119. Sitzung
Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Ich wünsche uns einen guten Morgen und mindestens ähnlich gute Beratungen im Rahmen unserer heutigen Tagesordnung.
Auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident von Kanada, der Speaker des House of Commons, Peter Milliken, mit seiner Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie, lieber Peter Milliken, und Ihre Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich hier im Deutschen Bundestag.
Die seit vielen Jahren enge und freundschaftliche Beziehung zwischen unseren Ländern wird auch in der Zusammenarbeit unserer beiden Parlamente deutlich und hat sich nicht zuletzt im Rahmen der G-8-Parlamentspräsidenten-Treffen bewährt. Für Ihren Aufenthalt in Berlin, den anschließenden Aufenthalt in Dresden und Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/6460, 16/6612 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6633 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/6460, 16/6461, 16/6613 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein weiterer Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir am Ende dieser Debatte namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster erhält das Wort der Kollege Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion. - Ich stelle fest, dass Sie ein bisschen verblüfft sind. Aber ich folge wie immer den Empfehlungen, die die Geschäftsführer - sicher mit guten Gründen - ausgehandelt haben.
Bitte schön, Herr Dzembritzki, Sie haben das Wort.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt bösere Überraschungen als die, als Erster am Freitag im Bundestag zu sprechen.
Diese Debatte ist ernst, diese Debatte ist wichtig. Wir Sozialdemokraten haben nach der Diskussion im Herbst 2006 die Konsequenz gezogen, eine Taskforce, eine Arbeitsgruppe, einzurichten, der Kollegen angehören, die Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und im Innenausschuss sind. Diese Taskforce setzt sich mit den besonderen Herausforderungen auseinander, die sich für uns in Afghanistan stellen. Wir haben uns in jeder Sitzungswoche getroffen und intensiv gearbeitet. Wir haben uns bemüht, aufzuarbeiten, was in den zurückliegenden Jahren in Afghanistan geschehen war. Wir haben die aktuelle Arbeit begleitet, und wir haben natürlich intensive Gespräche in Afghanistan, in Washington und in Ottawa geführt.
Ich freue mich sehr, dass der Parlamentspräsident Kanadas hier ist; denn gerade unsere kanadischen Freunde sind in Afghanistan sehr aktiv und haben ein großes Opfer gebracht. Unser Respekt, unsere Dankbarkeit und unsere Anerkennung gelten insbesondere Ihrem Land, Ihren Menschen, die sich so solidarisch in Afghanistan einbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Kernerkenntnis dieser Arbeit von zwölf Monaten und dieser Gespräche mit Kollegen auch aus anderen nationalen Parlamenten ist, dass wir in Afghanistan alle sehr eng zusammenarbeiten und uns dort inhaltlich nichts trennt. Wir haben allerdings festgestellt, dass wir noch entschieden besser werden können; das ist auch bei einer Konferenz vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der kanadischen Botschaft deutlich geworden, einem ?international round table“ mit Experten aus den Vereinigten Staaten, aus europäischen Ländern, mit Kollegen aus nationalen Parlamenten. Wir können durch mehr Kooperation, durch mehr Abstimmung und durch die Mittel, die wir im personellen wie im materiellen Bereich zur Verfügung stellen, eine größere Wirkung für die Menschen in Afghanistan erreichen. Viele fragen sich dort: Wo bleiben eigentlich die Milliarden, die die internationale Gemeinschaft einbringt? Wo kommen sie bei den Menschen an? - Wir müssen tatsächlich noch mehr dafür sorgen, dass sie die Menschen in Afghanistan direkt erreichen.
Die internationale Gemeinschaft hat einige Instrumente geschaffen. Im Afghanistan Compact haben wir die Vereinbarung, dass sich die politischen Direktoren der Außenministerien mit der afghanischen Regierung regelmäßig treffen. Hier muss sehr schnell geprüft werden, ob nicht durch intensivere Treffen, durch häufigere Zusammenkünfte eine bessere Abstimmung im internationalen Bereich erreicht werden kann.
Wir haben aber auch sehr deutlich erfahren, dass die Entscheidungen, die wir hier im Haus treffen, nicht nur für die Bundeswehr, nicht nur für unsere Menschen im Land von entscheidender Bedeutung sind, sondern immer auch in unmittelbarer Wirkung zu unseren Partnern, zu den Mitakteuren in Afghanistan stehen. Alle Länder, die in Afghanistan aktiv sind, achten auch darauf, wie der Bundestag entscheidet. Deswegen ist es umso wichtiger, zu erreichen, über diese Jahresentscheidung hinaus eine Verbindlichkeit für unser Handeln festzustellen. Die Mitakteure in Afghanistan, aber auch die Menschen dort sollen wissen, dass wir uns nicht nur von Jahr zu Jahr einbringen, sondern für einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen. Das Günstigste wäre, den Afghanistan Compact, der eine Wirkung für den Zeitraum von 2006 bis 2011 haben soll, dafür als Instrument zu nutzen, um vom Bundestag aus zu signalisieren: Das ist unsere Richtschnur; das ist unsere verbindliche Aussage an die Kanadier, Niederländer, Australier und all die anderen, die in Afghanistan aktiv sind. - Diese solidarische Geste ist notwendig. Sie brächte ein Stückchen Sicherheit für unsere Menschen, für unsere Soldaten, für unsere Entwicklungshelfer in Afghanistan und würde uns nicht so verwundbar machen, wie wir es im Augenblick sind, indem durch kriminelle Maßnahmen der Versuch unternommen wird, unsere Entscheidungen hier im Land zu beeinflussen.
Wir müssen uns aber auch noch einmal intensiv mit den Feldern beschäftigen, die in besonderer Weise dafür entscheidend sind, dass - der Einsatz der internationalen Gemeinschaft ist die Grundlage unserer Arbeit in Afghanistan - die afghanischen Verantwortungsträger, Regierung und Parlament, befähigt werden, die Sicherheit in Afghanistan herzustellen. Das heißt, wir müssen uns intensiv anschauen: Was geschieht eigentlich beim Polizeiaufbau? Was passiert beim Armeeaufbau? Was ist mit der Justiz? Da muss insgesamt noch ein Stückchen mehr Professionalität erreicht werden. Wir müssen den Bedarf kennen; er wird bei der Polizei auf 60 000, beim Militär auf 70 000 geschätzt. Bei der Justiz ist bisher verhältnismäßig wenig Konkretes formuliert, was alles geschaffen werden müsste.
