Frage.
Liebe Frau Kollegin, Sie tragen hier einen Anspruch vor und sind selbst, wie ich weiß, Mitglied in einigen Gewerkschaften. Ich möchte Sie nun fragen, wie Sie mir folgende Zahlen erklären wollen: Die IG Metall fordert eine Ausbildungsquote von 7 Prozent. Die DAX-Unternehmen in Deutschland bilden mit einer Quote von 4,9 Prozent aus. Die durchschnittliche Ausbildungsquote in Deutschland beträgt 6,5 Prozent, woran der Mittelstand bekanntermaßen einen großen Anteil trägt. Der DGB - das ist eine Zahl aus dem Jahresbericht des DGB - hat die stolze Ausbildungsquote von 1,95 Prozent.
Wir streiten uns jetzt nicht darüber, ob es wünschenswert ist, dass sich junge Menschen beim DGB ausbilden lassen.
Aber würden Sie nicht meiner Einschätzung folgen, dass es hier ein eklatantes Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt?
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Die Zahlen, die Sie hier vortragen, sind mir nicht bekannt. Darum möchte ich zunächst infrage stellen, ob diese in irgendeiner Form ihre Richtigkeit haben.
Es ist aber auf jeden Fall richtig, dass die Gewerkschaften eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einfordern. Dies ist die richtige Grundlage, denn dann ginge es nicht nur um Appelle und Selbstverpflichtungen, sondern um einen Rechtsanspruch, sodass es ein entsprechendes Angebot an Ausbildungsplätzen geben muss.
Das fordert der DGB ein. Dafür kämpft der DGB. Von daher halte ich Ihr Fingerzeigen auf andere Leute, um damit die Ausbildungsplatzumlage oder das gewerkschaftliche Engagement schlechtzureden, für komplett unangemessen.
Es bleibt bei unserer Feststellung, dass der Ausbildungspakt die falsche Grundlage ist und dass mit diesem Pakt Schluss sein muss.
Der zweite Punkt - auch darauf ist bereits heute Morgen eingegangen worden - sind die sogenannten Einstiegsqualifizierungen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die hier oben mithören und die Abkürzung nicht kennen: Wenn Frau Hinz von EQJ spricht, dann meint sie die sogenannten Einstiegsqualifizierungen. Es geht darum, dass Jugendlichen nach ihrer Schulausbildung gesagt wird: Ihr bekommt jetzt keinen Ausbildungsplatz, sondern Ihr könnt erst einmal für einige Monate ein Praktikum in einem Unternehmen machen.
Das hat für die Unternehmen den Vorteil, dass sie sich erst einmal ansehen können, was diejenigen im Einzelnen leisten, um dann zu entscheiden, ob sie sie übernehmen oder nicht. Das Arbeitsministerium hat in der Fragestunde klar zum Ausdruck gebracht, dass es das für sinnvoll, gut, richtig und für nicht verwerflich hält, wenn Jugendliche auf diese Art und Weise erst einmal eine Zeit lang ausprobiert werden. Wir halten das für falsch. Die Linke sagt: Ausbildungsplätze statt Praktika! Darum ist die Aufstockung der Mittel für die Einstiegsqualifizierungen definitiv der falsche Weg.
In Ihrem Antrag gibt es - drittens - ein neues Instrument - besser als der Rest ist es aber trotzdem nicht -, nämlich den Qualifizierungskombilohn. Auch hierbei geht es um eine Zuwendung an die Arbeitgeberseite, also nicht um eine Unterstützung der Jugendlichen. Die Arbeitgeber bekommen einen Zuschuss dafür, dass sie die Jugendlichen zu Niedrigstlöhnen beschäftigen. Nur ein minimaler Anteil der Jugendlichen geht in Qualifizierungsmaßnahmen. Dieses Instrument führt also nicht zum wirklichen Berufsabschluss. Das heißt, diese Jugendlichen sind dauerhaft im Niedrigstlohnbereich geparkt. Das kann nun wirklich nicht die Lösung der Ausbildungsplatzmisere sein.
Diese drei Punkte in Ihrem Antrag bilden den Schwerpunkt. Zu allen drei Punkten kann man sagen, dass es falsch ist, das fortzusetzen, was Sie schon vorher falsch gemacht haben, und nun noch einen Punkt draufzugeben. Offensichtlich haben Sie das selber gemerkt, weshalb Sie einen vierten Punkt in den Antrag aufgenommen haben. Das ist nun wirklich ein ?Riesenerfolg“. Sie sagen, die Bundesregierung möge bitte ein Konzept entwickeln. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sagen Sie doch einmal der jungen Frau, die vor zwei Jahren den Hauptschulabschluss gemacht hat, im ersten Jahr danach komplett auf der Straße stand, im zweiten Jahr in irgendeiner Wartschleife geparkt war, in diesem Jahr wieder unglaublich viele Bewerbungen geschrieben, aber immer noch nichts gefunden hat: ?Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben ja schließlich die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept zu entwickeln. Alles wird gut.“ Das ist wirklich albern. Auf diese Weise kann man keine erfolgreiche Berufbildungspolitik machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da hilft es auch nichts, wenn Sie es als einen großen Erfolg hinstellen, dass Sie eine Hälfte der Ausbildungsplatzumlage untergemogelt haben, indem Unternehmen, die ausbilden, unterstützt werden sollen. Sie haben vergessen, dass der zentrale Teil bei der Ausbildungsplatzumlage der erste Satz ist: Wer nicht ausbildet, soll zahlen.
Das fällt bei Ihnen einfach weg, wenn Sie diejenigen, die ausbilden, weiter mit Steuermitteln unterstützen wollen.
Wie Sie mit der Ausbildungsplatzumlage umgegangen sind, ist bekannt. Es gab - darauf ist hingewiesen worden - klare Beschlüsse von den Bundesparteitagen der Grünen und auch der SPD. Herr Tauss, Sie behaupten hier immer wieder, Sie hätten das Gesetz entsprechend beschlossen, und die Ausbildungsplatzumlage sei eingeführt.
Was Sie hier beschlossen haben, ist ein Gesetz, in dem unter Punkt zwei und drei etwas von einer Ausbildungsplatzumlage steht.
Aber unter Punkt eins steht: Wenn es gelingt, einen Ausbildungspakt mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft zu schließen, dann kann man auf den ganzen Rest verzichten. - Was dabei herauskommt, ist bekannt, nämlich Ihr Ausbildungspakt, der nicht die zentrale Anforderung, die Ausbildungspflicht der Unternehmen, in den Blick nimmt; aber anders können wir die Ausbildungsmisere nicht lösen.
Deshalb fordert die Linke - auch wenn es der FDP nicht passt und die SPD sich ein bisschen peinlich berührt anschaut, weil es ursprünglich eigentlich auch ihre Forderung war -
eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage. Dazu haben wir einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt, dem Sie hier zustimmten könnten. Im Ausschuss haben alle Fraktionen außer der Linken konsequent dagegen gestimmt. Sie halten eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage für verkehrt; aber damit könnte ein Schritt auf dem Weg zu einer guten Perspektive für die Jugendlichen in diesem Land gemacht werden. Deshalb bitten wir nach wie vor um Unterstützung. Den ersten Teil haben Sie in Ihrem Antrag schon umgesetzt. Wenn Sie die Ausbildungspflicht der Unternehmen noch hinzunehmen, dann kommen wir hier ein gutes Stück weiter.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.
Uwe Schummer (CDU/CSU):
Kollegin Hirsch, noch so jung, aber schon so voller Hass.
Zur Umlagefinanzierung möchte ich Ihnen nur ein Beispiel nennen: Es gibt sie tariflich vereinbart in der Bauwirtschaft seit den 70er-Jahren.
Wir wissen, dass der stärkste Ausbildungsplatzabbau in der Bauwirtschaft seit 1998 stattgefunden hat,
von 110 000 Plätzen auf 40 000 Plätze. Das heißt, eine rein fiskalische Maßnahme wird die Zukunft der Jugend nicht sichern.
Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen. Im Berufsbildungsbericht steht, dass 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre keine berufliche Qualifizierung haben. Das sind, politisch betrachtet, die Kinder der FDP, der Union, der Grünen und der Sozialdemokraten, die Kinder der demokratischen Opposition und der Regierung hier im Parlament. Deshalb müssen wir gemeinsam versuchen, ein Bündel an Maßnahmen zu entwickeln, um die Probleme zu lösen.
Nur wenn die Probleme nicht gelöst werden, haben die Kolleginnen und Kollegen aus der Meckerecke von links außen eine Chance.
Wenn wir sie lösen, sind wir die starken Kräfte im Parlament und in der Bevölkerung.
Der Antrag ?Junge Menschen fördern“ durchbricht einen ewigen Kreislauf, der im Frühjahr beginnt: dramatische Zahlen, die sich steigern bis zur parlamentarischen Sommerpause; die einen fordern die Umlagefinanzierung, die anderen wollen die Ausbildungsvergütungen senken. Wenn im September das Ausbildungsjahr endet und ein neues beginnt, folgen Relativierungen, und auf die Schnelle werden Instrumente nachgeschoben. Dieser Antrag enthält, frühzeitig von der Wirtschaft und den Ministerien für Arbeit und Soziales, Bildung und Forschung, Jugend und Familie sowie Union und SPD entwickelt, ein Maßnahmenbündel, das den Berufsberatern, den Schulen, den Auszubildenden und den Betrieben schon vor der parlamentarischen Sommerpause, vor Beginn des Berufsausbildungsjahres vorliegt, sodass sie sicher wissen, auf welche Instrumente sie sich verlassen und bauen können, wenn sie zusätzlich ausbilden.
Der Ausbildungspakt ist verbessert worden. Eine entscheidende Verbesserung ist, dass auch der drittstärkste Ausbilder in diesem Lande, die freien Berufe, und damit der Bundesverband der Freien Berufe Mitglied im Ausbildungspakt geworden ist. Den stärksten Einbruch bei den Ausbildungsplätzen hatten wir in den letzten beiden Jahren bei den freien Berufen. Sie haben 9 Prozent weniger ausgebildet; im Handwerk, bei der IHK, wurde das aber ansatzweise aufgefangen. Dass jetzt auch die freien Berufe am Ausbildungspakt teilnehmen und unterzeichnet haben, mehr auszubilden, ist ein wichtiges Zeichen, ein wichtiges Signal, dass in diesem Jahr allen Schulabgängern im Rahmen des Ausbildungspaktes eine Qualifizierungsmaßnahme angeboten werden kann.
Aber der Ausbildungspakt allein wird das Problem der sogenannten Altbewerber nicht lösen können. Es gibt über 300 000 junge Menschen, die vor mehr als einem Jahr aus der Schule entlassen wurden und jetzt auf den Ausbildungsmarkt drängen. Ihnen müssen gezielte Angebote unterbreitet werden.
Es ist gut, dass die Wirtschaft im Rahmen des dualen Systems 30 Milliarden Euro in die Ausbildung investiert. In kaum einem anderen Land wird die Wirtschaft mit in die Haftung genommen. Die duale Ausbildung hat eine große Integrationskraft. Bei uns liegt die Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich bei etwa 9 Prozent, in Frankreich bei 24 Prozent und selbst im hochgelobten Finnland bei 19 Prozent. Die betriebliche duale Ausbildung bewirkt also eine große Integrationskraft.
Was Ausbildung bedeutet, zeigt der Fachkräftemangel. Angesichts dessen, dass uns heute vonseiten des Institutes der deutschen Wirtschaft vorgerechnet wird, dass Aufträge in Höhe von 3,5 bis 5 Milliarden Euro verloren gehen, weil keine Fachkräfte vorhanden sind, müssen wir alle Kräfte mobilisieren, damit jeder Jugendliche, jeder junge Mensch, jetzt eine Chance bekommt.
Das vorgelegte Maßnahmenbündel ist auch deswegen sinnvoll, weil die Gruppe der Altbewerber sehr unterschiedlich ist. In meiner Heimatstadt in Willich am linken Niederrhein
liegt die Arbeitslosigkeit wie in Baden-Württemberg bei 5 Prozent. Aber 30 Kilometer weiter in Duisburg-Marxloh liegt sie bereits bei 16 Prozent. In Bautzen liegt sie bei weit über 20 Prozent. Das heißt, dort, wo wenige Betriebe sind, muss man überbetriebliche bzw. außerbetriebliche Maßnahmen fördern. Deshalb brauchen wir ein Bündel an Maßnahmen. Es gibt keinen Königsweg, indem man meint, alle Probleme mit messianischem Blick nach oben lösen zu können.
Entscheidend ist, dass Einstiegspraktika endlich einmal mit Ausbildungsbausteinen verbunden werden, dass wir sagen: Es muss auch qualifiziert werden. Dass immerhin 70 Prozent der Jugendlichen, die ein Einstiegspraktikum machen, anschließend weitervermittelt werden,
ist ein wesentlicher Fortschritt. Dies zeigt, dass betriebliche Maßnahmen besser sind als Parallelmaßnahmen, die schulisch oder außerbetrieblich entwickelt werden.
Die Einstiegspraktika sind eine Brückenmaßnahme in die reguläre betriebliche Ausbildung.
Zum Bonus für Betriebe. Wenn Betriebe bereit sind, sich aktiv am Abbau der Zahl der Altbewerber von über 300 000 zu beteiligen, wenn sie nachweislich der letzten drei Jahre zusätzlich ausbilden oder anfangen, auszubilden, dann ist es auch richtig, ihnen eine Unterstützung in Form eines Bonus von bis zu 5 000 Euro zukommen zu lassen. Dies ist preiswerter, als eine Parallelmaßnahme zu finanzieren. Dies hat auch eine Brückenfunktion für die betriebliche Ausbildung.
Wir haben in Deutschland im Zweijahresvergleich 1 Million weniger Arbeitslose. Das sind 1 Million gute Gründe für die Große Koalition. Mit unserem Antrag werden wir dafür sorgen, dass dieser Prozess weitergeht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die SPD-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege Willi Brase.
