111. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich zum zweiten Tag der Haushaltsberatungen.
Wir setzen die gestern eröffneten Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 2 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr
2008
(Haushaltsgesetz 2008)
- Drucksache 16/6000 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksache 16/6001 -
Ich darf daran erinnern, dass wir gestern für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt siebendreiviertel Stunden beschlossen haben. Ich möchte schon jetzt alle Rednerinnen und Redner dringend bitten, die möglichst präzise Einhaltung dieser Gesamtredezeit im Auge zu behalten.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Als erstem Kollegen erteile ich das Wort dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich im Namen der FDP-Bundestagsfraktion Herrn Minister Gabriel recht herzlich zum Geburtstag gratulieren. Alles Gute!
Wir alle freuen uns, dass die Weltkonjunktur noch immer recht stabil ist. Wir alle freuen uns, dass dadurch bedingt auch bei uns die Arbeitslosenzahlen zurückgehen. Dafür kann zwar die Regierung wenig - es sind Windfall-Profits anderer -, aber wir freuen uns darüber. Es ist höchste Zeit, diesen Schwung von außen für immer noch nötige Strukturreformen zu nutzen. Aber die Regierung ist in eine Partylaune verfallen. Seit Monaten macht sie Politik à la Woodstock: Jeder darf einmal spielen, was er will.
Alle wollen die Welt verbessern, und Geld spielt keine Rolle. In Woodstock kam aber am Ende der große Regen.
Das wichtigste Projekt dieser Regierung scheint derzeit zu sein, den Bundesadler durch den Eisbären zu ersetzen. Klimaschutz am Nordpol ist ohne Zweifel wichtig, aber das Reformklima in Deutschland eben auch.
Der Aufschwung muss bei den Bürgern ankommen.
Das hat zwar auch der Bundeswirtschaftsminister erkannt, aber ein einzelner Zwischenruf im Kabinett reicht nicht. Von der Teilhabe der Bürger am Aufschwung ist weit und breit nichts zu sehen.
Groß war diese Regierungskoalition in den vergangenen zwei Jahren nur bei den Steuererhöhungen. Die Bürger können aber nur dann am Aufschwung teilhaben, wenn sie bei Steuern und Abgaben entlastet werden.
Jetzt ist die Zeit für Steuersenkungen. Damit würde das Wachstum gestärkt und der Aufschwung verstetigt. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Rürup, sagt, dass die Binnennachfrage flach wie ein Brett ist. Das hat mit der großen Mehrwertsteuererhöhung und mit dem Zickzack dieser Regierungskoalition zu tun.
Frau Bundeskanzlerin, wann setzen Sie die Steuersenkung um, die auch Ihr Wirtschaftsminister fordert?
Sie reden davon, den Aufschwung stärken zu wollen. Wenn Sie entsprechend handeln wollen, dann sollte sich die Bundesregierung die Vorschläge zur Steuersenkung aus dem Wirtschaftsministerium zu Herzen nehmen und umsetzen. In diesem Fall bedeutet, von Glos zu lernen, besser zu werden.
Trotz sprudelnder Steuerquellen behauptet der Finanzminister, dass es keinen Spielraum für Steuersenkungen gibt. Dabei führen niedrigere Steuern zu mehr Investitionen, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und mehr Konsum. All dies bringt auch mehr Steuereinnahmen.
Für neue Ausgabenprogramme hat die Regierung Geld. Die Ausgaben des Bundes sollen um 4,7 Prozent gesteigert werden. Die Schminkkoffer der Regierung werden prall gefüllt. Da müssen sich die Bürger doch verschaukelt vorkommen. Das Geld für die Entlastung der Bürger ist nicht da. Aber neue Ausgabenprogramme, das Füllen der Schminkkoffer können Sie finanzieren. Das ist die falsche Politik.
Die gute Konjunktur sorgt dafür, dass die Mängel der Regierungspolitik nicht sofort auffallen. Das 50-Punkte-Programm der Grillparty von Meseberg verdeckt aber nur notdürftig, dass die Regierung ihr Pulver verschossen hat. Ins Schwarze getroffen haben Sie mit Ihrer Politik bisher kaum.
Es ist ein historischer Fehler dieser Koalition, dass sie ihre großen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat nicht konsequent nutzt. Dies ist ein Rückfall in die politischen Fehler früherer Zeiten. Sie machen wissentlich große Fehler. Die Fehler werden beschönigt; dem Bürger wird Sand in die Augen gestreut. Sie hätten die Chance, notwendige Veränderungen in Deutschland vorzunehmen. Aus unterschiedlichen Motiven in den beiden Parteien spielen Sie mit kleiner Münze, statt Ihrer Aufgabe, große Veränderungen zu schaffen, zu entsprechen. Es ist Ihre historische Fehlleistung, dass Sie Chancen verpassen, statt sie zu ergreifen und umzusetzen. Das Land ist gut, die Regierung schwach.
Wir reden unser Land nicht schlecht. Aber als größte Oppositionspartei ist es unsere Aufgabe, die Schwächen der Regierung aufzuzeigen.
Das ist unsere demokratische Pflicht; denn es geht um unser Land. Der Dornröschenschlaf und das Herummogeln um wichtige Entscheidungen können so nicht weitergehen. Nehmen Sie sich das zu Herzen!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie immer die Opposition es dreht und wendet: Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.
Wir sind dabei, eine lange Durststrecke zu überwinden. Die Wirtschaft wächst so stark wie seit sechs Jahren nicht mehr. Seit Regierungsantritt ist die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 1 Million gesunken. Das ist der tiefste Stand seit 1995, das heißt seit nunmehr zwölf Jahren.
Wir haben 1 Million mehr Erwerbstätige. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Ebenfalls erstmals seit der Wiedervereinigung sind wieder ausgeglichene Staatshaushalte ohne neue Schulden in Sicht.
Das sind die Fakten; darauf bauen wir auf. Das ist eine großartige Entwicklung.
Es geht dabei im Übrigen um mehr als nur um ein paar positive Wirtschaftsdaten. Es geht um etwas ganz Grundsätzliches - ich spüre das wie viele andere auch bei meinen Besuchen vor Ort -: Deutschland ist dabei, aus eigener Kraft Schritt für Schritt die Lasten und auch manches Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte aufzuarbeiten. Das ist die Botschaft der Zuversicht an die Menschen.
Alle Industrieländer waren in den 90-er Jahren einem massiv erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung ausgesetzt. Doch Deutschland war zugleich in einer historisch einmaligen Situation. Der Prozess der deutschen Einheit gehörte und gehört ohne Zweifel zu den glücklichsten Entwicklungen unserer Geschichte. Allerdings band er auch Ressourcen, Kraft und Aufmerksamkeit, wie sie kein anderes Land zu bewältigen hatte.
In seinem Kern erzählt der Aufschwung, den wir jetzt erleben, eine großartige Erfolgsgeschichte: die Geschichte, wie Deutschland gleichzeitig Aufbauleistungen für die neuen Bundesländer und die Globalisierung bewältigen konnte. Meine Damen und Herren, wer das geschafft hat, dem braucht auch vor den Veränderungen des 21. Jahrhunderts nicht bange zu sein. Das ist der Geist, in dem wir Politik machen.
Jetzt sind wir dabei, die Chancen der Zukunft zu beschreiben und sie zu nutzen. Die Financial Times aus London schrieb von einem neuen Wirtschaftswunder. Ich sage: Nein, das ist kein Wunder, sondern der Lohn von harter Arbeit und Anstrengung, der Lohn der mit der Agenda 2010 eingeleiteten Reformen
und der Lohn der Reformen dieser Bundesregierung.
Vor allem ist dieser Aufschwung der Lohn der Arbeit der Menschen in Deutschland: der Lohn von wagemutigen Unternehmern und gut ausgebildeten Arbeitnehmern, von engagierten Erziehern, Lehrern und liebevollen Eltern, von international renommierten Wissenschaftlern und kreativen Ingenieuren. Sie alle sind es, die diesen Aufschwung möglich gemacht haben.
Die Aufgabe der Politik ist es dabei, die Weichen richtig zu stellen
und dafür zu sorgen, dass das Land seine Kräfte bündelt. Genau das macht die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne haben wir vor zwei Jahren den Kurs ?Sanieren, Investieren, Reformieren“ eingeschlagen und ihn gegen Kritik verteidigt. Diese Kritik war zum Teil vernichtend, und die Aussichten waren trübsinnig. Aber wir haben uns nicht beirren lassen. Die Daten von heute zeigen: Es war richtig, diesen Kurs einzuschlagen.
Jetzt wird sichtbar: Die Strategie wirkt. Ich sage ausdrücklich: Das ist kein Grund zu Übermut, wohl aber zu Selbstvertrauen, und zwar zu einem Vertrauen darauf, dass sich Anstrengung lohnt. Wir ruhen uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Deutschland ist noch nicht überall so gut, wie wir es uns wünschen. Dass wir heute bei Investitionen und Bildung im internationalen Mittelfeld liegen, ist gut, aber nicht ausreichend.
Vor allen Dingen: Da wir immer noch 3,7 Millionen Arbeitslose haben, heißt unsere Devise: 3,7 Millionen Arbeitslose sind 3,7 Millionen zu viel. Es muss unser Ziel sein, hier voranzukommen.
Daraus leitet sich unsere Aufgabe für die kommenden Jahre ab: nach innen die Grundlagen des Aufschwungs stärken, Teilhabechancen verbessern und Quellen neuen Wohlstands erschließen und nach außen für faire Regeln und offene Märkte sorgen.
Auf der Kabinettsklausur in Meseberg haben wir beschlossen, in fünf Zukunftsbereichen neue Impulse zu setzen:
Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Was heißt das? Der Aufschwung und seine Fortsetzung beruhen vor allen Dingen auf Vertrauen. Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Deshalb ist eine solide Finanzpolitik das Fundament, auf dem wir mit weiteren Maßnahmen aufbauen.
Es ist gestern in der allgemeinen Finanzdebatte gesagt worden: Allein der Bund hat über 900 Milliarden Euro Schulden, und die Zinszahlungen betragen 40 Milliarden Euro pro Jahr. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Deshalb hat die Bundesregierung dem Finanzminister ihre Unterstützung zugesagt, wenn es darum geht, spätestens 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Dann können wir sagen: Endlich leben wir nicht mehr über unsere Verhältnisse. Das muss dann auch in den Ergebnissen der Föderalismuskommission II verankert werden, damit das dauerhaft so bleibt.
Deshalb beruht die Fortsetzung des Aufschwungs natürlich auch auf Entlastung dort, wo es möglich ist. Wir haben zum Beispiel gesagt: Wenn es nachhaltig vertretbar ist, werden wir versuchen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf unter 3,9 Prozent zu senken. Vertrauenzerstörend wäre es aber, jetzt irgendetwas zu versprechen, was man nicht einhalten kann. Der Erfolg dieser Bundesregierung besteht darin, dass wir nichts versprochen haben, was wir nicht halten konnten, und die Dinge so gemacht haben, dass sie am Ende im Zweifel besser waren. Das ist der Erfolg dieser Regierung.
Wir werden alles daransetzen, den Menschen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt durch Hinzuverdienstregelungen und die Bündelung der Arbeitsmarktinstrumente möglich zu machen. Wo immer es Spielräume gibt, werden wir sie nutzen.
Wir werden den Aufschwung natürlich auch dadurch fortsetzen, dass wir wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen. Dazu gehört die Unternehmensteuerreform, die wir bereits beschlossen haben. Dazu gehört die Arbeit an der Erbschaftsteuerreform, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher geworden ist, bei der wir aber nicht aus dem Auge verlieren, dass wir den mittelständischen Unternehmen, den Familienunternehmen den Übergang im Erbfall erleichtern wollen, um Arbeitsplätze hier in Deutschland zu erhalten.
Dazu gehört die Arbeit des Normenkontrollrates, der sich dem Bürokratieabbau verschrieben hat.
Zweitens. Wir wollen, dass alle Menschen am Aufschwung teilhaben können. Der Schlüssel zur Teilhabe ist heute zum einen Arbeit, zum anderen der Zugang zu Bildung. Deshalb haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive gestartet, die wir auch weiterführen werden. Wir wissen, dass wir - zum Teil aus dem Aufschwung resultierend - bereits einen Mangel an Fachkräften haben. Wir sagen: Zuerst müssen wir alles daransetzen, die Möglichkeiten, die wir hier im Lande durch Qualifizierung haben, zu nutzen. Das gilt für alle Bereiche: für die einfachen genauso wie für die qualifizierten Tätigkeiten.
Wir sagen dann aber auch: Wenn wir einen erkennbaren Mangel in bestimmten Bereichen haben, wenn zum Beispiel in speziellen Ingenieurbereichen gar keine eigenen Arbeitskräfte vorhanden sind, dann ist es doch, ehe die Betriebe ins Ausland abwandern, vernünftig, zum Beispiel Menschen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten mit diesen speziellen Qualifizierungen das Arbeiten bei uns zu erlauben.
Wir haben dann festgelegt, dass wir ein mittel- und langfristiges Konzept erarbeiten, das auf dem Gedanken beruht, dass es keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme von Deutschland geben soll, sondern dahin, wo die Besten der Welt gebraucht werden. Offenheit bei gleichzeitiger Qualifizierung aller Menschen in unserem Land - das ist unsere nationale Bildungs- und Qualifizierungsinitiative, und die ist wichtig.
Wir werden neue Wege der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Investivkapital gehen. Dazu werden wir in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Für mich ist dies deshalb so wichtig, weil die Bindung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Kapitalzuwachs ihres eigenen Unternehmens ihnen die Möglichkeit gibt, neben der Lohnentwicklung auch am Wachstum teilzuhaben. Deshalb ist das ein ganz wichtiger Bereich.
Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Koalition durchaus darüber diskutiert haben, in welcher Weise wir einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, die Erhaltung von Arbeitsplätzen und gleichzeitig faire Löhne umsetzen können. Sicherlich gibt es da Unzufriedenheit. Aber ich will darauf hinweisen: Wir haben uns für den Herbst Schritte vorgenommen, die genau diesem Ziel dienen sollen. Es geht auf der einen Seite um die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und dort, wo Tarifpartner nicht mehr in der Lage sind, Löhne festzulegen, um das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Auf der anderen Seite werden wir immer aufpassen, dass dann, wenn Menschen Arbeit haben, diese Arbeitsplätze nicht verloren gehen. Das ist der Weg dieser Bundesregierung.
Drittens. Wir wollen die Quellen des Wohlstands von morgen erschließen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Wissenschaft und Forschung auszugeben. Die Bundesregierung leistet hierzu ihren Beitrag. Das wird in den Haushaltszahlen deutlich. Denn es ist natürlich klar: Wirtschaftswachstum führt dazu, dass auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen müssen. Das findet seine Berücksichtigung im Bundeshaushalt. Derzeit liegt Deutschland hier bei knapp 2,7 Prozent. Der Bund schafft jetzt seinerseits die Voraussetzungen für einen Anteil von 2,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Wirtschaft und Länder müssen allerdings nachziehen; auch darauf werden wir ganz konsequent achten.
Wir haben uns Leuchtturmprojekte vorgenommen. Eines davon wird im Bereich der Gesundheitsforschung liegen. Ich glaube, damit wir Menschen für Forschung begeistern können, müssen wir ihnen sagen, was Forschung leisten kann. Deshalb möchte Deutschland das Land sein, das gerade im Bereich der Gesundheitsforschung, zum Beispiel bei der Forschung an Maßnahmen gegen die Krankheit Alzheimer, eine Spitzenstellung in der Welt einnimmt. Wir wollen dort vorne sein. Das nehmen wir uns vor, und wenn wir es uns vornehmen, werden wir es auch schaffen können.
Wir richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus, weil wir glauben, dass hier die Arbeitsplätze der Zukunft liegen, dass wir hier unserer globalen Verantwortung gerecht werden und wir gleichzeitig die Voraussetzungen im Lande schaffen, um unsere Energieversorgung mit größtmöglicher Unabhängigkeit gewährleisten zu können. Dazu haben wir - der Wirtschafts- und der Umweltminister gemeinsam - ein Paket von Maßnahmen entwickelt, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen. Dazu haben wir unsere Position in Europa eingebracht und dazu werden wir uns auf der internationalen Bühne natürlich auch für ein Abkommen im Anschluss an das Kioto-Protokoll einsetzen.
Dabei spüren wir schon: Unser Weg kann nicht sein, den Ärmeren in dieser Welt Wohlstandsverzicht zu predigen und gleichzeitig in einer Art karitativer Veranstaltung als reichere Länder etwas beizutragen. Die Zukunft wird vielmehr darin liegen, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen und damit die Standards für die Zukunft setzen, gleichzeitig technologische Führer sind und damit dann auch Exportchancen für Deutschland eröffnen.
Damit bin ich bei meinem vierten Punkt. Wir wollen der sozialen Marktwirtschaft einen internationalen Ordnungsrahmen geben. Wir alle kennen die Diskussionen dieser Tage. Wir spüren, auf dieser Welt kann nahezu nichts mehr passieren, ohne dass es uns beeinflusst: Wenn in China mehr Milch getrunken wird, hat das auch auf unsere Milchpreise Auswirkungen. Wenn es eine Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt, wirkt sich das auch auf unsere Märkte aus. Deshalb sage ich ganz klar: Deutschland wird niemals protektionistisch sein. Wir sind Exportweltmeister. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass unsere Unternehmen überall auf der Welt Chancen haben. Aber ich sage auch: Wir werden uns schützen - das gilt auch für die Europäische Union -, wenn andere uns keine freien Investitionsbedingungen geben, und wir werden dafür Sorge tragen, dass die Finanzmarktregeln international transparent sind.
Denn wir werden den Menschen in unserem Land nicht erklären können, dass immer wieder Finanzmarktprodukte entstehen, deren Herkunft man nicht kennt, die man nicht durchschaut, die aber letztlich auf den Einzelnen in unserem Land und in vielen anderen Ländern zurückwirken. Die Demokratie kann nur erhalten werden, wenn ein Höchstmaß an Transparenz gegeben ist; das gilt heute nicht nur national, das gilt heute auch international. Dafür wird sich Deutschland einsetzen, der Bundesfinanzminister genauso wie ich als Bundeskanzlerin.
Wir wissen, dass wir auf dem Weg, den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen, eine Vielzahl von eigenen Maßnahmen ergreifen müssen, bevor wir uns dem internationalen Rahmen zuwenden können. Deshalb haben wir die Lohnzusatzkosten gesenkt; deshalb haben wir Subventionen abgebaut. Deshalb haben wir schon zwei Mittelstandsentlastungsgesetze beschlossen; deshalb haben wir uns damit beschäftigt, wie wir das Auslaufen des deutschen Steinkohlenbergbaus vernünftig und sozialverträglich regeln können. Wir haben mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt. Wir werden uns mit der Bahnprivatisierung befassen.
Wir haben uns bei Airbus für eine marktkonforme Lösung eingesetzt.
Der wichtigste Indikator ist - daran kommt niemand vorbei -: Die Staatsquote ist heute auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. 2005 lag sie bei 46,9 Prozent. 2007 sind es 44,5 Prozent. Wenn sich die Dinge weiter vernünftig entwickeln, können wir 2009 42,5 Prozent schaffen. Das heißt, wir haben einen starken, aber auch effizienteren Staat. Das ist es, woran wir arbeiten, um den Menschen möglichst viel Freiheit zu geben, sich in der Globalisierung zu entfalten.
Fünftens. Wir wollen den Zusammenhalt und die Solidarität in Zeiten des Wandels stärken. Wir wissen: Wirtschaftlicher Erfolg ist entscheidend für die Frage, wie wir unseren Wohlstand in unserem Land erhalten können. Aber wer Ludwig Erhard gelesen hat, weiß: Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Selbstzweck.
Es geht um ein lebenswertes Deutschland und eine freie und gerechte Gesellschaft unter den Bedingungen des demografischen Wandels. Aber nur dann - wir haben es in den letzten zwei Jahren erlebt -, wenn die sozialen Sicherungssysteme besser dastehen, wenn mehr Menschen Arbeit haben und in diese Systeme einzahlen, kann das allen zugutekommen. Es wird oft so getan, als könne die Teilhabe aller irgendwie vom Staat zentral geregelt werden. Nein, nur dadurch, dass wir unsere Institutionen und sozialen Sicherungssysteme auf eine gute Basis stellen, können wir alle Menschen am Wohlstand teilhaben lassen. Deshalb ist Arbeit für alle der Schlüssel für das weitere soziale Zusammenleben.
Wenn wir über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft reden, dann hat die Familie natürlich eine Schlüsselbedeutung. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir auch angepackt haben. Wir haben gesagt: Wir wollen die Wahlfreiheit für Eltern, Beruf und Familie so zu gestalten, wie sie es möchten. Dabei ist erkennbar, dass insbesondere bei der Betreuung von unter Dreijährigen heute keine Wahlfreiheit gegeben ist.
Deshalb haben wir gesagt: Hier machen wir einen großen Schritt. Wir wollen den Rechtsanspruch bis zum Jahr 2013 umsetzen. Wenn wir das geschafft haben, dann können wir uns auch wieder mit denen beschäftigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Das heißt, prioritär bis 2013 ist erst einmal die Betreuung der Kinder unter drei; das ist die klare Verabredung. Danach machen wir einen weiteren Schritt und sagen: Auch diejenigen, die sich anders entscheiden, bekommen ein Betreuungsgeld.
Entscheidender Maßstab für die Menschlichkeit ist auch der Umgang mit den Älteren und Schwächeren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es gibt in diesen Tagen zwar viel Kritik an einzelnen Pflegeheimen und bestimmten Zuständen. Das müssen wir aufnehmen; das macht die Bundesgesundheitsministerin. Aber die überwältigende Mehrheit der Menschen, die von Pflegekräften gepflegt werden, wird gut behandelt. Diesen Pflegekräften gilt ein herzliches Dankeschön genauso wie denen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Das ist eine Leistung der Menschlichkeit für unsere Gesellschaft.
Wir werden unseren Nationalen Integrationsplan fortentwickeln. Er ist ein Beispiel für eine sehr gute gemeinsame Arbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Zum ersten Mal ist es gelungen, hier eine Systematik hineinzubringen und zu sagen: Diejenigen, die bei uns leben und einen ausländischen Hintergrund haben, sind nicht irgendwelche Gäste auf kurze Zeit. Sie werden länger bei uns sein, und deshalb müssen wir sie integrieren. Integration ist keine Einbahnstraße; sie erfordert von allen in der Gesellschaft etwas. Aber dass wir uns jetzt einig sind, dass das Beherrschen der Sprache die Voraussetzung für die Integration ist, ist ein großer Fortschritt in Deutschland. Das wird sich in Maßnahmen auf allen Ebenen wiederfinden, und das ist gut so.
Wir haben einen klaren Wertekanon für unser Zusammenleben in Deutschland. Das Bekenntnis zu unserer nationalen Identität und Weltoffenheit sind überhaut keine Gegensätze. Aber wir wissen: Wir leben in einer Welt, in der es neue Bedrohungen gibt. Gestern war der 11. September, der sechste Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center. Es waren damals am 11. September 2001 Anschläge von Menschen, die die Art, wie wir leben wollen, und unseren Wertekanon, von dem ich gesprochen habe, nicht akzeptieren und ihn vernichten wollen, und zwar mit aller Konsequenz.
Wir wissen, dass in dieser Woche vielleicht ein schrecklicher Anschlag in Deutschland hätte stattfinden sollen. Glücklicherweise wurde er verhindert. Das ist ein großer Erfolg der Sicherheitsbehörden. Ein herzliches Dankeschön an alle, die daran mitgearbeitet haben.
Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass in den letzten Jahren sieben Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund verhindert worden sind oder ihre Ausführung gescheitert ist. Das heißt, wir leben in einer gefährdeten Sicherheit. Unsere Demokratie hat bisher bewiesen - das ist die gute Botschaft -, dass sie sehr wohl handlungsfähig ist, wenn es um den Schutz der Sicherheit der Bürger geht. Entscheidend ist bei allen Ängsten und Ungewissheiten, die der 11. September mit sich gebracht hat, dass es uns stets gelungen ist - natürlich mit kontroverser Diskussion -, die Balance von Schutzmaßnahmen und Freiheitsrechten zu erhalten. Wir haben eben kein Klima der lähmenden Angst zugelassen, sondern wir haben Offenheit und Realitätssinn bewiesen. Die Befürchtungen oder die Vorwürfe, Deutschland werde zu einem Polizei- oder Sicherheitsstaat, sind offensichtlich Unsinn.
Ich bin deshalb auch optimistisch, dass es uns gelingt, das, was das Bundeskriminalamt an Terrorbekämpfung leisten muss, in einem Gesetz zusammenzufassen. Ich verhehle nicht, dass für mich auch die Onlinedurchsuchung dazugehört.
Ich empfehle uns, die Diskussion in einem Klima zu führen, in dem wir nicht falsche Fronten aufmachen, sondern in dem wir uns alle gemeinsam - das ist das Bekenntnis der großen Mehrheit dieses Parlaments - für Freiheit und Sicherheit gleichermaßen entscheiden. Aber wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass es keine Räume in dieser Gesellschaft geben darf, wo die Sicherheitsbehörden keine Möglichkeit des Zugriffs haben, natürlich immer auf rechtsstaatlicher Basis.
Sicherheit ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Terrorismus wichtig, sondern Sicherheit gehört zu dem Grundlebensgefühl, das wir brauchen, um überhaupt in Freiheit leben zu können. Deswegen möchte ich heute einmal die Gelegenheit nutzen, den Polizisten auf den ganz normalen Polizeirevieren in den Dörfern und den Städten für ihre tägliche Arbeit zu danken. Das Sicherheitsgefühl, das sie ermöglichen, bedeutet Lebensqualität für Millionen Deutsche, und zwar täglich rund um die Uhr. Dafür ein herzliches Dankeschön.
Die rechtzeitigen Festnahmen in der vergangenen Woche haben des Weiteren gezeigt - das ist ganz wichtig -: Bei uns haben die Sicherheitsbehörden gut gehandelt. Aber wir haben auch erlebt, dass es eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden verschiedener Länder gibt. Damit kommen wir auf einen Punkt, der in einer global vernetzten Welt von entscheidender Bedeutung ist: Wenn wir Hilfe bekommen, muss man sich auf Deutschland verlassen können, dass es auch Hilfe leistet. Wenn wir also die Lehren aus dem 11. September und den geplanten Anschlägen ernst nehmen, dann ist der Weg nach Afghanistan nicht weit. Wir müssen alles tun, damit Afghanistan nie wieder in die Situation kommt, dass Taliban und al-Qaida von dort aus - sozusagen frei und ohne Struktur von staatlicher Stelle - agieren können. Afghanistan zeigt uns deutlich, dass Sicherheit und Entwicklung untrennbar verbunden sind. Das ist auch das Credo des Berichts der Bundesregierung über die nachhaltige Entwicklung in Afghanistan: keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit.
Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Wochen wieder eine intensive Diskussion über die Fortsetzung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan führen. Ich will dieser Debatte an dieser Stelle nicht vorgreifen, aber genauso wenig will ich heute Morgen mit meiner Meinung hinter dem Berg halten. Erinnern wir uns daran, wie die Situation in Afghanistan vor dem Fall der Taliban war. 23 Jahre Bürgerkrieg und Krieg unter der Herrschaft der Taliban haben das Land an den Abgrund gebracht. Die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten. Al-Qaida fand in Afghanistan einen Ausbildungs- und Rückzugsraum. Nur weil es quasi keine funktionierenden staatlichen Strukturen in Afghanistan gab, waren die Anschläge vom 11. September mit Tausenden Menschen als Opfer möglich.
Gemessen an dieser Ausgangssituation, haben wir Erhebliches erreicht.
Es gibt wieder staatliche Strukturen. Drei Viertel der Menschen können heute auf eine medizinische Grundversorgung zurückgreifen. Die Zahl der Schüler hat sich seit 2001 auf circa 6 Millionen mehr als verfünffacht. Davon sind ein Drittel Mädchen. Die Infrastruktur hat sich deutlich verbessert.
Aber ich will gar nicht herumreden: Das sind die guten Fakten. Dennoch bestreitet niemand, dass es trotz dieser sichtbaren Erfolge in Afghanistan beträchtliche Herausforderungen gibt. Die Sicherheitssituation lässt mancherorts mehr als zu wünschen übrig. Die afghanischen Sicherheitskräfte - das ist der Punkt - sind noch nicht so weit, ihre Aufgaben allein erfüllen zu können. Der Aufbau der staatlichen Institutionen, insbesondere in der weiten Fläche des Landes, stockt, und die Entwicklung der Drogenproduktion ist mehr als unbefriedigend.
Die Bundesregierung hat deshalb im Rahmen einer hervorragenden Kooperation des Außenministers, des Verteidigungsministers, der Entwicklungsministerin und des Innenministers den Schluss gezogen, dass wir natürlich einen Schwerpunkt auf den zivilen Wiederaufbau Afghanistans legen müssen. Deshalb werden wir darum bitten, die Mittel für die Wiederaufbauhilfe für dieses Land aufzustocken.
Eines der wichtigen politischen Projekte war die Initiative des Bundesaußenministers im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaft, Afghanistan und Pakistan an einen Tisch zu bringen; denn nur wenn diese beiden Länder vernünftig zusammenarbeiten, wird es gelingen, die Quellen des Terrorismus zu bekämpfen. Deshalb gibt es eine große Unterstützung für diese Initiative.
Wir wollen den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken. Das gilt sowohl für den militärischen Bereich als auch für den Polizeiaufbau. Wir haben wegen der Größe der Aufgabe EUPOL gebeten, diese wichtige Aufgabe auf mehr Schultern zu verteilen. Wie häufig in Europa, sind Anfangsschwierigkeiten nicht völlig auszuschließen. Aber wir werden mit großem politischen Nachdruck dafür sorgen, dass die Arbeit, die von Deutschland geleistet wurde, jetzt in europäischer Zusammenarbeit stattfindet. Ich muss ganz unumwunden sagen: Solange die afghanischen Sicherheitskräfte nicht selbst für ein sicheres Umfeld sorgen können, halte ich die internationale Truppenpräsenz für weiterhin notwendig. So lange halte ich auch den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan für notwendig.
Unser erfolgreicher zivil-militärischer Ansatz mit den sogenannten Provincial Reconstruction Teams in Kunduz und Faizabad im Norden Afghanistans ist allgemein anerkannt. Damit unterstützen wir eine Vielzahl von Aufgaben und Projekten zusammen mit unseren Partnern. Ich möchte deshalb heute Morgen die Gelegenheit nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr, Polizisten, Diplomaten und Wiederaufbauhelfern aus Deutschland für die Arbeit ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen.
Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls nutzen, im Rahmen dieser Debatte an diejenigen zu erinnern, die ihr Leben bei der Aufbauarbeit verloren haben. Wir werden sie nicht vergessen, und ihr Einsatz war nicht vergebens. Ich möchte an die Adresse derjenigen, die glauben, durch Geiselnahmen unsere Entschlossenheit beim Wiederaufbau in Zweifel ziehen, ganz unmissverständlich sagen: Wir tun alles Menschenmögliche, um Geiseln zu retten, aber erpressbar ist Deutschland nicht, und erpressbar wird Deutschland nicht sein.
Unter den gegebenen Umständen halte ich deshalb die anstehende Verlängerung der drei Bundeswehrmandate als Komponenten, die wir brauchen, für erforderlich. Als drittgrößter Truppensteller für ISAF haben wir im Norden Afghanistans regionale Führungsverantwortung übernommen. Der in diesem Haus noch vor sechs Monaten heiß diskutierte Tornado-Aufklärungseinsatz hat sich als Erfolg erwiesen. Die NATO und die afghanische Regierung schätzen ihn. Er leistet einen wichtigen Beitrag zum Gesamtauftrag. Die Bundeswehr wird auch in Zukunft den Schwerpunkt ihres Einsatzes im Norden haben und nur fallweise, wenn es nach Lage der Dinge unabweisbar und notwendig ist, in anderen Regionen tätig werden. Allerdings warne ich vor der Vorstellung, wir Der Erfolg kann nur die Gesamtoperation ISAF sein, und deshalb stehen wir in voller Solidarität zu dieser Gesamtoperation. Ich weiß, dass über die Antiterroroperation OEF in diesem Hause wie auch in der Bevölkerung unseres Landes die größten Sorgen bestehen. Diese Sorgen nehme ich sehr ernst.
Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF erfolgt, wie wir wissen, auf Grundlage von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5 des Nordatlantikvertrages. OEF - auch daran möchte ich erinnern - wurde in mehreren UN-Sicherheitsratsresolutionen bestätigt und bekräftigt und wird auch von der afghanischen Regierung unterstützt.
Ich bin überzeugt: Solange die Gefahr eines Wiedererstarkens von al-Qaida oder der Taliban nicht gebannt ist, muss die Stabilisierung des Landes durch ISAF weiterhin von OEF flankiert werden. Dass dabei eine Gefährdung der Zivilbevölkerung so weit wie möglich ausgeschlossen werden muss, will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir alles unternehmen, um genau das zu verbessern, insbesondere die Kontakte zwischen ISAF und OEF.
In Afghanistan steht viel auf dem Spiel. Deutschland hat 2001 auf dem Petersberg richtigerweise versprochen, sich langfristig für den Wiederaufbau in Afghanistan zu engagieren. Die Bundesregierung der Großen Koalition fühlt sich an diese Verpflichtung gebunden. Es ist der einzige Weg, zu zeigen, dass wir Terroristen bekämpfen,
und zwar entschlossen.
Entschlossenheit und multilaterale Einbindung, das ist das, was unsere Außenpolitik insgesamt kennzeichnet, ob es um die Frage des Atomprogramms des Irans geht, ob es um die Stabilisierung des Libanon geht, ob es um die Weiterentwicklung der zarten Hoffnungsschimmer im Hinblick auf die Gespräche im Nahen Osten zwischen Premierminister Olmert und dem palästinensischen Präsidenten geht.
Ich werde in wenigen Tagen an der Generalversammlung der UNO in New York teilnehmen. Für uns ist die Frage ?Wie können wir die Herausforderungen bewältigen?“ immer verknüpft mit einer starken und handlungsfähigen UN und damit auch mit einem starken und handlungsfähigen UN-Sicherheitsrat. Nur gemeinsam können wir das durchsetzen, was wir versprochen haben, zum Beispiel die Erreichung der Millenniumsziele. Im Haushalt findet dies durch die Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben seinen Niederschlag. Wir gehen damit einen Schritt in die richtige Richtung. Wir haben internationale Verpflichtungen, und wir sind internationale Verpflichtungen eingegangen. Es ist jetzt unsere Aufgabe - es geht dabei um unsere Glaubwürdigkeit -, die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch wirklich durchzusetzen.
Durch unsere G-8-Präsidentschaft weiß ich, dass die Menschen auf der Welt genau hinschauen, ob die Versprechen der Industrieländer leere Versprechen sind oder ob wir das, was wir versprochen haben, auch einhalten. Dem gerecht zu werden, gehört zur Glaubwürdigkeit und zu unserem Wertekanon.
Die Gewichte in der Welt verschieben sich. Wir spüren das, wenn wir das Wirtschaftswachstum von China und Indien sehen, und wir spüren es, wenn wir uns die Bevölkerungsentwicklung der Welt anschauen. Während am Anfang des 20. Jahrhunderts jeder Vierte ein Europäer war, so wird es am Ende des 21. Jahrhunderts nur jeder Vierzehnte sein.
Wenn wir unsere Art, zu leben, wenn wir unsere Vorstellung von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit in der Welt durchsetzen wollen, dann müssen wir entschlossen dafür eintreten. Deshalb steht diese Bundesregierung für eine wertebewusste Politik und für einen Kurs der Orientierung am einzelnen Menschen. Wir wollen mehr Chancen für alle. Wir betreiben eine zukunftsfähige Politik, indem wir weniger Schulden machen. Wir schaffen Raum für Nähe und Geborgenheit in unserer Gesellschaft durch eine Politik für Kinder, Kranke und Pflegebedürftige. Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, insbesondere in der internationalen Dimension, und wir übernehmen internationale Verantwortung, indem wir für unsere Wirtschaft, unsere Umwelt und unsere Sicherheit die neue Verbindung zwischen Innen- und Außenpolitik erkennen und gestalten.
Dieser Kurs bringt Deutschland voran, nach innen genauso wie nach außen. Damit schaffen wir die Fundamente unseres Wohlstands, und damit können wir die Erfolgsgeschichte dieser Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Wir tun dies im Interesse und zum Wohle der Menschen in unserem Land.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, selbstverständlich.
- Herr Kollege Westerwelle, ich versichere Ihnen feierlich, dass ich auch Ihre Zeit stoppen werde,
falls Sie beabsichtigen, im Laufe des Tages das Wort zu ergreifen.
Zunächst erhält nun aber das Wort der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Oskar Lafontaine.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ?Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.“ Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Erklärung zum Haushalt heute begonnen.
Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zustimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist ?Deutschland“?
Verstehen Sie unter ?Deutschland“ auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ?Deutschland“ auch die Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ?Deutschland“ auch die Empfänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Und gehören zu ?Deutschland“ auch die 2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint, verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig von Zuversicht gesprochen haben?
Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und zitiere die Tageszeitung Die Welt, damit nicht irgendjemand auf die Idee kommt, ich würde hier oppositionelle Texte verbreiten, die böswillig verfasst seien, um Ihre tolle Bilanz infrage zu stellen. Sie konnten darin vorgestern über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland lesen:
Als ?prekäre Beschäftigung“ bezeichnen Soziologen unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Nach Zahlen des DGB breitet sich die prekäre Beschäftigung immer weiter aus. So hat sich die Zahl der Zeitarbeiter seit 2003 auf 650 000 verdoppelt; 18 Prozent der Erwerbstätigen sind Minijobber, weitere 600 000 Menschen arbeiten als Ein-Euro-Jobber, und 440 000 Vollzeitbeschäftigte verdienen so wenig, dass sie auf Hartz IV angewiesen sind. Mit den Arbeitsmarktreformen sei ein ?unerträgliches Maß“ an Deregulierung erreicht worden, kritisiert der DGB.
Sie haben sich hier hingestellt und die Arbeitsmarktreformen als Grundlage für die Zuversicht Deutschlands dargestellt. Sie reden völlig über die Köpfe der Menschen hier in Deutschland hinweg.
Millionen sind in prekären Arbeitsverhältnissen. Wir haben keinen Grund zur Zuversicht. - Falls die Menschen Sie jetzt sehen könnten, Frau Bundeskanzlerin, hätten sie kein Verständnis dafür, dass Sie an dieser Stelle lächeln.
Ich möchte hier noch einmal sagen, was prekäre Arbeitsverhältnisse eigentlich bedeuten; ihre Zahl nimmt weiter zu. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse rauben den Menschen die Zukunftsplanung. - Das müsste jeder nachvollziehen können, der sich einmal die Mühe macht, das nachzuempfinden.
Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man noch genug Geld hat, um Nahrungsmittel einzukaufen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Miete zu bezahlen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Stromrechnung zu bezahlen? Und wie demütigend ist es für Eltern, wenn sie feststellen müssen, dass sie ihrem Kind den Schulausflug nicht bezahlen können? Das hat nichts mit Zuversicht zu tun.
Diese Menschen haben keine Zukunft. An dieser Stelle müssen wir mit Reformen beginnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ergänzend ist hier noch auszuführen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom Wohlstandszuwachs abgekoppelt sind. Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland keinen realen Lohnzuwachs, und auch die relativ guten Tarifabschlüsse in diesem Jahr können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderer Prozess weitergeht, nämlich der Prozess der permanenten Lohnsenkung. Deswegen wäre es eine wichtige Reform, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland durchzusetzen, wie in Frankreich 8,44 Euro. Was in Frankreich geht, geht auch in Deutschland.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Ausbeutung, die in Deutschland aufgrund Ihrer Zögerlichkeit und Ihrer Handlungsunfähigkeit nach wie vor Wirklichkeit ist, nicht zu beenden. Ein humanes Land, ein Land, in dem Zuversicht herrschen soll, muss die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden, die für unter 2 Euro beschäftigt werden. Wo leben wir eigentlich, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Zum zweiten Punkt, den Rentnerinnen und Rentnern. Wenn sie Ihnen zugehört haben, werden sie nicht unbedingt Ihre Auffassung geteilt haben, dass sie Grund zur Zuversicht haben. Die Rentnerinnen und Rentner mussten in den letzten Jahren Nullrunden verkraften. Sie haben in diesem Jahr eine lächerliche Erhöhung bekommen, die noch nicht einmal die Preissteigerung ausgleicht. Wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern spricht, dann wird man nicht hören, dass sie dies als Grund zur Zuversicht empfinden.