Wenn wir uns Polizei und Armee anschauen, dann stellen wir fest, dass der errechnete Bedarf bei Weitem unterschritten wird. Ich bin der Regierung für den offenen Bericht, den sie vorgelegt hat, und das Konzept sehr dankbar. Sie schreibt selbst, dass zum Beispiel von den 30 000 ausgebildeten Soldaten maximal 17 000 zur Verfügung stehen. Wir müssen uns Gedanken machen: Wo sind die anderen geblieben? Wir brauchen eine weitaus größere Kapazität. Dabei spielt die Frage von Bezahlung und von Zuverlässigkeit eine Rolle. Aber wir müssen auch wissen: Wie viel Kapazität brauchen wir, braucht die internationale Gemeinschaft, um die Armee zu befähigen, die Aufgaben selbstständig zu übernehmen? Das Gleiche gilt für die Polizei. Das Gleiche gilt für die Justiz. Dann müssen die entsprechenden materiellen und personellen Ressourcen so zur Verfügung gestellt werden, dass eine Chance besteht, bis zum Jahr 2011 das Ziel von Afghanistan Compact, dieser internationalen Vereinbarung, zu erreichen.
Erreichen wir es nicht, dann wird es nicht möglich sein, unser Engagement schrittweise zurückzunehmen. Im Augenblick müssen wir unser Engagement verstärken, um dieses Ziel zu erreichen.
Das ist die Botschaft, die aus diesem Haus hinausgehen muss.
Ich will abschließend noch sagen, dass die Besuche dort und die Gespräche mit afghanischen Kollegen immer wieder zeigen: Die Menschen in Afghanistan wollen Frieden, wollen Sicherheit, wollen Entwicklung. Schauen Sie sich zum Beispiel die Ausstellung des Verteidigungsministeriums an! Ich habe gerade eine Ausstellung im Goethe-Institut in Washington erlebt. Da war ein Workshop junger Afghanen. ?Nichts als Leben“ war die Überschrift. Sie müssen sich die Bilder anschauen. Sie müssen sich vergegenwärtigen, welchen kulturellen Anspruch die Menschen haben, welchen Wunsch nach friedlichem Zusammenleben diese Bilder widerspiegeln. Sehr schön fand ich auch ein Theaterfestival vor einigen Wochen in Kabul: ohne Schüsse, ohne kriminelle Taten. Hunderte, Tausende von Menschen sind zusammengekommen, haben dieses Theaterfestival gefeiert.
Es wird immer davon gesprochen, dass wir Leuchttürme schaffen wollen. Dabei geht es nicht nur um die schnelle Realisierung von Krankenhausbauten zum Beispiel in Masar oder von Schulen, sondern auch darum, dabei zu helfen, dass solche kulturellen Möglichkeiten wahrgenommen werden können. Ich erinnere mich an die Nachkriegszeit in Berlin. Jedes Theater, jede Oper, jede Ausstellung, die es in den Nachkriegsjahren in Berlin gab, wurde mit Freude und in einer besonderen Weise wahrgenommen. In Kabul ist das sicherlich in gleicher Weise möglich. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch noch ein Leuchtturmprojekt ?Nationaltheater in Kabul“.
In diesem Sinne viel Erfolg für unsere Arbeit!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag wird dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan zustimmen. Wir stimmen diesem Antrag deshalb zu, weil er nicht nur gedacht ist, um Afghanistan zu helfen, sondern weil es auch um uns und unsere eigenen Interessen geht. Es geht nicht nur um einen Akt der Solidarität mit dem afghanischen Volk, es geht auch ganz handfest um unsere eigene Sicherheit und unsere eigene Freiheit auf dem europäischen Kontinent. Wir tun das für Afghanistan und noch mehr für uns selbst.
In dem Augenblick, in dem sich die friedliche Völkergemeinschaft und diejenigen, die in Afghanistan für Freiheit kämpfen und eintreten, aus Afghanistan zurückziehen, in dem Augenblick - am Tag danach - wird Kabul wieder zur Hauptstadt des Terrorismus der Welt. All denen, die sagen, es sei nichts erreicht worden, denen möchte ich entgegnen: Das ist eine ungewöhnlich ignorante und törichte Betrachtung. Es ist unglaublich viel erreicht worden:
Die Kinder können wieder zur Schule gehen. Mädchen können zur Schule gehen. Frauen, die vergewaltigt worden sind, wurden früher gesteinigt. Jetzt haben sie wieder Chancen auf ein einigermaßen erträgliches Leben. Ja, die Armut ist immer noch groß. Ja, es gibt Drogenhandel. Ja, es gibt Korruption. Aber all das ist im Vergleich zu den vorherigen Barbareien der Taliban gar nichts, meine sehr geehrten Damen und Herren. Auch das muss einmal gesagt werden.
Manche meinen ja, das alles sei nun Schnee von gestern. Welches barbarische Potenzial in diesen Talibanterroristen steckt, das hat eine kleine, in Europa wenig beachtete, aber, wie ich finde, unglaublich grausame Nachricht gezeigt, die in der letzten Woche veröffentlicht worden ist: Da wird im Süden Afghanistans ein 15-jähriger Junge mit ein paar Dollar, die er in der Tasche gehabt hat, um sein karges Leben vielleicht etwas wohlhabender - so könnte man sagen - organisieren zu können, von den Taliban erwischt und anschließend aufgehängt. Die Schlinge wird dann noch langsam hochgezogen, damit der Weg in den Tod möglichst lange dauert.
Ich möchte nicht - ich bin fest davon überzeugt, das gilt auch für die große Mehrheit des Deutschen Bundestages und für die große Mehrheit unseres Volkes -, dass so etwas quasi organisiert in Afghanistan wieder passieren kann.