Willi Brase (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir in der Koalition und im Parlament nicht darüber streiten, was ideologisch vielleicht der richtige Weg wäre, sondern dass wir den jungen Leuten hier und heute eine konkrete Perspektive ermöglichen.
Mit einer solchen Perspektive machen wir ihnen den Weg frei in eine vernünftige Zukunft. Wir sorgen dafür, dass sie mit daran wirken, dass die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft vorangetrieben werden. Das ist gut.
Ich will deutlich sagen - das wurde von einigen offensichtlich nicht gelesen, oder sie haben es schon wieder vergessen -: Wenn wir schon jetzt, zu einem Zeitpunkt, wo wir uns mitten im Ausbildungsjahr befinden, für das kommende Ausbildungsjahr mehrere zehntausend Ausbildungsplätze zusätzlich schaffen, dann sind wir - da hat der Kollege Schummer recht - ein ganzes Stück weitergekommen; denn damit bieten wir den jungen Menschen in unserem Land eine Perspektive.
Über das Problem der Altbewerber haben wir hier diskutiert. Die SPD-Fraktion, die Koalition insgesamt ist dem Bundesarbeitsminister dafür dankbar, dass er den Weg mitgehen will, um die Sache voranzubringen.
Es gibt junge Leute, die seit mehreren Jahren arbeitslos sind. Der Begriff ?langzeitarbeitslose junge Leute“ ist schlecht, beschreibt aber leider einen Zustand. Deswegen sage ich: Es ist richtig, dass wir so etwas wie Qualifizierungskombi auf den Weg bringen. Er resultiert ein Stück weit aus den Erkenntnissen, die wir in dem Programm ?Jugend mit Perspektive“ gesammelt haben. Wir sollten nicht vergessen, dass wir damals junge Leute damit aus dem Nirwana geholt und ihnen eine Perspektive gegeben haben.
Herr Braun vom DIHK hat darauf hingewiesen - Kollegin Kressl hat das eben schon gesagt -, dass es eine Qualitätslücke gibt.
Ich finde, es macht Sinn, sich kurz zu vergegenwärtigen, was das heißt: Das unterstellt doch, dass viele junge Leute nicht ausbildungsfähig und nicht ausbildungswillig sind. Da fällt mir ein, was wir in meiner Heimat mit Hauptschulabsolventen machen: In der 10. Klasse absolvieren sie freiwillig - 580 Stunden im Jahr, freitagnachmittags, samstagmorgens, sechs Wochen in den Ferien - ein Praktikum in Unternehmen und Ausbildungseinrichtungen. 95 Prozent dieser Jugendlichen finden einen Ausbildungsplatz. Angesichts dessen kann ich nur sagen: Lieber Herr Braun, es gibt keine Qualitätslücke, sondern leider immer noch zu wenig betriebliche Ausbildungsplätze.
Es ist wichtig, dass wir solche Maßnahmen nicht nur in einzelnen Regionen, sondern überall dort, wo das möglich ist, vorantreiben. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Ausbildungsmärkte regionale Märkte sind. Die Debatte wird, um bei den Beispielen von Uwe Schummer zu bleiben, in Bautzen anders zu führen sein als in Willich oder in Siegen-Wittgenstein.
Die Strukturen sind regional unterschiedlich. Wichtig ist, dass man miteinander redet, sich die Problemfälle anschaut und den jungen Leuten ein konkretes, klares und sauberes Angebot macht. Man darf nicht darauf verweisen, dass irgendwann die Umlagefinanzierung kommt, und den jungen Leuten sagen: Vielleicht bekommst du 2015 einen Ausbildungsplatz. - Dann ist der Jugendliche 30, dann braucht er ihn nicht mehr.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich für sehr wichtig halte: die hohe Qualität der betrieblichen Berufsausbildung. In diesem Jahr haben wir erstmals wieder über 600 000 neu eingetragene Ausbildungsverhältnisse. Das war 2000/2001 zum letzten Mal der Fall. Das ist gut so. Wenn die Zahl noch weiter nach oben geht, umso besser.
Wenn man sich Untersuchungen über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft anschaut, stellt man fest, worauf sie basiert. Die Wettbewerbsfähigkeit hat demnach nicht nur mit der steuerlichen Situation, der finanziellen Ausstattung der Unternehmen und deren Wettbewerbsbedingungen zu tun, sondern es geht auch um Innovationsfähigkeit und um die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. In diesen Untersuchungen wird festgestellt, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands vor allen Dingen in der hohen Einsatzflexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begründet ist. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine breite berufliche Qualifikation und haben ihr Handwerk in Arbeits- und Beschäftigungsprozessen erlernt. Der entscheidende Punkt ist, dass wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, die mit unterschiedlichen Fähigkeiten und einer hohen Qualifikation in vielen Unternehmen tätig sein können. Es wäre eine Schande, wenn wir diesen Ansatz durch falsche Modularisierung vorschnell aufgeben würden; denn darunter würde die ganze Gesellschaft leiden.
Thema Fachkräftemangel. Ich halte es für ebenso wichtig, dass wir nicht zu schnell den Rufen mancher Unternehmen erliegen, die behaupten: Wir haben nicht genügend qualifizierte junge Leute; wir müssen schauen, wie wir sie aus dem Ausland zu uns holen.
Solange wir so einen hohen Anteil an Altbewerbern haben, solange wir eine leider noch relativ hohe Anzahl jugendlicher Arbeitsloser haben, bin ich dafür, dass wir diese hier ausbilden, bevor wir einen Schritt außerhalb des Landes gehen und uns von dort Fachkräfte holen. Das wäre der falsche Weg; den sollten wir nicht gehen.
Zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher. Ja, es ist richtig, sich den Bericht des Bundesrechnungshofes anzusehen. Aber wenn man sich einen Bericht ansieht, muss man auch beachten, wann er erstellt wurde und welches Jahr er zum Inhalt hat. Er betrifft die erste Zeit von EQJ. Wir haben das Programm damals über den Ausbildungspakt auf den Weg gebracht. Heute stellen wir fest, dass wir EQJ ein bisschen verbessern wollen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Ausbildungsbausteine nicht nur in den angedachten Projekten zur Schaffung von Ausbildungsplätzen und Qualifizierung in Betrieben, sondern auch bei EQJ auf den Weg bringen.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass junge Leute, die heute in Einstiegsqualifizierungen sind und dort nach dem Modell der Ausbildungsbausteine qualifiziert werden, danach relativ schnell eine Ausbildung - nicht mehr für drei, sondern zweieinhalb Jahre oder entsprechend verkürzt - machen. Das macht Sinn, weil wir Fachkräfte brauchen. Insofern werden wir EQJ an dieser Stelle weiterentwickeln.
Der zweite Punkt. Wir wollen, dass nicht zu viele Realschüler oder Gymnasiasten am EQJ-Programm teilnehmen. Wir brauchen EQJ für diejenigen jungen Leute, für die der Weg in die berufliche Qualifizierung ein Stück weit über betriebliche Zugehörigkeit, über betriebliches Lernen führt. Ich denke, dass wird die Regierung in der gebotenen Grundsätzlichkeit und Güte so machen.
Nicolette Kressl wies darauf hin, dass es richtig ist, die Berufsberatung im Sinne von Berufsorientierung auszuweiten. Wenn Sie in den Berufsbildungsbericht schauen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, wie die am meisten besetzten Ausbildungsplätze aussehen und wie wir uns wirtschaftspolitisch weiterentwickeln, dann erkennen Sie eine Differenz. Das heißt, es muss durch mehr Berufsberatung möglich gemacht werden, die Wünsche der jungen Leute - teilweise auch die ihrer Eltern - ein Stück weit breiter zu streuen, damit wir den Nachwuchs, den wir für die wirtschaftliche Entwicklung brauchen, tatsächlich bekommen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass die Berufsberatung ausgeweitet wird.
Es ist - ich sage das in aller gebotenen Zurückhaltung - ein guter Tag, an dem wir den jungen Leuten und den betroffenen Organisationen - von der Bundesagentur für Arbeit bis hin zu den Kammern - sagen, was wir vorhaben, welche Maßnahmen wir auf den Weg bringen werden und wo sie Möglichkeiten haben, die Programme nach dem 30. September oder spätestens nach dem 31. Dezember umzusetzen. Das ist eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem, was in vielen Debatten in der Vergangenheit über Ausbildungsplätze und die Zukunft der Jugendlichen gesagt wurde. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Sinne fortfahren. Es ist der richtige Weg.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ilse Aigner, CDU/CSU-Fraktion.
Ilse Aigner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich darauf hinweisen, dass heute auch aus meiner Sicht, sehr geehrter Herr Kollege Brase, ein erfreulicher Tag ist, weil wir weitere gute Nachrichten zu verkünden haben. Die wirtschaftliche Entwicklung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Zahl der Ausbildungsplätze steigt. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit einen Rückgang um 30 Prozent. Ich finde, es ist eine sensationelle Botschaft, wenn wir den jungen Menschen sagen können: Wir tun etwas für euch, und es wirkt sich dementsprechend aus.
Deshalb ist es für uns von der Union immer wichtig, dass die wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben wird. Für alle Bereiche liegen positive Daten vor. Die Wirtschaftskraft steigt. Wir verzeichnen Wachstum. Deshalb werden sich auf dem Ausbildungsmarkt positive Entwicklungstendenzen zeigen.
Wir werden aber auch immer wieder darauf drängen, dass wir alle in die Pflicht nehmen, und sie daran erinnern, dass betriebliche Ausbildung das Erste und das Prä ist. Das gilt für alle. Gerade wurden Zahlen vom DGB angezweifelt, die von Kollegen Barth genannt wurden. Mir liegen hier von der Berliner Regierung, aus der Sie, sehr geehrter Herr Gysi, ja nach wenigen Monaten aus der Verantwortung geflüchtet sind, veröffentlichte Zahlen vor.
Sie fordern eine Ausbildungsquote von 7 Prozent.
In der Berliner Regierung beträgt die Ausbildungsquote 0,25 Prozent.
Sie sollten, bevor Sie Forderungen aufstellen, erst einmal Ihrer Pflicht in den Bereichen, in denen Sie Verantwortung tragen, nachkommen. Ich glaube, das wäre ein richtiges Zeichen.
Zur Qualifizierungsinitiative ist schon sehr viel gesagt worden. Sie wird zwischen allen Ressorts abgestimmt und gebündelt, und das, sehr geehrte Frau Hinz, schon nach zwei Jahren. Bis das Berufsbildungsgesetz verabschiedet wurde, hat es, als Sie an der Regierung waren, sieben Jahre gedauert: Verabschiedet wurde es im Jahre 2005, an die Regierung kamen Sie im Jahre 1998.
Insofern sind wir wohl doch etwas schneller. Ich denke, das wesentliche Element ist die Bündelung. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen beteiligten Häusern, dass sie ihren Beitrag dazu leisten, eine abgestimmte Initiative auf den Weg zu bringen.
Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, der mir äußerst wichtig erscheint - dieser Punkt steht auch auf der heutigen Tagesordnung -: auf den europäischen Qualifikationsrahmen. Der Kollege Meinhardt hat bereits darauf hingewiesen, dass die Bedeutung der beruflichen Ausbildung in Deutschland in der Anerkennungsrichtlinie der EU in hohem Maße unterbewertet ist.
Das geht sogar so weit, dass Meister in die gleiche Stufe wie Angelernte eingruppiert werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Dass es dazu kam, war nur deshalb möglich, weil das System unserer beruflichen Ausbildung von Menschen beurteilt wurde, die damit offensichtlich nichts anfangen konnten und allein an der schulischen Leistung gemessen haben, wie die Ausbildung in Deutschland zu bewerten ist.
Dies soll mit dem europäischen Qualifikationsrahmen von Grund auf verändert werden. Es sollen acht Leistungs- bzw. Niveaustufen eingeführt werden. Bei der Eingruppierung geht es nicht nur um die Stundenzahl, sondern auch um die Qualifikation, also darum, was der- oder diejenige können muss. Das schließt auch die Handlungskompetenz ein, die man sich in den Betrieben aneignen kann und über die man verfügen muss, um in eine bestimmte Stufe eingeordnet zu werden.
Das Entscheidende ist, dass nicht irgendeine europäische Institution über die nationalen Regularien entscheidet und die Festlegungen trifft, sondern dass wir in Deutschland selbst einen nationalen Qualifikationsrahmen entwerfen können. Dann können wir entscheiden, in welche Stufe wir unsere Ausbildung einordnen. Das ist ein Quantensprung. Ich hoffe, dass wir hierfür von allen Seiten Unterstützung erfahren werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann es nicht oft genug sagen - Herr Kollege Schummer hat das bereits angesprochen -: In Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 9 Prozent, in Frankreich beträgt sie 25 Prozent. In unserem Land gibt es eine Alternative zum Studium, nämlich die berufliche Ausbildung. Zwei Drittel der jungen Menschen durchlaufen eine berufliche Ausbildung.
In anderen Ländern gibt es praktisch keine Alternative zum Studium, keine Lehre. Entweder ist man Akademiker, oder man hat keine Ausbildung.
Ich finde, unser System ist hervorragend. Viele beneiden uns darum. In vielen anderen Ländern wäre es allerdings gar nicht möglich, ein System wie in Deutschland zu entwickeln und es so auszugestalten, wie es bei uns ausgestaltet ist. Denn Deutschland verfügt im Gegensatz zu manch anderen Ländern über eine Wirtschaft, die fähig ist, auszubilden. Diesen Schatz sollten wir bewahren. Das ist letztlich das, was den Standort Deutschland ausmacht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Überweisungen und Abstimmungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5730, 16/5732 und 16/5225 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 3 d liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 16/5760 vor. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5760, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 16/2996 mit dem Titel ?Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1063 mit dem Titel ?Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig so angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1127 mit dem Titel ?Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 e. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5761, diesen Gesetzentwurf auf Drucksache 16/2540 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das wird nicht reichen.
