118. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe einige Mitteilungen zu machen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten.
In der letzten Septemberwoche haben die Kollegen Peter Götz, Gerd Bollmann und Jörg van Essen ihre 60. Geburtstage gefeiert.
Im Namen des ganzen Hauses möchte ich dazu herzlich gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln.
Die FDP-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege Christoph Waitz anstelle der Kollegin Gisela Piltz neues Mitglied im Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes werden soll. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das sieht ganz so aus. Dann ist der Kollege Christoph Waitz in den Beirat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen FDP und DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu Veränderungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und bei der Rente ab 67 und entsprechenden Äußerungen des Bundesministers für Arbeit und Soziales Franz Müntefering
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP
Menschenrechte und Demokratie in Birma durchsetzen
- Drucksache 16/6600 -
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Leibrecht, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Birma/Myanmar stärken
- Drucksachen 16/5608, 16/6611 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Detlef Dzembritzki
Harald Leibrecht
Monika Knoche
Kerstin Müller (Köln)
(ZP 1 bis ZP 3 siehe 117. Sitzung)
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen
- Drucksache 16/6434 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Chancengerechtigkeit von Beginn an
- Drucksache 16/6597 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 34)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Notwendige Verbesserungen am Telemediengesetz jetzt angehen
- Drucksache 16/5613 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren - Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirtschaft in Deutschland
- Drucksache 16/6598 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Missbilligung der Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung zum Abschuss von in Terrorabsicht entführten Flugzeugen
- Drucksache 16/6490 -
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beitragsfreie Entgeltumwandlung - Erst prüfen, dann entscheiden
- Drucksache 16/6606 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden
- Drucksache 16/6603 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
ZP 10 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/6543 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 8, 13 und 26 werden abgesetzt. In der Folge werden die Tagesordnungspunkte 14 und 15, 16 und 17, 18 und 19, 20 und 21, 22 und 23 sowie 24 und 25 jeweils getauscht. Das ist ja alles sehr übersichtlich und deswegen sicherlich sofort verständlich.
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Nachträgliche Ausschussüberweisung
Der in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Rechtsausschuss (6. Ausschuss) und den Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Jahressteuergesetzentwurf der Bundesregierung 2008 (JStG 2008)
- Drucksache 16/6290 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
GO
Sind Sie mit diesen vorgetragenen Veränderungen einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 4 auf:
3. Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Aufschwung, Teilhabe, Wohlstand - Chancen für den Arbeitsmarkt
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen
- Drucksache 16/6434 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir später namentlich abstimmen werden. Ich weise jetzt auch schon darauf hin, dass wir im Laufe des Nachmittags, vermutlich gegen 17 Uhr, eine weitere namentliche Abstimmung haben werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben unser Regierungsprogramm in Meseberg mit dem Satz eingeleitet:
Deutschland befindet sich im Wandel. Die Globalisierung und die demographische Entwicklung stellen Politik und Gesellschaft vor große Herausforderungen
- aber auch vor große Chancen. Dann haben wir die Wege und die Instrumente beschrieben und vorgezeichnet, die zu diesen Zielen führen: zu Aufschwung, zu Teilhabe, zu Wohlstand in Deutschland. Zu diesen Wegen und Instrumenten will ich sprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung nimmt die Herausforderung an und nutzt die Chancen. Wir sind dankbar für jeden, der dabei mitmacht: in der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Verbänden, den Kirchen, den Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Ich will stellvertretend einige nennen.
Ich nenne Betriebsräte aus Nordhausen, die sich engagieren für die Kolleginnen und Kollegen, die Sorge haben um ihre Arbeitsplätze. Ich nenne kleine und große Unternehmen, die wir auszeichnen für ihr vorbildliches Verhalten in ihren Unternehmen im Zusammenwirken mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Ich nenne die Integration durch Sportaktionen in Berlin-Kreuzberg, wo Ehrenamtliche in den Vereinen dafür sorgen, dass junge Menschen von der Straße geholt werden und eine Perspektive bekommen.
Ich nenne zwei junge Frauen, die ich gestern kennengelernt habe. Sie begleiteten schwer behinderte, spastisch gelähmte junge Menschen in Rollstühlen. Diese jungen Frauen sind aus Wuppertal und arbeiten als Assistentinnen, als Betreuerinnen für diese jungen Menschen. Wenn man das erlebt, weiß man, dass es großartig ist, wie sie sich da engagieren.
Ich nenne junge Auszubildende, die ich in München kennengelernt habe. Sie stehen jeden Morgen so auf, dass sie um 5 Uhr losfahren können irgendwo im Bayern-Land, um in München die Ausbildung zu machen. Sie sagen: Jawohl, wir machen das. Wir lernen, wir wollen die Ausbildung, und wir wollen anschließend in einen guten Beruf hineinkommen.
Ich nenne eine große Spedition, die sich, was die Auszubildenden angeht, entschieden hat, zunächst einmal 100 Ausbildungsplätze für Hauptschülerinnen und Hauptschüler anzubieten. Sie sagen: Wir stellen 300 ein; 100 davon nehmen wir aus der Hauptschule.
Ich nenne die Laufer Mühle, eine Einrichtung, in der ich vor wenigen Wochen war - Frau Schmidt und Herr Müller waren dabei -, wo wir mit Menschen sehr engagiert darüber gesprochen haben, was sie tun, damit die, die sonst keine Chance am Arbeitsmarkt hätten, solche Chancen bekommen.
Ich nenne dies alles stellvertretend. Vieles wäre noch zu nennen. Was ich damit sagen will, ist: Es sind in Deutschland viele neben der Politik, außerhalb der Politik unterwegs, die sich engagieren und die mithelfen, dass dieses Land vorankommt. Denen sagen wir unseren Dank und unseren Respekt.
Wir tun unsere politische Arbeit, und wir tun sie mit Zuversicht. Denn die vergangenen Jahre haben gezeigt: Gestaltung ist möglich, auch ehrgeizige Ziele sind erreichbar. Wir simulieren keinen Idealzustand für Deutschland. Aber es gibt auch keinen Grund zur Verzagtheit. Die Aufgaben sind groß. Wir wissen, die Arbeitslosigkeit ist hoch, sie ist zu hoch. Die Verteilung der Bildungs- und Lebenschancen ist ungerecht. Auch die Verteilung des Vermögens ist ungerecht. Aber das Potenzial für eine gute und erfolgreiche gemeinsame Zukunft in unserem Land ist groß. Vom Erfolg aller sollen alle sozial gerecht profitieren - heute, aber auch morgen und übermorgen. Deshalb müssen wir heute die Saat legen für den Wohlstand von morgen und für nachhaltiges und dauerhaftes Wachstum auch für die nächsten Jahrzehnte.
Heute dürfen wir selbstbewusst feststellen: Die Anstrengung zahlt sich aus. Deutschland ist auf einem guten Weg. Die Bundesregierung der Großen Koalition ist fest entschlossen, zum Nutzen unseres Landes und seiner Menschen diesen Weg zu gehen, auch wenn es anstrengend ist - und es ist anstrengend; manchmal machen wir es uns unnötig anstrengend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Weg zu Wachstum, Teilhabe und Wohlstand heißt auch und zuvorderst ?mehr und gute Arbeit“; denn Arbeit ist sinnstiftend für jeden Menschen. Sie ist die Bedingung für Wohlstand, der gemeinsam erwirtschaftet wird. Deshalb bleiben der Kampf für mehr und gute Arbeit und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herausragende Ziele dieser Bundesregierung.
Mehr Arbeit ist möglich. Deutschland ist wettbewerbsfähig. Dazu tragen wir bei, und das werden wir auch weiter tun. Deutschland hat noch mehr Arbeit, die auch mobilisiert werden muss. Ein paar Beispiele:
Dienst Mensch am Mensch. Wir haben in Meseberg beschlossen, dass die Gesundheitsministerin ein Konzept zu der Idee ?Dienst Mensch am Mensch“ im Bereich Pflege vorlegt. Da gibt es gerade in einer älter werdenden Generation, in einer älter werdenden Gesellschaft viele Aufgaben, große Bedarfe und große Chancen. Das Gesundheitswesen einschließlich des ganzen Pflegebereichs ist, wenn man so will, die größte Branche, die wir in dieser Gesellschaft haben. Da wird es Arbeitsplätze und noch mehr Arbeitsplätze geben als bisher. Wir müssen dieses ganze System nicht nur begreifen als etwas, worüber wir sprechen, wie wir Geld sparen wollen. Das Gesundheitswesen und das Pflegewesen sind nicht dann am besten, wenn wir möglichst wenig ausgeben, sondern wenn die Menschen, die darauf angewiesen sind, etwas davon haben. Das dürfen wir bei all dem, was wir tun, nicht aus den Augen verlieren.
Zweites Beispiel: Haushalt. Dass es da Möglichkeiten gibt, mehr und legale und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu organisieren, das zeigt uns zum Beispiel unser Nachbar Frankreich. Dienstleistungen im privaten Bereich müssen so weit wie möglich aus dem Nebel der Schwarzarbeit herausgeholt und geordnet werden. 2008 werden wir aktiv werden: Haushalt als Auftraggeber - das wollen wir stärker systematisieren und damit zusätzliche Impulse setzen.
Drittes Beispiel: Infrastruktur. Gerade bei der Infrastruktur leben wir an vielen Stellen von der Substanz; das ist vielen nicht bewusst. Das gilt ganz besonders für den kommunalen Bereich, bei Gebäuden, Wegen und Kanälen. Wir geben deutlich weniger für diesen Bereich aus als Anfang der 90er-Jahre. Damals waren es 2,8 Prozent unseres BIP, heute sind es 1,4. Die Gemeinden zum Beispiel geben aktuell nur 18 Milliarden Euro im Jahr aus. Wir bräuchten aber das Doppelte oder Vierfache. Wenn wir heute nicht reparieren und instand setzen, wird es morgen oder übermorgen um ein Vielfaches teurer. Deshalb müssen wir in die Infrastruktur des Landes investieren. Diese Infrastruktur ist ein Gut, eine Bedingung dafür, dass wir Hochleistungsland und Wohlstandsland bleiben können. Wir, Bund, Länder und Gemeinden - ich nenne die beiden Letztgenannten ganz ausdrücklich -, müssen den Mut haben, die Arbeitsplätze, die es gibt, zu heben.
Wir haben zu Beginn der Koalition das 25-Milliarden-Programm vereinbart. Das setzt sich fort. Das führt dazu, dass wir in diesem und in den kommenden Jahren stabil 9,1 Milliarden Euro für Investitionen des Bundes im Verkehrswesen zur Verfügung haben.
Viertes Beispiel: energetische Gebäudesanierung. Sie ist von besonderem Gewicht und ein Gewinn in dreifacher Hinsicht: Energetische Gebäudesanierung bringt Arbeitsplätze vor Ort, bei den kleinen und mittleren Unternehmen; sie ist gut für den Klimaschutz, und sie amortisiert sich in fünf bis zehn Jahren; denn die Energiepreise werden nie wieder so niedrig sein, wie sie mal gewesen sind. Wir müssen diese Linie der energetischen Gebäudesanierung fortsetzen. Wir müssen das intensivieren. Wir müssen die Chance nutzen, mit Umweltthemen, mit einer vernünftigen Klimapolitik Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist eine alte Idee, die so aktuell ist, wie sie nur sein kann. Heute wissen wir alle: Wer vernünftige Umweltpolitik, wer vernünftige Klimapolitik macht, muss deshalb nicht in die Zeit der Sandalen und langen Locken zurückfallen, sondern kann das im Wohlstandsleben aller tun.
- Zwischenfragen sind zwar nicht erlaubt, Zwischenrufe von mir aus aber schon. Ihr seht ja heute auch alle gepflegt aus. Das ist mit euch alles anders geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Hochleistungsland sein wollen - und das wollen wir -, dann müssen wir Hochbildungsland sein. Wir haben in den vergangenen Tagen zur Kenntnis nehmen dürfen, dass die Nobelpreise für Physik und Chemie an Deutsche vergeben worden sind. Von hier aus meinen und sicherlich Ihrer aller Glückwunsch an die Professoren Grünberg und Ertl.
Wir sind stolz auf die beiden. Und natürlich: Schönen Gruß an all die jungen Grünbergs und Ertls: Macht voran! Wir möchten, dass ihr in zehn oder 20 Jahren auch die Nobelpreise bekommt.
- Das kommt dazu.
Bildung ist unser Schicksal. Bildung ist die entscheidende Bedingung, damit wir Wohlstandsland bleiben können. Deutschland muss die Zahl der Schulabbrecher deutlich reduzieren und die Zahl der Studenten deutlich erhöhen.
Und insbesondere den Kindern mit Migrationshintergrund müssen wir ein ehrliches und wirksames Angebot machen.
Ich habe einen Bürgerbrief bekommen, der sich, weil er kurz ist, zum Zitieren eignet:
Meine Enkelin Claudia besuchte mich mit Freund Fabio.
So schreibt mir diese Frau.
Fabio stellte sich vor: Schweizer, in Sizilien geboren, fünfjährig mit den Eltern in die Schweiz eingewandert, kam in die Schule. Der Lehrer stellte Sprachschwierigkeiten fest. Da bekam Fabio zwei Jahre Einzelunterricht in Deutsch auf Staatskosten, machte Abi und studierte.
Die Briefschreiberin fragt abschließend:
Wie viele deutsche Ingenieure hätten wir mehr, wenn wir unsere Immigrantenkinder vergleichbar förderten?
Das ist eine sehr berechtigte und sehr nachdenklich machende Frage, eine Frage, die den Finger in die Wunde legt.
Das gilt auch für Ausbildung. Eine gute Ausbildung ist noch immer der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Der Ausbildungsmarkt ist erfolgreich. Zum Beginn des Ausbildungsjahres sind bundesweit bislang 530 700 Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Aber rund 29 000 Jugendliche sind noch unversorgt. Im letzten Jahr um diese Zeit waren es noch knapp 50 000. Das beweist: Es ist besser geworden. Aber trotzdem gilt auch in diesem Jahr, dass wir jetzt alle Anstrengungen in die Nachvermittlungen legen müssen, und zwar gemeinsam: Politik, Betriebe und Sozialpartner. Die 40 000 Plätze für Einstiegsqualifizierung, die die Bundesregierung fördert, werden dabei entscheidend mithelfen, so wie das Programm ?U 25“ und der neue Qualifizierungskombi, der rückwirkend am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft tritt.
Ein weiteres wichtiges Element haben die Koalitionsfraktionen mit dem Konzept ?Jugend, Ausbildung und Arbeit“ eingebracht. Wir haben in Meseberg verabredet, dass wir die Prüfung sehr bald abschließen werden und schauen, was wir in den Bereichen Ausbildungsbonus für überdurchschnittlich ausbildende Betriebe, Ausbildungskostenzuschüsse für die Ausbildung bestimmter Gruppen von benachteiligten Altbewerbern, Einsatz von Ausbildungspaten und Verstärkung der personellen Ressourcen der Berufsberatung umsetzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im September war die Arbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie seit zwölf Jahren nicht mehr: 1 Million arbeitslose Menschen weniger als vor zwei Jahren, 694 000 weniger als vor einem Jahr. Bei den über 50-Jährigen sind 191 000 weniger arbeitslos - das sind 17,4 Prozent - als vor einem Jahr. Bei den unter 25-Jährigen sind 103 000 weniger arbeitslos - das sind 19,6 Prozent - als vor einem Jahr. Dazu kommen 1 Million offene Stellen. Wann können wir in Deutschland eigentlich von einem Erfolg der politischen Arbeit sprechen, wenn nicht an dieser Stelle?
Erfolge sind überall vorhanden, aber sie verteilen sich regional noch sehr unterschiedlich, dramatisch unterschiedlich. Der Kreis Eichstätt meldet mit 1,8 Prozent Arbeitslosigkeit de facto Vollbeschäftigung, während am anderen Ende der Skala die Stadt Görlitz mit 21,6 Prozent eine Arbeitslosigkeit aufweist, die deutlich macht: Wir haben das Ziel ?Arbeit für alle“ noch lange nicht erreicht. Deswegen werbe ich für einen Kommunalkombi, um in Regionen mit besonders verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit mehr Chancen auf Arbeit zu eröffnen.
Wir müssen in dieser Situation in Deutschland den Weg finden, denen, die aus der Geschichte heraus in ganz besonderer Weise Schwierigkeiten haben, am Arbeitsmarkt Arbeit zu finden, besondere Hilfe zu geben. Wir müssen diese Situation des Landes nutzen - 1 Million offene Stellen -, dafür zu werben, dass sich strukturell etwas verändert. Ein Unterschied von 20 Prozent zwischen Eichstätt und Görlitz darf nicht bleiben. Dafür müssen wir miteinander streiten.
Ich bin gegen Schönmalerei. Ich werbe für Realismus. Aber ich bin gegen die Propheten des Depressiven, die mir immer noch zu oft begegnen
und die eines auf jeden Fall nicht sind, nämlich ins Gelingen verliebt. Das muss man aber sein, wenn es gelingen soll.
Dieser Tage, am 4. Oktober, las ich in einer ddp-Tickermeldung über die Arbeitslosigkeit in der Gruppe der Älteren, von einer wichtigen Person veranlasst:
Nach wie vor würden jeden Monat rund 100 000 ältere Menschen über 50 Jahre arbeitslos, seit Jahresbeginn seien es eine Million Menschen. Es seien auch kaum mehr Menschen über 50 als früher, die wieder einen Job erhielten. Und viele davon fänden nur kurzfristige Beschäftigung oder Leiharbeit. Hier gebe es dringenden Handlungsbedarf ...
Richtig ist: Im September gab es mehr als 102 000 Zugänge aus der Generation 50 plus in Arbeitslosigkeit. Es gab aber im September auch 141 000 Abgänge von ?50-Plus-ern“ aus der Arbeitslosigkeit heraus.
Seit Anfang 2007 stehen 1 004 000 Zugänge von ?50-Plus-ern“ in Arbeitslosigkeit 1,235 Millionen neuen Stellen gegenüber, die von über 50-Jährigen besetzt wurden: über 230 000 neue Chancen und Perspektiven.
Wenn man solche Darstellungen in solchen Meldungen liest, in denen die 100 000 minus genannt werden, aber die 140 000 plus nicht, dann kann einen schon der heilige Zorn packen. Von bewusster Täuschung ist das nicht ganz weit entfernt.
Insgesamt haben wir im zweiten Quartal 2007 eine Beschäftigungsquote von 52 Prozent bei den über 55-Jährigen. Das waren 1968, als Rot-Grün begann, 37,7 Prozent.
- 1998. Habe ich etwas Falsches gesagt?
- 1998. Ich habe das Gefühl, das ist schon lange her; daher kommt das vielleicht bei mir.
1998 waren es also 37,7 Prozent. Im zweiten Quartal dieses Jahres sind es 52 Prozent. Jetzt sage ich noch eine Zahl, weil ich mir das gestern noch einmal differenziert habe heraussuchen lassen: Bei den 55- bis 59-Jährigen liegt der Anteil jetzt bei 67,2 Prozent. Über zwei Drittel der 55- bis 59-Jährigen sind wieder in Beschäftigung. Mit Verlaub, darauf dürfen wir alle miteinander stolz sein. Das ist eine gute Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Meseberg nicht nur Akzente für mehr Arbeit, sondern auch für gute Arbeit gesetzt. Wir haben in der Koalition eine schwierige, aber doch Einigung über zwei Instrumente erzielt, um Lohndumping und Dumpinglöhne zu verhindern: erstens das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir verändern das Entsendegesetz und werden nächstes Jahr allen Branchen, die die Voraussetzungen erfüllen, hier einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn ermöglichen.
Zweitens aktualisieren wir das Mindestarbeitsbedingungengesetz, um auch diejenigen Branchen für Mindestlohnregelungen zu erreichen, in denen die Tarifbindung unter 50 Prozent liegt und die deshalb nicht ins Entsendegesetz aufgenommen werden können. Auch das passiert in 2008. Darauf haben wir uns in der Koalition geeinigt; das setzen wir um.
Noch in diesem Jahr nehmen wir zu alten Bedingungen nach bisherigem Modus den Bereich Briefdienste ins Entsendegesetz auf.
Die Tarifparteien haben sich auf einen Tarifvertrag geeinigt und den Antrag auf Aufnahme ins Gesetz und auf Allgemeinverbindlichkeit für ihren Tarifvertrag gestellt. Wir gehen die Umsetzung und die Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz jetzt zügig an, sodass bis zum Neujahrstag zeitgleich mit dem Ende des Briefmonopols in Deutschland ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn für Briefdienste möglich ist. Ich möchte das.
Meine Damen und Herren, Ziel von Mindestlohnregelungen ist es, zu verhindern, dass mit Dumpinglöhnen Menschen unwürdig behandelt werden und mit Lohndumping ehrliche und faire Unternehmer in die Knie konkurriert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu guter Arbeit gehört, dass wir im Bundesministerium für Arbeit und Soziales an einem Konzept zur Humanisierung der Arbeitswelt arbeiten. Auch das haben wir in Meseberg noch einmal miteinander vereinbart. Da geht es um Prävention, um Gesundheitsschutz, um alters- und alternsgerechte Arbeit, um Möglichkeiten zur Qualifizierung, um familiengerechte Arbeitswelt. Außerdem haben wir in Meseberg vereinbart, dass wir analysieren und prüfen, was im Bereich Zeitarbeit geschieht. Die Zeitarbeit hat sich inzwischen zu einer soliden und seriösen Branche entwickelt. Das ist gut, und das soll auch so bleiben. Dabei wollen wir sie stützen und stabilisieren.
Aber wir müssen prüfen, ob die Methode Zeitarbeit überall so ausgestaltet ist, wie wir uns das vorgestellt haben.
Zeitarbeit darf nicht dazu führen, dass Belegschaften ausgegliedert und dann drei Tarifstufen niedriger wieder zurückgeholt werden.
Zeitarbeit soll nicht zu Dauerarbeit werden und schon gar nicht zum Zweck willkürlich herbeigeführter niedriger Löhne.
Wir werden uns dazu melden.
Meine Damen und Herren, gute Arbeit, das heißt auch: Chancen zur Weiterbildung und Weiterqualifizierung. Hier ist Deutschland Entwicklungsland.
Hier sind wir eindeutig nicht auf der Höhe der Zeit. Uns fehlen in Deutschland nachweisbar Maschinenbau- und Elektroingenieure. Dazu haben wir in Meseberg drei Punkte beschlossen:
Erstens und zuvorderst wollen wir das eigene Potenzial nutzen. Das heißt, wir müssen alle Menschen, die legal in Deutschland sind, bilden, ausbilden und qualifizieren. Das, was wir an Potenzial haben, sind die Menschen. Wir brauchen sie. Mit ihnen müssen wir die Aufgaben, die wir in diesem Land zu erfüllen haben, erfüllen. Das ist die erste Bedingung in diesem Zusammenhang.
Kurzfristig, zum 1. November, öffnen wir zweitens den Arbeitsmarkt für Maschinenbau- und Elektroingenieure aus den zwölf neuen EU-Mitgliedstaaten. Für sie wird das Prinzip der Nachrangigkeit am deutschen Arbeitsmarkt aufgehoben. Ausländische Studenten haben nach Abschluss ihres Studiums wie bisher ein Jahr Zeit, Arbeit zu finden. Neu ist: Auch für sie entfällt das Prinzip der Nachrangigkeit.
Das heißt, sie können sich gleichrangig am deutschen Arbeitsmarkt bewegen.
Drittens. Wir wollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen. Die Bundesregierung wird ein Konzept zur Zuwanderung entwickeln, das den Interessen unseres Landes auch in der nächsten Dekade Rechnung trägt. Bei der Erarbeitung dieses Konzepts sollen quantitative und qualitative Instrumente geprüft und die Erfahrungen anderer Länder bei der arbeitsmarktbezogenen Steuerung der Zuwanderung einbezogen werden. Es geht um eine arbeitsmarktadäquate Arbeitsmigration. Aber ich sage noch einmal: Zuerst sind die zu qualifizieren, die in unserem Lande sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist ein reiches Land. Dennoch gibt es Armut. Gegen existenzgefährdende Armut haben wir verlässliche Solidar- und Grundsicherungssysteme.
Das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe decken das Existenzminimum ab.
Ob das noch so ist und ob die Anpassungsmechanismen richtig funktionieren, überprüfen wir gerade. Im November werden wir valide Zahlen vom Statistischen Bundesamt vorliegen haben. Und dann wird die Bundesregierung sehr rasch entscheiden, ob und wie reagiert werden kann.
Wir haben in Meseberg ein weiteres aktives Instrument zur Armutsbekämpfung und zur Arbeitsschaffung angepeilt. Wir arbeiten aktuell an einem Gesamtkonzept, das einen Bonus für Arbeit, den Erwerbstätigenzuschuss, mit dem bewährten und zu erweiternden Instrument des Kinderzuschlags verbindet. Mit diesem neuen Instrument wollen wir Erwerbstätige, die vollbeschäftigt oder nahe daran sind, aber mit ihrem Arbeitseinkommen nicht das Existenzminimum erreichen, möglichst vor Hilfebedürftigkeit schützen. Sie fallen dann nicht mehr unter die Vermögensprüfung nach dem SGB II.
Nach unseren bisherigen Berechnungen könnten wir mit diesem Instrument auch mehrere Hunderttausend Kinder aus der Hilfebedürftigkeit herausholen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Armutsbekämpfung haben wir vor allem die Kinder im Blick. Wir wollen und werden vom Interesse des Kindes her denken.
Aus materieller Armut darf keine Chancenarmut werden,
keine Armut an Bildung, keine Armut an Gesundheit und keine Armut an Teilhabe. Aber das passiert heute oft. Gleiche Chancen auf Bildung, Ausbildung und Arbeit zu organisieren, das ist und bleibt der Schlüssel, um Armut nachhaltig zu bekämpfen und ihr dauerhaft vorzubeugen. Hier haben wir eine große Verantwortung. Alle stehen in dieser Verantwortung: Bund, Länder und Gemeinden. Wir dürfen nicht an der falschen Stelle sparen. Das, was wir jetzt in die Kinder und Jugendlichen und in die Chancengerechtigkeit investieren, ist sehr gut angelegtes Geld, auch für die Zukunft unseres Landes.
Vom Interesse des Kindes her zu denken, das führt nach meiner Überzeugung auch dazu, dass wir die Hilfe anders organisieren müssen als nur über direkte Geldleistungen. Niedrige Kitagebühren, ein gesundes Mittagessen in Kita oder Schule und spezielle Unterstützung bei der Einschulung, das könnten Hilfen sein, die direkt bei den Kindern ankommen, die diese direkten Hilfen ganz besonders brauchen.
Armut zu bekämpfen und Teilhabe zu sichern, das sind unsere Ziele in Deutschland, aber darüber hinaus auch in der Europäischen Union und in der Welt. Auch hier ist die Bundesregierung mit ihrer Politik aktiv. Während unserer EU-Ratspräsidentschaft haben wir das Soziale in Europa sichtbarer gemacht und das europäische Sozialmodell gestärkt. Daran knüpfen wir in der Teampräsidentschaft mit Portugal und Slowenien an. Deshalb habe ich in dieser Woche in Lissabon einen Vorstoß gemacht zur Ergänzung der integrierten Leitlinien, der Lissaboner Leitlinien, die im nächsten Jahr fortgeschrieben werden. Es soll in der Beschäftigungsleitlinie um die Bekämpfung von Armut bei Familien und Kindern und um den Anspruch auf faire, gerechte Löhne gehen. Es gab dafür viel Zustimmung von den europäischen Partnern und Kommissionsvertretern. Wir werden auch international den Prozess von Heiligendamm fortsetzen; auch das haben wir in Meseberg vereinbart.
Wir werden von hier aus nicht alle Probleme der Welt lösen können; aber wir können und wir wollen mithelfen, dass soziale Kohärenz im Handeln der großen internationalen Organisationen wie UNO, ILO, WTO, IWF und Weltbank gestärkt wird und Mechanismen für die soziale Gestaltung der Globalisierung vorankommen. Denn das ist klar: Das Soziale ist Wachstums- und Stabilitätsfaktor - bei uns im Land, in Europa und in der Welt. Deswegen liegt für Deutschland - Exportweltmeister, der wir sind - die soziale Gestaltung, auch die soziale Gestaltung der Welt, im wohlverstandenen eigenen Interesse.
Deshalb engagieren wir uns - die Bundeskanzlerin, der Außenminister, der Wirtschaftsminister, alle, die wir in diesem Kabinett, in dieser Bundesregierung unterwegs sind - in Europa und darüber hinaus auch für diesen Aspekt. Wenn wir über die Zukunftsfähigkeit von Arbeit und Sozialem in Deutschland sprechen, müssen wir wissen: Das verbindet sich aufs Engste mit der Frage, wie es denn in Europa und darüber hinaus in dieser Welt weitergeht. Wir wollen als reiches Land unseren Teil dazu beitragen, dass Armut in der Welt, soweit es denn nur möglich ist, bekämpft wird. Dass die soziale Dimension bleibt, dass das Ökonomische und das Ökologische - das ist wichtig - um das Soziale ergänzt werden und dass daraus eine vernünftige, kohärente soziale Politik wird - nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus -, dafür wollen wir in dieser Bundesregierung unseren Beitrag leisten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unsere schöne Hauptstadt Berlin und ihre Menschen sind für eine gewisse Sprödigkeit bekannt. In Berlin heißt das höchste Lob: Da kannste echt nich meckern!
Über Sinnhaftigkeit und Leistung dieser Großen Koalition wird seit ihrem Bestehen viel sinniert und viel gedeutet, meistens skeptisch. Ich sage Ihnen voraus: Wenn es die Große Koalition einmal nicht mehr geben wird - irgendwann in 17 500 Stunden oder so ähnlich -,
werden sich viele im Land umsehen und werden, wenn sie die Leistungen der Großen Koalition bewerten, sagen: Da kannste echt nich meckern!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat eben eine interessante Rede gehalten,
die über weite Strecken sogar als launige Rede bezeichnet werden kann.
Er hat Dinge gesagt, denen ich nicht zustimme. Er hat Dinge gesagt, denen ich zustimme. Er hat völlig zu Recht das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger in diesem Land gelobt. Er hat völlig zu Recht die Leistungsfähigkeit vieler Menschen in diesem Land gelobt. Ich glaube, bei diesem Lob hat er einzig die Damen-Fußballnationalmannschaft vergessen, die ich jetzt ausdrücklich beglückwünschen möchte.