Deswegen kann ich der Bundesregierung nur anempfehlen, dass sie die Überlegungen, die sie uns im Kanzleramt und auch an anderer Stelle vorgetragen hat, weiterhin anstellt.
Ich denke, dass wir um unserer selbst willen gar nicht anders können, als dort Erfolg zu erzielen. All denjenigen, die meinen, der Erfolg sei ausgeschlossen, möchte ich energisch widersprechen, auch vor dem Hintergrund und den Eindrücken meiner gerade stattgefundenen Reise mit vielen Gesprächen dortselbst. Ein Erfolg für die friedliche Völkergemeinschaft in Afghanistan ist möglich, wenn wir bereit sind, dafür auch etwas zu tun, und zwar mehr und anderes, als bisher getan wurde. Es reicht für den Aufbau von Polizeistrukturen nicht aus, eine Handvoll Polizeibeamte nach Afghanistan zu schicken und ein paar Handschellen und ein paar Gummiknüppel mitzuliefern. Wenn wir jemals wieder aus Afghanistan herauswollen, müssen wir dafür sorgen, dass dort eigene staatliche Strukturen entstehen. Dazu zählt auch eine funktionierende Polizeistruktur. Das muss zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit werden.
Wenn man mit den Leuten beispielsweise in Kunduz spricht - Sie haben während Ihrer Amtszeit als Verteidigungsminister ähnlich gesprochen und einem das auch anempfohlen -,
und zwar nicht nur mit den Dorf- bzw. Stammesältesten, sondern auch mit den vielen Entwicklungshelfern, dann kann es dazu kommen, so wie es Kollegin Homburger, Kollegen van Essen und mir passiert ist, dass man plötzlich zwei deutschen Polizeibeamten gegenübersteht und - es war meine erste Reise nach Afghanistan - erzählt bekommt, was alles nötig ist. Dabei bekommt man auch eine Ahnung von der Größe und von den Entfernungen, die überwunden werden müssen. Afghanistan ist ja doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Als ich dann die beiden fragte: ?Was machen Sie hier?“, bekam ich zur Antwort: ?Wir bauen hier den Polizeiapparat auf“. Ich fragte: ?Wer hilft Ihnen denn?“ Die Antwort lautete: ?Nein, nein, wir sind die beiden Einzigen“. Dabei haben sie, wenn sie innerhalb des von ihnen betreuten Gebietes von einem Ende zum anderen gelangen wollen, Fahrzeiten von ungefähr elf Stunden zu überwinden. Dass zwei Polizeibeamte Polizeistrukturen in der gesamten Region Kunduz/Tachar, für die sie zuständig sind, aufbauen, ist schlechterdings unmöglich.
Nun muss der Deutsche Bundestag meines Erachtens nicht nur A, sondern auch B sagen. Ich sage es ganz klar: Wir wollen Erfolg in Afghanistan. Das heißt aber auch: Wir müssen Geld für den Polizeiaufbau in die Hand nehmen. Das sollten wir hier alle gemeinsam beschließen.
Ich möchte etwas an diejenigen gerichtet sagen, die vor Ort für uns arbeiten. Ich glaube, nur wenn man einmal dort gewesen ist, bekommt man eine Ahnung davon, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten: diejenigen, die als zivile Helfer Schulen aufbauen oder als Polizeibeamte tätig sind, und auch unsere Soldatinnen und Soldaten. Das anzusprechen, ist für mich ein wichtiges Anliegen, weil ich persönlich erlebt habe, unter welchen Bedingungen unsere Soldatinnen und Soldaten und die Entwicklungshelfer und Aufbauhelfer Dienst tun. Damit die Soldatinnen und Soldaten, die Bürgerinnen und Bürger, die dort für Deutschland arbeiten, nicht den Eindruck bekommen, dieses Land stünde nicht hinter ihnen, sage ich hier für meine Fraktion - und ich glaube, auch für einen großen Teil dieses Hauses -: Wir sind dankbar für die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Ich füge hinzu: Ich bin geradezu stolz auf die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und all der Aufbauhelfer in Afghanistan vor Ort. Deren Arbeit ist gefährlich und nötig zugleich.
Ich möchte mit zwei kurzen Bemerkungen an diejenigen, die den Antrag heute ablehnen werden, schließen. Ich respektiere es, wenn Kolleginnen und Kollegen aufgrund von Überlegungen zu einem anderen Ergebnis kommen. Zwei Dinge respektiere ich allerdings nicht: erstens das, was in der letzten Debatte gesagt worden ist - Herr Kollege Gysi, ich glaube, Sie waren es, der das hier eingebracht hat -, nämlich dass nur 2 Millionen Mädchen wieder in der Schule seien und dass es viel mehr sein müssten. Das empfinde ich, offen gestanden, als zynisch; denn Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt.
Zweitens. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion darum, damit aufzuhören, zu behaupten, dieser Einsatz sei durch Recht und Gesetz nicht gedeckt. Dieser Einsatz entspricht Recht und Gesetz, dem internationalen Völkerrecht und ausdrücklich auch unserem nationalen Verfassungsrecht.
Unsere Soldatinnen und Soldaten arbeiten dort auf der Basis unserer Verfassung. Jede andere Behauptung ist Polemik und dient in Wahrheit nur der Attacke.
Ich möchte an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen ein Schlusswort richten.
Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie der Sache nach dem Antrag nicht zustimmen wollen, dann ist das Ihr gutes Recht. Aber eines finde ich persönlich nicht akzeptabel: Wenn Sie der Meinung sind, dass dieser Einsatz richtig ist, dann müssen Sie heute als Abgeordnete für dieses Mandat stimmen. Für den Einsatz zu sein, aber, weil ein Parteitag anders entschieden hat, hier gegen das eigene Gewissen zu entscheiden, entspricht nicht dem Auftrag, den Sie nach der Verfassung haben.