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle in der Feststellung der Mehrheitsverhältnisse breite Übereinstimmung im Hause fest.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 3 f. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/5762. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Berufsbildungsberichts 2006 auf Drucksache 16/1370 den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2630 mit dem Titel ?Neue Wege in der Ausbildung - Strukturen verändern“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ich habe nicht den Eindruck, dass alle den Gegenstand der jetzt stattfindenden Abstimmung auf Anhieb verstanden haben.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab, der unter Bezugnahme auf den Berufsbildungsbericht die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen empfiehlt.
- Nach dieser bemerkenswerten Protokollerklärung des Kollegen Tauss steht einer unfallfreien Abstimmung eigentlich nichts mehr im Wege.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Sage ich doch! - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit des Hauses angenommen.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
- Drucksache 16/2087 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz - LPartGErgG)
- Drucksache 16/3423 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Martina Bunge, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Vielfalt der Lebensweisen anerkennen und rechtliche Gleichbehandlung homosexueller Paare sicherstellen
- Drucksache 16/5184 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache wiederum anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält als erste Rednerin die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP-Fraktion.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gesellschaftliche Freiheit zeigt sich besonders im Umgang mit Menschen anderer Herkunft und mit Menschen, die sich zu ihrer sexuellen Identität bekennen. Das ist gelebte Toleranz.
Familien, in denen Kinder von zwei Männern oder von zwei Frauen aufgezogen werden, sind heute nichts Besonderes mehr. Insbesondere nachdem für eingetragene Lebenspartner die Möglichkeit der Stiefkindadoption besteht, ist es an der Zeit, den Familienbegriff den Entwicklungen der letzten Jahre anzupassen.
Aufgabe der Politik ist es, die unterschiedlichen Formen von Familien, von Verantwortungsgemeinschaften zu akzeptieren und dafür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Ziel von verantwortungsbewusster Politik ist es, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch seinen eigenen Lebensentwurf frei und unabhängig leben kann.
Die FDP setzt sich seit vielen Jahren für die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen ein. Bereits in der 14. und 15. Legislaturperiode haben wir einen Gesetzentwurf für eine eingetragene Lebenspartnerschaft in den Bundestag eingebracht, und auch in der letzten Legislaturperiode haben wir einen Entwurf von Rot-Grün zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes unterstützt und im Bundesrat dazu beigetragen, dass das Gesetz ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses pünktlich in Kraft treten konnte.
Wir haben immer zum Ausdruck gebracht, dass der jetzige Rechtszustand - das gilt bis heute - alles andere als befriedigend ist. Für Lebenspartner gibt es nach wie vor ein Ungleichgewicht zwischen Pflichten und Rechten: mehr Pflichten als Rechte. Es bedarf Änderungen im Einkommensteuerrecht, Erbschaftsteuerrecht, Beamtenrecht und Adoptionsrecht. Wir haben es leider auch in der letzten Legislaturperiode bei einer Mehrheit von Rot-Grün nicht hinbekommen - obwohl eine Mehrheit vorhanden war -, hier im Bundestag noch weitere Änderungen vorzulegen.
Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, bei dem es um das Erbschaftsteuerrecht geht. Dies tun wir nicht, weil wir nicht noch mehr Änderungen wollen - ich habe eben die Bereiche genannt -, sondern weil wir glauben, dass es am ehesten möglich ist, Veränderungen zu erreichen, wenn wir in einzelnen Schritten vorgehen.
In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und durch Beiträge hier im Bundestag - gerade auch von Kollegin Frau Granold von der CDU/CSU - habe ich erfahren, dass der Gesetzgeber sehr wohl ein Stück weit mehr Anpassungen vornehmen muss und dass sehr wohl Gesprächs- und Kompromissbereitschaft besteht. Ich hoffe, dass mit einem solchen schrittweisen Vorgehen jetzt die Chance besteht, hier noch zu weiteren notwendigen Entscheidungen zu kommen.
Im Grundsatzprogramm der CDU heißt es im einleitenden Kapitel:
Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Freiheit. ... Im Rechtsstaat heißt Gerechtigkeit gleiches Recht für alle.
Ich frage Sie: Ist es gerecht, dass zwei Männer oder zwei Frauen, die eine langjährige Beziehung führen, in der sie gemeinsam Verantwortung füreinander haben, nach dem Ableben eines Partners vom Staat wie Fremde behandelt werden?
Ist es gerecht, dass Lebenspartner, die wie Eheleute gegenseitig unterhaltspflichtig sind, nach dem Ableben eines Partners nur einen Erbschaftsteuerfreibetrag von 5 200 Euro geltend machen können? Ist es gerecht, dass der Staat es nach dem Ableben des einen Partners in keiner Weise steuerrechtlich berücksichtigt, wenn ein Partner den anderen bei Krankheit und Gebrechen bis zum Tode pflegt und für ihn sorgt und damit gleichzeitig die Solidargemeinschaft entlastet?
Wir als FDP-Fraktion sagen: Nein.
Deshalb fordern wir mit unserem Gesetzentwurf zum Erbschaftsteuerrecht gerade auch im Hinblick auf die Steuerklassen, die persönlichen Freibeträge, den besonderen Versorgungsbeitrag und die vermögensrechtlichen Auswirkungen die gleichen Regelungen wie bei Ehegatten.
Ich sage deutlich: Das ist für uns ein Schritt zu weiteren notwendigen Änderungen. Gerade in Zeiten, in denen wir immer mehr die Vereinzelung von Menschen beobachten, ist die Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften ein wichtiges und bewusstes Zeichen des Staates an die Gesellschaft. Wir wollen heute mit unserem Gesetzentwurf dazu beitragen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Georg Fahrenschon für die CDU/CSU-Fraktion.
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Leutheusser-Schnarrenberger, kennen Sie das Gleichnis von Buridans Esel? In diesem Gleichnis steht ein Esel genau in der Mitte von zwei Heuhaufen. Weil er sich nicht entscheiden kann, von welchem Haufen er nun fressen soll, verhungert er jämmerlich.
Bei der Erbschaftsteuer geht es Ihnen offensichtlich genauso wie Buridans Esel: Sie wissen nicht, was Sie wollen. Am vergangenen Wochenende haben Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen, den Ländern im Rahmen der Föderalismuskommission II die komplette Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz bei der Erbschaftsteuer zu übertragen. Keine Woche später fordern Sie jetzt schnell eine Gesetzesänderung für eine bundeseinheitliche Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Was wollen Sie denn jetzt eigentlich?
Wollen Sie jetzt eine Gesetzesänderung vornehmen, um dann im Rahmen der Föderalismusreform eventuell wieder nachzusteuern, oder wollen Sie langfristig eine vernünftige und tragfähige Lösung zur künftigen Erbschaftsbesteuerung auch im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts?
Wenn Sie diese Frage ehrlich beantworten, dann bin ich mir sicher, dass wir zu demselben Ergebnis kommen.
Aber die Forderung, gleichgeschlechtliche Lebenspartner erbschaftsteuerlich genauso zu behandeln wie Ehegatten, ist zu kurz gesprungen. Mit der Union, der CDU/CSU, ist das nicht zu machen.
Denn für die Union haben Ehe und Familie einen besonderen Rang, der sich auch in einer besonderen rechtlichen und steuerrechtlichen Privilegierung niederschlägt.
Durch das Inkrafttreten des Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft im Jahr 2001 ist in Deutschland ein rechtlicher Rahmen für gleichgeschlechtliche Beziehungen geschaffen worden.
Auf Wunsch kann ein gemeinsamer Familienname bestimmt werden. Im Sozialrecht - dazu zählen unter anderem die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung - sowie im Ausländerrecht werden Lebenspartner genauso behandelt wie Eheleute.
Bei einer Trennung kann ein Partner vom anderen entsprechend der vorherrschenden Erwerbs- und Vermögenslage angemessenen Unterhalt verlangen. Auch beim Erbrecht bestehen keine Unterschiede mehr. Wir als Union akzeptieren diese Entscheidung, obwohl wir damals mit guten Gründen dagegengestimmt haben.
Aber im Kern bleibt die CDU/CSU-Fraktion dabei: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und sind mit nichts vergleichbar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt uns darin Recht. Wir werden sogar aufgefordert, die Privilegierung der Ehe entsprechend zu hinterlegen und keine Abstriche daran vorzunehmen.
- Das stimmt, lieber Herr Kollege. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 über die Verfassungsmäßigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes zwar die eingetragene Lebenspartnerschaft als zulässig neben dem Institut der Ehe anerkannt; ausdrücklich wird jedoch darauf verwiesen, dass eine eingetragene Lebenspartnerschaft keine Ehe ist, sondern ein Aliud. Dieser Begriff bedeutet ?ein anderes“. Es ist also nicht das Gleiche und schon gar nicht dasselbe.
Deshalb widersprechen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, da Sie mit Ihrem Vorschlag die grundgesetzlich vorgesehene und auch begründete Privilegierung der Ehe komplett aushebeln.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Ja, gerne.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich will nur sichergehen, dass Sie das Urteil ganz gelesen haben, und fragen, ob Sie auch weitere Sätze des Urteils wie den folgenden zur Kenntnis genommen haben:
Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen.
Das begründet das Bundesverfassungsgericht mit dem Aliud und sieht an dieser Stelle kein Problem des Abstandsgebots in Bezug auf die Ehe, weil das Lebenspartnerschaftsgesetz ein Aliud zur Ehe ist und insofern denklogisch nicht in Konkurrenz zur Ehe treten kann. Denn die Lebenspartnerschaft bezieht sich auf einen anderen Adressatenkreis, und deshalb wird die Gleichstellung vom Verfassungsgericht ausdrücklich für möglich gehalten. Beim Steuerrecht wird sie angedeutet und womöglich sogar für nötig gehalten.
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Lieber Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass alle, die an der heutigen Debatte teilnehmen, das Urteil ganz gelesen haben und wir alle darauf verzichten, das gesamte Urteil vorzulesen. Im Kern bleibt die Problemlage bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns auch mit auf den Weg gegeben, dass wir aufgrund des besonderen Instituts der Ehe ihre Privilegierung sicherstellen müssen.
- Ich werde Ihnen das gerne zukommen lassen.
Wir werden dann in Kontakt treten, und ich freue mich darauf, wie Sie in Ihrer Antwort darauf Bezug nehmen.
Im Kern bleiben wir dabei, Herr Kollege Beck: Wenn wir die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften angleichen und genauso privilegieren wie die Ehe, dann ist die Ehe nicht mehr besonders privilegiert. Das müssen Sie anerkennen.
Aus diesem Grunde sind wir nicht mehr bereit, bei Ihrem Vorhaben mitzumachen.
Ich denke allerdings, das gesamte Hohe Haus begrüßt es, wenn sich Menschen dazu entschließen, füreinander einzustehen und einander Unterhalt zu gewähren - gleich in welcher Lebensform das geschieht. Die Ehe - ich kann es nur noch einmal betonen - ist aber ein Wert für zwei Menschen, die auf Dauer füreinander einstehen wollen. Dieses Füreinander ist Grundlage jeder sozialen Gesellschaft.
Der Staat schützt daher in Art. 6 unseres deutschen Grundgesetzes die Ehe und die Familie, weil er um diesen speziellen hohen Wert weiß. Dieser hohe Wert kommt zum Beispiel im Ehegattensplitting zum Ausdruck, aber auch in der erbschaftsteuerlichen Regelung.
Deshalb ist für CDU und CSU klar: Daran wollen wir auch künftig nichts ändern.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ?Fremdgehen macht glücklich!“ - so der Titel eines Buches, das Micha Schulze und Christian Scheuß zusammengestellt haben.
In diesem Buch fand ich die Lebens- und Liebesgeschichte von Fritz und Josef.
Am 1. August 2001, als auch in Köln alle Fernsehkameras schon abgebaut waren und die Presse schöne Bilder über die ersten ?Homo-Trauungen“ hatte:
Da erklommen, um kurz vor halb vier, zwei ... ganz in identisches Weiß gekleidete ältere Herren die Stufen zum Regierungspräsidium. Nach 46 Jahren legalisierten Fritz Schäfer und Josef Fischer ihre ?wilde“ und dabei sehr unkonventionelle ?Ehe“.
Stellen Sie sich das bitte vor! Nach fast 50 Jahren gemeinsam gelebten Lebens haben diese beiden Herren nun endlich - spät, aber nicht zu spät - die Möglichkeit erhalten, in ihrem 71. und 69. Lebensjahr ihre Liebe amtlich anerkennen und beglaubigen zu lassen.
An einem solchen Bild wird meines Erachtens deutlich, welch großen Schritt die Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 bedeutete. Sie führte tatsächlich zu einer neuen Akzeptanz für schwul-lesbisches Leben.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal ein Stück bundesdeutscher Geschichte. Fritz Schäfer und Josef Fischer lernten sich im Februar 1956 kennen und lieben. Davon durfte zu dieser Zeit aber niemand erfahren. Es galten immer noch die §§ 175 und 175 a, und zwar der § 175 in der durch die Faschisten verschärften Form. Coming-out und unzüchtige Handlungen konnten zu Gefängnisstrafen und sozialer Deklassierung führen.
Viele Menschen waren davon betroffen. Es dauerte bekanntermaßen sehr lange, bis Juni 1969, ehe im Rahmen der Strafrechtsreform sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern straffrei gestellt wurden. Allerdings war das Schutzalter damals auf 21 Jahre festgelegt, während es bei heterosexuellen Menschen bei 18 Jahren lag.
1988 verschwand der Begriff Homosexuelle aus dem Strafgesetzbuch der DDR. Erst 1994 verabschiedeten wir hier im Bundestag die endgültige Streichung - nach 123 Jahren.