Besonders interessant an der Rede des Vizekanzlers und Arbeitsministers war aber, dass er offenkundig weder Kraft noch Mut hat, das arbeitsmarktpolitisch interessanteste Thema in der öffentlichen Diskussion hier konkret anzusprechen.
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat einen Stein ins Wasser geworfen. Statt der geneigten Öffentlichkeit vom Platz des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz auf der Bundesratsbank aus zu erklären, was er für die Zukunft Deutschlands und den Arbeitsmarkt möchte, sieht er vom spanischen Badestrand zu, wie sich die Wellen auf den Arbeitsminister zu bewegen und sie ihn auf lange Frist wahrscheinlich wegspülen werden.
Die Agenda 2010 wurde von den Sozialdemokraten noch bis vor kurzem als Auslöser für den Schröder-Aufschwung gelobt. Mittlerweile schämen Sie sich um die Wette. Es stellt sich die Frage, ob sich diese Krise der SPD - ich sage den Sozialdemokraten in Union und SPD: den Linksaußen werdet ihr nicht nachlaufen können; sie sind schon so lange unterwegs, dass ihr sie nie überholen könnt -
zu einer Krise der Bundesregierung entwickelt. Das steht zu befürchten und wäre schlecht für die Menschen in Deutschland.
Um das beurteilen zu können, müssen wir einmal in Ruhe betrachten, was die Führungsreserve der SPD im Kabinett von Frau Merkel tut. Sigmar Gabriel taucht in seiner uns bekannten Bescheidenheit ab und sagt gar nichts. Er versteckt sich quasi unter dem Stein. Da wir schon bei den Steinen sind: Wir stellen fest, dass aufgrund der unklaren Aussagen in dieser innerparteilichen Diskussion, durch die eine Regierungskrise ausgelöst werden kann, der Wunsch, ein Parteiamt zu bekommen, sehr ausgeprägt sein muss. Herr Steinbrück gibt den Moderator. Herr Steinmeier ist genauso klar wie eine Sphinx.
Der Arbeitsminister wird alleine gelassen, obwohl er inhaltlich ausnahmsweise einmal recht hat; denn die Arbeitslosigkeit ist gerade bei den älteren Menschen überproportional zurückgegangen. Alle Forschungsinstitute sagen, dies habe einen ursächlichen Zusammenhang mit der Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I.
Am 11. November 2006 hat Kurt Beck in der Süddeutschen Zeitung gesagt - ich zitiere -:
Unser Anspruch muss sein, alles zu tun, damit Menschen schnell wieder Arbeit bekommen, und nicht, dass sie etwas länger und etwas besser in der Arbeitslosigkeit leben können. Wir wissen: Je länger jemand draußen ist, desto schwerer hat er es, wieder reinzukommen.
Diesen Teufelskreis mussten wir durchbrechen. Wer das jetzt wieder rückgängig macht, begeht einen schweren Fehler.
Damals, am 11. November, hatte er noch recht.
Jetzt macht er eine Rolle rückwärts und lässt den Arbeitsminister im Regen stehen, obwohl der Rückgang bei den älteren Arbeitslosen mit 4,7 Prozent überproportional war und obwohl - dies hat der Minister selbst gesagt - die Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen deutlich auf 52 Prozent gestiegen ist, was zwar immer noch viel zu wenig ist, aber immerhin. Die Höhe des Anspruchs aus der Arbeitslosenversicherung bemisst sich nach dem Nettolohn. Je länger man arbeitslos ist, desto geringer ist die Chance, dieses Nettolohnniveau wieder zu erreichen. Also ist es folgerichtig, die Leistungsdauer möglichst weitgehend auszuschöpfen.
Das ist wirtschaftlich völlig nachvollziehbar; politisch muss es aber verhindert werden. Das hat die vorherige Regierung getan. Dies geschah völlig zu Recht auch mit den Stimmen dieses Hauses. Wir dringen darauf, dass nicht der Fehler begangen wird, in die alte Politik zurückzufallen. Nach nur einem Jahr des wirtschaftlichen Aufschwungs werden die gleichen Fehler der letzten Jahrzehnte begangen, mit dem Ergebnis, dass Menschen ausgegrenzt und ihnen die Teilhabechancen in diesem Land genommen werden. Das ist falsch.
Sie, geehrte Frau Bundeskanzlerin - wir sehen, dass Sie vorübergehend im Land sind -, finden im Ausland völlig zu Recht viele gute und sehr deutliche Worte. Im Inland glänzen Sie durch Schweigen. Frau Bundeskanzlerin, bei den wichtigsten Themen, die die Menschen in diesem Land bewegen, führen Sie nicht. Es geht um die Chance, einen Arbeitsplatz zu haben. Nicht die Höhe oder Dauer irgendeiner Transferleistung, sondern die Möglichkeit, sich als mündiger Bürger seinen Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, ist sozial gerecht. Ihre Aufgabe ist es, deutlich zu machen, was diese Regierung hierzu erreichen will.
Die Frage, was gerecht ist oder nicht, beantwortet man nicht mit der Feststellung, dass man 12, 18 oder 24 Monate lang eine Versicherungsleistung erhält. Die Frage, was gerecht ist, kann man bei dem Systemwechsel vom Versicherungssystem in das Fürsorgesystem stellen. Man darf und muss vielleicht sogar darüber streiten, ob es gerecht ist, dass derjenige, der sein Geld verlebt hat, sofort Arbeitslosengeld II, also die Unterstützung der Allgemeinheit, erhält, während derjenige, der Vorsorge betrieben hat, erst einmal einen Großteil seiner Lebensleistung einbringen muss. Darüber kann man unter der Überschrift ?Gerechtigkeit“ diskutieren.
Was Sie, meine Damen und Herren Genossen von der SPD, machen, ist purer Populismus. Sie können sich auch nicht hinter Umfragen verstecken, wonach 80 Prozent der Bevölkerung Ihr Vorhaben toll finden. Bieten Sie Freibier an, und Sie werden die gleichen Ergebnisse bekommen, weil alle, die kostenfrei trinken können, das gut finden.
Sie müssen sich darüber klar werden, ob Sie regieren oder opponieren wollen. Ich verstehe, dass Kurt Beck, wenn er Kanzler werden möchte, Optionen eröffnen muss. Seit Juni dieses Jahres sieht kein Umfrageinstitut in Deutschland eine auch nur rechnerische Mehrheit für eine sogenannte Ampel, abgesehen davon, dass wir bei einer solchen nicht mitmachen würden. Deswegen muss sich Kurt Beck, wenn er einmal Kanzler werden will, Optionen eröffnen. Aber damit stärkt er diejenigen am linken Rand, die ohnehin nicht mehr links überholt werden können; dort werden sich nämlich diejenigen sammeln, die von Kurt Beck in die Arme der Kommunisten getrieben werden.
Das ist Ihr strategischer Fehler. Das sollten Sie wissen - das sollte auch die Union wissen - und bei den politischen Schritten, die Sie jetzt einleiten, bedenken.
Richtig wäre es, dafür zu sorgen, dass die Menschen in der Mitte der Gesellschaft am Aufschwung beteiligt werden. Die Bürger fragen völlig zu Recht: Wo ist mein Aufschwung? Herr Steinbrück freut sich wie ein Schneekönig über Steuermehreinnahmen, vergisst dabei aber regelmäßig, dass es die Bürgerinnen und Bürger sind, die diese Steuern gezahlt haben. Die Entlastung der Menschen ist das Entscheidende. Die Bundesagentur für Arbeit sammelt Geld ein. Geben Sie es denen zurück, die es bezahlt haben, also den Arbeitnehmern und Arbeitgebern! Der Anstaltsleiter in Nürnberg sagt, er habe Überschüsse in Höhe von 6,5 Milliarden Euro.
Geben Sie diese im Wege von Beitragssenkungen zurück, damit die Menschen in der Mitte der Gesellschaft Geld für Konsum haben,
die Betriebe Geld für Investitionen haben, Arbeit billiger wird und damit die Chance auf einen Arbeitsplatz erhöht wird und im Endeffekt die Arbeitslosigkeit sinkt. Das wäre der richtige Weg!
Über die Arbeitslosenversicherung hinaus sagen Sie kein einziges Wort zu notwendigen Reformen, was das Arbeitsrecht, betriebliche Bündnisse für Arbeit, ein modernes Steuerrecht und ein modernes Transfersystem betrifft. Diese Regierungserklärung hat eines gezeigt: Sie haben nichts außer den alten Konzepten, die schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht funktioniert haben. Diese versuchen Sie bis zum nächsten Wahltermin durchzusetzen. Das ist ein großer Fehler und ein Verlust für die Menschen in Deutschland.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ilse Falk für die CDU/CSU-Fraktion.
Ilse Falk (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sei mir erlaubt, mit einem Zitat von Abtprimas Notker Wolf zu beginnen, dessen Buch mit dem Titel ?Worauf warten wir noch?“ ganz oben auf den Bestsellerlisten steht und offenbar den Nerv vieler Menschen trifft. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass die meisten es auch lesen und nicht nur verschenken. Ich zitiere den Anfang des Kapitels mit der Überschrift ?Gleichheit - eine deutsche Obsession?“:
Kann es sein, dass der Kommunismus gar nicht untergegangen ist? Dass er sich in Wirklichkeit ... nur unsichtbar gemacht hat, um unangefochten zu herrschen? Dass er diesmal durch die Hintertür gekommen ist und sich unter dem Pseudonym ?soziale Gerechtigkeit“ bei uns eingeschmeichelt hat? Oder gibt es eine andere Erklärung dafür, dass wir Gerechtigkeit und Gleichheit nicht mehr auseinanderhalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte der letzten Zeit ist wesentlich von den Themen soziale Gerechtigkeit, gleichberechtigte Teilhabe, Bekämpfung von Armut und Anerkennung von Lebensleistung geprägt, um nur die am häufigsten genannten zu nennen. Positiv besetzt sind eigentlich alle. Dennoch sind sie inzwischen zu wahren Kampfbegriffen in der politischen Auseinandersetzung geworden. Was den Bürgern und Bürgerinnen unter diesen Begriffen manchmal zu ihrem angeblich Besten verkauft wird, entpuppt sich häufig als Bevormundung und Gängelung - damit als Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen -, bedeutet aber häufig nicht mehr Gerechtigkeit und Teilhabe.
Einzelne oder organisierte Interessenvertreter sind als Rattenfänger unterwegs, und wir Politiker starren wie das Kaninchen auf die Schlange und trauen uns nicht mehr, Zusammenhänge zu erklären und dem gesunden Menschenverstand eine Chance zu geben, von großartigen Ausnahmen, wie wir eben gehört haben, abgesehen. Wir trauen uns auch nicht mehr, schlicht und ergreifend Nein zu sagen, wenn es um die Befriedigung von immer neuen Wünschen geht, statt Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern und die Eigenkräfte zu stärken.
Kann unser Ziel wirklich eine Gleichmacherei aller und die weitgehende Umverteilung des Erwirtschafteten sein? Kann das ohne massives Eingreifen des Staates auf Kosten der Freiheit seiner Bürger funktionieren? Haben wir nicht schon viel zu lange die Bürger entmündigt und ihnen vorgegaukelt, alles für sie regeln zu können? Wird durch Gleichmacherei nicht die Vielfalt der Leistungsträger und damit das Herzstück unserer Gesellschaft beschnitten?
Entscheidend und ein Gebot sozialer Gerechtigkeit ist es, gleiche Chancen für alle Menschen zu schaffen.
Jeder Mensch hat Begabungen und Fähigkeiten, die er einbringen kann, soll und in aller Regel auch möchte. Diese zur Entfaltung zu bringen, ist die eigentliche Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft.
Natürlich hat auch der Staat die Verpflichtung, soziale Verantwortung zu übernehmen und denen Sicherheit zu geben, die sich selbst nicht helfen können, sei es, weil sie vorübergehend oder dauerhaft in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Sie bedürfen der Solidarität der Gemeinschaft, aber auch der des Staates. Dabei geht es um materielle und praktische Unterstützung im täglichen Leben, gute gesundheitliche Vorsorge und Versorgung, gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
Gesellschaftliche Teilhabe bedarf des Zusammenspiels vieler Kräfte. In diesem Zusammenhang sind die starke Familie zu nennen, die funktionierende Nachbarschaft, die schon erwähnten Ehrenamtlichen, aber auch Arbeitgeber und Institutionen wie die Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und freien Träger. Sie alle - oder besser: wir alle - stehen an erster Stelle in der Verantwortung füreinander, und erst dann kommt der Staat,
jedenfalls dann, wenn sich alle Genannten nicht nur der Verantwortung bewusst sind, sondern sie auch tatsächlich wahrnehmen. An dieser Stelle wird es manchmal ganz schön brüchig. Wir alle kennen versagende Familien und Unternehmer, die Ausgrenzung von Unbequemen und die Verweigerung von selbstverständlichen Pflichten. Glücklicherweise gibt es aber auch großartige Beispiele für Aktivität, Kreativität, Fürsorge im besten menschlichen Sinn wahrgenommener Unternehmensverantwortung und gelebter Nächstenliebe. Dadurch fällt es leicht, auf den allumsorgenden Staat zu verzichten und ihn auf seine originären Aufgaben zu verweisen. Das heißt, runter mit den Sozialausgaben und rauf mit Qualifizierung und Investitionen. Das schafft Arbeitsplätze und Wohlstand und bringt Menschen aus staatlicher Abhängigkeit. Das ist sozial.
Wir können gerade jetzt an den Zahlen ablesen, wie das Konzept ?Investieren, sanieren, reformieren“ verbunden mit der Idee des Förderns und Forderns Früchte trägt und wir einen Aufschwung erleben, den noch vor einem Jahr kaum einer für möglich gehalten hätte.
Ich will die Zahlen nicht wiederholen. Der Minister hat sie in aller Ausführlichkeit genannt. Sie sprechen für sich und sind eindrucksvoll: Hunderttausenden von Menschen werden neue Chancen geboten.
Die Große Koalition hat mit ihrer Politik die Weichen richtig gestellt. Aber - das will ich nicht unerwähnt lassen - der wirtschaftliche Aufschwung ist neben einer günstigen weltwirtschaftlichen Lage in erster Linie den vielen leistungsbereiten Menschen in unserem Land zu verdanken. Wir freuen uns über diesen Aufschwung; denn er ist die zwingende Voraussetzung für eine Teilhabe auch der Schwächeren. Wir wollen, dass der Aufschwung bei allen ankommt. Es geht nicht um neue Kuschelecken, sondern um Teilhabe am Arbeitsmarkt und die Chance, sein Einkommen selber zu erwirtschaften. Das muss das Ziel sein. Das gilt auch für diejenigen, die es besonders schwer haben. Das haben wir gestern in eindrucksvoller Weise auf unserem Kongress erleben können, bei dem es um die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ging. Dabei wurde deutlich, wie viele gerne einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten und sich anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen. So gut Werkstätten für Behinderte auch sind, so wichtig ist es, dass wir den Menschen mit Behinderungen auch eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten.
Höhere Steuereinnahmen und die verbesserte Situation der Sozialkassen dürfen uns nicht verführen, den Pfad der Tugend zu verlassen. Die Devise muss weiterhin lauten: Arbeitskosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken, damit Arbeitsplätze entstehen. Weil das so ist, hat für die Union die Senkung der Beitragslast in der Arbeitslosenversicherung oberste Priorität.
Die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 3,9 Prozent ist bereits vorgeschlagen. Wir sind uns sicher, dass es bei der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzentwurfs 3,5 Prozent sein werden.
Das bedeutet bei einem Einkommen von 2 000 Euro eine monatliche Ersparnis für Arbeitnehmer und Arbeitgeber von jeweils 30 Euro, also von jeweils 360 Euro im Jahr. Das ist doch schon was.
Richtig ist es ebenso, weitere Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu geben. Dafür Geld einzusetzen, ist klug. Deshalb hat sich die Koalition vorgenommen, in einem Bereich, der bisher eher stiefmütterlich behandelt wurde, etwas zu tun, Stichwort ?Haushalt als Arbeitgeber und Auftraggeber“. Hierzu hat meine Fraktion erste Überlegungen angestellt, die dazu geeignet sind, einerseits die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu fördern und andererseits vorhandene Arbeitsplätze aus der Schwarzarbeit herauszuführen. Wir lichten zugleich den Förderdschungel und erhöhen die Abzugsmöglichkeiten teilweise deutlich.
Ich will meine Rede nicht beenden, ohne einen dringenden Appell nach innen, das heißt an unsere eigene Verantwortung als Regierungskoalition, zu richten. Verlässliche Rahmenbedingungen sind das A und O für Wirtschaft und Gesellschaft und sind unabdingbar, wenn wir das Vertrauen der Bürger in unsere Politik gewinnen wollen. Da darf es nicht passieren, dass verabschiedete Gesetze bereits nach sechs Monaten infrage gestellt werden - ich denke hier an Begehrlichkeiten bei der Rente mit 67 - oder in Grundsatzfragen alle elf Monate ein Richtungswechsel stattfindet.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ilse Falk (CDU/CSU):
Ich bin gleich fertig.
Markenzeichen einer erfolgreichen Politik insgesamt müssen Verlässlichkeit und Umsicht sein. Ziel einer erfolgreichen Sozialpolitik muss es sein, Chancen und Leistungsgerechtigkeit weiter auszubauen, um so die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum und Aufschwung zu schaffen und damit die Chance für Teilhabe und Wohlstand zu eröffnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müntefering, ich habe Ihnen gern zugehört. Ich könnte genauso wie Herr Niebel sagen: Zum Teil konnte ich zustimmen, zum Teil nicht. Es werden sicherlich andere Teile als bei Herrn Niebel sein. Ich finde es auch okay, dass Sie versuchen, im Bundestag Ihren Parteitag vorzubereiten; das kann man hinnehmen. Aber ich habe ein Problem mit Ihnen selbst. Ich glaube, dass Sie einmal sozialdemokratisches Urgestein waren. Dann bekamen Sie die Chance auf den SPD-Vorsitz unter Herrn Schröder, und zwar unter der Bedingung, dass Sie die Agenda 2010 akzeptieren. Ich vermute, dass Sie am Anfang so dachten wie ich heute, nämlich dass die Agenda 2010 unsozialdemokratisch ist.
Dann haben Sie sich schrittweise durchgerungen, das Ganze zu vertreten und zu verteidigen. Nun sind Sie noch nicht einmal bereit, sich an einer Stelle ein Stück zurückrudern zu lassen, weil es ein so schwieriger psychologischer Vorgang war. Aber wir können die Bevölkerung nicht mit den Problemen von zwei Herren belästigen. Sie haben das zu lösen, und zwar im Interesse der Arbeitslosen.
Ihre These, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit Ergebnis von Agenda 2010, Hartz IV und der Arbeitsmarktreform ist, ist falsch. Schon ein Ökonomiestudent weiß nach dem ersten Semester, dass die Konjunktur entscheidend ist, nicht die Agenda 2010 oder Hartz IV. Zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben Sie umfassend Stellung genommen. Sie haben Zahlen genannt; dazu werde ich noch etwas sagen. Aber Sie müssten noch ein paar andere Tatsachen erwähnen, zum Beispiel dass die Hälfte der neuen Jobs Teilzeitjobs sind, dass mehr als die Hälfte der neuen Jobs Mini- und Midi-Jobs mit kargen Löhnen sind und dass viele in Leiharbeit mit abenteuerlichen Löhnen sind. Sie müssten erwähnen, dass der Anteil der Frauen unter den Arbeitslosen zunimmt. Sie müssten sagen, dass die Arbeitslosigkeit im Westen schneller abgebaut wird als im Osten, was die Schere wieder stärker auseinandergehen lässt. Sie müssten erwähnen, dass Langzeitarbeitslose besonders schwer zu vermitteln sind und dass das noch heute gilt. Ich sage Ihnen: Über 1,2 Millionen Menschen in Deutschland waren im September 2007 länger als ein Jahr arbeitslos. Diese lassen sich besonders schwer vermitteln.
Nun kommen wir zu anderen Zahlen: 26 Prozent der ALG-I-Bezieher haben einen neuen Job gefunden, aber nur 11 Prozent der ALG-II-Bezieher. Das ist ein dramatischer Unterschied. Nun kommen wir zu einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Mich hätte es gefreut, wenn Sie, Herr Bundesminister, auch diese vorgetragen hätten. Nehmen wir einen ganz konkreten Monat, den September 2007. Von den 55- bis 64-jährigen Arbeitslosen sind 40 000 Menschen im September aus dem Bezug von Arbeitslosengeld I herausgefallen, 6 000 davon deshalb, weil sie einen neuen Job hatten, 34 000 aber deshalb, weil sie ALG II beziehen, weil sie einen 1-Euro-Job haben oder weil sie Rente beziehen. Das heißt, ein Siebtel hat einen neuen Job. Das ist keine signifikante Größe. Sie hätten hier erwähnen müssen, dass die meisten, die aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes I fallen, keinesfalls eine Erwerbsarbeit aufnehmen.
Wenn man mehr Arbeit schaffen will, dann muss man über andere Dinge diskutieren. Dann müssen wir darüber diskutieren, dass wir Arbeitszeit zu verkürzen haben, um Arbeit gerechter zu verteilen. Aber Sie verlängern die Lebensarbeitszeit um zwei Jahre.
- Ich wusste, dass Sie jetzt aufschreien. - Wir müssen darüber diskutieren, dass wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor brauchen, und zwar dort, wo die Privatwirtschaft nicht investiert, wo aber wichtige Arbeit zu leisten ist. Ein Beispiel dafür ist der Förderunterricht für Schülerinnen und Schüler, denen das Lernen schwerer fällt,
für Migrantenkinder - ein schönes Beispiel, das Sie hier genannt haben - oder auch Unterricht für Kinder mit besonderer Begabung. Wir müssten darüber reden, dass wir eine Investitionspauschale für Kommunen brauchen. Selbstverständlich brauchen wir - das haben Sie gesagt - eine bessere Bildung und Ausbildung.
Im Juni 2005 haben Sie, Herr Müntefering, gesagt, dass Sie die alte Regelung, nach der Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate gezahlt wird, verteidigen wollen, dass man sie also belassen muss, und zwar wegen der schwierigen Arbeitsmarktlage für Ältere und damit die SPD ein Zeichen setzen kann, dass sie die Sorgen der älteren Generation ernst nimmt. Das ist ein Zitat von Ihnen vom Juni 2005. Da Sie damals gesagt haben, nur mit einer Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von bis zu 32 Monaten nimmt man die Sorgen der älteren Generation ernst, muss ich Sie fragen, ob Sie die Sorgen jetzt nicht mehr ernst nehmen; denn es hat sich doch für die Älteren nichts geändert.
Weil sich die Union und die FDP immer besonders darüber aufregen - Herr Niebel, für Sie ist eine Bezugsdauer von 32 Monaten ja völlig indiskutabel -, muss ich Sie an Folgendes erinnern: Als Sie noch zusammen mit Herrn Kohl regierten, gab es Arbeitslosengeld I bis zu 32 Monaten. Damals war selbst die FDP noch einen Tick sozialdemokratischer als die SPD heute.
Der SPD-Vorsitzende Beck beginnt jetzt, sich selbst zu widerlegen. Er hat gewisse Thesen aufgestellt, als Ministerpräsident Rüttgers vorgeschlagen hat, das Arbeitslosengeld I länger zu zahlen. Herr Rüttgers hat das vorgeschlagen, und die CDU hat das auf eine Art und Weise beschlossen, die nicht akzeptabel ist, und zwar deshalb, weil Sie von der Union Generationenungerechtigkeit einplanen. Sie sagen im Ernst, die jungen Arbeitslosen sollten dafür bezahlen, dass Ältere länger Geld bekommen. Das ist wirklich indiskutabel. Sie wenden sich an die schwächste Gruppe in der Gesellschaft und wollen diese bezahlen lassen, nicht aber eine Vermögensteuer oder die Überschüsse, die die Bundesagentur für Arbeit jetzt hat, verwenden. Das ist nicht hinnehmbar. Aber immerhin hat Rüttgers vorgeschlagen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu verlängern. Damals hat Herr Beck gesagt, das sei indiskutabel und ein Generalangriff auf die Agenda 2010, der für ihn nicht infrage komme. Nach einem Jahr sieht er das anders. Das finde ich in Ordnung. Schrittweise versucht er, die SPD für uns koalitionsfähig zu machen. Das muss man akzeptieren,
wobei ich sage, dass noch weitere Schritte erforderlich sind, auch in der Außen- und Friedenspolitik, in der Steuer- und Sozialpolitik und vor allen Dingen bei der Angleichung der Verhältnisse in Ost und West. Aber erste Schritte sind zu erkennen.
Nun stellt sich die Regierung dagegen, was nicht nachvollziehbar ist. Sie, Herr Müntefering, nennen Gründe, wenn auch nicht heute. Heute haben Sie sie verschwiegen, was die FDP wiederum zu Recht hervorgehoben hat. Aber Sie haben sie außerhalb des Bundestages benannt. Sie sagen, wie alle anderen Neoliberalen auch, eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I wäre kontraproduktiv. Der Druck auf die Arbeitslosen nähme ab, irgendeine, und sei es die am schlechtesten bezahlte Tätigkeit anzunehmen, die Arbeitslosen würden sich in der sozialen Hängematte ausruhen etc. Ich sage zu all diesen Argumenten eines: Ich finde sie wirklich unverfroren und böswillig.
Weit über 90 Prozent aller Arbeitslosen wünschen eine neue Erwerbsarbeit in Würde. Das ist auch ihr gutes Recht.
Dann nehmen Sie eine kleine Minderheit, die es immer und in jeder gesellschaftlichen Gruppe gibt, und machen daraus eine Theorie für die Mehrheit der Arbeitslosen. Im Übrigen sind gerade die älteren Arbeitslosen besonders erpicht darauf, eine Erwerbsarbeit zu bekommen. Ich kenne Leute, die einmal Ingenieure waren und heute beispielsweise als Pförtner arbeiten, bloß um irgendeine Erwerbsarbeit zu haben. Ein solches Urteil steht uns nicht zu; das will ich ganz klar sagen.
Es gibt ein zweites, schon gewichtigeres Argument: das Argument der Frühverrentung. Man sagt, die Unternehmen und die Betroffenen würden eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I nutzen, um die Frühverrentung anzustreben. Zunächst einmal ermöglichen wir als Gesetzgeber die Frühverrentung. Das ist dieselbe Theorie wie bei den Steuerschlupflöchern. Alle regen sich darüber auf, dass sie genutzt werden, nachdem man so ein Gesetz beschlossen hat. Wir regeln das doch und nicht die andern.
Aber zum Zweiten verstehe ich dann bei der Frühverrentung eines nicht. Ich muss etwas genauer werden. Zum 31. Dezember 2007 laufen § 65 Abs. 4 SGB II und § 428 SGB III aus. Damit entfällt die sogenannte 58er-Regelung, also die Wahlmöglichkeit für 58-jährige und ältere Arbeitslose, sich als Arbeitslose und Arbeitsuchende registrieren zu lassen oder eine Frührente zu beantragen. Dabei ist die Frührente um bis zu 18 Prozent gekürzt. Heute haben sie eine Wahlmöglichkeit. Nun laufen beide Bestimmungen aus. Das begründen Sie auch noch damit, keine Frühverrentung zu wollen. Sie vergessen aber, dass § 5 Abs. 1 SGB II klar regelt, dass man jede andere Transferleistung nehmen muss, bevor man ALG II beziehen kann.
Damit ist dort geregelt, dass diejenigen, wenn die beiden Bestimmungen auslaufen, gezwungen sind, eine Frührente zu beantragen. Wenn sie aber dazu gezwungen sind, sagen Sie jemandem mit 58 oder 59: Du musst jetzt eine Rente beantragen - minus 18 Prozent -, und noch mit 88 Jahren ist sie um 18 Prozent geringer.
Das halte ich schon grundgesetzlich für sehr bedenklich. Ich bitte Sie aber, geben Sie wenigstens unserem Antrag statt, die verkürzte Verrentung aus § 5 Abs. 1 SGB II herauszunehmen und die §§ 65 Abs. 4 und 428 fortzusetzen, damit es für ältere Arbeitslose die Wahlmöglichkeit gibt!
Nun sagen Sie, man soll nicht immer pessimistisch sein; man muss auch mal die Leistung sehen. All das will ich akzeptieren. Ich weiß auch, je nach Situation sieht man all das etwas unterschiedlich; das ist mir nicht neu. Aber wir haben ja das ZDF-Politbarometer. Was sagt es denn? Es sagt, 78 Prozent der Bevölkerung merken nichts vom Aufschwung, nichts von mehr Wohlstand, nichts von höheren Chancen. Woran liegt das? Liegt das daran, dass sie es nicht begreifen, oder liegt das an deren Situation? Was machen Sie denn seit Jahren, seit der Regierung von SPD und Grünen und nun fortgesetzt von der Union und der SPD? Sie haben die Körperschaftsteuer für die Deutsche Bank und andere Aktiengesellschaften von 45 auf jetzt 15 Prozent gesenkt. So ein Geschenk bekäme kein sozial Bedürftiger in dieser Gesellschaft je von Ihnen wie die Deutsche Bank und andere Aktiengesellschaften.
Sie erwähnen dabei nie, dass die Körperschaftsteuer in den USA, in Frankreich und in Großbritannien über 30 Prozent beträgt, bei uns nur noch 15 Prozent.
Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Sie haben für Aktiengesellschaften die Verkaufserlössteuer gestrichen. Sie erheben keine Vermögensteuer. All das machen Sie und reduzieren damit die Einnahmen des Staates. Anschließend erhöhen Sie die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte, um die Normalverdienenden und sozial Schwachen zur Kasse zu bitten.
Außerdem senken Sie den Sparerfreibetrag, damit die Normalverdienenden mehr Steuern bezahlen müssen. Auch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes kürzen Sie von bis zu 32 Monaten auf 18 bzw. 12 Monate. Dann führen Sie das unwürdige ALG II ein, bitten Kranke zur Kasse und stellen Krankenkassen schlechter. Sie machen Minusrunde für Minusrunde bei den Rentnerinnen und Rentnern und sagen: Künftig gibt es die Rente 2 Jahre später, nämlich erst ab 67 Jahre. Sie gehen keine Schritte zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die Pendlerpauschale streichen Sie für die Hälfte der Bezieher, und die andere Hälfte bekommt deutlich weniger.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, denken Sie bitte auch an die Redezeit.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja.