Ich hoffe sehr, dass es eine große Mehrheit für den Antrag in diesem Hause gibt. Wir als Oppositionsfraktion werden den Regierungsfraktionen jedenfalls beistehen, wenn dieser Einsatz heute mit großer Mehrheit beschlossen wird.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! In Afghanistan geht es in der Tat zunächst um unsere eigene Sicherheit; das hat der Kollege Westerwelle gerade in seiner Rede überzeugend dargestellt. Das machen die Bilder vom 11. September 2001 deutlich, aber auch die Tatsache, dass glücklicherweise und mit großem Aufwand und beeindruckender Leistung unserer Sicherheitsbehörden die Anschläge haben vereitelt werden können, die in Pakistan und dann im Sauerland vorbereitet worden sind. Wenn wir uns heute die Lage in Pakistan anschauen, in den Tribal Areas, wo die Situation der in Afghanistan vor 9/11 vergleichbar ist, wird deutlich: Wenn es nicht gelingt, Afghanistan zu stabilisieren, dann ist auch jede Lösung für Pakistan unmöglich.
Afghanistan ist ein Land von enormer geopolitischer Bedeutung.
- Sie haben mit Ihrem Hinweis, dass Afghanistan für uns schon seit längerem eine enorme geopolitische Bedeutung hat, völlig recht; denn dass die Wiedervereinigung in Freiheit und die Einigung Europas stattfinden konnten, hat auch wesentlich mit Afghanistan zu tun. Die demokratischen Kräfte in Kabul - unter ihnen der Verteidigungsminister Wardak - sagen deutlich, dass es in Afghanistan Enttäuschung über den Westen gibt. Afghanistan hat mit dem Widerstand gegen die Okkupation durch die Sowjetunion mit dafür gesorgt, dass die Sowjetunion ihren Hegemonialanspruch in Mittel- und Osteuropa nicht mehr aufrechterhalten konnte. Der Kampf der Afghanen gegen diese Besatzung hat also auch dazu geführt, dass die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Einigung Europas möglich geworden sind.
Das heißt, unser Land hat wesentlich von dem profitiert, was die Afghanen in der Vergangenheit geleistet haben. Aber danach hat der Westen dieses Land vergessen. Das ist ein Grund dafür, dass es zu 9/11 hat kommen können. Die terroristischen Aktivitäten, die heute die Sicherheit unseres Landes bedrohen, entstammen dem Umfeld Afghanistans. Deswegen ist dieses Land für uns von so großer geopolitischer Bedeutung. Es liegt daher in erster Linie in unserem eigenen Interesse, dass wir bei der Stabilisierung dieses Landes erfolgreich sind.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke?
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Gern.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Kollege von Klaeden, da Sie eben auf den afghanischen Widerstand gegen die sowjetische Besatzung abgehoben haben, möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir recht geben, dass ein wesentlicher Teil dieses Widerstandes, den Sie eben gelobt haben, von den Taliban, einer von Pakistan und der CIA aufgebauten Widerstandsorganisation, geleistet worden ist?
Herr Westerwelle hat zu Recht die menschenverachtende Politik der Taliban kritisiert. Man sollte sich daher in der Argumentation nicht auf die Taliban berufen.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Gehrcke, ich danke Ihnen herzlich, dass Sie mir die Gelegenheit geben, auf diese Frage zu antworten. Sie wiederholen die in Deutschland weit verbreitete, aber dennoch falsche Propaganda, dass die Taliban eine Folge der Handlungen der CIA gewesen seien.
In Wirklichkeit sind die Taliban eine fundamentalistische islamistische Bewegung, die sowohl aus Afghanistan als auch aus Pakistan kommt und die insbesondere vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt worden ist. Die Amerikaner haben sich vor allem um die Unterstützung der Mudschahedin gekümmert.
Einer ihrer Repräsentanten ist der Verteidigungsminister Wardak, der heute als Mitglied der afghanischen Regierung mit uns gemeinsam für mehr Sicherheit in diesem Land sorgen will.
Ich finde es bemerkenswert, dass Sie diesen Punkt hier ansprechen; denn Ihre Partei hat, was die Herausforderung hinsichtlich unserer Sicherheitslage und der Verteidigung unserer Freiheit angeht, in allen drei Phasen versagt. Als es in der ersten Phase während des Kalten Krieges darum ging, in der NATO mit unseren Verbündeten gemeinsam dafür zu sorgen, die Freiheit und die Sicherheit Deutschlands und Westeuropas zu gewährleisten, hat Ihre Partei auf der anderen Seite gestanden.
Als es in der zweiten Phase der NATO-Politik darum ging, die Freiheit nach Mittel- und Osteuropa auszudehnen, die Staaten dort zu stabilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, Rechtsstaaten zu werden und die Marktwirtschaft einzuführen, und als es darum ging, den Massenmord in Jugoslawien zu verhindern, hat Ihre Partei auf der anderen Seite gestanden. Herr Gysi ist sogar nach Jugoslawien gefahren und hat Milo¨evic umarmt.
Jetzt, wo es in der dritten Phase darum geht, Gefahren von unserem Land abzuwenden, die von Extremisten ausgehen und die weit außerhalb unserer Grenzen entstehen, steht Ihre Partei wieder auf der anderen Seite.
Als der Kollege von Herrn Blechschmidt - er ist glücklicherweise freigekommen - ermordet worden ist, war uns allen bekannt, dass diese Tat keinen politischen, sondern einen kriminellen Hintergrund hatte. Trotzdem hat Ihr Fraktionsvorsitzender Gysi genauso wie die Taliban dieses feige Verbrechen zum Anlass genommen, zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan aufzurufen.
Damit hat er sich auf die Propaganda der Taliban eingelassen, die die Diskussion bei uns sehr genau beobachten und versuchen, durch Anschläge - auch in den letzten Tagen - die Entscheidung dieses Parlaments zu beeinflussen. Sie müssen sich einmal fragen, auf welcher Seite Sie stehen.