Man muss natürlich auch sagen - das darf man nicht vergessen -, dass viele Menschen, die während der Zeit des Faschismus mit rosa Winkel im KZ saßen und vielfach diskriminiert und verfolgt wurden, von der Wiedergutmachung ausgeschlossen waren. 1957 schloss das Bundesentschädigungsgesetz Homosexuelle explizit von der Wiedergutmachung aus. Auch jetzt gibt es immer noch keine materielle Wiedergutmachung.
Als Fritz Schäfer und Josef Fischer 1975, nach 15 Jahren, das erste Mal tatsächlich in einer Wohnung zusammenleben wollten, hatten sie bei der Anmietung noch mit etlichen rechtlichen Problemen zu kämpfen.
Nun sind sie verheiratet. Nein, sie sind nicht verheiratet. Sie sind verpartnert. Fritz und Josef dürfen ihr Bekenntnis nun zwar öffentlich machen. Sie durften es amtlich besiegeln lassen, aber nicht ohne Wenn und Aber. Sie dürfen dies nur zweiter Klasse.
Sehr ernüchtert haben sie festgestellt:
Was für uns relevant werden könnte, wäre das Auskunftsrecht im Krankheitsfall oder die Möglichkeit, lebensverlängernde Geräte abzuschalten, wenn man weiß, dass der andere das nicht wollte.
Beide sind enttäuscht:
Von der Homoehe hätten wir uns mehr erhofft. Du bist zwar erbberechtigt, musst darauf aber Steuern zahlen, als wärst du ein Fremder.
Warum stehen verpartnerten Menschen im Erbfall nur 5 200 Euro steuerfrei zu, während Ehegatten bis zu 307 000 Euro steuerfrei zustehen? Warum wird Fritz oder Josef kein Versorgungsfreibetrag gewährt, während Ehegatten einen solchen bis zu einer Höhe von 256 000 Euro nutzen können? Auch der Freibetrag für Hausrat und andere bewegliche Dinge ist bei verpartnerten Menschen um 41 000 Euro niedriger als bei Ehegatten. Das alles können Sie bei einer sehr schönen Postkartenaktion nachlesen, getragen von verschiedenen politischen Kräften, mit dem Titel ?Keine halben Sachen! Gleiche Liebe, gleiches Recht“.
Vor dem Reichstag findet heute eine Demonstration statt, um diesen berechtigten Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ich möchte im Namen meiner Fraktion die Aktivistinnen und Aktivisten herzlich grüßen, die sich aufgemacht haben, uns noch einmal ein bisschen voranzutreiben. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Wir, die Linke, positionieren uns mit unserem Antrag eindeutig. Es ist notwendig, die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft endlich zu vollziehen. Das betrifft das Einkommensteuerrecht, das Schenkung- und Erbschaftsteuerrecht, das Beamtenrecht, das Sozialrecht und das Adoptionsrecht.
Daraus ergibt sich, dass wir den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen, der diese Forderungen detailliert unterlegt, bis auf das Adoptionsrecht. Von den Liberalen liegt uns der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vor. Das heißt, wir haben eine große Schnittmenge. Wenn Sie sich die Postkartenaktion genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass die Schwusos sowie die Lesben und Schwulen in der Union das unterstützen. Alles zusammen haben wir in diesem Punkt eigentlich eine Mehrheit im Bundestag.
Ich glaube, Menschen wie Fritz und Josef interessiert die Koalitionsvereinbarung etwas weniger. Sie möchten vielmehr Klarheit in den Fragen, die sie betreffen. Das ist nur recht und billig. Ich bekenne, dass ich Fritz und Josef nicht persönlich kenne, dass ihre Namen nicht ihre richtigen sind. Ich denke, sie werden heute nicht aus Köln nach Berlin gekommen sein. Aber vielleicht verfolgen sie die Debatte vor dem Fernseher. Beiden geht es gut. Sie werden sicherlich mit der heutigen Debatte Hoffnung schöpfen. Seien Sie versichert: Wir werden unser Möglichstes tun.
Nehmen wir als Beispiel die konkreten Umstände, unter denen die Lebenspartnerschaft vollzogen werden kann. Seit dem 1. August 2001 gibt es diese Möglichkeit. In Sachsen hat es hingegen bis zum Oktober 2005 gedauert, bis eine Vereinbarung getroffen wurde, die erlaubt, dass die Zeremonie im Standesamt stattfindet. Nebenbei gesagt: In einzelnen sächsischen Kommunen muss man für die eingetragene Lebenspartnerschaft noch immer mehr Gebühren zahlen, als wenn man die Eheschließung vollzieht. Das ist doch nicht normal. Es ist notwendig, dass wir uns in diesen Punkten verständigen, und zwar vorwärtsweisend.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserem Antrag nicht nur die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft fordern, sondern dass wir darüber hinausgehen. Dies kann nur der erste notwendige Schritt sein. Wir müssen weitergehen. Wir müssen zu einer Entprivilegierung der Ehe kommen und ein Konzept erarbeiten, das neue Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt und der Vielfalt der realen Lebensweisen Rechnung trägt. Ehe und Lebenspartnerschaft sind die öffentliche Dokumentation von Verantwortungsübernahme. Aber Verantwortung übernehmen auch andere Menschen. Was ist zum Beispiel mit der allein stehenden, kinderlosen Dame, die ein Zimmer an eine Studentin vermietet hat, woraus sich eine Wahlverwandtschaft entwickelt? Dieses Verhältnis kann dazu führen, dass die Studentin die ältere Dame im Alter pflegt. Sollen sie sich jetzt verpartnern? Ziehen wir damit die Institution der Ehe und die Lebenspartnerschaft nicht ein wenig in die Lächerlichkeit?
Was ist mit einem Bekannten von mir, der seit 20 Jahren in einer glücklichen Partnerschaft lebt? Seine Gefährtin ist arbeitslos geworden und ist nun in Hartz IV. Sie haben geheiratet, weil sie es sich nicht anders leisten können. Denn wenn sie nicht verheiratet wären, wäre sie nicht mitversichert und müsste den Krankenversicherungsbeitrag extra zahlen. Kann es sein, dass Menschen heiraten, um in den Genuss des Ehegattensplittings zu kommen und um den Krankenkassenbeitrag zu sparen? Nein, das kann nicht sein.
Dieses Durcheinander im Sozial- und Steuerrecht kann man nur aufheben, indem man die Menschen als Individuen innerhalb der Ehe und innerhalb der Lebenspartnerschaft mit eigenen Ansprüchen wahrnimmt und dem auch Rechnung trägt. Einen konkreten Vorschlag machen wir in unserem Antrag zum Erbschaftsteuerrecht, über den wir bereits einmal diskutiert haben und auf den wir noch zurückkommen werden.
Ich glaube, wir haben eine große Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, das Leben ein Stück fröhlicher zu gestalten, indem wir dafür sorgen, dass Menschen lieben und leben können, wie sie es selbst bestimmen, dass sie Verantwortung übernehmen und sie dabei unterstützt werden, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht.
Zur Verdeutlichung, um was es geht, möchte ich mit dem Gedicht ?Was es ist“ von Erich Fried schließen:
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht.
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Menschen sollten sich danach entscheiden können - frei von Erwägungen im Steuer- oder im Sozialrecht.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal meinen herzlichen Dank an die Regie von Bundestagspräsidium und Ältestenrat. Wir haben heute die Gelegenheit, drei Gesetzentwürfe von drei Oppositionsparteien auf einmal zu behandeln. Daran können wir sehen, wie sich die Opposition einen Wettlauf um die Gunst der Betroffenen liefert.
Aber das ist nicht das, um was es geht. Es geht nicht darum, schöne Anträge zu schreiben,
zumal nicht zu Gegenständen, die man hätte behandeln können, als man selbst jahrelang an der Regierung war. Es geht vielmehr darum, etwas für die Menschen zu tun. Was man da erreicht, zeigt sich im Bundesgesetzblatt und nirgendwo anders.
Wir haben bei den Verhandlungen mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben:
Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Sie nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie akzeptiert unterschiedliche Lebensentwürfe. Unsere Rechtspolitik wird diese Entwicklung weiter begleiten und fördern.
Diese Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag nehmen wir - wie auch den gesamten Vertrag - sehr ernst.
Wir haben mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im vergangenen Jahr eindeutig festgestellt, dass auch Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität unzulässig sind. Das betrifft das Arbeitsrecht, aber auch die zivilrechtlichen Massengeschäfte und die privatrechtlichen Versicherungen. Wir haben damit die eindeutige Botschaft ausgesandt: Bei uns herrscht Chancengleichheit.
Diese Entscheidung der Koalition ist insbesondere einem Koalitionspartner weiß Gott nicht leicht gefallen. Aber wir haben sie getroffen. Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Granold in diesem Zusammenhang konstatiert hat: Wir leben in einer Zeit, in der sich die Lebensentwürfe geändert haben. Sie begrüßt, wenn sich Menschen dazu entschließen, füreinander einzustehen. Dazu gehört dann auch, dass es eine Gesprächsbereitschaft bei der Union, wenigstens in Teilen der Union, gibt, damit es im Steuer- und Beamtenrecht gegebenenfalls zu Verbesserungen für die Lebenspartnerschaften kommen kann. Das hat ein bisschen auch mit den rechtlichen Voraussetzungen zu tun. Den Disput darüber haben wir eben hier verfolgen können. Das hat auch etwas damit zu tun, ob man bereit ist, einen Schritt weiterzugehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Union sagt, dass sie bereit ist, darüber zu reden
und gegebenenfalls noch zu Ergebnissen zu kommen. Das ist besser, als hier Schaufensterreden zu Anträgen zu halten, von denen jeder weiß, dass es für sie aus naheliegenden Gründen keine Mehrheiten gibt.
- Nein. Aber es ergibt Sinn, dann Anträge zu stellen, sehr verehrter Herr Westerwelle, wenn man sie durchsetzen kann. - Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben vorhin kritisiert, dass man unter Rot-Grün nicht mehr machen konnte. Ich frage mich, was Sie für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben unter Schwarz-Gelb gemacht haben.
Solange Sie in der Regierung waren, gab es keinen einzigen Fortschritt.
Was hier dargestellt wird, ist sehr an den Haaren herbeigezogen. Wenn man die Gelegenheit hat, zu regieren, sollte man sie nutzen. Denken Sie an die Vergangenheit.
Wir setzen uns - ich als Vertreterin des Justizbereichs ganz besonders - beim Steuer- und beim Beamtenrecht konsequent für die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften ein. Es ist ein besonderes Ärgernis - das sehe ich ganz genauso -, dass Lebenspartner zwar ein gesetzliches Erbrecht und ein gesetzliches Pflichtteilsrecht haben, dass sie steuerrechtlich im Erbfall aber als Fremde behandelt werden. Es ist auch wenig konsequent, dass wir die Lebenspartner zwar in die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen haben, nicht aber in die Beamtenversorgung.
Deswegen teile ich die Einschätzung, dass wir den Weg, den wir mit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft beschritten haben, konsequent weitergehen sollten.
Es ist nicht so, dass wir in dieser Legislaturperiode neben dem AGG keine weiteren Erfolge erzielt hätten. Wir haben beispielsweise mit der Reform des Personenstandsrechts, die wir im Dezember 2006 verabschiedet haben, eine alte Forderung endlich verwirklicht: Das Standesamt für alle. Das Bundesrecht sieht vor, dass Lebenspartnerschaften künftig genauso wie Ehen in allen Bundesländern vor dem Standesamt geschlossen werden. Es ist Sache der FDP, dafür zu sorgen, dass in den Ländern, in denen sie mitregiert, nicht von diesem Bundesrecht abgewichen wird.
Das können die Länder nämlich nach der Föderalismusreform. Das ist eine echte Aufgabe zur Verwirklichung der Gleichbehandlung. Mit dieser Regelung des Personenstandsrechts setzen wir das fort, was wir mit dem Lebenspartnerschaftsrecht 2001 begonnen haben. Wir schaffen ein solides rechtliches Fundament, um Lebensentwürfe zu verwirklichen und Diskriminierungen zu verhindern.
Dieses solide Fundament muss man, so meine ich wenigstens, im Rahmen der Diskussion über das Adoptionsrecht erschaffen. Wir haben bereits die Stiefkindadoption. Dagegen wird beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Deswegen, so glaube ich, kann auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse so leicht niemand sagen, dass man die Adoption von Kindern durch ein lesbisches oder schwules Paar generell erlauben sollte. Einer der Einwände besteht darin, dass die Erziehungssituation so kompliziert ist. Deswegen haben wir jetzt einen Forschungsauftrag erteilt, um wissenschaftliche Erkenntnisse über die Situation in Regenbogenfamilien zu gewinnen. Dieses Forschungsvorhaben wird im Laufe der Legislaturperiode beendet sein. Ich hoffe sehr, dass wir dann eine rationale Debatte auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Forschung führen können. Man muss schon konstatieren, dass es diesbezüglich keine einhellige Überzeugung gibt. Die Ansicht des Herrn Bundespräsidenten, der gesagt hat, dass die Vorbereitung der Kinder auf das Leben auch in Familien von Homosexuellen gelingen kann, wird weiß Gott noch nicht von allen Menschen geteilt.
Das europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern haben wir inzwischen geändert. Das heißt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Adoption durch Lesben und Schwule sind inzwischen auf internationaler Ebene gegeben. Dieses Übereinkommen muss jetzt von Deutschland gezeichnet und ratifiziert werden.