Lassen Sie mich nur noch darauf hinweisen, dass 1,2 Millionen Menschen geringfügige, lächerliche Löhne erhalten. Inzwischen befinden sich 800 000 Beschäftigte in einem Leiharbeitsverhältnis - das hat zumindest das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt - und arbeiten für unerträglich niedrige Löhne. Hinzu kommt, dass die Reallöhne in Deutschland um 6 Prozent gesunken sind. Das alles erklärt, warum sich viele zu Recht nicht wohlfühlen.
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas eingehen, was mich sehr geärgert hat. Man muss endlich den Mindestlohn für die Postbeschäftigten durchsetzen, wie Sie es angekündigt haben. Dies richtet sich aber gar nicht an die Adresse des Bundestages, sondern an die Tarifparteien. Ich muss wirklich sagen: Es ist ein starkes Stück, dass man Ende des Jahres 2007 für unterschiedliche Mindestlöhne der Beschäftigten der Post im Osten und im Westen sorgen möchte.
Die Kostenstruktur ist in ganz Deutschland gleich. Ich sage das auch in Richtung Verdi. Mich hat auch geärgert, dass der Marburger Bund akzeptiert hat, dass ein Arzt an einer Universitätsklinik im Osten 400 Euro weniger bekommt. Auch damit muss endlich Schluss sein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.
Ludwig Stiegler (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Kollege Gysi gerade so agitiert hat, habe ich mir überlegt, wie er wohl geredet hätte, wenn er in Berlin nicht aus der Verantwortung geflüchtet wäre
und in der Lage gewesen wäre, eine Bilanz vorzustellen, wie sie Franz Müntefering vorgestellt hat.
Dann hätte er ein rhetorisches Feuerwerk entfacht. Er hat ja SED-Erfahrung. Man hat damals gelernt, dass man eine Regierung mit viel weniger Erfolgen loben muss. Herr Gysi ist anders als die frustrierten PDSler aus dem Westen, die zum Lachen in den Keller gehen. Herr Gysi hätte hier eine wahre Prachtrede gehalten. Deshalb sage ich: Geschenkt wegen Kümmerlichkeit.
Zur geschätzten Kollegin Falk, die uns philosophische Betrachtungen nahegebracht hat; sie hat sich hier mit Äbten beschäftigt. Als Klosterschüler habe ich dafür volles Verständnis. Ich muss Ihnen sagen: Dieser Abt scheint den Aristoteles, den er in seinem Studium kennengelernt hat, vergessen zu haben. Aristoteles sagt nämlich in der Nikomachischen Ethik: Gerechtigkeit ist Gleichheit. Dem Genus proximum der Gleichheit fügt er die Differentia specifica nach Verdienst, Bedarf und Leistung hinzu. Wir gehen davon aus: Gerechtigkeit ist mehr Gleichheit; aber im Detail gibt es feine Differenzen.
So ist es eben auch in einer Großen Koalition. Wir als Große Koalition sind das Genus proximum; aber ich bin die sozialdemokratische Differentia specifica. Darum betone ich manche Dinge anders als Frau Falk.
- Ja, selbstverständlich. Aristoteles ist mein ständiger Begleiter.
Er ist nach wie vor ein guter Ratgeber, übrigens auch, was seine rhetorischen Übungen angeht. Da betont er das Peithomenon, das Überzeugende.
Franz Müntefering hat die beste Bilanz vorgelegt, die ein Bundesarbeitsminister seit 20 Jahren - ich erinnere an Norbert Blüm - präsentiert hat, und dazu kann man ihm gratulieren.
Er hat hier die Zusammenhänge umfassend dargestellt. Er hat unsere Unterstützung. Wir alle haben unsere Erfahrungen mit dem Arbeitsmarkt. Wir haben für Hartz IV gesorgt. 2005 dachten wir: In zwei Jahren ist die Arbeitslosigkeit halbiert.
Wir haben zusehen müssen, wie uns die Realökonomie und die Dotcom-Blase einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Am Ende hat sich gezeigt: Nicht die Arbeitsmarktbedingungen sind das Entscheidende, sondern die Nachfrage nach Arbeit und die wirtschaftliche Aktivität. Der Aufschwung hat durch die veränderten Arbeitsmarktbedingungen einen zusätzlichen Anstoß bekommen, weil zur Nachfrage nach Arbeit die richtigen Instrumente vorhanden waren. Das ist die richtige Reihenfolge.
Zurzeit lese ich wegen der Finanzmarktkrise häufiger die Webseiten der Zentralbanken. Ich habe auf der Webseite der englischen Zentralbank eine Rede von David Blanchflower gefunden - die Leute dort würden Westerwelle für einen Sozialisten und Brüderle für einen Kommunisten halten -;
dieses Mitglied des Monetary Policy Committee sagt, er habe die europäischen Arbeitsmarktbedingungen untersucht. Unglücklicherweise, schreibt er, habe sich herausgestellt, dass es keine oder nur eine ganz kleine Verknüpfung zwischen den sogenannten diversen Marktrigiditäten und den Änderungen in der Arbeitslosigkeit gibt. Er hat Europa betrachtet und festgestellt: Weder gibt es eine Korrelation zwischen der Arbeitslosigkeit und der Bezugsdauer, noch gibt es eine Korrelation zwischen der Arbeitslosigkeit und dem Kündigungsschutz. Es gibt nicht einmal einen Unterschied hinsichtlich der Stärke der Gewerkschaften. Er sagt: Entscheidend sind die Produktmärkte, die Kapitalmärkte und die Baumärkte. Als Einziges stellt er eine Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Wohnungseigentum fest, was nämlich zu einer mangelnden Mobilität führt. - So ein englischer Zentralbanker.
Er sagt am Ende: The labour market follows. - Der Arbeitsmarkt folgt, nämlich den Arbeitsbedingungen und der Nachfrage nach Arbeit. Wenn schon die Engländer so weit sind, das zu erkennen, dann müssen unsere Liberalen irgendwann nachziehen.
Darum haben wir in der Koalition folgende Themen bearbeitet: Arbeit schaffen, Forschung und Entwicklung fördern, Bildung fördern, neue Erkenntnisse in Produkte und Dienstleistungen umsetzen, also Unternehmensneugründungen fördern - eine Aufgabe, die wir in diesem Jahr haben - und die erneuerbaren Energien fördern. Dazu sage ich Ihnen: Allein im letzten Jahr hat die KfW für das energetische Programm Kredite in Höhe von 17 Milliarden Euro ausgereicht, Investitionen in Höhe von 29 Milliarden Euro angestoßen und damit 500 000 Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittelstand gesichert. Das und nicht der Sozialabbau ist aktive Arbeitsmarktpolitik.
In diesem Jahr ist es genauso: 12,2 Milliarden Euro bis zum September, 370 000 Arbeitsplätze. Ich erinnere an die Handwerksförderung. Ich erinnere an die Förderung der kommunalen Investitionen.
Dank der Gewerbesteuerreform treten die Kommunen endlich wieder als Nachfrager auf dem Baumarkt auf. Wir werden mit ihnen zusammen, Frau Falk, das Thema als Auftraggeber angehen. Das hatte ich schon während der Koalitionsverhandlungen versucht. Franz Müntefering kennt meine Rechungen. Damals waren die Großen des Reiches in diesem Bereich noch etwas zurückhaltend. Ich denke, wir werden das hinbekommen. Aber dann müssen auch die Arbeitsbedingungen stimmen. Es muss klar sein: Nur dann, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen - nicht bei Niedriglöhnen oder ausbeuterischen Löhnen -, wird das über den Haushalt als Arbeitgeber funktionieren.
Wir unterstützen alle Bemühungen für die lebenslange Weiterbildung. Wir haben heute den Instrumentenkasten, mit dem wir die Nachfrage nach Arbeit finanzieren oder unterstützen können. Wenn es denn stimmt, dass es jetzt 1 Million registrierte offene Stellen gibt - die Bundesagentur sagt: das ist nur die Hälfte der wirklich vorhandenen -, dann erwarte ich, dass die Arbeitsagenturen und die Optionsgemeinden Tag und Nacht arbeiten, um mit dem Instrumentenkasten, den ihnen Franz Müntefering und die Große Koalition hingestellt haben, die Menschen in Arbeit bringen. Das ist jetzt die Hauptaufgabe, und das ist unser gemeinsames Ziel.
Dazu gehört natürlich auch gute Arbeit. Dazu gehören auch tarifliche Mindestlöhne, so zum Beispiel die im Gebäudereinigerhandwerk seit 1. Juli. Die Welt ist nicht zusammengebrochen, weil die Gebäudereiniger Mindestlöhne bekommen. Sie wird auch nicht zusammenbrechen, wenn die Postler anständig bezahlt werden. Ich warne Herrn Gerster und andere davor, gelbe Schmutzgewerkschaften zu gründen, um eine anständige Bezahlung der Postler zu hintertreiben.
Hier hätte ich mir auch Beifall von meinem Koalitionspartner gewünscht, aber der kann ja innerlich stattgefunden haben und ist noch nicht nach außen getragen worden. Ich entnehme jetzt manchem Anlächeln, dass zwischen der inneren Einstellung und dem äußeren Ausdruck noch ein kleiner Hiatus besteht. Das wird sich aber schon noch finden. Wie heißt es doch so schön:
Blamier mich nicht, mein schönes Kind,
und grüß mich nicht unter den Linden;
wenn wir nachher zu Hause sind,
wird sich schon alles finden.
Gerade die Einführung von Mindestlöhnen führt also zu mehr Kaufkraft und mehr wirtschaftlichen Erfolgen.
Ich denke an einen weiteren Punkt: Dabei handelt es sich um die Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Vor uns liegen die Haushaltsberatungen. Wir haben Anträge zur Investitionsförderung in Höhe von 1 Milliarde Euro. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Investitionen in Ost wie in West getätigt werden. Wenn wir das jetzt versäumen, könnte es passieren, dass wir erst im nächsten Investitionszyklus hier wieder zum Zuge kommen. Deshalb mein Appell an die Haushälter: Denkt daran, dass die steuerliche Investitionsförderung ausläuft. Lasst uns wenigstens diese Gemeinschaftsaufgabe miteinander voranbringen.
Meine Damen und Herren, Franz Müntefering hat auf dem Arbeitsmarkt wirklich unglaublich viel bewegt. Er hat auch recht, wenn er sagt: Vorrangig ist es, dass wir die Menschen in Arbeit bringen. - Wir übersehen aber nicht, dass es auch Menschen gibt, die Sorgen haben. So treibt viele Ältere die Sorge um, wie es mit ihnen weitergeht. Darum wird in der SPD intensiv darüber diskutiert, wie man es schaffen kann, dass das, was wir eigentlich wollten, dass es geltendes Recht wird, umgesetzt wird. Das ist in diesem Fall ein interner Streit. Das freut die Opposition. Ich gönne ihr, dass sie sich darüber freut. Das Leben ist ja sonst so karg. Das können Sie also haben. Geschenkt.
Ich halte aber fest: Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Ich habe gestern gesagt: Wir tragen die Regierung auf Händen, aber gelegentlich machen wir eine Pause, und dann reden wir mit dem Volk. Das sagt uns dann gelegentlich etwas anderes, als uns die Regierung sagt. Dann gibt es eben eine kleine Verwirrung und einen kleinen Disput, aber am Ende ist es in 99 Prozent der Fälle so: Wir sind stolz darauf, was wir gemeinsam mit der Regierung in der Großen Koalition erreicht haben. Wir werden alles dafür tun, dass wir wie bei dem berühmten Märchen von der Prinzessin auf der Erbse die Erbse auch noch beseitigen und dann ganz ruhig schlafen. Dafür werden wir miteinander in anständiger Weise sorgen.
Meine Damen und Herren, es war immer auch die Botschaft von Franz Müntefering: Den Menschen muss Sicherheit im Wandel gegeben werden. Daran lasst uns arbeiten. Der Wandel bleibt. Dass die Menschen aber diesem Wandel in Sicherheit mit Zuversicht begegnen können, dafür werden wir gemeinsam sorgen.
Glück auf!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Franz Müntefering hat für seine Rede viel Beifall bekommen. Ich finde, dass man aus dem Beifall heraushören konnte, dass es sich um drei verschiedene Arten von Beifall handelte. Zum einen mag es anerkennender Beifall für die Leistungen von Franz Müntefering gewesen sein. Zum anderen - das war bei der CDU/CSU deutlich herauszuhören - handelte es sich um eine Art Antibeifall für Herrn Beck und seinen Vorschlag zum Arbeitslosengeld I. Zum Dritten hörte man bei beiden großen Volksparteien eine Art Pfeifen im Walde angesichts der Diskussion, die sie noch vor sich haben.
Interessant finden wir, dass Sie in den letzten Tagen ständig darüber diskutieren, wie die Agenda 2010 bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I revidiert werden soll, dass aber bis auf ein paar süffisante Nebenbemerkungen weder der Arbeits- und Sozialminister noch die Redner von CDU/CSU und SPD in der Lage sind, in diesem Hohen Hause auf die Debatte einzugehen. An Ihrem Verhalten ist wirklich einiges komisch.
Wir wollen und müssen differenziert über die Agenda 2010 reden. Aber ich will einmal eines deutlich machen. Die Agenda hatte - zu diesem Strang der Agenda stehen wir nach wie vor - einen Hauptsinn, nämlich Schluss zu machen mit all den diffusen Vorruhestandsmodellen, die zu nichts anderem führen als zu dem stillen Deal zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, dass ältere Belegschaften leichter entlassen werden können, weil entweder die Versichertengemeinschaft oder der Staat dafür aufkommen, sodass die Kultur der Altersarbeit im Laufe der Jahre und Jahrzehnte richtig ruiniert wurde.
Deswegen haben wir gemeinsam, die allermeisten jedenfalls, die Agenda 2010 so gestaltet, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I - wenn auch mit Übergangslösungen - reduziert wurde.
Der Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Beck heißt nichts anderes, als mit dieser zentralen Logik der Agenda, die alle begrüßt haben, zu brechen. Beck setzt an der völlig falschen Stelle an. Ich glaube nicht, dass das die Beschäftigungskultur für ältere Arbeitnehmer in unserem Lande wieder verbessern kann.
Ausgerechnet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in einem Moment, wo es gelungen ist, die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer zu steigern - die Erwerbsquote bei den über 55-Jährigen lag im Jahr 2001 bei 37,9 Prozent und liegt jetzt bei 48,4 Prozent -, gehen Sie in die Gegenrichtung und machen den Vorschlag, sie wieder zu reduzieren.
Gott sei Dank haben Sie, wenn ich dem Handelsblatt von heute folgen darf, die Ansätze zur Erweiterung der Erwerbsminderungsrente auf Eis gelegt.
Ich hoffe, dass das so stimmt. Denn dieser Vorschlag würde nichts anderes bedeuten, als die Chancen älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Arbeit zu finden, weiter zu reduzieren.
Kommen Sie mir an dieser Stelle nicht mit den Umfragen. Wenn man die Leute fragt, ob sie eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere wollen, dann sagt die große Mehrheit natürlich Ja. Aber wenn Sie die Leute fragen würden, ob sie eine längere Bezugsdauer oder mehr Chancen für arbeitslose über 55-Jährige, wieder in Arbeit zu kommen, wollen, was meinen Sie, wie die Ergebnisse der Umfrage dann aussähen? Es ist doch völlig logisch, dass das Ergebnis von der Frage abhängt.
Ich fordere die SPD auf, sich noch einmal wirklich zu fragen, an welchen Stellen die Agenda 2010 zu verändern ist, und den falschen Vorschlag, der jetzt bei Ihnen in der Umlaufbahn ist, nicht umzusetzen.
Übrigens ist die CDU/CSU in dieser Debatte keinen Deut besser. Willkommen im Rüttgers-Klub, kann ich da nur sagen!
Ich habe viel Erstaunliches gelesen. Ich weiß ja nicht so genau, Frau Merkel, wie es bei der CDU im Innern zugeht. Aber der stärkste Spruch, den ich seit langem gehört habe, kam von Ihrem mittelstandspolitischen Sprecher, Herrn Michael Fuchs, der in der Leipziger Volkszeitung zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes sagte:
Das haben wir doch damals nur angenommen, weil jeder wusste, das kommt nicht.
Ich danke für die Lesehilfe von CDU-Programmen und CDU-Parteitagsbeschlüssen. Wir müssen in der Zukunft also davon ausgehen: Was Sie beschließen, haben Sie nur angenommen, weil Sie hoffen, dass es nicht kommt.
Die CDU hat ja eine Tradition auf dem Gebiet. Von 1927 bis 1984 lag die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in Deutschland bei 12 Monaten. Ab 1984 hat Helmut Kohl zusammen mit der FDP die Dauer systematisch auf 32 Monate angehoben. Das hatte einen einfachen Grund, Frau Merkel: Er wollte den Haushalt sanieren. Denn Arbeitslosenhilfe wird vom Bundeshaushalt gezahlt und Arbeitslosengeld von der Versichertengemeinschaft. So konnte man die Verhältnisse sehr schön zulasten der Versichertengemeinschaft verschieben, übrigens auch zulasten aller Arbeitslosen, weil die hohen Lohnnebenkosten, die das bewirkt hat, natürlich die Neuinvestitionen in Arbeit reduziert haben. Da sollten Sie jetzt klare Kante zeigen und sagen, was Sie eigentlich wollen.
Frau Merkel, ich fordere Sie als CDU-Vorsitzende auf,
sich nicht hinter der SPD zu verstecken und Herrn Röttgen und all diejenigen zu stoppen, die davon reden, dass man dann die Koalition aufkündigen müsse - oder wie auch immer sie sich geäußert haben. Sie müssen einmal klar sagen, was Sie selber machen wollen. Sie wollen doch eigentlich das Gleiche, nur modifiziert um eine Generationenungerechtigkeit, weil bei Ihnen die Jungen für die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zahlen sollen.
Ich stelle die Frage, was hier eigentlich die Priorität ist. Ich finde, die Große Koalition beschreibt die Priorität nicht.
Ist es wichtiger, die Transferleistungen um einige Monate zu verlängern, oder wäre es nicht besser, alle Mittel darauf zu konzentrieren, dass wieder mehr Menschen schneller in Arbeit kommen, wenn sie arbeitslos geworden sind?
Dies tun Sie aber nicht, weil Sie beides gleichzeitig wollen und keine Prioritäten setzen können.
Herr Müntefering, ich komme zu einigen Punkten, bei denen Sie in Ihrem Debattenbeitrag ausgewichen sind. Es geht um die Bilanz der Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition.
Erstens. Ihr großes Versprechen, Frau Merkel, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken, können Sie nicht einhalten. Wenn Sie den Anstieg des Pflegeversicherungsbeitragssatzes um 0,25 Prozentpunkte zum Sommer 2008 dazunehmen, dann liegen Sie über 40 Prozent und nicht unter 40 Prozent. Sie haben also Ihr erstes zentrales Ziel Ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik - bislang jedenfalls - nicht erreicht.
Zweitens. Sie, Herr Müntefering, haben immer von einer Neuausrichtung der aktiven Arbeitsmarktpolitik gesprochen. Sie wollten die Instrumente prüfen und deren Anzahl reduzieren. Bislang ist dies nicht geschehen. Sie prüfen seit über zwei Jahren und machen nichts anderes, als immer neue Programme aufzulegen, anstatt die dezentrale Kompetenz der Fallmanager in den Arbeitsagenturen zu stärken.
Es kommt ein Programm nach dem anderen. Heute haben Sie wieder zwei neue angekündigt. Ich nenne Ihnen einmal den Grund, warum Sie diese Programme auflegen. Wer keinen Mut zu weiteren Strukturreformen hat, der flüchtet systematisch in Programme: hier ein Kombilohn, dort eine Kleinigkeit zum Mindestlohn, aber kein ausreichender Mindestlohn; hier ein Programm für Lehrlinge, dort ein kommunales Ergänzungsprogramm. Es gibt aber keine Stringenz, woran man erkennen kann, in welcher Art und Weise Sie weiter reformieren wollen.
Das Gleiche gilt für die Arbeit der Arbeitsgruppe Niedriglohn. Seit langem brüten Sie über dem Erwerbstätigenzuschuss. Eigentlich sollte ein entsprechender Vorschlag den Menschen im unteren Lohnbereich netto mehr bringen. Jetzt geht es aber nur noch um einen Lohnkostenzuschuss. Ich sage klar: Eine Koalition, die sich zwischen Mindestlohn und flächendeckendem Kombilohn nicht entscheiden kann, wird keine klare Richtung in die Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland bringen.
Frau Merkel, an Ihre Adresse sage ich: Wenn der Satz ?Wer voll arbeitet, der muss damit ein existenzsicherndes Einkommen für sich und seine Familie erzielen können“ richtig sein soll, dann müssen Sie einmal sagen, wie Sie das - Sie lehnen ja den Mindestlohn ab - erreichen wollen. Sie tun es aber nicht, weil der flächendeckende Kombilohn keine Antwort auf die vor uns liegenden Probleme ist.
Ich will unsere Reformrichtung im strukturellen Bereich verdeutlichen. Wir sagen zunächst einmal, dass die Agenda 2010 an verschiedenen Stellen richtig war. Beispielsweise hat die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe 500 000 Menschen die Möglichkeit eröffnet, Anschluss am Arbeitsmarkt zu finden und wieder in die Erwerbsarbeit zu kommen. Wenn Sie sich in der Bevölkerung umhören, dann werden Sie aber erfahren, dass das Arbeitslosengeld II, was die Ermittlung des Bedarfs und die Auszahlung betrifft, von den Bürgern noch nicht als Existenzsicherung und als Chance verstanden wird, wieder schnell in die Erwerbsarbeit zu kommen. Hier hat die Agenda 2010 Defizite, und wir meinen, dass man an dieser Stelle ansetzen muss.
Ich nenne in diesem Zusammenhang erstens den Regelsatz. Ich erwarte, dass Sie entsprechende Zahlen liefern, Herr Müntefering. Zweitens stellt sich die Frage nach einem Mindestlohn, für den wir nach dem von uns vorgeschlagenen Verfahren sind. Dazu gehört auch das Thema Kinderarmut, Frau Merkel, die sich weiter ausbreitet. Die Zahl der Bezugsberechtigten von Arbeitslosengeld II sinkt ja nicht. Es muss mehr getan werden als die Erhöhung des Regelsatzes aufgrund der Preissteigerungen und die Zahlung des Kinderzuschlages, um die Kinderarmut in diesem Land zu bekämpfen.
Den Bereich des Altersvermögens müssen wir reformieren. Alle, die mit den Leuten reden, wissen doch, dass die Art, wie das Altersvermögen abgeschmolzen wird, eines der Hauptärgernisse der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Agenda 2010 ist. Deswegen sage ich: Schauen Sie sich doch noch einmal unseren Vorschlag eines Altersvorsorgekontos an. So können wir großzügiger und breiter aufgestellt Altersvermögen schützen, und das ist auch eine unbürokratische Lösung.
Herr Müntefering, ich komme zum wichtigsten Argument: Die Arbeit im Niedriglohnbereich ist in Deutschland zu teuer, weil wir zu hohe Lohnnebenkosten erheben. Deswegen gibt es so viel Schwarzarbeit. Deswegen haben so viele Menschen, die in diesem Bereich Vollzeit arbeiten, zu wenig Geld zum Leben, sodass sie ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leistungen in Anspruch nehmen müssen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Kuhn.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir sagen dazu: Lasst uns in diesem Bereich die Lohnnebenkosten in der Breite im Rahmen eines Progressivmodells senken! Lasst uns den Schwerpunkt der Reformarbeit darauf legen! Es muss doch möglich sein, eine falsche Struktur, die zur Verteuerung einfacher Arbeit in Deutschland führt, zu ändern. Frau Merkel, jetzt sollen alle im Hightechbereich einen Arbeitsplatz suchen; dort wird investiert. Was haben wir denn davon, wenn wir keine Arbeitsplätze für die einfachen Leute haben, für diejenigen, die die erforderliche Qualifikation nicht haben, aber in unserem Land arbeiten wollen und arbeiten müssen? In diesem Bereich gibt es strukturelle Hindernisse. Herr Müntefering, ich fordere Sie auf, an dieser Stelle etwas zu tun.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Kuhn, schauen Sie zwischendurch einmal auf die Redezeit.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bitte?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Können Sie zwischendurch einmal auf die Anzeige Ihrer Redezeit schauen?
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es ist schlecht, wenn man sich auf die Redezeit konzentriert. Man sollte sich auf den Inhalt konzentrieren, Herr Präsident.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist wohl wahr. Das ist eine spezifische Herausforderung, die alle Mitglieder des Hauses immer wieder trifft.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme Ihnen zuliebe zum Schluss.
Die Große Koalition hat in dieser Debatte bislang nicht gesagt, wohin sie dieses Land eigentlich reformieren will. Sie verteilen Geld, das wahrscheinlich nicht mehr lange da ist. Sie legen nichts zurück, und anstelle von Strukturreformen zur Verbesserung der Lage der Dauerarbeitslosen finden Programme statt, aber ohne System und ohne klare Richtung.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Kuhn, ich bedanke mich für die ausdrückliche Sympathieerklärung, weise aber darauf hin, dass sie von meiner Großzügigkeit bei der Bemessung Ihrer Redezeit noch deutlich überboten wird.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann direkt an die Rede des Kollegen Stiegler anknüpfen: Es ist wirklich schön und macht Spaß, als Mitglied der Regierungskoalition eine so erfolgreiche Politik in diesem Hause vertreten zu können, wie sie diese Große Koalition und diese Bundesregierung machen. Das ist wirklich eine schöne Sache.
Das schlägt sich in überzeugenden Zahlen zum wirtschaftlichen Wachstum nieder. Wir haben das schon im letzten Jahr erlebt. Das Institut der deutschen Wirtschaft kündigt in diesen Tagen ein wirtschaftliches Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr an. Die Zahlen sind beeindruckend. Davon beißt keine Maus einen Faden ab. Das ist nicht schlechtzureden. Die Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes ist beeindruckend, und das schlägt sich in sehr guten Arbeitsmarktzahlen nieder. Darauf sind wir stolz.
Die Arbeitslosigkeit ist immer noch zu hoch, aber immerhin ist die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zurückgegangen. Im Vergleich zum September letzten Jahres haben wir 694 000 Arbeitslose weniger; der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen. Im Vergleich zum September 2005 sind es sogar 1,1 Millionen Arbeitslose weniger. Das ist eine gute Entwicklung. Wer ehrlich ist, muss gerade aufseiten der Opposition zugeben: Das hätten Sie so nicht erwartet.
Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf fast 40 Millionen gestiegen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist auf fast 27 Millionen gestiegen.
Damit das, was der Kollege Gysi dazu gesagt hat, nicht unwidersprochen stehen bleibt, will ich betonen: Innerhalb eines Jahres haben wir bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einen Zuwachs von 555 000 Stellen zu verzeichnen. Es ist wahr, Herr Gysi: Davon sind rund die Hälfte Vollzeitstellen und rund die Hälfte Teilzeitstellen. Das ist doch völlig in Ordnung. Wir haben knapp 300 000 Vollzeitstellen und knapp 300 000 Teilzeitstellen mehr als vor einem Jahr. Was haben Sie denn in Ihrer Zeit als Senator für Wirtschaft und Arbeit geschaffen? Welche Zahlen können Sie dagegenstellen? Wir sind stolz auf die Zahlen, die wir vorzuweisen haben.
Nur zur Erklärung, weil Sie vom ersten Semester Ökonomiestudium gesprochen haben: Es mag an Ihrer Uni ja vielleicht so erzählt worden sein, wie Sie es dargestellt haben, aber ich will Ihnen sagen, dass Mini- und Midijobs nicht zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gehören. Wenn Sie heute ein Ökonomiestudium aufnehmen würden, würde Ihnen das im ersten Semester erläutert. Der Zuwachs an Mini- und Midijobs kommt zu diesem Aufwuchs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hinzu. Reden Sie es also nicht klein; bleiben Sie mindestens bei der Wahrheit!
- Herr Tauss, wir regieren doch noch zusammen. Ich habe jetzt zwei Jahre lang nicht Ihre Zwischenrufe gehört. Die habe ich vermisst.
Zur Frage, wo der Aufschwung ankommt und wer davon etwas merkt. Es mag ja sein, dass von den rund 25 oder 26 Millionen Menschen, die in Arbeit waren, als wir die Regierung übernommen haben, nicht jeder sagt, dass es ihm besser geht. Denn sie hatten ja schon vorher Arbeit. Aber die Millionen Menschen, die in der Amtszeit der Großen Koalition Arbeit bekommen haben - es sind keine 26 Millionen, aber es sind Millionen - wissen, dass es ihnen heute besser geht. Ihre Situation und die ihrer Familien haben sich erheblich verbessert. Darauf sind wir stolz. Sie bemerken den Aufschwung.
Man kann also feststellen: Wir sind uns in der Großen Koalition nicht in allem einig, aber wir haben gemeinsam eine Menge erreicht. Wir sind gemeinsam erfolgreich und konzentrieren uns in der Zukunft gemeinsam auf die Lösung der Probleme, die jetzt auf dem Arbeitsmarkt noch besonders drängen. Es gibt Problemregionen. Dafür gibt es unter anderem den Kommunalkombi. Es ist richtig, dass man regional Schwerpunkte setzt, wo sie notwendig sind.
Wir konzentrieren uns auf die Gruppen, zum Beispiel die Langzeitarbeitslosen und die Menschen mit Behinderungen, die bisher vom Aufschwung weniger profitieren als andere. Die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderungen ist in einem Jahr um 10 Prozent gesunken. Das ist für sich genommen eine große Zahl. Bei einem Rückgang von insgesamt 15 Prozent zeigt das aber auch, dass Handlungsbedarf besteht. Deswegen gehen wir besonders an diese Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt heran.