In Afghanistan wegen seiner besonderen geopolitischen Bedeutung für Freiheit und Stabilität zu sorgen, ist eine Aufgabe, die sich die freie Welt gemeinsam gestellt hat. Deswegen will ich hier einmal darauf hinweisen, dass das Ganze kein Engagement der Bundesrepublik Deutschland allein ist, sondern sich 26 NATO-Staaten im Bündnis gemeinsam in Afghanistan engagieren und sich neben diesen 26 NATO-Staaten weitere 11 Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind, in Afghanistan beteiligen, um dort für Freiheit, Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Dazu gehören Länder wie Australien, Neuseeland, Österreich oder Schweden. All diese Länder könnten, wenn sie dem hier häufig gegen den Afghanistaneinsatz vorgetragenen Argument, Afghanistan sei doch so weit weg, folgen würden, mit guten Gründen sagen, dass sie sich nicht beteiligen. Diese Länder haben aber erkannt, dass es für ihre eigene Sicherheit, aber auch für die Glaubwürdigkeit der freien Welt erforderlich ist, ein Land wie Afghanistan nicht wieder im Stich zu lassen.
Die Extremisten in der islamischen Welt versuchen - das gilt für die Propaganda, die in Moscheen bei uns oder in Zentralasien verbreitet wird -, die Auseinandersetzung immer als eine Auseinandersetzung zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Islam und Christentum darzustellen. Wenn wir uns auf eine solche Argumentation einlassen würden, wären wir schon auf die Propaganda dieser Extremisten hereingefallen.
Es geht in Wirklichkeit darum, die moderaten Kräfte, die demokratisch gesinnten Kräfte, die rechtsstaatlich gesinnten Kräfte in der islamischen Welt zu stärken und mit ihnen gemeinsam die Extremisten zu isolieren und zu bekämpfen. Darum geht es auch in Afghanistan.
In der Debatte in Deutschland hört man immer wieder das Argument, da die Sowjetunion gescheitert sei, habe auch die NATO keine Chance, in Afghanistan erfolgreich zu sein. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass wir nicht die Sowjetunion sind. Wir sind nicht dort, um das Land zu okkupieren. Wir sind dort, um die demokratisch gewählte Regierung zu unterstützen.
- Ich kann verstehen, dass Sie den Zeiten der Sowjetunion nachtrauern. - Deswegen ist es so, dass heute nach wie vor über 80 Prozent der Menschen in Afghanistan unser Engagement unterstützen und uns auffordern, im Land zu bleiben.
Führen wir uns einmal vor Augen, welch beeindruckende Persönlichkeiten sich in Afghanistan für die Zukunft ihres Landes engagieren. Ich erinnere an Professor Ashraf, ein Exilafghane, der in Karlsruhe Professor für Bergbau war und eine Aufgabe in seinem Land übernommen hat. Er ist übrigens CDU-Mitglied. Ich erinnere ferner an den Außenminister Spanta von den Grünen, der 20 Jahre lang als politischer Flüchtling in Aachen lebte, dort an der Universität gearbeitet hat und dann die schwierige Aufgabe, den Aufbau seines Landes zu unterstützen, übernommen hat. Diese Menschen sorgen gemeinsam dafür, dass das Land nach und nach an Stabilität gewinnt. Diese beeindruckenden Persönlichkeiten und alle anderen Menschen, die sich für den Aufbau ihres Landes einsetzen, dürfen wir nicht im Stich lassen, wenn wir in der internationalen Politik unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen.
Der Kollege Dzembritzki hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan beeindruckende Fortschritte gibt. Auch der Kollege Westerwelle hat die beeindruckende Anzahl von Schulen genannt und über Kinder gesprochen, die wieder den Unterricht besuchen können.
Aber selbst bei den schwierigen Kapiteln, zum Beispiel beim Drogenanbau, gibt es bemerkenswerte Fortschritte.
Wir müssen zwar konstatieren, dass der Drogenanbau auch in diesem Jahr wieder zugenommen hat;
gleichzeitig hat aber auch die Anzahl der Provinzen in Afghanistan zugenommen, die mittlerweile drogenfrei sind. Sie hat sich von 6 auf 13 Provinzen mehr als verdoppelt. Es gibt aber nach wie vor 21 Provinzen, in denen Drogen angebaut werden, in denen der Drogenanbau sogar wesentlich zugenommen hat. Wenn man aber die Provinzen, in denen der Drogenanbau abgenommen hat, die heute als drogenfrei gelten können, mit den Provinzen vergleicht, in denen Sicherheit herrscht oder in denen sich die Sicherheitslage wesentlich verbessert hat, dann findet man heraus, dass auch zur Bekämpfung des Drogenanbaus der Aufbau von Sicherheit der entscheidende Schlüssel ist. Deswegen sorgen diejenigen, die den Drogenanbau als Argument für den Rückzug verwenden, nur dafür, dass der Drogenanbau in ganz Afghanistan wieder zunimmt. Die Sicherheit in Afghanistan ist der Schlüssel zur Bekämpfung des Drogenanbaus.
Wir dürfen nicht wackeln, weil wir damit das Vertrauen derjenigen zerstören oder beeinträchtigen, die sich in Afghanistan um den Aufbau ihres eigenen Landes bemühen. Wenn wir wackeln, wenn wir den Eindruck erwecken, dass die Aufgabe nicht zu meistern sei - Kollege Westerwelle hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das falsch ist -, dass die größte Gefahr für Afghanistan nicht die schwierige Aufgabe selbst, sondern unsere eigene Halbherzigkeit ist, wenn wir den Eindruck erwecken, dass wir uns aus Afghanistan, ohne die Aufgabe erfüllt zu haben, verabschieden wollen, dann werden wir diejenigen stärken oder werden dafür sorgen, dass die Zahl derjenigen zunimmt, die man im NATO-Deutsch Fence-Sitters nennt. Das sind diejenigen, die von einem imaginären Zaun die Entwicklung ihres Landes beobachten und sich sagen: Wir sind zwar nicht für die Taliban, aber wenn die internationale Gemeinschaft irgendwann einmal abzieht, und die Aufgabe ist nicht erfüllt, dann werden die Taliban zurückkommen. Deswegen wäre es jetzt für mich, weil ich das Land nicht verlassen kann, falsch, mich am Aufbau zu beteiligen. Ich muss mich dann vielmehr auf eine Situation einstellen, in der ich mich später einmal mit den Taliban wieder arrangieren kann.