Dieses letzte Beispiel zeigt, wie weit wir bei der rechtlichen Gleichstellung von schwulen und lesbischen Menschen schon gekommen sind. Es bedarf, so meine wenigstens ich, keiner symbolischen Debatte mehr, um Tabus zu brechen oder um Weckrufe hören zu lassen. Wir sind längst bei der gesetzgeberischen Kärrnerarbeit angekommen. Das wird sich bei der anstehenden Debatte über das Erbschaftsteuerrecht bald wieder zeigen. Ich persönlich werde mich dafür einsetzen, dass wir auch da an der rechtlichen Gleichstellung schwuler und lesbischer Menschen weiterarbeiten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Volker Beck für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben zu Recht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erwähnt, in dem vom Bürger verlangt wird, im Rechtsgeschäft niemanden aufgrund seiner sexuellen Identität und anderer Kriterien zu benachteiligen. Wir haben dieses Gesetz zu Recht so ausgestaltet. Ein Gesetzgeber, der solche Gesetze macht, muss sich auch selber an diese Vorgaben halten, und darum geht es heute beim Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz.
Wir haben 2001 mit der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes einen großen gesellschaftlichen Erfolg für die lesbischen und schwulen Paare erreicht. Das war eine symbolische Aktion der Integration dieser Minderheit in die Gesellschaft. Wir haben ganz viele rechtliche Probleme praktisch gelöst. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Probleme binationaler Lebensgemeinschaften, die ihre Liebe daraufhin überhaupt erst leben konnten. In der zweiten rot-grünen Wahlperiode haben wir dieses Gesetz mit Blick auf die Rentenversicherung und die Krankenversicherung im zustimmungsfreien Bereich verbessert. Außerdem haben wir eine Regelung zur Stiefkindadoption eingeführt. Bei sämtlichen zustimmungspflichtigen Fragen - Beamtenrecht und Steuerrecht - haben wir nichts zustande gebracht.
Das, was wir für die Ehe im Erbschaftsteuerrecht, im Einkommensteuerrecht, aber auch bei der Beamtenversorgung bezüglich Hinterbliebenenversorgung und Beihilfeberechtigung des Lebenspartners vorsehen, ist eine Rechtsfolge der ehelichen Unterhaltsverpflichtung. Wir können nicht sagen: Da, wo es uns passt, bei der Sozialhilfe, beim Unterhaltsrecht, nehmen wir die Unterhaltsverpflichtung zur Kenntnis, und zwar zulasten der Lebensgemeinschaften; aber da, wo es ihnen einmal zugute kommt, wo ein Ausgleich für die gesetzliche Verantwortungsübernahme vorgesehen ist, schauen die Betroffenen gänzlich in die Röhre. Das ist nicht fair.
Nur wer nach der Übernahme bestimmter Pflichten gleiche Rechte hat, wird wirklich gleich behandelt. Der Gesetzgeber hat sich in einen Widerspruch zu seinem gesetzgeberischen Programm begeben, das er sich mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu Recht zu eigen gemacht hat.
Von 2001 bis 2005 gab es ständig Fortschritte bei der Gesetzgebung für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. 2001 war Deutschland noch Vorreiter in Europa bei der rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften. Deutschland war das erste große EU-Land, das ein solches Gesetz auf den Weg gebracht hat. Heute haben uns viele Länder überholt, zum Beispiel - als letztes Land - Tschechien. In Spanien, in den Niederlanden, in Kanada und Südafrika können homosexuelle Paare sogar die Ehe schließen und müssen nicht auf ein Ersatzinstitut, ein Aliud, zurückgreifen.
Wir wären schon froh, wenn sich hier im Hohen Haus eine Mehrheit - eigentlich gibt es sie - für die Abschaffung der Benachteiligung auf den verschiedenen Rechtsgebieten fände. Wir haben mit unserem Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz ein Gesetz vorgelegt, durch das all diese Rechtsfragen minutiös abgearbeitet werden. Frau Ministerin, da braucht man nicht mehr viel Kärrnerarbeit zu leisten. Man muss nur sein Herz über die Hürde werfen. Wenn Sie es mit der CDU/CSU nicht zustande bringen, dann treten Sie dafür ein, dass die Abstimmung in der Koalition freigegeben wird. Ich bin sicher, dass viele Kolleginnen und Kollegen der Union bei uns wären.
Herr Kollege Fahrenschon, was Sie vorhin zu Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes gesagt haben, war die alte Leier der Union. Dasselbe haben Sie uns vor der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes erzählt. Damals haben Sie gesagt, unser Gesetz sei verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass Sie unrecht haben: There is no Abstandsgebot.
Es gibt keinen Grund, die Lebenspartnerschaften schlechter zu stellen als die Ehe,
weil sie zwei verschiedene Adressatenkreise haben und weil die Rechtsfolgen, um die es hier geht, Ausfluss des ehelichen bzw. partnerschaftlichen Unterhaltsrechts sind.
Sie müssen also schon sagen, dass Sie Schwule und Lesben diskriminieren wollen.
Aber verstecken Sie sich bitte nicht hinter Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz.
Die Konservativen haben das Urteil nicht zu Ende gelesen. Genauso wenig gelingt es ihnen in der Regel, den Art. 6 zu Ende zu lesen. Der hat nämlich noch einen Absatz 5, und darin geht es um die Gleichberechtigung von ehelichen und, wie man 1949 formulierte, ?unehelichen“ Kindern. Das ist ein Auftrag an den Gesetzgeber.
Auch in den Lebenspartnerschaften leben Kinder. Wenn Sie diese Familien steuerrechtlich benachteiligen, beeinträchtigen Sie auch die Lebenschancen der Kinder, die in diesen Lebensgemeinschaften leben. Deshalb rate ich Ihnen, bald gesetzgeberisch zu handeln, bevor Ihnen Karlsruhe das erneut aufgibt. Sie haben kürzlich mit Ihrer Unterhaltsrechtsnovelle hier im Hohen Hause Schiffbruch erlitten, weil Sie bei der Rangfolge nichteheliche Kinder erneut schlechter behandeln wollten als eheliche.
Das sieht das Grundgesetz nicht vor. Die von der Ehe geprägte Familie ist nur eine der möglichen Familienformen. Unser Verfassungsgericht musste Sie immer dazu treiben - so bei der Kindschaftsrechtsreform, jetzt bei der Unterhaltsrechtsreform -, auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben zugunsten der Kinder, die nicht die konservative Ideologie widerspiegeln, zu beachten.
Dass Konservativismus auch anders geht als in der CDU/CSU, erkennt man, wenn man ins Nachbarland Frankreich schaut. Herr Sarkozy und Ségolène Royal hatten einen Disput über die Frage: Was machen wir mit den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften? Frau Royal hat gesagt, sie wolle die Ehe für sie öffnen. Herr Sarkozy hat versprochen, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen anderen Namen für das Rechtsinstitut vorsieht, aber rechtlich identische Inhalte hat. Lassen Sie sich einmal von Ihrer französischen Bruderpartei beraten! Vielleicht hilft das bei den Gesprächen, die Sie mit der Justizministerin führen.
Was im Entwurf Ihres neuen Grundsatzprogramms zu diesen Fragen steht, zeigt das ganze Dilemma Ihrer ideologischen Position auf. Darin heißt es:
Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung.
Eine Gleichstellung mit der Ehe zwischen Mann und Frau als Kern der Familie lehnen wir jedoch ebenso ab wie ein Adoptionsrecht für Homosexuelle.
Ja, was denn nun? Sie können nicht einerseits sagen, wir sind gegen Diskriminierung, und andererseits sagen, Schwule und Lesben wollen wir diskriminieren. Alles andere als Gleichberechtigung ist erneute Diskriminierung.
In der Gesellschaft sind diese Fragen durch. Sie missbrauchen Ihre Position in der Großen Koalition faktisch dazu, den Fortschritt in dieser Frage zu blockieren. Aber die Lesben und Schwulen in Ihrer eigenen Partei, in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, in der liberalen Partei, in der grünen Partei und in der Linkspartei sind sich einig: Sie wollen gleiche Rechte, sie wollen die steuerrechtliche Gleichstellung, und sie wollen, dass mit der Diskriminierung Schluss gemacht wird. Deshalb gab es heute vor dem Reichstag eine Allparteienallianz.
Sozusagen draußen vor dem Bundestag ist sie möglich. Es wäre schön, wenn sie auch hier möglich wäre.
Ich will Ihnen das einmal zeigen - mit Erlaubnis der Präsidentin selbstverständlich -: Auf dem Plakat steht ?Keine halben Sachen“.
Es ist unterschrieben vom Lesben- und Schwulenverband, vom FDP-Bundesverband, vom grünen Bundesverband, von den schwulen Sozialdemokraten, von den Lesben und Schwulen in der Union und von der Arbeitsgruppe ?Queer“ der Linkspartei. So viel Einigkeit ist möglich - außerhalb des Hauses. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass zur Beseitigung von Diskriminierung dieser Menschen auch hier im Bundestag endlich etwas getan wird! Der jetzige Rechtszustand ist einfach nicht zu halten.
Wir werden über das Erbschaftsteuerrecht reden. Haben Sie sich einmal überlegt, was das in realen Lebenssituationen bedeutet? Da hat sich ein schwules oder lesbisches Paar eine Eigentumswohnung zusammengespart. Dann stirbt einer vor dem anderen, was im Leben vorkommt. Auf einmal gehört ein ganz großer Teil dieser Eigentumswohnung nicht etwa der buckligen Verwandtschaft - erbberechtigt ist der Partner ja -, sondern dem Finanzamt. Da müssen die Leute ihre Wohnung verkaufen und verlassen, weil das Erbschaftsteuerrecht sie benachteiligt. Ein Ehepaar hat in dieser Situation einen Steuerfreibetrag in Höhe von 563 000 Euro; so viel muss man erst einmal haben. Die Lebenspartner haben gerade einmal einen Steuerfreibetrag in Höhe von 5 200 Euro. Dann kommt der höchste Steuersatz zur Anwendung, den wir im Erbschaftsteuerrecht kennen. Das ist einfach nicht fair. Das ist Enteignung von Staats wegen. So etwas dürften Sie als christlich-demokratische Partei eigentlich nicht weiter zulassen.
- Das gefällt selbst dem Herrn Westerwelle.
Wir allerdings sagen, wir wollen Gleichberechtigung bei der Erbschaftsteuer schaffen, aber die Erbschaftsteuer durchaus belassen und auch größere Erbschaften etwas stärker belasten. Das ist aber ein anderes Thema als die Frage: Darf man im Erbschaftsteuerrecht bestimmte Gruppen dauerhaft anders behandeln bzw. benachteiligen? Diese Benachteiligung ist nicht fair. Sie kann keinen Bestand haben. Deshalb fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auf: Reden Sie ernsthaft mit uns in den Ausschüssen über diese Frage, und überlegen Sie sich einmal, was jenseits des Vorurteils ein vortragbarer Grund für die Aufrechterhaltung des jetzigen Rechtszustandes wäre.
- Ich glaube, dass Sie intelligent genug sind, Herr Kollege, um festzustellen, dass es einen solchen Grund für die Beibehaltung der jetzigen Rechtslage einfach nicht mehr gibt.
Machen Sie deshalb den Weg frei - notfalls durch Freigabe des Abstimmungsverhaltens in der Koalition -, damit sich die gesellschaftliche Mehrheit, die auch im Parlament vorhanden ist, endlich zugunsten der Betroffenen durchsetzen kann.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion.
Daniela Raab (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich gar nicht bemühen, nachzuzählen, wie oft wir wegen dieser Thematik nun schon hier zusammengekommen sind. Um es gleich vorwegzuschicken - das dürfte keinem neu sein; ich sage es auch ausdrücklich in Richtung unserer Bundesjustizministerin -: Das Vorgehen nach dem Motto ?Steter Tropfen höhlt den Stein“ funktioniert bei dieser Thematik mit der Union sicher nicht. Ein noch Mehr an Gleichstellung zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft wird es mit uns nicht geben.
Wir akzeptieren die bisherige Gesetzgebung dazu, mehr aber auch nicht.
Wir wollen auch eines nicht verkennen - der Kollege Fahrenschon hat es, wie ich finde, schon sehr ausführlich dargestellt -: Es hat sich einiges getan. Am 1. Januar 2005 trat das schon viel zitierte Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts in Kraft. Seither haben wir die weitgehende Anwendung des ehelichen Güter- und Unterhaltsrechts auf die Lebenspartnerschaft, die Einführung des Versorgungsausgleichs, die Einbeziehung der Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung sowie die Möglichkeit zur Stiefkindadoption. Zu Letzterer liegt - Gott sei Dank, möchte ich sagen - ein Normenkontrollantrag des Freistaates Bayern beim Bundesverfassungsgericht vor. Wir werden noch sehen, wie das Gericht da entscheidet.
Also noch einmal: Es hat sich viel getan. Wir als Union haben diese Entwicklungen nicht mitgetragen. Wir tragen insbesondere nach wie vor nicht mit, dass im Gesetz die Möglichkeit zur Stiefkindadoption festgeschrieben wurde; aber wir müssen das notgedrungen so hinnehmen. Alle weiteren Ansätze, die darüber hinausgehen und die insbesondere dazu führen, dass es keinerlei Unterschied mehr zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft geben soll, halten wir für gesellschaftspolitisch verfehlt und außerdem für verfassungswidrig.
Werfen wir trotzdem einen kurzen Blick auf den Antrag und die zwei Gesetzentwürfe, die vorliegen. Die Damen und Herren der Linken schreiben in ihrem Antrag, sie fänden zwar die eingetragene Lebenspartnerschaft ganz prima, meinen aber, sie sei nun doch der Ehe wieder zu ähnlich, um wirklich gut zu sein. Das verstehe ich intellektuell nicht. Vielleicht entscheiden Sie sich, ob Sie nun eine Angleichung wollen oder nicht, ob Sie etwas ganz anderes wollen oder was auch immer. Aber wahrscheinlich verfahren Sie auch hier nach dem bei Ihnen üblichen Motto: Alles kann, aber nichts muss.
Liest man dann weiter, stößt man auf die schier wegweisende Feststellung, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft der Lebensweise von zum Beispiel Singles nicht gerecht werde. Wer hätte jetzt das gedacht? Das ist sehr interessant. Vielleicht überarbeiten Sie Ihren Antrag, um logische Brüche zu vermeiden. Dann können wir noch einmal darüber reden. Jedes weitere Wort an dieser Stelle wäre, mit Verlaub, Zeitverschwendung.