Gleichzeitig haben wir in dieser Zeit Diskussionen, die sich Rot-Grün in ihrer Regierungszeit gewünscht hätte. Herr Kuhn, Sie mussten nie darüber diskutieren, wohin man mit Milliardenüberschüssen will. So eine Debatte kennen Sie aus Ihrer eigenen Regierungsverantwortung gar nicht. Wir sind froh, dass wir in einer Situation sind, in der es um die Frage geht, was wir mit den Überschüssen machen. Unsere Position als Union ist klar: Wir wollen die vorhandenen Überschüsse an die Beitragszahler zurückgeben.
Wir sind zuversichtlich, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner darüber verständigen können.
Ich will, weil es immer wieder um das geht, was bei den Menschen ankommt, einmal auf Folgendes hinweisen: Wenn wir eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 3,5 Prozent schaffen, dann haben wir die Beitragszahler in der Zeit der Großen Koalition um 20 Milliarden Euro entlastet, indem wir den Beitragssatz von 6,5 Prozent auf 3,5 Prozent gesenkt haben. Das sind eine stolze Bilanz und eine gute Leistung.
Das ist die Politik, die wir gemeinsam erarbeitet haben und die wir gemeinsam zu vertreten haben.
Ich will an das anknüpfen, was der Arbeitsminister gesagt hat. In der Diskussion bezüglich des Regelsatzes im SGB II muss für uns die Priorität darin liegen, dass alle Kinder in diesem Land eine echte Chance haben und dass das Geld, das für die Kinder gedacht ist, in der Tat bei den Kindern ankommt. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung, der wir gerecht werden.
Wir stehen als Große Koalition gemeinsam, denke ich, für das, was in Meseberg verabredet worden ist. Wir sind vertragstreu. Das sage ich ganz deutlich. Das gilt auch für alle Verabredungen, die wir zum Mindestlohn getroffen haben. Aber klar ist natürlich auch: Es gibt ein paar ungewöhnliche Entwicklungen, über die man reden muss. Sie haben es angesprochen. Es geht zum Beispiel um den ehemaligen Arbeitsminister von Herrn Beck. Ich habe den Bundesarbeitsminister danach gefragt. Es ist wirklich so: Herr Gerster ist nicht wegen neoliberaler Umtriebe von Herrn Beck entlassen worden, sondern damals aus anderen Gründen ausgeschieden.
Herr Gerster kündigte gestern die Gründung einer neuen Gewerkschaft an. Er sagte: Es gibt Leute, die sich von Verdi nicht vertreten fühlen. Es könne dieser Tage eine Gewerkschaftsgründung geben, und vielleicht gebe es dieses Jahr noch miteinander konkurrierende Tarifverträge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ex-Arbeitsminister der SPD sucht sich eine Gewerkschaft, die tapfer für niedrige Löhne kämpft. Das ist politisch ein Stück aus dem Tollhaus.
Wir werden sehen müssen, wie wir rechtlich damit umzugehen haben; aber es ist ein Stück aus dem Tollhaus.
Deswegen werden wir sorgfältig das zu prüfen haben, was auch angesichts angekündigter Klagen einer rechtlichen Analyse bedarf. Wir stehen zu den Verabredungen, die wir getroffen haben.
Lassen Sie mich noch etwas zum Arbeitslosengeld I sagen, weil es sich in der Debatte immer um Jüngere und Ältere dreht. Als CDU haben wir auf unserem Bundesparteitag einen Beschluss gefasst, Herr Kuhn, aus dem ich nur einen Punkt zitieren will, über den häufig nicht gesprochen wird. Wir haben festgelegt, dass wir längere Zahlungen nicht ans Lebensalter, sondern an die Beitrags- und Lebensleistung knüpfen wollen. Wer 15 Jahre lang eingezahlt hat, soll 15 statt 12 Monate lang Arbeitslosengeld beanspruchen können. Was hat das denn mit Älteren zu tun? Bei uns gibt es Leute - ich denke hier an meinen Stellvertreter Stefan Müller -, die mit 16 Jahren angefangen haben, Beitrag zu zahlen. Wenn jemand mit 16 anfängt, Beiträge zu zahlen, dann hat er nach unserem Konzept mit 31 Jahren Anspruch auf eine um drei Monate längere Arbeitslosengeldzahlung. Wird da ein Älterer begünstigt? Er kann noch in der Jungen Union sein, sogar bei den Jusos könnte er sein; er darf noch nicht bei den alten Herren Fußball spielen. Ein Anfang 30-Jähriger ist doch kein Alter, der da begünstigt wird. Es gibt sicherlich auch andere, die 30 Semester Politologie studieren. So etwas steht Ihnen in Ihrer Fraktion, Herr Kuhn, vielleicht näher als die Werdegänge, die wir bei uns haben.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es geht nicht um Jüngere oder Ältere, sondern es geht darum, Beitrags- und Lebensleistung zu honorieren. Das ist unser Vorschlag, mit dem wir in die weiteren Gesprächen gehen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Jörg Rohde für die FDP-Fraktion.
Jörg Rohde (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren der Koalition! Vor allem aber: Sehr geehrte ehemalige Beteiligte an der rot-grünen Regierungskoalition von 2002 bis 2005! Ich gehe zunächst auf die heutige Debatte ein. Herr Müntefering, Sie haben die Zeitarbeit erwähnt und gesagt, es solle sich nicht um Dauerarbeitsplätze handeln. Aber es gibt beispielsweise in der IT-Branche Arbeitnehmer, die es ablehnen, einen Arbeitsplatz in dem Unternehmen anzunehmen, in dem sie eingesetzt sind. Denken Sie bitte auch an diese Arbeitnehmer, Herr Minister, die in einer sicheren Zeitarbeitsfirma bleiben möchten.
Leider haben Sie heute kein Wort zu den immer noch hohen Arbeitslosenzahlen bei den Schwerbehinderten gesagt. Hier bin ich Herrn Brauksiepe für seine Bemerkung sehr dankbar.
Herr Gysi, Arbeitszeitverkürzung ist der falsche Weg. Die 35-Stunden-Woche, die übrigens von der IG-Metall durchgesetzt wurde, hat sehr viele Arbeitsplätze geschaffen - aber im Ausland und nicht hier in Deutschland, Herr Gysi.
Herr Stiegler, eine Antwort sind Sie schuldig geblieben. Es wäre natürlich interessant gewesen, zu erfahren, wie sich die SPD-Bundestagsfraktion beim Thema ALG I positioniert. Ich dachte, dies sei gerade für Ihre Partei eine zentrale Frage.
Mit unserem heutigen Entschließungsantrag eröffnen wir von der FDP allen Kolleginnen und Kollegen, besonders aber den Abgeordneten der SPD, die Möglichkeit,
sich zu Ihren Überzeugungen von 2003 zu bekennen. Bleiben Sie heute standhaft und stimmen Sie Ihrer eigenen wortwörtlichen Begründung zur damaligen Verkürzung der Bezugsdauer des ALG I noch einmal zu!
Diese Argumente waren damals richtig und sind es heute noch. Sie sollten zu Ihrer Meinung stehen.
Andernfalls erklärten Sie heute, dass Sie damals Falsches beschlossen hätten. Oder hängen Sie heute Ihre Meinung wie eine Fahne in einen populistischen linken Wind? Wir Liberale freuen uns schon auf den Abgleich der Namen nach Auszählung der heutigen namentlichen Abstimmung. Damals haben schließlich 592 Abgeordnete diesem Gesetz zugestimmt.
Anstatt aber den älteren Arbeitssuchenden Steine in Form von vermeintlichen Wohltaten durch einen verlängerten ALG-1-Bezug in den Weg zu legen, sollten Sie den Jobsuchenden über 50 Jahre lieber die Türen des Arbeitsmarktes weiter öffnen. Über die Jahrzehnte haben sich etliche Beschäftigungs- und Wiedereinstellungshemmnisse für Ältere in die Arbeitsmarktgesetzgebung eingeschlichen. Einige wenige davon sind durch die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün beseitigt worden. Aber anstatt nun auch die restlichen Beschäftigungshemmnisse für Ältere auszuräumen, diskutieren Sie darüber, wie man das Rad wieder zurückdrehen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lassen Sie sich bei dieser Diskussion nicht von der SPD einwickeln; drängen Sie lieber auf eine Entrümpelung der Arbeitsmarktgesetze!
Meine Damen und Herren, lassen Sie sich von der FDP einmal kurz sagen, wodurch ältere Beschäftigte und Arbeitslose bedroht bzw. am Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt behindert werden. Die Regelung zur Altersteilzeit stellt einen Fehlanreiz zum vorzeitigen Arbeitsende dar. Miserable Hinzuverdienstmöglichkeiten machen die Erwerbstätigkeit parallel zum Altersrentenbezug völlig unattraktiv. Die 58er-Regelung lässt die Potenziale der über 58-Jährigen ungenutzt verkümmern.
Diese Missstände gilt es anzugehen.
Wir dürfen nicht das vorzeitige Arbeitsende subventionieren, sondern wir müssen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch kontinuierliche Weiterqualifizierung länger am Arbeitsmarkt halten. Wir müssen die 58er-Regelung, mit der ältere Arbeitslose nur noch gefördert, aber nicht mehr gefordert werden, wie geplant auslaufen lassen. Da ich gestern im Ausschuss sehr genau zugehört und den Vorstoß der SPD bemerkt habe, sage ich Ihnen: Hände weg von diesem Gesetz!
Auch für diejenigen, die schon eine Altersrente beziehen, müssen wir es durch eine Erhöhung der Hinzuverdienstgrenzen attraktiv machen, einem Nebenerwerb nachzugehen.
Allerdings nahen Weihnachten und Parteitage, und schon wollen linke Sozialromantiker und Märchenerzähler in der SPD und vielleicht auch in der Union auf Kosten der Beitragszahler ein Wahlgeschenk kaufen, dessen Umfang die Haushaltspolitiker auf mindestens 2 Milliarden Euro taxieren. Lassen Sie diesen Unsinn, meine Damen und Herren! Folgen Sie den Vorschlägen der FDP und nutzen Sie die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit für eine größtmögliche Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Denn davon profitieren alle Arbeitnehmer.
Dadurch würde die Arbeit in Deutschland günstiger und wettbewerbsfähiger, und es würden mehr Arbeitsplätze entstehen. So bringen wir Deutschland voran.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, kehren Sie zur Vernunft zurück! Beenden Sie jetzt Ihren Wettstreit mit der Fraktion Die Linke um die schlechteste und teuerste Arbeitsmarktpolitik! Bleiben Sie in der Arbeitsmarktpolitik dem Grundsatz des Förderns und Forderns treu! Bekräftigen Sie die Gesetzesbegründung aus dem Jahre 2003 und folgen Sie heute dem Antrag der FDP!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
Klaus Brandner (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Regierungserklärung, die mit den Stichworten Aufschwung, Teilhabe, Wohlstand und Chancen für den Arbeitsmarkt überschrieben ist, weist darauf hin, dass die gute wirtschaftliche Entwicklung für die Menschen gestiegene Chancen am Arbeitsmarkt mit sich gebracht hat.
Das Handelsblatt hat gestern gemeldet, dass sich die deutsche Wirtschaft im Hinblick auf die Auftragseingänge in einem Investitionsrausch befindet. Auch bei der Industrieproduktion sind positive Zahlen zu verzeichnen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist robust, und das in einem schwierigen Umfeld, in dem die Rohölpreise und der Eurokurs auf Rekordniveau sind und in dem die Immobilienkrise in den USA auf die deutschen Banken ausstrahlt und auch auf die Situation anderer Unternehmen Auswirkungen hat.
Trotz dieses schwierigen internationalen Umfeldes ist es uns erstens gelungen, die Zahl der Arbeitslosen von gut 5 Millionen auf 3,5 Millionen Menschen zu reduzieren. Zweitens ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass der Finanzminister voraussichtlich in diesem Jahr erstmals einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann. Wann konnte zuletzt ein Rückgang der Arbeitslosigkeit in Millionenhöhe verkündet werden? Das ist ein entscheidender Erfolg unseres Arbeits- und Sozialministers Franz Müntefering. Ich finde, das sollte heute herausgestellt werden.
Wann konnte ein Finanzminister so positive Zahlen vorlegen, wie dies Peer Steinbrück tun konnte?
Das ist ein hervorragender Erfolg unseres Finanzministers, der seinesgleichen sucht.
Die Fakten können sich im internationalen Vergleich sehen lassen, vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass kein anderes westeuropäisches Land die Kosten der deutschen Vereinigung zu schultern hatte; diese Kosten waren übrigens nicht aus der Portokasse zu zahlen, wie uns manche glauben machen wollten.
Die Profiteure dieser guten Entwicklung sind die 1,5 Millionen Menschen, die wieder Arbeit gefunden haben. Wir sind dem Ziel, mehr Beschäftigung zu schaffen, schon ein großes Stück näher gekommen. Damit geben wir uns aber nicht zufrieden. Wir wollen noch mehr Menschen Teilhabe und Arbeit ermöglichen, und wir wollen gute Arbeitsbedingungen schaffen, damit die Menschen in Würde arbeiten können. Deshalb folgen wir unserer Leitlinie, die deutlich zum Ausdruck bringt: Wir wollen die Reformen am Arbeitsmarkt menschenwürdig und mit Augenmaß umsetzen; bei manchen Reformen ist das in der Vergangenheit leider aus dem Blick geraten. Das hat für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Prä, und dafür stehen wir ein.
Wir wollen, dass die wirtschaftliche Dynamik nicht nur wenigen, sondern möglichst vielen Menschen nutzt. Wir wollen - das haben wir mit dem Agendaprozess gezeigt -, dass von diesem erfolgreichen Prozess am Ende alle etwas haben.
Wir Sozialdemokraten haben für die Agenda einiges an gesellschaftlichem Gegenwind in Kauf genommen. Heute ist noch einmal deutlich geworden, dass unser jetziger Koalitionspartner dabei nicht immer mit hilfreichen Äußerungen aufgetreten ist.
Es gibt viele Ministerpräsidenten, es gibt selbst Regierungsmitglieder, die sich oft einen schlanken Fuß gemacht haben. Rüttgers ist sicherlich nur ein Name. Er hat über die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I schwadroniert, tatsächlich will er eine massive Kürzung der Leistungen. Das muss an dieser Stelle auch ganz offen angesprochen werden.
Insofern wäre zumindest aus meiner Sicht - die Bundeskanzlerin ist nicht mehr da - ein deutlicheres Wort in mancher Situation erwünscht und hilfreich gewesen,
um diesen sozial gesteuerten Reformprozess systematisch fortsetzen zu können.
Denn die Erfolge sind da. Die Erfolge der Großen Koalition - auf sie ist heute mehrfach hingewiesen worden -, aber auch die Erfolge, für die wir zusammen mit einem anderen Koalitionspartner den Grund bereitet haben, für die Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder den Grund bereitet hat, haben uns neue Spielräume und neue finanzielle Möglichkeiten gegeben, die wir nutzen
für Investitionen in die Zukunft, die wir nutzen für eine bessere Bildung für unsere Kinder, die wir nutzen für mehr Innovationen, für gute Arbeit und die wir nutzen für eine bessere Infrastruktur und nicht zuletzt für eine Klimapolitik, die uns ein Leben auf diesem Planeten erst ermöglicht. Das sind die Zukunftsaufgaben, denen wir uns stellen.
Konjunktur und Arbeitnehmerrechte, das ist immer eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Dabei ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, dass man klarstellt, dass Wachstum auch ohne den Abbau von Arbeitnehmerrechten geschieht.
Ich kann mich sehr gut an die heftigen und ideologischen Diskussionen über Mitbestimmungsrechte, über Tarifautonomie, über Kündigungsschutz erinnern. Sie alle sollten geschliffen werden, Teile sollten geopfert werden, damit wir wieder mehr Arbeit in diesem Land haben. Ich sage ganz deutlich: Die Sicherung der Arbeitnehmerrechte, die mir ein Herzensanliegen ist, steht wirtschaftlichem Wachstum nicht entgegen.
Die Menschen brauchen Sicherheit, sie brauchen Boden unter den Füßen, damit sie innovativ und kreativ zum Wohle unseres Landes wirken können. Deshalb gibt es mit uns keinen Abbau des Kündigungsschutzes, um es klar und deutlich zu sagen.
In den letzten Tagen ist über die Beschäftigung Älterer und über die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I diskutiert worden. Wir machen uns diese Diskussion nicht leicht, wie Sie alle wissen und erleben. Da hat es Herr Rüttgers schon leichter. Diese Diskussion - lassen Sie mich das sagen - hat allerdings neben dem Inhaltlichen eine positive Begleiterscheinung: Wir können bei dieser Diskussion auf die grandiosen Erfolge der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung und der Vorgängerregierung hinweisen. Sie wäre sonst niemals so zur Kenntnis genommen worden. Rechte und Linke im Haus hätten niemals so gelobt, was sich am Arbeitsmarkt alles bewegt hat. Das ist auch ein Punkt, der manchmal erst auf Umwegen zutage tritt. - Ich sehe freundliches Nicken bei unserem Koalitionspartner, in den Reihen der CDU/CSU. - Das wäre ansonsten kleingeredet worden. Dieser Erfolg kann sich sehen lassen. Er gibt Menschen Hoffnung und Halt. Darauf können wir stolz sein.
Die Erfolge am Arbeitsmarkt, gerade für Ältere, sind angesprochen worden - ich will sie nicht alle wiederholen -: Über 200 000 Menschen über 50 haben im letzten Jahr Arbeit gefunden. Die Erwerbsbeteiligung der Älteren ist deutlich gestiegen von 38 Prozent in den 90er-Jahren auf über 52 Prozent jetzt. Das sind gute Zahlen. Aber damit dürfen wir uns insgesamt gesehen nicht zufriedengeben. Wir brauchen eine noch viel höhere Erwerbsbeteiligung Älterer. Wenn unsere Bevölkerung schrumpft, wenn immer weniger Jüngere nachwachsen, muss unser Wohlstand mehr und mehr von den Älteren mit geschaffen werden. Deshalb brauchen wir eine höhere Erwerbsbeteiligung aller Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Älteren. Das setzt ein Umdenken in den Betrieben voraus. Der Prozess des altersgerechten Arbeitens beginnt erst. Er wird noch dauern, wie wir wissen. Deshalb wollen wir die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Ältere unter diesem Risikogesichtspunkt verlängern. Wir wollen diesem Umstand Rechnung tragen.
Deshalb sage ich aber auch ganz deutlich: Die Aufregung in der Diskussion darüber, dass damit eine Abkehr von der Agendapolitik verbunden sei, ist völlig überzogen. Ich sehe dafür überhaupt keinen Zusammenhang.
Die eigentliche Herausforderung liegt ganz woanders. Die Zukunftsfragen heißen: Wie können wir die Bundesagentur für Arbeit zu einer Beschäftigungsversicherung weiterentwickeln? Wie muss eine präventive Arbeitsmarktpolitik aussehen, damit Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht? Wie sieht eine Arbeitsmarktpolitik für eine Welt mit völlig veränderten Erwerbsbiografien aus?
Die Anforderungen an ein Erwerbsleben haben sich deutlich verändert. Elternzeiten für beide Ehepartner, Pflegezeiten für Eltern, Sabbaticals zur Weiterbildung, eine völlig neue berufliche Ausrichtung, all das ist neben neuen Berufsbildern gefragt. Hierzu werden von uns, verbunden mit dem Stichwort gleitende Übergänge in den Ruhestand zum Beispiel auch aus gesundheitlichen Gründen, Antworten erwartet. Wir müssen Antworten darauf finden, wie wir die höheren Flexibilitätsanforderungen mit Sicherheit verbinden können.
Die Bundesagentur der Zukunft muss sich deshalb mehr in Richtung einer präventiven Politik orientieren: Beratung in der Schule, in der Ausbildung, bei den Übergängen aus der Schule in das Arbeitsleben und aus Familienzeiten, bei der Weiterbildung, bei der Qualifizierung und bei der zweiten Chance. Die Aufgabe, für eine qualitativ hochwertige Arbeitsmarktpolitik zu sorgen, bleibt bestehen. Deshalb besteht aus unserer Sicht die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht. Mit dieser Zukunftsorientierung gehen wir an die Arbeitsmarktpolitik heran.
Deshalb sage ich ganz deutlich: Es geht nicht vorrangig um die Frage, ob der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung angesichts der guten Finanzsituation um weitere 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden kann.
Im Vordergrund steht, dass wir neben der Beitragssatzsenkung von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent - eine weitere Senkung auf 3,9 Prozent ist jetzt schon beschlossen - die Frage beantworten müssen, welche Aufgaben zukünftig wahrgenommen werden sollen, damit die Menschen möglichst schnell wieder in Arbeit kommen, um nicht aus dem Arbeitsprozess herauszufallen
und um dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosenversicherung zu einer Beschäftigungsversicherung weiterentwickelt wird.
Uns geht es um gute Arbeit. Ich habe gesagt, die Arbeitswelt hat sich verändert - nicht nur als Folge von veränderten Wünschen Einzelner, sondern auch wegen anderer Lebensentwürfe und des globalen Wettbewerbs. Wir wissen, dass Teile der Wirtschaft mit einfachen Rezepten darauf reagieren: Lohnsenkungswettbewerb, Leiharbeit, Rückkehr zu kürzeren Taktzeiten, Umgehung von Tarifverträgen, verstärkte Schichtarbeit an Wochenenden und Ähnliches. Der Druck wird einfach an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergereicht. Das wollen wir nicht. Ich kann nur davor warnen. Das ist zu kurz gesprungen. Der richtige Weg für uns ist: nicht länger, schneller und härter, sondern besser, intelligenter und qualifizierter. Das sind die Losungen, für die unsere Arbeitsmarktpolitik steht.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Gerade für das Thema Zeitarbeit sind uns gute Beispiele bekannt - zum Beispiel bei Audi -, mit denen deutlich gemacht wird, dass wir den Grundsatz ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ früher verwirklichen müssen und dass Mindestlöhne notwendig sind, damit es nicht dazu kommt, dass man bei vollschichtiger Arbeit nicht von seinem Arbeitseinkommen leben kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Müller für CDU/CSU-Fraktion.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Große Koalition vor zwei Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, haben die Menschen in diesem Land die Hoffnung damit verbunden, dass die drängenden Probleme in diesem Land endlich gelöst werden.
Ich kann heute feststellen: Wir haben die Hoffnungen der Menschen nicht enttäuscht.
Wir haben uns der Lösung der drängenden Probleme in unserem Land zugewandt. Wir haben uns den Herausforderungen, die Globalisierung und demografischer Wandel mit sich bringen, gestellt und versuchen, sie einer Lösung zuzuführen.
Das gilt ausdrücklich nicht nur für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, sondern das gilt auch für viele andere Bereiche, in denen es heute nachweisbare Erfolge unserer Politik gibt: im Bereich der Finanz- und Haushaltspolitik, im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik und im Bereich der Familienpolitik, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aber wir haben von vornherein gesagt: Das zentrale Handlungsfeld dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen ist die Arbeitsmarktpolitik, weil sich politische Erfolge dort unmittelbar messen lassen und bei den Menschen unmittelbar ankommen.
Diese Erfolge unserer Arbeit lassen sich heute an den Zahlen ablesen. Ich glaube, die Zahlen sind so gut, dass man sie immer wieder vortragen sollte: Die Arbeitslosigkeit betrug im September 2005 4,6 Millionen, im September 2007 3,5 Millionen. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren im September 2005 26,5 Millionen Menschen, im September 2007 26,9 Millionen. Wir haben weniger Jugendliche, die arbeitslos sind, und mehr Ältere, die wieder eine Beschäftigung gefunden haben. Diese Zahlen zeigen, dass die Große Koalition erfolgreich arbeitet. Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass immer weniger Menschen auf Fürsorge angewiesen sind und immer mehr Menschen von ihrer eigenen Arbeit leben können.
Das, was wir in zwei Jahren gemeinsam mit der SPD erreicht haben, kann sich sehen lassen und lässt sich in verschiedenen Bereichen der Arbeitsmarktpolitik ablesen, zum Beispiel bei der Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 2,3 Prozentpunkte. Wir haben damit nicht nur die Lohnzusatzkosten gesenkt, Arbeit und Arbeitsplätze in Deutschland wieder wettbewerbsfähig gemacht, sondern gleichzeitig auch dafür gesorgt, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land von ihrem Bruttolohn netto mehr übrig bleibt. Das ist ein Erfolg, auf den wir stolz sein können.
Nun gibt es ja einen Antrag der FDP.
Vielleicht möchte Herr Dr. Kolb dazu eine Zwischenfrage stellen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kolb?
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):
Bitte schön.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Kollege Müller, nachdem heute immer wieder die angeblichen Entlastungen der Arbeitnehmer von den Vertretern der Koalition beschworen werden, möchte ich Sie fragen: Wären Sie denn bereit, uns zu sagen, wie hoch die Mehrbelastungen der Arbeitnehmer aufgrund der Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, der Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge, der absehbaren Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrages und der Erhöhung der Mehrwertsteuer sind? Ich glaube, dass sich insgesamt ein negativer Saldo ergibt. Stimmen Sie dem zu?
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):
Ich stimme dem ausdrücklich nicht zu, Herr Kollege Dr. Kolb. Wir führen diese Debatte ja heute nicht zum ersten Mal. Ich gebe Ihnen gern noch einmal die Unterlagen des Instituts der deutschen Wirtschaft, aus denen ich im Ausschuss schon einmal zitiert habe. Dieses Institut kommt im Endergebnis dazu, dass es eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegeben hat.
Ich stelle Ihnen diese Unterlagen sehr gerne zur Verfügung.
Herr Kollege Dr. Kolb, uns liegt heute ein Antrag der FDP mit dem Titel ?Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen“ vor. Sie sprechen sich darin für eine weitere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mindestens auf 3,5 Prozent aus. Dieser Antrag trägt das Datum 19. September 2007. Dazu fällt mir nur ein: Guten Morgen! Auch schon ausgeschlafen? - All das, was Sie in diesem Antrag fordern, haben Vertreter der Großen Koalition schon seit Wochen und Monaten in diesem Hause immer wieder besprochen und beschlossen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diesen Weg weitergehen werden. Ihre Nachhilfe haben wir in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht nötig.
Wir haben Fehlentwicklungen im SGB II abgebaut. Da ging es nicht allein darum, Missbrauch zu bekämpfen, sondern auch darum, ungerechtfertigte Inanspruchnahme einzudämmen und vor allem die knapper werdenden Mittel auf diejenigen zu konzentrieren, die wirklich Hilfe brauchen. Wir haben mit der Initiative ?50 plus“ die Beschäftigungschancen und -perspektiven für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land verbessert, gleichzeitig aber ein Signal gegeben, dass die Wirtschaft jetzt nicht länger nur von Beschäftigungschancen Älterer sprechen darf, sondern in der Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass Menschen über 50 wirklich wieder eingestellt werden.
Wir werden diesen Kurs fortsetzen, insbesondere im Hinblick auf diejenigen, bei denen dieser Aufschwung am Arbeitsmarkt so noch nicht angekommen ist. Die Zahlen werden immer wieder deutlich gemacht; sie werden auch gar nicht bestritten. Nicht wahr ist, dass der Aufschwung an den Langzeitarbeitslosen und den Menschen mit geringeren Qualifikationen bislang komplett vorbeigegangen ist. In der Tat können wir uns da aber noch sehr viel mehr wünschen. Gerade für diese Gruppe der Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten sind wir in der Verantwortung, mehr zu tun.
Eine zweite Gruppe, um die wir uns intensiv kümmern müssen, sind die Jugendlichen. Der Kollege Brandner hat sie bereits angesprochen. Auch hier gilt es, noch mehr Anstrengungen zu unternehmen, um die Jugendlichen in eine Beschäftigung zu bringen. Es bleibt dabei: 400 000 jugendliche Arbeitslose unter 25 sind immer noch 400 000 zu viel. Es bleibt dabei, dass auch diejenigen eine Chance bekommen müssen, die heute die Hauptschule verlassen, ohne anschließend unterzukommen. Auch für sie werden wir noch einiges machen.
Unser Ziel ist, dass kein junger Mann und keine junge Frau die Schule verlässt und dann in die Arbeitslosigkeit fällt. Unser Ziel ist - das haben wir schon mehrfach formuliert -, dass jedem, der die Schule verlässt, ein Ausbildungsplatz, ein Arbeitsplatz, eine Qualifizierungsmaßnahme oder eine gemeinnützige Beschäftigung angeboten wird. All das ist besser, als zu Hause herumzusitzen, weil man keine Arbeit hat.
Wir haben in den letzten zwei Jahren dafür gesorgt, dass diejenigen, die Hilfe brauchen, diese auch bekommen. Wir haben Instrumente geschaffen, um Menschen mit besonderen Vermittlungshemmnissen bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu bieten, und wir haben dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hinsichtlich der Arbeitsplätze verbessert wurde.
Insofern rufe ich Ihnen zu: Die Zeiten der ruhigen Hand in Deutschland sind vorbei. Deutschland bewegt sich nach vorn. Das ist auch das Verdienst dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.
Rolf Stöckel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesminister Müntefering hat heute Morgen eine eindrucksvolle Zwischenbilanz und einen ausführlichen Ausblick auf die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung gegeben. Ich glaube, wir können ein bisschen stolz darauf sein, dass wir hinsichtlich der Ziele, mit denen wir angetreten sind, in der Tat inzwischen erste Erfolge auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen, die auch nachhaltig sind. Es bleibt richtig und prioritär, dass verstärkt in Qualifizierung und Beschäftigung investiert wird, und es zeigt sich, dass diese Anstrengungen vor allen Dingen die älteren Arbeitnehmer erkennbar erreicht haben.
Das heißt aber auch - Minister Müntefering hat die Beschlüsse der Bundesregierung, die wir noch umzusetzen haben, angesprochen -, dass diese Politik ständig verbessert und weiterentwickelt werden muss. Es ist keine Schande - das hat diese Debatte ausdrücklich dokumentiert -, dass gerade eine Partei wie die SPD darüber diskutiert, wie man einerseits eine richtige Antwort auf die besondere Situation von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Arbeitslosen findet und auf der anderen Seite für neue Arbeitsbiografien und neue Herausforderungen gerade für junge Familien mit Kindern, die auch vom Risiko der Arbeitslosigkeit bedroht sind, neue Lösungen findet, die dazu beitragen, dass die Armutsrisiken von Familien und besonders von Kindern nachhaltig abgebaut werden.