Aber an einer Stelle ist Ihre Bemerkung geradezu obszön, nämlich dann, wenn es um die Zukunftserwartung derjenigen Menschen in Deutschland geht, die niedrige Löhne haben. Die OECD hat festgestellt, dass diese Menschen - die Zahl nimmt zu; es sind Millionen - die schlechteste Rentenerwartung aller Industriestaaten haben. Das ist doch kein Grund zur Zuversicht, sondern der Nachweis, dass Ihre Rentenpolitik total gescheitert ist.
Wenn alle seriösen Prognosen nachweisen, dass immer mehr Rentnerinnen und Rentner in Zukunft Armutsrenten haben werden - das sind nicht 10 Prozent; das sind nicht 20 Prozent; das sind mehr -, dann ist völlig unvorstellbar, wieso Sie sich hier hinstellen und sagen können: Deutschland hat Grund zur Zuversicht.
Wir müssen die Rentenformel in Deutschland wiederherstellen. Die Dämpfungsfaktoren müssen wieder zurückgenommen werden. Der Rückschritt in das vorletzte Jahrhundert war ein sozialer Kahlschlag ersten Ranges. Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, haben einen Anspruch auf armutsfeste Rente. Die Linke wird nicht aufhören, dies hier immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Nun komme ich zu den Menschen, die arbeitslos sind. Es sind immer noch - hierin stimme ich Ihnen zu - viel zu viele, die in Deutschland arbeitslos sind. Aber wir können nicht darüber hinwegsehen, dass die Lebensbedingungen dieser Menschen durch Ihre verfehlte Politik, die Sie hier auch noch ausdrücklich gelobt haben, erheblich beschädigt worden sind. Sie haben gelobt, dass man beispielsweise die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erheblich gekürzt hat. Sie haben gelobt, dass man Hartz IV durchsetzt und beispielsweise Menschen zwingt, zu Bedingungen zu arbeiten, zu denen sie vorher nicht arbeiten mussten. Sie haben gelobt, dass man Menschen ihr Vermögen nimmt, das sie fürs Alter gespart haben. Das alles haben Sie hier gesagt. Glauben Sie tatsächlich, diese Menschen hätten Grund zur Zuversicht?
Wenn jemand Angst hat, arbeitslos zu werden, über 50 ist und dann gleich nach einem Jahr nach Hartz IV zurückfällt, hat er keinen Grund zur Zuversicht; dann hat er Angst. Deshalb muss Hartz IV weg, deshalb muss es überwunden werden, und ein erster Schritt dazu wäre ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld, wie es im Übrigen auch viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öfter gefordert haben.
Im Übrigen, um noch ein aktuelles Thema aufzugreifen: Sie haben die Zahlen hier ausgebreitet, aber zu den prekären Arbeitsverhältnissen gehört eben auch die Leiharbeit. Ich sage hier einmal, was Leiharbeit heißt. Kürzlich hat mir der Betriebsratsvorsitzende eines Metallbetriebes in Saarbrücken gesagt, dass der niedrigste Lohn in der Belegschaft 15 Euro pro Stunde ist, dass aber die Leiharbeiter mit der Hälfte dessen entlohnt werden, nämlich 7,50 Euro pro Stunde. Dies betrifft nicht nur einen einzelnen Betrieb. Diese Methode, Kosten zu senken, breitet sich immer weiter aus. Stimmen Sie doch dem Antrag der Linken zu, endlich durchzusetzen, dass Leiharbeiter genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt werden müssen! Dann würden Sie hier einmal eine Reform durchführen, die diesen Namen verdient.
Nun komme ich zur Kinderarmut. Wie können Sie bei 2,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, sagen, Deutschland habe Grund zur Zuversicht? Sind Millionen Kinder nicht auch Deutschland? Wäre es nicht unsere Aufgabe, eben für diese Kinder etwas zu tun? Warum gab es in der Sommerpause Diskussionen aus den Koalitionsfraktionen, man solle den Kinderzuschlag erhöhen?
Wir haben diese Diskussion begrüßt. Aber warum ist dem nichts gefolgt? Warum lehnen Sie den Antrag der Linken ständig ab, den Kinderzuschlag zu erhöhen?
Das, was in diesem Antrag enthalten ist, wäre wirklich einmal ein Fortschritt für Millionen Kinder, die in Deutschland in Armut leben.
Nun haben Sie hier mit viel Stolz verkündet - oder der Referent hat es Ihnen aufgeschrieben -,
dass wir eine niedrige Staatsquote haben. Ich habe hier schon mehrfach an Sie die Frage gestellt, welche Steuer- und Abgabenquote Sie eigentlich für Deutschland anstreben. Das ist eine Kernfrage jeder Haushaltsberatung. Wenn man die nicht beantworten kann, sollte man eigentlich nicht zum Haushalt sprechen.
Die Antwort auf diese Frage bestimmt ja letztendlich die Möglichkeiten, was man in Deutschland tun kann, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn die Politik der Umverteilung von unten nach oben - Mehrwertsteuererhöhung plus Unternehmensteuersenkung - fortgesetzt wird, dann verarmen immer mehr Menschen in Deutschland, sehen keine Zukunft mehr in Deutschland und haben keine Zuversicht.
Wir wollen natürlich auch an die Facharbeiter und die Kleinbetriebe denken. Deshalb möchte ich hier noch einmal einen Vorschlag wiederholen, den ich schon in zwei früheren Debatten vorgetragen habe: Wir wollen den sogenannten Bauch im Steuertarif beseitigen; wir wollen einen linearen Steuertarif. Dieser lineare Steuertarif würde Facharbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Jedem, der wie der Bundesfinanzminister sagt, das könnten wir uns jetzt nicht erlauben, halte ich entgegen: Dann müssen wir eben den Spitzensteuersatz wieder anheben, um so die Verluste auszugleichen.
Auf jeden Fall ist es nicht zulässig, Facharbeiter und Kleinbetriebe überproportional zu belasten.
Dies wäre nun wirklich eine Struktur- bzw. Steuerreform, die ökonomische Wirkung entfalten und insbesondere diejenigen belohnen würde, die in Deutschland etwas leisten. Leistung lohnt sich in Deutschland schon lange nicht mehr. Sie lohnt sich nicht für diejenigen, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen sind, und sie lohnt sich nicht für die Facharbeiter, die überproportional zur Kasse gebeten werden. Leistung soll sich wieder lohnen in Deutschland. Damit würden wir die Kräfte freisetzen, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang bringen können.
An ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang noch erinnern: Die Unternehmensteuer muss natürlich so gestaltet werden, dass Investitionen begünstigt werden. Ich fordere hier noch einmal für meine Fraktion, die degressive Abschreibung wieder einzuführen. Es ist unsinnig, mit der Gießkanne Steuergeschenke zu verteilen. Sinnvoll wäre es, den investierenden Unternehmer zu belohnen und beispielsweise den spekulierenden zu bestrafen und zur Kasse zu bitten.
Das wäre eine sinnvolle Steuerreform. Deshalb habe ich dies hier noch einmal angesprochen.
Nächster Punkt: Obwohl da und dort etwas getan wird, liegt die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland viel zu niedrig. Wir haben es immer wieder angemahnt: Wer wirklich für die Zukunft vorsorgen will, muss die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland anheben. Da gibt es ein Maß, an dem sich jeder orientieren kann: Das ist das Maß der Europäischen Gemeinschaft. Deutschland als moderner Industriestaat sollte doch den Ehrgeiz haben, bei den öffentlichen Investitionen in Infrastruktur zumindest den Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. An dieser Stelle war das systematische Kürzen von Investitionen aus Spargründen falsch. Mit öffentlichen Investitionen sichert man auch die Zukunft. Wir fordern: Zieht mit dem europäischen Durchschnitt gleich!
Nächster Punkt: Bei den Bildungsausgaben sollten wir den Ehrgeiz haben, nicht den Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten zu erreichen, sondern vielleicht noch etwas mehr.
Wir wurden einmal von einer französischen Schriftstellerin als Land der Dichter und Denker bezeichnet. Ich weiß nicht, ob sie das heute noch so formulieren würde, wenn sie denn noch leben würde. Auf jeden Fall können wir eines nicht zulassen, nämlich dass die Bildungsausgaben ständig unter dem Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten liegen. Wir müssen an dieser Stelle etwas tun. Hier ist das fröhliche Bekenntnis zu einer niedrigen Staatsquote völlig fehl am Platz. Wir sollten mit Blick auf diesen Bereich eine höhere Staatsquote anstreben und mehr Ausgaben für Bildung tätigen; dann würden wir auch bei PISA nicht derartige Ergebnisse erzielen.
Können Sie sich vorstellen, dass irgendein Regierungschef eines nordischen Staates hier einen entsprechenden Vortrag halten würde? Was glauben Sie, warum in Dänemark, Schweden und Finnland weitaus bessere Bildungsergebnisse erreicht wurden? Etwa, weil die eine niedrige Staatsquote haben und wenig Geld für Bildung ausgeben? Auf eine solche Idee käme dort niemand. Ich rate dazu, doch einmal die Schülerweisheit anzuwenden, dass man, wenn man selbst nicht weiß, wie es gemacht wird, beim Nachbarn, der es besser weiß, abschreiben sollte. An dieser Stelle wäre das dringend geboten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Nun haben Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, gar nichts dazu gesagt, dass man international nicht mehr der Auffassung ist, dass die Konjunktur sehr gut läuft. Vielleicht war das in der Presse heute Morgen noch nicht deutlich genug. Denn international wird mittlerweile darauf hingewiesen, dass die amerikanische Hypothekenkrise Auswirkungen auf die Weltkonjunktur hat. Mittlerweile beraten andere Staaten bereits Gegenmaßnahmen. Deshalb rate ich dazu, dass auch wir überlegen, was wir tun können, um solche Krisenentwicklungen zu vermeiden.
Nun haben Sie hier gesagt - das ist lobenswert; vor Jahren wurde das von Ihrer Partei noch als völliger Unsinn verworfen -, wir bräuchten einen internationalen Ordnungsrahmen. Ich kann dem nur zustimmen. Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, der der Weltwirtschaft Regeln auferlegt, nach denen sie funktioniert. Solche Regeln fordern wir schon seit vielen Jahren. Nur genügt es dann nicht, wenn man brav mehr Transparenz fordert. Meinen Sie, irgendein Hedgefonds interessiert sich für solche braven Forderungen? Meinen Sie, irgendeine Private-Equity-Gesellschaft interessiert sich dafür?
Nein, wir brauchen Regeln, nach denen die internationalen Finanztransaktionen abgewickelt werden; sonst werden wir niemals Ordnung in die Weltfinanzmärkte bekommen.
Wir hätten von Ihnen gern wenigstens eine Andeutung gehört, wie Sie sich das vorstellen. Ich frage Sie: Sind Sie beispielsweise für die Stabilisierung der Wechselkurse, wie es die Bretton-Woods-Kommission, an der Leute wie Lambsdorff, Pöhl und andere mitgewirkt haben, schon vor vielen Jahren vorgeschlagen hat? Wenn ja, wie wollen Sie dies erreichen? Oder wollen Sie weiterhin der weltweiten Spekulation Tür und Tor öffnen? Sind Sie bereit, wie es etwa James Tobin vorgeschlagen hat und wie es auch viele Staatsmänner der Welt gefordert haben, die internationalen Finanztransaktionen durch eine Steuer einzudämmen?
Sind Sie bereit, zur Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs andere Regeln vorzuschlagen? Wir hätten gern irgendetwas dazu gehört. Lediglich mehr Transparenz zu fordern, ist angesichts der Zustände auf den internationalen Finanzmärkten schlicht naiv.
Das gilt im Übrigen auch für die Europäische Gemeinschaft. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, dass die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Sarkozy besser sind als das, was von Ihrer Regierung geäußert wird. Wenn beispielsweise der französische Staatspräsident und viele andere fordern, die Europäische Zentralbank nicht nur auf Preisstabilität zu verpflichten, sondern auch auf Wachstum und Beschäftigung, dann hat er recht. Wenn Sie den antiquierten Standpunkt der Preisstabilität vertreten, dann haben Sie unrecht. Europa hat in den letzten Jahren Wachstumseinbußen gehabt, weil die Europäische Zentralbank es nicht der amerikanischen Notenbank gleichgetan hat. Es wäre gut, wenn Sie Ihren Standpunkt an dieser Stelle revidieren und auf Frankreich zugehen.
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise fordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzusetzen, um die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten zu koordinieren, dann findet er unsere Unterstützung. Bei immer enger verflochtenen europäischen Volkswirtschaften ist das nur logisch. Es wäre sinnvoll, die Investitionen und die Finanzpolitik aufeinander abzustimmen, ebenso die Lohnpolitik, damit das Lohndumping nicht fortgesetzt wird. Sinnvoll wäre auch, die Steuerpolitik abzustimmen; dazu hätten wir ebenfalls gern etwas gehört. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in Europa, damit das Dumping an der Steuerfront nicht fortgesetzt wird.
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise etwas zum Stabilitätspakt sagt, dann sollte man ihn nicht so abbügeln, wie es laut Presse jetzt geschehen ist. Wir hatten schon einmal eine Regierung, der man sagen musste, dass eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich vielleicht besser sei als das ständige Schüren von Konflikten; das liegt schon etwas zurück. Irgendwann hat man das gelernt. An dieser Stelle rate ich dringend dazu, einen engeren Schulterschluss mit Frankreich zu suchen.
Aus Zeitgründen nur noch ein paar Worte zur Außenpolitik. Wir, die Fraktion Die Linke, befürworten eine andere Außenpolitik. Wir befürworten eine Außenpolitik, die das Völkerrecht zu ihrer Grundlage macht.
Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass Deutschland das Völkerrecht nicht zur Grundlage der Außenpolitik macht.
Ich beginne mit dem Irakkrieg. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass Sie am Irakkrieg mittelbar beteiligt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass dies ein Bruch des Völkerrechts ist. Sie tun so, als ginge Sie das alles nichts an. Es ist etwas Neues in Deutschland, dass eine Regierung von einem höchsten Gericht bescheinigt bekommt, das Völkerrecht zu brechen, und dass sie dafür nur ein Achselzucken übrig hat. Das ist eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss.
Dasselbe gilt für Afghanistan. Es genügt nicht, auf ISAF zu verweisen. Wir müssen auch ?Enduring Freedom“ und den Tornadoeinsatz in diesem Hause diskutieren. Daran darf man sich nicht vorbeimogeln. Es ist ja richtig, dass das eine oder andere von den Soldaten in Afghanistan positiv auf den Weg gebracht worden ist. Wer wollte das bestreiten? Für meine Fraktion aber ist es nicht hinnehmbar - ich sage dies hier noch einmal in aller Klarheit -, dass auf der Grundlage von Fotos, die mithilfe deutscher Tornados aufgenommen werden, unschuldige Menschen umgebracht werden.
Wenn dies nicht der Fall ist, dann seien Sie Frau genug, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das stimmt nicht; die von diesen Tornados aus aufgenommenen Fotos werden nicht für die NATO-Bombardierungen verwandt. Solange Sie dies aber nicht sagen können, ist die Vorgehensweise, die in den letzten Monaten an den Tag gelegt worden ist, völlig unverantwortlich.
Wir reklamieren nach wie vor eine Außenpolitik, die ein Kanzler im Deutschen Bundestag einmal mit dem Wort ?Gewaltverzicht“ begründet hat. Das Wort ?Gewaltverzicht“ ist in den letzten Jahren aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland verschwunden; das muss Gründe haben. Für den Fall, dass jemand eine begrenzte Auslegung des Wortes ?Gewaltverzicht“ vortragen möchte, sage ich: Dieser Kanzler hat das Wort nicht nur auf den Ost-West-Konflikt bezogen. Nein, dieser Kanzler hat das Wort ?Gewaltverzicht“ für den Frieden auf der ganzen Welt formuliert. Es gilt auch für die Lösung von Konflikten in Afghanistan, im Irak oder sonst wo.
Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen Außenpolitik sein. Wir sollten uns an einer Tradition orientieren, die nach meiner Auffassung die gebündelte Schlussfolgerung aus unserer Geschichte im letzten Jahrhundert ist. Wenn es darum geht, den Frieden in der Welt zu erreichen, dann sollte sich Deutschland auf den Satz verpflichten: Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.
Dr. Peter Struck (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns zu seriöser Politik zurückkehren!
Ein persönliches Wort an meinen Vorredner: Wenn einer nicht das recht hat, sich auf Willy Brandt zu berufen, dann sind Sie es, Herr Kollege.
Der Finanzminister hat einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt; dazu gratuliere ich der Regierung. Das heißt aber nicht - ich spreche für meine Fraktion, aber wohl auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU -, dass wir ihn unverändert beschließen werden. Ich möchte nur zwei Punkte ansprechen, um gleich klarzumachen, wo wir dem Minister noch helfen wollen, wo wir uns beim Finanzminister nicht durchsetzen konnten.
Erstens. Wir, jedenfalls die SPD-Fraktion, sind dafür, das BAföG um 10 Prozent zu erhöhen, nicht nur, wie es im Haushaltsentwurf steht, um 5 Prozent.
Das ist längst überfällig. Es hat lange keine BAföG-Erhöhung gegeben. Außerdem glaube ich, dass wir den Studentinnen und Studenten helfen müssen, gerade im Hinblick darauf, dass es leider einige Länder gibt, die Studiengebühren eingeführt haben, was wir nicht wollten.
Das Zweite ist ein eher unwichtiger Punkt, der aber für die Betroffenen von Bedeutung ist. Wir sind auch dafür, dass der Wehrsold der Wehrpflichtigen der Bundeswehr erhöht wird. Sie haben das für die Arbeit, die sie zur Unterstützung der Bundeswehr zu Hause erbringen, verdient.
Wir werden im Rahmen der Haushaltsplanberatungen auch über andere Dinge zu reden haben. Manches steht zur Debatte; manches ist in den Zeitungen zu lesen, zum Beispiel, was die Finanzierung der Staatsoper in Berlin angeht. Ich sehe der Entwicklung mit Interesse entgegen. Es gibt noch weitere Projekte. Wir werden sehen, wie wir den Haushalt nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses letztlich gestalten.
Ich möchte ein persönliches Wort an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien richten. Ich weiß, dass in den vergangenen Jahren - ich glaube, schon zu Helmut Kohls Zeiten beginnend - Abschläge beim Personal gemacht worden sind, Stelleneinsparungen in deutlichem Umfang. Ich weiß aus vielen Ministerien, dass die Grenze der Zumutbarkeit erreicht ist. Jetzt muss Schluss sein mit weiteren Stellenkürzungen. Die Ministerien müssen in der Lage sein, ihre Arbeit ordentlich erledigen zu können. Wir stehen an der Seite der vielen Personalräte, die sich an uns gewandt haben. Das wollte ich nur zur Klarstellung sagen.
Diese Koalition hat eine Menge auf den Weg gebracht. Mit Interesse habe ich manche Kommentare von Journalisten gelesen, die vor der Klausurtagung des Kabinetts in Meseberg geschrieben haben: Jetzt machen sie einen neuen Koalitionsvertrag, jetzt kommt wieder etwas Neues. - Es ist kein neuer Koalitionsvertrag geschlossen worden. Das war auch gar nicht möglich, weil es eine Kabinettssitzung war und die Koalitionsfraktionen gar nicht dabei waren. Wir haben eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die uns schwer gefallen sind. Es war aber notwendig, diese Beschlüsse zu fassen; die Erfolge zeigen sich jetzt. Ich will es noch einmal darstellen, ohne dass ich wieder die alte Debatte beginnen möchte, wem der Erfolg eigentlich zuzurechnen ist oder wer derjenige ist, der den Aufschwung begründet hat: Dass durch die Agenda 2010 von Gerhard Schröder die Grundsteine für den Aufschwung gelegt worden sind, steht doch eigentlich völlig außer Frage. Das wird doch niemand bestreiten wollen.
Einen Teil hat die Union mitgetragen, auch über Vermittlungsverfahren und dergleichen. Was war denn die Agenda 2010? Sie hat das Startsignal für den Ausbau der Kinderbetreuung gegeben, hat dazu beigetragen, dass die Jugendarbeitslosigkeit zurückgeführt werden konnte, die Zahl der Existenzgründungen steigt, der Mittelstand gefördert und die Kommunen gestärkt wurden. Heute war ein Interview mit dem Oberbürgermeister von Düsseldorf zu lesen, in dem er darauf verwiesen hat, wann der Aufschwung für die Kommunen begonnen hat. Auch der Hinweis darauf, dass die Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen stabilisiert hat, ist im Hinblick auf die Kommunalpolitik in Deutschland sehr wichtig.
Die Agenda 2010, die auch in meiner Partei und in meiner Fraktion durchaus umstritten war, hat die Grundlagen für die Senkung der Arbeitslosigkeit geschaffen; das ist gar keine Frage. Natürlich haben auch viele Menschen dazu beigetragen, dass wir einen Aufschwung zu verzeichnen haben. Mit der Agenda 2010 sind zugleich die Grundlagen für die Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme gelegt worden. Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme angesichts der demografischen Entwicklung gegen die Wand gefahren worden. Das kann doch niemand bestreiten. Inzwischen bestreitet es auch niemand mehr aus den Reihen der Gewerkschaft.
Ich will auch ein Thema ansprechen, das uns im Augenblick beschäftigt: die Auswirkungen der Rente mit 67. Dass diese Entscheidung richtig war, ist gar keine Frage.
Dass die Menschen länger arbeiten müssen, weiß jeder. Angesichts der demografischen Entwicklung kann es nicht sein, dass man so früh in Rente geht wie heute oder gestern und die gleiche Rente bekommt wie bisher. Wir müssen prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, Altersregelungen wie Teilrente bzw. Altersteilzeit auszugestalten. Das Ministerium hat Vorschläge dazu vorgelegt, über die wir zu diskutieren haben werden. Ich will aber klipp und klar sagen: Es war eine schwierige Entscheidung, die unser Verhältnis zu den Gewerkschaften nicht gerade beflügelt hat. Trotzdem stehen wir zu dieser Entscheidung; da wird nichts rückgängig gemacht, sie war richtig.
Der Haushaltsentwurf, über den jetzt im Haushaltsausschuss beraten wird, steht unter dem Dreiklang ?Investieren, Sanieren, Reformieren“. Bezüglich des Themas Reformen will ich auf den Bereich der Familien- und Kinderpolitik zurückkommen. Diese Koalition hat das Elterngeld eingeführt. Die entsprechenden Regelungen gelten seit dem 1. Januar dieses Jahres. Wir alle machen leider den Fehler, dass wir zwar zur Kenntnis nehmen, wenn wir etwas erreicht haben, dass wir aber nicht mehr darüber reden. Das Elterngeld ist ein großer Erfolg der Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland; das ist gar keine Frage.
Wir haben jetzt über die Krippenplätze zu entscheiden. Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf vorlegen, über den wir zu beraten haben werden. Ich will es ganz klar sagen: Für die SPD ist entscheidend, dass es einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gibt.
Wir reden zwar auch über andere Vorstellungen, zum Beispiel über ein Betreuungsgeld - ich lese durchaus, was Kolleginnen und Kollegen dazu sagen -, aber es ist klar, dass darüber nicht jetzt entschieden wird, sondern im Jahre 2013. Jetzt wird über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz entschieden.
Ich füge an dieser Stelle als Mitvorsitzender der Föderalismuskommission II, die sich mit den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu befassen hat, ein: Dass sich der Bund bereit erklärt hat, Personalkosten und Betriebskosten von Krippen zu finanzieren, ist eine Maßnahme, die im Grunde genommen über das hinausgeht, was der Bund machen müsste. Inhaltlich gesehen ist es aber absolut richtig. Wir schaffen mehr Krippenplätze, damit der Rechtsanspruch verwirklicht werden kann.
Noch eine kurze Bemerkung zu einigen Themen aus der Innenpolitik. Sie wissen - das ist allgemein bekannt -, dass es zwischen den Koalitionsfraktionen und innerhalb der Regierung eine Debatte über die Frage gibt, ob es in Deutschland einen Mindestlohn geben muss. Meine feste Überzeugung ist, dass es einen Mindestlohn geben wird. Daran führt kein Weg vorbei. Wir werden dafür kämpfen.
Ich weiß, mit dieser Koalition geht es nicht. Aber wir haben einige Punkte beschlossen, die vielleicht dahinführen. Dazu gehört das Entsendegesetz, das auch die Kanzlerin in ihrem Debattenbeitrag vorhin angesprochen hat. Ich will klipp und klar sagen: Was im Bereich der Postzustellung zwischen der Post und Verdi vereinbart worden ist, ist ein sehr guter Weg. Wir werden in der nächsten Woche in der Bundestagsfraktion beschließen, dass diese Regelung jetzt in das Entsendegesetz aufgenommen werden soll, Herr Arbeitsminister.
Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion werden diesen Weg mitgehen. Es ist ein großer Erfolg. Wenn wir das nicht machen würden, ergäben sich im Zuge der Liberalisierung, die ab dem 1. Januar des nächsten Jahres kommt, erhebliche soziale Benachteiligungen für die Briefzusteller in Deutschland. Das wollen wir nicht. Deshalb soll das Entsendegesetz um den Bereich der Postzustellung erweitert werden.
Zum Thema ?innere Sicherheit“. Dass Koalitionsfraktionen miteinander diskutieren, ist klar; das gab es in jeder Regierung. Wir führen eine Debatte über das Recht zur Onlinedurchsuchung durch das Bundeskriminalamt. Kollege Kauder, Kollege Ramsauer, Kollege Schäuble und Kollegin Zypries haben gestern darüber gesprochen. Ich will klipp und klar festhalten: Wenn Onlinedurchsuchungen für die Bekämpfung der terroristischen Aktivitäten in Deutschland erforderlich sind, sind wir nicht dagegen. Ich möchte nur wissen, unter welchen rechtlichen Bedingungen sie stattfinden sollen. Deshalb warte ich auf ein Urteil aus Karlsruhe. Dann weiß ich ganz genau, was wir in das Gesetz hineinschreiben müssen.
Es bleibt dabei, dass wir nicht generell dagegen sind. Die Kanzlerin hat ihre Meinung dazu gesagt; ich habe meine gesagt. Wir werden dieses Thema in aller Ruhe beraten und dann im Frühjahr nächsten Jahres darüber entscheiden.
Was bei der Fahndung nach Terroristen in der letzten Woche gelungen ist, ist ein großer Erfolg. Das zeigt aber auch, dass die Instrumente, die wir haben, um terroristische Aktivitäten in Deutschland aufzuklären, ausreichend vorhanden sind. Das ist ein großer Erfolg der Polizei. Herzlichen Glückwunsch an die Polizeibeamten, die die geplanten Verbrechen aufgedeckt haben!
Dass wir in Deutschland bisher von solchen Anschlägen verschont geblieben sind, hat nichts mit dem Ansehen Deutschlands in der Welt zu tun. Das ist Glück. Die Kofferbombenattentate in Köln und die jetzt geplanten Attentate sind zum Glück aufgedeckt worden. Dass wir im Visier von Terroristen sind, wissen wir. Das muss man hier auch sagen. Unsinn ist die Behauptung des Vorsitzenden der Fraktion der Linken, wir würden uns durch unsere Aktivitäten in Afghanistan den Terrorismus ins Land holen. Das ist absoluter Quatsch. Wir haben sowieso mit Terrorismus zu rechnen, Herr Kollege.
Wir werden uns in Deutschland damit beschäftigen müssen, dass wir Gegenstand von terroristischen Aktivitäten sein werden.
Man kann nicht jeden Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor solchen Anschlägen schützen. Das geht nicht. Das muss man wissen.
Wir können auch unsere Soldatinnen und Soldaten nicht vor jedem Anschlag schützen. Ich bin öfter in Afghanistan gewesen als in Amerika oder anderswo. Auch dort ist man nicht gegen Selbstmordattentäter geschützt. Wie denn auch? Das heißt, jeder Soldat und jede Soldatin, die den Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan wahrnehmen, wissen, dass dadurch ihr Leben gefährdet ist. Deshalb will ich an dieser Stelle allen, die bei diesem Einsatz ihr Leben für ein gutes Ziel in Afghanistan riskieren, meinen Respekt und meinen herzlichen Dank aussprechen.
Ich weiß, dass am Wochenende in Berlin eine Demonstration unter der Überschrift ?Raus aus Afghanistan“ stattfindet.
Diejenigen, die zu dieser Demonstration gehen, sollten Folgendes wissen: Seit 2001 - ich rede über die Zeit nach den Taliban - sind 3 500 Schulen in Afghanistan errichtet worden.
Die Zahl der Schüler hat sich auf 6,5 Millionen verfünffacht. Es sind 30 000 Lehrer ausgebildet worden. Allein im Jahr 2005 wurden 500 000 Mädchen erstmals zum Schulbesuch angemeldet. Allein diese Zahlen zeigen, dass unser Engagement in Afghanistan richtig ist. Die Menschen danken es uns.
Wie kann man so etwas ignorieren? Was würde es wohl bedeuten, wenn wir aus Afghanistan herausgingen? Was, glauben Sie, würde passieren? Glauben Sie, die Mädchen dürften in der Schule bleiben, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen? Glauben Sie, die Schulen würden wieder geöffnet? In welcher Welt leben Sie eigentlich? Die Menschen haben ein Recht darauf, dass wir ihnen helfen.
In der SPD-Fraktion hatten wir in der letzten Woche die afghanische Frauenministerin zu Gast, Frau Dr. Ghazanfar, die uns ihr Leben geschildert hat. Sie ist Professorin für Literatur. Sie wurde von den Taliban eingesperrt und gezwungen, im Keller ihres Hauses zu bleiben. Sechs Jahre lang durfte sie das Haus und den Keller nicht verlassen. Jetzt ist sie Frauenministerin. Allein diese Tatsache, so sagt sie, ist ein Beweis dafür, dass die internationale Hilfe dringend erforderlich ist.
Der Kollege Lafontaine hat in einer ARD-Talkshow am 20. Mai 2007 gesagt:
Wir können aber niemals Terror durch Terror bekämpfen, also sollten wir dies jetzt einstellen, und zwar unverzüglich.
Herr Kollege Lafontaine, wer Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit Terroristen gleichstellt, versündigt sich gegenüber dem, was die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan tun. Sie sollten sich schämen.
- Das greife ich gern auf. Wer so wie Sie auftritt, der sollte sich fragen lassen, ob das, was manche Ihrer Leute zum Schießbefehl gesagt haben, wirklich zu verantworten ist.
Kollege Bisky, Sie haben gesagt, dass es keinen Schießbefehl gab. Das ist doch wohl absurd. Dass geschossen werden musste, das weiß doch wohl jeder. Das weiß sogar ich, und ich war nicht Mitglied der Nationalen Volksarmee.
Ein Kollege der Linkspartei, Landesvorsitzender von Hessen, Altkommunist Peter Metz, hat in der Debatte über die Leugnung des SED-Schießbefehls gesagt, dass, wer wirklich etwas gegen den Schießbefehl habe, seinen Einfluss auf Minister Jung geltend machen müsse. Er hat den SED-Tötungsbefehl an der Mauer mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verglichen. Da sieht man einmal, mit welchen Leuten Sie arbeiten wollen. Er soll Ihr Spitzenkandidat in Hessen werden. Das ist unglaublich.
Ich will etwas zu einem Thema sagen, das im Bundestag und in der Bundesregierung sicherlich nicht ganz unumstritten ist - ich will meine Meinung dazu aber nicht verschweigen -: dem NPD-Verbot. Das Verbotsverfahren ist auch deswegen gescheitert, weil die zuständigen Behörden, die vielen Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht wussten, wie viele V-Leute der anderen Behörden wo tätig waren. Der Senat war zu Recht verärgert darüber, dass jeden Tag eine Meldung kam: Wir haben noch einen! - Wer aber sagt, dass diese Partei verfassungswidrig ist, der muss das in Karlsruhe klären lassen, der kann nicht einfach sagen: ?Die sind verfassungswidrig“, und das war es. Ich möchte nicht, dass diese Partei weiterhin 1,5 Millionen Euro vom Staat kassiert und damit ihren Kampf gegen den Staat finanziert.
Ich denke, dass manche öffentliche Äußerung schon ausreicht, um den Verbotsantrag zu begründen, sodass man auf V-Leute nicht Bezug nehmen muss.
Natürlich werden sich die Innenminister der Länder mit dem Thema zu beschäftigen haben; aber ich bitte die Bundesregierung, den zuständigen Innenminister - vielleicht auch die Justizministerin -: Herr Kollege Schäuble, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie veranlassen könnten, dass innerhalb einer Frist von einem halben Jahr von den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein Bericht über diesbezügliche Erkenntnisse an das zuständige Gremium des Bundestages, das Parlamentarische Kontrollgremium, übergeben werden könnte. Dann können wir beraten, ob es Grundlagen für ein Verbotsverfahren gibt. Aber es einfach hinzunehmen, dass die NPD so weitermachen kann, bin ich nicht bereit, zu akzeptieren. Das will ich klar festhalten.
Ich will auch auf das Thema Föderalismusreform, das Kollege Steinbrück gestern ebenfalls angesprochen hat, eingehen. Wir haben als Große Koalition und angesichts der großen Mehrheit im Bundesrat die enorme Chance - die wird es so schnell nicht wieder geben -, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. Kollege Oettinger und ich sind uns als Vorsitzende darin einig. Am Donnerstag und Freitag beginnen wir, zu beraten. Auch die Obleute aller Fraktionen - das schließt den Kollegen Ramelow ein - sind der Meinung, dass wir eine Chance haben, etwas zu erreichen.
Worum geht es? Wir wollen die Debatte über die Begrenzung der Verschuldung zu einem Ergebnis führen. Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen die Verschuldungsgrenze erreicht ist, wie weit sich ein Staat verschulden darf. Dass Art. 115 des Grundgesetzes, den wir jetzt haben, nicht ganz geeignet ist, hat uns der Bundesrechnungshof bescheinigt; das ist auch durchgängig politische Meinung. Die weite Auslegung des Investitionsbegriffs, wie von vielen Regierungen praktiziert, geht so nicht weiter. Ich bin der Auffassung, dass wir über eine Verschuldungsgrenze à la Schweiz und andere Modelle reden müssen. Der Vorschlag vom Kollegen Oettinger und mir wird sein, die Frage ?Wie begrenzen wir die Aufnahme von Schulden?“ zu klären, und zwar so rechtzeitig, dass noch in dieser Legislaturperiode in Bundestag und Bundesrat über Grundgesetzänderungen, wenn sie erforderlich sein sollten, abgestimmt werden kann.
In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, ob das, was wir für den Bund regeln, auch für die Länder gelten kann. Wir müssen also mit dem Bundesrat klären, wie unsere Regelungen in die 16 Landesverfassungen übernommen werden. Ich bin sehr dafür, dass für den Bund und für die Länder die gleichen Regelungen gelten. Aber dies wird schwierig.
Ein zweites Thema - auch das hat Peer Steinbrück angesprochen - sind die Altschulden. Dass wir eine Menge Altschulden haben, hat Peer Steinbrück gesagt. Insgesamt beträgt die staatliche Gesamtverschuldung 1 500 Milliarden Euro. Aber was machen wir damit? Es gibt Debatten darüber, zu versuchen, alle Länder auf den gleichen Stand zu bringen. Kollege Oettinger hat die Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, in den die reichen Länder einzahlen und aus dem die armen Länder Geld bekommen, wenn sie ihre Schulden abbauen: pro abgebautem Euro Schulden 1 Euro aus dem Fonds. Peter Harry Carstensen hat andere Vorschläge gemacht, auch Thilo Sarrazin. Die Frage, wie wir mit den Altschulden fertig werden, ist schwieriger. Aber wir müssen das Thema angehen. Es ist völlig klar, dass die Schuldenlast abgebaut werden muss; der Bund muss allein 42 Milliarden Euro an Zinsen zahlen.
Das dritte Thema, das uns beschäftigt, ist die Steuerautonomie der Länder. In der Föderalismuskommission vertreten manche Länder die Auffassung: Wir wollen eine eigene Steuerautonomie. Hier stellt sich die Frage, ob Ländersteuern weiterhin vom Bund beschlossen werden müssen. Beispiel: die Erbschaftsteuer.
- Vorsicht! - Nehmen wir einmal an, die Länder hätten das Recht, die Erbschaftsteuer selbst zu bestimmen. Dann würde Bayern sagen: Bei uns gibt es keine Erbschaftsteuer; wir haben genug Geld.
Was sagt Bremen? - Wir brauchen Erbschaftsteuer. Mit anderen Worten: Jeder, der in die Situation kommt, etwas zu vererben, geht nach Bayern. Das will ich nicht, und das geht auch überhaupt nicht.
Wir müssten dann klären - das ist eine absurde Debatte -, ob die 16 Bundesländer untereinander Doppelbesteuerungsabkommen schließen müssten. Dies zeigt schon, dass das schwierig wird.
Ich bin dafür, dass wir die Erbschaftsteuer seitens des Bundes für alle Länder gleich festlegen sollten, damit keine Ungleichheiten, kein Wettlauf ?Arm gegen Reich“ stattfindet.
- Die Experten klatschen; das ist auch richtig. Es gibt eine gute Chance, dazu etwas zu schaffen.
Insgesamt muss ich sagen: Die Medien in Berlin berichten darüber, wer sich mit wem in welchem Haus trifft und wer mit wem essen geht. Es ist lächerlich, was für die Presse wichtig ist. Kollege Kauder und ich treffen uns sehr oft. Wenn wir immer sagen würden, dass wir uns irgendwo treffen, würde in der Zeitung stehen: Kauder und Struck treffen sich.
Ich will klipp und klar sagen: Diese Koalition ist eine große Chance für Deutschland. Die Große Koalition muss große Aufgaben erledigen. Das hat sie teilweise schon gemacht; das ist gar keine Frage. Wir haben die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert - das war schwierig genug - und uns mit der Steuerpolitik beschäftigt. Aber wir haben in den nächsten zwei Jahren bis 2009 noch eine Menge zu tun.
Dennoch sagen alle, die beteiligt sind - Frau Kanzlerin, ich weiß nicht, ob auch Sie das sagen; ich glaube, Ihnen geht es momentan ganz gut -: 2009 soll diese Koalition zu Ende sein. Ich muss dazusagen: nicht aus inhaltlichen Gründen. Ich jedenfalls sehe keine; denn über alle Punkte, die strittig sind, können wir diskutieren, und wir werden Lösungen finden. Vielmehr ist es im Interesse der parlamentarischen Demokratie, wenn einer starken Regierung eine fast ebenso starke Opposition gegenübersteht. Große Koalitionen müssen in Deutschland eine Ausnahme bleiben; dafür bin ich.
- Herr Westerwelle, dass Sie gerne in die Regierung kommen würden, kann ich verstehen. Irgendwann wird es auch für Sie einmal Zeit. Dass auch Sie gerne einmal auf der Regierungsbank sitzen möchten, kann ich nachvollziehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Dr. Peter Struck (SPD):
Nein, von Dehm nicht.
Ich will Ihnen sagen: Wir haben noch ein großes Kapitel zu erledigen, ein Kapitel, das auf einige Initiativen der Bundeskanzlerin zurückzuführen ist. Es geht um das Thema Klimaschutz. An dieser Stelle gratuliere ich Sigmar Gabriel, der heute Geburtstag hat, herzlich.
- Ja. Kollege Gabriel, Sie müssen zuhören.
Das, was in Heiligendamm, dann in Brüssel und vor kurzem in Meseberg beschlossen worden ist, ist für die Bundesrepublik Deutschland ein sehr dicker Brocken. Ich weiß schon jetzt, was passieren wird, wenn wir anfangen, die entsprechenden Gesetzentwürfe zu formulieren und die Maßnahmen umzusetzen. Ich begrüße, dass die Automobilindustrie mit Matthias Wissmann an der Spitze - das ist der gute Einfluss der Politik -
offenbar bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Die Umsetzung der Klimaschutzziele der Bundesregierung ist allerdings eine sehr große Aufgabe. Wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass das gelingt. An der SPD-Fraktion und an Gabriel wird das nicht scheitern.