Die Grünen haben den weitestgehenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es war nicht anders zu erwarten,
dass er mich logischerweise nicht überzeugt. Er ist aber zumindest erheblich intelligenter formuliert als der Antrag der Linken. Und der FDP geht es nur um die Erbschaft- und Schenkungsteuer.
- Bitte, gerne. Wenn Sie weitere Beratung brauchen, stehe ich zur Verfügung.
Lassen Sie mich aber noch einen Punkt herausgreifen, der für uns von ungeheurer Wichtigkeit ist. Die Union hat sich schon in der letzten Legislaturperiode klar gegen die Stiefkindadoption ausgesprochen. Ein noch weitergehendes Adoptionsrecht für homosexuelle Paare kommt für uns definitiv nicht infrage.
Das Wohl des Kindes - es geht nicht um das Wohl eines schwulen oder lesbischen Paares, sondern einzig und allein um das Wohl des Kindes -
ist für uns in dieser Konstellation in keiner Weise gewährleistet.
Daneben - Herr Beck, Sie werden sicherlich gleich versuchen, Urteilsstellen zu finden - gibt es Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, der Ehe und Familie nach wie vor in unveränderter Weise unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt.
Diese Verfassungsbestimmung enthält nach ständiger Rechtsprechung sowohl ein Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates in die Ehe als auch eine Institutsgarantie der Ehe und - das ist für uns ganz wichtig - eine wertentscheidende Grundsatznorm. Dem fühlen wir uns als Union verpflichtet.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Juli 2002 zwar entschieden, dass das damalige Lebenspartnerschaftsgesetz verfassungsgemäß sei. Es hat aber auch deutlich gemacht - der Kollege Fahrenschon hat es, wie ich finde, in richtiger Art und Weise betont -: Lebenspartnerschaft ist nicht gleich Ehe.
Es ist etwas anderes. Deswegen ist auch die andere gesetzgeberische Behandlung der Ehe und Lebenspartnerschaft gerechtfertigt.
- An keiner Stelle des Urteils, Herr Beck, findet sich die Aufforderung des Verfassungsgerichts an den Gesetzgeber, eine völlige Angleichung dieser beiden Lebensformen herbeizuführen.
- Ich habe alles gelesen, Herr Beck, ich bin dessen mächtig. - Vielmehr hat die Senatsmehrheit erklärt, dass es Aufgabe des Staates ist, einerseits alles zu unterlassen, was die Ehe schädigt, und sie andererseits in geeigneter Weise zu fördern. Sagen Sie mir doch einmal, wie Sie in Zukunft, wenn Sie alles gleichstellen wollen, die Ehe besonders privilegieren und fördern wollen!
Aber darauf warten wir bei Ihnen lange.
Die Ehe ist also etwas Besonderes und deswegen etwas Besonderes Schützenswertes. Wenn man nun etwas schafft, das einen anderen Namen trägt, aber exakt die gleichen Rechte und Strukturen aufweist, dann entspricht das aus Sicht der Union nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
So hat es im Übrigen auch ein nicht ganz unwesentlicher Verfassungsrichter namens Papier in seiner beachtlich abweichenden Meinung zum damaligen Urteil gesehen. Ich meine, diese abweichende Meinung, Herr Beck, können auch Sie nicht ganz ignorieren.
Die Begründung für diesen besonderen Schutz der Ehe liegt doch schlicht und ergreifend auf der Hand, auch wenn Sie es nicht gerne hören: Der Verfassungsgeber hat die Ehe deshalb unter eine besondere Schutznorm gefasst, weil eine Ehe zwischen Mann und Frau zumindest die potenzielle Möglichkeit bietet, Kinder zu bekommen. Allein aufgrund dieser von der Natur gegebenen Voraussetzung ist die Ehe exklusiv und deswegen vom Gesetzgeber zu privilegieren. So einfach ist das.
Kurzum: Wir halten uneingeschränkt am Abstandsgebot zwischen Ehe und allen weiteren Lebensformen fest. Wir akzeptieren und schätzen andere Lebensformen und Lebensentwürfe, aber Gleichmacherei in dieser so entscheidenden gesellschaftspolitischen Frage wollen wir definitiv nicht.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
Michael Kauch (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die Inhalte der Reden der beiden Unionsabgeordneten wie folgt zusammenfassen: jung an Jahren, aber alt im Denken.
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass bisher nur Abgeordnete der CSU gesprochen haben
- ich weiß, da kommt gleich noch einer - und dass die Rechtspolitiker, die für dieses Thema eigentlich zuständig sind, nämlich Frau Granold und Herr Gehb, heute lieber gleich fehlen. Die Union im Norden dieser Republik wundert sich wahrscheinlich gerade, welches Gesellschaftsbild hier als Position der Union insgesamt verbreitet wird. In Hamburg werden Sie mit den Positionen, die Sie hier vortragen, keine Wahlen gewinnen können.
Es gibt in diesen Minuten eine Aktion des Lesben- und Schwulenverbandes vor dem Bundestag; der Kollege Beck hat darauf hingewiesen. Der Bundesverband der FDP unterstützt diese Aktion. Ich versichere Ihnen, es gibt nicht nur grüne, sondern auch gelbe Plakate.
Ich möchte an dieser Stelle Herrn Kauder eine kleine Information mit auf den Weg geben. Sie haben gesagt, die sollten lieber Blut spenden. Ich weise Sie darauf hin, dass das in dieser Republik verboten ist. Das Gesundheitsministerium hat eine Richtlinie herausgegeben, nach der Schwule kein Blut spenden dürfen. Auch das können wir gerne einmal politisch besprechen.
Herr Fahrenschon hat die Frage der Erbschaftsteuerbeschlüsse unseres Parteitages angesprochen. In der Tat, der Parteitag hat die Forderung beschlossen, dass die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übergeht. Ich habe bisher nicht erkannt, dass die Union dieser Forderung, die eine Zweidrittelmehrheit benötigt, zustimmt. Wenn das ein Angebot war, freuen wir uns darüber. Aber unabhängig davon werden Sie im Herbst noch die Gesetzgebungskompetenz im Bundestag haben. Sie werden eine Erbschaftsteuerreform beschließen. Die Frage ist, mit welchen Inhalten. Vielleicht können Sie über den Baustein, den wir Ihnen diesbezüglich heute vorschlagen, noch einmal nachdenken.
Am Wochenende ist der Christopher Street Day in Berlin, und viele weitere in der Republik werden folgen. Überall werden die Vertreter der Regierung und der Koalition heucheln, wie sehr sie die Anliegen der Schwulen und Lesben unterstützen. Doch die Wahrheit sehen wir heute, insbesondere vonseiten der Union.
Es wurde schon viel über die ungleiche Verteilung der Pflichten und Rechte gesagt. Am ungerechtesten - deshalb bringen wir das heute hier auf den Tisch - ist die Situation im Erbschaftsteuerrecht. Das Erbrecht - Pflichtteil und gesetzliche Erbfolge - ist gleich. Bei der Erbschaftsteuer hingegen bekommen Ehegatten gegenüber eingetragenen Lebenspartnern den 59-fachen Freibetrag. Selbst wenn Sie der Meinung sind, es müsse einen Unterschied geben, muss dieser aber nicht 59-fach sein. Das ist ungerecht.
Noch dreister: Der Staat kassiert weniger Erbschaftsteuer, wenn ich etwas von meiner Tante erbe, als wenn ich etwas von meinem eingetragenen Lebenspartner erbe, mit dem ich mein Leben verbracht habe. Wenn ich meinen Lebenspartner bis zum Tode gepflegt habe, werde ich bei der Erbschaftsteuer wie ein Fremder behandelt. Der Kollege Beck hat ausgeführt, was das bedeutet. Es ist eine ganz existenzielle Frage für die Menschen: Können sie beispielsweise in der Wohnung, die sie gemeinsam angeschafft haben, wohnen bleiben?
Wenn wir ein Recht haben, das dazu führt, dass jemand nach dem Tod seines Lebenspartners aus der Wohnung herausmuss, nachdem das Paar über Jahrzehnte zusammengelebt hat und der eine den anderen in guten und in schlechten Tagen begleitet hat, dann ist das unanständig. Eine Partei, die sich dem Anstand verpflichtet fühlt, sollte das erkennen.
Auch in der Hinterbliebenenversorgung kommt es zu absurden Situationen. Wenn der verstorbene Lebenspartner Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung war, dann gibt es eine Hinterbliebenenrente. Wenn er aber Bundesbeamter war, dann gibt es nichts. Jetzt könnte man denken, das habe wieder die Union oder der Bundesrat beschlossen; aber nein, es war der SPD-Innenminister Otto Schily, der in der letzten Wahlperiode eine Angleichung dieses Rechts verhindert hat. Deshalb muss sich auch die SPD fragen, was sie in der letzten Wahlperiode gemacht hat.
Es gibt immer noch kein gemeinsames Adoptionsrecht. Sie können zwar sagen, eine Adoption von Kindern durch schwule oder lesbische Paare schade dem Kindeswohl. Aber ich würde Ihnen, Frau Raab, einmal empfehlen: Schauen Sie in die einschlägigen erziehungswissenschaftlichen Studien. Sehen Sie sich die Evaluierung der Programme an, die es seit vielen Jahren ermöglichen, dass schwule und lesbische Paare hier in Berlin Pflegeeltern sein können. Sie werden feststellen: Das hat den Kindern nie geschadet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Michael Kauch (FDP):
Ja.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kauch, ich bin ja bekanntermaßen nicht der engste Freund von Otto Schily gewesen.
- Das halte auch ich eher für ein Kompliment. - Aber Ehre, wem Ehre gebührt. In diesem Fall gebührt ihm diese Ehre nicht.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das in den Jahren 2000 und 2001 geplante Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz, das auch im Bundesrat beraten wurde, diese rechtlichen Folgen beinhaltete und es leider die mit von der FDP regierten Länder waren, die dieses Gesetz gemeinsam mit CDU- bzw. CSU-regierten Ländern verhindert haben?
Dies gilt übrigens auch für das sozial-liberal regierte Rheinland-Pfalz. Dies hat also nicht an der SPD gelegen, sondern eher an konservativen Kräften in Ihrer Partei. Ich finde, man sollte auch in solch einer Debatte der Wahrheit die Ehre geben.
Michael Kauch (FDP):
Frau Künast, Sie können zetern, wie Sie wollen; aber wir werden die historischen Fakten schon auf den Tisch legen.
Die Situation ist inzwischen eine andere. Es gibt das Verfassungsgerichtsurteil, das Sie angeführt haben.
- Ich beantworte gerade Ihre Frage, Herr Beck.
- Herr Pronold, möchten Sie vielleicht zuhören?
Sie haben die entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angeführt. Seitdem ist die Rechtslage klar. 2001 war sie noch nicht klar. Die FDP hat sich immer für die eingetragene Lebenspartnerschaft ausgesprochen. Wir haben uns zu dieser Zeit angesichts der damals unklaren Verfassungslage nur mit der Ausgestaltung auseinandergesetzt. Im Jahr 2004 - das hat die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger bereits gesagt - hat die FDP dem Überarbeitungsgesetz nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat zugestimmt. Damals war es in der Tat die SPD, die an dieser Stelle keine Gleichstellung vorgesehen hat.
Jetzt komme ich zurück zur Union. Sie sollten sich einmal die einschlägigen Studien anschauen. Vielleicht kommen Sie dann zu dem Ergebnis, dass das, was dort niedergelegt ist, nicht völliger wissenschaftlicher Unsinn ist. Ich frage Sie: Ist es dem Kindeswohl denn tatsächlich zuträglicher, Frau Raab, wenn Kinder im Heim aufwachsen und nicht in einer stabilen Zweierbeziehung, in der sie ein behütetes Heim und Menschen haben, die sich um sie kümmern? Frau Raab, so wie Sie hier argumentieren, geht es doch nur um Ihre verstaubte Ideologie und nicht um das Wohl der Kinder.
Wir Liberale werden uns mit der Untätigkeit dieser Regierung nicht zufriedengeben. Sie können unsere Anträge im Rechtsausschuss monatlich vertagen, wie Sie das bisher tun, weil Sie keine Entscheidung herbeiführen wollen. Jetzt ist ein weiterer Ausschuss mit unserem Gesetzentwurf befasst. Sie haben neue Chancen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Kräfte in der Union, die liberaler sind, in dieser Debatte einmal zu Wort melden würden.
Aus unserer Sicht ist es jetzt zunächst einmal an der Zeit, zu praktischen Verbesserungen zu kommen. Deshalb haben wir die Erbschaftsteuer, die das größte Unrecht darstellt, in den Mittelpunkt gestellt. Es ist eine Frage des Anstands von Politik, den Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen, auch die Fairness zu gewähren, die sie verdienen.
Unbeschadet des jetzigen Gesetzentwurfes gilt für uns Liberale: Wer gleiche Pflichten hat, muss auch gleiche Rechte haben. Das ist und bleibt unser Ziel bei den Steuern, beim Beamtenrecht und beim Adoptionsrecht.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion.
Florian Pronold (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, ich glaube, Sie haben gezeigt, worum es in dieser Debatte geht. Es geht darum, die Taten der Länder, in denen man mitregiert, vergessen zu machen, indem man einen Schaufensterantrag einbringt. Es ist eine Inszenierung! Sie haben kein Interesse daran, wirklich etwas voranzubringen. Die FDP hätte nämlich schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu beitragen können, dass das, was der Bundestag zur Zeit von Rot-Grün beschlossen hat, nicht im Bundesrat blockiert wird; schließlich hat sie in einigen Ländern mitregiert. Wenn das, was wir damals vorgelegt haben, heute Gesetz wäre, müssten wir diese Debatte nicht führen; dann wären wir schon weiter.