Im Streit in der SPD geht es auch darum, dass die Arbeitslosenversicherung, die wir zu einer Beschäftigungs- und Arbeitsversicherung weiterentwickeln wollen, eine solidarische Risikoversicherung ist.
Die Äquivalenz von Lebensleistung und gezahlten Beiträgen spielt eine große Rolle. Ich glaube, darauf müssen wir auch eine Antwort geben. Sie drückt sich in dem prozentualen Anteil des Arbeitslosengeldes I am bisherigen Verdienst aus; sie muss sich aber auch in einer zeitlichen Differenzierung ausdrücken. Diese besteht zwar schon, aber sie kann womöglich verbessert werden.
Eines wird die SPD nicht mitmachen - das muss ich als Nordrhein-Westfale auch dem dortigen Ministerpräsidenten Rüttgers klar sagen -: durch das alleinige Betonen der Leistungsgerechtigkeit einen schleichenden Weg in eine private Ansparversicherung anzubahnen.
Die Situation junger Familien und das Armutsrisiko von Kindern war in den letzten Wochen vor allem durch Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften ein öffentliches Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Deswegen begrüße ich die Zusage des Bundesarbeitsministers, gerade in diesem Bereich nicht nur die Modi der Transferleistungen zu überprüfen, sondern mitzuhelfen, zu einem koordinierten Vorgehen und einem Bündnis gegen Kinderarmut und für Bildungs- und Lebenschancen von Kindern zu kommen.
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat viele Menschen aus der verdeckten und verschämten Armut in die soziale Grundsicherung nach dem SGB II geholt. Sie hat die Statistik ehrlicher gemacht und die staatlichen Instrumente zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Armut verbessert. Arbeitsplätze und existenzsichernde Familieneinkommen sind prioritär und stellen die materielle Basis zur Vermeidung von Kinderarmut dar. Der Erfolg unserer Politik ist sichtbar. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Hartz IV ist deshalb auch zweieinhalb Jahre nach Inkraftteten des Gesetzes - sicherlich ist noch vieles zu verbessern - weder der Grund für zunehmende Armut noch ein geeigneter Gradmesser.
Entscheidend ist die Weiterentwicklung der von uns eingeleiteten Maßnahmen der Familien-, der Gesundheits-, der Bildungs-, der Arbeitsmarkt-, der Sozial- und der Integrationspolitik. Ich rufe dem neuen Ministerpräsidenten Bayerns zu, der heute in einem Interview sagt, er habe Verständnis dafür, wenn ältere Arbeitslose mehr und länger Arbeitslosengeld I bekommen wollten als Menschen aus der Türkei oder Bosnien: Ich finde, diese Form der Spaltung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehört in das 20. Jahrhundert, aber nicht in eine moderne Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Unser Ziel bleibt, dass möglichst viele Menschen unabhängig von einer staatlichen Grundsicherung leben können - Hilfe zur Selbsthilfe -, dass sie sich aber im Bedarfsfall auch darauf verlassen können. Ausmaß und Gründe für Armutsrisiken bei Kindern sind viel weitgehender, als diejenigen meinen, die öffentlich immer wieder auf Armut durch Hartz IV verweisen. Zu keiner Zeit hat es mehr Maßnahmen sowie Struktur- und Leistungsverbesserungen zur Bekämpfung der Armutsrisiken bei Kindern gegeben als heute. Wir haben seit 1998 - zuerst unter Rot-Grün, dann in der Großen Koalition - die Familiensozialleistungen wesentlich verbessert: dreimalige Erhöhung des Kindergeldes und des steuerfreien Existenzminimums, Senkung der Eingangssteuersätze, Förderprogramme für soziale Städte, erweiterte Rechtsansprüche, Leistungen nach dem SGB II sowie Kinderzuschlag für Familien. Die Bundesländer haben 4 Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsgrundschulen bekommen. Wir haben mit dem größten Investitionsprogramm in der Geschichte, dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, eine enorme Kraftanstrengung unternommen, um die Strukturen insbesondere bei der Betreuung der unter Dreijährigen zu verbessern.
Frau Merkel hat vor einigen Monaten die Initiative ergriffen und gefordert, die Kinderrechte sowie das Recht auf Förderung und Entwicklung in das Grundgesetz aufzunehmen. Die Debatte darüber muss dazu führen, diese Initiative zu unterstützen und zu einem gemeinsamen Vorgehen der föderalen Ebenen zu kommen. Nur so werden wir Strukturverbesserungen erreichen, die notwendig sind, um Kinderarmut auf allen Ebenen zu bekämpfen.
Die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland leben in Wohlstand. Aber das heißt nicht automatisch, dass sie gegen Misshandlungen oder Verwahrlosung, insbesondere emotionaler Art, in einer Gesellschaft gefeit sind, in der zunehmend weniger Kinder leben. Es kommt darauf an, dass wir gemeinsam, Bund, Länder und Kommunen, Verbände und alle anderen, die gesellschaftliche Verantwortung tragen, die Kinderrechte stärken und die Bedingungen, unter denen Kinder in Deutschland aufwachsen, verbessern. Frau Merkel, wir unterstützen Sie auf diesem Weg.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass alle, die Bedenken hatten, wie sich diese Debatte vor dem aktuellen Hintergrund entwickeln wird, eines Besseren belehrt worden sind. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Debatte. Wir müssen sie unbedingt fortsetzen. Denn eines ist ganz klar: Wenn es uns nicht gelingt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland klarzumachen, dass die durchgeführten Reformen und die geplanten Veränderungen ihnen zum Vorteil gereichen, und wenn der Aufschwung nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommt, dann wird die Glaubwürdigkeit der sozialen Marktwirtschaft insgesamt nicht gestärkt, sondern geschwächt.
Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir uns jetzt überlegen, wie wir es wirklich schaffen können, dass bei denen, die jetzt in den Arbeitsprozess gekommen sind - die meine ich in erster Linie -, von dem, was sie sich erarbeiten, auch möglichst viel ankommt. Dazu dient beispielsweise die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags. Wenn wir das schaffen, dann kommt bei den Betroffenen direkt mehr Geld an, und wir leisten zusätzlich einen Beitrag zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Deutschland.
Wir müssen aufpassen, dass wir an der Stelle, an der wir jetzt sind - das ist wirklich ein Scheideweg -, nicht den Fehler machen, Programme mit zusätzlichen Ausgaben zu beschließen; wir müssen vielmehr alle Maßnahmen daraufhin abklopfen, ob sie einen zusätzlichen Beitrag zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen leisten, ja oder nein,
ob sie einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Geld beim Arbeitnehmer ankommt, ja oder nein, und ob sie einen Beitrag dazu leisten, dass es in der Wirtschaft in Deutschland mehr Wettbewerb unter den Unternehmen gibt, ja oder nein.
Schauen wir uns an, was sich zurzeit - der Kollege Brauksiepe hat einen Teilaspekt angesprochen - zum Beispiel im Bereich der Post tut. Herr Müntefering, ich sage in vollem Ernst: Macht Ihnen nicht Sorge, was da zurzeit beispielhaft abläuft? Ich sehe, dass ein Unternehmen einen Arbeitgeberverband gründet, damit anschließend der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann; daraufhin wollen andere Unternehmen eine Gewerkschaft gründen, um dagegenzuhalten. Das ist doch eine Fehlentwicklung, die wir nicht mitmachen dürfen. Wir müssen alle auffordern, sich endlich an einen Tisch zu setzen und vernünftige Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer in diesem Bereich zu schaffen.
Wir werden den Weg der Zersplitterung von Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebervertretungen nicht mitgehen; denn wir sehen diesen Prozess mit großer Sorge. Unternehmen und Arbeitgeber versuchen in allen möglichen Branchen - einige waren bei Ihnen, Herr Müntefering -, den Mindestlohn und die Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, dazu zu benutzen, weniger Wettbewerb in ihren Branchen zu erreichen.
Das betrifft die Zeitarbeitsbranche, Entsorgungsfirmen und viele andere mehr. Die großen Unternehmen in den verschiedenen Branchen wollen den Wettbewerb mit den kleinen und mittleren Unternehmen minimieren. Sie bedienen sich dazu ausgerechnet des Instruments der Erklärung von Tarifverträgen für allgemeinverbindlich und des Entsendegesetzes. Herr Müntefering, wenn Sie oder wir auf diese Praktiken hereinfallen würden - ich bin sicher, dass Sie es nicht tun -, dann würden wir der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland einen Bärendienst erweisen. Die CDU/CSU und ich sind jedenfalls nicht bereit, diesen Weg mitzugehen.
Wettbewerb ist für mich das Schlüsselwort der sozialen Marktwirtschaft, wenn es um die Wirtschaft geht. Wenn weniger Wettbewerb herrscht, werden wir alle teuer dafür bezahlen. Letztendlich werden die Arbeitnehmer mit einer Maßnahme, die gut gemeint ist, bestraft.
Wir haben in einem weiteren Bereich etwas gemacht, was gut gemeint war, aber leider zu einer Fehlentwicklung geführt hat. Das betrifft die Hinzuverdienstmöglichkeiten beim ALG II. Wir müssen darangehen, diesen Bereich neu zu organisieren. Ich habe meine Zweifel, ob die von Ihnen bisher vorgeschlagene Lösung die richtige ist. Unabhängig davon haben Sie in einem Teilaspekt recht. Wir müssen bis zu einem Betrag von 1 200 Euro einen gleitenden Übergang erreichen und Brüche vermeiden. Wenn bei einem Betrag von 800 Euro ein neuer Bruch erfolgen würde, wäre das für das System genauso schlecht wie der Bruch bei jetzt 400 Euro. Wir müssen den unteren Teilbereich der geringen Einkommen neu organisieren - das betrifft auch die Anrechnung von Kindern -, damit sich eine Kombination von ALG II, einem Miniminijob und Schwarzarbeit nicht lohnt. Unternehmen und Arbeitnehmer arbeiten da zurzeit Hand in Hand. Wir dürfen diese Fehlentwicklung nicht hinnehmen.
Das Gleiche gilt für den Kinderzuschlag. Die derzeitige Situation ist skandalös. Wir müssen verfassungsgemäße Wege finden, damit nicht ein Geringverdiener, etwa einer in der Gruppe der Bezieher von Einkommen bis 1 200 Euro, für sein Kind nur ungefähr die Hälfte der Transferleistungen dessen bekommt, der keine Arbeit hat. Wir müssen das Problem intelligent mit Anreizen lösen, damit Kinder in diesem Einkommensbereich gleichgestellt werden und sich Arbeit für diejenigen lohnt, die Arbeit aufnehmen wollen.
Meine Damen und Herren, mein letzter Punkt sind die privaten Haushalte. Ich bin froh, dass wir in diesem Bereich endlich aktiv werden wollen, um die Ziele und die Anreize richtig zu setzen. Zurzeit hat keiner auf beiden Seiten - weder der Haushalt als Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer - ein Interesse daran, die Schwarzarbeit zu minimieren, damit die Leute in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse kommen. Wir haben ungefähr 200 000 gemeldete Stellen - Minijobs plus andere Beschäftigungsverhältnisse -, aber 4 Millionen Beschäftigte in den Privathaushalten. Es muss uns doch gelingen, wenigstens einige Hunderttausend dieser Beschäftigten in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, indem wir die richtigen Anreize setzen.
Das ist für mich soziale Marktwirtschaft. An diesen Kriterien - Wettbewerb, und was dient den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern in Deutschland, damit mehr Arbeitsplätze entstehen? - sollten wir die Maßnahmen und das Riesenpaket an Reformen, das wir jetzt vor uns haben, messen. Dann sind wir auf einem guten Weg, und dann werden wir diesen positiven Weg, hier vielfach beschrieben, zum Nutzen der Menschen in Deutschland weitergehen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Im Rahmen des Tagesordnungspunkts 3 kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6624 zur Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung. Die Fraktion der FDP hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6434 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die der weiteren Beratung folgen wollen, Platz zu nehmen, und diejenigen, die Gespräche führen wollen, dies nach Möglichkeit außerhalb des Saales zu tun. Ich möchte gerne in der Debatte fortfahren.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d sowie Zusatzpunkt 5 auf:
4. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens ?Kinderbetreuungsausbau“
- Drucksache 16/6596 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln, Fachkräften und Qualität ausstatten - Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen
- Drucksache 16/6601 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen - Realisierung nicht erst 2013
- Drucksache 16/6607 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren 2007
- Drucksache 16/6100 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Chancengerechtigkeit von Beginn an
- Drucksache 16/6597 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Thema ist eine gesellschaftspolitische Revolution. Wir reden heute über den Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland. Die politische Debatte darüber ist seit vielen Jahren im Gange. Die Saat ist mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, kurz: TAG, gesät worden. Dieses Gesetz ist unter Federführung von Renate Schmidt entstanden und am 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Es stellt einen ersten richtigen Schritt zur Ausweitung der Kinderbetreuung in Deutschland dar. Wir setzen diesen Weg fort mit der heute stattfindenden Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens ?Kinderbetreuungsausbau“. Das Ganze hat zum einen finanzielle Aspekte und zum anderen vor allen Dingen gesellschaftspolitische. Ich halte die gesellschaftspolitischen Aspekte und die damit verbundenen Weichenstellungen für viel wichtiger.
Zunächst einmal geht es um die Eltern, vor allen Dingen um die Mütter mit kleinen Kindern im Alter zwischen einem und drei Jahren. Was wir mit dem verstärkten Ausbau von Krippen- und Kindergartenplätzen in den Kommunen erreichen wollen, ist eine Veränderung der derzeitigen Situation. Die derzeitige Situation ist gekennzeichnet von einer Spaltung in Ost und West. Entgegen dem sonstigen Standard ist das Angebot an Kleinkinderbetreuungsmöglichkeiten wie Krippenplätzen im Osten viel besser als in Westdeutschland. Ich sage ganz persönlich: Ich hätte mir gewünscht, dass die besonderen Erfahrungen, die man in Ostdeutschland mit dieser Betreuung gemacht hat - als Kind bin ich selbst in dieser Form betreut worden -, viel früher Einfluss auf die Politik dieses Landes gehabt hätten.
Ich glaube, dass es Deutschland gutgetan hätte, wir hätten früher damit angefangen und hätten diese Erfahrung mit eingebracht.
Ich erinnere mich an jemanden, der die These vertreten hat - er ist dann niedersächsischer Justizminister geworden -, die überproportional starke rechtsextreme Einstellung in Ostdeutschland, die es durchaus gibt, rühre daher - so weit ging das! -, dass die Kleinkinder zusammen aufs Töpfchen gehen.
Da habe ich mich gefragt: In welcher Welt lebt dieser Kollege?
Ich halte es daher für richtig, dass wir in der Großen Koalition übereingekommen sind, den Ländern und den Kommunen finanziell deutlich unter die Arme zu greifen, auch wenn es nicht unsere originäre Aufgabe ist - eigentlich ist es gar nicht unsere Aufgabe -, uns als Bund um dieses Thema zu kümmern.
Eigentlich haben wir gar keine Veranlassung, dafür Geld bereitzustellen. Aber das ist ein Thema, bei dem man nicht nur zuschauen kann, bei dem es um das langfristige soziale Zusammenleben in diesem Land geht. Das hat auch eine ökonomische Komponente, die für den Bund natürlich mit entscheidend ist, nämlich dass möglichst viele Frauen, wenn sie gut ausgebildet sind
- natürlich sollten auch die Männer ihre Kinder betreuen -, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich leben können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ina Lenke?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Ja, bitte sehr.
Ina Lenke (FDP):
Von der Regierungsbank will ich überhaupt nichts hören. Sie haben hier gar nichts zu sagen, wenn wir als Parlamentarier diskutieren.
Ich habe eine Frage an den Kollegen. Herr Schneider, Sie haben gesagt, dass das Parlament in Berlin mit der Kinderbetreuung eigentlich nichts zu tun hat. Da habe ich genau hingehört. Ich würde Ihnen gern Art. 3 des Grundgesetzes entgegenhalten, nach dem der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Deshalb fühle ich mich als Parlamentarierin im Bundestag dazu aufgerufen, von hier aus zu helfen. Sie sind sicherlich meiner Meinung, oder?
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Lenke, ein Blick ins Gesetzbuch und gerade ins Grundgesetz ist meistens gut; vielen Dank. Ich wollte damit sagen, dass wir von der Ausgabeseite her zwar eigentlich nicht dafür zuständig sind, dass wir als Bund aber natürlich ein Gesamtinteresse haben. Wir wollen den Ländern und Kommunen einen Schub geben, dass sie die von uns als richtig erkannte Weichenstellung mittragen, die Benachteiligung, die es in diesem Bereich bisher gibt, weil zu wenig Betreuungsplätze vorhanden sind, abzubauen. Dafür stellen wir Mittel bereit.
Andersherum habe ich es noch nie erlebt, dass ein Bundesland oder eine Kommune sich an friedenserhaltenden Maßnahmen finanziell beteiligt hat. Wir beteiligen uns in diesem Fall trotzdem, weil uns dieses Projekt viel zu wichtig ist, als dass es scheitern dürfte. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht die Priorität in diesem Land gehabt.
Ich bin froh, dass sich das jetzt ändert; denn es geht gerade für Frauen und Männer um einen entscheidenden Punkt: um die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie. Ich bin selbst junger Familienvater; ich habe eine anderthalbjährige Tochter. Meine Frau ist seit einem halben Jahr wieder im Beruf, und ich weiß, wie schwierig es ist, die Familie und eine Vollzeitstelle zu verknüpfen. Ich weiß aber auch, wie wichtig es für sie war - bei uns in Erfurt ist es so, dass jeder, der möchte, einen Kinderbetreuungsplatz bekommt -, wieder arbeiten gehen zu können.
Dies hat auch viel mit Selbstachtung und Selbstverwirklichung zu tun.
Wenn die Gesellschaft das, was sie braucht - nämlich mehr Kinder -, tatsächlich haben will, dann müssen wir in diesen Bereich investieren. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir - das möchte ich klar sagen - an dieser Stelle Schwerpunkte setzen.
Mit diesem Sondervermögen investieren wir in den ersten Jahren 2,15 Milliarden Euro, damit die Betreuungsplätze nicht nur personell ausgestattet sind, sondern überhaupt erst geschaffen werden; das ist entscheidend. 2,15 Milliarden Euro ist ein sehr hoher Betrag. Das zeigt unsere Schwerpunktsetzung. Das verbessert sozusagen die Qualität unserer Staatsausgaben, weil das zukunftsgewandt ist. Das führt die Finanzpolitik des Finanzministers der vergangenen Jahre fort. Ich bin froh, dass er - wie auch wir Haushalts- und Finanzpolitiker - gesagt hat: Wir sind dabei. Das ist sehr wichtig. Ich bin gern bereit, dafür Geld zur Verfügung zu stellen.
Dafür stellen letztendlich ja die Bürgerinnen und Bürger diesem Staat ihr Geld in Form von Steuern zur Verfügung.
Ich möchte aber gerne noch ein paar andere Punkte ansprechen. Eine Frage ist, ob mit dieser Schwerpunktsetzung Ungerechtigkeit einhergeht. Hier gibt es ja zwischen uns und der Union - das wird von Unionsseite sicherlich auch noch vorgetragen - einen Dissens. Gerade vonseiten der CSU wird gefordert, dass wir zusätzlich zum Ausbau der Plätze in Kindertagesstätten ein Betreuungsgeld einführen. In diesem Zusammenhang möchte ich fragen: Gibt es denn bisher Gerechtigkeit zwischen denen, die Kinder haben und arbeiten möchten, und denen, die Kinder haben und zu Hause bleiben wollen? Ich sage, die gibt es nicht.
Es gibt nämlich derzeit nicht überall ein passendes Angebot. In Ostdeutschland gibt es dies. Nicht umsonst ist Potsdam als familienfreundlichste Stadt ausgezeichnet worden. Dagegen zahlen Freunde von mir, die in Baden-Württemberg leben und in Stuttgart arbeiten, für die Betreuung ihres kleinen Sohnes, den sie vor kurzem bekommen haben, 800 Euro an eine Tagesmutter. Bei einem Halbtagsjob wird es schon schwierig, so viel Geld netto, also aus versteuertem Einkommen, zu verdienen.
Es ist dann nicht mehr attraktiv, arbeiten zu gehen. Ich halte es für eine Benachteiligung, wenn denen, die arbeiten gehen wollen und zum Sozialprodukt dieses Landes beitragen wollen, im Endeffekt nichts übrigbleibt.
Diejenigen, die in dieser Frage Wahlfreiheit haben - ich will, dass es Wahlfreiheit gibt; jeder soll das für sich selbst entscheiden können; ich will niemandem vorschreiben, was er zu tun hat -, werden bereits gefördert, wenn sie sich für die Betreuung zu Hause entscheiden. Ich nenne beispielsweise das Ehegattensplitting. Hierdurch werden Alleinverdiener bevorteilt.
Es handelt sich um Steuerbeträge von mehreren Milliarden Euro, auf die wir durch Einräumung dieser Möglichkeit verzichten. Ein weiterer zusätzlicher Vorteil, der zusammen mit dem genannten berücksichtigt werden muss, besteht in der Möglichkeit zur kostenlosen Mitversicherung des Ehepartners - es kann sich ja auch um den Ehemann handeln - in der Krankenversicherung.
Wenn wir nun ein Betreuungsgeld einführen würden - darüber wird es ja eine politische Diskussion geben -, kostete das mindestens 2 bis 2,7 Milliarden Euro.
Ich frage Sie: Sind 2,7 Milliarden Euro nicht besser angelegt in der Ermöglichung wirklicher Wahlfreiheit, in der Schaffung eines qualitativ viel besseren Angebots, zum Beispiel in Form kleinerer Gruppen, und vielleicht darüber hinaus in der Senkung der Gebührensätze sowie am Ende sogar in einer kompletten Kostenbefreiung? Warum muss für einen Kindergartenplatz gezahlt werden, aber nicht für die Schule? Ich bin nicht für die Einführung eines Schulgeldes - auf keinen Fall! Ich denke aber, dass es sehr wichtig ist, gerade Kindern aus bildungsfernen Schichten im Kindergarten bzw. in der Kinderkrippe möglichst frühzeitig - die Wissenschaftler sagen ja, dass man hier ganz frühzeitig ansetzen muss - die Möglichkeit zu geben, das Beste aus sich zu machen. Denn dank der PISA-Studie wissen wir, wie sehr Bildungsarmut aufgrund sozialer Selektion vererbt wird. Wäre es angesichts dessen nicht am besten, wenn Kindergarten- bzw. Kinderkrippenplätze kostenfrei angeboten würden? Ich denke, wir sollten diesen Weg beschreiten und hier unsere Prioritäten setzen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass dieses Gesetz unser Land verändern wird. Wir beschließen ja hier sehr oft und sehr viel. Ich glaube aber, dass dieses Gesetz entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist und maßgeblich zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit beiträgt; denn - ich habe das vorhin angesprochen - gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund ist es entscheidend, dass sie im Kindergarten bzw. in der Kinderkrippe schon als Kleinkinder Deutsch lernen, mit anderen Kindern zusammen sind und ihnen insgesamt die Möglichkeit gegeben wird, ihre Fähigkeiten am besten zu entfalten. Von daher handelt es sich bei diesem Gesetz nicht nur um eine finanzielle Angelegenheit; es geht nicht nur um ökonomische Fragen und darum, dass Frauen und Männer arbeiten können und damit die Erwerbstätigenzahlen gesteigert werden, sondern es geht auch um die Frage von sozialer Gerechtigkeit. Von daher bin ich froh, dass wir dieses Gesetz, das ursprünglich bereits von Renate Schmidt angestoßen wurde, heute auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich komme nun zurück zum Tagesordnungspunkt 3 und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6624 zur Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung bekannt: Abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 98, mit Nein haben gestimmt 466, enthalten haben sich 6 Kollegen. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Nun fahren wir in der Debatte fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
Otto Fricke (FDP):
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, eines muss man bei dieser Debatte als Opposition ganz klar festhalten: Wir streiten uns nicht mehr über die Frage des Ob der Betreuung der unter Dreijährigen, sondern um die Frage des Wie.
Wir sind da in unserem Lande, auch wenn immer noch versucht wird, Streitigkeiten zu erzeugen, viel weiter gekommen. Ich glaube auch nicht, dass es uns bei der Frage des Wie und der Frage, was für die Kinder und die Familien am besten ist, wirklich weiterbringt, noch über das Ob zu diskutieren.
Bei der Frage des Wie kommen wir an einen ganz entscheidenden Punkt: Was ist bei der Frage, wie das Geld bei denen ankommt, die es brauchen, zu beachten? Zu beachten ist, dass der Bürger erkennen können muss: Wer ist verantwortlich, wer gibt das Geld aus, wie viel kostet es - das sollte man gerade mit Blick auf die Kinder sehen, denen man die Schulden auferlegt -, und wen kann ich ansprechen, wenn es nicht funktioniert? An dieser Stelle hat die Koalition nach unserer Meinung schlicht versagt.
Die Gründe dafür sind einfach. Wir machen eine Mischfinanzierung und werden jetzt ein Sondervermögen anlegen. Die Länder werden dann Berichte erstellen, wie das Geld grob zu verteilen ist, und in den Kommunen wird geschaut, wie das umgesetzt wird. Die einzelne Kinderkrippe und die einzelne Kinderbetreuungseinrichtung werden das Geld erst verspätet bekommen. Wenn sie es nicht bekommen und fragen, wer dafür zuständig ist, wird wieder - das erleben wir doch - von der Kommune aufs Land verwiesen und vom Land - die Länder müssten eigentlich heute hier vertreten sein - auf den Bund. Das wird geschehen, wenn angeblich irgendetwas nicht funktioniert und irgendeine Verordnung nicht stimmt. Dieses Risiko, liebe Große Koalition, tragen Sie; Sie haben die Verantwortung, wenn im Wirrwarr unserer Verwaltung wieder einmal manches untergeht.
Der zweite Punkt. Warum schaffen Sie eigentlich dieses Sondervermögen? Sie könnten doch jedes Jahr im Haushalt etwas dafür einstellen. Der Grund liegt darin, dass der Finanzminister das eigentlich ganz anders haben wollte als die Familienministerin, die ihm das eingebrockt hat. Die Familienministerin hat gesagt: Ich bin zwar gesetzgebungsmäßig nicht zuständig;
aber gefühlt bin ich doch zuständig - das Gefühlte ist in der Politik ja im Moment wichtiger als der Verstand -, also mache ich das. - Darauf hat der Finanzminister festgestellt, dass das aber eine zu hohe Belastung bedeutet; denn er will - das ist der eigentliche Grund für dieses Sondervermögen - zeigen, wie die Neuverschuldung jedes Jahr weiter abgebaut wird. Also wird in diesem Jahr ein Sondervermögen angelegt - wir haben ja Steuermehreinnahmen, was gut ist -, damit die Neuverschuldung nicht im nächsten Jahr wieder steigt.
Der nächste Punkt ist: Man war nicht bereit, das Ganze auf die Kommunen zu übertragen.
Übrigens glaube ich, dass der Bund dazu anders als die Länder bereit gewesen wäre. Diese Große Koalition wäre mit ihrer Zweidrittelmehrheit in der Lage gewesen, das zu tun.
Sie hätte den Kommunen Umsatzsteuerpunkte geben können. Aber sie hat es nicht getan, besonders deswegen nicht, weil die Länder das nicht wollten. Die Länder haben hier die klebrigen Finger. Das ist der eigentliche Grund, warum das Ganze nicht an die Kommunen übertragen wird. Für meine Fraktion steht klar und deutlich fest: Das Geld muss den Kommunen gegeben werden. Sie sind in der Verantwortung und werden vom Bürger angesprochen, wenn etwas nicht richtig funktioniert.
Mein letzter Punkt. In Bezug auf die weitere Belastung weise ich darauf hin, dass es auch in späteren Jahren - das sage ich ganz bewusst; das wird nämlich 2013 sein, wenn es diese Große Koalition gar nicht mehr gibt; davon gehen wohl auch die einzelnen Parteien der Großen Koalition aus - die Verpflichtung gibt, 770 Millionen Euro pro Jahr für die Betreuung auszugeben. Herr Minister, das werden sich die Haushälter ganz genau anschauen. Im Moment können Sie das noch verdecken, weil es nicht in der Finanzplanung ist. Aber faktisch belasten wir heute, auch wenn das keine gesetzliche Verpflichtung ist, den Bund weiter mit zusätzlichen Ausgaben für etwas in der Sache Gutes; aber wir sorgen nicht dafür - das sollte eigentlich die Hauptverpflichtung gegenüber den Kindern sein -, dass die Verschuldung abgebaut wird und wir unseren Kindern nicht nur eine gute Kinderbetreuung hinterlassen, sondern auch möglichst wenig Schulden. Daran müssen wir noch arbeiten.
Als Schlusswort, liebe Große Koalition: Kommen Sie bitte nicht am Ende des Jahres oder im nächsten Jahr damit, dass das alles nicht so gut läuft, weil Sie nicht erwartet haben, was es an verwaltungsmäßigen Kompliziertheiten gibt.
Die Bürger, die Kinder, die Familien werden Sie daran messen, welches Geld bei ihnen ankommt, und wir werden Sie erst recht daran messen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Steffen Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für diejenigen, die schon etwas länger im Parlament sind, ist es eine eher merkwürdige Debatte: Es soll über Familienpolitik debattiert werden, und die Haushaltspolitiker eröffnen die Debatte. Es wird nicht nur die Familienministerin, sondern auch der Finanzminister reden. Die Verbindung dieser wichtigen Politikbereiche macht deutlich, dass es einen erheblichen Bedeutungs- und Wahrnehmungswandel hinsichtlich der Familien in unserer Gesellschaft und in der Großen Koalition gibt
und dass die Familienpolitik vom Rand ins Zentrum des Regierungshandelns und des parlamentarischen Handelns rückt.
Der Kollege Schneider hat deutlich gemacht, dass Haushaltspolitik eben nicht nur Erbsenzählerei ist und sich nicht nur mit Plus, Minus und Schulden beschäftigt, sondern als zentralen Kern auch Gesellschaftspolitik enthält. Es ist auch eine gesellschaftspolitische Entscheidung, wofür der Staat Geld ausgibt und wofür nicht. Die Entscheidung, die heute ansteht, zeigt die steigende Wertschätzung für die Menschen in unserem Land, die sich für Familie und Kinder entscheiden.