Die Klausurtagung in Meseberg war ein Erfolg. Die Bundesregierung kann sich auf die SPD-Fraktion verlassen. Wir werden diese Regierung stützen. Natürlich werden wir auch eigene Akzente setzen. Denn wir sind dafür, dass im Jahr 2009 das Gleiche passiert wie im Jahr 1969. Damals ist im Anschluss an die große Koalition ein Sozialdemokrat Bundeskanzler geworden. Dass das auch 2009 geschieht, dafür werbe ich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Dr. Dieter Dehm.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Werter Kollege Struck, ich kann damit leben, wie schnodderig Sie mit Zwischenfragen umgehen.
Tun Sie aber bitte nicht so, als ob es in diesem Haus irgendjemanden gibt, der nicht mit Empörung auf den Befehl reagiert, auf unschuldige Menschen zu schießen: nicht in meiner Fraktion und nicht in irgendeiner anderen Fraktion des Deutschen Bundestages. Außerdem muss ich Ihnen sagen: Es gibt eine Grenze zwischen Texas und Mexiko, an der viel mehr Menschen erschossen worden sind. Auch sie müssen erwähnt werden.
Es muss auch erwähnt werden, dass zum Befehl, auf unschuldige Menschen zu schießen, in Afghanistan hinzukommt, dass, bevor Hochzeitsgesellschaften bombardiert wurden, Aufklärungsfotos aus den Tornados erstellt worden sind. - Wenn es nicht so ist, dann widersprechen Sie der Aussage des Kollegen Lafontaine. - Deswegen nämlich treffen sich am Samstag um 12 Uhr die Demonstranten vor dem Roten Rathaus.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man nach zwei Jahren - also zur Halbzeit der Legislaturperiode - den Bundeskanzlerin-Haushalt bespricht, geht es im Kern um die Frage: Was ist richtig gelaufen, was muss anders laufen, und wie sieht die politische Führung des Landes durch das Kanzleramt aus? Dieser Frage will ich mich widmen, allen anderen Fragen an anderer Stelle.
Wir verfallen nicht in das Schema, nur weil wir gerade in der Opposition sind, alles, was gegenwärtig stattfindet, schlecht zu finden und herunterzureden. Im Namen meiner Fraktion möchte ich insbesondere sagen, dass Deutschland von der Kanzlerin und dem Außenminister in der Welt respektabel repräsentiert wird.
Ich sage nichts über einzelne Schritte der Außenpolitik, aber viele Leute - darunter auch unsere Wählerinnen und Wähler - denken so.
Zweitens - hören Sie genau zu! - finden wir es gut, dass der Klimaschutz inzwischen bei den Regierungsfraktionen als Thema angekommen ist. Zu den einzelnen Regelungen, die Sie umsetzen, werde ich nachher noch etwas sagen. Drittens ist es natürlich positiv, dass der Aufschwung da ist - eher vom Export als vom Binnenmarkt getragen -, denn dies erleichtert generell das politische Handeln.
Auf der Basis, dass es Positives gibt, erstaunt mich schon, dass Sie, Frau Merkel, mit dem Satz: ?Alle Menschen haben jetzt Grund zur Zuversicht“, alle schwierigen und kritischen Fragen sowie die strukturellen Probleme unseres Landes nach dem Motto verpackt haben: ?Keine Sorge, die Große Koalition wird es schon richten.“ Dies ist ein Fehler, weil die Voraussetzung guten politischen Handelns ist, gerade während einer Verbesserung der Entwicklung darauf zu achten, was strukturell eigentlich noch schlecht läuft.
Ich möchte einige Bemerkungen zu den wichtigsten politischen Feldern machen.
Im Hinblick auf das Klima haben Sie erst einmal einiges beschlossen, was in die richtige Richtung geht. Aber Ihre Klimaschutzpolitik wird die Ziele - auch das 40-Prozent-Ziel - systematisch nicht erreichen, weil die gesetzliche Umsetzung sowie das, was Sie in Meseberg beschlossen haben, ihnen nicht hinreichend Rechnung tragen, sondern einem Slalomlauf zwischen Tabuzonen ähneln. Wir reden zwar heute nicht nur über Klimaschutz, aber ich will zwei Bereiche erwähnen.
Bei der Energieeffizienz - vorgestern hat auch die IEA dargestellt, dass der Stromverbrauch in Deutschland massiv ansteigt - sind Sie in Meseberg eindeutig zu kurz gesprungen. Für Nachtspeicheröfen gibt es kein Konzept. Auch für Elektrogeräte gibt es keinen Top-Runner-Ansatz. Die Kennzeichnung von Elektrogeräten soll nur freiwillig erfolgen, und es gibt keine Einschränkungen für den Stand-by-Betrieb. Sie vermeiden systematisch die Ordnungspolitik und setzen weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen oder verschieben Entscheidungen, die heute getroffen werden müssten, in die Zukunft.
Deswegen sind die 40 Millionen Tonnen CO2-Einsparung, die Sie im Hinblick auf die Effizienz von Elektrogeräten im Haushalt im Acht-Punkte-Programm noch veranschlagt hatten, auf nur noch erreichbare 8 Millionen Tonnen zusammengeschrumpft. Dies wurde in dieser Woche im Umweltministerium auch so bilanziert. Sie springen an dieser Stelle zu kurz. Das, was Sie sonntags verbal an Klimaschutzzielen formulieren, schaffen Sie werktags nicht, weil Sie sich den Lobbys - wie sie zum Beispiel Herr Glos im Parlament und in der Regierung vertritt - beugen.
Bei der Verkehrspolitik herrscht in der Regierung immer noch absolute Funkstille. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, morgen zur IAA gehen, müssen Sie dort klarmachen, dass jetzt die Stunde der Ordnungspolitik geschlagen hat und wir verbindliche Verbrauchsobergrenzen brauchen, und nicht, wie Herr Wiedeking jetzt wieder gefordert hat, eine Verschiebung von 2012 auf 2015. Wenn Sie das zulassen, wird der Verkehrsbereich keinen Beitrag zu den Klimaschutzbemühungen leisten können, und wir werden wir die Ziele insgesamt nicht erreichen.
Auch in Deutschland - ich sage das mit Blick auf die IAA - müssen alle Fahrzeughersteller neben den einzelnen ökologischen Pilotprojekten in der Breite - bei den großen wie bei den kleinen Fahrzeugen - systematisch von dem hohen CO2-Ausstoß wegkommen.
Dazu brauchen wir Ordnungspolitik und nicht diesen Mist der freiwilligen Vereinbarungen, der offensichtlich gescheitert ist.
Frau Merkel, was uns bei Ihrer Rede fast amüsiert hat, war, wie Sie in einem Sätzchen mit dem Thema Bahn umgegangen sind. Sie haben gesagt: Mit dem Börsengang der Bahn werden wir uns auch noch beschäftigen. - Erst einmal - es ist ja ein Gesetzentwurf durch das Kabinett gegangen -: Ich hoffe schon, dass Sie sich auch vorher damit beschäftigt haben. Doch der Satz in Ihrer Rede war auf die Zukunft bezogen.
Was Sie bisher im Kabinett beschlossen haben, ist nach unserer Überzeugung ordnungspolitischer Wahnsinn: Sie verschleudern Volksvermögen. Insgesamt sind 130 Milliarden Euro in der Bahn, insbesondere im Schienennetz und in den Bahnhöfen, investiert, Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Sie haben eine Privatisierung vor, bei der Sie vielleicht 8 Milliarden Euro erlösen werden. 4 Milliarden Euro gehen an den Bund, der Rest geht an die Bahn. Sie verpflichten sich, 15 Jahre lang 2,5 Milliarden Euro in das Schienennetz zu investieren, macht 37,5 Milliarden Euro. Nach dem heutigen Stand müsste der Bund, wenn wir nach 18 Jahren wieder wirtschaftlicher Eigentümer des Netzes sein wollten, immerhin 7,5 Milliarden Euro Wertausgleich zahlen. Da fragt sich doch jeder, der nur ein bisschen rechnen kann: Was soll das Ganze? Was ist eigentlich die Begründung für diesen ordnungspolitischen Unsinn, mit dem Sie, Frau Kanzlerin, sich erst in der Zukunft beschäftigen wollen, obwohl Sie ihn schon beschlossen haben?
Es gibt nur ein Argument, warum wir die Schieneninfrastruktur aufgeben sollen: weil Herr Mehdorn Geld braucht, um als internationaler Player eine internationale Bahn AG aufzuziehen. Was wir dagegen in Deutschland brauchen, ist eine bessere Bahn, schon aus Klimaschutzgründen. Was wir in Deutschland brauchen, ist mehr Bahnbetrieb in der Fläche, auch mehr Güterverkehr auf der Schiene, damit die Straßen entlastet werden und die Leute vernünftig reisen können. Doch dann können wir nicht die Infrastruktur verschleudern, wie Sie, Frau Merkel, es offensichtlich vorhaben.
Welche Aufgabe - das ist die Führungsaufgabe einer Kanzlerin; das können Sie nicht auf einen Tiefensee, der mit diesem Thema überfordert ist, abschieben -
soll der Staat denn haben, wenn nicht die, die Infrastruktur, die alle brauchen, in Schuss zu halten, über sie zu verfügen? Sie darf nicht ohne Sinn und Verstand den Interessen des Kapitalmarktes preisgegeben werden.
Frau Merkel, da treffen wir den Kern Ihrer politischen Überzeugung. Ich finde, dass konservativ sein heißt, dass man bewahrt, was in der Vergangenheit geschaffen worden ist, dass man es erneuert, aber eben nicht, dass man es verschleudert. Deswegen ist es gut, dass Sie sich mit diesem Thema noch einmal beschäftigen wollen.
Ich will zum Bereich Wirtschaft, Haushalt, Arbeitsmarkt kurz etwas sagen. Die Konjunktur ist gut. Sorgen machen muss, dass sie zu sehr exportgeleitet ist und am Binnenmarkt zu wenig zieht. Über die Mehrwertsteuer will ich mich nicht streiten; darüber kann man insgesamt lange reden. Sie haben gestern den Finanzminister eine Haushaltskonsolidierung feiern lassen, die wir für unambitioniert halten. Dazu haben Sie heute nichts Vernünftiges gesagt, Frau Kanzlerin. Wenn man jetzt, im Jahr 2007, sagt: ?2011 kommen wir auf die Nullverschuldung“, und man hat massiv Steuern erhöht - es ist ja nicht nur die Mehrwertsteuer: da ist die Versicherungsteuer, und viele Abschreibungsmöglichkeiten wurden abgebaut -, dann kann man sich nicht als Konsolidierungsregierung feiern. Der entscheidende Punkt ist, dass Sie es nicht rechtzeitig schaffen, aus der Neuverschuldung herauszukommen, weil Sie nicht bereit sind, die notwendigen Investitionen - es gibt notwendige Investitionen - durch Subventionsabbau zu finanzieren, sondern sie aus der Konjunktur heraus schöpfen. Solange Sie dies tun, ist die ganze Nummer der Konsolidierungsregierung nicht viel wert.
Wiederholen Sie nicht - ich meine das ernst, nicht kokett - den Fehler von Rot-Grün, die wir 2000 und 2001 eher zu wenig gespart haben und dann, als es dicke kam, versucht haben - das ist am Bundesrat immer gescheitert -, in die abnehmende Konjunktur hinein zu sparen. Dies kann nicht funktionieren. Deswegen sage ich: Politische Führung heißt, dass Sie in der Finanzpolitik mehr Vorsorge treffen für die Zeit, wenn es mit der Konjunktur wieder schlechter gehen sollte.
An Ihrer Beschönigung der Verhältnisse hat mich ein Punkt gestört. Sie haben gesagt, der Aufschwung komme bei allen an. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen aber, dass der Aufschwung bei den Dauerarbeitslosen noch nicht ankommt. Daran können wir in diesem Hause nicht vorbeireden, nur weil es ein schwieriges Thema ist.
Inzwischen gibt es in Deutschland 1,3 Millionen Dauerarbeitslose. In keinem anderen Land Europas außer der Slowakei hat sich die Dauerarbeitslosigkeit so verfestigt wie bei uns. Jeder zweite Arbeitslose in Deutschland ist länger als ein Jahr arbeitslos. Deswegen halte ich die Ankündigung eines neuen Programms - sozusagen Hartz Y mit einem neuen Kombilohnmodell für Zielgruppen - im Herbst für zu kurz gesprungen, wenn man die Situation bilanzieren will.
Sie hätten sich auch der Frage der Qualität des Aufschwungs stellen müssen.
Ich finde, dass es an der Zeit ist, Hartz IV zu bilanzieren. Wir von den Grünen stehen zu den wesentlichen Elementen, vor allem zu der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe; denn sie hat vielen Menschen - vor allem Alleinerziehenden mit Kindern - viel genützt. Das vergisst die PDS/Linke gerne, aber an dieser Stelle war die Reform richtig.
Aber das Arbeitslosengeld II ist noch nicht die Grundsicherung, von der wir gesprochen haben. Die Menschen im Land - daran können wir nicht vorbeigehen, Frau Merkel - haben nicht das Gefühl, dass sie im Falle einer länger als ein Jahr dauernden Arbeitslosigkeit durch eine solidarische Grundsicherung aufgefangen werden und gute Brücken zurück in die Erwerbsarbeit vorfinden. Der Kreis der ALG-II-Empfänger wächst, weil es keinen Mindestlohn gibt. Das ist der Grund, der die Menschen systematisch in die Angst treibt.
Ich finde, dass Sie mit diesen Debatten nach dem Muster ?Wir machen im Herbst noch etwas“ dem Grundproblem, dass die Menschen Angst davor haben, zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu werden, weil das Fördern nicht klappt und es keine Brücken zurück in die Erwerbsarbeit gibt, nicht gerecht werden, Frau Merkel. Ich hätte von Ihnen mehr erwartet als ein allgemeines Statement zum Aufschwung.
Beim Fachkräftemangel haben Sie recht. An dieser Stelle muss man etwas tun. Was in Meseberg beschlossen wurde, ist aber zu kurz gesprungen.
Wenn 100 000 Fachkräfte fehlen, dann müssen Sie das Zuwanderungsrecht ändern. Dann brauchen wir die Punkteregelung und müssen die Grenze beim Jahreseinkommen von Hochqualifizierten, die einwandern wollen, von 85 000 auf 40 000 Euro senken.
Beide Fraktionen der Großen Koalition fordere ich auf: Geben Sie endlich die ideologischen Vorbehalte auf, die es unmöglich machen, dass Hochqualifizierte nach Deutschland einwandern können! Denn die 100 000 Fachkräfte, die uns fehlen, bedeuten auch viele hunderttausend Arbeitsplätze für Deutsche. Insofern darf man nicht auf der ideologischen Bremse stehen.
Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zum Verbraucherschutz, Frau Merkel. Ich wünsche mir, dass Sie im Kabinett besser aufpassen. Ich habe den Eindruck, dass Herr Seehofer auf alles Mögliche Bock hat, nur nicht auf Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Es gibt einen Gammelfleischskandal nach dem anderen - alle im Wesentlichen in Bayern -, aber Sie kümmern sich nicht um die Frage, ob der Zehn-Punkte-Plan vom Herbst 2005 umgesetzt wird. Die Große Koalition funktioniert an dieser Stelle nicht, weil auch die Länder bremsen und nicht die notwendigen Maßnahmen ergreifen wollen.
Eine einfache wirtschaftliche Frage aus der Landwirtschaft, um die sich Herr Seehofer nicht kümmert - vielleicht kümmern Sie sich als Kanzlerin darum -, betrifft den Ökolandbau. Im Ökolandbau sind auf der Nachfrageseite Zuwächse von 20 Prozent zu verzeichnen. Der Zuwachs der Fläche im Ökolandbau beträgt 2 Prozent. Das heißt, der Nachfragezuwachs in den Läden wird vom Ausland abgeschöpft, weil Sie seit Beginn der Großen Koalition die Umstellung auf die ökologische Landwirtschaft in den Ländern und beim Bund nicht richtig fördern. Auch in diesem Bereich könnte man den einen oder anderen Arbeitsplatz schaffen. Ich bitte Sie, sich darum zu kümmern.
Ich möchte, da wir über über Strukturprobleme reden, auf das Thema Gesundheit und Pflege zu sprechen kommen. Frau Merkel, ich biete Ihnen jede Wette darüber an - über den Einsatz können wir noch sprechen -, dass Sie den Gesundheitsfonds nicht zum 1. Januar 2009 einrichten werden. Darüber reden Sie schon gar nicht mehr, weil Sie es nicht gerne hören, dass Sie da Murks gemacht haben. Es glaubt doch niemand, dass Sie im Wahljahr noch einmal mit diesem Monster antreten wollen, das Sie in den ersten zwei Jahren in Ihrer Regierungszeit beschlossen haben.
Probleme der Gesundheitsreform spielen in Ihrem Denken offensichtlich keine Rolle. Ich finde, das muss sich ändern.
Dass Sie in Ihrer Rede für die Pflegekräfte im Wesentlichen nur ein Dankeschön übrig hatten, während offenkundig ist, dass in Deutschland massive Menschenrechtsverletzungen in der Pflege alter Menschen stattfinden, ist, wie ich finde, ein bisschen dürftig. Aber das hat offensichtlich nicht in Ihr Schema gepasst.
Was wird die Regierung machen, nachdem über die Skandale in der Pflege berichtet wurde? Sie hat gesagt, es werde eine Sachverständigenkommission zur Qualitätssicherung in der Pflege geben, die erste Berichte bis zum 31. Dezember 2008 liefern werde. Erste Ergebnisse seien Mitte 2009 zu erwarten. Ich frage mich, wo die Große Koalition bei der Lösung sozialer Probleme und der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen geblieben ist, wenn sie erst 2009 mit einem Bericht zur Qualitätssicherung aufwarten will.
Sie haben die Pflegereform quasi in einem billigen Konsens über eine Beitragserhöhung versteckt. Ansonsten haben Sie sich gegenseitig blockiert, zum Beispiel bei der Frage, welchen Beitrag die privaten Krankenkassen leisten müssen. Frau Merkel, unter Ihrer Führung ist kein Schritt zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger in Deutschland gelungen. Davon haben Sie nichts gesagt. Ein Dank an die Pflegekräfte ist für eine Bundeskanzlerin zu wenig, die sich diesem Thema stellen und widmen will.
Ich will noch etwas zur Außenpolitik und zum Thema Afghanistan sagen. Es ist unstrittig - hier gibt es einen Unterschied nur zur Linkspartei -, dass man das afghanische Volk beim Aufbau, der in einer Kombination aus Sicherheit und Entwicklung erfolgt, nicht im Stich lassen darf. Wer fordert: ?Raus aus Afghanistan!“, aber nicht sagt, was dort mit den Menschen passieren soll, der handelt zynisch und hat nur einen billigen innenpolitischen Erfolg im Auge, handelt aber nicht verantwortlich in Bezug auf die Menschen in diesem geschundenen Land.
Dennoch ist die Frage relevant - sie wird zunehmend relevanter -, ob wir hier die richtige Strategie verfolgen. Wir stehen als Fraktion zum ISAF-Mandat. Aber es reicht nicht aus, dieses Mandat zu befürworten und gleichzeitig zu sagen: OEF machen die Amerikaner. Wir glauben - durch viele Besuche im Land und Berichte vor Ort sind wir bestätigt -, dass die Art der Kriegführung, der strategische Aufbau der Luftschläge, systematisch die Glaubwürdigkeit der ISAF-Mission untergräbt.
Wir haben Verantwortung und müssen in der Diskussion prüfen, ob das stimmt, was ich sage, oder ob Sie mit Ihrer Behauptung recht haben, dass das ein unverzichtbarer Baustein sei.
Frau Merkel, ich kritisiere Sie dafür, dass Sie an der Stelle, wo es um die Strategie von OEF geht - das gilt auch für Ihren Kabinettsbeschluss zu Afghanistan insgesamt -, nicht systematisch die kritische Auseinandersetzung mit denjenigen suchen, die OEF so weiterführen wollen wie bisher. Auf dieser Ebene sind keine Veränderungen bekannt. Es gibt nur Veränderungen bei der NATO, was ISAF angeht. Sie sagen weder hier noch im Ausschuss, was Sie vorgetragen haben, was Sie erreicht haben und welche Strategieänderungen vorgenommen werden sollen.
Sie haben auf die Ausrufung des Verteidigungsfalls nach dem 11.9. hingewiesen. Das ist in völkerrechtlicher Hinsicht eine schwierige Frage; denn die damalige Begründung lautete, dass der Angriff auf die Vereinigten Staaten in Afghanistan aufgrund der dort befindlichen Terrorlager, von den Taliban zugelassen und von al-Qaida betrieben, organisiert werde. Aber das geschieht heutzutage nicht in Afghanistan, sondern in vielen Regionen in der Welt, insbesondere in Pakistan. Diese Begründung können Sie also nicht mehr anführen. ISAF hat dagegen - darauf legen wir Wert - eine andere Begründung. Diese Mission dient dazu, die zivile Entwicklung und den Aufbau von Sicherheit miteinander zu verbinden. Das zeigt auch die Praxis.
Frau Merkel, wenn Sie sich hier - das haben Sie in einem Nebensatz getan - zur multilateralen Perspektive der deutschen Außenpolitik bekennen, dann müssen Sie auch da, wo unilateral entschieden wird - dies ist bei OEF im Unterschied zu ISAF der Fall -, ganz deutlich sagen, welche Wünsche diejenigen haben, die insgesamt ein multilaterales Vorgehen gegen den Terrorismus für richtig und gut halten und dieses begrüßen.
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten hier im Haus intensiv darüber diskutieren.
Ich komme zum Schluss, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Ich will Folgendes sagen, Frau Merkel: Vielleicht muss man als Bundeskanzlerin in der Aufschwungphase die Lage irgendwie positiv darstellen. Das ist logisch. Selbst wir sagen nicht, dass alles mies ist. Aber Sie haben es versäumt - das ist ein Element politischer Führung -, hart und klar auf die Strukturprobleme dieses Landes hinzuweisen und Vorschläge zu machen, wie Sie sie beheben wollen, und Sie haben in Ihrer smoothen Rede darüber hinweggesehen. Das war zu wenig für die politische Führung, die wir von Ihnen eigentlich verlangen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Deutschland hat - dies zeigt der Bundeshaushalt, der jetzt eingebracht wird und der ein Zwischenbericht und ein Ausblick auf die kommenden zwei Jahre dieser Großen Koalition ist - nach einer längeren schwierigen Phase wirtschaftlich wieder Tritt gefasst. Dies ist eine große Gemeinschaftsleistung, eine Leistung, die auf dem beruht, was in der letzten Legislaturperiode unter Rot-Grün richtig gemacht worden ist und woran wir beteiligt waren. Lieber Kollege Struck, wir als Union haben kein Problem damit, die richtigen Punkte der Agenda 2010 zu vertreten, aber Sie in der SPD müssen dafür sorgen, dass man sich zu dem Richtigen bekennt. Dort liegt das Problem, nicht bei uns.
Wir erleben, dass in Deutschland wieder aus eigener Kraft Wachstum geschaffen werden kann. Das durchschnittliche Wachstum in den Jahren 2006 bis 2008 wird viermal höher sein als in den drei Jahren zuvor. Dies beruht - das ist das Bemerkenswerte - nicht allein auf dem Export, vielmehr ist der Beitrag der Binnenwirtschaft zum Wachstum im Jahr 2006 zum ersten Mal seit längerem wieder größer gewesen als der Beitrag der Außenwirtschaft, und zwar vor allem wegen kräftiger privater Investitionen in unserem Land.
Diesen Kurs gilt es weiterzusteuern. Deshalb sagen wir in der Regierung und in den Koalitionsfraktionen: Aufschwung stärken, jeder muss mitgenommen werden. Auf diesem Weg sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Die Bundeskanzlerin hat uns gesagt, wie viele zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Ich kann nur denjenigen von ganz links außen sagen: Jeder von diesen Hunderttausenden bzw. von der 1 Million Menschen, die in der Regierungszeit der Großen Koalition einen Arbeitsplatz bekommen haben, hat am Aufschwung teilgenommen, hat neue Perspektiven und neue Chancen.
Herr Kollege Lafontaine, es lohnt sich eigentlich nicht, sich mit Ihren Aussagen auseinanderzusetzen, aber eines muss ich schon klar sagen: Ich habe Ihre Reden in den letzten zwei Jahren gehört und mitbekommen, wie Sie polemisiert und gegen alle Perspektiven, die wir aufgezeigt haben, angeheult haben. Jetzt bringen Sie es nicht einmal fertig - der Kollege Kuhn bringt es fertig! -, zu akzeptieren, dass Ihre Prognosen zu hundert Prozent danebengelegen haben, dass wir neue Perspektiven für die Menschen geschaffen haben. Ausschlaggebend dafür war nicht Ihr Gerede, sondern das Handeln der Großen Koalition.
Wenn ich mir die PISA-Ergebnisse anschaue, bin ich hundertprozentig sicher: Wenn wieder jemand durch Deutschland fährt und sich dieses Land anschaut, wenn er vor allem sieht, was wir in Technologie, Wissenschaft und Forschung vorhaben, dann wird er wieder zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland das Land der Dichter und Denker ist. Ich kann nur hoffen, Herr Kollege Lafontaine, dass er nicht auf Sie trifft; denn dann könnte das Urteil anders ausfallen.
Der auf Wachstum und Stärkung des Aufschwungs ausgerichtete Kurs - der Aufschwung muss bei jedem ankommen - ist in der nächsten Zeit das zentrale Thema in der Großen Koalition. Ich bin sicher, dass diese Große Koalition da noch eine ganze Menge leisten kann. Deswegen, lieber Kollege Struck, haben wir allen Grund, zu sagen: Diese Große Koalition ist stark genug, die Aufgaben, die vor ihr liegen, zu erfüllen. Daher rate ich dazu, jetzt nicht mit irgendwelchen Spekulationen über das, was nach 2009 ist, zu kommen. Die Menschen sollen nicht den Eindruck haben, dass wir entsprechend unseren Machtperspektiven diskutieren. Ich will den Menschen vielmehr zurufen: Uns geht es darum, Ihre Lebenschancen zu verbessern. Wir schauen jetzt nicht auf 2009, sondern wir schauen auf das, was wir im Jahr 2008 für unser Land und für die Menschen in diesem Land bewegen können.
Was 2009 anbelangt, lieber Kollege Struck, haben wir diametrale, also völlig entgegengesetzte Auffassungen über die Kanzlerschaft. Ich bin mir sicher, dass wir gute Voraussetzungen dafür schaffen können, dass die erfolgreiche Arbeit für unser Land unter einer erfolgreichen Kanzlerin auch 2009 fortgeführt werden kann.
Worum geht es in der nächsten Zeit? Aufschwung stärken; jeder muss davon profitieren. Ein großer Teil hat schon davon profitiert. In unseren Veranstaltungen spüren wir es doch. Noch vor einem Jahr war die Sorge der Menschen groß, ihre Arbeit zu verlieren. Sie hatten Angst, Verluste zu erleiden. Das hat sich geändert. In vielen Branchen haben wir sogar schon einen Fachkräftemangel. Die Menschen spüren doch, dass ihre Arbeitsplätze sicherer geworden sind. Aber wir ruhen uns darauf nicht aus.
Eine der Voraussetzungen für das Anhalten dieser Entwicklung ist natürlich, dass der Haushalt weiter konsolidiert wird. Deswegen müssen wir den Sparkurs klar und deutlich fortsetzen. Dabei unterstützt die CDU/CSU Bundestagsfraktion den Bundesfinanzminister. Wir haben klar gesagt - das wird in dem Haushalt deutlich -: Der größte Teil der Steuermehreinnahmen wird zur Haushaltskonsolidierung verwandt. Da zu sagen: ?Da ist nichts erreicht worden“, ist blanker Unsinn. Noch im Jahr 2005 gab es ein strukturelles Defizit von 60 Milliarden Euro. In diesem Haushalt ist eine Nettoneuverschuldung von 13 Milliarden Euro vorgesehen. Wir haben also viel erreicht. Wir sind noch nicht über den Berg. Wir müssen mit unseren Reformanstrengungen weitermachen. Aber wir können auch sagen: Wir haben konsolidiert, und damit sind wir auf dem Weg zu politischer Stabilität in unserem Land.
In einigen weiteren Punkten werden wir Menschen unterstützen - da stimme ich dem Kollegen Struck zu -, beispielsweise durch eine BAföG-Erhöhung. Um dem Finanzminister entgegenzukommen, soll die 10-prozentige BAföG-Erhöhung in zwei Stufen vonstatten gehen. Dies ist in Ordnung. Eine solche BAföG-Erhöhung wäre schon ein großer Erfolg.
Ich verweise auf die Aufgaben der Bundeswehr. Ich werde den Vorschlag unserer Haushälter, den Wehrsold um 2 Euro pro Tag zu erhöhen, unterstützen. Diese Erhöhung wäre eine schöne Anerkennung der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten.
Wir werden unseren erfolgreichen Kurs fortsetzen, die Menschen entlasten und dabei helfen, Arbeitsplätze aufzubauen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung gesagt hat: Wir wollen den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,9 Prozent senken. - Wir in der Unionsfraktion sehen aber weiteren Spielraum. Wir müssen alles tun, was möglich ist. Wir hoffen deshalb, dass das Ziel, das wir haben, nämlich einen Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 3,5 Prozent festzulegen, im Rahmen der Haushaltsplanberatungen noch erreichbar ist, und bitten die Bundesregierung dabei um Unterstützung.
Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen leichter, noch leichter in Arbeit kommen, und wollen deshalb die Vermittlungsarbeit stärken. Dazu gehört für uns, dass wir die große Zahl von Instrumenten in der Arbeitsmarktpolitik - sie ist fast unübersichtlich - überprüfen und reduzieren, um die Vermittlung einfacher zu machen, damit sie schneller funktioniert. Wir freuen uns darüber, dass die Bundesregierung in Meseberg eine solche Überprüfung beschlossen hat. Aus über 80 Instrumenten sollen maximal 10 werden. Das wäre eine große Vereinfachung und würde die Arbeit erleichtern.
Wir wollen Wirtschaft fördern, auch dort, wo im Augenblick ein kleiner Durchhänger vorhanden ist. Wir sehen, dass im privaten Wohnungs- und Einfamilienhausbau zurzeit eine Art Stillstand eingetreten ist. Wir meinen, dass wir da etwas tun sollten.
- Wir meinen, dass wir da etwas tun sollten, nicht mit solchem Gerede, sondern mit klaren Botschaften.
Was erwarten die meisten Menschen? Sie erwarten, dass Wohnungseigentum eine sichere Grundlage auch für die Altersvorsorge ist.
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in der Großen Koalition das Thema ?Wohnungseigentum in staatlich geförderter Altersvorsorge“ jetzt zu einem guten Abschluss bringen.
Die Hälfte der Menschen in Deutschland wohnt im sogenannten ländlichen Raum. Im ländlichen Raum findet ein Großteil der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes statt. Im ländlichen Raum ist ein großer Teil der neuen Arbeitsplätze aufgebaut worden, weil dort der Mittelstand stark vertreten ist. Deswegen ist es richtig, dass wir den Mittelstand fördern.
Aber Mittelstandsförderung findet nicht nur über den Arbeitsmarkt, über die Unternehmensteuer und über die Erbschaftsteuer - das sind alles wichtige Punkte - statt, sondern Mittelstandsförderung findet natürlich auch über Entwicklungsmöglichkeiten statt.
Wir sind für Umweltschutz. Wir sind für Naturschutz. Wir haben deshalb natürlich die FFH-Richtlinie - die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie - umgesetzt. Aber wir brauchen in unseren ländlichen Räumen auch Entwicklungschancen. Es darf nicht nur die Ballungsgebiete geben. Nicht nur diese dürfen immer fetter werden. Wir brauchen die ländlichen Räume. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn der europäische Vertrag schon voll in Kraft wäre, müssten wir eine Subsidiaritätskontrolle mit Subsidiaritätsklage hinsichtlich der sogenannten Bodenschutzrichtlinie erreichen. Mit der Bodenschutzrichtlinie, die Europa plant, geht Europa ganz klar über seine Möglichkeiten hinaus. Deswegen bitten wir die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass dies nicht geschieht. Das ist nicht die Aufgabe Europas. Das ist eine nationale Aufgabe.
Wir haben das Ziel, die Wirtschaft zu stärken, um Chancen für die Menschen zu schaffen. Daneben wollen wir natürlich auch, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und der Zusammenhalt der Generationen erhalten bleiben. Für die junge Generation haben wir Möglichkeiten geschaffen, eine Altersvorsorge aufzubauen. Aber wir kümmern uns auch um die ältere Generation.
Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es in der Pflegeversicherung neue Möglichkeiten gibt, beispielsweise für eine Gruppe von Menschen, die für die Familien eine große Herausforderung bedeuten, nämlich für die Demenzkranken; auch sie erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung. Wir haben die Leistungen für diejenigen verbessert, die zu Hause ambulant betreuen und pflegen. Aber selbst wenn die Ergebnisse, wie die Studien zeigen, in der letzten Zeit besser geworden sind, kann es uns nicht ruhen lassen, wenn auch heute noch jeder dritte oder vierte ältere Mensch in den Pflegeheimen nicht sachgerecht gepflegt wird. Das dürfen wir nicht zulassen.
Deswegen, Frau Schmidt, bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn Sie sagen, dass wir auf diesem Gebiet zu mehr Kontrollen kommen müssen.
Eines zeigt die Wirklichkeit aber auch: Allein mit Bürokratie, mit Überprüfungen, mit Pflichten zur Dokumentation sind wir nicht weitergekommen. Es reicht nicht, Dokumentationen zu überprüfen; vielmehr müssen wir auf die Menschen schauen. Das muss das Ergebnis der Überprüfungen in der Pflege sein.
Bei einem wichtigen Thema, das sowohl unter dem Gesichtspunkt der Förderung von Arbeit und Chancen als auch unter dem des Zusammenhalts von Menschen, von Generationen bedeutsam ist, haben wir miteinander einen wichtigen Schritt getan, nämlich in der Familienpolitik. In diesem Bereich hat die Große Koalition einen großen Schritt getan, indem sie gesagt hat: Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf maßgeblich fördern.
Natürlich sehen wir, dass bei der Ganztagsbetreuung von Kindern unter drei Jahren ein erheblicher Bedarf besteht. Unabhängig davon, ob der Bund zuständig ist oder nicht, war es eine Notwendigkeit und daher richtig, zu sagen: Jawohl, wir machen da etwas. - Wir erwarten jetzt von Ländern und Kommunen, dass sie ebenfalls sehr schnell ihren Beitrag zusagen, damit der Aufbau stattfinden kann.
Diese Betreuung ist wichtig. Wir stehen für Wahlfreiheit. Wir wollen nicht, dass der Staat Familien vorschreibt, wie sie zu leben haben. Weil wir Wahlfreiheit wollen, wollen wir jetzt, dass die Ganztagsbetreuung aufgebaut wird. Aber ich sage auch in aller Klarheit: Die große Mehrzahl der Familien erzieht und betreut ihre Kleinkinder zu Hause, und auch dies hat unseren ganzen Respekt verdient.
Wenn wir über den Zusammenhalt der Gesellschaft sprechen, lieber Kollege Struck, so gehört dazu auch, dass wir nicht zulassen, dass Rechtsextremismus unsere Gesellschaft durcheinandertreibt. So sehr ich dafür Verständnis habe, dass man über ein NPD-Verbot reden kann, so kann ich nur empfehlen, weniger darüber zu reden, aber intern zu prüfen, wie groß die Erfolgschancen sind. Ein zweites Debakel vor dem Bundesverfassungsgericht wäre eine Katastrophe. Deswegen sind vorschnelle Diskussionen, dass man dies betreiben müsse, mit mir nicht zu machen. Erst muss man prüfen und sich vergewissern, ob es geht, um es dann zu tun, aber man darf nicht leichthin ?man sollte“ sagen. Das ist in dieser Situation einfach brandgefährlich.
Zum Thema Afghanistan ist von der Bundeskanzlerin eigentlich alles gesagt worden. Wir stehen zu den drei Mandaten, weil wir wissen, dass sie notwendig sind, weil wir in der Union gelernt haben, dass Menschenrechte nicht teilbar sind, Herr Lafontaine. Jeder weiß, was passieren würde, wenn wir uns aus Afghanistan zurückzögen. Wir haben noch Bilder aus Vietnam in unseren Köpfen und davon, was dort alles passiert ist. Das haben die Menschen nicht verdient. Was heute hier über die Frauen und Mädchen in den Schulen gesagt worden ist, stimmt alles. Deswegen werden wir als eine Partei, die für Menschenrechte eintritt, in unserem Engagement nicht nachlassen. Wenn es darum geht, Menschenrechte zu verteidigen, dann darf uns Afghanistan nicht egal sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dazu gehört natürlich auch die Bekämpfung des Terrors. Darin sind wir uns einig. Terrorbekämpfung findet auch in Afghanistan statt. Der Terror ist aber mittlerweile bei uns in Deutschland angekommen. Wolfgang Schäuble hat es immer wieder formuliert. Wir haben deshalb aus gutem Grund neue Kompetenzen bei der Terrorbekämpfung auf den Bund übertragen. Dazu muss jetzt ein BKA-Gesetz gemacht werden. Das Bundeskriminalamt muss die zur Terrorbekämpfung notwendigen Instrumente an die Hand bekommen. Dazu gehört nach meiner Auffassung und der meiner Fraktion auch die Onlinedurchsuchung in einem ganz klaren rechtlichen Rahmen: Ohne Richter geht nichts, aber mit Richter muss die Onlinedurchsuchung auch in eng begrenzten Fällen möglich sein.
Herr Kollege Struck, wir haben uns gestern nicht einigen können. Wir bleiben aber im Gespräch.
Die Große Koalition muss auf die wirklich dramatische Sicherheitslage die richtige Antwort finden, damit die Menschen wissen: Sie können sich auf uns auch in dieser schwierigen Situation verlassen. Deswegen rate ich dringend dazu, dass wir als Gesetzgeber - auf uns kommt es ja an - nicht ein schlecht gemachtes Gesetz in einem Bundesland zur Benchmark unserer Entscheidungen machen und nicht sagen: Wir warten einmal darauf, bis in Karlsruhe etwas geschieht. - Nicht Karlsruhe trägt die Verantwortung für die innere Sicherheit, sondern der Deutsche Bundestag und insbesondere diese Große Koalition. Ich hoffe, dass wir hier sehr bald zu Ergebnissen kommen können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Große Koalition hat ein schweres Stück Arbeit hinter sich, vor allem, wenn man bedenkt, dass es in den Jahren 2005 und 2006 gar nicht so einfach war, zusammenzufinden. Ich meine, dass wir eine wirklich gute Arbeit gemacht haben. Die in den vergangenen zwei Jahren erzielten Ergebnisse sollten und müssen Grundlage für das, was jetzt kommt, sein. Da haben wir noch einiges Schwere vor uns. Es wird sich zeigen müssen, ob wir das miteinander hinbekommen. Ich bin überzeugt, Peter Struck, dass wir das miteinander hinbekommen, Opposition hin oder her. Auf die Opposition kommt es bei der Lösung der Probleme jetzt nämlich nicht an, sondern auf uns kommt es an: bei der Erbschaftsteuer und vielen anderen Fragen, die anstehen.
Ich sage deshalb an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und an die Menschen in unserem Land draußen an den Bildschirmen gerichtet: Diese Große Koalition denkt in erster Linie daran, was wir tun können, um das Land voranzubringen und den Menschen zu helfen, und blickt nur aus einem ganz kleinen Augenwinkel auf das Jahr 2009. Jetzt geht es darum, zu handeln und das Land voranzubringen. Man kann sich darauf verlassen: Diese Große Koalition unter der Führung von Angela Merkel - den SPD-Teil der Regierung möchte ich natürlich nicht verschweigen - hat Kraft genug, dieses Land weiter auf Erfolgskurs zu führen - im Interesse der Menschen in unserem Land.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So wie Herr Kollege Kauder Bilanz gezogen hat über die ersten zwei Jahre dieser Regierung - wir werden sehen, wie viele denen noch folgen werden; jedenfalls ist klar, dass mindestens die Hälfte der größten anzunehmenden Amtszeit dieser Koalition herum ist -, so wollen auch wir Bilanz ziehen. Ich möchte mit dem beginnen, was uns in diesem Hause verbindet.
Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Sie haben in diesen ersten zwei Jahren wirklich große außenpolitische Herausforderungen meistern müssen. Das waren in diesem Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft. Wir möchten ausdrücklich anerkennen, dass die Regierung Merkel/Steinmeier in der Außen- und Europapolitik klug und überzeugend gearbeitet hat. Wir sind froh darüber, dass diese Regierung auch Irrtümer der früheren rot-grünen Regierung korrigiert hat. Wir begrüßen, dass sie das transatlantische Verhältnis wieder ins Lot gebracht hat. Wir finden es richtig, dass diese Regierung, anders als die Regierung Schröder/Fischer, beim Thema Menschenrechte, übrigens auch in Moskau, wieder den aufrechten Gang pflegt. Wir erkennen das an.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden uns darüber einig sein, dass damit die außenpolitischen Aufgaben dieser Regierung und, sofern es um Sicherheitsfragen geht, des Deutschen Bundestages nicht abschließend behandelt sind. Wir haben noch außenpolitische Aufgaben vor uns. Ich will zwei Bemerkungen machen und dann etwas Grundsätzlicheres sagen.
Wir wissen, dass in Deutschland immer noch, gewissermaßen als Überbleibsel des Kalten Krieges, amerikanische atomare Waffen stationiert sind. Wir fordern auch von dieser Stelle aus die Regierung auf, in Gesprächen mit unseren Verbündeten auf den vollständigen Abzug dieser atomaren Waffen hinzuarbeiten.
Diese Atomwaffen könnten von ihrer Reichweite her nur unsere unmittelbaren Nachbarn, die mit uns in einer Europäischen Union verbunden sind, treffen. Es ist höchste Zeit, dass diese Waffen abgezogen werden.
Schließlich ist es aus unserer Sicht nach wie vor erforderlich, dass Sie fortsetzen, was Sie begonnen haben: Die Raketenstationierungspläne im Rahmen der sogenannten Raketenabwehr in Tschechien und Polen dürfen nicht nur als Angelegenheit der NATO, insbesondere nicht nur als Angelegenheit von Prag, Warschau und Washington, behandelt werden, sondern müssen als gesamteuropäisches Anliegen angegangen werden. Wir Europäer haben kein Interesse daran, dass auf dem europäischen Kontinent, gewissermaßen vor der Haustür Deutschlands, ein neuer Rüstungswettlauf beginnt.
Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu dem Afghanistan-Einsatz sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sehr klare Worte gefunden. Man hat spüren können, dass diese Worte in Wahrheit nicht an die Opposition gerichtet waren; bei dieser Frage gibt es, jedenfalls in weiten Teilen, eine große Übereinstimmung in diesem Hause. Sie haben Ihr klares Bekenntnis zur Fortsetzung des militärischen Engagements in Afghanistan in Wahrheit vor allen Dingen an die eigenen Reihen gerichtet, an die Damen und Herren der Unions- und der SPD-Fraktion, insbesondere der SPD-Fraktion. Wir hatten ursprünglich vor, in der Frage der Afghanistan-Politik im Oktober im Rahmen einer großen Debatte hier über alle drei Mandate zu entscheiden. Es ist ein trauriges Ergebnis, dass, weil die SPD sich selbst nicht einig ist, bei einer so fundamentalen Frage unserer nationalen Sicherheit jetzt ein zerstrittener SPD-Parteitag abgewartet werden muss, bevor dieses Hohe Haus entscheiden kann. Führungskunst sieht anders aus.
- Sie rufen, das sei Demokratie. Aber dieser Deutsche Bundestag hat kein imperatives Mandat. In Fragen unseres Friedens und unserer Sicherheit, in Fragen des Afghanistan-Einsatzes erfüllen Sie bitte nicht, quasi als ausführendes Organ, das, was Parteitage beschließen! Sie sind Ihrem Gewissen verpflichtet, wenn es in diesem Hohen Hause um Krieg und Frieden geht, und nichts anderes steht hier zur Abstimmung.
Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass wir als FDP-Fraktion nahezu geschlossen - es wird immer abweichende Meinungen geben; das wirft ja auch niemand irgendjemandem vor
- natürlich nicht; aber es ist notwendig, dass wir zu einer Entscheidung kommen - unterstützen, dass das Engagement, auch Deutschlands, in Afghanistan fortgesetzt wird.
Man liest gelegentlich, nichts sei gewonnen, nichts sei gelungen, alles sei verloren. Herr Kollege Kauder, Ihr Vergleich mit Vietnam, den Sie soeben gezogen haben, ist in meinen Augen sehr unzutreffend. Denn im Falle Vietnams ging es um eine Konfrontation von Blöcken. Hier geht es darum, dass eine friedliche Völkergemeinschaft gemeinsam den Terrorismus besiegen will. Das ist ein fundamentaler Unterschied; der historische Vergleich passt in keiner Weise.
Umgekehrt muss denjenigen, die schreiben, es sei nichts gewonnen, von dieser Stelle aus noch einmal gesagt werden: In Afghanistan werden keine Menschen mehr aufgehängt, weil sie Fußball spielen. Frauen werden nicht mehr unterdrückt. Frauen, die vergewaltigt worden sind, werden nicht mehr gesteinigt, nach dem Motto: selber schuld. Die Menschen werden nicht mehr an Kränen hochgezogen, möglichst langsam, damit der Weg zum Tod besonders qualvoll ist.
Das sind in Wahrheit die Bilder und die Dinge, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Wer heute behauptet, in Afghanistan sei nichts gewonnen, alles sei verloren, der vergisst, wie viele menschliche Schicksale unter den Taliban grausam zu Ende gekommen sind.
Deswegen bleiben wir dabei: Das ist ein humanitärer Auftrag der Menschlichkeit, der hier notwendig ist; er muss militärisch geschützt werden. Kein Entwicklungshelfer könnte in Afghanistan wirken und arbeiten, wenn es nicht den Schutz der Soldaten gäbe. Sie alle wären längst umgebracht worden; das gilt gerade für die westlichen Entwicklungshelfer.
In diesem Zusammenhang sage ich aber eines ganz klar - Herr Verteidigungsminister, ich halte es für notwendig, dass Sie das in Ihren Gesprächen ausdrücklich zum Thema machen -: Wir verbitten uns die wiederholten öffentlichen Belehrungen des NATO-Generalsekretärs. Der Deutsche Bundestag ist nicht ausführendes Organ des Generalsekretärs der NATO. Es ist ja wohl noch so, dass er ein Angestellter der NATO ist und wir nicht seine Befehlsempfänger sind.
Das muss klar zum Ausdruck gebracht werden.
Frau Bundeskanzlerin, so wie die Regierung in der Außen- und Europapolitik eine überwiegend erfolgreiche Bilanz vorweisen kann, so ist es erstaunlich, dass Sie sich in der Innenpolitik von dem, was Sie einmal in Ihrer ersten Regierungserklärung als Motto Ihrer Regierungsarbeit ausgegeben haben, vollständig verabschiedet haben. Die erste Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Hohen Hause hatte die Überschrift: Mehr Freiheit wagen. Zwei Jahre später stehen Sie zur Bilanz an diesem Pult, und das Motto ?Mehr Freiheit wagen“ kommt nicht einmal mehr als rhetorische Floskel bei Ihnen vor, geschweige denn, es würde mit Inhalt gefüllt.
Das ist aus unserer Sicht ein Kardinalfehler dieser Regierung.
Beide Koalitionsfraktionen haben sich in Wahrheit von dem verabschiedet, was ihnen mittlerweile peinlich ist. Die SPD verabschiedet sich unter Schmerzen und lautem Getöse von der Agenda 2010. Die Union verabschiedet sich von den Beschlüssen ihres Leipziger Reformparteitages, leise, aber leider auch konsequent. Beides sind historische Fehler.
Man kann noch verstehen, dass Sie sagen, der Aufschwung in Deutschland komme von Ihrer Politik; wenn Sie das ernsthaft glauben, dann hat Deutschland wirklich ein Problem.
Ihre ganzen guten Zahlen sind das Ergebnis einer fabelhaften weltwirtschaftlichen Entwicklung. Statt sich mit fremden Federn zu schmücken, müsste sich Deutschland die Frage stellen: Wie kann es eigentlich sein, dass die Weltwirtschaft seit vier Jahren wächst und der Aufschwung erst jetzt in Deutschland ankommt?
Die Zeitverzögerung zeigt uns doch, dass wir strukturell immer noch nicht richtig aufgestellt sind.
Sie haben hier die Erfolgsbilanz vorgetragen. Sie haben in Ihrer Rede ausdrücklich gesagt: Erst einmal war es die Regierung, dann waren es die arbeitenden Menschen. Das ist eine interessante Reihenfolge. Die Art, wie Sie das hier vortragen, zeugt von einem interessanten Selbstverständnis. Der entscheidende Punkt ist: Sie sagen, das sei Ihr Aufschwung.
Ich persönlich habe da ein Déjà-vu: Bundeskanzler Schröder 1999/2000. Das war genau dasselbe. Heute streiten Sie sich darüber, ob es ein Schröder-Aufschwung oder ein Merkel-Aufschwung ist. Damals war Herr Schröder frisch im Amt, und schon war es sein Aufschwung. Das ist besonders gefährlich, gerade in einer heiklen weltwirtschaftlichen Situation; wenn das nämlich Ihr Aufschwung ist, Frau Merkel, dann ist der nächste Abschwung auch Ihr Abschwung. Der nächste Abschwung kommt bestimmt. Es wäre besser, wir würden jetzt strukturelle Reformen durchsetzen, damit uns der nächste Abschwung nicht doppelt hart trifft.
Wir sind immer noch nicht gut aufgestellt. Wir sind aus der konjunkturellen Krise heraus; aus der strukturellen Krise sind wir es noch lange nicht.
Sie haben nicht mehr Freiheit gewagt. Vielmehr haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Bundesregierung in Wahrheit mehr Unfreiheit über die Menschen gebracht, und zwar schon allein, was das persönliche Verfügen der Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkommen angeht. Sie verantworten die größte Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik. Noch keine Regierung vorher hat eine so hohe Steuererhöhung beschlossen: Mehrwertsteuer, Versicherungsteuer, Pendlerpauschale, Sparerfreibetrag, Eigenheimzulage und vieles mehr.
Durch Ihre Politik steigen die Rentenbeiträge, die Beiträge zur Krankenversicherung und die Beiträge zur Pflegeversicherung. Mit anderen Worten: Eine vierköpfige Familie in Deutschland wird in diesem Jahr im Durchschnitt um 1 400 Euro mehr belastet als im Jahr zuvor.
Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Deutschen das Gefühl hat, der Aufschwung gehe an ihnen vorbei. Sie müssen endlich einmal diejenigen entlasten, die dieses Land tragen, die den Karren ziehen. Sie reden über Heuschrecken und über Unterschichten. Aber denken Sie doch einmal an die Mitte dieses Landes, die als Leistungsträger überhaupt erst dafür sorgt, dass dieser ganze Wohlstand einschließlich der sozialen Gerechtigkeit erwirtschaftet werden kann. Auch diese Menschen müssen einmal etwas vom Aufschwung haben.
Herr Kollege Lafontaine, intellektuell hat Ihre Rede - das muss Ihnen jetzt nicht peinlich sein - mit den Reden der Damen und Herren der Regierungsfraktionen eines gemeinsam: Sie alle setzen soziale Gerechtigkeit mit staatlicher Umverteilung gleich. Für Sie wächst die soziale Gerechtigkeit eines Landes, wenn die Umverteilung durch den Staat wächst.
Deswegen sieht der Haushalt auch so aus. Noch niemals in der Geschichte hat es einen Haushalt mit derart hohen Steuereinnahmen gegeben. Übrigens wird immer mehr in den Sozialstaat hineingezahlt, obgleich die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Trotzdem kommt bei den tatsächlich Bedürftigen weniger an. Dass die Kinderarmut wächst, obwohl die Ausgaben für den Sozialstaat steigen, zeigt doch eines: Soziale Gerechtigkeit hängt vor allen Dingen von der Treffsicherheit der Maßnahmen und nicht von dem Umverteilungsquotienten in dieser Republik ab.
Herr Kollege Lafontaine, ich kann verstehen, dass Sie dem nicht zustimmen wollen. Es würde mich andererseits auch einigermaßen schockieren. Wenn Sie die Frage stellen: ?Wer ist Deutschland?“, so rufe ich Ihnen zu: Auch Sie, Herr Lafontaine, sind Deutschland.
Das ist manchmal schwierig, aber auch Sie sind Deutschland. - Übrigens nicht Kuba, Herr Lafontaine. Kuba ist es nicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben eben nicht mehr Freiheit gewagt, wenn es um die Lebenslage unserer Bürgerinnen und Bürger geht. Sie haben die Steuern erhöht, die Beiträge steigen, und das nennen Sie Reform. Da ist es kein Wunder, dass das Wort Reform allmählich zu einem Angstbegriff in der Bevölkerung wird.
Mehr Freiheit wagen bedeutet aber zu Beginn dieser mutmaßlich zweiten Hälfte der Legislaturperiode leider auch eine erhebliche Diskussion über den Abbau von Bürgerrechten in Deutschland. Onlinedurchsuchungen von privaten Computern, bis hin zu der Tatsache, dass der Bundesinnenminister öffentlich über die Unschuldsvermutung diskutiert, das öffentliche Erörtern des Tötens auf Verdacht, all das hat in diesen Monaten stattgefunden. Von einem Verfassungsminister erwarten wir etwas anderes.
Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen - denn auch Sie haben den Protest in Ihren eigenen Reihen gehört -, es gebe keine Denkverbote, so ist das in meinen Augen ein seltsames Amtsverständnis. Sie tun so, als ob der Innenminister ein Philosoph wäre, der ein paar Steine ins Wasser werfen könnte, und anschließend darf er sich an den Wellen ergötzen. Von einem Innenminister erwarten wir, dass er Freiheit und Sicherheit sieht. Man kann die Freiheit der Bürger nicht schützen, indem man sie aufgibt, meine Damen und Herren. Das ist ein kardinales Missverständnis, das bei Ihnen vorherrscht.
Wir haben einen dramatischen Abbau von Bürgerrechten zu verzeichnen. Mich wundert, dass das in dieser Debatte überhaupt kein Thema mehr ist. Stichwort gläserner Bankkunde: Das Bankgeheimnis ist faktisch aufgehoben; man muss es so sagen. Wir erleben, dass der gläserne Patient vorbereitet wird. Die Datenschützer haben sich eindeutig geäußert. Jetzt gibt es auch noch den gläsernen Steuerbürger. Früher hieß es: Von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare. Wenn das, was Sie beschlossen haben, Realität wird, dass nämlich die Daten des Steuerzahlers auch noch 20 Jahre nach dem Tod gespeichert werden sollen, dann heißt es: Von der Wiege bis zur Bahre plus 20 Jahre Formulare, Formulare. Das ist es, worüber wir reden. All das ist nicht ?mehr Freiheit wagen“. Das ist in Wahrheit mehr Unfreiheit. Unter Freiheit verstehen wir nicht die Freiheit von Politikern, hier ihren Lieblingsprojekten nachgehen zu können. Unter Freiheit verstehen wir die real existierende Freiheit der Bürgerinnen und Bürger, und zwar einschließlich der sozialen Freiheit vor Not. Aus unserer Sicht ist das völlig klar.
Mehr Freiheit wagen müsste heute bedeuten, Forschung und neue Technologien zu unterstützen. Darauf gehen Sie aber gar nicht mehr ein. Das ist für eine Naturwissenschaftlerin erstaunlich. Ich weiß ja, dass Sie das anders sehen. Aber so, wie Sie beim Thema Afghanistan mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten, könnten Sie doch auch einmal beim Thema neue Technologien die Meinungsführerschaft übernehmen. Gerade als Naturwissenschaftlerin könnten Sie etwas mehr den Verstand einschalten.
Die Bio- und Gentechnologie werden weiter abgewickelt. Das Gentechnikgesetz könnte genauso gut von Frau Künast geschrieben worden sein. Es steht jetzt nur Seehofer darunter.
Es hat sich substanziell nichts geändert.
Das wollte ich zu den neuen Technologien sagen. Ich kann diesen Bereich leider nur streifen. Auch Sie kennen das Problem mit der kurzen Redezeit.
Wir bedauern, dass bei der Kernkraft in Wahrheit Stellvertreterdiskussionen stattfinden. Ich möchte einmal zitieren, was der alte Bundeswirtschaftsminister - so alt ist er noch gar nicht; jedenfalls ist er sehr jung im Kopf -, Wolfgang Clement, in diesem Monat geschrieben hat:
Dessen ungeachtet betreibt die Bundesregierung, namentlich der Umweltminister, einen in Europa einmaligen Kreuzzug gegen die heimischen Energieunternehmen und eine beispiellose Verteufelungskampagne gegen die Nutzung der Kernenergie.
Er fügte übrigens hinzu:
Die gelernte Physikerin im Kanzleramt jedenfalls lässt die Dinge ... treiben.
Präsident Putin hat in Australien Uranverträge abgeschlossen und kündigt an, er baut zu Hause 30 neue Kernkraftwerke. China will bis zum Jahre 2020 jedes Jahr ein Kernkraftwerk bauen. Frankreich fordert uns auf, endlich von unserem Ausstiegskurs Abschied zu nehmen, weil es dem Klimaschutz dient. Wenn man sich diese Tatsachen vor Augen führt, dann ist es schlichtweg Geisterfahrerei, dass Sie nur noch eines in der Energiepolitik im Schilde führen, nämlich diese Erfolgstechnologie in Deutschland abzuwickeln. Wir brauchen beides: regenerative Energien - ja, dafür sind wir - und die friedliche Nutzung der Kernenergie, auf die wir im Interesse des Umweltschutzes und der Wirtschaft nicht verzichten können.
Schließlich geht es um die Frage, ob wir in Deutschland denn wirklich die Kurve gekriegt haben oder ob wir sie noch kriegen müssen. Sie sprechen von der Transparenz der Finanzmärkte; es ist vernünftig, dass Sie dieses Thema ansprechen. Sie sollten aber nicht so tun, als sei es damit getan, ein paar Regeln vorzuschlagen, und das Thema sei damit auf internationaler Ebene erledigt. Das ist unsachlich. Wenn Sie zu Recht anmahnen, dass die internationalen Finanzmärkte im Sinne von größerer Transparenz kontrolliert werden müssen - es wird Sie wundern, aber Sie hätten uns auf Ihrer Seite -, dann sage ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie dort anfangen müssen, wo Ihre eigene Regierung etwas zu sagen hat, nämlich bei den Staatsbanken, die im Augenblick auf den Finanzmärkten ein heilloses Durcheinander zulasten des deutschen Mittelstandes anrichten.
KfW, IKB und Sachsen LB sind die Stichworte, die Sie alle kennen. Wer über Finanztransparenz spricht, sollte also erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Da, wo Sie Macht haben, müssen Sie sie einsetzen. Das tut der Finanzminister bedauerlicherweise nicht.
Man kann festhalten, dass Sie in diesem Bundeshaushalt im Grunde genommen eine weitere Umverteilungspolitik beschließen. Sie steigern die Einnahmen über höhere Steuern und machen trotzdem noch Schulden. Das widerlegt übrigens auch Ihre These, es sei eine solide Finanzpolitik. Die junge Generation kann sich nur grausen, wenn sie sieht, dass die Steuern steigen und trotzdem noch mehr Schulden gemacht werden. Der Finanzminister sagt, er gibt uns einen aus, wenn es schon im Jahr 2010 einen ausgeglichenen Haushalt gibt. Er sagt das nur, weil er weiß, dass er dann nicht mehr Finanzminister ist.
Wir wollen es umgekehrt machen: Herr Steinbrück, wir geben Ihnen einen aus, wenn Sie es in dieser Legislaturperiode noch angehen, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Mit etwas mehr Ehrgeiz könnten Sie es schaffen.
Sie schaffen es aber nicht, weil die Devise dieser Regierung lautet: Bekommt ein schwarzer Minister mehr Geld, muss auch ein roter Minister mehr Geld bekommen. Das genau ist der Grund, warum es in Deutschland falsch läuft. Die Zeche zahlen die Bürger, weil die Steuern steigen. Der Staat hat nicht zu wenig Geld, er hat genug Geld. Er verplempert es aber in Bereichen, aus denen er sich besser raushalten sollte. Das ist das eigentliche Problem in diesem Lande.
Das haben wir alles schon einmal gehabt: Hans im Glück! Peer im Glück! Wir wissen, wie es kam: Die UMTS-Lizenzen wurden versteigert, und 100 Milliarden Mark kamen rein. Die Strukturen wurden aber nicht verändert, und ein Jahr später hatten wir 5 Millionen Arbeitslose und die Staatsfinanzen waren völlig kaputt. Man müsste jetzt die gute Chance nutzen, jetzt die gute Konjunktur nutzen, um die für Deutschland wichtigen Hausaufgaben zu erledigen, damit wir, wenn es schlechter läuft, vorgesorgt haben, damit auch dann noch die Staatsfinanzen stimmen, damit auch dann noch Arbeitsplätze geschaffen werden, damit auch dann noch investiert wird.
Deswegen ist Ihr Beitrag zur Diskussion über die Erbschaftsteuer nur als rückwärtsgewandt zu bezeichnen. Österreich, Frankreich, alle zeigen uns, wie es geht. Sie schaffen die Erbschaftsteuer faktisch ab, und wir haben nicht einmal den Mut, die Verantwortung für die Erbschaftsteuer denen zu übertragen, die die Steuereinnahmen erhalten, nämlich den Ländern. Wo ist eigentlich Ihr föderales Bewusstsein, Männer und Frauen des Deutschen Bundestages?
Sie sagen: 2011 ausgeglichener Haushalt. Es gibt eine einfache Regel: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Denn wer weiß, wie die Konjunktur im Jahr 2011 aussehen wird? Das ist zwar alles wohlfeil, aus unserer Sicht ist die Richtung aber falsch.
Es ist schon verrückt, wofür diese Regierung Geld hat. Wir geben China und Indien Entwicklungshilfe, nennen es nur nicht mehr so. Syrien - ausgerechnet Syrien - werden auf der Reise der Entwicklungshilfeministerin mal eben 44 Millionen Euro zugesagt. Die Steinkohlesubventionen steigen, werden nicht etwa abgebaut. Die Subventionen insgesamt steigen. Denken Sie an die Wirtschaftszuwendungen! Auch sie werden nicht abgebaut. Der allergrößte Hammer ist, dass Sie sogar bei den Investitionen Ihren Aufgaben nicht nachkommen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine schwarz-rote Regierung für Investitionen in den Straßenbau weniger ausgibt als eine rot-grüne zum Schluss ihrer Amtszeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Westerwelle, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Sofort.
Dagegen geben Sie viel Geld für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aus. Das ist wohl wahr. Da steigern Sie die Ausgaben. Allein im Auswärtigen Amt steigt die Zahl der Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von 45 auf 113. Und da rätselt die Presse noch, wer Kanzlerkandidat wird. Sie brauchen sich doch nur den Haushalt anzusehen. Sie müssen nur schauen, wo Pressesprecher eingestellt werden, dann wissen Sie schon Bescheid. Fragen Sie mich doch! Ich sage es Ihnen doch.
Auch der Kollege Struck hat gesagt, dass es darum geht, ab 2009 einen sozialdemokratischen Kanzler zu haben.
Ab sofort wartet Deutschland nur noch gespannt auf die Antwort auf die Frage: Wer soll es denn werden?
Wir würden es an dieser Stelle gerne einmal hören. Dann können wir weiterreden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Westerwelle!
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Ein letzter Satz, bitte, Herr Präsident.
Es ist, wie es immer ist.
Das Erstaunliche aber ist, dass es bei Ihnen schon nach zwei Jahren so ist. Die Große Koalition ist zwar eine Zwangsehe, aber schon nach zwei Jahren geht es SPD und Union in dieser Regierung wie einem alten Ehepaar: Sie werden sich immer ähnlicher. Es ist ihnen Gott sei Dank noch peinlich.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD-Fraktion.
Olaf Scholz (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Es ist heute schon mehrfach über die Frage gesprochen worden, wie wir mit rechtsextremistischen Entwicklungen in diesem Lande umgehen und was wir gegen das Wirken der NPD tun können, dagegen, dass eine Partei mit öffentlichen Geldern rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten kann und die Organisationsstrukturen für rechtsextremistische Tätigkeiten liefert. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat heute gesagt, was uns alle gemeinsam bewegt: Wir müssen eine gute Untersuchung haben. Die Ämter für Verfassungsschutz in den Ländern und das Bundesamt sollen in den nächsten sechs Monaten einen Bericht vorlegen, aus dem wir ersehen können, was für verfassungswidrige und verfassungsfeindliche Aktivitäten die NPD betreibt, ohne dass auf nachrichtendienstliche Quellen zurückgegriffen werden muss. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat gesagt, das könne er sich gut vorstellen. Ich bin dafür, dass wir schnell zu einer Vereinbarung über ein solches Vorgehen der Innenminister in Bund und Ländern kommen.
Herr Westerwelle hat zum Thema Afghanistan angemerkt, dass hier ein gewisses Durcheinander herrsche. Das kann ich nicht wahrnehmen. Allerdings sind ein paar Informationen, die er als Ausgang seiner Bemerkungen genannt hat, falsch. Es handelt sich um die Information, dass wir alle hier uns verabredet hätten, im Herbst alle drei Mandate auf einmal zu verlängern. Ich war an einer solchen Verabredung nicht beteiligt. Ich kenne auch niemanden, der solch eine Verabredung getroffen hat. Es ist vielmehr umgekehrt. Wir haben gesagt: Dann, wenn diese Mandate auslaufen und ihre Verlängerung ansteht, soll auch darüber entschieden werden. Das ist genau der Weg, den man mit großer Besonnenheit für die Zukunft dieses Einsatzes gehen muss. Wir müssen alles dann entscheiden, wenn es an der Zeit ist, und nicht dann, wenn irgendjemand es auf den Terminplan setzt.
Große Debatten zu diesem Thema hat es übrigens auch außerhalb dieses Hauses gegeben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich sehr sorgfältig vorbereitet. Wir haben vor der Sommerpause in mehreren langen Sitzungen darüber diskutiert. Viele unserer Abgeordneten - und nicht nur diejenigen, die in den zuständigen Ausschüssen Mitglied sind - sind nach Afghanistan gefahren und haben sich dort ein eigenes Bild verschafft. Wir haben jetzt auch noch mit Vertretern der afghanischen Regierung diskutiert. Das war für uns alle sehr beeindruckend. Deshalb sind wir auf die Anträge der Bundesregierung gut vorbereitet. Wir sind auch sicher, dass es vernünftig ist, diesen Anträgen zuzustimmen. Das ist jedenfalls die Meinung der Führung der Fraktion der SPD und der Bundesregierung. Ich glaube, dass es auch so kommen wird, wenn die Entscheidungen jeweils anstehen.
Herr Westerwelle, es macht keinen Sinn, von Führungsunsicherheit zu sprechen, wenn man selber zum Beispiel in der Frage UNIFIL ein großes Durcheinander organisiert hat. Ich jedenfalls erinnere mich an eine Äußerung von Herrn Niebel, der gesagt hat, die FDP wolle dem Mandat zustimmen.
Dann erinnere ich mich an Aufrufe aus China von Herrn Hoyer, dass das alles so nicht gehen kann. Jetzt ist es wieder so, dass Sie sich diesem Mandat nicht unterstützend zur Seite stellen können. Das ist ein bisschen symptomatisch.
Denn es ist so: Einerseits wollen Sie zeigen, dass Sie eine vernünftige außenpolitische Linie haben. Andererseits suchen Sie kleine Punkte, bei denen Sie zeigen können, dass Sie auch anderer Meinung sind. Ich finde, das ist nicht führungsstark, sondern ein Durcheinander. Sie sollten das in Ordnung bringen.
Sanieren, Reformieren und Investieren und dabei die Lasten gerecht auf die Schultern verteilen - das ist das Motto des Koalitionsvertrages. Sanieren, Reformieren und Investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilen - das ist auch das Thema der Regierungstätigkeit der Sozialdemokraten seit 1998. Wenn im nächsten Jahr die Sozialdemokratische Partei die Regierung dieses Landes seit zehn Jahren getragen haben wird, wird man die große Konstanz der sozialdemokratischen Bemühungen feststellen. An der Stelle hat Herr Westerwelle recht: Was die Kanzlerin heute gesagt hat, hätte sie auf dem Leipziger Parteitag als CDU-Vorsitzende nicht gesagt; aber heute hat sie recht. Das finden wir Sozialdemokraten in Ordnung.
Sanierend, reformierend und investierend
ist es uns gelungen, unser Land wieder zukunftsfähig zu machen. Ich finde, dass man das feststellen darf und muss, auch wenn man gleichzeitig erkennen kann, dass ein großer Teil unserer Menschen von dieser besseren Entwicklung noch nichts mitbekommen hat. Es ist absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist gut. Aber es ist genauso absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist schlecht. Keinem, der eine solche Rede hält, kann man irgendetwas glauben. Kein Bürger und keine Bürgerin kann auf einen Politiker, der so ein undifferenziertes Zeug erzählt, setzen. Die große Zahl der Bürger wird das auch nicht tun.
Selbstverständlich ist es unsere gemeinsame Aufgabe, unsere Erfolge zu beschreiben, weil sie der Ansporn für die nächste Zeit sind, und gleichzeitig zu sagen, dass noch etwas zu tun ist, damit alle Menschen in diesem Lande am Aufschwung teilhaben können. Aufschwung für alle, auch das ist eine sozialdemokratische Forderung, die viele andere jetzt übernommen haben.
Meine Damen und Herren, zu unserer Tätigkeit seit 1998 gehört, dass wir die Haushalte strukturell konsolidiert haben und damit die Grundlage dafür geschaffen haben, dass der Staat seine Aufgaben im Interesse unseres Gemeinwesens auch in Zukunft erfüllen kann. Ich glaube, wir sollten bei dieser Haltung bleiben. Deshalb begrüße ich sehr, dass sich im Rahmen der Beratungen der Föderalismuskommission unter dem Stichwort Schuldenbremse offenbar ein Konsens abzeichnet.
Ich bin übrigens dafür, dass wir dieses Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen. Wenn wir einen geeigneten Weg finden, sollte der Beschluss, den wir dann fassen, auch für die nächste Legislaturperiode gelten. Denn das würde dazu führen, dass manche Pläne im Hinblick auf den nächsten Bundestagswahlkampf, über die schon jetzt berichtet wurde, gleich wieder in den Schredder wandern könnten.
All die Versprechungen von Steuersenkungen, die von dem einen oder anderen gemacht worden sind, passen nicht zur öffentlichen Debatte über die Einführung einer Schuldenbremse. Ich glaube, dass in manch einer Parteizentrale - das sage ich insbesondere mit Blick auf unseren Koalitionspartner - neue Pläne erarbeitet werden müssten, wenn wir im Rahmen der Föderalismusreform beschließen, eine Schuldenbremse einzuführen.
Die Bürgerinnen und Bürger würden dann allerdings einen fairen Wahlkampf erleben. Denn jeder von uns wüsste: Es erwischt ihn, wenn er den Mund zu voll nimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben die sozialen Sicherungssysteme saniert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Höhe der Einnahmen und die Höhe der Ausgaben wieder zusammenpassen und dass die Beitragssätze, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unternehmen gelten, zwar hoch sind - keine Frage -, aber doch so erträglich, dass sie bereit sind, bei diesen Schritten mitzumachen, und dass die Leistungen, die davon finanziert werden, so vernünftig sind, dass man sich auf den Sozialstaat in diesem Lande verlassen kann.
Wir haben - auch das gehört zu den Reformen - die Arbeitsvermittlung reformiert. Recht haben all die, die sagen: Deutschland hat vor allem deshalb ein Problem, weil es so viele Menschen gibt, die lange Zeit arbeitslos sind. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass wir es als unsere wichtigste Aufgabe ansehen, die Bundesagentur für Arbeit zur am besten funktionierenden öffentlichen Institution zu machen, die den Menschen zur Seite steht und ihnen durch die Arbeitsvermittlung hilft, dem Schicksal der Arbeitslosigkeit zu entrinnen.
Zur Politik, die seit 1998 gemacht wurde, gehört unter der Überschrift ?Sanieren, Reformieren, Investieren“ auch, dass wir die Betreuung der Kinder verbessert und den Ländern und Gemeinden beim Aufbau des Systems der Kinderbetreuung geholfen haben. Das ist die Grundlage für die Situation, in der wir uns heute befinden.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir dabei so vorgegangen sind, wie es auch Unternehmen, die in einer wirtschaftlichen Krise sind, tun. Ein Unternehmen, das in einer wirtschaftlich schwierigen Situation ist, muss saniert werden; es muss neu aufgestellt werden - auf unserem Feld heißt das, dass es Reformen geben muss -, und es muss in die Zukunft investieren, damit es auch dann gut funktioniert. Genau das haben wir in Bezug auf unser Land geschafft. Bei einem Unternehmen, das seine Sanierung erfolgreich bewältigt hat, spricht man davon, dass ein Turnaround stattgefunden hat. Ziel von Sanierungen, Neuaufstellungen und Investitionen ist die Umkehr ins Positive, von einer Situation des Abschwungs in eine Situation des Aufschwungs. Das ist auch uns gelungen. Heute können wir berichten: Der Turnaround ist geschafft.
Am wichtigsten ist der Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass noch mehr Menschen einen Arbeitsplatz finden. Es ist aber auch wichtig, dass der Sozialstaat wieder eine Zukunft hat. Die Menschen können sich auf die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung wieder verlassen.
Das hat übrigens auch politische Folgen - diesen politischen Turnaround vermag wahrscheinlich niemand so recht zu ermessen -: Plötzlich will die FDP neosozial sein.
Das wird schon irgendwie funktionieren. Unser Koalitionspartner möchte herausfinden, inwieweit ?konservativ“ und ?sozial“ zusammenpassen. Die Grünen bleiben ungefähr bei dem, was sie mit uns gemeinsam begonnen haben. Die sogenannte Linke sagt immer nur mehr, mehr, mehr.
Wenn man das aber alles zusammenfasst, stellt man fest: Es hat doch eine Änderung des Zeitgeistes gegeben. Während die Meinungsführer der Republik vor wenigen Jahren noch gesagt haben, der Sozialstaat habe keine Perspektive und man solle ihn abbauen, ist diese Meinung heute nicht mehr vorherrschend. Das ist ein Erfolg sozialdemokratischer Regierungspolitik.
Aber wir sind in einer schwierigen Phase. Politisch ist nämlich das, was wohl für jedes Unternehmen gilt, nicht so selbstverständlich. Während ein Manager, der für sein Unternehmen einen Sanierungsplan entwickelt und durchsetzt, vorher den Moment beschreiben muss, in dem der Turnaround gelingen soll, und nachher stolz über ihn berichten darf, ist ein Politiker, der einen Turnaround ankündigt oder als geschafft vermeldet, in der politischen Gefahr, ins Abseits zu geraten. Denn Reformer zu sein verkommt doch - wenn man die politische Szene beobachtet - bei dem einen oder anderen immer mehr zu einem Ritual, bei dem man sich so gibt, als fordere man eine scharfe Reform. Aber tatsächlich ist das doch völlig unvernünftig.
Wenn wir uns auf den Weg machen, auch mit schwierigen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat, auch der Sozialversicherungsstaat, wieder funktioniert, dann müssen und dürfen wir den Menschen auch sagen, dass der Tournaround gelungen ist und es jetzt um den Ausbau von Maßnahmen geht. Deshalb hat der Parteivorsitzende der SPD völlig recht, wenn er sagt, die Zeit der Zumutungen sei vorbei. Das eine gehört zum anderen und bildet damit eine Einheit. Wir Sozialdemokraten haben es zustande gebracht, dass wir jetzt wieder über den Ausbau von Maßnahmen und Investitionen in die Zukunft, die wir benötigen, diskutieren können.
Übrigens passt das Programm von Meseberg gut dazu. Deshalb macht es auch Sinn, dass wir in dieser Haushaltsdebatte noch ein paar Minuten darauf verwenden, das zu bedenken. Unserer Ansicht nach muss zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass Menschen, die hart arbeiten und wenig verdienen, nicht auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Wir brauchen weitere Branchen, die in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Nach der Bauwirtschaft und den Gebäudereinigern sollen das in diesem Herbst noch die Erbringer von Postdienstleistungen sein sowie alle diejenigen, die sich bis zum Frühjahr nächsten Jahres melden. Das wird Millionen Menschen, die es heute schwer haben, ein besseres Leben bescheren. Es ist eine vernünftige Politik, die wir in diesem Zusammenhang entwickeln.
Das gilt auch für die Mindestarbeitsbedingungen und den Erwerbstätigenzuschlag. Mit großer Freude habe ich festgestellt, dass diese Idee, die wir vorangebracht haben, nicht nur in Meseberg eine Rolle gespielt hat, sondern jetzt auch von unserem Koalitionspartner auf seiner Klausurtagung am Wochenende unter einem ähnlichen Namen für gut befunden wurde. Es wird also gelingen, weitere Fortschritte zu machen. Das ist nicht nur gut für die Parteien, sondern vor allem für die Menschen, um die es geht; sie haben es bitter nötig.
Wir investieren in die Zukunft, indem wir etwas für die Bildung tun. Darum wollen wir, dass die Menschen besser ausgebildet werden, sodass wir den Fachkräftemangel reduzieren können. Auch die Altbewerber wollen wir auf dem Berufsausbildungsmarkt besser unterstützen.
Ferner müssen wir etwas für die Kinder tun, indem wir denjenigen Eltern helfen, die ihre Kinder in einer Einrichtung unterbringen wollen, in der sie nicht einfach abgestellt werden, sondern beste Betreuung bekommen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 2013 ist ein großer politischer Fortschritt, der die Kultur des Zusammenlebens in unserem Lande wahrscheinlich mehr bewegen wird, als mancher sich angesichts dieser Formalie auszudenken vermag.
Es bedeutet, dass unser Land endlich zu den anderen Ländern Europas aufschließt, in denen es selbstverständlich ist, dass das, was die Eltern sich für ihre Kinder wünschen, zur Verfügung steht. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir das schaffen.
Wenn in dieser Großen Koalition vollendet werden kann, was wir 1998 begonnen haben, wäre das ein großer Themen- und Paradigmenwechsel in dieser Republik, der nicht alle Tage gelingt. Davon kann man als Erfolg berichten.
Schönen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Bundesregierung und natürlich die sie tragenden Fraktionen, können heute Bilanz ziehen. Es ist schon vielfältig angesprochen worden: Der Aufschwung in Deutschland hat sich verstetigt, es geht aufwärts in Deutschland. Damit werden die Zukunftschancen der Menschen natürlich besonders befördert.
Dies wird mit der Einbringung des Bundeshaushalts deutlich, mit dem wir unter dem Motto ?Sanieren, Reformieren, Investieren“ in den verschiedensten Bereichen die Grundlagen für ein zukunftsfähiges Deutschland legen.
Natürlich ist die Einbringung des Haushalts für die Oppositionsparteien Anlass, in einzelnen Bereichen Kritik zu üben. Doch ich wende mich dagegen, dass den Menschen Zerrbilder gezeichnet werden, wie es heute wieder die linken Oppositionsfraktionen getan haben, insbesondere die Fraktion Die Linke, vor allen Dingen im Bereich der Sozialpolitik. Aber auch die FDP hat, was die Wirtschaft angeht, ein Zerrbild gezeichnet: Der Aufschwung in Deutschland rührt nicht von einem weltwirtschaftlichen Aufschwung her, sondern daher, dass die Bundesregierung seit ihrem Antritt die Wachstumskräfte mit den verschiedensten Programmen gestärkt hat: mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm von Genshagen, durch verbesserte Abschreibungsbedingungen der Betriebe - Stichwort ?degressive Abschreibung“ -; durch die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und dergleichen mehr. Das hat zum Aufschwung in Deutschland beigetragen und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen in unserem Land.
Die Linke hat das kleingeredet, hat behauptet, wir hätten prekäre Arbeitsverhältnisse in Deutschland.
Sie hat kritisiert, dass wir 1-Euro-Jobs haben, dass wir Minijobs haben. Doch gerade wir als Union sind stolz darauf, dass wir die Möglichkeit der Minijobs geschaffen haben, weil diese für die Menschen in Deutschland eine Chance sind, wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden.