Sie sollten hier nicht so scheinheilig tun, wenn Sie das, wofür Sie die Verantwortung tragen, in den Mantel des Schweigens hüllen und nichts dafür tun, dass es besser wird.
Vor uns liegt die Reform des Erbschaftsteuerrechts. Da sind erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. Wir werden vermutlich eine ganze Menge machen; eine Kommission ist schon eingesetzt worden. Die SPD will die Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehen auch im Erbschaftsteuerrecht implementieren. Das haben wir unter Rot-Grün schon versucht, sind damals aber im Bundesrat gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in dem Urteil ganz eindeutig - das ist vorhin schon vorgetragen worden -, dass es keinen Grund gibt, die Lebenspartnerschaften nicht genauso zu behandeln wie die Ehe. Das ist keine Schlechterstellung der Ehe.
Frau Raab hat gesagt, man dürfe all das nicht zulassen, was die Ehe schädigt. Das klingt zwar schön, aber wenn ich mir die Medienberichterstattung anschaue, klingt das nur lustig. Das soll wahrscheinlich nicht nur für die Gesetzgebung gelten, sondern auch für andere Verhaltensweisen.
Mir ist wichtig, dass wir zu einer tatsächlichen Gleichbehandlung kommen. Das ist möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass das möglich ist. Seitens der Grünen und der Linkspartei wird uns vorgeschlagen, den Koalitionsvertrag einfach nicht zu berücksichtigen und ?richtig“ abzustimmen; dann werde alles gut. Wir hatten aber schon einmal eine Mehrheit im Bundestag, sind damals aber an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat gescheitert. Es ist also nicht damit getan, im Bundestag für Mehrheiten zu sorgen.
Ich gehe davon aus, dass es gelingen wird, weil es in dem vor uns liegenden Prozess so sein wird, wie es bei anderen Themen war, zum Beispiel beim Antidiskriminierungsgesetz - jetzt: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - oder bei der Schulpolitik. Ich schaue einmal nach Bayern: Bis vor wenigen Jahren galten Ganztagsschulen dort als Teufelszeug, und jetzt werden Lobreden darauf gehalten, wenn man eine neue eröffnet. Ich glaube, dass das auch bei der Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehe so sein wird. Wir werden die Dinge Schritt für Schritt so voranbringen, dass wir nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat eine Mehrheit für die dringend notwendige Gleichstellung haben.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion.
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Union reden in dieser Debatte nicht nur Abgeordnete aus dem Süden der Republik. Ich komme aus dem schönsten Bundesland Deutschlands, und das heißt Schleswig-Holstein.
In dieser Debatte geht es wieder einmal um die Frage einer weiteren Annäherung der Rechte der eingetragenen Partnerschaften an die der Ehe. Uns liegen drei unterschiedliche Anträge vor. Die Freien Demokraten wollen bei der anstehenden Erbschaftsteuerrefom einen Schritt in diese Richtung machen. Sie wollen auf diesem Gebiet eine Gleichbehandlung herbeiführen. Die Grünen wollen mit ihrem Antrag im Grunde in allen Bereichen die Gleichbehandlung herstellen. Wenn man den Antrag der Linken genau liest, dann stellt man fest, dass es den Linken darum geht - so heißt es in ihrem Antrag -, ?die Privilegierung der Ehe“ ein Stück weit abzubauen.
Die gehen also noch einen deutlichen Schritt weiter.
Deshalb sage ich gleich zu Beginn dieser Debatte: Wie auch immer Sie die Entwicklung in der Bevölkerung einschätzen, die Ehe ist nach wie vor die häufigste Lebensgemeinschaft. Ich bin sicher: Das wird auch so bleiben.
Davon müssen wir bei allen unseren Überlegungen ausgehen.
Ausgangspunkt für die Debatte ist das Gesetz aus dem Jahre 2001, das die eingetragenen Gemeinschaften ermöglicht hat. Wir haben es damals gemeinsam mit den Freien Demokraten abgelehnt. Die rot-grüne Regierung hatte das Gesetz vorgelegt und verabschiedet. Inzwischen hat es in Richtung Annäherung manche Entscheidung durch den Gesetzgeber, aber auch durch höchste Gerichte gegeben. Auch wenn wir diese Entwicklung abgelehnt haben und das in der Debatte immer deutlich zum Ausdruck gebracht haben, ist selbstverständlich auch für uns bindend und wird von uns toleriert, was per Gesetz beschlossen wurde oder vom Verfassungsgericht kommt.
Wenn wir uns einmal die Frage stellen, wie weit wir heute bei der Annäherung sind, kann ich der Justizministerin nur zustimmen: Wir sind schon erheblich weit, um das einmal klar zu sagen. Es gibt heute im Wesentlichen in drei Bereichen noch Unterschiede: zum einen im Adoptionsrecht, zum anderen im Beamtenrecht und zu einem erheblichen Umfang im Steuerrecht. Das sind zentrale Bereiche.
Wenn wir uns die Rechtslage ansehen - ich bin kein Jurist; ich habe also klaren Menschenverstand -,
dann sage ich sehr deutlich: Das ist nicht so sehr ein juristisches Problem.
Ich begründe dies wie folgt. Das Verfassungsgericht gibt uns weitere Möglichkeiten. Das ist für mich unbestritten. Hier gibt es einen politischen Entscheidungsraum. Die Kernfrage ist: Wie weit wollen wir diesen Entscheidungsraum nutzen? Es handelt sich also um eine politische Entscheidung. Das Verfassungsgericht steht uns dabei nicht im Wege, um das klar zu sagen.
Jetzt müssen wir uns natürlich mit folgender Frage auseinandersetzen: Was ist aus der eingetragenen Lebensgemeinschaft geworden? Es gibt für Deutschland keine verbindlichen Zahlen, wenn ich das richtig sehe. Aber wir können von einer Größenordnung von etwa 10 000 eingetragenen Lebensgemeinschaften ausgehen. Für Berlin wird die Zahl 4 000 veröffentlicht. Für Schleswig-Holstein liegt die Zahl 170 vor. Also: 10 000 in Deutschland. Wenn wir uns einmal den Kreis der Potenziellen ansehen, die für eine solche Gemeinschaft infrage kommen, dann werden Sie mir zustimmen: Diese 10 000 sind nur ein ganz kleiner Teil, den wir jetzt enorm privilegieren.
Dazu können Sie sagen: Jeder kann ja diese Form wählen.
Wir müssen uns aber die Frage stellen: Gehen wir mit dieser Gemeinschaft, die so wenig genutzt wird, vielleicht an den Empfindungen und an dem, was die Betroffenen wirklich wollen, ein Stück vorbei?
Wir müssen uns auch immer die Frage stellen: Wie weit ist der gesellschaftliche Kontext in Deutschland? Meine Wahrnehmung ist, dass wir hier im Bundestag schon viel weiter sind als das Empfinden der Bevölkerung. Ich glaube, vielen in der Bevölkerung sind wir schon viel zu weit gegangen, als wir uns sogar in den Grenzbereich Adoption gewagt haben. Das ist mein Eindruck.
Ich sage an die FDP: Wenn wir jetzt bei der Erbschaftsteuer die Gleichheit einführten - ich vermute, mit dem Verfassungsgericht bekommen wir dabei keine Probleme -, dann wäre das die erste Öffnung im Steuerrecht. Als Nächstes müsste dann auch das Ehegattensplitting erweitert werden. Dazu sagen Sie: Prima! Okay!
Ich sage aber: Wir müssen uns genau überlegen, ob wir das wollen.
Entspricht das dem Diskussionsstand in der Bevölkerung? Ich nehme ihn anders wahr, um das klar zu sagen. Ich meine also: Wer die Tür öffnet, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein.
Meine Vorredner von der Union haben schon gesagt: Wir sind den bisherigen Weg nicht mit großer Begeisterung gegangen. Wir akzeptieren allerdings, was vereinbart wurde. In den Koalitionsverhandlungen ist über dieses Thema diskutiert worden. Wenn Sie sich den Koalitionsvertrag ansehen, stellen Sie fest: Darin steht zu diesem Thema nichts. Wir sind uns in dieser Frage nämlich nicht einig geworden. Das heißt, im Koalitionsvertrag wird kein Rahmen vorgegeben, um sich in dieser Frage weiter zu bewegen.
Ich bin mir allerdings darüber im Klaren, dass die Meinungsbildung und die Diskussionen in der Bevölkerung und in den Parteien fortgesetzt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der FDP ist als einziger sehr aktuell. Wir werden über dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt erneut ernsthaft diskutieren müssen, weil wir noch in diesem Jahr eine Reform des Erbschaftsteuerrechts verabschieden wollen.
Nur, ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür in der Union eine Mehrheit gibt; das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich. Wir haben diese Diskussion noch nicht abgeschlossen. Aber ich sage schon jetzt: Ich glaube, die meisten Kollegen aus meiner Fraktion nehmen in ihren Wahlkreisen wahr, dass wir die bestehenden Möglichkeiten schon in erheblichem Umfang ausgeschöpft haben.
Meiner Einschätzung nach sind sie nicht bereit, noch weiter zu gehen. Ich sage erneut: Unter rechtlichen Gesichtspunkten könnten wir wahrscheinlich weiter gehen; das ist aber nicht das Problem. Es geht um die Frage, ob wir das wollen und ob wir das für richtig halten.
Meine Damen und Herren, allen drei Fraktionen, die entweder einen Antrag oder einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, kann ich nur sagen: Wir werden uns an einer konstruktiven Diskussion natürlich beteiligen. Aber unsere Bereitschaft, auf diesem Weg weiter zu gehen, hält sich in engen Grenzen, weil wir nach wie vor davon überzeugt sind - ich wiederhole das -, dass die Ehe die vorherrschende Form des Zusammenlebens ist und dass sie vom Grundgesetz besonders geschützt wird. Dies ist ein Grundsatz unserer politischen Arbeit, zu dem wir auch in Zukunft stehen werden.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Kollege Bernhardt, ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie als möglicherweise letzter Redner der Unionsfraktion in dieser Debatte für die CDU das Wort ergriffen haben. Ich finde, Sie haben sehr ehrlich argumentiert.
Das ist wohltuend. Denn bisher haben die Redner Ihrer Fraktion gesagt: Wir können nicht anders, weil uns das Bundesverfassungsgericht nicht mehr erlaubt.
Sie haben gerade gesagt: Sie wollen nicht anders, weil das Ihrer Meinung nach nicht den Empfindungen weiter Teile der Bevölkerung entspricht. Das ist schon ein ganz bemerkenswerter Fortschritt. Wenn wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass wir auch vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts mehr machen könnten, wenn wir dies wollten, dann ist das der erste wichtige Fortschritt in dieser Debatte. Wir können nämlich mehr tun.
Ich möchte einen Aspekt aufgreifen, der unter anderem vom Kollegen Beck bereits angesprochen worden ist - auch ich habe in diesem Hause bereits mehrfach zu diesem Thema gesprochen -: die Rechtsentwicklung. Der Unterschied der heutigen Debatte zu früheren Debatten ist, dass mittlerweile rechtliche Klarheit besteht. Darauf wollte ich auch Sie, Herr Kollege, hinweisen. Als die Regelung im Jahre 2001 getroffen wurde, gab es sehr unterschiedliche Einschätzungen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden und ob diese Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Auch ich hatte damals übrigens juristische Zweifel, dass die Standesamtslösung beim Bundesverfassungsgericht durchgeht.
Jetzt ist die Lage eine andere. Mittlerweile liegt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Nun kann man nicht mehr ernsthaft behaupten, man würde die Ehe ?abschaffen“, indem man die Diskriminierung von Menschen, die in anderen, nämlich nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben und sich für die eingetragene Partnerschaft entscheiden, aufhebt. Das ist für mich eine politische Frage.
Sie sagen: Die Empfindungen der Bevölkerung lassen nicht mehr zu. Ich möchte Ihnen meinen persönlichen Eindruck, der ein anderer ist, schildern: Ich glaube, dass es die allermeisten Menschen in Deutschland nicht als Werteverlust empfinden, wenn zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, sondern als einen ganz klaren Wertegewinn. Die Bevölkerung weiß: Gerade in einer Gesellschaft, in der die Vereinzelung zunimmt, ist es gut, wenn sich Menschen zueinander bekennen und in guten wie in schlechten Zeiten Verantwortung füreinander übernehmen. Daher bin ich der Überzeugung, dass die Mehrheit, die es in dieser Frage in diesem Hause gibt, die Mehrheit in der Bevölkerung widerspiegelt. An die Bürgerinnen und Bürger, die Sorge haben, die sagen: ?Das geht uns zu weit!“, sollten wir aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger uns wenden und ihnen sagen: Die Ehe, die Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates, und niemand will das ändern. Aber es ist nicht schlecht, wenn gleichzeitig andere, in unserer modernen Zeit neu entstandene Lebensgemeinschaften den Respekt des Staates bekommen, den auch sie verdienen - weil Menschen ganz persönlich füreinander Verantwortung übernehmen.
Ich glaube, die Hinwendung des Menschen zum Menschen entspricht auch Ihrem Menschenbild. Wir sollten dann am gesellschaftlichen Fortschritt arbeiten und nicht meinen, da sei nicht mehr drin!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion.
Christine Lambrecht (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Beitrag von Herrn Kauch war klar, warum wir uns heute zu so prominenter Zeit und mehr als 90 Minuten lang diesem Thema widmen. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, es geht Ihnen nicht um die Sache, sondern darum, dass am Wochenende Christopher-Street-Day-Veranstaltungen stattfinden und dass sich die FDP mit großen Plakaten als Kämpfer für die Rechte der Lesben und Schwulen darstellen will. Solche Schaufensteranträge werden wir hier nicht durchgehen lassen, Herr Kauch.