Dabei geht es uns aus Haushältersicht nicht nur darum, immer mehr Titel für die Familien im Haushalt zu schaffen, sondern es geht natürlich auch darum, die Qualität der familienpolitischen Instrumente zu verbessern und die Zielsetzung der Bundesregierung darauf auszurichten. Ein zielgenauerer Einsatz der Gelder, die wir für die Familie investieren, bedeutet im Ergebnis mehr Möglichkeiten und mehr Entscheidungsfreiheit für die Familien. Das ist das eigentliche Signal, das von dieser Finanzdebatte an die Bevölkerung gehen soll.
Worum geht es im Detail? Der heutige Vorschlag, die Förderung für die unter Dreijährigen zu verbessern, muss in die Gesamtstrategie eingebettet werden, die wir im Bundeshaushalt und in der Familienpolitik in den vergangenen zwei Jahren entwickelt haben. Der erste Schritt ist bereits erfolgt. Bei diesem Schritt geht es um die materielle Wahlfreiheit. Ich nenne das Stichwort Elterngeld. Das Elterngeld ist neben dem Ehegattensplitting ein zentrales Instrument der materiellen Wahlfreiheit, das insbesondere in der Mitte dieser Gesellschaft wirkt, also da, wo sich immer weniger Menschen, wie wir festgestellt haben, für die Familie entscheiden. Dort bedarf es der Sicherstellung einer materiellen Organisationsfreiheit; dort müssen wir investieren. Deswegen war das Signal, das von der Einführung des Elterngeldes ausging, für die Mitte unserer Gesellschaft so wichtig.
Der zweite Schritt wird heute eingeleitet. Dabei ist es mir wichtig, Folgendes festzuhalten: Aus Sicht der Unionsfraktion ist trotz der Ausweitung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten klar, dass der große Teil der unter Dreijährigen auch zukünftig in den Familien, also von den Eltern, erzogen wird. Auch das ist ein wichtiges Signal, das von dieser Debatte ausgeht.
Wir wollen bis zum Jahre 2013 schrittweise für etwa ein Drittel der Menschen auch die organisatorische Wahlfreiheit ausbauen. Für diejenigen Menschen, die ihre unter dreijährigen Kinder nicht in der Familie erziehen wollen - über die Gründe sollte die Politik nur zurückhaltend urteilen -, brauchen wir Betreuungsangebote. Diese Menschen verdienen unseren Respekt und keine Anklage. Der Staat ist hier in der Pflicht, diese Lebensentscheidung zu respektieren. Im Übrigen soll denjenigen, die sich aufgrund organisatorischer Mängel bisher schwertun, sich für Kinder und Familie zu entscheiden, diese Entscheidung erleichtert werden. Es handelt sich also um eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte über eine an sich haushaltspolitische Entscheidung.
Mit diesem Gesetz werden wir noch in diesem Jahr ein Sondervermögen errichten. Den Familien ist es relativ egal, woher das Geld kommt. Hauptsache ist,
dass wir denjenigen, die für die Kinderbetreuung und für die dort notwendigen Investitionen zuständig sind, das Geld kurzfristig und bedarfsgerecht zur Verfügung stellen. Mit unserer verfassungskonformen Lösung gehen wir diesen Weg. Wir sollten nicht in eine Finanzverfassungsdebatte - wie vorhin die Kollegin von der FDP - eintreten und uns streiten,
sondern einen vernünftigen Weg finden, damit die Investitionen dort ankommen, wo sie tatsächlich benötigt werden.
Es können damit Betreuungsplätze eingerichtet, ausgebaut und saniert werden. Es können Ausstattungsmaßnahmen durchgeführt werden. Es kann in den Ausbau der Kindertagesbetreuung investiert werden. Dieses unbürokratische Vorgehen ist ein wichtiges Signal an diejenigen, die Verantwortung für die entsprechenden Investitionen in den Kommunen tragen. Wir wollen die Familien nicht aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen im Regen stehen lassen. Wir haben eine Aufgabe, und diese Aufgabe wollen wir mit diesem Gesetz erfüllen.
Ich habe vorhin ausgeführt, dass ich der Auffassung bin, dass ein Beitrag der Haushaltspolitik darin besteht, dass wir die Gelder dorthin transportieren, wo sie tatsächlich hingehören. Wir sind gebrannte Kinder. Im Rahmen verschiedener Gesetzgebungsmaßnahmen hat der Bund Geld zur Verfügung gestellt; die Gemeinden haben aber gesagt: Es kommt nicht bei uns an. Deswegen ist ein wichtiger Baustein dieses Gesetzes die Verwaltungsvereinbarung, die vom entsprechenden Hause feder-Leyen beschlossen worden ist.
- Was habe ich gesagt?
- Ich wollte ?federführend“ sagen.
Zwei Dinge sind mir besonders wichtig: Erstens. Wir kontrollieren, dass das Geld auch tatsächlich für den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze ausgegeben wird. Wenn es nicht für entsprechende Investitionen verwendet wird - Herr Kollege Steinbrück, ein Versprecher fällt mir auch noch zu Ihnen ein; keine Sorge -, dann gibt es Ärger. Wir wollen, dass das Geld dort ausgegeben wird, wo Betreuungsplätze benötigt werden, wo die Familien es tatsächlich brauchen. Einige schreien, das sei Bürokratie. Meines Erachtens ist in diesem Fall Bürokratie notwendig, damit wir diese Mittel nicht mit der Gießkanne verteilen, sie letztendlich in den Länderhaushalten versickern und die Kommunen sich auf die Suche begeben und fragen, wo die Gelder geblieben sind. Dann klagen die Familien nämlich uns an, weil wir nicht dafür gesorgt haben, dass das Geld dort angekommen ist, wo es hingehört, nämlich in der Betreuungsinfrastruktur der unter Dreijährigen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Der Kollege Fricke ist sehr bekannt für gute Zwischenfragen; deswegen sehr gerne, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege Kampeter, dem, was Sie gerade in Bezug auf die richtige Verwendung der Gelder gesagt haben, stimme ich im Grundsatz zu.
- Sogar vollständig, weil wir alle im Haushaltsausschuss diese Erfahrung gemacht haben.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Darüber sollten Sie vielleicht einmal mit der Kollege Lenke diskutieren.
Otto Fricke (FDP):
Darüber brauche ich mit der Kollegin Lenke gar nicht zu diskutieren. Sie weiß das meistens besser als mancher Haushälter.
Herr Kollege Kampeter, Sie haben gerade gesagt, dass es, wenn die Länder das Geld nicht dafür verwenden, wofür es vorgesehen ist, Ärger gibt. Das hört sich stark an; Sie wirken ja auch am Rednerpult stark. Für mich stellt sich aber die Frage: Wie machen Sie das? Was machen Sie denn dann? Sagen Sie mehr als: ?Das ist böse, was ihr da gemacht habt!“? Oder enthält das Gesetz wirklich eine Regelung, damit Sie sagen können: ?Das ist eine Fehlverwendung. Wir streichen euch die Gelder, bzw. ihr müsst sie zurückgeben“?
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Kollege Fricke, als Jurist sollten Sie wissen: Ein Blick ins Gesetz und in die Verwaltungsvereinbarungen hilft immer weiter. Wir haben das Verfahren klar geregelt - Kollege Steinbrück nickt -: Die Gelder werden nur auf Antrag für bestimmte Maßnahmen, die ich hier aufgezählt habe, bewilligt. Zweitens machen wir ein Monitoring, um sicherzustellen, dass der Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen vorangeht. Das ist im Vergleich mit allen vorherigen Gesetzen, bei denen wir behauptet haben, Geld für die Familien auszugeben, ein Gesetz, das den zielgenauesten und im Übrigen auch unbürokratischsten Einsatz garantiert.
Damit sorgen wir dafür, dass das Geld da ankommt, wo es erforderlich ist, nämlich in den Gemeinden, die die Aufgaben zu lösen haben, die sich im Zusammenhang mit der Betreuung von unter Dreijährigen stellen. Damit setzen wir Maßstäbe. Das ist vorbildlich und familienfreundlich.
Ein weiterer Punkt ist der Zuschuss für den Betrieb. Die Begeisterung der Finanzpolitiker darüber ist eingeschränkt;
der Kollege Fricke hat darauf hingewiesen. Wir sind der Auffassung, dass das eigentlich Ländersache ist. Aber auch hier gilt: Wenn sich die Länder nicht ihrer Verantwortung für die Familien stellen, sollten wir die Familien nicht darunter leiden lassen. Das muss jedoch langsam wirklich der letzte Vorgang sein, bei dem die Länder erst Kompetenzen übernehmen wollen, aber im nächsten Schritt eine Finanzierung durch den Bund fordern. Unter Kaufleuten gilt das als unanständiges Verhalten. Das sollte kein Regelfall sein. Das bedeutet einen Abzug in der B-Note. Das ist ein Mangel dieses Gesetzes; das will ich nicht verschweigen.
Unser Verhalten nützt aber unter dem Strich den Familien; auch das muss man klar sagen.
Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist die Verbindung zwischen dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige und dem Betreuungsgeld. Für die Unionsfraktion ist klar, dass das eine nur kommt, wenn das andere vereinbart wird.
Deswegen wird im anstehenden Gesetzgebungsverfahren deutlich zu machen sein - das bezieht sich nicht auf dieses Gesetz, sondern auf das Folgegesetz hinsichtlich des Sozialgesetzbuches -, in welcher Art und Weise das umgesetzt werden soll. In der Koalition sind wir diesbezüglich, so glaube ich, auf einem guten Weg. Der Kollege Singhammer wird alles, was in diesem Zusammenhang zum Sozialgesetzbuch VIII gesagt werden muss, vortragen.
Insgesamt finde ich: Dies ist ein guter Tag für die Familien, weil wir eine Aufgabe lösen, die die Familien an uns herangetragen haben. Es ist ein guter Tag für die Haushalts- und Finanzpolitik, weil wir den nahezu schon zu frechen Forderungen in Höhe von 7 oder 8 Milliarden Euro, die wir hier investieren sollten, nicht nachgekommen sind, sondern gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister und der Bundesfamilienministerin eine Obergrenze festgelegt haben und dafür Sorge getragen haben, dass das Geld tatsächlich bei den Familien ankommt und nicht in den Länderhaushalten versickert.
Dies ist insgesamt ein guter Tag für die Große Koalition, weil wir Handlungsfähigkeit bewiesen haben und deutlich gemacht haben, dass wir zur Lösung der Probleme, die die Menschen in diesem Land haben, einen vernünftigen Beitrag leisten können. Wir wissen, dass bei der Erziehung die Hauptaufgabe bei den Familien selbst liegt. Aber wir als Staat, wir als Große Koalition wollen in dem Maße, in dem wir es können, helfen. Deswegen ist dies ein guter Vorschlag.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.
Diana Golze (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe jeder Politikerin und jedem Politiker recht, wenn sie oder er sagt, dass mit dem heute vorliegenden Gesetzesvorhaben zur Errichtung eines Sondervermögens ?Kinderbetreuungsausbau“ ein wichtiger Schritt gemacht wird. Es ist gut, dass in den letzten Monaten Dynamik in diese Debatte gekommen ist. Es ist auch gut, dass es hier zu einem Prozess des Umdenkens der politisch Handelnden gekommen ist: weg von der Stigmatisierung der Kindertagesbetreuung und hin zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Kindertagesstätten. Diese Leistung muss man Ihnen, Frau von der Leyen, unumwunden zugestehen.
Ja, es ist gut, dass es intensive Gespräche mit den Ländern gegeben hat. Es ist natürlich auch gut, dass es zu einer grundsätzlichen Einigung zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die Wichtigkeit dieses Themas und letztlich über die Umsetzung des Ausbaus gekommen ist. Ja, es ist gut, dass Herr Steinbrück schlussendlich das nötige Signal der Mitfinanzierung dieses Vorhabens durch den Bund in Form dieses Sondervermögen gegeben hat.
Doch vor allem angesichts der Höhe des Sondervermögens stellt sich die Frage, wie ein Kinderbetreuungsangebot aussehen wird, das mit einer solchen Summe ausgebaut wird. Damit bin ich bei dem, was die Linke zum einen an diesem Sondervermögen und dessen gesetzlicher Ausgestaltung und zum anderen an den vorgesehenen Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz kritisch betrachtet.
Bei einem Blick in die Historie der Kindertagesbetreuung wird schnell offensichtlich, dass das, was heute als großer Durchbruch gefeiert wird, letztlich ein Ablenkungsmanöver kurz vor Fristablauf ist.
Das Tagesbetreuungsausbaugesetz ist mit dem Datum 27. Dezember 2004 versehen. Heute, am Tag der Debatte über die nötige Finanzierung, schreiben wir den 11. Oktober 2007. Angesichts der zeitlichen Abläufe und der Fristen von der Verabschiedung des Gesetzes 2004 bis zur Schaffung des Sondervermögens 2007 bin ich gespannt, wann die Bundesrepublik endlich das große Ziel erreicht, auf einen vergleichbaren Stand wie Schweden, Dänemark oder Frankreich zu kommen.
Eine solche Politik geht zulasten der Kinder, die schon jetzt von einer guten Tagesbetreuung profitieren sollten. Es ist schon beachtlich, Frau von der Leyen, wie Sie es geschafft haben, der Öffentlichkeit den ausgehandelten Kompromiss zum ab 2013 bestehenden Rechtsanspruch als Erfolg zu verkaufen,
obwohl dieser laut Tagesbetreuungsausbaugesetz bereits 2010 gelten sollte.
Es ist vielleicht eines der Glanzstücke des Politikmarketings, ein großes Versagen als immensen Schritt nach vorn zu verkaufen.
Denn das neue Vorhaben, nicht 2010, sondern erst 2013 einen solchen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu garantieren, sehe ich nicht als Erfolg, sondern als weiteren traurigen Beweis verfehlter Kinder- und Familienpolitik.
Nennen Sie die Dinge beim Namen, Frau Ministerin! Die Bundesrepublik Deutschland erreicht das durch die rot-grüne Bundesregierung gesetzlich verbriefte Ziel, bis 2010 ein bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsnetz auszubauen, nicht einmal ansatzweise. Im Bericht des Familienministeriums zum Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung vom 12. Juli 2007 war man ehrlicher. Da heißt es, dass der Ausbau von einer geringen Dynamik gekennzeichnet ist. Man schlussfolgert auf Seite 4 - ich zitiere -:
Die bisherige Entwicklung reicht damit nicht aus, um das Ausbauziel des TAG zu erreichen.
Das war im Juli dieses Jahres.
Die Bundesrepublik wird im Jahre 2013 auf einem Stand sein, der schon jetzt, im Jahre 2007, nicht ausreichend ist. In § 24 a Abs. 4 des TAG steht - ich zitiere wieder -:
Solange das erforderliche Angebot noch nicht zur Verfügung steht, sind bei der Vergabe der neugeschaffenen Plätze
1. Kinder, deren Wohl nicht gesichert ist, und
2. Kinder, deren Eltern oder alleinerziehende Elternteile eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit aufnehmen ...,
besonders zu berücksichtigen.
Sie wollen mit diesem Sondervermögen ein Kinderbetreuungsnetz aufbauen, das 35 Prozent der in der Bundesrepublik lebenden Kinder einen Kita-Platz liefert. Dieses Angebot wird nicht für alle Kinder ausreichen, die dies in Anspruch nehmen wollen. Ich befürchte, dass, wie schon jetzt, leider auch in meinem Bundesland Brandenburg die Kinder von erwerbslosen Eltern vom Besuch einer Kita ausgeschlossen bleiben. Das hätte dann nichts, aber auch gar nichts mit einem Rechtsanspruch für jedes Kind zu tun; denn dieser muss unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern gelten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Diana Golze (DIE LINKE):
Da sie wahrscheinlich wieder keine Frage stellt, werde ich das heute nicht zulassen.
Gleichzeitig frage ich mich, warum Sie Ihren eigenen Anreizgesetzen so wenig Vertrauen schenken. Sollte Ihre Elterngeldlogik aufgehen, würde es 2013 mit den geschaffenen Plätzen recht eng in den Kitas und Tagespflegestuben. Gut wäre es gewesen, wenn Sie sich nicht nur darauf festgelegt hätten, wann dieser Rechtsanspruch für unter Dreijährige kommt, sondern was der Rechtsanspruch umfasst: ob er für alle Kinder gilt und wie lange Kinder mit diesem Rechtsanspruch in der Kita betreut werden können. Dazu schweigt sich die Bundesregierung einmal mehr aus.
Nun werden Sie mir vielleicht sagen, dass dies nicht in das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens gehöre. Aber ich sage Ihnen: Ein Rechtsanspruch macht aus unserer Sicht nur dann einen Sinn, wenn er auf das Kind bezogen festgeschrieben ist.
Nur dann entspricht er dem, was Sie, Frau von der Leyen, mit Ihren eindrucksvollen Rechenbeispielen von einem Podium zum nächsten tragen, nämlich einem Angebot, das kein Kind vor der Kita-Tür stehen lässt, das kein Kind von der Betreuung halb- oder ganztags ausschließt, weil seine Eltern nicht in der glücklichen Situation sind, einen Nachweis über die wirtschaftliche Notwendigkeit der Betreuung vorzulegen. Das sollten Sie dann auch klar und deutlich sagen, Frau Ministerin.
Wenn Erwerbstätigkeit der Eltern weiterhin der Maßstab ist, dann wird das Gesetz in der Tat zu dem, wie Sie es verfassungsmäßig begründen. Hier muss auch ich leider auf die Verfassungsmäßigkeit eingehen. Den Ausbau der Kinderbetreuung und die dazu nötige Anschubfinanzierung mit Art. 104 b des Grundgesetzes zu begründen, ist mehr als fragwürdig. In Art. 104 b heißt es - ich zitiere erneut -:
Der Bund kann ... den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden ... gewähren, die
1. zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder
2. zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder
3. zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir als Fraktion Die Linke verwahren uns dagegen, dass Kinder auf ein Instrument zur Förderung der Wirtschaftskraft reduziert werden.
Wir wollen nicht, dass der Ausbau der Kinderbetreuung zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtlichen Gleichgewichts herangezogen wird. Wir wollen nicht, dass er als ausgleichendes Moment für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen dienen soll. Und all dies nur wegen Ihrer verkorksten Föderalismusreform!
Wir wollen, dass eine Kindertagesbetreuung entsteht, die vorrangig ein Ziel hat: qualitativ hochwertige frühkindliche Förderung und Bildung für jedes Kind unabhängig vom Erwerbsstatus oder der Herkunft seiner Eltern.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, hochwertige Betreuung setzt auch einen Betreuungsschlüssel voraus, der Erzieherinnen und Erzieher in die Lage versetzt, dem Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsanspruch, der an Kindertagesbetreuung heute gestellt wird, gerecht zu werden. Auch setzt sie voraus, dass genügend Erzieherinnen und Erzieher da sind. Kein Wort dazu in den vergangenen Wochen von der Bundesregierung. Ich frage Sie: Wer soll die Kinder in den vielen neuen Kitas betreuen?
Hochwertige Betreuung setzt eine gute Ausbildung und übrigens auch eine gute Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher sowie für Tagesmütter und Tagesväter voraus.
Kein Wort dazu in den vergangenen Wochen von der Bundesregierung.
Wie soll die Kinderbetreuung in den kommenden Jahren aussehen? Welche Mindestanforderungen stellen wir? Was sind die Qualitätsstandards? Kein Wort dazu in den letzten Wochen von der Bundesregierung.
Die Länder und Kommunen werden diese Fragen sicherlich stellen, spätestens dann, wenn die Kitas fertiggestellt sind und man nach qualifiziertem Personal sucht. Denn alle politischen Kräfte fordern qualifiziertes Personal. Niemand will irgendeine beliebige Betreuung. Alle wollen eine qualitativ hochwertige.
Schließlich und endlich komme ich auf das politische Hintertürchen zu sprechen, das Sie der CSU gelassen haben, Frau von der Leyen. Ich spreche von der Einführung des sogenannten Betreuungsgeldes. Dadurch rücken Sie Ihre eigene Debatte in ein fragwürdiges Licht. Durch diesen Passus der Begründung, auch wenn er mit der Formulierung ?soll eingeführt werden“ versehen ist, wird die Diskussion über die Rolle der öffentlichen Kindertagesbetreuung weit zurückgeworfen. Mit dieser Absichtserklärung werden wieder die alten Diskussionen über Bildung und Betreuung einerseits und Förderung, Erziehung und Elternsorge andererseits eröffnet.
Ich kenne diese Diskussionen, Frau Ministerin. Sie endeten bisher nie dort, wo Sie mit Ihrem Vorstoß eigentlich hin wollten. Diese Debatten führen immer wieder in die Rabenmüttersackgasse, die Sie eigentlich überwinden wollten. Dass sich elterliche Sorge und öffentliche Kindertagesbetreuung ergänzen, wobei die öffentliche Kindertagesbetreuung die Erziehung der Kinder fördern, sie den Eltern aber nicht abnehmen soll, davon lenkt die Debatte über das Betreuungsgeld ab. Dadurch werden diese zwei Aspekte in unzulässiger Weise gegenübergestellt.
Ihr großzügiges Zugeständnis wird sich nicht positiv auf das ursprüngliche Ziel auswirken. Dadurch werden die Unterschiede noch größer gemacht: Die einen bekommen einen Kitaplatz, die anderen das Betreuungsgeld. Ich hoffe immer noch auf den bereits mehrmals deutlich artikulierten Widerstand der SPD-Familienpolitikerinnen und der SPD-Familienpolitiker. Außerdem hoffe ich, dass Frau Fischbach recht hat. Sie hat im Rahmen einer Diskussionsrunde beim Deutschen Jugendinstitut gesagt - da diese Veranstaltung öffentlich war, darf ich das hier wiederholen; außerdem war auch die Ausschussvorsitzende dort -: Das Betreuungsgeld wird nicht kommen; darauf gebe ich Ihnen mein Wort. - Ich hoffe darauf.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin Nicolette Kressl.
Nicolette Kressl (SPD):
Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie haben in Ihrer Rede wieder eine Reihe von unzulässigen Vermischungen vorgenommen und unzulässige Behauptungen aufgestellt.
Ich will nicht auf alle eingehen; aber eines muss klargestellt werden. Ich bitte ausdrücklich darum, dass Sie nicht mehr behaupten, dass es in irgendeiner Form einen eingeschränkten Rechtsanspruch geben wird.
Wir haben klar festgelegt, dass bis zum Jahr 2013 eine Aufbauphase stattfinden wird. Wir wollen, dass bis dahin für 35 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze zur Verfügung stehen; das haben Sie unzulässigerweise mit dem Hinweis auf einen Rechtsanspruch vermischt. Danach werden alle Eltern, die das wollen bzw. darauf angewiesen sind, eine Garantie auf einen Betreuungsplatz für ihre unter dreijährigen Kinder bekommen; das haben wir mehrmals betont. Im Interesse der Sache bitte ich Sie, in diesem Fall den Ansatz, den heute Morgen auch Herr Müntefering angesprochen hat, zu verfolgen; denn wir machen hier einen riesigen gesellschaftlichen Schritt. Manchmal ist es sinnvoll, dass auch die Opposition sagt: Da kann man wirklich nicht meckern.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Es gibt noch einen zweiten Wunsch nach einer Kurzintervention. Darf ich diese Kurzintervention aufrufen, bevor Sie antworten, Frau Golze? - Frau Kollegin Fischbach.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Kollegin Golze, wenn man zitiert bzw. davon berichtet, was gesagt wurde, macht es sich immer gut, den gesamten Zusammenhang darzustellen.
Es macht sich aber nicht gut, nur eine einzige Zeile herauszunehmen und nicht zu erklären, worüber vorher gesprochen wurde.
Die Damen, die an der von Ihnen erwähnten Podiumsdiskussion teilgenommen haben, wussten schon ganz genau, wie das Betreuungsgeld ausgestaltet sein wird, wie hoch es sein wird, wer es bekommen und wer es nicht bekommen wird. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir in dieser Diskussion überhaupt noch nicht so weit sind. Daher habe ich an diesem Abend gesagt: Sie können sicher sein, dass das so nicht kommen wird; darauf gebe ich Ihnen mein Wort. - Ich bitte Sie, dass Sie diesen Zusammenhang darstellen.
Eine Kollegin - ich schaue jetzt zur FDP - wusste schon ganz genau, wahrscheinlich aus anderen Zusammenhängen, wie diese Regelung ausgestaltet sein wird. Vielleicht haben einige Kolleginnen Visionen. Ich weiß nicht, ob das auch für Sie gilt. Ich zumindest hatte keine Visionen. Deshalb war das, was ich in diesem Zusammenhang gesagt habe, richtig. Ich bitte Sie, diesen Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen und ihn auch darzustellen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin Golze, bitte.
Diana Golze (DIE LINKE):
Zur ersten Kurzintervention. Ich habe nicht davon gesprochen, dass es einen eingeschränkten Rechtsanspruch geben wird, sondern ich habe meine Befürchtung zum Ausdruck gebracht.
Wissen Sie, ich habe lange Politik im Land Brandenburg gemacht. Da ist genau dasselbe passiert: Man hat sich hehre Ziele gesteckt und dann, als man festgestellt hat, dass das Geld nicht reicht, bei denen gespart, die sich am wenigsten dagegen wehren können, nämlich bei den Kindern erwerbsloser Eltern. Man hat den Rechtsanspruch wieder eingeschränkt.
Meine Befürchtung ist, dass hier genau dasselbe passiert: dass man sich ein hehres Ziel vornimmt - wir unterstützen dieses Ziel ja -, aber nicht nachkommt mit dem Ausbau. Dass man nicht weit genug geht, sehen wir leider schon jetzt an der Frage, inwieweit auch wir als Bund finanzielle Verantwortung tragen. Ich befürchte, dass der Rechtsanspruch so, wie Sie ihn sich vorgenommen haben, nicht wird kommen können. Bis 2013 wollen Sie für 35 Prozent der Kinder Plätze schaffen. Was passiert, wenn am 1. Januar 2014 mehr Kinder vor der Tür stehen und Kinder abgewiesen werden müssen, weil nicht genügend Plätze vorhanden sind?
Wie wollen Sie das dann rechtfertigen? Wie wollen Sie diesen Rechtsanspruch, wie Sie es nennen, dann umsetzen? Das ist meine Befürchtung. Sie können mir diese Befürchtung ganz einfach nehmen, indem Sie in das Gesetz schreiben: Der Rechtsanspruch gilt für alle Kinder unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern.
Frau Fischbach, dass Sie versuchen, sich zu rechtfertigen, kann ich verstehen. Es waren noch weitere Kolleginnen des Hauses anwesend. Es wäre interessant, zu erfahren, wie diese Ihren Satz aufgenommen haben, den Sie - ich habe ihn mir aufgeschrieben - gegenüber dem Diskussionsleiter dieser Runde, einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung, genau so gesagt haben. Wir waren alle erfreut, das zu hören, da auch die Kolleginnen der SPD hoffen, dass dieses Betreuungsgeld nicht kommt. Insofern haben wir diesen Satz wohlwollend zur Kenntnis genommen. Dass Sie ihn jetzt wieder etwas entschärfen, finde ich schade; es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden, dabei zu bleiben.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau von der Leyen, es ist zweifellos Ihr Verdienst, dass Sie die Modernisierungsblockaden von CDU und CSU in der Familien- und Kinderpolitik aufgebrochen haben.
Sie haben das in einem Bereich getan, in dem der ideologische Drahtverhau im konservativen Lager traditionell besonders dicht ist, nämlich bei der Betreuung der unter Dreijährigen.
Aber wenn ich mir anschaue, wie der CSU-Vorsitzende, Herr Huber, und der neue Ministerpräsident von Bayern, Herr Beckstein,
Sie beim Betreuungsgeld schon wieder traktieren, bekomme ich das Gefühl, dass Sie auf Ihren innerparteilichen Baustellen in den nächsten Jahren noch gut zu tun haben werden.
Nach der Rede von Herrn Kampeter zum Betreuungsgeld muss ich sagen: Ich beneide Sie nicht um die Aufgabe, moderne Familienpolitik mit Ihren Freunden hier durchdeklinieren zu müssen.
- Stellen Sie mir eine Frage; dann antworte ich darauf.
Wer bildungsfernen Familien mit einem geringen Familieneinkommen Geld dafür anbietet, dass sie ihr Kind nicht in die frühe Förderung bringen, wer ihnen dieses Geld, wenn sie sich entscheiden, ihr zweijähriges Kind doch zur Sprachförderung in die Kita zu bringen, wieder abnimmt, der handelt verantwortungslos gegenüber den schwächsten Kindern in dieser Gesellschaft, Herr Kampeter.
Das ist verantwortungslos gegenüber den Kindern, die die schlechtesten Startchancen haben. Da muss ich eines sagen: Der Wunsch einer Partei, Eltern für einen bestimmten Lebensentwurf eine Art Anerkennungsbonus zu zahlen, muss zurücktreten hinter der Ausrichtung von Familienpolitik auf die Kinder, die frühe Förderung am dringendsten nötig haben. Das haben Sie bisher offensichtlich nicht verstanden.
Ich appelliere an die Frauen in der Großen Koalition: Lassen Sie sich auf diesen Kuhhandel nicht ein! Es ist ein Kuhhandel zulasten der Schwächsten in dieser Gesellschaft.
Kommen wir jetzt einmal weg vom pädagogischen Ansporn und reden wir über die Wirklichkeit. In der Wirklichkeit, meine Damen und Herren, ist auch heute bei weitem nicht alles gut.
Wenn das, was Sie heute beschließen, umgesetzt wird, dann brauchen Sie sich nicht selbstzufrieden zurückzulehnen; denn es wird den Rechtsanspruch erst dann geben, wenn die Kinder der Eltern, die heute Elterngeld erhalten, schon längst in die Schule gehen. Das ist die Wirklichkeit. Deshalb muss man doch sagen: Ein großer Schritt für die CDU/CSU ist eben noch kein großer Schritt für die Menschheit.
Wir haben Ihnen einen Vorschlag dafür gemacht, wie man auf der Basis der von Rot-Grün beschlossenen Gesetze den Ausbau jetzt so forcieren kann, dass es diesen Rechtsanspruch tatsächlich schon im Jahre 2010 und nicht erst im Jahre 2013 gibt. Diese Chance sollten Sie wirklich ergreifen.