Deswegen sorgen Wackeln, Zögern und fehlendes Engagement dafür, dass wir die Voraussetzung für unseren eigenen Erfolg unterminieren. Deswegen darf es an unserem Engagement keinen Zweifel geben. Das gilt für die ISAF-Debatte, aber insbesondere auch für den zivilen Aufbau. Wir müssen uns darauf einstellen, dass für den Erfolg in Afghanistan auch im nächsten Jahr deutlich mehr getan werden muss.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Lothar Bisky ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Spiegel der vergangenen Woche lesen wir über das Kommando Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan. Ich zitiere:
Im Verteidigungsausschuss ... erfahren von den Abgründen gerade einmal ein paar Dutzend der insgesamt 613 Bundestagsabgeordneten, die schon bald über die Fortsetzung der Isaf und OEF-Mandate entscheiden müssen und damit auch über künftige Einsätze des KSK am Hindukusch.
Sie werden die Entscheidung auf der Basis von viel Vertrauen und wenig Wissen treffen müssen.
Klar, Spiegel-Leser sollten eigentlich mehr wissen. Dennoch frage ich mich, ob ich genug weiß, um eine Entscheidung wissend fällen zu können, zumal ich nicht automatisch - das werden Sie einsehen - Vertrauen in die Regierung der Großen Koalition entwickeln kann. Mein Vertrauen wird nicht größer, wenn ich mir ansehe, dass der Herr Außenminister in seiner Rede zur ersten Lesung sagte:
... in dieser Situation ist es notwendig, dass wir neben dem zivilen Engagement ... auch unser militärisches Engagement aufrechterhalten.
Nun ist es nicht dem Außenminister anzulasten - das will ich ausdrücklich sagen -, dass ich der Einsicht in die Notwendigkeit vor längerer Zeit gelegentlich zu einfältig Folge geleistet habe und deshalb gelernt habe, gründlich nachzufragen. Deshalb frage ich heute nach den Erfahrungen der zivilen Kräfte und der Bundeswehr in Afghanistan. Ich will da keine Schwarz-Weiß-Malerei üben. Da ist Positives zu berichten. Ich denke an Schulen, an die Situation der Frauen, an Unterstützung humanitärer Art und an Hilfe beim demokratischen Aufbau des Landes.
Zugleich dürfen wir nicht übersehen, dass nach sechsjährigem Engagement die Gewalt in Afghanistan wieder deutlich zunimmt. Kurz: Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Deshalb muss ich gründlicher prüfen, was eine Verlängerung des Mandats bringen könnte.
In der Beantwortung dieser Frage unterscheidet uns Folgendes grundlegend: Die Regierung meint, sie würde mithilfe des Militärs den Terrorismus bekämpfen können. Wir von der Linken sagen: Im Ergebnis des militärischen Engagements ist der Terrorismus nicht entscheidend geschwächt worden. Tatsächlich stärken militärische Aktionen häufig Hass, in dessen Gefolge wieder terroristische Aktionen wachsen.
Wir bewerten also die gleichen Ereignisse und Prozesse unterschiedlich, auch wenn die Linke sich von terroristischen Anschlägen genauso distanziert, wie Sie es tun, meine Damen und Herren.
- Ja, wir sind da unterschiedlicher Meinung: Sie sagen, mit Militär, ich sage das nicht.
Herr von Klaeden, ich will eine Anmerkung machen. Der Versuch, Herrn Gysi in irgendeine Nähe zu den Taliban zu schieben, ist völlig abwegig, und ich weise das entschieden zurück.
Ich will Ihnen jetzt erläutern, warum ich von dem von Ihnen in Aussicht gestellten Erfolg nicht überzeugt bin. Nach unserer Analyse der Situation in Afghanistan ist die UN-mandatierte und NATO-geführte Mission ISAF, an ihren eigenen und nicht an irgendwelchen anderen Zielen gemessen, gescheitert. Warum?
Was wir als Taliban bezeichnen, sind ja keine Fremdkörper in Afghanistan. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine politische islamistische Gruppierung mit einem menschenverachtenden Weltbild. Aber - das ist entscheidend - die Taliban rekrutieren sich aus den Völkern Afghanistans, vor allem den Paschtunen; sie werden dort anders wahrgenommen als im fernen Europa, habe ich bei Scholl-Latour und anderen nachlesen können.
- Ja, man darf ja noch Bücher lesen.
Damit ist ganz offensichtlich eine gewisse Verankerung in der afghanischen Gesellschaft gegeben, ob uns das gefällt oder nicht; dies ist nur eine Tatsachenbeschreibung. Der Versuch, vielschichtige Wirklichkeiten auf ein einfaches Schwarz-Weiß-Bild zu reduzieren und dementsprechend politisch und militärisch zu handeln, muss Schiffbruch erleiden.
Aus diesen Gründen ist angesichts der komplexen Konfliktsituation in Afghanistan Skepsis angebracht: Die Politik der USA, nach der der Feind unseres Feindes unser Freund ist, wurde in Afghanistan seit 1979 mit dem Resultat praktiziert, dass die vermeintlichen Freunde, die Mudschahidin, letztlich zum Nährboden des Islamismus und Terrorismus wurden.
Ende 2001 praktizierten die USA diese Politik erneut: Die unbotmäßigen Taliban wurden mithilfe anderer Kriegsherren gestürzt, die gerne als moderate Islamisten bezeichnet werden. Dazu möchte ich - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - Frau Malalai Joya, Abgeordnete des afghanischen Parlaments, zitieren:
... sechs Jahre nach den Angriffen auf Afghanistan unter der Führung der USA liegt unser verwüstetes Land noch immer in den Ketten der fundamentalistischen Warlords. Die Regierung Bush übergab die Macht an Menschen, die sich in der Vergangenheit als Mörder und Plünderer bewährt haben und genauso finster, böse und grausam wie die Taliban sind.