Ihre Vorwürfe an uns Sozialdemokraten lasse ich mir nicht gefallen. Ich war nämlich bei dem Gesetzgebungsverfahren in der 14. und der 15. Legislaturperiode dabei und habe mitbekommen, wie Sie - der Kollege Westerwelle hat es angesprochen - hier im Bundestag gegen dieses Gesetz gestimmt haben und wie Sie dafür gesorgt haben, dass auch im Bundesrat dagegen gestimmt wurde; wie Sie sich an einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt haben. All das, was in diesen Anträgen steht - mit Ausnahme der Volladoption -, wäre längst Realität, wäre längst Gesetzeslage, wenn Sie es damals nicht verhindert hätten. Das stand nämlich im ursprünglichen Gesamtentwurf alles drin. Wir haben es dann aufsplitten müssen, weil es auch an der FDP gescheitert ist. Ich finde, das muss deutlich gesagt werden.
Wenn jetzt der Kollege Westerwelle sagt: ?Wir wollten erst einmal schauen, ob das mit dem Bundesverfassungsgericht klappt, ob das verfassungsgemäß ist“, muss ich sagen: Ein bisschen mehr Mut in der Politik darf es schon sein! Man kann doch nicht jedes Mal abwarten, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt.
Wir sind doch dafür da, Entwicklungen aufzunehmen und politisch zu gestalten; wir sind nicht dafür da, lediglich das nachzuvollziehen, was uns die Richter aus Karlsruhe vorgeben. Da haben wir ein anderes Politikverständnis und hatten es auch schon damals. Vielleicht sind wir schon damals näher an den Leuten dran gewesen als Sie. Ich finde, das muss einmal gesagt werden, damit hier nicht der Eindruck entsteht, die FDP sei schon immer dafür gewesen und würde das Ganze unterstützen. Nein, Sie sind aufgesprungen, als Rot-Grün den Weg bereitet hat.
Ein weiterer Punkt, Herr Kauch: Wenn Sie heute tatsächlich mit Leib und Seele dabei sind und dieses Anliegen unterstützen wollen, dann frage ich mich, wieso beispielsweise in einem Land wie Baden-Württemberg, wo die FDP immerhin mit in der Regierung sitzt, Menschen, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollen, heute noch zum Landratsamt oder zur Stadtverwaltung gehen müssen und nicht, wie in anderen Ländern, zum Standesamt. Da könnten Sie doch einmal Ihren Einfluss geltend machen! Spielen Sie das doch einmal den Kollegen zu, damit die da, wo sie es können, all das, was Sie hier fordern, entsprechend umsetzen!
Des Weiteren muss ich sagen, ich bin heute sehr überrascht über den Verlauf der Debatte in Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der CSU. Da waren wir aber schon deutlich weiter; das ist auch angesprochen worden. Die Kolleginnen, die ansonsten zu diesem Thema reden und die entsprechenden Berichterstatterinnen sind, sind heute nicht einmal anwesend. Ich kann mir gut vorstellen, warum: weil sie sich für die Einstellung, die zumindest bei den ersten beiden Debattenbeiträgen zum Ausdruck gekommen ist, wahrscheinlich schämen.
Frau Granold hat in den beiden Reden zu dieser Debatte, die sie in den letzten Jahren gehalten hat, klargemacht, dass sehr wohl etwas zu machen ist, dass man die Hinweise aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Steuerrecht, in Bezug auf Beamtenrecht aufgreifen will. Bei der Adoption ist das etwas anderes; ich glaube, da braucht es tatsächlich noch eine umfassende Diskussion. Wir waren, wie gesagt, viel weiter. Deswegen bin ich verwundert und frage mich: Wohin geht die Reise bei der Union? Werden sich die konservativen Kräfte durchsetzen, wie sie es beim Unterhaltsrecht versucht haben? Ich weiß nicht, wie da die Mehrheitsverhältnisse sind. Ich kann nur sagen: Halten Sie sich an das, was Sie in mehreren Beiträgen versprochen haben - daran werden Sie gemessen! Diese Debatte haben wir mittlerweile im Halbjahresrhythmus; aber das ist gut: Von der Wiederholung lernt man. Das hat man auch bei Ihnen von der FDP gesehen: Irgendwann hat es Früchte getragen. Vielleicht klappt es ja auch bei der Union.
Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie uns wirklich noch einmal sachlich darüber sprechen, wie die Lebenssituation dieser Menschen aussieht. Es gibt eine Ungleichbehandlung. Es kann nicht sein, dass man akzeptiert, dass Menschen Pflichten füreinander übernehmen und über Jahre hinweg bereit sind, das zu tun, ihnen aber entsprechende Rechte versagt. Ich finde, diese Ungleichbehandlung liegt so offensichtlich auf der Hand, dass man nicht einfach mit dem Hinweis darüber hinweggehen kann, dass die Ehe doch etwas anderes ist. Natürlich ist die Ehe etwas anderes. Das soll sie auch bleiben. Kein Mensch will das ändern. Wir wollen aber nicht, dass Menschen, die Verantwortung füreinander übernommen und das durch eine eingetragene Lebenspartnerschaft zum Ausdruck gebracht haben, weiterhin ihrer Rechte beraubt werden. Diese Rechte stehen ihnen zu.
Zumindest für die Sozialdemokraten kann ich sagen: Wir werden weiter an diesem Thema arbeiten, weil wir wollen, dass es hier zu einer Gleichbehandlung und gerechten Behandlung kommt; denn nur darum geht es. Es geht um keine Privilegierung, es geht um keine Abschaffung und es geht um keine Einschränkung der Ehe. Es geht nur darum, dass Menschen, die Verantwortung füreinander übernommen haben, diese Rechte zugestanden bekommen. Deswegen werden wir hier weiter bohren.
Das wird kein einfacher Weg. Das sind wir gewohnt. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Vielleicht kommen wir am Ende doch zu einem guten Ergebnis.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Komischerweise hat sich heute in dieser Debatte sehr viel auch um die FDP gedreht. Ich habe mich gefragt, woran das eigentlich liegen könnte. Das liegt natürlich zum einen daran, dass Sie Ihre Meinung im Laufe der gesamten Entwicklung mehrfach geändert haben. Zum anderen hängt das auch damit zusammen, dass wir immer wieder versuchen, die FDP ernst zu nehmen.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Angenommen, wir nehmen die FDP ernst und schaffen die Erbschaftsteuer ab. Dann brauchen wir auch kein Erbschaftsteuerrecht mehr. Dieses Recht würde es dann nicht mehr geben. Wenn wir die FDP weiter ernst nehmen, dann würden wir die Kompetenz hinsichtlich dieses Rechts, das es dann nicht mehr gibt, in die Länder verweisen. Gleichzeitig würden wir ungerechte Freibetragsregelungen anpassen. Das wäre natürlich ein Problem.
Wir könnten auch zuerst die Freibetragsregelungen ändern, dann die Kompetenz in die Länder geben und anschließend das Gesetz abschaffen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
Nein, ich möchte erst zu Ende vortragen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Heißt das, dass Sie grundsätzlich keine Zwischenfrage zulassen?
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
Nein, aber ich glaube, es ist immer gut, wenn man Widersprüchlichkeiten aufzeigt. Ich wollte vermeiden, dass die Widersprüchlichkeiten dadurch konterkariert werden, dass man die Darlegung der logischen Folge dieser in sich widersprüchlichen Konsequenzen stört.
Wir könnten ja auch sagen, dass wir die Kompetenz erst in die Länder geben und dann das Recht auf Bundesebene abschaffen, um hinterher den Vorschlag zu machen, uns die Freibetragsregelungen anzuschauen.
Genau daran erkennt man, dass Herr Fahrenschon mit seinem schönen Eselbeispiel sehr recht hat und dass wir deshalb nicht auf diese Fährte kommen sollten. Das würde nämlich genau zu dem führen, was Sie heute auch wieder reklamieren: Sie wollen die angebliche Untätigkeit der Regierung überwinden, geben sich damit aber nicht zufrieden. Ich glaube, man merkt sehr schön, dass man nicht gleichzeitig Beschleuniger und Bremser sein kann. Das zeigt auch eine gewisse Unehrlichkeit. Umso wichtiger war es Herrn Westerwelle wahrscheinlich, in dieser Debatte das Wort Ehrlichkeit zu benutzen.
In den Anträgen der Opposition geht es um zwei fachliche Schwerpunkte: Erstens geht es um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 2002 hinsichtlich der erbschaftsteuerlichen Unterschiede zwischen Ehepartnern und Lebenspartnern, zweitens geht es um die Beschlussfassung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 hinsichtlich der Bewertungsunterschiede unterschiedlicher Vermögensarten. Ich glaube, dass das auch die beiden Dinge sind, die wir angehen müssen.
Daraus ergibt sich auch etwas hinsichtlich der Arbeitsfolgen. Im ersten Schritt hat man nämlich zunächst die Bewertungsgesetze zu ändern, um überhaupt herauszufinden, worauf man eine Erbschaftsteuer erhebt; denn dort gibt es heute fundamentale Probleme hinsichtlich der Fragen, was ein Betriebsvermögen ist, was ein Grundvermögen ist und wie es bewertet wird und wie man land- und forstwirtschaftliches Vermögen definiert. Beim Kapitalvermögen ist es etwas einfacher, weil das heute schon anhand des Verkehrswertes ermittelt wird.
Erst im zweiten Schritt, nachdem also diese Bewertungsfragen geklärt wurden, lohnt es sich, über die Anpassung des Erbschaftsteuerrechts in allen anderen Fällen nachzudenken. Erst in dieser Phase lohnt es sich auch, Spezialfälle, wie die Freibeträge bei eingetragenen Lebenspartnerschaften, zu regeln. Ich glaube, dass es auch klug ist, so vorzugehen.
Apropos Beschleunigen des Regierungshandelns: Heute ist tatsächlich ein guter Tag; denn heute tagt im Bundesrat der Finanzausschuss. Im Anschluss daran tagt die Finanzministerkonferenz der Länder. Gerade heute wird die Arbeitsgruppe der 16 Länder, die sich mit diesen Bewertungsfragen befasst, der FMK ihre ersten Vorschläge zu einer soliden erbschaftsteuerlichen Regelung der Bemessungsgrundlage vorlegen. Ich glaube, dass heute ein guter Tag ist, um dieses Thema zu diskutieren. Aber man sollte sich auf diesen Schwerpunkt beschränken, statt beliebig alles mit einzubeziehen, was einem dazu einfällt.
Wie wir wissen, führt die weitgehende Übernahme der Steuerbilanzwerte bei der Bewertung von Betriebsvermögen systematisch an einer korrekten Lösung vorbei.
Wenn wir im Gesetzentwurf eine systematische Fehlbewertung zugrunde legen, dann widerspricht das einer vernünftigen Steuergesetzgebung. Differenzen zwischen dem Verkehrswert eines Wirtschaftsguts und seinem niedrigeren Buchwert müssen gesetzlich abgebildet und aufgefangen werden.
Ähnlich komplex stellt sich die Rechtslage bei bebauten Grundstücken dar. Denn das Ertragswertverfahren, das wir mit einem Einheitsvervielfältiger versehen, führt ebenfalls systematisch zu ungerechten Bewertungszusammenhängen. Auch das muss überwunden werden.
Wenn wir unser Ziel quasi systematisch verfehlen, dann wird deutlich, wie komplex die Aufgabe ist, die wir den Ländern übertragen haben. Noch komplizierter wird es bei Erbbaurechten und mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken. Denn der Grundbesitz wird auch hier mit einem konstanten Faktor von 18,6 bewertet.
Auch damit wird das Ziel systematisch verfehlt. Die Regelung führt an einer gerechten Besteuerung vorbei. Auf die unbebauten Grundstücke will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.
Sie wundern sich und regen sich auf, aber Sie müssen Verständnis dafür haben, dass ich als Finanzpolitiker rede und mich deshalb mit der Erbschaftsteuer befasse. Unsere Rechtspolitiker haben die anderen Sachverhalte bereits hinreichend beleuchtet.
Ich konzentriere mich im Regelfall auf die Themen, in denen ich mich etwas auskenne. Ich glaube, es ist auch klug, dazu Stellung zu nehmen.
Noch komplizierter verhält es sich bei den Anteilen an Kapitalgesellschaften, bei denen es die zu schätzenden, nicht börsennotierten Anteile zu beachten gilt. Auch dabei reicht gegenwärtig die Rechtsgrundlage nicht aus.
Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten sind, uns mit diesen Themen auseinanderzusetzen und uns mit den Vorschlägen der Arbeitsgruppe zur Schaffung der gesetzlichen und strukturellen Voraussetzungen für eine kluge zukünftige Erbschaftsteuerregelung zu befassen. Ich glaube, dann können wir alle weiteren Probleme in diesem Kontext lösen.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Michael Kauch.
Michael Kauch (FDP):
Herr Kollege, da Sie leider keine Zwischenfrage zugelassen haben, möchte ich Ihnen - weil Sie die FDP ernst nehmen, wie Sie gesagt haben -
auf diesem Wege mitteilen, welche Beschlüsse wir auf dem Bundesparteitag gefasst haben.
Wir haben erstens beschlossen, dass wir die Gesetzgebungskompetenz für die Erbschaftsteuer auf die Länder übertragen wollen. Dazu ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments notwendig.
Zweitens ist ein Änderungsantrag abgelehnt worden, in dem die Abschaffung der Erbschaftsteuer gefordert wurde.
Drittens wird die FDP-Bundestagsfraktion in Anbetracht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die für eine Reform der Erbschaftsteuer genutzt werden soll, eigene Vorschläge zur Erbschaftsteuerreform vorlegen. Dazu gehören viele Punkte. Sie haben schon einige angesprochen. Dazu gehört aber auch das Thema, über das wir heute schon gesprochen haben. - So viel zur Klarstellung, was die FDP möchte.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, wollen Sie etwas erwidern?
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
Nein, ich verzichte.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen16/2087, 16/3423 und 16/5184 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 105. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 22. Juni 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]