Wenn Sie alle diese Arbeitsplätze nicht haben wollen, dann berauben Sie die Menschen in Deutschland ihrer Chancen.
Jetzt, zwei Jahre nach Regierungsantritt, haben wir in einigen Bereichen einen Fachkräftemangel. Darüber hinaus gibt es an mancher Stelle sogar einen Arbeitskräftemangel: Erst letzten Freitag hat mich ein Unternehmer angerufen, er braucht für seinen Betrieb unbedingt Arbeitskräfte, und zwar für leichte Tätigkeiten wie das Einpacken von Osterhasen bzw. Nikoläusen. Er findet keine Arbeitskräfte. Gut, ich komme aus einer Region, in der die Arbeitslosigkeit bei 3,7 Prozent liegt - auch ein Erfolg dieser Bundesregierung. So ist die Lage sicherlich nicht in allen Gegenden. Ich wünsche aber allen in unserem Land, dass sich die Aufschwungskräfte so durchsetzen. Doch wenn, wie der Unternehmer berichtet hat, 31 Personen angeschrieben werden und sich 27 bei ihm überhaupt nicht melden, dann muss man darüber nachdenken, ob unsere Instrumentarien funktionieren.
Wir haben morgen Gelegenheit, uns darüber auszutauschen.
Ein Zweites: Wir werden in dieser Großen Koalition, die sehr erfolgreich arbeitet, in der es bei einzelnen Themen natürlich unterschiedliche Ansichten gibt, intensiv über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, über den Mindestlohn und über Gesetze, die die Arbeitsbedingungen umfassen, diskutieren. Ich bitte aber, auch hier die Scheuklappen abzunehmen und auf die Realität einzugehen. In Freyung in Niederbayern hatten wir im Winter 1984 eine Arbeitslosigkeit von 42 Prozent. Jetzt haben wir eine Arbeitslosigkeit von 6 Prozent. Niederbayern hätte - davon bin ich überzeugt -, wäre unter den damaligen Gegebenheiten der hohen Verdienste im Ruhrgebiet, in Westdeutschland, ein gesetzlicher Mindestlohn verordnet worden, den Aufstieg nicht so geschafft, wie wir ihn in der Zusammenarbeit mit den Menschen hier in Deutschland geschafft haben.
Auch dies muss uns zu denken geben. Bei allem, was wir zukünftig an gesetzlichen Initiativen ergreifen, muss gelten: Sie müssen den Menschen dienen und die Chancen der Menschen vermehren. Sicherlich werden wir die Änderungswünsche, die die Fraktionen noch in einzelnen Bereichen haben werden, in diesem Bundeshaushalt berücksichtigen.
Was die Familienpolitik angeht, wollen wir den Eltern in unserem Land Wahlfreiheit ermöglichen. Wir haben das Elterngeld eingeführt und sind auch für einen Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz. Notwendig ist aber gleichermaßen ein Betreuungsgeld für diejenigen, die keine staatlichen Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Dieser Bundeshaushalt bietet die Grundlage dafür, den starken Aufschwungkräften in Deutschland zukünftig wieder mehr Raum zu geben. Deshalb bitte ich alle in diesem Hause: Lassen Sie uns intensiv zusammenarbeiten, um die Zukunftsfähigkeit unseres schönen Landes zu stärken.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der SPD-Fraktion.
Klaas Hübner (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stimme meinem Vorredner ausdrücklich zu: Der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung hat auch etwas damit zu tun, dass wir - übrigens schon unter Gerhard Schröder - eine Reformpolitik eingeleitet haben, die erfolgreich war. Ich bin froh, dass wir auch in der Großen Koalition das, was wir unter Rot-Grün begonnen und als Agenda 2010 bezeichnet haben, konsequent fortsetzen.
Wahr ist auch, dass der Aufschwung nicht allein durch die Politik bewirkt wurde. Wir wissen durchaus, dass die Unternehmen und insbesondere die Arbeitnehmer einen starken Beitrag dazu geleistet haben. Die Unternehmen haben sich in der Zeit der Stagnation so gut aufgestellt und so stark erneuert, dass sie die neuen Exportmöglichkeiten sofort wahrnehmen konnten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften haben in den letzten zehn Jahren durch eine sehr moderate Lohnpolitik mit dazu beigetragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen gestiegen ist. An der Stelle muss man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Gewerkschaften dafür danken, dass sie daran mitgewirkt haben, dass Deutschland wirtschaftlich wieder an Stärke gewinnt.
Ich bin froh, dass wir das tun. Wir haben gemeinsam vor, eine Form der Mitarbeiterbeteiligung zu finden, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmungen beteiligen zu können. Wir haben das Vorhaben Deutschlandfonds genannt. Sie haben eine ähnliche Vorstellung. Ich bin sehr froh, dass es sich die Bundesregierung und die Große Koalition auf die Fahne geschrieben haben, die stärkere Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Unternehmenserfolgen umzusetzen und voranzutreiben.
Dass Politik durchaus wirtschaftliche Kräfte mobilisieren kann, zeigt sich auch, wenn wir Bilanz ziehen, was seit der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern passiert ist. Dort ist eine sehr große gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Leistung vollbracht worden. Wir haben in den neuen Bundesländern in kurzer Zeit die Infrastruktur neu geschaffen und die Wirtschaftskraft neu belebt. Dafür gibt es, wie ich glaube, in der europäischen Geschichte kein Beispiel. Es ist eine sehr starke Leistung, mit der die Politik bewiesen hat, dass man mit Entschlossenheit etwas voranbringen kann.
Ich weiß, dass manche Kolleginnen und Kollegen aus den alten Bundesländern manchmal etwas neidisch auf die vielen neuen Häuser und Straßen im Osten sind. Ich warne aber vor Neid. Im Gegenteil: Wir sollten stolz darauf sein. Es wäre doch ein Skandal gewesen, wenn das ausgegebene Geld nicht so gut investiert worden wäre.
Lassen Sie uns gemeinsam stolz auf diese gesamtgesellschaftliche Leistung sein, die wir dort vollbracht haben.
Es ist auch richtig, dass wir angefangen haben, den Osten besonders zu fördern, weil in einem Wettbewerb der Regionen derjenige, der wie bei einem Wettlauf erst nach den anderen starten kann, unausgleichbare Nachteile hat. Dafür mussten wir einen Ausgleich finden. Deswegen mussten wir eine Sonderförderung für die neuen Bundesländer einführen, damit sie die Chance haben, im Wettbewerb der Regionen zu bestehen.
Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, dass wir den von uns beschlossenen Solidarpakt unangetastet lassen.
Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Solidarpakt degressiv ausgestaltet ist. Das heißt, ab dem Jahre 2009 werden die Zahlungen aus dem Solidarpakt an die neuen Bundesländer nicht wie im Moment ein wenig, sondern massiv zurückgehen. 2019 enden sie. Verschiedentlich wird schon jetzt eine Diskussion über fast alle Parteigrenzen hinweg darüber geführt, ob die Zahlungen noch früher eingestellt werden sollten. Wenn das geschieht, tun Sie den Finanzministern in den neuen Bundesländern keinen Gefallen; denn es sind gerade die neuen Bundesländer, die erkannt haben, wie schwierig ihre Lage ist. Wir haben es dort mit Haushalten zu tun - das kennen wir weder im Westen noch im Bund -, deren Umfang bis zum Jahre 2019 um 25 Prozent abnehmen wird. Ein Land wie Sachsen-Anhalt, das heute einen Etat von 10 Milliarden Euro hat, wird 2019 wegen der ausbleibenden Zahlungen aus dem Solidarpakt wahrscheinlich nur noch über 7,5 Milliarden Euro verfügen. Vor diesem Hintergrund sind alle neuen Bundesländer dabei, ihre Haushalte zu konsolidieren, nicht nur für ausgeglichene Haushalte zu sorgen, sondern sogar Überschüsse zu erwirtschaften, um die Schulden abzubauen; denn sie wissen genau, dass ihnen die gewaltigen Zinslasten, die sie momentan zu tragen haben, später jede Möglichkeit aktiver politischer Gestaltung zunichte machen würden. Wir sollten daher keine Debatte über ein vorzeitiges Ende des Solidarpaktes führen, sondern die Finanzminister jeder Couleur in den neuen Bundesländern in ihren Bemühungen unterstützen. Die Zahlungen 2019 einzustellen, ist richtig. Sie dürfen aber nicht vorher enden.
Mir ist natürlich durchaus klar, dass viele Programme, die sich in den neuen Bundesländern bewährt haben, auch in den alten Bundesländern anzuwenden sind. Wir haben begonnen, dort, wo es sinnvoll ist, Programme für die alten Bundesländer zu öffnen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Gemeinschaftsaufgabe Ost, in die wir den Westen einbezogen haben. Das war richtig. Das ist in meinen Augen die zielgenaueste Wirtschaftsförderung, die wir betreiben können; denn dort werden gezielt Investitionen gefördert, wo Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir sollten alles daran setzen, diese Förderung aufrechtzuerhalten.
Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen GA-Mittel entgegen dem Regierungsentwurf um 50 Millionen Euro angehoben. Herr Glos hat dies im nun vorliegenden Regierungsentwurf leider nicht fortgeschrieben. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Niveau gehalten worden wäre. Ich hoffe aber - ich habe Vertrauen in die Haushälter -, dass wir hier zumindest eine Korrektur im Rahmen der weiteren Haushaltsberatungen vornehmen.
Das Gleiche gilt auch für den Stadtumbau Ost. Wir hatten große Schwierigkeiten, weil die Städte Ostdeutschlands unter einer starken Entvölkerung zu leiden hatten. Auch dieses Programm haben wir mittlerweile für Städte in Westdeutschland geöffnet - Stichwort Stadtumbau West -, weil diese vor ähnlichen Problemen stehen. Uns ist vollkommen bewusst, dass wir nach 2019 nicht mehr über eine Ostförderung oder eine Westförderung reden werden, sondern dass wir über die Förderung strukturschwacher Regionen reden müssen, damit solche Regionen möglichst schnell Anschluss an strukturstarke Regionen finden. Das gilt für Gesamtdeutschland.
Vor diesem Hintergrund sage ich an die Adresse der Bildungsministerin: Es ist sehr lobenswert, was wir im Bereich Forschung und Entwicklung machen, auch im Hinblick auf die Exzellenzinitiative. Wir müssen aber bei den Ausschreibungsbedingungen aufpassen, dass wir nicht nur Geld dorthin fließen lassen, wo bereits gewaltige Stärken da sind. Vielmehr müssen wir diese Mittel dazu nutzen, schwachen Regionen eine Chance und einen Impuls zu geben, aus eigener Kraft zu wachsen und sich mit neuen Produkten auf neuen Märkten zu etablieren. Hier müssen wir auf Ausgeglichenheit achten.
Schwache Regionen haben in der Regel kaum eine Chance, aus eigener Kraft neue Industrien anzusiedeln und in Bereiche zu investieren, in denen schon gesättigte Märkte bestehen. Ein Verdrängungswettbewerb wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Deshalb ist es entscheidend, dass gerade in den innovativen Bereichen etwas für strukturschwache Regionen - diese liegen momentan noch überwiegend in Ostdeutschland - getan wird.
Wir haben aber auch Erfolgsgeschichten zu verzeichnen. Im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie, haben wir mittlerweile Cluster in den neuen Bundesländern gebildet, die eine echte Vorreiterrolle einnehmen. Ein Beispiel: Zehn Jungunternehmer haben sich vor fünf Jahren in meinem Wahlkreis aufgemacht und ein Solarzellenwerk gegründet. Sie haben mit zehn Beschäftigten begonnen. Heute sind es 1 500. Mittlerweile sind weitere Investoren aus Kanada und den USA dorthin gezogen, sodass an diesem Standort 5 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wahrscheinlich werden es 10 000 bis zum Jahr 2010 sein. Es lohnt sich also, solche Impulse durch staatliche Förderung zu geben. Das macht für strukturschwache Regionen Sinn; denn sie können dadurch an eigener Kraft deutlich gewinnen.
Insgesamt gesehen sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen - auch in den neuen Bundesländern - gar nicht schlecht. Man soll auch nicht alles kaputt- und schlechtreden. Durch den Beitritt der osteuropäischen Staaten hat die Bevölkerung der Europäischen Union um 20 Prozent, die Wirtschaftskraft aber nur um 5 Prozent zugenommen. Daran zeigt sich, welch enormes Expansionspotenzial in der Öffnung der osteuropäischen Märkte liegt. Natürlich haben wir alle Möglichkeiten, dieses Potenzial in den Nachbarländern auszuschöpfen. Eine Studie der Hypo-Vereinsbank sagt, dass gerade die neuen Bundesländer davon profitieren werden. Sie prognostiziert einen Anstieg des Exports von 20 Prozent. Das ist etwas Gutes, und ich finde, auch das soll man sagen. Man muss den Menschen Mut machen und ihnen sagen, welche Chancen in der Öffnung Osteuropas liegen. Man darf das nicht immer nur schlechtreden und Angst machen.
Ich will in diesem Zusammenhang auf eine Schwachstelle in der ostdeutschen Gesellschaft eingehen: Das ist die Anfälligkeit für rechtsradikale Handlungen und deren teilweise Verharmlosung. Ich bin für eine deutliche Ansprache an dieser Stelle. Ich weiß und kann ein bisschen verstehen, dass manche Landesväter dieses Problem lieber schönreden, aber das bringt nichts. Wenn Probleme da sind, müssen sie benannt werden. Die Benennung ist die Grundlage für die Bekämpfung eines Problems. Wir gewinnen nichts, wenn wir irgendetwas verharmlosen. Ich bin in den letzten drei Wochen vorwiegend in den neuen Bundesländern viel unterwegs gewesen und habe mit vielen Bürgermeistern und Landräten gesprochen. Alle sagen, dass in dieser Beziehung Gefährdungen bestehen, gegen die etwas getan werden muss. Wenn wir nichts tun, dann hat das übrigens auch Einfluss auf die Attraktivität für ausländische Investoren. Darum sollten wir etwas tun.
Das NPD-Verbot ist sehr dezidiert diskutiert worden. Ich weiß um die Schwierigkeit dieser Thematik, und ich weiß auch, dass wir sehr vorsichtig vorgehen müssen. Aber insgesamt ist der Wunsch von fast allen Politikern auf allen Ebenen gewesen, dass wir ein NPD-Verbot wirklich ernsthaft, wenn auch mit aller Vorsicht, angehen; denn es kann nicht sein, dass wir dieser Partei aus Steuermitteln einen finanziellen Nährboden geben, sodass diese im Osten weiter ihr Unwesen treiben kann. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.
Ich bin daher der festen Überzeugung, dass man auf die Berichte, die man von den Landesverfassungsschutzämtern und vom Bundesverfassungsschutz bekommen kann, zurückgreifen soll, also auf das, was frei erhältlich ist, und dass man sich nicht der V-Leute bedienen sollte. Dann kann man ernsthaft Fakten sammeln und schauen, ob man ein Verbotsverfahren anstrengen kann. Es ist übrigens - auch das will ich deutlich sagen - gerade in der jungen Demokratie der neuen Bundesländer wichtig, so etwas zu tun, weil eine solche Partei, wenn sie nicht verboten ist, leider in manchen Köpfen eine Form von Legalität hat. In meinen Augen hat sie diese nicht; denn sie arbeitet gegen die Verfassung. Darum noch einmal mein Wunsch an das gesamte Haus und an die Bundesregierung: Lassen Sie uns entschlossen und trotzdem vorsichtig vorgehen.
In diesem Zusammenhang will ich Teilen der Linkspartei sagen: Man muss aufpassen, welchen Nährboden man manchmal mit bestimmten Reden bereitet. Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender wie in Chemnitz, vielleicht im rhetorischen Überschwang, mit Begriffen wie Fremdarbeiter und ähnlichen jongliert, dann ist das nicht produktiv. Da sollte man vorsichtig sein und aufpassen. Damit wird nicht die demokratische Stimmung gefördert, die wir alle wollen.
Ich warne sehr davor, damit weiterzumachen.
Insgesamt gesehen, so glaube ich, ist die Koalition auf einem guten Weg. Sie steht in der Kontinuität der Reformpolitik, die wir Sozialdemokraten 2003 begonnen haben und die wir gemeinsam mit der Union fortsetzen. Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investieren ist der richtige Dreiklang für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Ich bin sehr sicher, dass wir bis 2009 gemeinsam eine gute Politik für das Land machen können und machen werden. Ich bin guter Hoffnung, dass wir Sozialdemokraten nach einem knackigen Wahlkampf gut dastehen werden. Zunächst geht es aber darum, die nächsten zwei Jahre eine gute Arbeit zu machen. Wir sind dazu bereit.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Staatsminister Bernd Neumann.
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits zum dritten Mal legt diese Bundesregierung einen Haushaltsentwurf im Bereich ?Kultur und Medien“ vor, der eine Steigerung der Ausgaben vorsieht.
Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Das erkennt man, wenn man einen Blick auf Länder und Kommunen wirft. Seit dem Regierungswechsel wurden die Ausgaben des Bundes für die Kultur in Deutschland von 2005 bis 2008 um insgesamt 6,4 Prozent gesteigert. Ich denke, diese Zahlen sagen mehr als schöne Worte etwas darüber aus, welche Bedeutung die Bundesregierung der Kultur zumisst.
Ich habe es bereits mehrfach gesagt - es steht auch in der Koalitionsvereinbarung -: Kulturförderung ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. Dies ist im ideellen wie im finanziellen Sinn gemeint. Das Beispiel unseres neuen Deutschen Filmförderfonds zeigt, dass Kulturförderung auch eine handfeste wirtschaftliche Seite hat.
Dieser Filmförderfonds hat bereits erhebliches zusätzliches Kapital nach Deutschland gezogen und eine beträchtliche Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze in den Studios geschaffen. Deutschland ist auch für internationale Produktionen attraktiv geworden. Die deutschen Filmstudios erleben derzeit einen beispiellosen Boom. Wenn dadurch beim deutschen Film Aufbruchstimmung herrscht, ist das ein Erfolg, auf den man ruhig hinweisen darf.
Die Deutsche Welle war unter der Vorgängerregierung - man muss es so sagen - eher die Sparbüchse des Kulturetats. Das war ein Fehler. Gerade in Zeiten der Globalisierung brauchen wir einen starken Auslandssender, eine unüberhörbare deutsche Stimme für Freiheit und Demokratie.
Besonders wichtig ist das im arabischen Raum. Um die Präsenz der Deutschen Welle dort auszubauen, wollen wir dem Sender in 2008 4 Millionen Euro mehr zur Verfügung stellen. Dadurch kann die von uns allen gewünschte Kooperation von ARD und ZDF zur weiteren Verbesserung des Programms beitragen.
Gedenken und Erinnern sind Aufgaben, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Ich habe im Juli dieses Jahres einen Entwurf vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie die erfolgreiche Gedenkstättenarbeit des Bundes fortgesetzt werden soll. Für die Umsetzung dieses Konzepts wollen wir allein im nächsten Jahr zusätzliche 10 Millionen Euro ausgeben. Das bedeutet nahezu eine Verdopplung der Mittel.
Dem Völkermord an den europäischen Juden, der Singularität des Holocaust, kommt in unserer Erinnerungspolitik nach wie vor eine unvergleichbare Bedeutung zu. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur wollen wir verstärken und verbessern. Es ist nach wie vor unsere Aufgabe, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern und so das Gedenken an die Opfer des Kommunismus in Deutschland zu bewahren.
Die Verantwortung für unsere Vergangenheit betrifft auch den Bereich der Rückgabe der von den Nationalsozialisten geraubten und beschlagnahmten Kulturgüter aus dem ehemaligen jüdischen Besitz. Hier sehe ich es als eine wichtige Aufgabe an, dies - unbeschadet der eigentlichen Kompetenz von Ländern und Kommunen für die Mehrzahl der Museen - zu unterstützen. Wir haben uns vorgenommen, im Rahmen eines Modells beträchtliche Hilfen für die notwendige Provenienzrecherche auszugeben. Das ist vonnöten, wenn man das einstmals beschlossene Washingtoner Abkommen ernst nimmt.
Unser nationales Kulturerbe zu bewahren, ist eine der drängenden Aufgaben unserer Zeit. Wie wichtig diese Aufgabe ist, hat der verheerende Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek gezeigt. An die schrecklichen Bilder vom September 2004 erinnern wir uns alle.
Ich freue mich sehr, dass diese Bibliothek am 24. Oktober wieder eröffnet werden kann. Der Bund hat für die Sanierung insgesamt 8,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Klassik-Stiftung Weimar steht in der ganzen Welt für unser nationales, also deutsches Kulturerbe. Deshalb steht hier nicht nur Thüringen, sondern Deutschland als Kulturnation in der Mitverantwortung. Daher beabsichtigen wir, ab dem Haushalt 2008 gemeinsam mit Thüringen - die Thüringer motivieren wir - die Mittel deutlich zu erhöhen. Die institutionelle Förderung steigt damit schrittweise um mehr als 20 Prozent. Das ist ein Signal, natürlich auch für die neuen Bundesländer, die wichtige kulturelle Schätze besitzen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Mit der Zusatzbemerkung, dass mir das auf die Redezeit nicht angerechnet wird.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die Beantwortung von Zwischenfragen wird nie auf die Redezeit angerechnet.
Bitte schön, Herr Seifert.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Herr Staatsminister, Sie sprechen gerade von dem nationalen Kulturerbe, dessen Pflege eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Das sehe ich genauso. Gleichzeitig verweisen Sie darauf, wie toll es ist, dass Ihr Etat erhöht werden soll. Wieso wird gerade bei der Stiftung für das sorbische Volk gekürzt, und zwar nicht unbeträchtlich, und gleich noch dazugesagt: ?Wir werden aller Voraussicht nach eine Haushaltssperre verhängen“?
Es geht doch immerhin um eine in Deutschland lebende nationale Minderheit. Die Mittel für die Stiftung für das sorbische Volk müssten also eher aufgestockt werden. Sehen Sie das nicht genauso, nämlich als nationale Aufgabe des Bundes?
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Ja, das ist eine nationale Aufgabe des Bundes, der wir auch mit beträchtlichen Mitteln gerecht werden. Wie bei jeder Aufgabe des Bundes prüfen Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt jeweils, ob sie vielleicht von den Ländern oder ob der eine oder andere Teil, ein Projekt vielleicht, vom Bund zu erledigen ist. Hierzu gab es kritische Fragen. Trotz der Bemerkungen von Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt wegen nicht gegebener Totalzuständigkeit für alle diese Aufgaben haben wir im neuen Haushaltsentwurf den Mittelansatz bei 7 Millionen Euro belassen. Das ist etwas weniger als vorher, aber deutlich mehr, als die uns begleitenden Institutionen gewollt haben.
Von daher stellen wir uns dieser Aufgabe.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Kampeter?
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Sie wird sicherlich hilfreich sein, deswegen sage ich Ja, obwohl man es bei ihm nie so genau weiß.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Kampeter.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die beiden Berichterstatter der Koalition für den Kulturetat, die Kollegin Merkel und ich, mit dem Thema der Sorben bereits intensiv und nicht nur vordergründig auseinandergesetzt haben und sehr sorgfältig prüfen werden, ob eine Erhöhung der Finanzmittel im Rahmen der Haushaltsplanberatung möglich, finanzierbar und rechtlich absicherbar ist? Ich möchte Sie fragen, ob Sie bestätigen können, dass der Bund im Rahmen seiner Verantwortung in den letzten Jahren weit über das hinausgegangen ist, was im Finanzierungsabkommen tatsächlich Grundlage war - die zugesagten Finanzierungsteile für die Stiftung des sorbischen Volkes -, und dass der Eindruck, als würde es sich hier insgesamt um eine Kürzungsstrategie handeln, nicht richtig ist. Vielmehr ist es doch wahrscheinlich richtig - oder würden Sie mir da widersprechen? -, dass wir eine jahrelange Überzahlung aufgrund von Hinweisen von Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt politisch überprüfen.
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Herr Kollege Kampeter, zur Kenntnis nehmen muss ich ohnehin alles, was hier gefragt wird.
Ihnen hier offiziell zu widersprechen, wäre unklug; denn ich brauche Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen noch.
Unbeschadet davon bestätige ich alles, was Sie gesagt haben. Ja, es ist richtig: Die Bundesregierung hat immer mehr veranschlagt. Ich muss auch bestätigen, dass in den Haushaltsberatungen die Haushälter das immer noch erhöht haben.
Ich glaube deshalb schon, Kollege Seifert, dass wir da auf einem guten Weg sind.
Herr Präsident, ich gehe doch recht in der Annahme, dass mir diese Zeit nicht angerechnet wurde, aber dass meine Redezeit doch irgendwie endlich ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Staatsminister, Ihre Redezeit war nahezu abgelaufen.
In der Zwischenzeit hatte ich die Uhr angehalten. Jetzt habe ich sie wieder gestartet. Sie können gerne noch eine Schlussbemerkung machen.
Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:
Meine Damen und Herren! Mit dem Haushalt 2008 setzen die Koalitionspartner erneut ein positives Signal für Kultur und Medien in Deutschland. Ich danke vor allem den Berichterstattern im Haushaltsausschuss für ihre stete Hilfe und ihr Verständnis. Allen Fraktionen im Kulturausschuss bin ich für ihre grundsätzliche Unterstützung und Solidarität besonders dankbar. Ich gehe davon aus, dass wir die fruchtbare Zusammenarbeit fortsetzen.
Einer der wichtigsten Rohstoffe unseres Landes ist die Kultur. Deutschland muss sie pflegen, weil in ihr die Grundlagen unserer Gemeinschaft heute und morgen liegen. Ich schlage vor, auch in der Zukunft die Allparteienkoalition für die Kultur fortzusetzen. Die Kultur in Deutschland wird davon den größten Nutzen haben und es uns danken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, ich kann Ihnen ein Lob der sogenannten Linken nicht ersparen, auch wenn das auf mein Redezeitkonto geht.
- Weil hier im Laufe des heutigen Morgens so sehr viel von ?sogenannt“ geredet worden ist.
Ja, Sie haben einen vergleichsweise guten Haushalt für die Kultur eingebracht und haben die Bedeutung der Kultur, seit Sie Staatsminister sind, tatsächlich ins Zentrum der Bundespolitik gerückt. Dafür ist Ihnen Achtung zu zollen.
Jetzt werde ich allerdings etwas grundsätzlich. Wir reden nämlich heute über die Förderung und den Schutz unserer Kultur in einer Zeit, da Unkultur, Gewalt, Rohheit, Jagd auf Minderheiten und die offene Verhöhnung der Demokratie Konjunktur haben. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht neue Nazis wieder öffentlich durch unsere Städte marschieren, Brandreden halten und Konzerte veranstalten, die rattenfängerisch junge Leute in ihren Bann ziehen sollen. Jedes Mal schwören wir dann, dass wir uns mehr, kontinuierlicher und intensiver mit den Initiatoren, Anhängern und vor allem den potenziellen Sympathisanten auseinandersetzen müssen. Wie, das allerdings wissen wir nicht so recht, und ich gestehe, dass auch ich hilflos bin und keine umfassende Strategie kenne.
Eine Forderung allerdings stelle ich hier im Zusammenhang mit der Debatte über den Kulturhaushalt zur Diskussion: Wir müssen die Gedenkstätten zur nationalsozialistischen Terrorherrschaft viel mehr und viel nachhaltiger unterstützen als bisher.
10 Millionen Euro sind im Haushalt des Kulturstaatsministers für die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts zusätzlich eingestellt, und die KZ-Gedenkstätten Dachau, Flossenbürg, Neuengamme und Bergen-Belsen sollen dauerhaft gefördert werden. Das ist zu begrüßen. Erstens aber ist nicht klar, ob die Gedenkstätten durch diese institutionelle Förderung tatsächlich einen Euro mehr erhalten, während feststeht, dass die Projektförderung zum Beispiel für Neuengamme stark zurückgegangen ist.
Zweitens muss hier einmal beschrieben werden, wie der Status quo, wie die Alltagssituation dieser Gedenkorte aussieht: Dachau hat 800 000 Besucher jährlich, aber nur eine einzige pädagogische Stelle für die historische Aufarbeitung. Neuengamme hatte im letzten Jahr 1 500 Führungen zu organisieren, Mittelbau-Dora rund 1 400, und dies mit jeweils einer museumspädagogischen Stelle. Ehrenamtliche, Honorarkräfte, selbst Zivildienstleistende, was eigentlich gar nicht erlaubt ist, machen dort die Arbeit. Ein Drittel - ich bitte Sie! - der Anfragen nach Führung und Betreuung muss abgelehnt werden. In Neuengamme kosten die Führungen jetzt für Schülergruppen 20 Euro und für Erwachsene 40 Euro. Das ist der Alltag, und das ist ein Skandal.
Dieser Skandal steht im krassen Widerspruch zur Überschrift der Gedenkstättenkonzeption des Kulturstaatsministers, die da lautet: ?Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“. Wenn diese drei Aufgaben ernst genommen werden, setzten wir in der Auseinandersetzung mit den neuen Nazis, den Gewaltbereiten, den Fremdenhassern da an, wo unbedingt angesetzt werden muss,
nämlich bei dem Bestreben, bei jungen Menschen die Grundlagen für humanitäre und demokratische Haltung zu legen. Es muss uns gelingen, die Haltung, die Unverletzlichkeit der Person des anderen immer und überall zu respektieren, auch dann, wenn es Zivilcourage, ja sogar Mut kosten kann, jetzt in der Jugend zu verankern, und wenn es noch so viele Anstrengungen kostet.
Natürlich kann die Arbeit in den Gedenkstätten die Gesellschaft gegen Rechtsradikalität nicht immunisieren, aber eine kontinuierliche, vertiefende, aufklärerische Arbeit mit der Geschichte an den authentischen Orten der Geschichte heißt, jene Verantwortung wahrzunehmen, die das Gedenkstättenkonzept postuliert.
Ja, auch die SED-Diktatur muss aufgearbeitet werden, sehr einverstanden!
Aber die Parallelität, von der hier immer die Rede ist, das Parallelitätsverhältnis zur Aufarbeitung der Geschichte der Nazidiktatur, wie es im Konzept heißt, ist geschichtlich falsch und heute ganz und gar nicht hinnehmbar.
Die DDR nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt nicht zurück.
Aber die neuen Barbaren, modern verkleidet, vernetzt, gut finanziert, sind auf dem Weg.
Dagegen müssen wir etwas tun. Ich bitte Sie, uns dabei zu unterstützen.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion.
Monika Griefahn (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2010 ist noch eine Weile hin, aber im Ruhrgebiet wirft es schon Schatten voraus: Essen wird nämlich 2010 europäische Kulturhauptstadt. Der Bund begleitete diese Initiative bisher schon intensiv und wird das auch weiter tun. Schon jetzt zeigen sich trotz kleinen Inputs enorme Synergieeffekte: So ist die Love-Parade von Berlin nach Essen gezogen. Das ist zwar nicht gerade ein kulturelles Highlight, aber es zeigt, dass so eine Initiative eine ganze Region umgestalten und neues Leben hereinbringen kann. Wir müssen, wie ich glaube, immer wieder deutlich machen, dass Bundeskulturpolitik, auch wenn für sie nur wenig Geld zur Verfügung steht, Impulse setzen kann. Das ist uns bei vielen Dingen ganz wichtig.
Der Haushalt wächst um 1,3 Prozent. Das ist auf der einen Seite ein ganz gutes Ergebnis; auf der anderen Seite sind viele Punkte offen, die noch in Angriff genommen werden müssen. Vor der Sommerpause hat ja Staatsminister Neumann die Fortentwicklung des Gedenkstättenkonzeptes vorgelegt. Wir haben dazu heute schon in mehreren Reden etwas gehört. Meine Kollegen Scholz und Hübner haben dabei sehr deutlich gemacht, dass der Rechtsextremismus eine echte Bedrohung ist und wir etwas tun müssen, und zwar, wie ich glaube, in ganz Deutschland, nicht nur in Ostdeutschland. Mir begegnet da durchaus auch in meinem Wahlkreis manches.
Da ist das Gedenken an die Opfer ebenso wichtig wie das an Opposition und Widerstand in den Diktaturen. Das festigt das Bewusstsein für Freiheit, Recht und Demokratie. Ich denke, dass es wichtig ist, dieses aufzuarbeiten und voranzubringen. So kann nämlich Schülerinnen und Schülern gezeigt werden, wie es früher war, insbesondere auch während der nationalsozialistischen Diktatur bei uns. Es darf in den Gedenkstätten nicht an Möglichkeiten für den Besuch von Schülergruppen fehlen. Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer mit einer Klasse dorthin will, muss er bzw. sie die Möglichkeit dazu haben. Hier müssen wir unterstützend tätig werden.
Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus dürfen wir nicht zulassen. Deshalb müssen wir diesen Erscheinungen auch mit aktiven Angeboten im Bereich der kulturellen Arbeit und der politischen Bildung entgegentreten. Auch das ist ein Teil unserer Arbeit, der sich in dem Konzept widerspiegeln muss. Gedenkstätten haben dabei als Gedenk- und vor allem Lernorte eine wichtige gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Wir brauchen aufbereitete pädagogische Angebote. Daneben sind Berichte von Zeitzeugen wichtig, aber die wird es nicht mehr lange geben. Jetzt können sie noch in Schulen gehen. Ich vermittle viele Zeitzeugen an Schulen. Das ist immer ein bewegendes Erlebnis. Daneben brauchen wir aber eben die Gedenkorte als Orte, die deren Erfahrungen bleibend pädagogisch vermitteln.
Ich möchte an dieser Stelle den vielen Ehrenamtlichen danken, die vor Ort ihre Arbeit tun. Ich möchte auch den Lehrerinnen und Lehrern danken, die trotz der begrenzten Mittel immer wieder versuchen, diese Orte aufzusuchen und wirklich Arbeit in das Gedenken investieren.
Im neuen Programm sollen durch eine verbesserte Darstellung die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur und der damalige Alltag deutlich gemacht werden. Auch das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Punkt. Die unterbreiteten Vorschläge bilden dafür eine Grundlage. Wir werden aber noch über das Konzept diskutieren müssen, denn es ist finanziell unzureichend ausgestattet.
Ein Ort wie die Normannenstraße zum Beispiel ist im Moment überhaupt nicht berücksichtigt. Er muss zum einen baulich instandgesetzt werden, und zum anderen muss ein pädagogisches Konzept erstellt werden.
- Im Moment ist Geld für die Mauergedenkstätten vorgesehen, Herr Kampeter.
Das ist wichtig, richtig und auch gut; denn in zwei Jahren gibt es ja insoweit einen wichtigen Gedenktag. Aber das andere brauchen wir auch.
Ein weiteres Feld sind die vom Verfall bedrohten Einrichtungen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Schon jetzt sind viele der Gebäude so sehr vom Einsturz bedroht, dass sie in Teilen für den Besucherverkehr geschlossen werden müssen. Hier gilt es, etwas zu tun, bevor sich der Zustand vieler Gebäude noch weiter verschlechtert und es zu spät ist.
Das gilt übrigens auch für zahlreiche historisch wertvolle Gebäude in der ganzen Republik. Ich denke da an Kirchen, alte Landhäuser, Museen. Da sollten wir prüfen, inwieweit wir ein neues Programm für die Hilfe zur Sanierung auflegen können, wie wir es früher schon einmal hatten mit ?Dach und Fach“ für Ostdeutschland. Auch in Westdeutschland gibt es genügend Fälle, in denen Handlungsbedarf besteht.
- Darüber werden wir in den parlamentarischen Beratungen diskutieren, Herr Kampeter.
Nicht nur bei der populären Musik, für die Sie sich besonders einsetzen - Sie haben für die ?Initiative Musik“, die jetzt ihre Arbeit auf der Popkomm aufnehmen soll, 1 Million Euro zusätzlich erwirkt, worüber wir uns freuen -, sind wir auf einem guten Weg. Wir haben in unserem Antrag für den Bundestag klare Vorstellungen formuliert, die wir nun in konkrete Projekte umsetzen müssen. Ich denke da zum Beispiel auch an die stärkere Einbindung von Jazz in die öffentliche Förderung
oder die praktische Unterstützung von Nachwuchsbands, zum Beispiel durch Tourbusverleih.
- Die vielen zustimmenden Zuschriften, Herr Kampeter, die ich in den letzten Wochen bekommen habe, zeigen mir, dass wir hier das Richtige tun. Ich bin froh, dass wir unsere Vorschläge da einbringen können.
- Sie hören ja auch auf meine; darüber freue ich mich.
Auch im Bereich der Computerspiele geht es voran. Nachdem besonders gewalthaltige Computerspiele in den letzten Monaten im Fokus der Öffentlichkeit standen, wächst nun die Erkenntnis, dass man mit einer Förderung von wertvollen Inhalten mehr erreichen kann als mit Verboten, die in ihrer Wirkung äußerst umstritten sind und bei denen man sich auch über die Instrumente streitet.
Mit zwei neuen kulturpolitischen Initiativen wollen wir die Förderung erreichen. Zum einen soll mit dem Projekt ?Netz für Kinder“ eine sichere Umgebung für Minderjährige angeboten werden, die zugleich ungefährliche und wertvolle Spiele herausstellt. Zum anderen soll es eine Stiftung geben, in der sich Spieleentwickler, Hersteller, Einzelhandel und Politik gemeinsam für eine bessere Akzeptanz des Mediums, für mehr Medienkompetenz und Jugendschutz sowie eine bessere Produktionsförderung bei hochwertigen Spielen einsetzen.
Ich denke, es fehlt nur ein Baustein: Wir brauchen einen Spielepreis, so wie den Filmpreis, mit dem wir öffentlich deutlich machen können, welche Computerspiele eine Bereicherung der Medienkultur sind, welche zu den besten ihrer Art gehören und so von Eltern ohne Bedenken für ihre Kinder gekauft werden können. Das gibt gleichzeitig einen wichtigen Impuls für die Branche, noch mehr solcher öffentlich ausgezeichneten Spiele zu produzieren.
Ein weiteres positive Element ist, dass wir dringend einen Medien- und Kommunikationsbericht brauchen. Wir führen zwar aktuell keine Diskussion mehr über Pressefusion und Medienkonzentration, aber das Thema wird uns weiter verfolgen. Ich bin froh, dass der Kulturstaatsminister zugesagt hat, möglichst bald einen Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen. Daraus können wir dann auch weitere Tätigkeiten ableiten.
Ich freue mich, dass - der Staatsminister hat es deutlich gemacht - die Deutsche Welle einen Aufwuchs von 4 Millionen Euro erfährt. Es ist der Deutschen Welle gelungen, Kooperationsverträge mit ARD und ZDF abzuschließen. Von dem Geld können zum Beispiel Weltsenderechte gekauft und das arabische Programm ausgeweitet werden. Das sind beides sehr sinnvolle Investitionen.
Damit komme ich zur auswärtigen Politik. Im vorliegenden Haushaltsentwurf zeigt sich, dass Kultur nicht nur im Inland Bedeutung hat, sondern auch im Ausland. Wir kommen zwar gleich noch zum Haushalt des Auswärtigen Amtes, aber es ist wert, auch in der Kulturdebatte erwähnt zu werden: Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhält zusätzlich 82 Millionen Euro. Das ist ein Aufwuchs von 15 Prozent gegenüber dem letzten Jahr. Das ist ein Erfolg.
Drei wichtige Initiativen aus dem Programm: Das Goethe-Institut wird in diesen Monaten mit einem neuen Konzept zukunftsfähig gemacht. Wir haben es geschafft, endlich die Budgetierung ab 2008 durchzusetzen. Das war eine Arbeit von zehn Jahren, Lothar Mark. Außerdem können wir die Programmmittel ab dem nächsten Jahr um rund 10 Millionen Euro erhöhen. Das bringt die deutsche Kultur ins Ausland, und der Austausch und Dialog, den wir auf der Welt dringend brauchen, kann damit verstärkt werden. Ich finde, das ist ein großer Erfolg. Ich möchte mich beim Außenminister herzlich dafür bedanken, dass er das so unterstützt und vorangebracht hat.
- Dazu komme ich jetzt.