Ich zitiere sie weiter:
Die westlichen Medien sprechen über Demokratie und die Befreiung Afghanistans, aber die USA und ihre Verbündeten fördern Warlords, Kriminalisierung und Drogenbarone in unserem ... Land und haben durch ihre massiven Militäroperationen bisher Tausende unschuldiger Zivilisten getötet, ohne in ihrem Krieg gegen die brutalen Taliban wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Dennoch tut die Bundesregierung so, als ob die ISAF-Mission Fortschritte erziele. Aber: ISAF mutiert von der ursprünglichen Schutztruppe immer mehr zur Kampftruppe im Sinne der OEF. Das ist die Wirklichkeit,
und dies wird durch den deutschen Tornadoeinsatz auch noch weiter befördert. Dies lehnen wir Linken entschieden ab.
Meine Damen und Herren, die ISAF-Mission läuft aus dem Ruder. Wer die deutsche Beteiligung an dieser Mission fortsetzen will, unterstützt die militärische Eskalationsstrategie der NATO. Dazu sagen wir entschieden Nein;
wir erwarten von der Regierung eine Exit-Strategie. Schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung jeden Eskalationsschritt der NATO mitgetragen: von der geografischen Ausweitung des ISAF-Mandats bis hin zur Verlegung der Aufklärungstornados.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist offensichtlich: Wer glaubt, dass die Beteiligung an ISAF und OEF auf die militärische Vorgehensweise der Verbündeten einen mäßigenden Einfluss hat, irrt. Im Gegenteil: Obschon die Bundeswehr an allen Planungen und Durchführungen von ISAF und NATO beteiligt ist, ist der Strategiewechsel hin zu mehr ziviler Aufbauhilfe ausgeblieben.
Damit macht sich Deutschland an der humanitären Katastrophe mitschuldig.
Die Linke fordert einen sofortigen Strategiewechsel. Damit stehen wir nicht allein. VENRO, der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, dem über 100 kirchliche und private NGOs angehören, forderte Anfang dieser Woche eine neue Strategie für Afghanistan. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für einen Strategiewechsel, obwohl wir, damit ich nicht falsch verstanden werde, nicht alles gleich beurteilen. Wir sind entschieden dafür, das Militär in seine Schranken zu weisen. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für eine strikte Trennung militärischer und ziviler Projekte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Bisky, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):
Ja, bitte.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Bisky, Sie haben gerade die interessante und bemerkenswerte Stellungnahme von VENRO angesprochen und sich der richtigen Forderung nach einem Strategiewechsel angeschlossen. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass VENRO wie auch Caritas international, medico international und andere gleichzeitig festgestellt hat, die Forderung nach einem Strategiewechsel ändere nichts daran, dass ISAF weiterhin unverzichtbar ist?
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):
Herr Nachtwei, das habe ich nicht in Abrede gestellt.
- Nein. - Ich habe nur gesagt: VENRO fordert einen Strategiewechsel.
Das ist wahr, und das können Sie nachlesen. Ich habe erwähnt, dass wir zu anderen Schlussfolgerungen kommen.
Bei VENRO gibt es viele, die weiterhin die militärische Unterstützung im Rahmen von ISAF wollen. Wir sagen dazu Nein. Das ist ein Unterschied.
Einen Strategiewechsel wollen wir alle. Ich habe das ja jetzt dank Ihrer Frage, Herr Nachtwei, eindeutig klarstellen können.
Wie ich sehe, können auch wir einer Meinung sein. Das, was VENRO fordert, ist nicht unsere Position. Ich will VENRO nicht instrumentalisieren. Dieser Verband will auch uns nicht instrumentalisieren. Das ist korrekt.
Meine Damen und Herren, wir wollen weg von der militärischen Besetzung und hin zur ausschließlich zivilen Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Wir sagen: Es gilt, jenseits militärischer Mittel den Auf- und Ausbau einer zivilen Infrastruktur und die Teilhabe aller Menschen in Afghanistan an politischen Entscheidungen zu befördern. Diese Unterstützung kann nur zivil geleistet werden. Das bisherige zivile Engagement der internationalen Staatengemeinschaft für Afghanistan ist ungenügend. Daraus ziehen wir die richtigen Konsequenzen. Wir unterstützen Bestrebungen, um in Afghanistan zu einem Waffenstillstand zu kommen,
wir wollen den dortigen Drogenhandel bekämpfen, und wir wollen die Afghan Ownership mit allen zivilen Maßnahmen, die möglich sind, weiterentwickeln.
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit komme ich zum Schluss. Meine Damen und Herren, der gute Zweck heiligt auch in Afghanistan keine militärischen Mittel, sie diskreditieren ihn eher.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben nach Ihrem Treffen mit dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela gesagt - ich zitiere -:
Wir brauchen Frieden auf der Welt, und insbesondere die Konflikte in Afrika müssen friedlich gelöst werden.
Sie bemerkten völlig zu Recht, Mandelas Beispiel habe gezeigt, dass Gewaltlosigkeit am Ende der bessere Weg sei. Dies sollte sich die Welt zu Herzen nehmen.
Wir tun es, Frau Dr. Merkel, und deshalb sagt die Linke eindeutig Nein zur Verlängerung des Mandats.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Renate Künast.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist mehrheitlich davon überzeugt, dass eine weitere Beteiligung Deutschlands an ISAF nötig ist. Wir sind davon überzeugt, dass ISAF in Afghanistan, in dieser Region nötig ist. Aber wir sind gleichermaßen besorgt, dass die bisherige, halbherzige Politik insgesamt den Problemen in Afghanistan nicht gerecht wird.
Ich stehe hier und sage Ihnen: Wir können dieser Bundesregierung bei der heutigen Abstimmung über ISAF inklusive der Tornadoeinsätze nicht einfach Prokura geben für ein Weiter-so, weil wir in tiefer Sorge über das Missverhältnis zwischen dem Militärischen und dem Zivilen sind. Genau das werden wir bei der heutigen Abstimmung zum Ausdruck bringen.