Sie haben sich bisher auch ziemlich um die klare Aussage herumgemogelt, ob es um einen Rechtsanspruch für einen Ganztagesplatz geht. Dass nicht alle Eltern einen Ganztagesplatz nachfragen werden, ist eine Binsenwahrheit. Haben sie aber einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz? Das ist doch die entscheidende Frage;
denn nur so kann die Mangelverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland beseitigt werden, was wir - auch beim Zeitbudget - wirklich erreichen müssen.
Die nächste Frage, die sich stellt, lautet: Was wird nun eigentlich mit den Kindern über drei Jahre? Wir wissen doch längst, dass der garantierte Halbtagesplatz vielen Eltern von Kindern über drei Jahre nicht ausreicht.
Wir wissen auch, dass der tatsächliche Förderbedarf für viele Kinder bei über vier Stunden liegt. Das heißt, wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz vom ersten Lebensjahr bis zum Eintritt in die Schule. Davon sind wir noch weit entfernt. Frau Ministerin, das heißt, die Verhandlungen mit den Ländern müssen an diesem Punkt jetzt weitergehen. Es darf hier keine Besinnungspause aufgrund von Selbstzufriedenheit geben.
Wir wissen jetzt, was der Bund leisten will. Wir wissen aber nicht, was die Länder leisten werden, und wir wissen erst recht nicht, was die Kommunen leisten können. Ohne den garantierten eigenen Finanzierungsbeitrag von Ländern und Kommunen wird es den Rechtsanspruch noch nicht einmal im Jahre 2013 geben.
Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, die 5 Milliarden Euro, die durch eine Begrenzung der Höhe des Ehegattensplittings freigesetzt würden, dafür zu verwenden.
Das würde bedeuten, dass die Länder und Kommunen mehr Geld erhalten. Dann würde der Finanzierungsanteil der Kommunen und Länder nicht so in der Luft hängen, wie dies bei Ihnen jetzt der Fall ist.
Dass der Finanzierungsanteil in der Luft hängt, ist deswegen dramatisch, weil wir hier nicht nur über einen quantitativen Ausbau reden, sondern wir reden auch über eine viel höhere Qualität der frühen Förderung. Darauf muss sich der Blick jetzt konzentrieren.
Wir brauchen pädagogische Konzepte und umfassende Förderstrategien: Aufwertung der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung, ausreichend gutes Personal, kleinere Gruppen, Stärkung der Elternkompetenz, Verzahnung von Elementarbereich und Grundschule. Wir brauchen daneben eine Senkung der Schwelle für Kinder aus armen Familien - sie müssen ein kostenloses Mittagessen und eine kostenlose Betreuung erhalten -, damit sie tatsächlich früh gefördert werden können.
Diese gewaltige qualitative Aufgabe steht vor uns. Deswegen wäre es besser gewesen, wenn der Bund bei den Betriebskosten einen höheren Anteil geleistet hätte, damit die Gegenfinanzierung auch für diese qualitative Herausforderung gewährleistet wäre. Die Flucht vor der Gegenfinanzierung und Ihre Absicht, nicht zeitgemäße Transferleistungen nicht abzubauen und sich in das Sondervermögen Investition hineinzuflüchten, weil man die entsprechenden Aufgaben dann mit Schulden finanzieren kann, bedeutet die Kapitulation vor der riesigen qualitativen Aufgabe, die frühe Förderung ernst zu nehmen und dieses Vorhaben wirklich in Gang zu bringen.
Frau von der Leyen, heute ist vielleicht ein Tag, an dem Sie sagen: Ich lehne mich zurück; ich bin zufrieden. Ich kann Ihnen aber ganz klar sagen: Immer dann, wenn man in der Politik glaubt, dass man etwas im Kasten hat, muss man einsehen, dass in Wirklichkeit noch große Aufgaben vor einem stehen.
Wir werden Sie jeden Tag an diese großen Aufgaben erinnern. Darauf können Sie sich verlassen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück das Wort.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist manchmal atemberaubend, was der Öffentlichkeit in solchen Reden - in diesem Falle in Ihrer, Frau Sager - alles versprochen wird, ohne die Frage zu beantworten, ob sich dies einigermaßen in den Proportionen des finanziell Darstellbaren bewegt.
- Wenn Sie einen solchen Finanzierungsvorschlag machen - ich bin bei der Bewertung des Ehegattensplittings wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt von Ihnen -,
dann müssen Sie der Öffentlichkeit natürlich auch deutlich machen, welche Grenzen dem durch die Verfassungsgerichtsspruchpraxis gesetzt sind.
Das müssen Sie den Menschen schon erklären. Sie dürfen nicht den Eindruck vermitteln, dass Sie, wenn Sie in diesem Haus nur könnten, wie Sie wollten, dies landes- und bundesweit völlig losgelöst von dem, was das Bundesverfassungsgericht als Rahmen vorgibt, veranlassen würden.
Ich möchte auch die Oppositionsparteien in diesem Zusammenhang gern zu einer gewissen Mäßigung aufrufen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sager?
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Bitte sehr.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, dass es Modelle von durchaus seriösen Wissenschaftlern gibt, wonach man aus den 20 Milliarden Euro für das Ehegattensplitting durchaus 5 Milliarden herausnehmen kann, ohne dass das die kleinen und mittleren Einkommen belastet, und dass diese 5 Milliarden Euro dann nicht nur dem Bund, sondern auch den Ländern und Kommunen zufallen würden? Ist Ihnen ferner bekannt, dass 5 Milliarden Euro 50 Prozent dessen sind, was heute für die Krippenbetreuung in Deutschland eingesetzt wird, und die Krippenbetreuung damit nicht nur im Hinblick auf die Quantität, sondern auch die Qualität vorangebracht werden könnte?
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Diese Stellungnahmen mag es geben. Unabhängig davon ist der Zwischenruf berechtigt, weil das Bundesverfassungsgericht dabei auf die Institution Ehe abstellt. Aus den Recherchen und Nachfragen, die ich veranlasst habe, kann ich Ihnen berichten, dass über die Einführung eines verfassungskonformen Realsplittings allenfalls 1 bis 2 Milliarden Euro zu heben sind und nicht die von Ihnen apostrophierten 5 Milliarden Euro.
Noch einmal: Ich bitte darum, nicht völlig von bestimmten Rahmenbedingungen abzuheben, wenn solche Zahlen und Ankündigungen hier in den Raum geworfen werden. Damit folge ich dem heutigen Hinweis von Herrn Müntefering, dass eine selektive Information der Öffentlichkeit auch eine falsche Information der Öffentlichkeit sein kann.
Meine Damen und Herren, ich würde gerne zwei bis drei grundsätzliche Bemerkungen machen. Ich habe bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts 2008 darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland alle Anstrengungen unternehmen muss, um ihren zukünftigen Wohlstand zu sichern. Ich glaube, dass es drei Schlüsselbegriffe gibt, die auch in der heutigen Debatte zur Förderung der Kinderbetreuung eine erhebliche Rolle spielen müssen, um dieses Wohlstandsniveau zu erhalten und auszubauen: Das ist eine bessere Bildung in Deutschland; dazu zähle ich insbesondere auch die frühkindliche Betreuung. Das ist eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen - insbesondere der sehr gut qualifizierten jüngeren Generation von Frauen - vor dem Hintergrund der Alterung unserer Gesellschaft. Und es sind mehr Kinder.
Von diesen drei wichtigen Stellschrauben reden wir im Zusammenhang mit der Förderung von Betreuungsplätzen. Noch einmal zur Verbesserung der Erwerbstätigkeit von Frauen: Diese ist in Deutschland im Vergleich zu der Entwicklung in anderen europäischen Ländern unterdurchschnittlich. Das können wir uns definitiv nicht leisten. Die älter werdende Gesellschaft tut sich einen Tort an, wenn sie diese Frauen, die - dieser Satz fällt mir als Mann sehr schwer - zunehmend bessere schulische, berufliche und akademische Abschlüsse machen als Männer, nicht in den Stand versetzt, eine eigene Berufsbiografie zu schreiben und gleichzeitig Kinder in die Welt zu setzen. Dies bedeutet Wohlstandsverluste für die Bundesrepublik Deutschland.
Ich will da keine Missverständnisse haben. Ich meine das als Finanzminister nicht nur im Sinne einer platten ökonomischen Sichtweise, wie mir das unterstellt wurde. Ich meine das in einem sehr weiten Sinne - auch mit Blick auf die Gleichverteilung der Entwicklungsmöglichkeiten von Männern und Frauen, aber auch mit Blick darauf, wie es mit dem Wohlstand und der Wohlfahrt in der Bundesrepublik Deutschland weitergeht.
Wir haben diesbezüglich gegenüber anderen europäischen Ländern einen Nachteil. Erkennbar bieten wir unseren Kindern nicht annähernd gleiche Bildungschancen, wie sie in anderen europäischen Ländern geboten werden. Das zeigen - nicht zu unserem Stolz; im Gegenteil: Da wird eine große Portion Selbstkritik fällig - leider alle Studien auf. Auch mit Blick auf die von mir mehrfach erwähnte Erwerbstätigkeit von Frauen hinken wir deutlich hinterher. Es ist Zeit, dass wir an die Verhältnisse anknüpfen, die es in Schweden, in Finnland, in Großbritannien, in Frankreich und in den Niederlanden längst gibt.
Das, was wir auf den Weg bringen, ist übrigens nicht neu erfunden worden. Ich darf mit einem gewissen Stolz hinzufügen, dass die Vorgängerregierung - eine rot-grüne Bundesregierung - diesen Weg bereits eröffnet hat, was bei einer solchen Gelegenheit nicht verschwiegen werden sollte.
Dies gilt gerade auch aus der Sicht des Bundes, obwohl - an der Bemerkung ist mir gelegen mit Blick auf die ewigen Forderungen, die Sie immer an die Adresse des Bundes stellen - diese Förderung der Betreuungsinfrastruktur zunächst jedenfalls laut Grundgesetz nicht gerade eine prädestinierte bzw. vorgeprägte Aufgabe des Bundes ist.
Deshalb finde ich auch, dass Sie die Länder und Kommunen etwas stärker in die Pflicht nehmen dürfen, zumal derzeit die Finanzausstattung und Finanzentwicklung der Länder und Kommunen deutlich besser ist als die des Bundes.
- Aber selbstredend. Beide Gruppen von Gebietskörperschaften werden in diesem Jahr einen positiven Finanzierungssaldo aufweisen. Der einzige Depp, der das nicht macht, bin ich für den Bund.
Die Länder werden in diesem Jahr einen positiven Finanzierungssaldo von 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro erzielen. Sicherlich ist der Hinweis erlaubt, dass sie - jedenfalls in diesem Zusammenhang - erkennbar größere Spielräume haben als der Bund.
Wenn der Bund bzw. ein sonst garstiger Finanzminister - Ärmelschoner, Ratzefummel und Bleistift in der Hand, nur um zu streichen -
trotzdem entscheidet, dafür Geld auszugeben, dann geschieht das aus den übergeordneten wichtigen Gründen, die ich zu Anfang meiner Ausführungen erwähnt habe. Dazu habe ich von Anfang an gestanden.
Wir müssen zu den familienpolitischen Erfolgen unserer europäischen Nachbarländer aufschließen. Wir bieten mit dem, was wir jetzt in Gang setzen, eine zielgenauere Unterstützung und verschaffen einer längst überfälligen Wahlfreiheit der Eltern endlich Spielraum. Dies sage ich gerade mit Blick auf Kinder von Eltern oder aus Familien - wenn es überhaupt Familienstrukturen gibt -, die garantiert nicht zu den Privilegierten unserer Republik gehören.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich auf meinen Ehrenamtstouren in meiner damaligen Funktion in Nordrhein-Westfalen zu häufig die Erfahrung gemacht habe, dass wir es zunehmend mit Kindern zu tun haben, die aus völlig zerrütteten, kaum noch vorhandenen Familienverhältnissen kommen, keine Regelmäßigkeit kennen, nicht mit Messer und Gabel essen können, keine Bücher kennen, denen nicht vorgelesen wird, denen keine Regelmäßigkeit vermittelt wird und die in diesem Zustand die vorprogrammierten Verlierer unserer Gesellschaft und damit auch die prädestinierten Transferempfänger in einigen Jahrzehnten - das heißt zulasten der Steuer- und Abgabenzahler - sind. Deshalb ist die Schaffung einer Betreuungsinfrastruktur gerade für diese Kinder von entscheidender Bedeutung.
Ich habe zu häufig die Erfahrung gemacht, was es für diese Kinder und übrigens auch für ihr Sozialverhalten positiv bewirkt, endlich einmal in Gruppen integriert zu werden und dadurch möglichst auch Zugang zu Bildung bis hin zu Deutschkenntnissen zu erhalten und über die gleichen Möglichkeiten wie andere Kinder zu verfügen, wenn sie eingeschult werden.
Bei dieser Gelegenheit kann man zwar die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung bis hin zum ersten Schuljahr fordern, Frau Sager - ich will das gar nicht kritikasterhaft bewerten; das ist als Oppositionspolitikerin leicht gesagt -, aber erklären Sie mir auch, wie wir das machen sollen, wenn man an anderer Stelle verzichten muss, um so ein Vorhaben zu finanzieren.
Wir führen einen Rechtsanspruch für das Jahr 2013 ein. Dies hat eine völlig neue Qualität. Nicht zuletzt über die Verankerung dieses Rechtsanspruchs, der dann ab dem Kindergarten- bzw. Betreuungsjahr August 2013 folgende gilt, ist auch eine wichtige Korsettstange eingezogen worden, damit das Geld an der richtigen Stelle ankommt.
Das antworte ich auch den Vertretern der FDP. Denn die Länder und die Kommunen werden eines Tages nachweisen müssen, dass sie diesen Rechtsanspruch erfüllt haben. Für den Fall, dass sie vielleicht Geld zweckentfremdet ausgegeben haben - im Übrigen sind die Ausführungen von Herrn Kampeter völlig zutreffend -, ist mit der Verwaltungsvereinbarung, die wir mit den Ländern abgeschlossen haben - übrigens mit einer sehr detaillierten Erfolgskontrolle -, eine weitere Korsettstange als Garant eingezogen worden.
Anders als in den Fällen, die wir gemeinsam bekleben.
- Ich meine: beklagen. Auf das Kleben komme ich noch zu sprechen. Ich denke an das Bild von den klebrigen Händen; wir stehen gemeinsam unter dem Eindruck, dass zum Beispiel die Regionalisierungsmittel bei der Förderung der Schienenpersonennahverkehre nicht immer wie vorgesehen angekommen sind oder zu kompensatorischen Ausweichmanövern der Länder geführt haben.
Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass es bei den Kosten der Unterkunft auch so ähnlich laufen könnte.
Ich möchte auch noch einen dritten Bereich erwähnen, der dieses Thema unmittelbar betrifft. Dabei geht es um die 1,5 Milliarden Euro, die der Bund in der Folge eines Ergebnisses des Vermittlungsausschusses vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Hartz IV eigentlich den Kommunen zum Einstieg in die Betreuung der unter 3-Jährigen zugewiesen hat und von denen wir bis zum heutigen Tag nicht so genau wissen, was die Kommunen damit gemacht haben.
Um auf die Praxis zu sprechen zu kommen - darf ich Ihre Fragestellung, bezogen auf das Sondervermögen, schon vorwegnehmen, Herr Fricke? -: Sie sagen, das sei ein bisschen ?Tricky Dicky“ oder ?fickelinsch“. Ich lasse mich nicht lange bitten und gebe zu: Wir gründen dieses Sondervermögen, weil wir in diesem Jahr Liquiditätsgewinne haben. Ich sage der Öffentlichkeit ganz klar: Mit den Mehreinnahmen, die wir haben, gründen wir dieses Sondervermögen. Das ist übrigens kein Novum; denn schon in der Vergangenheit haben wir gelegentlich Sondervermögen eingerichtet. Es gibt auch ein aktuelles Sondervermögen zur Tilgung der Schulden zur Integration der neuen Bundesländer. Vor diesem Hintergrund halte ich den ewigen, inflationär geworfenen Bannstrahl der Verfassungswidrigkeit für ermüdend. Warum soll dies verfassungswidrig sein?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Bitte sehr.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Fricke, bitte.
Otto Fricke (FDP):
Sehr geehrter Herr Minister, nachdem Sie die wahren Gründe genannt haben, warum Sie finanziell so vorgehen - ich habe eigentlich nichts zur Verfassungsmäßigkeit gesagt -,
möchte ich versuchen, dort anzusetzen, wo der Kollege Kampeter mir deutlich ausgewichen ist. Sie haben erklärt: Wir wollen nicht, dass das kommt, und deswegen prüfen wir das genau. Die Länder müssen alles vorlegen und zeigen, wofür sie die Gelder verwendet haben. - Ich versuche, es präzise auf den Punkt zu bringen, Herr Minister: Wenn Länder und Kommunen es ausweislich einer Nachprüfung nicht richtig gemacht haben, haben Sie dann ein Druckmittel? Bisher haben die Länder Gelder wiederholt falsch verwendet; das haben wir festgestellt. Aber können Sie Länder und Kommunen zwingen, das Geld zurückzuzahlen, wenn sie das Geld falsch verwenden, wenn das Geld also nicht bei den Kindern und Familien ankommt, die es brauchen, oder bleibt das Geld letztlich nicht doch dort? Ist das nicht weiterhin die Folge? Ich sehe jedenfalls keine Rückzahlungsverpflichtung.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Um so offen und wahrhaftig zu antworten, wie Sie mich kennen, Herr Fricke: Das einmal den Bundesländern gegebene Geld wird man nicht wiederbekommen. Aber da wir auf dem Geldsack sitzen, wenn es um die einschlägige Förderung von Investitionsmaßnahmen, auch beim Umsatzsteuerpauschalbetrag für die Betriebsausgaben, geht, werden wir pro futuro diesen Geldstrom kontrollieren und feststellen, welche Bundesländer sich vorbildlich verhalten.
Derjenige, der auf diesem Geldsack sitzt, bin bekanntlich ich.
Bei der Einrichtung des infrage stehenden Sondervermögens sehe ich keine Schwierigkeiten. Bislang ging in Ihren Ausführungen unter, meine Damen und Herren von der Opposition, dass es für den Bund sehr schwierig ist, das zu tun - Sie haben das sogar noch als mehr notwendig angemahnt, Frau Sager -, nämlich Betriebsausgaben auf der Ebene der Kommunen zu finanzieren. Wie Sie wissen, sind die Kommunen verfassungsrechtlich gesehen nicht Bestandteil des Bundes, sondern der Bundesländer. Daher gibt es keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen. Wir haben aber einen Weg gefunden. Wir ermöglichen über die Bundesländer eine Förderung der Betriebsausgaben, die bei den Kommunen ankommt. Der einzig verfassungskonforme Weg ist hierbei die Lösung, die die Koalitionsfraktionen gefunden haben, nämlich einen Pauschalbetrag bei der Umsatzsteuer.
Kein Umsatzsteuerpunkt! Ich wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich das täte; denn hier wäre eine dynamische Entwicklung absehbar. Ich bin gerne hilfreich, aber nicht blöd.
Wir sehen daher einen Pauschalbetrag vor, der allerdings einem entsprechenden Erfolgskontrollprozess ausgesetzt sein muss, damit die Betriebsausgabenförderung bei den Bundesländern so ankommt, wie wir es uns vorstellen.
Dies ist ein weiterer sehr wichtiger Schritt zur Verwirklichung einer modernen Familienpolitik. Mein Beitrag im Rahmen einer gestaltenden Finanzpolitik bestand immer darin, dafür Sorge zu tragen, dass wir in der Familienpolitik etwas im Bereich der frühkindlichen Betreuung in Gang setzen, was in der mittleren Sicht richtig ist, um vorprogrammierte Transferzahlungen zu minimieren. Wenn wir am Anfang dieses Prozesses in der Lage sind, Menschen einen gerechten Zugang zu Bildungseinrichtungen zu ermöglichen, Kinder mit ausreichenden Deutschkenntnissen in die Schulen zu schicken, die Zahl der Schulabbrecher zu verringern, den Jugendlichen Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen und sie weiterzuqualifizieren, dann entspricht das meinem Verständnis einer vorsorgenden Sozialpolitik, damit man hinterher nicht sehr viel teurer etwas reparieren muss, was sich durch Investitionen am Anfang dieses Entwicklungsprozesses sehr viel günstiger und für die Menschen in ihrer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung sehr viel besser machen lässt. Ich freue mich, dass wir auf dieser Wegstrecke so gut vorangekommen sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion.
Ina Lenke (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau von der Leyen, Sie haben es gegen den Widerstand von Parteifreunden in der CDU und CSU geschafft, dass der Bund Geld für die Kinderbetreuung bereitstellt. Herr Steinbrück, ich kann mich noch sehr genau an den Anfang dieser Diskussion erinnern. Sie waren es, der Widerstand gegen diese Bundesfinanzierung geleistet hat.
Nun zum Finanzierungsvorschlag im Antrag der FDP-Bundestagsfraktion. Sie wissen, dass wir den Finanzierungsbedarf durch die Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Umsatzsteuer nach Vorwegabzug des Bundesanteils decken wollten. Das war verfassungskonform, was bei Ihrem Konzept zumindest nicht so klar ist.
Sicher ist, dass der Staat allein mit staatlicher Kinderbetreuung die Nachfrage nach mehr Plätzen für unter Dreijährige nicht zügig decken kann. Bisher haben Verkäuferinnen, Kellnerinnen und Krankenschwestern, also Frauen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, zum Beispiel auch an Wochenenden, keine Chance, ihre Erwerbstätigkeit und die Kinderbetreuung in staatlichen Einrichtungen zu organisieren.
Dieses Defizit gleichen jetzt schon private Anbieter aus. Viele haben lange Wartelisten. Die FDP will durch die Einbeziehung privater Anbieter ein breiteres Angebot schaffen. Nur privat-gewerbliche Anbieter werden bisher vom Konzept der Bundesregierung ausgenommen. Zum Beispiel gibt die Familienministerin Betrieben über EU-Mittel 10 000 Euro pro neu geschaffenen Krippenplatz. Warum nicht auch für Existenzgründerinnen?
Die FDP fordert die Gleichbehandlung aller Anbieter und ein Ende der Ausgrenzung der von Eltern stark nachgefragten privat-gewerblichen Anbieterinnen bzw. Anbieter. Wir sind uns doch einig - besonders wir Frauen- und Familienpolitikerinnen -, dass wir gerade Frauen den Weg in die Selbstständigkeit ebnen wollen. Dann bitte aber auch mit diesem Ausbildungsprofil. Ich habe manchmal den Eindruck, auch in den Sitzungen des Familienausschusses, dass Sie den Privaten in dieser Hinsicht misstrauen und nur dem Staat vertrauen, und das ist falsch.
Der Bericht der Bundesregierung über die Betreuungsangebote für unter Dreijährige in Deutschland beweist, dass das bisher keine Erfolgsstory ist. Deutschland, besser: Westdeutschland - Frau Golze, da gebe ich Ihnen recht -, hinkt hinterher. Die Zeit drängt, die Gemeinden stehen in den Startlöchern. Die FDP fordert die Bundesregierung und die Bundesländer auf, die Finanzströme von Bund und Ländern so zu bündeln, dass die Gemeinden passgenaue Angebote für Familien machen können. Aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft stehen Städte und Gemeinden schon heute im Wettbewerb um junge Familien. Eine Gemeinde ist nur attraktiv, wenn auch das Angebot an Kinderbetreuung stimmt. Familienfreundlichkeit ist kein Almosen, sondern ein wichtiger Standortvorteil. Der Mangel an Betreuungsmöglichkeiten ist ein Problem des Westens, und deshalb werden die Angebote auch angenommen. Ich hoffe, dass wir unsere Kinderbetreuung so verbessern, dass sie das Niveau der Betreuung in den neuen Bundesländern erreicht.
Ich komme zum Schluss. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, erstens mit den Ländern zu vereinbaren, dass auch privat-gewerbliche Anbieter bei den Finanzhilfen einbezogen werden,
zweitens mit der Einführung von Bildungs- und Betreuungsgutscheinen jedem Kind die staatliche Subvention als Budget in die jeweilige Einrichtung, die die Eltern wollen, mitzugeben und drittens eine Offensive für eine noch bessere Ausbildung und für mehr Fachkräfte, Erzieherinnen und Tageseltern zu starten. Bis 2013 werden zusätzlich 46 000 Tagesmütter und 66 000 Personen in Kitas für die Betreuung der unter Dreijährigen benötigt. Die Bundesagentur für Arbeit ist in diese Kampagne einzubeziehen.
Alles, was wir hier machen - darin sind wir uns sicher einig -, dient dem Ziel, allen Kindern Bildung und Betreuung zukommen zu lassen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen das Wort.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute im Parlament ein Thema mit einem sehr trockenen Titel: Sondervermögen ?Kinderbetreuungsausbau“. Ich finde, es ist ganz spannend, welch ein lebendiger Vorgang sich dahinter verbirgt. Ein Vorgang - das zeigt die Diskussion hier in diesem Parlament -, der beweist, dass die Große Koalition tatsächlich zu großen Schritten in der Lage ist.
Wer hätte im Januar dieses Jahres gedacht, dass wir neun Monate später fraktionsübergreifend und über alle drei Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - nicht mehr diskutieren, ob wir all das brauchen, sondern heftig darüber debattieren, wie wir es gut machen, wie wir Kinderbetreuung qualitativ hochwertig gestalten? Das ist ein richtig großer Erfolg für diese Große Koalition in der gesellschaftspolitischen Debatte.
Ich glaube, das ist auch für die Menschen etwas, wo Politik plötzlich ganz pragmatisch und spürbar gestaltend wird, und gerade das wird eigentlich von der Politik gewünscht und gefordert. Wir schaffen gemeinsame Angebote.
Frau Golze, wenn Sie bemängeln, dass der Bericht, der heute zur Diskussion steht, mit den Zahlen vom 15. März 2006 besagt, der Kinderbetreuungsausbau für unter Dreijährige komme zu langsam voran, kann ich nur sagen: Ja! Deshalb tun wir jetzt diese großen Schritte - mehr und schneller -, damit die jungen Menschen spüren: Es ist uns nicht gleichgültig, wenn sie sich für Kinder entscheiden.
Ich möchte noch mal deutlich sagen: Hier zeigt sich eine Politik, die nicht nur wohlwollend nickt oder Sonntagsreden schwingt, sondern die handelt, die dort unterstützt, wo der Staat gezielt helfen kann, wo er seine Aufgabe und seine Verantwortung wahrnimmt.
Meine Damen und Herren, die jungen Familien werden durch eine gute und flexible Kinderbetreuung mehr Möglichkeiten haben. Sicherlich macht der Ausbau der Kinderbetreuung vieles leichter, aber mit Sicherheit nicht alles. Er kann manche Hürde bei dem schwierigen Spagat zwischen Kindererziehung und Arbeitswelt abbauen. Aber die Hauptlast bleibt bei den Eltern - und natürlich auch die meiste Freude und die große Verantwortung für den Alltag. Ich nehme nur einige Beispiele: fiebernde Kinder, durchwachte Nächte, Trotzphasen, Platzwunden, Eifersucht zwischen Geschwistern. Das ist der Alltag von Menschen, die sich für Kinder entscheiden, von allen Eltern, weit über das dritte Lebensjahr hinaus.
All das bewältigen sie einmal besser und einmal schwächer, aber völlig unabhängig davon - das ist mir wichtig -, welches Etikett eines Familienmodells wir ihnen in der öffentlichen Diskussion aufkleben. Ich sehe unsere Aufgabe in der Politik nicht darin, Familien in Modelle einzuteilen. Ich sehe die erste und vornehmste Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft darin, zu fragen, in welchen Lebenssituationen Familien es besonders schwer haben, nur weil sie Kinder erziehen. In solchen Situationen muss der Staat ihnen gezielt helfen, darf sich nicht vor der Verantwortung drücken und muss als Staat konsequent handeln.
Aus den Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate, als es darum ging, die Strukturen der Kinderbetreuung - das möchte ich noch einmal betonen - auf ein europäisches Durchschnittsniveau anzuheben, macht mich doch zunehmend der Aspekt nachdenklich, warum sich parallel dazu bei einigen Menschen das Gefühl entwickeln konnte, sie würden benachteiligt. Das ist mit Sicherheit nicht so. Ich habe bewusst und beharrlich dafür gekämpft, dass der Ausbau der Kinderbetreuung eben nicht zulasten des Ehegattensplittings, nicht durch eine Kürzung des Kindergelds, aber auch nicht durch Verschuldung finanziert wird.
Denn das wäre eine Finanzierung für Familien zulasten anderer Familien gewesen und nicht etwa eine Leistung der gesamten Gesellschaft. Das konnte ich nicht akzeptieren.
Es ist uns nun gelungen, eine echte politische Priorität für Familien insgesamt zu setzen, weil in Familien neu und mehr investiert wird. Dafür geht vor allem mein hoher Dank an Sie, Herr Bundesfinanzminister, und an die Familienpolitikerinnen und -politiker sowie die Haushaltspolitikerinnen und -politiker. Das war wirklich eine heroische gemeinsame Aufgabe, die wir zusammen gestemmt haben. Keine Familie verliert dadurch. Sehr viele Familien gewinnen dadurch.
Ich frage noch einmal: Woher kommt das Gefühl, dass durch den Ausbau der Kinderbetreuung die Erziehung von Kindern zu Hause nicht genügend gewürdigt wird? Ich denke, dass sich hier inzwischen ein schon lange bestehendes Gefühl offenbart, dass Erziehung in den vergangenen Jahren von dieser Gesellschaft insgesamt zu wenig gewürdigt wurde,
dass Erziehung dieser Gesellschaft kein wirklich vorrangiges und gemeinsam getragenes Anliegen ist.
Ich will es noch einmal unmissverständlich sagen: Das Elternhaus ist unersetzlich. Die Erziehung von Kindern vom ersten Tag an und weit über das dritte Lebensjahr hinaus durch Mutter und Vater
ist einzigartig, kostbar, und sie ist das Wichtigste, was eine Gesellschaft schützen muss.