Zum zweiten Punkt. Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine große Schulinitiative durchführen. Das eröffnet die Chance, dass endlich wieder mehr Schülerinnen und Schüler auf der Welt Deutsch als Fremdsprache lernen und damit eine bessere Beziehung zu unserem Land aufbauen. Ich durfte den Ausschuss beim 150-jährigen Jubiläum der Deutschen Schule in Montevideo vertreten
und habe gesehen, welch wichtige Arbeit die Schule dort seit 150 Jahren leistet, wie wichtig die Anbindung an Deutschland über die deutsche Sprache und damit über die Deutsche Schule ist.
Die dritte Initiative heißt ?Aktion Afrika“. Hier werden wir den deutsch-afrikanischen Dialog mit 20 Millionen Euro durch Schüleraustausche, Medienarbeit, Stipendien, Künstleraustausche oder Kulturprojekte verstärken. Damit soll eine stärkere Anbindung des Kontinents über Kulturaustausch erreicht werden, also eben nicht nur über Entwicklungsarbeit. Wir sehen immer wieder, wie wichtig es ist, nicht nur zu kommen und zu sagen, man müsse jetzt einmal helfen, sondern auch den Reichtum der Länder zu erkennen, sich mit ihnen zu verständigen und in einen Dialog einzutreten. Das ist etwas anderes, als zu kommen, nur um zu helfen.
Ich bin froh, dass wir mit diesem Haushalt zeigen können, dass die Themen der Kultur- und Medienpolitik sowohl im Inland als auch im Ausland wichtige Themen sind, Themen mit Zukunft, die wir als solche verstehen. Ich freue mich, dass wir in den Ausschüssen mit allen Fraktionen wirklich gut zusammengearbeitet haben. Dafür möchte ich mich bedanken.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich freuen auch wir uns über den Aufwuchs des Haushalts im Kulturbereich; daran gibt es nichts zu deuteln. Als Thüringerin freue ich mich ganz besonders über die Aufwüchse bei der Klassik-Stiftung Weimar. Es hat sich gezeigt, dass es hier eine gesamtstaatliche Verantwortung gibt, und das ist gut so.
Weil eine kurze Redezeit für die Opposition natürlich nicht dazu einlädt, zu langen Lobreden anzuheben, will ich an dieser Stelle auf das Thema Gedenkstättenkonzept und Erinnerungskultur zu sprechen kommen; Herr Neumann, Sie haben es in Ihrer Rede kurz erwähnt. Der Entwurf nennt sich zwar ?Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption“, weist aber doch einige sehr markante Unterschiede zu dem auf, was die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Gedenkstättenkonzeption auf den Tisch gelegt hat.
Es geht um Unterschiede, die man leicht übersehen kann, insbesondere wenn man weiß, dass es um 10 Millionen Euro mehr für die Gedenkstättenförderung geht. Dennoch: Erstens ist genaues Hinsehen angesagt, zweitens muss natürlich eine öffentliche Diskussion stattfinden; denn es geht um politische Gewichtung. An dieser Stelle möchte ich sagen: Ich bin sehr froh, dass der Kulturstaatsminister nicht dem Gedenkstättenkonzept mit der Art von Erinnerungskultur folgt, das die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einiger Zeit vorgelegt hat und das eine deutliche Verschiebung der Schwerpunkte vorgesehen hat.
Dennoch sind ein paar kritische Anmerkungen nötig. Insbesondere möchte ich einiges zum Gedenken und zur Aufarbeitung hinsichtlich des Nationalsozialismus sagen; Frau Jochimsen hat hier schon auf einiges hingewiesen. Natürlich ist es gut, wenn auch die westdeutschen KZ-Gedenkstätten in die institutionelle Förderung aufgenommen werden. Es fällt aber auf, dass im vorliegenden Entwurf die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Erinnerungskultur nicht mehr ausdrücklich erwähnt und gewürdigt wird.
Das ist ein Problem, weil dann gerade die zivilgesellschaftlichen Projekte im Bereich der Erinnerung an den Nationalsozialismus nicht mehr möglich sind. Damit entsteht die Gefahr, eine Institutionalisierung der Erinnerungskultur in Gang zu setzen, nach dem Motto: Wir, die öffentlichen Institutionen, erledigen das mit der Erinnerungsarbeit schon für euch.
Ich möchte gern daran erinnern, dass sowohl in der alten Bundesrepublik als auch in der Nachwende-DDR die Aufarbeitung der Vergangenheit von der Zivilgesellschaft politisch erkämpft werden musste. Auch deswegen ist es dringend notwendig, dies zu würdigen.
Gerade die Projekte, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen - wir alle wissen das -, sind besonders erfolgreich und tragen viel zur Erinnerungskultur bei. Ich nenne nur das Beispiel des Projekts ?Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig, an dem sich viele hier im Hause auf unterschiedliche Art und Weise beteiligt haben.
Es muss freie Töpfe für zivilgesellschaftliche Projekte geben, ohne die wir in der Erinnerungskultur in Deutschland nicht auskommen, meine Damen und Herren.
Ich glaube übrigens, dass sich die paternalistische Art nach dem Motto ?Wir regeln das schon für euch“ auch darin widerspiegelt, dass die inhaltliche Autonomie und die politische Unabhängigkeit der KZ-Gedenkstätten im vorliegenden Entwurf eben nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden. Das klingt ein bisschen danach, als ob man politisch Einfluss nehmen will.
Damit komme ich zu den Kriterien bezüglich der Förderungswürdigkeit. Natürlich ist es richtig, dass der nationale und internationale Stellenwert des Ortes entscheidend ist. Dann wird aber gleich als Kriterium, durch das dieser Stellenwert zum Ausdruck kommen soll, die Besucherzahl genannt. Wenn man sich überlegt, was es bedeutet, dass an der Besucherzahl gemessen wird, ob eine Gedenkstätte förderungswürdig ist, dann entsteht das Problem, dass aus den ehemaligen KZs und den heutigen Gedenkstätten Museen gemacht werden. Das ist aber nicht angemessen, weil es dort um die Auseinandersetzung mit den Orten unserer eigenen Erinnerung geht.
Das sind übrigens auch riesige Friedhöfe. Auch mit Rücksicht auf die Opfer sollten wir nicht so tun, als ob die Besucherzahl das einzig relevante oder auch nur das erste Kriterium sein könnte.
Wir brauchen Evaluierung. Wir brauchen übrigens auch eine öffentliche Diskussion. Ich würde mir sehr wünschen, dass auch mit denjenigen, die in diesen Gedenkstätten arbeiten, über das Gedenkstättenkonzept diskutiert wird. Das ist bisher nicht geschehen.
Wichtig ist im diesem Zusammenhang übrigens auch, dass wir die Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochstehende wissenschaftliche Arbeit und für eine gute Bildungsarbeit dauerhaft sichern. Auch hierauf ist hingewiesen worden. Dies ist offensichtlich auch nötig, wie wir an dem Beispiel der ehemaligen NDR-Journalistin Eva Herman und übrigens auch an den Reaktionen auf ihre Äußerungen gesehen haben.
Wir brauchen diese Arbeit auch, wenn wir die neonazistischen Umtriebe bekämpfen wollen. Beides gehört zusammen: die Bildungsarbeit in den Gedenkstätten und das, was wir heute tun.
Ein letzter Punkt. Ich möchte nicht, dass es zu einer Verschiebung und zu einer Parallelisierung kommt, was die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, die notwendig ist, angeht. Eine solche Verschiebung beziehungsweise Parallelisierung feiert hier und da fröhliche Urständ, wie sich an den Äußerungen aus den Reihen insbesondere der Linken zum Schießbefehl sehr deutlich zeigt.
Dennoch sind es zwei unterschiedliche Themen, die wir unterschiedlich behandeln sollten. Wir sollten nicht so tun, als ob wir das, was die Stasi-Unterlagenbehörde heute macht, für verzichtbar erklären könnten. Ich glaube, auch hierfür brauchen wir diesen Ort der Erinnerung. Wir brauchen die Fortsetzung dieser Arbeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten. Würden Sie trotzdem eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen zulassen? Dann könnte ich die Uhr stoppen.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das kommt mir zugute, Herr Börnsen, in der Hoffnung, dass Sie die richtige Frage stellen.
- Herr Börnsen und ich sprechen eigentlich nicht miteinander. Diese Frage war also nicht abgesprochen.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
Wir haben gerade erst gestern Abend miteinander gesprochen.
Sehr angenehm! Es war kein Geheimgespräch zwischen Christdemokraten und Grünen - noch kein Geheimgespräch.
- Tja.
Frau Vizepräsidentin, ich finde, dass Sie sehr nachdenklich über das Konzept gesprochen haben, dass Sie aber, wie es in einer Rede dann eben stattfindet, auch ein wenig schwarz-weiß gemalt haben.
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Konzept, das der Staatsminister vorgelegt hat, sehr wohl zwischen den Diktaturen, die wir erlebt und erlitten haben, differenziert und auch sehr wohl deutlich macht, dass wir die Erinnerungsüberlegungen hinsichtlich der NS-Herrschaft in ihrer ganzen Brutalität verstetigen und verstärken müssen und dass wir unabhängig davon auch einen Aufholbedarf in der Frage der DDR-Geschichte haben?
Würden Sie Folgendes vielleicht noch einmal deutlich machen: In keiner Zeile ist erwähnt, dass es einen politischen Einfluss geben kann. Im Gegenteil: Wir haben deutlich gemacht, dass es die Aufgabe der Zivilgesellschaft ist, dafür zu sorgen, dass es wie in der Vergangenheit eine gemeinsame Aufarbeitung der schlimmen Erbschaften zweier Diktaturen gibt.
Dritter Punkt. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man sich im Rahmen der Erinnerung an die Mauer und der Erinnerung um das Brandenburger Tor herum sehr wohl bemüht, ein Konzept vorzulegen, mit dem auf die Symbolhaftigkeit der Erinnerung abgestellt wird?
Letzter Punkt. Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass die beiden Koalitionsfraktionen und auch Ihre Fraktion bei den ersten Überlegungen des Staatsministers im Ausschuss für Kultur und Medien gesagt haben: Wir benötigen ein großes Anhörungsverfahren mit allen Betroffenen und Beteiligten, weil dieses Konzept es verdient, gemeinsam diskutiert und von allen getragen zu werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Göring-Eckardt, würden Sie Ihre Antwort bitte mit den noch ausstehenden Schlussbemerkungen verbinden.
Herr Kollege Börnsen, ich möchte bemerken, dass Sie sich für eine Zwischenfrage gemeldet, aber vier gestellt haben.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Er hat sozusagen vier Antworten bestellt.
Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, was das zivilgesellschaftliche Engagement angeht.
Es kann in der weiteren Diskussion des Konzeptes eine Rolle spielen. Wenn es aufgenommen wird, kommen wir an diesem Punkt sicherlich weiter. Ich würde mich darüber sehr freuen. Ich sage noch einmal, dass wir darauf definitiv nicht verzichten können.
Ich will auch etwas zu dem Punkt Parallelisierung der Aufarbeitung der NS-Diktatur und der Aufarbeitung der DDR-Geschichte sagen. In dem Konzept wird in der Tat zunächst auf die Unterschiede der beiden Systeme hingewiesen. Aber dann wird - auch was die Sprache angeht - doch eine Parallelisierung vorgenommen. Bei der Diskussion müssen wir deutlich machen, dass wir diese zwei sehr unterschiedlichen Weisen, mit der Geschichte umzugehen, brauchen. Wir sollten nicht so tun, als ob man einfach über zwei deutsche Diktaturen redet. Wenn wir uns darüber einig sind, dann kommen wir zusammen.
Ich bin ganz sicher, dass wir eine öffentliche Diskussion brauchen. Deswegen ist die Anhörung wichtig. Wir brauchen aber nicht nur eine Diskussion in Fachkreisen, sondern wir müssen uns selbst darüber klar werden, wie wir mit unserer eigenen Geschichte umgehen. Dafür brauchen wir die Zivilgesellschaft. Aber auch die Debatte im Ausschuss und im Deutschen Bundestag sowie die öffentliche Debatte sind wichtig. Dies gilt besonders angesichts des braunen Mobs, der zurückkehrt. Das ist übrigens nicht nur ein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Problem, dem wir uns stellen müssen.
Wir dürfen die KZ-Gedenkstätten nicht zu Museen machen, sondern wir müssen sie zu Orten lebendiger Erinnerung machen. Sie müssen unabhängig bleiben, weil die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Bildungsarbeit so in einer freien Atmosphäre stattfinden können. Das halte ich für einen ganz zentralen Punkt.
Ich glaube, wenn wir all diese Punkte in unserer Diskussion berücksichtigen, dann werden wir das, was wir gesellschaftlich so dringend nötig haben, zusammen hinbekommen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto das Wort.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Teil der Debatte, der sich auf die Kultur bezog, beinhaltete sicherlich einen Strauß von Themen. Bemerkenswert ist allerdings, dass in einer Haushaltsdebatte zu der Position des Haushalts, die mit Abstand den größten Anteil aufweist, kein Wort gesagt wurde. Die Hauptstadtkulturförderung macht mehr als 50 Prozent des Etats von Staatsminister Neumann aus. Aber keiner der vier von mir geschätzten Vorredner hat hierzu ein Wort verloren.
- Nein, die Hauptstadtkulturförderung hat auch ohne die Deutsche Welle einen Anteil von über 50 Prozent, Frau Kollegin Griefahn.
Es bestünde durchaus ein aktueller Anlass, zur Hauptstadtkulturförderung mehr als nur ein Wort zu verlieren. Denn nach Presseberichten, so jüngst im Spiegel, soll es zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung in Person von Herrn Neumann Verhandlungen darüber geben, dass der Bund seinen Anteil zur Unterstützung der Staatsoper Unter den Linden maßgeblich erhöht. Nun weiß ich natürlich nicht, ob diese Presseberichte zutreffend sind. Aber es bestünde jedenfalls Anlass, einmal darüber zu reden, zumal es sich um haushaltsaktive Positionen handelt. Der Spiegel schreibt, dass der Bund bereit sei, erheblich mehr Geld zu geben. Mich würde schon interessieren, wie das haushaltstechnisch bewältigt werden soll.
Ein Weiteres. In Art. 22 des Grundgesetzes steht zur Hauptstadtkulturförderung - daran darf ich erinnern -: ?Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Können wir es zulassen, dass der Deutsche Bundestag an der Hauptstadtkulturförderung allenfalls marginal beteiligt wird, dass dieser Bereich durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Berlin und dem Bund geregelt wird? Können wir es uns nicht herausnehmen, zu sagen, dass hier ein klarer Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und dem Bund abgeschlossen werden muss, damit auch die Parlamentarier, und zwar sowohl im Abgeordnetenhaus von Berlin als auch im Bundestag, beteiligt werden?
Auch wenn viele schöne Themen besprochen worden sind, muss ich bemängeln, dass dieses Thema in unserer heutigen Haushaltsdebatte fehlte.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Es wird eine weitere Kurzintervention gewünscht, und zwar vom Kollegen Kampeter.
Er bezieht sich auf den Redebeitrag der Kollegin Göring-Eckardt.
Ich bitte Frau Kollegin Göring-Eckardt, ihm zuzuhören und ihre Aufmerksamkeit von Herrn Trittin abzuwenden, damit sie anschließend auf die Kurzintervention reagieren kann. - Bitte schön, Herr Kampeter.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Auch ich will meine Enttäuschung darüber ausdrücken, dass die Kollegin Göring-Eckardt es versäumt hat, zu diesen wichtigen Fragen der Hauptstadtkulturförderung Stellung zu nehmen. Ich will in diesem Zusammenhang gerne auf einige Aspekte hinweisen:
Erstens. Der Bund steht zu seiner Verantwortung für Berlin als Hauptstadt und auch für deren kulturelle Funktion.
Zweitens. Sowohl bezogen auf Fragen der Kultur als auch bezogen auf Fragen der inneren Sicherheit gibt es sehr intensive Verhandlungen mit dem Land Berlin.
Drittens. Wenn ich den Sachstand richtig interpretiere, hat der Regierende Bürgermeister das sehr großzügige Angebot einer Investitionsförderung zugunsten der Berliner Staatsoper seitens der Regierung - sie hätte es dem Parlament wahrscheinlich später vorgelegt - abgelehnt.
Viertens. Ich gehe davon aus, dass alle Prozesse, die als Bundesleistung für Berlin zu verstehen sind, bei den Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag eine große Rolle spielen werden, sodass keinerlei Beschlussfassung am Parlament vorbei zu befürchten ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, wollen Sie reagieren? - Sie müssen nicht, Sie dürfen.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich weiß, dass ich antworten darf. - Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass ausgerechnet ich dafür verantwortlich gemacht werde, dass die Hauptstadtkultur in dieser Debatte keine Rolle gespielt hat.
Herr Kampeter, das finde ich sehr ehrenwert. Möglicherweise haben Sie immer noch das Gefühl, dass ich einer Regierungsfraktion angehöre. Das wird auch bald wieder so sein, und dann wird man dieses Thema hier entsprechend behandeln können.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Das Wort hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast bin ich versucht, zu sagen: So viel Außenpolitik war nie. Das liegt nicht daran, dass wir in diesem Jahr zwei geeignete Bühnen, die G-8-Präsidentschaft und die EU-Präsidentschaft, zur Verfügung hatten. Wir haben diese Präsidentschaften - das haben Sie gesehen - nicht nur ertragen oder sind dabei, sie zu überstehen. Wir haben die kleinen und großen Gipfel in Berlin, Brüssel, Heiligendamm, Bremen, Hamburg, Nürnberg, Potsdam und wo immer sonst nicht nur protokollarisch bewältigt, sondern auch versucht, das zu tun, was von uns gefordert wurde: Wir haben die Präsidentschaften für eine kraftvolle politische Gestaltung genutzt.
Das hat, wie ich finde, geholfen. Das hat geholfen, Europa wieder aus der Krise zu führen, und das hat dazu beigetragen, dass Europas Stimme in der internationalen Politik wieder wahrnehmbarer geworden ist. Dafür haben in erster Linie nicht wir uns, sondern andere uns gelobt. Auch deshalb stehen wir weiterhin in der Verantwortung, diese Politik auch unabhängig von einer Präsidentschaft voranzutreiben.
Noch etwas ist uns gelungen - nicht in den letzten sechs Monaten, aber in den letzten zwei Jahren -: Ohne das deutsche Engagement bei den internationalen Konflikten auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten und in Afrika, wo wir gebraucht wurden, zu vernachlässigen, haben wir für ein neues Verständnis von Außenpolitik geworben. Wir haben dafür geworben, dass mit der Globalisierung neue Aufgaben auf die Außenpolitik zukommen, auf die wir uns jetzt und nicht irgendwann vorbereiten müssen.
Ich habe vor zwei Jahren auf der Münchener Sicherheitskonferenz - der eine oder andere von Ihnen war dabei, wie ich mich erinnere - ein Plädoyer für eine vorausschauende Außenpolitik gehalten: für eine Außenpolitik, die sich bereits jetzt um die zu erwartenden Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen wie Energie, Rohstoffe, Wasser und Nahrung kümmert, für eine vorausschauende Außenpolitik, die Instrumente dafür entwickelt, dass sich aus solchen Interessensgegensätzen keine Konflikte entwickeln, für eine Außenpolitik, die die guten Erfahrungen der Entspannungspolitik vergangener Tage nutzt.
Ich erinnere mich auch, dass dieses Plädoyer vor zwei Jahren von den alten NATO-Hasen auf der Münchener Sicherheitskonferenz noch etwas belächelt wurde. Heute lacht keiner mehr. Nur, die Rezepte, die jetzt vorgelegt werden, sind noch nicht die richtigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Vorschlag für die Schaffung einer ?Energie-NATO“ nicht die richtige Antwort auf die Fragen ist, die sich uns stellen werden. Da müssen wir dickere Bretter bohren. Seien Sie sicher: Ich jedenfalls habe keine Scheu davor.
Zu den weltweit knappen Gütern gehört - lassen Sie mich das so offen sagen - leider manchmal auch die Vernunft. Ich habe vor einigen Monaten hier im Deutschen Bundestag bei einer abrüstungspolitischen Debatte schon einmal darauf hingewiesen, welche Sorgen hier angezeigt sind. Ich bin froh - die Entwicklung der jüngsten Diskussionen zeigt dies -, dass ich mit dieser Auffassung nicht ganz allein bin.
Ich weiß nicht, ob der eine oder andere von Ihnen den Weckruf dreier großer amerikanischer Außenpolitiker gehört hat.
Kissinger, Shultz und Nunn haben darauf hingewiesen, dass Abrüstung und Nonproliferation keine Themen von gestern sind,
dass sie jetzt vielleicht fast noch brisanter sind als im Kalten Krieg. Das ist der Grund dafür, warum ich mich - ich bekenne das offen - trotz vieler Enttäuschungen und trotz mancher Frustrationen weiter geduldig um eine Lösung des Iran-Konflikts kümmern werde
und warum wir auch weiterhin - hoffentlich gemeinsam mit den Amerikanern, Russen und Chinesen - versuchen werden, den Iran von nuklearen Abenteuern abzuhalten, ihn endlich auf den richtigen Weg zu bringen und zu ermutigen, eine konstruktive Rolle bei der Lösung der Konflikte im Libanon, im Irak und auch in Afghanistan zu übernehmen. Entschiedenheit ist eine Voraussetzung dafür, und die haben wir.
Aber auch jenseits des iranischen Nuklearthemas gehören Abrüstung und Rüstungskontrolle aus meiner Sicht wieder auf die internationale Agenda. Es geht dabei nicht nur um Missile Defense oder die Vakuumbombe. Wir haben - lassen Sie mich das etwas nachdrücklicher sagen - ein europäisches Interesse daran, dass die über Jahrzehnte entwickelte Abrüstungsarchitektur nicht komplett rückabgewickelt wird. Solche Bedrohungen bestehen. Deshalb sage ich: Wir können diese Dinge nicht einfach laufen lassen.
Ich fühle mich in der Pflicht, Vorschläge zu machen. Die deutsche Bundesregierung hat dies in Abstimmung mit den zuständigen Ministerien etwa bezüglich der Reform des Nichtverbreitungsvertrages gemacht, um den nationalen Ehrgeiz verschiedener Länder zur Schließung des Brennstoffkreislaufs zu begrenzen und daraus resultierende Gefahren abzuwenden. Dieses europäische Interesse ist für mich auch der Grund, weshalb wir es nicht zulassen dürfen, dass Verträge, über die lange verhandelt wurde, wie zum Beispiel das Abkommen über die Begrenzung der konventionellen Rüstung, einfach so in die Tonne getreten werden. Wie viele andere ärgere auch ich mich darüber, dass wir jetzt in einer Situation sind, in der das Abkommen leichthin suspendiert wird. Natürlich wäre es am einfachsten, darauf mit Verbalattacken und mit dem Abbruch der Gespräche zu antworten. Würde man das tun, wären einem am nächsten Tag zumindest die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Schlagzeilen in den Zeitungen sicher.
Nur - das ist meine Herangehensweise -: Zu einer Lösung trägt all dies nicht bei. Deshalb ist es vernünftig, dass wir neue - sicher mühselige - Gespräche aufnehmen, um das ganz offenbar verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen. Ich habe für den nächsten Monat zu einer KSE-Konferenz nach Berlin eingeladen, um zu versuchen, das, was schon kaputtgegangen ist, einigermaßen zu reparieren.
Warum all das? Weil ich nicht einsehen kann, dass andere über europäische Interessen entscheiden. Wir haben hier ein gewichtiges Wort mitzureden.
Meine Damen und Herren, die Ansätze der Vernunft und der Nutzung der Dialogmöglichkeiten werden wir auch im Rahmen der diversen Regionalkonflikte, über die heute Morgen schon gesprochen worden ist, verfolgen. Diesen Ansätzen werden wir treu bleiben.
Im Nahen Osten haben wir die Europäische Union - das konnten Sie in den ersten sechs Monaten dieses Jahres beobachten - als ernstzunehmenden Akteur zurück an den Verhandlungstisch gebracht; damit haben wir viel erreicht, wenn auch noch keine Lösung gefunden worden ist. Das war nur deshalb möglich, weil wir dafür gesorgt haben, dass Europa seine Stellungnahmen verantwortungsvoll und vor allen Dingen geschlossen abgibt, damit im Nahen Osten nicht fünf, sechs unterschiedliche Meinungen aus Europa herumgeistern; denn das würde keinem helfen.
Ich glaube, wir haben mit dazu beigetragen, dass das Nahostquartett wieder aktiv geworden ist und in der arabischen Welt Partner gefunden hat. Niemand fragt uns heute noch: Was wollt ihr Europäer bzw. ihr Deutschen eigentlich im Nahen Osten? Vielmehr werden wir von Israel und von den Palästinensern aufgefordert, unser Engagement in dieser Region aufrechtzuerhalten bzw. es womöglich noch zu steigern. Vertrauen haben wir jedenfalls auf beiden Seiten gewonnen. Vielleicht sind wir sogar diejenigen, die auch mit schwierigen, für eine Gesamtlösung aber unverzichtbaren Partnern wie zum Beispiel Syrien reden können.
Ich glaube, dass das, was ich zum Nahostkonflikt gesagt habe, trotz aller Unwägbarkeiten auch für den Verlauf des Konflikts im Kosovo gilt. In den sechs Monaten unserer Präsidentschaft haben wir es immerhin geschafft, im Hinblick auf den Kosovo-Konflikt eine gemeinsame europäische Haltung zu bewahren - wahrlich nicht ohne Mühe, wahrlich nicht ohne Konflikte, am Ende aber erfolgreich. Als die Verhandlungen im Sicherheitsrat stockten und vorläufig scheiterten, waren es vor allem wir, die gesagt haben: Lasst uns jetzt dafür sorgen, dass keine Krise ausbricht - das Risiko der Gewaltanwendung war nämlich vorhanden -, und lasst uns einen Weg finden, einen neuen Verhandlungsprozess zu beginnen. Mittlerweile läuft dieser Prozess. Er dauert 120 Tage und findet unter dem Dach einer Troika bzw. unter dem Dach der VN statt. Dadurch konnte der offene Bruch, der zu befürchten war, vermieden werden. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auf beiden Seiten die Kräfte zu mobilisieren, die für Mäßigung und für die Verfolgung gemeinsamer Interessen stehen.
Zu den zentralen Themen gehört unser Engagement in Afghanistan - viele von Ihnen haben sich dazu heute bereits geäußert -, über das wir in den nächsten Wochen in diesem Hause noch vielfach miteinander diskutieren werden. Deshalb möchte ich nur einige Sätze zu meinem Grundverständnis sagen. Das, worüber wir in diesem Zusammenhang diskutieren werden, ist für mich keine pure Realpolitik. Unser Engagement in diesem Land ist ein humanes und politisch-moralisches Projekt. Deshalb ärgert es mich ganz gewaltig, dass wir die Diskussion, die wir unter den politisch Verantwortlichen führen, immer auf den Streit um Mandatskürzel reduzieren.
Die Weltgemeinschaft hat Afghanistan im Jahr 2001 auf dem Bonner Petersberg und wiederholt auf anderen internationalen Konferenzen versprochen, es aus der Spirale von Willkür, Rechtlosigkeit und Gewalt zu befreien. Sie, Herr Westerwelle und Herr Struck, haben in diesem Zusammenhang Beispiele angeführt, die ich nicht wiederholen muss. Wir haben den Menschen in Afghanistan versprochen, ihnen ein Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen. Mit dieser in ziviler Hinsicht immer stärker und in militärischer vielleicht immer schwächer werdenden Aufgabe sind wir noch nicht fertig. Das ist schlicht und einfach der Punkt.
Deshalb plädiere ich nicht für ein bloßes Weiter-so. Das war weder in der Vergangenheit meine Position noch ist sie es jetzt. Wir waren diejenigen, die das PRT-Konzept entwickelt haben; das Stichwort ist heute Morgen schon gefallen. Wir waren es, die in den NATO-Gremien mit dafür gefochten haben, dass der zivile Wiederaufbau einen höheren Stellenwert erhält. Wir haben auch in den NATO-Gremien dafür gefochten, dass die Einsatzregeln für ISAF angepasst werden, dass der Schutz unschuldiger Zivilisten einen höheren Stellenwert bekommt. Man hat da auch auf uns gehört; das bitte ich nicht kleinzureden. Wir wollen, dass unsere Botschaften auch in Zukunft gehört werden.
Natürlich werden wir unser Engagement in Afghanistan immer wieder kritisch überprüfen und dort, wo es notwendig ist, anpassen; das haben Sie, glaube ich, bei den fortgeschriebenen Konzepten unseres Afghanistan-Engagements gespürt. Ich will diese Gelegenheit nutzen, um mich bei all denjenigen ausdrücklich zu bedanken, die in den letzten Wochen an Vorschlägen gearbeitet haben, die wir Gott sei Dank in das Papier, das Sie mittlerweile kennen, einarbeiten konnten.
Deutlich geworden ist doch eines: Wir erfüllen unsere Aufgabe in Afghanistan, wenn wir erfolgreich dafür sorgen, dass funktionierende staatliche Strukturen entstehen. Deshalb brauchen wir nicht nur ein Weiter-so, sondern mehr Elan bei der Ausbildung der afghanischen Armee, der afghanischen Polizei sowie - das wird gerne unterschlagen - der Richter und Staatsanwälte. Auch da sind wir engagiert.
Wir brauchen ein wirkliches Engagement und nicht nur Lippenbekenntnisse. Deshalb, lieber Fritz Kuhn - ich schätze Dich; das weißt Du -, ist ?halb rein und halb raus“ keine Antwort auf die Anforderungen, die dort an uns gestellt werden.
Ich komme zum Schluss, weil ich aufgrund meiner Redezeit zum Schluss kommen muss. Ich hätte gerne noch ein paar längere Ausführungen zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gemacht. Ich will nur, Monika Griefahn, ein kleines Beispiel nennen: Gerade hat der frühere französische Außenminister Hubert Védrine dem französischen Präsidenten, den wir erst diese Woche zu Gast hatten, einen Bericht vorgelegt.
Was steht in diesem Bericht? Es finden sich viele kritische Bemerkungen über die französische Außenpolitik, aber auch ein Plädoyer für die Ausweitung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit all den Argumenten, die Sie von mir aus vergangenen Reden kennen. Das sind Investitionen in unsere eigene Zukunft. Ich bin froh, dass der Finanzminister das genauso sieht wie ich. Ich bedanke mich dafür und hoffe auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten sechs Monate waren geprägt von Gipfeln, Glanz und roten Teppichen. Jetzt sind die Mühen der Ebene in der Außenpolitik wieder erreicht. Die Bundesregierung hat - mein Fraktionsvorsitzender hat das heute Morgen klargemacht - diese Aufgaben gut bewältigt. Wir gratulieren dazu. Wir schließen in unseren Dank insbesondere Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die der anderen Häuser ein. Das war eine große Herausforderung, die bewältigt werden musste, und das ist gut gelungen.
Ich hätte mich umso mehr gefreut, wenn Sie gerade unter diesen Gesichtspunkten den Antrag zu Strukturverbesserungen im Auswärtigen Amt, den die FDP eingebracht hat, nicht abgeschmettert hätten, obwohl die Außenpolitiker der Koalition und auch der Minister selbst sehr viele Sympathien dafür gezeigt haben.
Wir kommen darauf zurück: Mein Kollege Koppelin wird nachher mit einigen ganz konkreten Vorschlägen für die Verbesserung der Situation des Auswärtigen Amtes aufwarten.
Wir - nicht nur wir Liberale, sondern, wie ich denke, die große Mehrheit hier im Hause - hatten uns bei der europäischen Verfassung ambitioniertere Ziele gesetzt, als unter deutscher Präsidentschaft erreichbar waren. Trotzdem ist es gut, dass der Prozess wieder in Gang gekommen ist. Die EU muss demokratischer, transparenter, handlungsfähiger und bescheidener werden. Nicht alles, was im Juni beschlossen worden ist, geht in die richtige Richtung. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt keine weitere Verwässerung zuzulassen. Es erfüllt uns Liberale mit großer Sorge, dass einige Partner schon wieder bohren und Forderungen erheben, die mit den Ergebnissen vom Juni nicht vereinbar sind, insbesondere was die Vereinbarung in Sachen Grundrechtecharta, aber auch was die Abstimmungsprozeduren angeht. Diese Vereinbarungen müssen gewahrt werden.
Darüber hinaus sage ich als Liberaler: Einem weiteren Kratzen an der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und an der Verpflichtung auf unverfälschten, freien Wettbewerb werden wir Liberalen auf keinen Fall zustimmen.
Es wäre im Übrigen fatal, wenn sich die Reform der Europäischen Union weiter hinzöge und mit den Verhandlungen über die Zukunft der EU-Finanzen in Zusammenhang geriete. Herr Minister, ich habe die große Befürchtung, das würde für den deutschen Steuerzahler sehr teuer werden.
Ein Wort zur europäischen Außenpolitik. Es ist ja nicht zu übersehen, dass es die immer stärker werdende Tendenz gibt, nationale Interessen über das Gemeinschaftsinteresse zu stellen. Es kann nicht sein, dass es, wie es im Falle der Verhandlungen Tschechiens und Polens mit den USA über die Stationierung eines Raketenabwehrsystems, wie es bei der Annäherung Spaniens an das Regime Fidel Castros auf Kuba oder wie es beim jüngsten französisch-libyschen Nuklearabkommen gewesen ist, keine Abstimmung im Kreise der 27 gibt. Für uns sind das elementare Fragen, die in den Rat der Europäischen Union gehören.
Im Übrigen muss ich sagen: Die Verbindung der von Ihnen sehr diskret vorverhandelten Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern in Libyen mit dem französisch-libyschen Nukleardeal desavouiert nachträglich Ihre anerkennenswerten Bemühungen. Ich finde, das ist inakzeptabel.
Das gilt erst recht, wenn hinterher in geradezu zynischer Weise von einem Spitzenfunktionär der libyschen Seite darauf hingewiesen wird, dass alle Vorwürfe, die die europäische Seite Libyen gemacht hatte, selbstverständlich zutreffen.
Dass der deutsch-französische Motor ins Stottern geraten ist, kann uns nicht fröhlich stimmen. Wenn in Frankreich nun schon regierungsamtlich durchgestochen wird, Angela Merkel gehe dem französischen Präsidenten auf die Nerven, dann verheißt das nichts Gutes für die Zukunft. Ich finde es ja gut, dass die Marginalisierung der kleinen und mittleren Staaten in Europa vorbei ist. Ich finde es gut, dass wir zurückkehren zu der Politik von Genscher und Kohl, für die die Ebenbürtigkeit der Staaten der Europäischen Union - unabhängig von Größe, Wirtschaftskraft, Lage und Zeit der Zugehörigkeit zur Europäischen Union - immer entscheidend war. Trotzdem gilt es immer noch, zu beachten: Ohne deutsch-französischen Konsens läuft in der Europäischen Union nichts. Übrigens bleibt auch die zweite Lehre gültig: Deutschland darf sich niemals in die Situation bringen, zwischen Washington und Paris wählen zu müssen.
Der Prozess der Abnabelung von der Außenpolitik der Regierung Schröder/Fischer ist erfolgreich vollzogen; das anerkennen wir. Ich fand im Übrigen den Auftritt der Bundeskanzlerin in Peking herzerfrischend. Das war gewissermaßen der Schlusspunkt in einer Reihe von Auftritten: in Moskau zum Thema Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, in Washington zum Thema Guantanamo Bay und jetzt in China. Das zeigt, dass man für die eigenen Werte und Überzeugungen, für das, was die ethische Grundlage unseres politischen Handelns ist, eintreten kann, ja dass man die Achtung des politischen Gegenübers verliert, wenn man nicht für das eintritt, was man für richtig hält.
Gerade in Menschenrechtsfragen ist der Kotau unangemessen, wirkt geradezu kontraproduktiv. Allerdings ist es eher ein Zeichen von Hilflosigkeit und Naivität, zu glauben, mit kräftigen Sprüchen und mit dem Androhen von Druck könnte man so gewichtige Partner bewegen.
- Das gilt sehr allgemein, Kollege Mark, aber insbesondere im Umgang mit China.
Wir müssen kulturelle, religiöse und philosophische Grundlagen, aufgrund derer unsere Partner Politik machen, stärker ins Kalkül einbeziehen und uns darauf einstellen, wenn wir unsere eigenen Ziele definieren. Das gilt auch für ein so komplexes Land wie Afghanistan. Das ist ein Zeichen dafür, dass es hohe Zeit wird, mit mehr Demut an diese Fragen heranzugehen. Das gilt schon für die Definition von Zielen und erst recht für die Definition von Strategien, mit denen wir diese Ziele erreichen wollen. Wir werden nicht in kurzer Zeit eine perfekte Westminster-Demokratie erreichen, aber wir können Probleme eindämmen und möglicherweise einen Beitrag zur Problembewältigung über die Zeit leisten.
Das setzt voraus, dass wir realistisch werden und nie vergessen, warum wir ein solches Engagement begonnen haben; das haben sowohl die Bundeskanzlerin als auch mein Fraktionsvorsitzender Guido Westerwelle heute Morgen sehr deutlich herausgearbeitet. Wir dürfen das nicht vergessen. Insofern ist Großes erreicht worden, aber das muss auch nachhaltig werden.
In Afghanistan und Pakistan gibt es nach wie vor die gefährlichste Basis für den Generalangriff auf unsere Lebensform und die fundamentalen Werte der aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratien des Westens. Deswegen ist dieses Engagement weiterhin erforderlich, auch wenn wir nicht einfach von Siegen oder Niederlagen sprechen können. Das heißt aber nicht, dass wir bei den Mandatsvorschlägen keinen Nachsteuerungsbedarf sähen, auch wenn wir als Liberale ihnen zustimmen werden. Das gilt für die Vernetzung unserer verschiedenen Politikbereiche und auch für die Vernetzung unserer Partner in der NATO.
Ich halte die Reduzierung der NATO auf die rein militärische Dimension - wie sie der NATO-Generalsekretär im Spiegel erneut bekräftigt hat - für falsch. Das ist nicht akzeptabel, weil wir im Ergebnis nur dann zum Erfolg kommen werden, wenn wir unsere militärischen und zivilen Aktivitäten stärker bündeln, und zwar im Gespräch mit den Partnern in der NATO.
Der Verweis auf die UNO geht hier völlig ins Leere. Auch wenn der NATO-Generalsekretär nicht nur uns, sondern auch der afghanischen Regierung mangelnde Bereitschaft vorwirft, erinnert mich das an die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten gegenüber den Irakern nach dem Motto: ?Wir haben zwar eine große Katastrophe angerichtet, aber für das, was jetzt zu bewältigen ist, seid ihr selber verantwortlich.“ Das funktioniert nicht. Auch in Afghanistan wird die UNO alleine es nicht richten.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung, Herr Präsident. Ich finde es gut, dass sich der Außenminister jetzt dem Thema Abrüstung zuwendet. Seit zwei Jahren beende ich jede Rede zur Außenpolitik mit diesem Aspekt der Politik. Ich wünsche mir nur, dass wir demnächst entsprechende Zeichen sehen werden. Sie werden den Vorsitz in der Nuclear Suppliers Group übernehmen und uns wahrscheinlich erklären, dass Sie den amerikanisch-indischen Nukleardeal unterstützen werden. Sie werden uns demnächst zu erklären haben, warum Sie den Antrag der FDP-Fraktion auf Bemühungen der Bundesregierung um den Abzug der taktischen amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland neulich abgelehnt haben und möglicherweise demnächst wieder ablehnen werden. Hier erwarten wir nicht nur Worte - die ich allerdings gerne gehört habe -, sondern auch Taten.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Seit der letzten Haushaltsdebatte Ende des letzten Jahres können wir auf ein erfolgreiches Dreivierteljahr deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zurückblicken. Ich freue mich, dass dieses Urteil nicht nur von der Koalition geteilt wird - das ist zunächst einmal keine Überraschung -, sondern dass auch die Opposition - mit Ausnahme der Linkspartei - lobende Worte für die Bundeskanzlerin und den Außenminister gefunden hat.
Man sollte sich einmal vor Augen führen, wie die Ausgangslage vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft in den Monaten November und Dezember des letzten Jahres war: Damals wurde gesagt, dass von der deutschen EU-Präsidentschaft aus unterschiedlichen Gründen, der Schwierigkeiten des Verfassungsprozesses und der Wahlen in Frankreich, nicht viel zu erwarten sei. Nicht nur gemessen an diesem Maßstab, sondern objektiv daran, was erreicht worden ist - an dieser Stelle mein ausdrückliches Kompliment an die Kanzlerin und den Außenminister -, haben wir viel geschafft, und zwar mehr als das, was man im November oder Dezember letzten Jahres hat erhoffen können.
Das gilt insbesondere für drei Felder. Der Klimaschutz ist ein Markenzeichen dieser Großen Koalition. Es ist uns gelungen, in der Europäischen Union zu verbindlichen Vorgaben zu kommen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, statt nur die Herausforderung des Klimawandels international zu beklagen.
Das ist ein Ergebnis des von der Bundesregierung vorbereiteten und geführten EU-Gipfels. Das hat der damalige britische Premierminister Tony Blair zu Recht als historisch bezeichnet.
Der von vielen für tot erklärte Verfassungsprozess ist durch die deutsche Präsidentschaft so reanimiert worden, dass es nun eine Regierungskonferenz gibt, die - damit können wir rechnen - zum Erfolg führen wird. Auch das ist ein Ergebnis, mit dem man vor einigen Monaten noch nicht gerechnet hat. Die Bundesregierung hat zudem auf europäischer Ebene eine Initiative ergriffen, die dazu dient, uns auf die Herausforderungen vorzubereiten, die mit dem Aufstieg Asiens verbunden sind. Wir müssen uns darauf einstellen, dass in den nächsten Jahrzehnten die Weltwirtschaft vor allem vom asiatischen Wachstum, vom asiatisch-pazifischen Raum bestimmt wird.
Wir müssen auf zwei Herausforderungen reagieren. Zum einen müssen wir uns die Frage stellen, welche Fähigkeiten und welche komparativen Vorteile wir uns aneignen und weiterentwickeln sollen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein und das Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit zu garantieren, an das wir uns in Europa und insbesondere in Deutschland gewöhnt haben. Das ist vor allem, aber nicht nur eine Aufgabe der Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Zum anderen müssen wir uns die Frage stellen, welche Strukturen wir schaffen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Initiative zur Schaffung eines gemeinsamen transatlantischen Marktplatzes, die auf dem europäisch-amerikanischen Gipfel im April dieses Jahres vereinbart wurde. Globalisierung bedeutet, dass weltweite Entwicklungen unmittelbar Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie wir in unserem Land leben und leben können. Das gilt für die wirtschaftlichen und die klimatischen Herausforderungen, aber auch und ganz besonders für die sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Damit kommt man automatisch zu Afghanistan. Ich will deutlich sagen: Wer nach den glücklicherweise gescheiterten Attentatsversuchen in den letzten Tagen, Wochen und Monaten nicht begreift, dass der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zusammen mit unseren Verbündeten im Rahmen der NATO zuallererst unseren elementaren Sicherheitsinteressen dient, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
Dieser Einsatz besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen. Es geht um den Aufbau ziviler Strukturen. Es wurde schon zu Recht darauf hingewiesen, dass hier sehr viel erreicht wurde. Aber dort muss wesentlich mehr geschehen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der Drogenwirtschaft. Wenn es uns nicht gelingt, für die Bauern in Afghanistan alternative Einnahmemöglichkeiten zu schaffen,
dann besteht die Gefahr, dass das, was wir bisher erreicht haben, erneut gefährdet wird. Das heißt, wir würden nicht nur auf dem Status quo verharren, sondern wir würden Gefahr laufen, auf den Status quo ante zurückzufallen. Deswegen brauchen wir dort ein stärkeres Engagement. Die Erhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan um 20 Millionen Euro im Haushalt der Bundesentwicklungsministerin ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber das ist - präziser beschrieben - nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir gerade für den zivilen Aufbau - die Infrastruktur, den Straßenbau, die Wasser- und die Energieversorgung - deutlich mehr tun müssen, wenn wir die bisherigen Erfolge nicht gefährden wollen.
Eine Schlüsselrolle bei der Verbindung von zivilem Aufbau und militärischer Sicherheit nach dem Konzept der vernetzten Sicherheit kommt dem Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte zu. Das, was Deutschland vorschlägt, ist konzeptionell beispielgebend, aber die Mittel, die wir einsetzen, fallen hinter dem von uns selbst formulierten Anspruch und vor allem hinter dem, was in Afghanistan tatsächlich erforderlich ist, nach wie vor weit zurück. Wenn wir nicht auch beim Aufbau von Armee und Polizei unsere Bemühungen erheblich verstärken, gilt auch für diesen Bereich das, was ich zum zivilen Aufbau gesagt habe: Wir gefährden das, was wir bisher erreicht haben. Dass dieser Aufbau gar nicht mit so viel mehr finanziellen Mitteln verbunden sein muss, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass ein NATO-Soldat durchschnittlich 4 000 Euro am Tag kostet. Das sind Kosten von 120 000 Euro oder 150 000 Dollar im Monat. Ich weiß, dass sich die Kosten nicht eins zu eins übertragen lassen, aber mit 150 000 Dollar im Monat könnte man 1 000 afghanische Soldaten oder Polizisten mit einem Sold von 150 Dollar pro Monat einstellen und ausbilden. Dieser Sold würde weit über dem liegen, der heutzutage gezahlt wird.
Wenn wir uns jetzt einmal vor Augen führen, welchen Herausforderungen wir in Bezug auf die Sicherheitslage gegenüberstehen, so kann ich bei aller Wertschätzung für das Lob, das Sie, Herr Kollege Kuhn, der Bundesregierung gezollt haben, die Position der Grünen, aus OEF auszusteigen, nicht nachvollziehen.
Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner Amtszeit zweimal die Vertrauensfrage gestellt, beide Male mit überzeugenden Argumenten, einmal, um sie zu gewinnen, und einmal, um sie zu verlieren. Als er sie noch gewinnen wollte,
am 16. November 2001, und sie gewonnen hat, hat er das mit der deutschen Beteiligung an der Operation ?Enduring Freedom“ verbunden. Es ist nicht allein Gerhard Schröder, der dafür geworben hatte, sondern es sind, wenn ich mich recht erinnere, auch Sie persönlich gewesen.
Jetzt stellt sich die Frage, warum heute der Ausstieg aus OEF gerechtfertigt sein könnte. Dafür können drei Gründe ausschlaggebend sein. Der erste Grund wäre eine so deutliche Verbesserung der Sicherheitslage, dass man auf die Terrorbekämpfung unter OEF verzichten kann. Das wird hier niemand ernsthaft behaupten wollen. Das zweite Argument, das immer wieder angeführt wird, ist, dass die deutsche Beteiligung an OEF nicht angefordert worden sei. Auch dieses Argument ist wenig überzeugend, wenn man sich vor Augen führt, dass deutsche Truppen seit 2005 nicht mehr unter OEF in Afghanistan sind. Es ist also nicht so, dass die Truppen abgezogen wurden, weil sie nicht mehr angefordert wurden, sondern eher umgekehrt: Sie wurden nicht mehr angefordert, weil sie nicht mehr vor Ort waren. Das hat mit den begrenzten Kapazitäten unserer KSK-Truppen zu tun. Also, auch das Argument, dass eine Beteiligung unter OEF nicht mehr erforderlich sei, weil es an der entsprechenden Anforderung fehle, stimmt nicht. Schließlich kommen wir zu dem dritten, am meisten vorgetragenen Argument, nämlich zu der sich angeblich von dem ISAF-Mandat so sehr unterscheidenden Operationsführung unter OEF. Auch dieses Argument ist falsch. Dieses Argument ist in erster Linie innenpolitisch motiviert. Es hat nichts mit den Verhältnissen und der Realität in Afghanistan zu tun;
denn zu dem, was man euphemistisch ?Kollateralschäden“ nennt, zu zivilen Opfern, ist es bedauerlicherweise sowohl unter ISAF als auch unter OEF gekommen. Nicht umsonst hat es entsprechende Äußerungen des NATO-Generalsekretärs gegeben.
OEF ist heute vor allem eine Ausbildungsmission. Die milliardenschwere Investition, die insbesondere von den Amerikanern in Afghanistan für den Aufbau der Polizei und für den Aufbau der Armee geleistet wird, wird über OEF geleistet. Wer also für den Ausstieg aus OEF plädiert und gegen die Mandatsverlängerung stimmt, der stimmt auch gegen diese Ausbildungsmission
und müsste dann erklären, wie er diese Aufgabe übernehmen zu können glaubt. Das heißt, es ist in erster Linie innenpolitische Augenwischerei, wenn man sagt, man könne die beiden aufeinander angewiesenen Missionen in Afghanistan voneinander trennen.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: ISAF und das damit verbundene Mandat, die afghanische Regierung zu unterstützen, sind auf den Erfolg von OEF angewiesen. Auch OEF wird in Afghanistan nur erfolgreich sein, wenn ISAF seinen Auftrag erfüllen kann. Beide militärischen Operationen werden ihr Ziel, für mehr Sicherheit zu sorgen, wiederum nur erreichen können, wenn wir beim zivilen Aufbau wesentlich mehr tun und deutlich erfolgreicher sind, als es bisher der Fall gewesen ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Ja, bitte sehr.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege von Klaeden, wir, die Obleute im Verteidigungsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss, haben bis dato die Erfahrung gemacht, nie darüber unterrichtet worden zu sein, was OEF in Afghanistan konkret bedeutet. Über den Auftrag sind wir seit sechs Jahren informiert; er ist klar. Können Sie der Erfahrung, die ich seit inzwischen einigen Jahren mache, etwas entgegensetzen?
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Nachtwei, ich kann Ihrer Erfahrung nichts entgegensetzen. Informationen durch das deutsche Verteidigungsministerium für die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses konnten vor allem zu der Zeit gegeben werden, als deutsche Soldaten im Rahmen von OEF in Afghanistan eingesetzt waren. Dieser Einsatz ist, wie ich gerade ausgeführt habe, im Oktober 2005, also in der Schlussphase Ihrer Regierungszeit, zu Ende gegangen. Deswegen hat es danach keine Informationen mehr gegeben.
Ich gebe Ihnen aber recht - ich nehme an, Sie wollen darauf hinaus -, dass der Informationsaustausch zwischen ISAF und OEF in Afghanistan deutlich verbessert werden muss; das ist für mich überhaupt keine Frage. Ich halte es bloß für etwas widersinnig, dass gerade diejenigen, die Wert darauf legen, dass die Weitergabe von Informationen von OEF an ISAF, zum Beispiel durch die Tornado-Flüge, besonders restriktiv gehandhabt, also eingeschränkt wird, sich hinterher darüber beklagen, dass es Mängel bei der Weitergabe von Informationen durch ISAF an OEF gibt.
Ich finde, wir müssen uns darauf einstellen, dass eine künstliche Trennung in Bezug auf die Kooperation beider Operationen in Afghanistan nur ins Verderben führen kann. Wir brauchen Kooperation, Abstimmung und insbesondere Informationsaustausch in beide Richtungen. Das ist die Konsequenz dessen, was ich gerade gesagt habe: dass beide Operationen aufeinander angewiesen sind.
Ich darf insbesondere an diejenigen appellieren, die in der letzten Legislaturperiode Regierungsverantwortung getragen und - das will ich deutlich sagen - mit überzeugenden Argumenten die Auffassung vertreten haben, dass für den Erfolg in Afghanistan, für die Unterstützung des zivilen Aufbaus beide militärischen Operationen erforderlich sind: Sie sollten sich heute nicht mit fadenscheinigen Ausreden, insbesondere mit der Rücksichtnahme auf die eigene Wählerklientel, auf die innerparteiliche Situation oder auf Umfrageergebnisse aus dieser Verantwortung zu stehlen versuchen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr von Klaeden, in einem stimme ich Ihnen zu: Es ist richtig, die heutige Oppositionsfraktion der Grünen auf ihre Verantwortung hinzuweisen, die sie mit dem Stellen der Vertrauensfrage und dem Erzwingen der Zustimmung der Fraktion zum Afghanistan-Krieg hat. Ich möchte ergänzen: Das KSK ist während der Regierungszeit von Rot-Grün eingesetzt worden; erst als die CDU an die Regierung kam, kam es nicht mehr zum Einsatz. Die diesbezüglichen Daten sind verschwunden.
Wir sind also gar nicht in der Lage, zu verifizieren, was unter der rot-grünen Regierung in Afghanistan im Rahmen von OEF eigentlich gemacht worden ist. Machen Sie von den Grünen hier bitte keine Schönfärberei!
Herr von Klaeden, aus Ihrer Rede habe ich deutlich herausgehört, dass Sie jetzt für eine Zusammenlegung von ISAF und OEF werben.
Ich nehme an, ich habe Sie da nicht missverstanden.
- Okay; dann ist es gut. Uns liegt nämlich ein Verfassungsgerichtsurteil vor, in dem größter Wert darauf gelegt wird, dass die Trennung dieser Mandate beibehalten wird.
Eines in der Debatte hat mich doch verwundert, Herr Hoyer, nämlich dass Sie davon sprechen, Afghanistan greife unsere Lebensform und unsere Lebensweise an. Das kann ich nicht teilen.
Oft ist vom Clash of Civilisations die Rede. Es ist gut, sich von unserer Seite aus daran zu erinnern, dass er etwas mit dem Ressourcenzugriff in der islamischen Welt zu tun hat, dass es nicht nur um die aufgeklärte westliche Lebensweise, die der christlichen Kultur entstammende Lebensweise geht. Es hat eben auch etwas damit zu tun, wie die Zugriffe auf die Welt zur Sicherung der Ressourcen erfolgen.
Man muss sich einmal anschauen: Wie sieht das Weißbuch der Bundeswehr aus, was diesen Teil angeht? Die Position von Herrn Steinmeier, die er heute hier bezogen auf die Frage des Klimaschutzes und der Energieaußenpolitik dargelegt hat, bleibt in einem klaren Widerspruch zu der Position, die in der Großen Koalition seitens des Verteidigungsministeriums vertreten wird. Man muss einmal deutlich machen, dass das alles nicht zusammengeht.
Ich bin der Auffassung, dass es ganz wesentlich ist, in unseren außenpolitischen Debatten und Beratungen endlich das Thema ?Klimawandel und Frieden“ in den Mittelpunkt zu stellen; denn ich bin zutiefst davon überzeugt: Nur bei Emanzipation von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern werden wir eine Friedensdividende bekommen. Das ist die eigentliche friedenspolitische Aufgabe, die man bis hinauf in die UN-Ebene durchdeklinieren muss, wozu von der Regierung leider noch gar keine Vorschläge gemacht worden sind.
Wir stehen jetzt parlamentarisch vor einer ganz wesentlichen Entscheidung der deutschen Außenpolitik. Die Frau Kanzlerin hat in ihrer außenpolitischen Betrachtung großen Wert darauf gelegt, eine Einschätzung zu Afghanistan abzugeben. Am Samstag, dem 15. September, werden hier in Berlin Tausende Menschen gegen den deutschen Militäreinsatz demonstrieren. Sie stehen für einen Großteil der Bevölkerung, die der Auffassung ist, dass Deutschland seinen Friedensauftrag in Afghanistan verfehlt.
Nach sechs Jahren Krieg gegen Terror muss diesem eine Absage erteilt werden, weil es an der Zeit ist, einzugestehen, dass es nicht funktioniert, militärische oder zivil-militärische Operationen in Afghanistan zu führen. Das Scheitern dieser Strategie ist offenkundig. Wir sehen Bilder. Wir haben Informationen. Wir wissen es. Obwohl den ganzen Sommer über Werbefeldzüge für die ISAF-Mission geführt wurden, ist die Bevölkerung nicht zu überzeugen. Das zeugt von der Aufgeklärtheit der Menschen. Die Menschen verlangen eine andere außenpolitische Strategie, nämlich eine, die auf Militärpräsenz verzichtet und die Präsenz von Militär nicht zum Ausweis für die politische Unterstützung in einem Krisen- oder Kriegsgebiet macht. Das ist die Haltung, die in der Bevölkerung vertreten wird. Für alles, was zu weiteren Opfern in der Zivilbevölkerung Afghanistans und unter den Soldaten führt, wird die Linke die Hand nicht reichen.
Es ist auch nicht möglich, ISAF zu einem Friedensengel zu erklären. Ich will nur anmerken: Ärzte ohne Grenzen hat nach 24 Jahren Afghanistan verlassen. Malteser International sagt: Nur ohne Soldaten ist Hilfe möglich. - De facto wissen alle, die dort waren: ISAF schützt nur sich selber. Die Zivilbevölkerung hat nahezu nichts davon.
Jetzt müssen die Grünen und die SPD Debatten in den eigenen Reihen führen.
Dabei ist mir einiges aufgefallen. Sie veranstalten einen Sonderparteitag. Das wurde hier im Haus bereits richtig kommentiert. Man wolle OEF auslaufen lassen, wird gesagt, um ISAF samt Tornado-Einsatz zu stärken. Ich finde das höchst verwunderlich; denn Deutschland hat überhaupt keinen Einfluss auf OEF. OEF machen die Amerikaner. Da ist Deutschland nicht gefragt. Da fragen uns die USA doch nicht, auch dann nicht, wenn wir über KSK Kombattanten bei OEF sind. Das muss man der Bevölkerung klar sagen.
Ich weiß gar nicht, welche Debatten Sie auf Ihrem Parteitag führen wollen. Hier wird doch offenkundig eine Schimäre, eine Mär verbreitet. Es geht nicht darum, es entweder zu lassen oder mehr zu tun; es geht darum, ganz rational und humanitär an diese Probleme Afghanistans heranzugehen. Da ist vollkommen klar: Man bekommt keine Perspektive für Frieden und Befriedung in diesem Land, solange das Militär präsent ist. Sie müssen es einsehen: Diese Strategie ist gescheitert.
Sie wollen doch eine qualitative Aufwertung der ISAF-Mission vornehmen - diese Diskussionen werden ja heute schon geführt - und in das ISAF-Mandat OEF-Anteile überführen. Was ist das denn anderes, als in den operativen Krieg gegen den Terror einzusteigen? Es muss doch klar gesagt werden, dass hier Irreführung betrieben wird, wenn öffentlich erklärt wird, mit ISAF nur noch rein zivil arbeiten zu wollen, aber insgeheim gemeint wird, den operativen Teil der kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Terror vor Ort in Afghanistan führen zu wollen. Dann wird man zum Beteiligten in diesem Konflikt, und das wollen wir auf gar keinen Fall.
Eines ist mir vollkommen klar: Im Hinblick auf den Drogenanbau und den zivilen Aufbau wird man nicht umhinkommen, die bekannten Korruptionslinien in der Regierung Karzai zum Thema zu machen. Man kann Korruptionsbekämpfung in Abmachungen hineinschreiben, aber solange der jetzige Drogenanbau nicht in die Form eines lizenzierten, kontrollierten Drogenanbaus für medizinische Zwecke überführt wird, wird man den Drogensumpf nicht austrocknen können. Schon gar nicht wird es gelingen, in Afghanistan neben dem Krieg gegen den Terror nun auch noch den Krieg gegen Drogen zu führen. Dieses Konzept geht nicht auf. Man muss sich vielmehr mit den Anrainerstaaten um eine Lösung vor Ort bemühen; denn der westliche Zugriff auf Afghanistan und das Herbeizwingen von Lösungen haben nicht funktioniert und werden nicht funktionieren. Deshalb muss Deutschland dort als ziviler Friedensdienstleistender aktiv werden und sich so seine Unterstützung in der Bevölkerung verdienen.
Danke.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollegin Kerstin Müller, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu Afghanistan komme - auch ich werde natürlich darüber sprechen -, beginne ich mit dem Ausgangspunkt für unser Engagement dort: dem schrecklichen Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. Wir haben erst gestern wieder der vielen Toten gedacht, und es gab auch viele Berichte dazu.
Man muss ganz klar festhalten: Außenpolitisch war der 11. September eine Zäsur, in vielerlei Hinsicht. Die Vereinten Nationen gestanden den USA zu Recht ein Recht auf Selbstverteidigung gegen diesen schrecklichen Terroranschlag zu; die NATO rief auf dieser Grundlage erstmals den Bündnisfall aus, und die internationale Gemeinschaft intervenierte in Afghanistan. Die USA begannen in einer ?Koalition der Willigen“ ihren Kampf - sie sprechen heute vom ?Krieg“ - gegen den Terror.
Wenn man dies sechs Jahre nach der Intervention in Afghanistan und vier Jahre nach dem Einmarsch im Irak bilanziert, dann muss man eines leider ganz klar feststellen - und das hat viele Gründe -: Die Welt ist nicht sicherer geworden. Der internationale Terrorismus ist heute stärker als je zuvor.
Herr Kollege von Klaeden, Sie haben recht: Der Gott sei Dank am letzten Dienstag vereitelte Terroranschlag hat noch einmal deutlich gezeigt, dass auch wir im Visier des Terrorismus sind. Kein Land der westlichen Welt ist davor geschützt; aber auch auf Teile der arabischen Welt trifft dies zu, wie der Anschlag in Algerien zeigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, da hilft es gar nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und zynisch zu behaupten: Wären wir nicht an den internationalen Einsätzen gegen den Terrorismus beteiligt, dann gäbe es keine Anschlagsgefahr in Deutschland. - Das ist ein unverantwortliches Gerede, denn es ist klar: Wir waren von Anfang an im Visier der Terroristen,
weil der von al-Qaida und anderen erklärte Dschihad eben ein Kulturkampf gegen unsere westlichen Werte ist, gegen unsere Lebensweise, gegen unsere offenen Gesellschaften insgesamt. Mit dieser Vogel-Strauß-Politik verunsichern Sie nur die Bevölkerung in Deutschland noch weiter. Das halte ich für unverantwortlich, denn wir müssen ja gerade deutlich machen, warum es richtig ist, dass wir an den multilateralen Einsätzen, etwa in Afghanistan, beteiligt sind.
Wenn wir hier heute auch über den 11. September und seine Folgen für die Welt diskutieren, dann kommen wir gerade angesichts der aktuellen Irak-Diskussion in den USA nicht umhin, klar festzustellen - das ist jedenfalls meine Bilanz als jemand, Herr von Klaeden, der diese Diskussionen von Anfang an hier mitgeführt hat -, dass der War on Terror der USA gescheitert ist; ich sage das bewusst so.
Er ist nämlich leider mitverantwortlich dafür, dass heute der internationale Terrorismus nicht schwächer, sondern stärker geworden ist. Das war eine Befürchtung, die der frühere Außenminister Joschka Fischer immer hatte. Er hat mit dieser These leider, leider recht behalten.
Nach Afghanistan hat der Terrorismus neue Rückzugsgebiete in Pakistan und vor allem im Irak gefunden. Er breitet sich vor allen Dingen in fragilen Staaten aus. Beispiele seien genannt: die Flüchtlingslager im Libanon, neue Netzwerke in Gaza, Angriffe im Jemen, die Anschlagserie im Maghreb und Strukturen in Somalia über Bangladesch bis Indonesien.
Mitverantwortlich für die Stärkung ist das Irak-Desaster. Vertreter der Demokraten in den USA wie etwa der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses sprachen, bevor General Petraeus überhaupt mit seinem Bericht begann, von einem Fiasko. Die Mehrheit der Amerikaner will nur noch den Abzug. Leider bietet die amerikanische Regierung nur Durchhalteparolen. Damit kommt man, wie ich meine, im Irak nicht mehr weiter. Die dort angewandte Logik ?Mehr Soldaten gleich mehr Sicherheit“ ist, übrigens wie in Afghanistan, nicht aufgegangen. Die Zahl der zivilen Opfer liegt leider auf demselben tragisch hohen Niveau wie im Januar. Man fragt sich, warum etwa so zentrale Empfehlungen wie die des Baker/Hamilton-Reports vom Dezember 2006 einfach in den Wind geschlagen wurden und man nicht ein Stück weit das umgesetzt hat, was dort gefordert wurde. Dort hieß es, dass ein politischer Prozess zur innerirakischen Versöhnung wichtig ist, dass die Nachbarn des Iraks aktiv eingebunden werden müssen, dass eine konfrontative Politik gegenüber Syrien und Iran nicht mehr weiterführt.
Fest steht jedenfalls das Dilemma, in dem wir stecken: Deutschland war nicht am Krieg gegen den Irak beteiligt, aber wir werden jetzt mit den Folgen konfrontiert. Solange der Irak nicht befriedet ist, stellt er ein Sicherheitsrisiko für Europa und damit auch für uns dar. Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, wie wir eine Stabilisierung im Irak unterstützen können. Keiner hat dafür den Stein der Weisen. Aber ich will ein Beispiel nennen: Es war eine Delegation von uns im kurdischen Norden. Ich verstehe nicht - das ist ein ganz kleiner Baustein -, warum Deutschland dort abstinent ist und wir nicht wenigstens mithelfen, diese Region zu stabilisieren.
Jetzt komme ich zur OEF, Herr Kollege von Klaeden. Der War on Terror ist eben nicht nur im Irak, sondern meines Erachtens auch in Afghanistan gescheitert. Es ist vor allen Dingen die Operationsführung - Sie haben sie angesprochen -, die hohe zivile Opfer zur Folge hat. Hier gelten eben nicht die NATO-Rules, gemäß denen - das wurde auch jetzt noch einmal ganz deutlich gesagt - zivile Opfer möglichst vermieden werden sollen. Das hat Hass und Gewalt vor allen Dingen im Süden und Osten des Landes, wo mehrheitlich paschtunische Bevölkerung lebt, geschürt und sie gegen die internationale Gemeinschaft aufgebracht. Ich sage es nochmals - das ist auch ganz klar das Fazit von Abgeordneten meiner Fraktion nach der Reise nach Afghanistan -: Das Vorgehen dort ist unabgestimmt und unsensibel. Es ist derart unsensibel, dass es inzwischen kontraproduktiv für den Erfolg der ISAF-Mission ist. Das ist unser Hauptargument.
Der Kollege Trittin hat in einer anderen Debatte den Vorfall von Shindand geschildert, wo OEF ISAF zu Hilfe rufen musste und die Italiener, die für die Region verantwortlich waren, erst in dem Moment von der OEF-Operation erfahren hatten. Diese ?Hilfe“ führte zu so vielen Opfern, dass es darüber eine riesige Debatte in Afghanistan gegeben hat und das Oberhaus des afghanischen Parlaments, der Senat, beschlossen hat, doch bitte schön diese Mission zu beenden und solche Aktionen künftig zu unterbinden bzw. mit den afghanischen Sicherheitskräften abzustimmen. Ich sage noch einmal: Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir darüber nicht eine Debatte mit unseren amerikanischen Partnern führen - das ist unser Hauptargument -, dann gefährden wir die gesamte ISAF-Mission, auch die zivilen Aufbauprojekte, die wir dort durchführen.
Deshalb meinen wir: OEF muss beendet werden.
Wir haben immer wieder eine Unterrichtung über die Gesamtoperation OEF gefordert. Herr von Klaeden, wir haben neulich noch darüber gesprochen. Bisher haben wir sie nicht bekommen. Dass sie seit zwei Jahren nicht mehr abgerufen worden ist, heißt nicht, dass wir keine Informationen darüber bekommen müssten. Die Amerikaner führen diese Aktion so, wie sie wollen, und lassen sich nicht in die Karten schauen. Das kann nicht sein.
Wir müssen aufpassen, dass nicht eine falsch verstandene Bündnistreue dazu führt, dass Afghanistan am Ende zum Irak der NATO wird. Das kann keiner von uns wollen. Das wollen auch wir Grünen nicht. Wir wollen, dass sowohl die UNO, die im Irak die Federführung hat, als auch die NATO mit der Mission der ISAF erfolgreich sind. Die ISAF-Mission ist inzwischen auf Gesamtafghanistan ausgedehnt. Auch das ist ein Argument, warum es Zeit wird, die OEF in Afghanistan zu beenden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, Sie müssen Ihre Rede beenden. Sie haben die Zeit bereits deutlich überschritten.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ein letzter Satz: Natürlich muss der zivile Aufbau ins Zentrum gestellt werden. Wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, dass auch die Menschen im Süden und im Osten die Friedensdividende zu spüren bekommen, damit sie erkennen, dass wir dort nicht als Besatzer sind, sondern Hilfe leisten wollen, damit der Aufbau, das große Projekt des Nation-Building in Afghanistan, ein Erfolg wird.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Frau Kollegin Müller, Sie haben mich mehrfach auf meine Ausführungen zur OEF angesprochen. Deswegen will ich Folgendes noch einmal klarstellen: Ich teile Ihren Wunsch nach einer besseren Information - und zwar nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der ISAF-Mission - über die Aktivitäten der OEF. Das setzt aber voraus, dass wir den Informationsaustausch von ISAF in Richtung OEF nicht beschränken. Deswegen mein Hinweis auf die Beschränkung im Bundestagsmandat, die restriktive Informationsweitergabe, die gerade auf Wunsch derjenigen aufgenommen worden ist, die kritische Anfragen an OEF stellen.
Der zweite Punkt, den Sie genannt haben, die unterschiedlichen Einsatzregeln für OEF und ISAF in Afghanistan, ist schlicht falsch. Beide Operationen verfügen über dieselben Einsatzgrundsätze.
Der dritte und, wie ich finde, entscheidende politische Punkt ist die Analyse, es gebe in Afghanistan zwei Probleme, nämlich zum einen die Taliban und zum anderen die Operationsführung der Amerikaner. Diese Analyse ist nicht nur falsch,
sondern führt auch dazu, dass unserem ISAF-Einsatz in Afghanistan die moralische Grundlage entzogen wird. Das heißt, Sie begeben sich mit dieser Argumentation auf eine Rutschbahn, die nur darin enden kann, dass man sich ganz aus Afghanistan zurückzieht, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die Aufgabe noch nicht erfüllt ist.
Das ist der eigentlich problematische Teil Ihrer Argumentation. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer Argumentation deutlich machten, dass der Grund für die schrecklich hohe Zahl der zivilen Opfer nicht in erster Linie in der Operationsführung der Amerikaner liegt - auch vonseiten der NATO ist gesagt worden, dass das, was zu verbessern ist, verbessert werden soll -, sondern zuallererst in der Kriegsführung der Taliban, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Der zweiten Grund - auch das gehört dazu - ist der Mangel an Bodentruppen; denn wenn wir, unter beiden Mandaten, mehr Bodentruppen hätten, würden diese nicht so schnell in Bedrängnis geraten - Sie haben ja gerade ein solches Beispiel geschildert - und müssten keine Luftunterstützung anfordern. Wenn Ihre Argumentation schlüssig sein soll, müssten Sie sich für einen stärkeren militärischen Einsatz unter ISAF, aber eben auch unter OEF aussprechen. Das tun Sie aber nicht.
Der letzte Punkt. ISAF selber hat in Afghanistan ungefähr 800 Spezialkräfte im Einsatz, die nichts anderes tun als die Spezialkräfte, die unter OEF eingesetzt werden.
Sie werden erhebliche Schwierigkeiten bekommen, sofern Sie Ihre Linie beibehalten wollen, wenn die Glaubwürdigkeit Ihrer Argumentation mit den tatsächlichen Verhältnissen in Afghanistan verglichen wird.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege von Klaeden, ich kann jetzt nicht auf alle Punkte eingehen, die Sie genannt haben. Ich bin aber froh, dass wir diese Diskussion führen; Sie führen diese Diskussion ja nicht nur mit uns, sondern - das muss man der Ehrlichkeit halber ergänzen - auch in der Koalition. Es ist gut, dass diese Diskussion durch unsere Beiträge auch hier einmal thematisiert wird.
Ich möchte auf zwei Argumente eingehen. Erstens zur Operationsführung. Ich halte dies in der Tat für entscheidend. Wir können gerne unsere Quellen austauschen. Wir verfügen über viele Quellen. Es gibt viele wichtige Leute - sei es der EU-Beauftragte Vendrell in Afghanistan, seien es hohe ISAF-Offiziere, Briten, die dort unten sind -, die hier eine sehr deutliche Sprache sprechen. Die zuständigen Militärs sagen selbst, dass die OEF-Mission inzwischen kontraproduktiv ist. Ich bin zwar kein Militär, aber die zuständigen Militärs haben das berichtet, und zwar nicht nur unserer Delegation.
Ich möchte auch auf die Reaktion der Afghanen hinweisen. Inzwischen hat dort ein Prozess stattgefunden - wir sind eben nicht Besatzer; das wollen wir auch nicht -: Es gibt einen gewählten Senat, ein gewähltes Parlament, eine gewählte Regierung. Dort häufen sich Klagen und entsprechende Beschlussfassungen im Senat - ihre Zahl nimmt zu -, die sich auch gegen die Operationsführung richten. Es wird immer deutlich dazugesagt: Wir wollen nicht, dass die internationale Gemeinschaft abzieht. Wir wollen, dass ihr bleibt. Wir wollen mit euch gemeinsam den Prozess der Schaffung einer selbsttragenden Sicherheit, des Aufbaus des Landes fortführen. Aber das, was da zum Teil passiert, ist so kontraproduktiv, dass es der eigenen Bevölkerung nicht mehr vermittelt werden kann.
Wenn wir uns dort einsetzen, handelt es sich immer um eine heikle und schwierige Gratwanderung. Wir müssen die Äußerungen ernst nehmen. Sie haben unter anderem zu unserem Schluss geführt, dass die Frage der Operationsführung entscheidend ist. Es gibt andere Experten - Sie haben das sicherlich auch gelesen -, etwa von der SWP, die ganz klar sagen: Nach der Gesamtausdehnung der ISAF, die erst 2006 abgeschlossen worden ist, gibt es noch weniger Argumente, zwei parallel laufende Missionen in Afghanistan durchzuführen.
Natürlich ist die Kriegsführung der Taliban eine der Ursachen für die Eskalation im Süden und Osten. Hinzu kommt, dass sich Taliban- und Al-Qaida-Kräfte in den Ausbildungslagern reorganisiert haben; sie führen - da gebe ich Ihnen recht - einen systematischen Kampf. Aber was ist die Antwort darauf?
Klar ist jedenfalls - das habe ich auch dem Kabinettsbeschluss entnommen -: Wir müssen schauen, dass die militärische Präsenz im Süden und Osten den zivilen Aufbau absichert, dass dieser Aspekt wieder in den Mittelpunkt gelangt. Wir müssen auch von deutscher Seite die Mittel dafür mindestens verdoppeln, damit auch die Menschen im Süden und Osten eine Friedensdividende erhalten. Das scheint mir der allerwichtigste Punkt zu sein. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden Kräfte wie Taliban und andere hier einen fruchtbaren Nährboden finden und dann sind wir auch mit Militär auf verlorenem Posten.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
Walter Kolbow (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass der Außenminister auch von der verantwortungsbewussten Opposition breites Lob für das bekommen hat, was er in seiner Amtszeit zusammen mit der Großen Koalition außenpolitisch auf den Weg gebracht hat, nie reaktiv, immer aktiv, nie aufdringlich, an den Hotspots dieser Welt, von denen es leider zu viele gibt, präsent, mit seinen Lösungsvorschlägen immer auf der Höhe der Zeit. Das gilt, wie Sie, Herr Außenminister, dargetan haben, für die schwierige Situation im Kosovo, aber auch für die nicht minder komplizierte Lage im Nahen Osten.
Das ist auch Ihrem Team zu verdanken, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hause, in Deutschland, aber auch in der Welt, denen wir von dieser Stelle aus unseren Dank für ihre Arbeit aussprechen.
Dabei möchte ich insbesondere auf den Krisenstab in Ihrem Hause abstellen, der mit uns allen, mit Ihnen in Ihrer Verantwortung als Außenminister und auch mit der Frau Bundeskanzlerin, immer noch um das Leben der im Augenblick in Afghanistan gekidnappten Geisel ringt. Wir hoffen, dass wir sie gut zurückbekommen. Wir wissen um die Verantwortung, die bei diesen Fragen, bei denen es um Menschen geht, vorherrscht, sowie um die Verstrickungsprobleme, die bei der 30-jährigen Wiederkehr des deutschen RAF-Herbstes gerade auch durch die Äußerungen von Helmut Schmidt sehr authentisch in den Vordergrund gerückt sind. Wir wünschen eine glückliche, eine menschliche, eine erfolgreiche Hand.
Sie haben zusammen mit dem Umweltminister und mit Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul die Vorbereitungen für den G-8-Gipfel getroffen, sodass er von unserer Bundeskanzlerin erfolgreich durchgeführt werden konnte. Wir freuen uns, dass die Klimapolitik als wichtige Säule der Innenpolitik und die Problematik der Energiesicherheit nicht mehr von der Tagesordnung wegzudenken sind.
Es ist wichtig, in großen, aber auch in kleinen Ländern die Menschenrechte einzufordern. Es ist richtig, die Menschenrechte in China, in Russland, aber auch in den Vereinigten Staaten einzufordern, Erklärungen dazu abzugeben und sich mit den Partnern, die das möglicherweise anders sehen und andere Entwicklungen zulassen, auseinanderzusetzen. Aber ich meine, wir sollten und dürfen nicht die Einzelfälle aus dem Blick lassen. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass drei sozialdemokratische Bundeskanzler während ihrer jeweiligen Amtszeit Menschenrechte immer aktiv eingefordert und Einzelfälle auch erfolgreich gelöst haben.
Es ist zu einfach, zu sagen: Jetzt ist es so, früher war es anders. - Das hat die rot-grüne Regierungskoalition nicht verdient.
Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn bei Regierungsreisen ins Ausland auch die Parlamentsinitiativen einbezogen würden, zum Beispiel der vom Deutschen Bundestag gefasste Laogai-Beschluss. Dies tun wir bei jeder unserer Reisen. Sie haben es auch getan, als Sie mit Herrn Westerwelle unterwegs waren, ebenso wie die Kollegen der CDU/CSU oder auch wir im Juni in China.
Ich denke, dass Menschenrechtspolitik in einem engen Zusammenhang mit Rüstungs- und Abrüstungspolitik, mit Rüstungskontrollpolitik und mit Nonproliferation steht. Dabei stehen nicht nur die Themen der Nuklearwaffen und der Waffensysteme im Mittelpunkt. Weil es heute die so genannten kleinen Waffen sind, die den Menschen in Kriegs- und Krisengebieten Tod und Verderben bringen, stehen auch die Bemühungen im Mittelpunkt, die Verbreitung von Kleinwaffen einzuschränken. Wir müssen die Überprüfungskonferenz der Vereinten Nationen, bei der wir im letzten Jahr einen entsprechenden Antrag gestellt haben, dafür gewinnen, ein globales Waffenhandelsübereinkommen zu erzielen. Dies ist gegenwärtig in der Diskussion, muss aber beschlossen werden, um die unglückseligen Wirkungen zu beseitigen.
Der Vollständigkeit halber darf ich unterstreichen, dass Ihre Initiative und auch unsere aus der Großen Koalition gespeisten Anstrengungen bezüglich der Streumunition erfolgreich waren. Aber auch dort gilt es weiterzuarbeiten.
Die Nuklearproblematik im Hinblick auf den Iran treibt uns alle um. Sie haben es erwähnt: Unser politisches Ziel bleibt, den Zusammenhalt der Sechser-Gruppe zu bewahren und mit einer geschlossenen Haltung gegenüber dem Iran aufzutreten. Der Konflikt mit dem Iran muss politisch gelöst werden. Dass sich militärische Lösungen verbieten und diese Einsicht in die Überlegungen in den Hauptstädten dieser Welt Eingang gefunden hat, ist auch Ihnen und Ihren Aktivitäten auf den internationalen Konferenzen und hinter den Kulissen zu verdanken, Herr Außenminister.
Ich glaube, dass die mittlerweile in greifbare Nähe gerückte politische Lösung der nordkoreanischen Atomkrise dazu beitragen kann, die Weiterverbreitung von Atomwaffen einzudämmen und eine Ursache für das regionale Wettrüsten in Südostasien zu beseitigen. Ein Erfolg in Nordkorea könnte auch Impulse für die festgefahrenen Gespräche im Zusammenhang mit der iranischen Atomkrise bieten. Davon würden auch die Gespräche der EU-Drei im Rahmen der Drei-plus-Drei-Initiative profitieren. Es gibt Signale, dass unsere diesbezüglichen Forderungen erfüllt werden.
Ich will darauf hinweisen - auch Sie, Herr Kollege Hoyer, haben das getan; ich kann das nachvollziehen -, dass wir natürlich aus abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischer Sicht die Entwicklung um das indisch-amerikanische Nuklearabkommen sehr aufmerksam betrachten. Wir werden weder Indien noch Pakistan dazu bringen können, auf den gerade erlangten Status einer Atommacht zu verzichten. Unser Augenmerk muss jedoch darauf gerichtet sein, Herr Außenminister, unser Verhalten in der Nuclear Suppliers Group mit rüstungskontrollpolitischen Überlegungen zu vereinbaren.