Denn primär daraus erwächst in einer Gesellschaft die Bereitschaft, Verantwortung für andere zu übernehmen und sich für sie einzusetzen - sei es durch die Erfahrung, die Eltern machen, indem sie Kinder erziehen, sei es aber auch durch die kindliche Erfahrung, geliebt zu werden und geborgen zu sein.
Warum also hat Erziehung keinen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft? Warum haben wir Kindererziehung so lange allein den Frauen zur Aufgabe gemacht? Wo ist das lebendige, aktive, begeisternde Vaterbild? Wo sind die männlichen Erzieher in Kindergärten und die männlichen Grundschullehrer?
Erziehung zu Hause geht Mutter und Vater gleichermaßen an.
Aber auch Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihre Verantwortung wahrnehmen; denn nur dann haben Eltern auch eine Chance auf gelingende Erziehungsarbeit. Sie wissen, dass wir dafür gezielte finanzielle Hilfen, eine kinderbewusste Arbeitswelt und eine hochwertige Infrastruktur brauchen.
Nachdem ich eingangs all diese Fragen gestellt habe, möchte ich sagen: Ich habe mich darüber gefreut, dass wir diese Debatte in den letzten Monaten gemeinsam so konstruktiv geführt haben. Es ist zum Schluss etwas Gutes herausgekommen.
Aber jetzt stehen wir am Anfang der nächsten Debatte. Jetzt haben wir, Bund, Länder und Kommunen, gemeinsam die Chance, nicht nur die Kinderbetreuung auszubauen, sondern auch auf gute Qualität zu achten, über die besten Konzepte zu debattieren:
Wie gestaltet man eine enge Zusammenarbeit zwischen den Tagesmüttern, den Krippen, den Kitas und den Elternhäusern? Wie schaffen wir nachhaltige Bildungskonzepte für die ersten zehn Lebensjahre eines Kindes? Je jünger ein Kind ist, desto besser muss die Qualität der Erziehung sein. Wir müssen für die Erzieherinnen und Erzieher, für die Tagesmütter Chancen auf mehr Fort- und Weiterbildung schaffen.
In den ersten Lebensjahren eines kleinen Kindes beginnt auch der Kampf gegen Armut; denn Armut gründet zuallererst auf Bildungsarmut. Der Kampf gegen Bildungsarmut beginnt aber damit, dass Kinder spielend miteinander lernen können. Wir alle wissen: Bildung ist der Schlüssel zur Welt.
Lassen Sie uns den heutigen Tag feiern. Wir haben Grund, zu feiern, weil das, was geschaffen worden ist, gut ist. Ich danke noch einmal allen Beteiligten. Es wäre nicht gegangen, wenn nicht alle Beteiligten so eng zusammengestanden und auch wirklich große neue Schritte gewagt hätten.
Wir sind jetzt am Anfang der Bewältigung der nächsten großen Aufgabe; ich meine das große Thema ?Qualitätsoffensive beim Ausbau der Kinderbetreuung“.
Wir, der Bund, möchten die Länder und die Kommunen bei dieser Diskussion gern begleiten. Wir möchten die Qualität in der Kindertagesbetreuung verbessern. Wir wollen die frühkindliche Bildung und Förderung in den Kindertageseinrichtungen mit einer Qualitätsoffensive voranbringen. Wir alle wissen, dass viele Erzieherinnen und Erzieher gute Arbeit leisten, aber keine oder kaum Erfahrungen mit der Betreuung von Kindern unter drei Jahren und mit der engen Zusammenarbeit mit den Eltern dieser Kinder haben. Das ist Neuland.
Wir können da viel von unseren Nachbarn, den Franzosen, den Schweden, den Dänen, den Engländern oder den Holländern, lernen.
Hierbei werden wir seitens des Bundes unterstützen, gute Praxis auswerten und gemeinsam mit Trägern, Kommunen und Ländern Umsetzungswege erproben. Ich möchte alle, die mitgeholfen haben, diesen ersten Schritt möglich zu machen, einladen, gemeinsam zu diskutieren, und zwar so konstruktiv, wie wir das in den letzten Monaten gemacht haben. Wenn die Qualität der Kinderbetreuung stimmt, dann werden wir mit dem Ausbau wirklich Erfolg haben.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Mitglied des Haushaltsausschusses will ich mich jetzt auf die Finanzierung Ihres Konzeptes zur Kinderbetreuung, die etwas unsolide ist, konzentrieren.
Sie wollen dieses Jahr 2,15 Milliarden Euro in einem Sondervermögen parken und dieses Geld dann in den nächsten fünf Jahren schrittweise für Kinderbetreuung ausgeben. Um diesen optischen Haushaltstrick für Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, verständlich zu machen, will ich das noch einmal in Ruhe erklären.
- Vielleicht brauchen Sie ja die Nachhilfe auch noch, Frau Kollegin.
Normalerweise gibt eine Regierung - so steht es im Gesetz - erst in dem Jahr Geld aus, in dem es benötigt wird. Sie soll keine Schattenhaushalte bilden, indem sie in einem Jahr etwas zur Seite legt und dann schrittweise, Jahr für Jahr, wieder ausgibt. Das dient der Transparenz, damit Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, jedes Jahr erkennen können, wie viele Schulden eine Regierung aufnimmt und wie es um die Staatsfinanzen bestellt ist.
Die Koalition legt dieses Sondervermögen an, um sich dieses Jahr künstlich arm zu rechnen. Wenn Sie den normalen, vom Gesetz vorgegebenen Weg gehen würden, wäre es möglich, schon in diesem Jahr deutlich weniger Schulden zu machen. Dann hätte die Koalition aber ein Problem.
Nach Ihrem Plan sollen im nächsten Jahr immer noch 11,9 Milliarden Euro Schulden gemacht werden. Ohne Sondervermögen würden Sie im nächsten Jahr die Verschuldung erhöhen. Das sähe ganz schlecht aus und gäbe ganz schlechte Schlagzeilen. Nur weil Sie eine gute Presse haben wollen, Herr Steinbrück, verpassen Sie die Chance, schon dieses Jahr ganz konkret 2,15 Milliarden Euro weniger Schulden zu machen. Auch wenn dieses Jahr die Steuereinnahmen sprudeln, werden Sie über 12 Milliarden Euro Schulden aufnehmen. Sie selbst sagen immer wieder, der Bund habe eine strukturelle Deckungslücke im Haushalt. Jetzt wollen Sie die Länder mit einer Pauschale am Umsatzsteueraufkommen beteiligen - das mag noch ganz intelligent sein -, erhöhen dadurch aber diese strukturelle Lücke im Bundeshaushalt.
Das heißt, der Trick, den Sie hier machen, dient vielleicht den Umfragewerten der Koalition und der Optik Ihres Haushalts, geht aber zulasten der Kinder, die diese Schulden irgendwann einmal wieder zurückzahlen müssen. Sie geben den Kindern zwar einen Betreuungsplatz, aber Sie geben ihnen auch die Schulden gleich mit ins Gepäck.
Das hat mit solider Haushaltspolitik wirklich nichts zu tun.
Wir Grüne haben hingegen ein Konzept vorgelegt, mit dem der notwendige Ausbau der Kinderbetreuung wirklich nachhaltig finanziert werden könnte. Darüber haben Sie sich gerade schon mit Frau Sager unterhalten. Wir wollen in einem ersten Schritt das Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag umwandeln. Das wäre auch verfassungsfest. Sie, Herr Steinbrück, haben eben gesagt, dass selbst bei einem Realsplitting 1 bis 2 Milliarden Euro mehr hereinkommen würden, und haben im gleichen Atemzug eine selektive Informationsweitergabe durch Frau Sager gerügt. Sie selbst haben aber verschwiegen, dass sich Ihre Zahl ?bis zu 2 Milliarden Euro“ nur auf den Bund bezieht.
Die Mehreinnahmen durch eine Umstellung auf das Realsplitting würden auch bei den Ländern und bei den Kommunen anfallen. Das heißt, wir hätten selbst nach dem von Ihnen als verfassungsfest bezeichneten Modell gesamtstaatlich - darauf kommt es an - Mehreinnahmen von mindestens 4 Milliarden Euro. Das gehört dazu, wenn man hier alle Informationen weitergeben will.
In einem zweiten Schritt sieht unser Konzept vor, dass der Bund eine Kinderbetreuungskarte schafft, die dafür sorgt, dass die Leistungen direkt an die Eltern gehen und nicht den Umweg über die klebrigen Hände der Länder nehmen. Das funktioniert auch, und zwar mit einem Geldleistungsgesetz; diese Frage haben wir prüfen lassen. Sie stellen sich hier immer hin und tun so, als sei die Weitergabe von Geld über Umsatzsteueranteile der einzig gangbare Weg. Das stimmt aber nicht. Man kann das auch über ein Geldleistungsgesetz machen. Das funktioniert.
Nach unserem Konzept würde wirklich jedes Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz bekommen, wenn die Eltern es wollen - ohne zusätzliche Schuldenaufnahme. Das ist nachhaltige Haushaltspolitik. Das ist der richtige Weg für den Ausbau der Kinderbetreuung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion.
Caren Marks (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Herr Kampeter - er ist, wie ich glaube, gerade nicht da -, vorab einen kleinen Hinweis.
- Dahinten ist er.
- Sie können ja auch im Laufen zuhören.
Herr Kampeter, Kinder, die eine Kita besuchen, werden ebenfalls von ihren Eltern erzogen, nicht selten verantwortungsvoller als andere.
- Aber gesagt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, moderne Familienpolitik ist ein komplexes Gebäude. An diesem Gebäude muss kontinuierlich weitergearbeitet werden. Die tragenden Pfeiler dieses Gebäudes sind Infrastruktur, Zeit und Geld für Familien. Mit dem Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens ?Kinderbetreuungsausbau“ setzen wir in der Großen Koalition neue Bausteine, um das Gebäude nach den heutigen Bedürfnissen von Familien weiter zu modernisieren: ein konsequenter Schritt nach dem TAG und dem Elterngeldgesetz. Als Bauleiter lässt der Bund die Bauherren - das sind in diesem Falle die Länder und Kommunen - nicht im Regen stehen.
Als Familienpolitikerin möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei unserem Finanzminister Peer Steinbrück bedanken. Dank seines sehr guten Vorschlages ist die Finanzierung der Modernisierungskosten solide gewährleistet. Erst durch diesen Finanzierungsvorschlag haben sich Bund und Länder nach monatelangem Hin und Her auf einen deutlichen Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige geeinigt.
Mit der Bereitstellung des Sondervermögens ermöglicht der Bund die Finanzierung der notwendigen Investitionen im gesamten Bundesgebiet. Wir schaffen mit dieser Unterstützung Vertrauen und Planungssicherheit für Länder und Kommunen, aber vor allem - ich glaube, das ist das Wichtigste - für die Familien in diesem Land.
- Das haben Sie ja erwähnt.
Mit diesen Mitteln können die Kommunen neue Krippenplätze schaffen, bestehende Kitas renovieren bzw. diese für die Benutzung durch jüngere Kinder umrüsten.
Das Gesetz ist eingebettet in ein Gesamtkonzept. Finanziell wird sich der Bund außer an den Investitionskosten - so sieht es das Konzept vor - dauerhaft auch an den laufenden Betriebskosten beteiligen. Damit investieren wir in Qualität, das heißt auch in Personal. Die SPD hat sich von Anfang an vehement für eine Beteiligung des Bundes auch an den Betriebskosten eingesetzt. Als verlässlicher Partner der Kommunen haben wir verhindert, dass diese finanziell überfordert werden. Nur mit den Kommunen an unserer Seite wird nämlich der Betreuungsplatzausbau schnellstmöglich umgesetzt werden. Darauf haben die Familien schon lange gewartet.
Der ebenfalls im Gesamtkonzept verankerte Rechtsanspruch auf ein Betreuungs- und Bildungsangebot ab dem vollendeten ersten Lebensjahr wird ab 2013 gelten. Ich freue mich, dass es uns, der SPD, gelungen ist, die Einführung eines Rechtsanspruchs trotz anfänglicher Widerstände seitens der Union in der Großen Koalition umzusetzen.
Hiermit stellen wir sicher, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel bei den Kommunen ankommen und tatsächlich in den Ausbau der Betreuungsplätze fließen. Außerdem wertet der Rechtsanspruch die frühkindliche Bildung auf. Er ermöglicht mehr Chancengleichheit, für die schon bei den Kleinsten gesorgt werden muss. Für eine gute Entwicklung brauchen Kinder nämlich nicht nur liebevolle Eltern, Herr Kampeter, sondern auch eine optimale Förderung in einer Gruppe; denn Kinder brauchen auch Kinder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein garantierter Betreuungsplatz gibt Eltern die Verlässlichkeit, die sie benötigen, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Nach der Phase des Elterngeldbezuges erwarten Mütter und Väter zu Recht einen guten Betreuungsplatz für ihre Kinder. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ermöglicht echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensmodellen von Familien. Er trägt dem Wunsch der meisten jungen Frauen und Männer Rechnung, die sowohl Anerkennung und Erfolg im Beruf als auch ein Familienleben mit Kindern wollen und wünschen. Oft hatten insbesondere Mütter aufgrund fehlender Betreuungsangebote keine Chance, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Erwerbstätigkeitsquote von Müttern ist in Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor niedrig. Auf das Lebensmodell ?Kind oder Karriere“ hatten Männer noch nie Lust, die meisten Frauen von heute aber auch nicht mehr. Im Übrigen ist Erwerbstätigkeit von Eltern - das gilt insbesondere für Alleinerziehende - die beste Armutsprävention.
Eingangs habe ich moderne Familienpolitik mit einem komplexen Gebäude verglichen. Die Modernisierung des Gebäudes wird mit der finanziellen Beteiligung des Bundes und der Verankerung des Rechtsanspruchs entscheidend vorangetrieben. Um das Haus mit Leben zu füllen, müssen zahlreiche Akteure mitwirken. Neben der Politik bedarf es der Unterstützung von Wirtschaft, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen und Kirchen. Nur in einem breiten Bündnis wird es gelingen, unsere Gesellschaft familien- und kinderfreundlicher zu gestalten.
Mit der Sicherstellung der Finanzierung machen wir beim Ausbau der Kinderbetreuung einen Quantensprung. Die von Rot-Grün eingeleitete moderne Familienpolitik ist nicht mehr aufzuhalten.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Miriam Gruß von der FDP-Fraktion.
Miriam Gruß (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man zum Schluss einer so langen und heftigen Debatte redet, tut man das immer unter dem Motto ?Es ist schon viel gesagt worden, aber noch nicht von jedem“. Ich hoffe, dass ich Ihnen trotzdem noch ein paar Aspekte bieten kann, die für die Debatte erhellend und interessant sind.
Natürlich beurteilen wir von der Opposition den Ausbau der Kinderbetreuung grundsätzlich als positiv. Aber auch mir ist es wichtig, an dieser Stelle noch einmal darauf einzugehen, dass wir nicht nur mehr Quantität, sondern auch mehr Qualität brauchen. Ich freue mich diesbezüglich über die Worte insbesondere der Ministerin hier.
In dieser Woche hat - das wussten Sie vielleicht noch nicht - ein großer Tester Tintentankstellen, den schon oft zitierten Flachbildfernseher sowie einen Backtoaster und eine Margarine mit dem Namen ?Idee“ getestet, die dafür sorgen soll, dass die Kinder besser Ideen entwickeln können. Das ist alles gut und schön und sicherlich auch wichtig in unserer Welt. Aber nicht getestet werden die Einrichtungen, denen wir als Eltern unsere Kinder anvertrauen. Die Kinder verbringen dort im Schnitt 4 000 Stunden ihres Lebens. Hier fehlen einheitliche Standards, die bundesweit gelten und die uns Eltern das Gefühl geben, dass wir unsere Kinder guten Gewissens außer Haus betreuen lassen können.
Das ist eine wichtige Erkenntnis, die allerdings, so glaube ich, in diesem Haus unstreitig ist: Die Betreuung außer Haus ist die erste neue, aber auch sehr wichtige Lebens- und Lernumgebung von Kindern neben der Familie, und um die Kinder muss es uns letzten Endes gehen. Ich spreche an dieser Stelle zwar als kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion, aber auch als Vorsitzende der Kinderkommission, die die Qualitätsoffensive, die Sie angesprochen haben, sehr begrüßt. Wir brauchen diese Qualitätsoffensive.
Was brauchen Kinder noch? Kinder benötigen für eine gesunde Entwicklung Bindungspersonen, die für ihre emotionalen Bedürfnisse verfügbar sind. Kinder brauchen stabile Bindungen; sie sind notwendig für die gesunde motorische, kognitive und emotionale Entwicklung. Stabile Bindungen können allerdings nicht nur zu Müttern oder Vätern aufgebaut werden, sondern auch zu weiteren Bezugspersonen. Das kann neben der Tante aus der Familie auch die Tagesmutter oder der Tagesvater sein, ebenso die Erzieherin oder der Erzieher.
Es ist evident, welche Vorteile stabile Bindungen haben: Die Kinder sind kreativer, aufmerksamer und flexibler. Sie haben eine höhere Ausdauer, eine bessere Gedächtnisleistung und Sprachentwicklung. Sie verfügen in der Regel über höhere Bildungsabschlüsse und weisen aufgrund guter Ernährung auch eine bessere Gesundheit auf. Auch dies muss ein wichtiger Aspekt in dieser Debatte sein. Ziel muss es sein, den Kindern von Anfang an bessere Chancen zu bieten, wie es die FDP in ihrem Antrag ?Chancengerechtigkeit von Beginn an“ deutlich gemacht hat.
Bei der Bildungsoffensive muss es also um Zweierlei gehen: zum einen um die Inhalte und zum anderen um das Personal.
Noch einmal zu den Bildungsinhalten. Ja, auch das freie Spiel und das Erlernen sozialer Kompetenz sind wichtig. Wir hatten gestern ein aufschlussreiches Expertengespräch in der Kinderkommission, in dem deutlich wurde, dass auch Themen wie kulturelle Bildung in diesen Bildungseinrichtungen Eingang finden müssen. Auch der frühe Zugang zu den Naturwissenschaften und das frühe Erlernen von Medienkompetenz sind wichtig. Dazu braucht man eben motivierte und kompetente Fachleute, die sich für diese Aufgaben zur Verfügung stellen. Ich betone, was ich an dieser Stelle schon oft gesagt habe: Wir brauchen mehr männliche Erzieher.
Was ich hier anspreche, ist natürlich in hohem Maße Ländersache. Aber ich denke, dass sich der Bund da nicht aus der Verantwortung stehlen darf. Wir müssen an dieser Stelle klarmachen - wir werden heute von vielen gehört -, dass hier weitergearbeitet werden muss und dass man es nicht bei dem Anschub, den der Bund leistet, bewenden lassen darf. Wir müssen über den Personalschlüssel für die Einrichtungen gemeinsam weiterdebattieren.
Sie merken, ich habe hier nicht gemeckert, sondern habe konstruktive Vorschläge gemacht und auch gelobt.
Die Opposition verhält sich an dieser Stelle im Interesse der Kinder konstruktiv.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer von der CDU/CSU-Fraktion.
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass auch die Opposition uns zubilligt, dass kaum ein vergleichbares politisches Großvorhaben in den letzten Jahren so dynamisch angepackt und so erfolgreich und rasch umgesetzt worden ist wie die Kinderbetreuung.
Wir werden die Zahl der Kinderbetreuungsplätze verdreifachen. Wir haben mit einem neuen Anschub die Leistungskraft enorm gesteigert. Das führt bei dem Modell der Kinderbetreuung nicht zu klimaschädlichen Auswirkungen, sondern es begünstigt ein Klima der Kinder- und Familienfreundlichkeit in Deutschland.
Die Menschen in unserem Land, die Millionen von Müttern und Vätern sowie viele junge Paare, die über ihren Kinderwunsch momentan noch nachdenken, erfahren nun Planungssicherheit für die Betreuung ihrer Kleinsten. Taten statt Worte, Gesetzesbeschlüsse statt Ankündigungen, Chefsache statt Gedöns: Das ist unsere Leitlinie.
Der Ausbau der Kinderbetreuung ist aber nur ein Teil eines Gesamtkonzepts des von Bund und Ländern verabredeten Ausbaus der Betreuung für Kinder unter drei Jahren. Im Begründungsteil des vorliegenden Gesetzentwurfs über das Sondervermögen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im nächsten Schritt weitere Regelungen folgen. Dort heißt es beispielsweise:
Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von 1 bis 3 Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (z. B. Betreuungsgeld) eingeführt werden.
Damit wird der Grundsatz der Wahlfreiheit dargestellt. Keiner Familie, keinem Elternpaar, weder Müttern noch Vätern sollen Vorschriften gemacht werden, wie sie ihre Familie zu organisieren haben.
Wir wollen Familien unterstützen, gleich welches Lebensmodell sie gewählt haben. Wir wollen ihnen nicht weniger, sondern mehr Wahlfreiheit geben.
Den richtigen Platz für die gesetzliche Festlegung der Wahlfreiheit zu finden, wird das nächste große Vorhaben sein, das zur Änderung des Sozialgesetzbuches VIII führen wird. Darin wird zum einen die gesetzliche Verpflichtung zum Ausbau der Kinderbetreuung und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine Betreuung für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr ab dem Kindergartenjahr 2013/14 geregelt sowie zum anderen ab 2013 die Einführung eines Betreuungsgeldes. Wir werden zunächst sorgfältig über die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes beraten und sie dann festlegen. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir aber nicht den Haushalt des Jahres 2013 beschließen; auch das ist richtig.
Warum sind synchron der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen und die Einführung eines Betreuungsgeldes notwendig? Ein großer Fortschritt, den diese Koalition nicht nur zu verantworten hat, sondern auf den sie auch stolz ist, war die Einführung des Elterngeldes. Rot-Grün ist es in sieben Jahren nicht gelungen, das Elterngeld auf den Weg zu bringen. Wir haben es innerhalb von sieben Monaten geschafft.
Freuen Sie sich darüber. Wir haben es gemeinsam geschafft. Für die ersten Eltern, die Elterngeld beziehen, läuft der Anspruch 2008 aus. Es stellt sich die Frage, was danach kommt. Dann stellt sich die Frage der Betreuung. Deshalb brauchen wir den Ausbau der Kinderbetreuung. Zunehmend wird sich aber auch die Frage nach einem Betreuungsgeld stellen; denn Wahlfreiheit bedeutet nicht Schulterklopfen, sondern auch finanzielle Wahlfreiheit.
Beim beschleunigten Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen wird von einer Versorgungsquote von 35 Prozent in diesem Zeitraum ausgegangen. Nach Adam Riese bleiben 65 Prozent der Kinder übrig, für die keine derartige Betreuung in Anspruch genommen wird. Auch an diese Familien müssen wir denken. Wir müssen daran denken, dass Schulterklopfen einen finanziellen Ausgleich nicht ersetzen kann.
Mit dem Betreuungsgeld entsprechen wir dem Herzenswunsch vieler Eltern, möglichst viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Ich bin mir ganz sicher, dass, wenn wir eine Umfrage unter den Kindern machen würden, herauskommen würde, dass sehr viele Kinder ihrerseits den Wunsch haben, möglichst viel Zeit mit ihren Eltern zu verbringen.
Die Forderung nach einem Betreuungsgeld ist daher nicht mit dem Füllhorn der Sozialleistungen zu vergleichen, nach dem Motto: Freibier für alle. Da gibt es immer Beifall. Diese Forderung entspricht vielmehr dem Wunsch der Familien, viel Zeit miteinander zu verbringen.
Viele Eltern empfinden es als Bevormundung - auch das darf ich an dieser Stelle sagen -, wenn sie feststellen, dass die Lebensentscheidungen, egal wie sie ausfallen, in eine gewisse Rangfolge gestellt werden,
wenn sie feststellen, dass nur das eine Lebensmodell politisch korrekt und zulässig ist, ein anderes, nämlich die Entscheidung, für eine gewisse Zeit oder dauerhaft für Kinder zu Hause zu bleiben, als ?verzopft“, lächerlich oder altmodisch dargestellt wird.
Diese Differenzierung wollen wir nicht. Wir überlassen es den Familien, zu entscheiden und zu wählen, wie sie ihr Leben gestalten wollen.
An dieser Stelle möchte ich noch etwas sagen: Hüten wir uns davor, den Eindruck zu erwecken, die Familie sei eine bildungsfreie Zone. Ich bin froh, dass das heute nicht geschehen ist. Bildung wird zuallererst - darin sind wir uns einig - in der Familie vermittelt.
Ich würde mich freuen, wenn der Betreuungsschlüssel - es ist schon angesprochen worden, dass wir ihn verbessern wollen, was Aufgabe der Länder ist -, der in einer Kleinkita wie einer Familie gegeben ist, auch in einer Kita im üblichen Sinn erreicht würde. Dieses Verhältnis wird wohl nur sehr selten erreicht. Wir wollen die Wahlfreiheit nicht für 35, nicht für 50, sondern für 100 Prozent der Väter und Mütter. Dazu werden wir die entsprechenden Vorlagen erarbeiten.
Es ist gut und notwendig, dass wir das Tempo in der Familienpolitik erhöht haben. Vor wenigen Wochen hat das Statistische Bundesamt die Geburtenzahlen für das zurückliegende Jahr 2006 veröffentlicht. Wenn die Zahl der geborenen Babys in Deutschland ein Indikator - neben vielen anderen - für den Handlungsbedarf in der Familienpolitik ist, dann dürfen wir im Tempo für mehr Familien- und Kinderfreundlichkeit in Deutschland nicht nachlassen. 1964 erblickten in den damaligen beiden deutschen Staaten 1,4 Millionen Babys das Licht der Welt. Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren es im Jahr 2006 nicht 1,4 Millionen, auch nicht 1 Million, nicht 900 000, nicht 800 000, nicht 700 000, sondern 672 000.
Ein familienfreundliches Deutschland, eine kinderfreundliche Grundstimmung in unserem Land entsteht nicht über Nacht, sondern bedarf der Nachhaltigkeit mit dem großen Projekt ?mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten“, mit dem Rechtsanspruch, aber eben auch mit dem Betreuungsgeld. Kardinal Josef Frings sagte einmal:
Die Zukunft des Volkes hängt nicht von der Zahl der Kraftwagen ab, sondern von der Zahl der Kinderwagen.
Der Kardinal hat recht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Dieter Steinecke von der SPD-Fraktion.
Dieter Steinecke (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir eine Freude, gleich in meiner ersten Rede von dieser Stelle über einen großen sozialdemokratischen Erfolg sprechen zu dürfen. Mit der Errichtung eines Sondervermögens ?Kinderbetreuungsausbau“ setzen wir unsere langjährige Politik für Kinder, für Familien fort. Es ist sicherlich nicht falsch, an dieser Stelle ausdrücklich unserem Finanzminister Peer Steinbrück zu danken; denn schließlich nehmen wir, wie man so schön sagt, richtig Geld in die Hand.
Natürlich gebührt auch allen anderen Dank, die am Gelingen des Projekts beteiligt waren.
Wofür wird das Geld verwendet? Diese Frage ist auf den ersten Blick nicht besonders originell. Ab 2013 wird ein Rechtsanspruch auf Tagesbetreuung für alle Kinder unter drei Jahren bestehen. Kapazitäten müssen gezielt ausgebaut werden. Wir wollen jedoch nicht nur in Beton investieren; auch Quantität allein ist nicht entscheidend. Die Qualität der Betreuungsangebote muss stimmen. Dafür stehen wir im Interesse der Kinder in unserem Land und für die Zukunft unseres Landes.
Als Bundes- wie auch Kommunalpolitiker möchte ich an dieser Stelle hervorheben, dass es ausgesprochen wichtig ist, nicht nur die Errichtung von Kindertagesstätten und -krippen zu fördern, sondern auch deren laufenden Betrieb.
Im Zentrum sozialdemokratischer Politik stehen die Menschen. Im Zentrum unserer Familienpolitik stehen neben Müttern und Vätern, wenn nicht sogar an erster Stelle, die Kinder. Bildung und Erziehung beginnen nicht erst mit dem dritten Lebensjahr oder gar erst mit der Einschulung. Schon früher werden wichtige Weichen gestellt. Für viele, zu viele Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ist am Tag der Einschulung der Zug zwar noch nicht endgültig abgefahren, aber deutlich verspätet. Diese Verspätung aufzuholen, kostet viel Kraft, viel Zeit und vor allen Dingen sehr viel Geld.
Ein umfassendes Angebot an Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren ist eine unabdingbare Voraussetzung für Chancengerechtigkeit, für einen fairen Zugang zur Ressource Bildung für alle Kinder.
Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, bedarf es einer hohen Qualität der Betreuung. Nun bin ich keineswegs der Auffassung, dass der Weg zum Erzieherberuf oder zur Tagespflegeperson ein Fachhochschulstudium erfordern sollte, jedenfalls nicht für alle. Doch für Tagesmütter und hoffentlich auch bald für Tagesväter sollte es durchaus etwas mehr sein als ein 20-stündiger Crashkurs.
Wenn ich von Qualität in der frühkindlichen Betreuung und Erziehung spreche, dann meine ich vor allem jene in Krippen und anderen geeigneten und für die Altersgruppe unter drei Jahren angemessenen Tageseinrichtungen. Das Ausbildungsniveaus der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter garantiert hohe Standards, die Institutionalisierung Verlässlichkeit.
Der Mensch ist, wie schon Aristoteles wusste, von dem wir heute bereits häufiger gehört haben, ein Gesellschaftswesen. Als Pädagoge sage ich Ihnen: Kinder gehören unter Kinder.
Vor allem in der Gruppe kann Integration geleistet werden. Gerade in einer Gesellschaft wie der unseren, in der viele Kinder keine Geschwister haben, können sie hier bereits von sehr klein auf soziale Kompetenz erlernen und leben.
Die Qualität der Einrichtungen zu sichern und auszubauen, bleibt eine Daueraufgabe. Daran braucht uns niemand zu erinnern.
Sie sehen, wir lehnen uns nicht selbstzufrieden zurück, sondern wir blicken voraus. Wir werden den Weg zu einer bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung in unserem Land weiter beschreiten. Der Grundstein für ausreichende Kapazitäten ist gelegt. In den weiteren Beratungen zum SGB VIII werden wir uns gründlich mit dem Qualitätsaspekt beschäftigen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Steinecke, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6596, 16/6601, 16/6607, 16/6100 und 16/6597 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 118. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 12. Dezember 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]