Es wäre hier sehr hilfreich, wenn sich Indien zu bestimmten rüstungskontrollpolitischen Zusagen und Verhaltensweisen entschließen könnte. Aber auch wir könnten mit unseren Möglichkeiten zu einer Lösung auf den Konferenzen beitragen, die unseren Anstrengungen, was den rüstungskontrollpolitischen Ansatz angeht, nicht hinderlich sein würde.
Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass wir nicht nur wegen der rüstungskontrollpolitischen Aspekte das Thema ?strategische Raketenabwehr“ nach wie vor auf unserem politischen Schirm haben. Für uns stand immer die Frage im Mittelpunkt, ob Verteidigungsanstrengungen im Zusammenhang mit dem Raketenabwehrsystem vertragliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime tangieren, ob sie erhalten werden können und ob sie ausgebaut werden müssen. Dies hat immer auch eine wirksame und verifizierbare Verhinderung der Proliferation eingeschlossen.
Wir plädieren hier für einen kooperativen Ansatz, der sowohl Russland als auch - bei globaler Betrachtung - andere Länder wie zum Beispiel China einbeziehen muss. Unsere Position ist klar: Wir wollen eine neue Rüstungsspirale verhindern. Wie notwendig das ist, zeigen die Pläne der russischen Seite, eine Vakuumbombe zu entwickeln und die Entwicklung im Bereich der Mittel- und Langstreckensysteme voranzutreiben.
Vor wenigen Minuten ist die russische Regierung zurückgetreten. Es kann sein, dass Herr Iwanow neuer Ministerpräsident wird. Wir vertreten unsere Position natürlich auch gegenüber dem neuen Ministerpräsidenten, der möglicherweise an diese Position gesetzt wird, um die Putin-Nachfolge anzutreten. Umso wichtiger ist es, unsere Positionen auch an ihn zu adressieren.
Die Debatte hat gezeigt, dass uns alle die Afghanistan-Problematik umtreibt. Ich habe Respekt vor den Argumenten, die von den Kollegen der Grünen vorgetragen worden sind, Frau Kollegin Müller. Wir müssen uns nicht nur mit diesen Argumenten, sondern auch mit der Haltung unserer Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage auseinandersetzen. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen und eine klare Analyse durchführen.
Der Anspruch der SPD-Bundestagsfraktion, sich eine verantwortungsbewusste Position zu den drei Mandaten zu erarbeiten, wird sich am Ende auszahlen. Wir debattieren intensiv nicht nur mit ausländischen Gästen, sondern auch unter uns und beziehen die nachteiligen Wirkungen der Mandate in unsere Überlegungen mit ein. Wir wollen alles in einen Gesamtzusammenhang stellen, der Afghanistan nützt und der dem zivilen Wiederaufbau Rechnung trägt. Wir wissen, dass das ohne militärische Absicherung nicht geht. Wir müssen aber eine Situation schaffen, in der die Afghanen uns mehr und mehr zutrauen, mit ihnen ihr Staatsgründungsproblem zu lösen.
Human Rights Watch empfiehlt, den ISAF-Einsatz fortzuführen, weil er gut ist. Das Gleiche wird im Afghanistan-Bericht der Bundesregierung empfohlen, in dem dankenswerterweise - wir haben das aber auch erwartet - zahlreiche Fragen, die die Taskforce der SPD-Bundestagsfraktion erarbeitet und an die Bundesregierung gestellt hat, beantwortet worden sind. Der ISAF-Einsatz ist, glaube ich, unstrittig. Auf Reisen von Abgeordneten unserer Fraktion hat sich gezeigt, dass die Integration des Tornado-Einsatzes in dieses Mandat kein unüberwindbares Hindernis ist, und zwar aufgrund der Aufklärungs- und Schutzfunktion.
Wir wissen aber, dass es bei OEF Probleme gibt. Es gibt nicht nur ein Wirkungs- und ein Akzeptanzproblem, sondern auch Probleme, die daraus resultieren, dass OEF sich verändert hat. Da 6 000 der 8 000 Soldaten im Bereich der Ausbildung eingesetzt werden - darauf ist von Herrn von Klaeden hingewiesen worden -, ist OEF quasi ein Ausbildungsprojekt geworden. In Kabul findet die Grundausbildung der Soldaten der afghanischen National Force, also der Armee, statt. Die anderen Soldaten, die im Übrigen aus 14 Nationen stammen, sind im Antiterrorkampf tätig. Redlicherweise muss man die Frage stellen, wie wir die wenigen Soldaten für die Antiterrorbekämpfung substituieren können.
Ich weiß, dass diese Frage schwer zu beantworten ist - das erfahren wir, wenn wir in unseren Wahlkreisen sind -; denn die Frage, ob Soldatinnen und Soldaten in größerer Zahl nach Afghanistan geschickt werden sollen, ist nicht nur emotional, sondern auch rational umstritten. Das gilt im Übrigen auch für andere westliche Demokratien; diesbezüglich sind die Niederlande nicht anders als Kanada. Das ist auch eine Frage der internationalen Solidarität; denn es geht um einen Wert. Deshalb sprechen wir mit unseren amerikanischen Freunden und weisen sie darauf hin, dass die veränderten Einsatzrichtlinien mit der entsprechenden Wirkung nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF zum Tragen kommen müssen.
Frau Kollegin Müller, Sie haben gesagt - das ist jetzt kein Vorhalt -, dass der Antrag auf Fortsetzung der OEF abgelehnt werden müsste, weil die neuen ISAF-Einsatzregeln nicht für OEF gelten. Im Umkehrschluss würde das aber bedeuten, dass eine Zustimmung möglich wäre, wenn die Einsatzregeln übertragen würden. Die Übertragung halte ich im Übrigen für geboten und auch für erreichbar.
An dieser Stelle möchte ich resümieren - Herr Präsident, ich komme zum Schluss - und sagen, dass sich an der Wirkung unserer Auslandseinsätze deutlich macht, ob wir - ich schließe an die Ausführungen von Frau Müller an - im Kampf gegen den Terrorismus auch in Auslandseinsätzen bestehen können. Wenn es uns nicht gelingt, die Zustimmung zu unseren Auslandseinsätzen in eine Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer eigenen Regierung umzumünzen, dann sind die Auslandseinsätze von großen Mängeln hinsichtlich des politischen Erfolges geprägt. Dann steht insgesamt der Erfolg des Einsatzes, in diesem Fall: der Wiederaufbau in Afghanistan, infrage.
Wir sollten keine Barrieren aufrichten, indem wir schon vor der abschließenden Abstimmung ein absolutes Nein kundtun. Es kommt nämlich sehr darauf an, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung in ihrem Antrag an das Parlament aus unserer Debatte zieht. Ich hoffe, dass wir in diesem Sinne heute einen guten Beitrag dazu geleistet haben.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz meiner kurzen Redezeit ist es mir ein Bedürfnis - ich denke, das ist auch in Ihrem Interesse, da ich Hauptberichterstatter für den Einzelplan 05 bin -, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes unseren Dank auszusprechen. Ich danke insbesondere denjenigen, die in den Botschaften, Auslandsschulen und Goethe-Instituten ihren Dienst leisten. Wir alle haben unsere Erfahrungen gemacht und wissen, dass wir vor allen Dingen in unseren Botschaften ausgesprochen gute, teilweise sogar sehr gute Leute haben. Ich denke, zu dieser Debatte gehört auch, ihnen unseren Dank auszusprechen.
Herr Bundesaußenminister, als Haushälter achtet man natürlich sehr darauf, dass gespart wird. Da dieser Haushalt aber - das kann man auch aus der Opposition heraus ganz offen eingestehen - immer auf Kante genäht war, ist die Steigerung, die Sie jetzt erreicht haben, durchaus notwendig. Auf uns kommen viele Aufgaben zu, die zu erfüllen sind.
Ich bleibe beim Thema Personal. Wir alle loben die gute Konjunktur, die wir im Augenblick haben. Ich glaube, dass sich das Auswärtige Amt anstrengen muss, bei guter Konjunktur nach wie vor gute Leute einstellen zu können. Viele gehen in die Wirtschaft, vor allen Dingen angesichts der Belastungen, die es im Auswärtigen Dienst gibt. Insofern muss dieser Dienst attraktiver gemacht werden.
Ich will hier einen Punkt aufgreifen. Wir werden uns im Haushaltsausschuss, ebenso wie Sie im Auswärtigen Ausschuss und im Ministerium selber, überlegen müssen, wie wir zukünftig mit den Ehepartnern von Mitarbeitern, die in die Botschaften gehen, verfahren. Wir stellen fest, dass der Anteil der Frauen in den Botschaften überdurchschnittlich hoch ist. Das ist zu begrüßen. Aber wir haben das Problem, dass mitziehende Männer im Ausland keinen Job finden. Frauen sind - das haben wir eigentlich immer gewusst - etwas flexibler, wenn sie mit ihrem Ehepartner ins Ausland ziehen.
- Entschuldigung. Männer sind leider etwas sturer; das ist nun einmal so. - Wir müssen uns etwas einfallen lassen, damit der Wechsel ins Ausland attraktiver wird. So sehr wir jetzt auch schmunzeln: Wenn die Ehefrau in acht Jahren an zwei Botschaften war und der Mann in dieser Zeit keinen Job hatte, dann wird es für ihn sehr schwierig, in Deutschland wieder einen Job zu finden. Für diese Fälle müssen wir uns Programme überlegen.
Ich darf, weil wir immer dafür sind, dass Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden, den einen oder anderen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass seit 1994 700 Auslandsstellen und im Ministerium selber 200 Stellen gestrichen wurden. Das sollte man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Dabei sind die Belastungen des auswärtigen Dienstes, sowohl im Ministerium als auch in den Botschaften, größer geworden; die Aufgaben sind schwieriger geworden. Das ist so nicht mehr hinzubekommen. Insofern müssen wir uns bezüglich des Personals etwas überlegen.
Es kommt noch ein Bereich hinzu, der dem einen oder anderen vielleicht nicht so bewusst ist. Wenn man eine Auslandsreise macht und an der Botschaft ist, sieht man es. Viele unserer Botschaften sind in den 50er-Jahren gebaut worden. Der Bauzustand ist teilweise katastrophal, das gilt bis hin zu den Gardinen und Teppichen. Hier besteht mit einem Schlag großer Nachholbedarf. Hinzu kommt - das will ich nicht vergessen -, dass viele Botschaften vor Terrorismus geschützt werden müssen. Ich habe eine große Bitte, die ich bei anderer Gelegenheit schon einmal geäußert habe - dieser Punkt ist mir als Haushälter sehr wichtig -: Ich bitte unsere Bundesbaugesellschaft aufs Dringendste, kein Spitzenreiter in Sachen Bürokratie zu sein, sondern flexibel zu sein und gemeinsam mit den Botschaften nach kostengünstigen Lösungen zu suchen, die auch schnell durchzuführen sind.
Es kann nicht sein, dass immer nur blockiert wird. Wir als Politiker wollen, dass gehandelt wird, aber sie tut nichts. Sie hat anscheinend nur eine Aufgabe: dorthin zu reisen, um sich den Zustand anzusehen, und das Vorhaben anschließend abzulehnen oder zu verzögern. Das kann nicht sein.
Ich muss gleich zum Schluss kommen, möchte aber noch eine andere Bitte aussprechen. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt dringend einer Verbesserung bedarf. Ich habe nicht den Eindruck, dass BMZ und Auswärtiges Amt sehr harmonisch zusammenarbeiten; das muss nicht am Minister liegen. Die Außenpolitik und die Entwicklungshilfepolitik gehören zusammen und müssen abgestimmt werden. Es ist meine dringende Bitte, Herr Minister, dass dies geschieht. Ich begrüße es, dass Sie einen Teil des Geldes, das dem BMZ zusteht, zur Verwaltung ins Auswärtige Amt bekommen. Bei Ihnen ist es anscheinend besser aufgehoben.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Herbert Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion.
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich kenne die Befindlichkeiten und Schwierigkeiten, wenn Haushälter plötzlich in eine Etatdebatte eingreifen.
Um dem Rechnung zu tragen, haben sich mein hochgeschätzter Mitberichterstatter, Kollege Lothar Mark, und ich darauf verständigt, dass ich heute sozusagen in Personalunion für uns beide rede. Wir wollen das Hohe Haus nicht zu sehr mit haushälterischen Gesichtspunkten aufhalten.
Im Übrigen ist es, wenn einer für jemanden aus der anderen Fraktion spricht, natürlich ein untrügerisches Zeichen für die durch nichts zu überbietende Harmonie in dieser Koalition.
Ich befinde mich auf gewisse Weise in einer schwierigen Situation. Denn Haushälter müssen sich quasi berufsmäßig und naturgemäß - wenn vielleicht auch nicht angeboren - gegen jede Etaterhöhung wenden. Nach intensiver Prüfung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Etaterhöhung, wenn überhaupt, im Einzelplan des Auswärtigen Amtes angemessen ist.
Ich bin des Weiteren zu der Erkenntnis gelangt, dass wir im Haushaltsverfahren, angelehnt an die ODA-Quote, eigentlich so etwas wie eine AA-Quote einführen müssten,
um endlich beurteilen zu können, was eine angemessene finanzielle Ausstattung ist.
Meine herzliche Gratulation, Herr Außenminister, dass es Ihnen als erstem Amtsinhaber seit - ich weiß nicht, wie vielen - Jahren gelungen ist,
den Bundesfinanzminister davon zu überzeugen - einer Ihrer Vorgänger hat einmal gesagt: ?Ohne Moos nix los.“ -, dass mehr Aufgaben mit weniger Geld auf die Dauer nicht zu bewältigen sind. An dieser Stelle sage ich auch dem Bundesfinanzminister für seine Einsicht vielen Dank.
Einsparmöglichkeiten gäbe es zum Beispiel dann, wenn wir, zumindest was den Bau von Botschaften betrifft - Kollege Koppelin hat das angesprochen -, die ohnehin überforderte Bundesbaugesellschaft entlasten
und eine Gesellschaft gründen würden, die für diese Bauten zuständig ist. Ich hoffe, dass wir nach der entsprechenden Beratung in den zuständigen Gremien für dieses Vorhaben auch Ihre Unterstützung bekommen werden.
Das Gesamtvolumen des Haushalts des Auswärtigen Amtes für das Jahr 2008 beträgt 2,816 Milliarden Euro. Der Haushalt dieses Ministeriums erreicht damit einen Anteil von 0,994 Prozent am Gesamthaushalt. Kollege Mark will immer die 1-Prozent-Marke erreichen, aber ich weiß nicht, ob uns das im Beratungsverfahren gelingen wird; wir wollen es zumindest versuchen.
Das heißt, jeder Bundesbürger, ob groß, ob klein, wird für die Tätigkeit des Auswärtigen Amtes mit einem Betrag von 34 Euro belastet. Wenn man dem gegenüberstellt, dass jeder Bundesbürger für die Bundesschuld 527 Euro aufbringen muss, so denke ich, dass diese 34 Euro wirklich gut angelegt sind, nicht zuletzt deshalb, weil die große Koalition und somit auch Herr Außenminister Steinmeier inhaltlich neue Akzente gesetzt haben. Der Stabilitätspakt für Afghanistan und der Stabilitätspakt für Südosteuropa sind wieder dort etatisiert, wo sie hingehören.
Es ist begrüßenswert, dass mit diesen Mitteln schnell, gezielt und sichtbar
- das betrifft das, was Sie, Herr Kolbow, angesprochen haben - auf akute Probleme und Bedürfnisse reagiert werden kann, damit auch die Bevölkerung erkennt, was wir unternehmen.
Völlig neu im Einzelplan 05 ist eine Dotierung in Höhe von 30 Millionen Euro für die Afrika-Initiative im Rahmen der deutschen G-8-Präsidentschaft. Im Übrigen, Herr Außenminister, werden 10 Millionen Euro für die African-Standby-Forces bereitgestellt. Wir haben uns überzeugen können, welch exzellente Arbeit im ?Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre“ geleistet wird.
Völlig neu ist auch der Nachbarschaftsinvestitionsfonds, NIF, der mit 12 Millionen Euro gespeist wurde. Ich bin der festen Überzeugung, dieser Fonds musste dringend erfunden werden. Bei meiner heutigen Lektüre habe ich darüber hinaus festgestellt, dass die Bundesregierung unbedingt noch einen Beauftragten für die Erforschung der Fonds ernennen sollte, die es bei all diesen Institutionen gibt, damit wir endlich einmal erfahren, wo unser Geld überall verwendet wird.
Die Mittel für humanitäre Hilfe haben wir fast verdoppelt. Besonders möchte ich auf die Schulinitiative unter dem Stichwort ?Partner der Zukunft“ hinweisen, die der Außenminister ins Leben gerufen hat und für die 41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ich denke, dass insbesondere die deutschen Auslandsschulen und die Angebote, die deutsche Sprache zu erlernen, für die deutsche Außenpolitik von ganz herausragender Bedeutung sind.
Auch ist es gelungen, das Goethe-Institut, das in den letzten Jahren große Not gelitten hat, wieder auf die richtige Spur zu bringen. Von hier aus gratuliere ich dem neu gewählten Präsidenten, Herrn Professor Lehmann, ganz herzlich zu seiner Wahl.
Wir sind oft gescholten worden, wir würden das Goethe-Institut arm sparen. Der Haushaltsausschuss hat nie ein Institut geschlossen und wollte auch nie eines schließen. Wenn wir jetzt noch einmal über 27 Millionen Euro darauflegen und insgesamt 185 Millionen Euro für das Goethe-Institut aufwenden, dann haben wir das Mögliche für eine ordentliche finanzielle Ausstattung und eine dauerhafte Konsolidierung des Goethe-Instituts getan. Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass Qualität weder allein eine Frage des Geldes noch der Masse ist. Das gilt auch mit Blick auf die Absurdität mancher Programme, die leider Gottes angeboten werden.
Es gibt einen ganz kleinen Posten, den ich aber für sehr wichtig halte und deswegen einmal erwähnen möchte: Im Etat ist die Erhaltung deutscher Kriegsgräber im Ausland und damit die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge finanziell abgesichert. Es handelt sich um eine relativ kleine Position, die aber eine sehr hohe Bedeutung für viele unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen sowie die Wirkung nach außen hat. Am vergangenen Wochenende haben deutsche und russische Soldaten zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam auf einem Soldatenfriedhof in Russland an deutschen und russischen Gräbern gearbeitet. Das mag zwar eine kleine Aktion gewesen sein, aber es ist ein sehr ermutigendes Zeichen dafür, dass es sich lohnt, geduldig und beharrlich für Verständigung, Versöhnung und Frieden zu arbeiten. Deswegen danke ich den vielen ehrenamtlichen Helfern, den Soldaten, die diese Arbeit verrichten.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Leutert von der Fraktion Die Linke.
Michael Leutert (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jemand den Eindruck haben sollte, dass sich meine Argumente aus der letzten Haushaltsberatung wiederholen, dann stimmt dieser Eindruck. Das hängt damit zusammen,
dass die Politik der Großen Koalition heute immer noch so schlecht ist wie im letzten Jahr. Das möchte ich jetzt gern begründen.
Eigentlich freut sich das Herz des Haushälters, wenn 12,7 Milliarden Euro mehr zu verteilen sind. Das Auswärtige Amt bekommt davon 300 Millionen Euro ab. Das Problem ist bloß: Diese Mehreinnahmen kommen nicht durch eine kluge und gerechte Einnahmenpolitik zustande, sondern es handelt sich dabei letztendlich um das Geld, das wir den kleinen Leuten aus der Tasche gezogen haben; ich nenne nur das Stichwort Mehrwertsteuererhöhung. Das trübt natürlich den Blick auf den Haushalt und macht es schwer, sich an dieser Debatte zu beteiligen.
Wenn man sich dann noch anschaut, wie das Geld verteilt wird, ist das einfach traurig. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst 2,8 Milliarden Euro, das ist nicht einmal 1 Prozent des Gesamthaushaltes. Im Gegensatz dazu umfasst der Etat des Verteidigungsministers - zweitgrößter Etat - über 29 Milliarden Euro. Auf diesen Etat ist einfach 1 Milliarde Euro daraufgepackt worden; das ist zehnmal so viel wie beim Auswärtigen Amt.
Das muss man sich aber noch genauer anschauen. Dem Auswärtigen Amt stehen 2,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Davon müssen 700 Millionen Euro für Beiträge an internationale Organisationen einschließlich der VN-Beiträge für Militäreinsätze abgezogen werden. Es bleiben also 2,1 Milliarden Euro für alle Aufgaben, die im Ausland entstehen, übrig. Das sind die Goethe-Institute, die angesprochene Afrika-Initiative, humanitäre Hilfe, Demokratisierungshilfe und natürlich die 220 Vertretungen im Ausland mit ungefähr 9 000 Bediensteten.
Im Übrigen haben wir mittlerweile mehr Soldaten im Ausland stehen als Diplomaten. Der Verteidigungsminister hat also Ihnen, Herr Außenminister, mittlerweile den Rang abgelaufen. Er hat mehr Truppen im Ausland stehen.
Schon das zeigt, wie die Prioritäten in der deutschen Außenpolitik gesetzt sind. Es geht in der Außenpolitik nicht in erster Linie um zivile Instrumente, sondern es geht letztendlich um militärische Instrumente in der Außenpolitik.
Das kann man an dem derzeitigen Projekt der deutschen Außenpolitik, Afghanistan, durchexerzieren: In jedem Bereich muss abgerechnet werden, was welches Instrument gebracht hat, wie effektiv es gewesen ist. Bei Militärmissionen hingegen gibt es eine solche Abrechnung nicht.
Wir haben über OEF gesprochen: Bisher gibt es keine Auskunft darüber, wie der Auftrag, feindliche Kämpfer gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen, ausgeführt worden ist. Der OEF-Einsatz hat bisher über 800 Millionen Euro gekostet.
Wir haben auch keine vorzeigbaren Ergebnisse bei ISAF. Obwohl dieser Einsatz bisher 2,2 Milliarden Euro gekostet hat, hat sich die Lage in Afghanistan nicht stabilisiert: Jeden Tag sind massive Anschläge zu verzeichnen, und die Menschenrechtsituation ist immer noch bedrohlich.
- Nein, es geht mir um das Verhältnis der zivilen und der militärischen Instrumente der Außenpolitik: Wenn 50 Millionen Euro im Rahmen des Stabilitätspaktes zur Verfügung gestellt werden, dem aber ISAF-Gesamtkosten von 2,2 Milliarden Euro gegenüberstehen, muss ich sagen: Ich halte das für einen schwerwiegenden Fehler.
Das zeigen uns auch die Ergebnisse, die wir derzeit in Afghanistan zu verzeichnen haben.
Die Folgerung, die die Regierung zieht - das kann man an den Haushaltszahlen sehen -, ist: Nichts passiert, es wird weitergemacht. Die Mehreinnahmen werden nicht dafür verwendet, den zivilen Sektor aufzustocken. Ich habe es vorhin schon erwähnt: Um 1 Milliarde Euro wird der Verteidigungshaushalt erhöht; übrigens wird auch dieses Jahr weit über 1 Milliarde Euro für Rüstungsforschung und wehrtechnische Erprobung eingestellt. Immer wieder betonen die Vertreter von Regierung und Koalition, dass sie den zivilen Aufbau stärken wollten, dass sie die Demokratie, die Menschenrechte und den Frieden in der Welt sichern wollten. Das wird damit nicht erreicht, sondern konterkariert.
Mittlerweile, nach Afghanistan, müsste doch jeder kapiert haben, dass man Demokratie und Menschenrechte nicht mit militärischen Mitteln erzwingen kann.
Danke.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Außenpolitik bewegt sich immer stärker in dem Spannungsfeld zwischen einer eigenständigen, bilateral orientierten deutschen Außenpolitik und der Einbindung in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Wenn wir unsere Ziele, unsere Interessen, unsere Werte in den außenpolitischen Konflikten durchsetzen wollen, dann brauchen wir - davon bin ich überzeugt - eine stärkere Einbindung unserer Außenpolitik in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Der Außenminister unseres Landes ist aktiv dabei, das voranzutreiben.
Wenn man sich die Ergebnisse der europäischen Außenpolitik anschaut, muss man sagen: Es gibt Erfolge, es gibt eine gute Kooperation, zum Beispiel was den Nahostkonflikt angeht; aber auch Iran ist sicherlich ein Beispiel für eine gute Kooperation. Es gibt aber auch viele Schwachstellen in der europäischen Außenpolitik: Ich nenne nur Kosovo als Beispiel. Auch in der Energieaußenpolitik haben wir große Probleme, die wir lösen müssen. Wenn EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und Bulgarien dabei sind, das Fundament der Ressourcensicherung, die ein Teil der Energieaußenpolitik ist - für uns Grüne gehört viel mehr dazu -, zu zerstören, indem sie mit immer neuen Pipelines versuchen, die Gasvorkommen Russlands in ihr Land zu leiten, dann ist das ein Beispiel dafür, wie die EU-Mitgliedstaaten ihre außenpolitischen Interessen durch Vielstimmigkeit kaputtmachen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir bei den zentralen Themen zusammenzukommen versuchen.
Ein großes Problem, das wir im nächsten Jahr lösen müssen, ist, glaube ich, das Verhältnis der Europäischen Union zu Russland. Es ist ein Kernpunkt vieler Konfliktfelder, die wir haben. Der Europäischen Union muss es gelingen - nicht nur wegen der Konflikte, die wir jetzt mit Polen hatten -, einen eigenen strategischen Ansatz, eine eigene Russlandpolitik zu entwickeln. Wir haben eine Zentralasienstrategie entwickelt. Wir haben den Außenminister in dieser Frage sehr unterstützt. Aber diese Zentralasienstrategie wird so lange zahnlos bleiben, solange sie nicht durch eine Russlandstrategie komplementiert ist. Deshalb ist es wichtig, dass in unseren Strategien die Ressourcenpolitik immer mit der Frage nach Demokratie und Menschenrechten verbunden wird. Das gilt gerade auch für Russland.
Wenn wir schon über eine europäische Energiepolitik sprechen, dann muss ich feststellen, dass mich das letzte Treffen unserer Bundeskanzlerin mit Herrn Sarkozy nicht besonders erfreut hat. Zentrales Thema war sozusagen der Versuch, eine konservative Politik zu gestalten, um die europäischen Lobbyinteressen im Atombereich zu stabilisieren und zu stärken. Das ist hinsichtlich einer nachhaltigen Energiepolitik im europäischen Rahmen kontraproduktiv.
Gestatten Sie mir noch eine weitere Bemerkung. Auch der sogenannte Rat der Weisen geht dramatisch in die falsche Richtung. Wenn man anfängt, wieder über Vertrauensbildung bei den Menschen in Europa nachzudenken, dann braucht man keine Gremien hinter verschlossenen Türen, sondern demokratisch legitimierte Strukturen, zum Beispiel einen Konvent, um die Europäische Union weiterzuentwickeln. Wir brauchen keine zusätzlichen Expertengremien, sondern eine offene, transparente und demokratische Debatte
um die Zukunft Europas.
Ich komme zum letzten Punkt. Eines der zentralen Projekte des Reformvertrages war die Grundrechtecharta, in der viele soziale Grundrechte der Menschen in Europa verankert sind. Wenn ich jetzt in den Debatten höre, dass die Grundrechtecharta neu gewichtet und in ihrer Bedeutung abgewertet werden soll, dann gehen bei mir alle Warnlampen an.
Die Menschen in Europa brauchen die Grundrechtecharta als verlässliches Element zur Bildung der europäischen Identität. Wir alle sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, dieser Grundrechtecharta einen hohen Rang in der europäischen Verfassung oder im Reformvertrag einzuräumen. Das dient unserer demokratischen Legitimation, aber auch dem Vertrauen in den europäischen Weg zur Lösung von Problemen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
Axel Schäfer (Bochum) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast zum Schluss der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes reden wir über Europapolitik. Das ist wichtig und richtig, weil es ein zentraler Teil Ihrer Arbeit ist, Herr Bundesaußenminister.
Zwei Punkte sind in diesem Jahr entscheidend. Zum einen brauchen wir in der EU den Zusammenhalt nach außen, auch um anderen Halt geben zu können. Was mit der Bremer Erklärung in der Ratspräsidentschaft gelungen ist, was vor allen Dingen die Menschen erwarten - das sage ich nach vielen Reisen auf den westlichen Balkan, vor allem auch im Kosovo, auf denen ich eine Reihe von Gesprächen geführt habe -, ist in der Europäischen Union insgesamt, aber auch hinsichtlich unserer deutschen Rolle nicht hoch genug einzuschätzen. Deswegen wird es wichtig sein, lieber Frank-Walter Steinmeier, dass es weiterhin gelingt, dass wir diese Europäische Union zusammenhalten - selbst wenn die Probleme im Kosovo größer werden -, weil wir im Falle einer Spaltung in Europa nicht in der Lage wären, für die Menschen und die gemeinsame Sache Erfolge zu erzielen.
Zum anderen brauchen wir den Zusammenhalt nach innen. Was zurzeit bei der Regierungskonferenz bewerkstelligt werden soll - das sollten wir ohne Übertreibung in aller Ruhe deutlich benennen -, ist das wichtigste Reformprojekt im institutionellen Bereich seit 15 Jahren und die grundlegendste Veränderung in 50 Jahren europäischer Verträge.
Wenn wir es schaffen, Europa auch zukünftig handlungsfähig zu machen, dann brauchen wir Veränderungen im Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Akteuren, auch zwischen Europäischem Parlament, der Kommission und dem Rat. Notwendig für die Stärkung ist auch, dass wir die Handlungsmöglichkeiten verbessern - Stichwort ?dritter Pfeiler“ - und die Pfeilerstruktur überwinden und integrieren.
Wir brauchen dabei auch mehr direkte Demokratie. Was Europa ausmacht, ist eben nicht nur eine Kopfgeburt, sondern es ist ein Projekt, das den Menschen zugewandt ist. Dafür ist es notwendig, dass wir die Elemente mit in den Verfassungsvertrag aufnehmen und entsprechend mit Leben erfüllen.
Ich weise deshalb so eindringlich darauf hin, weil wir in einer schwierigen Situation sind. Das muss man trotz der vielen guten Botschaften über die Vorbereitung zum Abschluss der Regierungskonferenz, die wir zurzeit aus Brüssel von den Rechtskundigen bekommen, offen bekennen. Es ist noch nicht geschafft. Wir sind mit der Regierungskonferenz schon ein Stückchen zurückgegangen, gemessen an dem von Rainder Steenblock zu Recht erwähnten Konvent im Jahr 2003. Trotz der Ratifizierung des Verfassungsvertrages in 18 Ländern haben wir einen Bruch erlebt. Mit den vertraglichen Grundlagen, die wir nun schaffen wollen, bewegen wir uns auf einem Niveau, das wieder ein Stückchen niedriger ist. Dennoch sind diese neuen vertraglichen Grundlagen das Wichtigste, was wir gemeinsam zustande bringen müssen. Wenn aber nun einzelne Länder versuchen, noch mehr infrage zu stellen und Änderungen hin zu weniger Gemeinschaft zu bewirken, dann müssen wir alle in diesem Hohen Hause dazu Nein sagen und Ja zu dem, was wir gemeinsam erreicht und auf dem EU-Gipfel in Brüssel beschlossen haben. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein.
Ich sage das ganz offen als jemand, der bekennender Anhänger der direkten Demokratie ist: Wenn es Länder gibt, in denen nun ein Plebiszit ansteht, nicht nur verpflichtend in Irland und wahrscheinlich auch in Dänemark, oder in denen man nach einem Volksentscheid ruft, um gegen Europa votieren zu können, dann müssen wir uns auf gute Erfahrungen in Europa besinnen, die deutlich machen, wie wir mit solchen Konflikten umgehen können. Harold Wilson stand 1975 als Labour-Premier vor einem ähnlichen Problem. Er musste ein Stück neu verhandeln, um seiner eigenen Partei sowie den Wählerinnen und Wählern zu entsprechen, und musste gleichzeitig dazu beitragen, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleiben konnte. Harold Wilson hat keine Volksabstimmung ausgerufen, um einmal zu testen, was die Bürgerinnen und Bürger meinen. Er hat gesagt: Diese Neuverhandlungen haben ein gutes Ergebnis gezeitigt. Sie haben unserem Land etwas gebracht. Ich werbe um Zustimmung. Aber ich sage auch klar: Wir haben die Alternativen, Ja in der EG oder Nein in der Volksabstimmung zu sagen und dann auszutreten.
Ich appelliere an alle, die wollen, dass wir dieses Europa zusammenhalten, die zweite Chance mit der nun anstehenden Regierungskonferenz und der Ratifizierung zu nutzen. Denn in Europa ist es anders als im Sport: Wir haben keine drei Versuche, also keine zwei Fehlversuche, um dann das Gewicht im dritten Versuch zu stemmen. Wir müssen es jetzt schaffen. Ich denke, wir werden es schaffen. Der Deutsche Bundestag wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Der Außenminister wird eine hervorragende Rolle spielen.
Glück auf!
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU-Fraktion.
Erika Steinbach (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes sprechen, können wir das durchaus unter erfreulichen Vorzeichen tun; denn der Gesamtetat des Auswärtigen Amtes wurde nach vielen Jahren erstmals wieder angehoben, und das war dringend nötig. Davon profitieren nicht zuletzt auch die Menschenrechtsanliegen dieses Hauses. So ist zum Beispiel vorgesehen, den Mittelansatz im Titel ?Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ um rund 3 Millionen Euro zu erhöhen. Diese Erhöhung spiegelt das gewachsene Engagement wider, das Deutschland in den letzten Jahren bei der Sicherung des Friedens und der Wahrung der Menschenrechte gezeigt hat.
Die Herausforderungen, denen sich Deutschland auch im Menschenrechtsbereich gegenübersieht, sind in den letzten Jahren nicht geringer geworden. In vielen Bereichen prallen heute religiöse, ethnische oder ideologische Vorstellungen verstärkter und aggressiver aufeinander als in den Jahrzehnten zuvor. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Menschenrechtsverletzungen von heute nicht selten die kriegerischen oder die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen von morgen sind. Beides hat immer mehr oder weniger Auswirkungen auf unser Land, direkt oder indirekt. Deshalb ist Menschenrechtspolitik neben dem humanitären Anliegen auch immer Interessenpolitik unseres eigenen Landes.
Diese Bundesregierung tut in Fragen der Menschenrechte mehr - Herr Kollege Kolbow, das sehe ich ein wenig anders als Sie - als alle Bundesregierungen zuvor. Das gilt nicht nur für die rot-grüne Bundesregierung, sondern auch für die, die davor waren. Das begrüße ich ausdrücklich. Förderprogramme zur Durchsetzung von Demokratie und von Menschenrechten sind wichtig. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Sie helfen den Menschen, und sie stabilisieren das globale politische Gesamtgefüge. Sie können aber nur dann ihre Wirkung wirklich entfalten, wenn das Bekenntnis zu den Menschenrechten von oberster Ebene mitgetragen und immer wieder eingefordert wird. Geld alleine reicht nicht, und Geld alleine hilft nicht nachhaltig. Menschenrechtspolitik braucht Politiker, die Missstände im Ausland mutig und ohne Schnörkel ansprechen. Das tun sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Herr Außenminister. Herzlichen Dank dafür. Von ihnen werden Menschenrechtsdefizite nicht ausgeklammert, sondern angesprochen. In der Vergangenheit war auch das nicht immer selbstverständlich.
Wenn ich anfangs sagte, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes den höheren Stellenwert von Menschenrechten widerspiegelt, so trifft dies vor allem auf ein Land zu, das heute in der Debatte schon eine große Rolle gespielt hat, auf Afghanistan. Nirgendwo sonst hat sich Deutschland in den letzten Jahren auch unter menschenrechtlichen Aspekten so sehr verpflichtet wie in dieser Region. Es gibt heute Erfolge, aber nach wie vor auch Herausforderungen. Das Beispiel Afghanistan wähle ich deshalb, weil ich und wir alle sehr wohl wissen, dass es vielen Menschen hier im Land am liebsten wäre, wenn Deutschland sein Engagement dort baldmöglichst einstellen würde. Aber das wäre nicht nur aus der Menschenrechtsperspektive, sondern auch aus Gründen der innenpolitischen Sicherheit ein ganz kardinaler Fehler. Ohne Zweifel ist Afghanistan noch sehr weit von Zuständen entfernt, die wir mit unseren eigenen Maßstäben als rechtsstaatlich oder menschenrechtlich akzeptabel empfinden. Dennoch müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, wie verheerend die Menschenrechtsbilanz zu Beginn des multinationalen Engagements in Afghanistan ausgesehen hat. Frauen und Mädchen wurden massiv unterdrückt und sowohl aus dem politischen Prozess als auch von Bildung, sogar von Schulbildung, ausgeschlossen. Es gab kein funktionierendes Justizwesen. Genauso wenig wurden die allgemeinen Menschenrechte beachtet. All das war in diesem Lande nicht vorhanden. Die Talibanherrschaft hatte die Menschen dort im Griff. Ihre Herrschaft konnte inzwischen durch den internationalen Einsatz beendet werden. Die weitverzweigten terroristischen Nester, die es heute noch gibt, dürfen uns gleichwohl nicht gleichgültig sein. Von dort aus werden die zivilisierte Welt und auch die afghanische Regierung nach wie vor bedroht.
Zum befriedenden Prozess in Afghanistan hat Deutschland intensiv beigetragen. Erste Erfolge sind zweifellos sichtbar. 2004 wurden in der afghanischen Verfassung die Menschen- und Bürgerrechte fest verankert. Im Zuge des Verfassungsprozesses hat sich insbesondere die Situation von Frauen durch ihre rechtliche Gleichstellung gebessert. Zwangsehen und Ehrenmorde sind heute verboten. Wichtig ist jetzt eine konsequente Durchsetzung der vorhandenen Rechte. Dafür braucht die dortige Regierung Unterstützung. Das allgemeine Ziel, Sicherheit und Menschenrechte in Afghanistan zu stabilisieren, kann erreicht werden, wenn wir in unseren Bemühungen jetzt nicht nachlassen. Wie sehr sich aber die Situation seit Beginn des internationalen Hilfseinsatzes verbessert hat, lässt sich unter anderem daran messen, wie viele Exilafghanen inzwischen heimgekehrt sind. Seit 2002 sind es fast 5 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, die zurückkehren konnten, davon weit mehr als tausend aus Deutschland. Das ist ein Zeichen des Vertrauens in die Gegenwart und in die Zukunft dieses Landes.
Deutschland hat in diesem Bereich seinen Beitrag geleistet. Auch beim Minenräumen hat Deutschland engagiert eingegriffen.
Aber Afghanistan ist nur einer von vielen internationalen Brennpunkten, durch die menschenrechtliche Fragen berührt sind. Zahlreiche andere Länder und ihre Menschenrechtsdefizite beschäftigen uns tagtäglich. Ich nenne stellvertretend Darfur, Simbabwe, Iran, China, Belarus, Kuba, Zentralasien, Russland und nicht zuletzt den Nahen Osten. Überall dort leistet die Bundesregierung in ganz unterschiedlicher Art und Weise ihren Beitrag zur Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde.
All diejenigen, denen das Schicksal anderer Menschen auf diesem Erdball herzlich egal ist, die auch nichts von christlicher Nächstenliebe halten, all diejenigen, die glauben, deutsche Politik sollte sich aus allem, was es an Schrecklichem in dieser Welt gibt, heraushalten und sich selbstgenügsam zurückhalten, müssen sich vor Augen führen, dass sie damit ihren zum Teil sehr egoistischen Interessen selber mehr schaden als nutzen. Die Weltprobleme enden eben nicht am deutschen Tellerrand. Gewalt, Terror und Unterdrückung bleiben in unserer globalisierten Welt nicht in den Regionen, in denen sie entstanden sind. Sie schwappen über bis hin zu uns, ob in Wanderungsströmen oder durch Terrorakte. Auch deshalb ist es zwingend erforderlich, Demokratien zu stabilisieren und menschenwürdiges Leben in anderen Teilen der Erde zu ermöglichen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Wort.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 111. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 13. September 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]