Wir haben darüber eine durchaus lange Debatte geführt - wie wir Grünen so sind. Wir zeigen das transparent und öffentlich, sodass Sie sich gerne daran delektieren können. Ich sage Ihnen: Wir haben es uns nicht einfach gemacht. Wir wissen um unsere Verantwortung als Fraktion. Wir haben uns lange Jahre mit Afghanistan beschäftigt. Wir haben - darauf sind wir stolz - den Petersberg-Prozess mit angeschoben und darauf hingewiesen, dass man auch einen zivil-militärischen Ansatz erst entwickeln muss. Der Petersberg-Prozess war wichtig, um tatsächlich eine verfassunggebende Versammlung zu bekommen. Aber auch die anderen Schritte zur Strukturierung des zivilen Aufbaus sind wichtig. An dieser Stelle stehen wir alle miteinander, steht die internationale Staatengemeinschaft allenfalls am Anfang.
Wir haben es uns nicht einfach gemacht; Sie wissen um unseren Parteitag. Wir sitzen hier heute als Grüne mit diesem Parteitagsbeschluss, wir sitzen hier aber auch auf der Basis des Grundgesetzes, das uns sagt, wir sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Wir sitzen hier und sagen Ihnen ganz klar: Wir wollen Afghanistan in seiner weiteren Entwicklung unterstützen. Deshalb haben wir heute zwei Anträge eingebracht, die darauf abzielen. Es darf hier nicht nur um das Militärische gehen, es muss auch darum gehen, was jetzt zivil in Afghanistan zu tun ist.
Ich denke, wir haben mit einigen in diesem Hause einen Konsens über die Problemanalyse. Wir wissen alle: Militärisch ist der Aufstand dort nicht zu besiegen. Niemand sollte glauben, dass man militärisch siegen könnte. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich auch zivil engagieren, und wir müssen die Eigenverantwortung Afghanistans stärken, insbesondere durch Strukturen im Sicherheitsbereich. Die Bundesregierung ist unseres Erachtens nicht hinreichend gewillt, die Konsequenzen zu ziehen, um auf allen Seiten - beim Militär, bei den Entwicklungshelfern, bei der afghanischen Regierung - den Strategiewechsel einzuleiten. Diese Bundesregierung müsste die Kraft sein, die das international antreibt. Es darf kein Weiter-so geben. Es muss ein Land diese Veränderung der Praxis antreiben. Das müsste diese Bundesregierung tun.
Ich höre hier aber auch heute noch viel zu viele Durchhalteparolen. Wir alle wissen um das enge Zeitfenster. Ich sage aber an Herrn Bisky und seine Fraktion gerichtet: Auch Ihre Abzugsparolen werden dem Ganzen nicht gerecht. Sie müssen sich auch mit der Frage auseinandersetzen, was die Afghaninnen und Afghanen vor Ort sagen. Wir hören jetzt - ich finde, das ist ein großer Ausdruck von Respekt -, dass eine Schule im Norden Afghanistans nach Michael Diebel benannt worden ist, einem deutschen Soldaten, der dort im Mai umgebracht wurde. Das drückt etwas aus, nämlich Respekt. Das ist eine Schule, auf die Afghanen gehen. Sie wollen, dass diese Schule so heißt. Was heißt das denn? Das passt doch gar nicht zu den Argumenten von der Linken.
Mir passt auch nicht die Art und Weise - das kann ich Ihnen auch von vielen weiblichen Abgeordneten aus Kabul mitteilen -, wie Sie die Abgeordnete Malalai Joya hier als Kronzeugin anbieten.
Das löst gerade bei den weiblichen Abgeordneten in Afghanistan tiefes Entsetzen aus.
Sie sind entsetzt darüber, was diese Frau hier zum Besten gibt.
Die weiblichen Abgeordneten in Kabul sagen - daran erkennen Sie schon, dass sich etwas verändert haben muss -: Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen; aber Steinigungen und den Zustand, dass überhaupt niemand zur Schule gehen kann, gibt es nicht mehr. - Deshalb haben sie ein Problem mit Malalai Joya, die sich auch vor Ort selber ins Off katapultiert hat, indem sie das Parlament als Stall beschimpft hat, in dem Esel und Hunde sitzen. Machen Sie das einmal, einen Muslimen als Hund bezeichnen. Sie wissen, dass Sie dann jeden Gesprächsfaden an dieser Stelle abgeschnitten haben.
Ich glaube, Sie haben eine zweifelhafte Kronzeugin hinsichtlich der Situation in Afghanistan und des Willens nach Veränderung.
Ich will an dieser Stelle auf die Bundesregierung zurückkommen. Wir brauchen vor Ort in Afghanistan eine Veränderung und hier in Deutschland eine breitere Debatte. Frau Bundeskanzlerin, deshalb haben wir hier zwei Anträge eingebracht. Mit dem einen werden Sie, Frau Merkel, aufgefordert, Ihrer Pflicht als Regierungschefin nachzukommen und nach Afghanistan zu reisen. Ich glaube, dass dies die vornehmste Pflicht jedes Regierungschefs und jeder Regierungschefin ist - aus Respekt vor den Polizeibeamten, Soldaten und Entwicklungshelfern, die dort eingesetzt sind, und um sich vor Ort selbst ein Bild über die Situation zu machen. Ich meine, Sie sollten sich vor Ort darüber informieren - so wie es viele Abgeordnete schon getan haben -, welche Schäden durch den OEF-Einsatz für den weiteren Friedensprozess dort verursacht wurden, unter welchen Umständen die Soldaten ihren Dienst dort verrichten müssen und was jetzt im zivilen Bereich getan werden muss.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, ich wollte nur vorsichtig fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zulassen wollen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein.
- Wir leben in einem freien Land. Selbst Abgeordnete dürfen Ihre Zwischenfragen einmal nicht zulassen. Damit können Sie leben, weil Sie ja so demokratisch gesonnen sind, wie ich Ihren Zwischenrufen dort hinten unschwer entnehmen kann.
Zurück zur Bundesregierung und zum Ernsthaften. Jetzt ist es meines Erachtens nötig, dass sich Frau Merkel nach Afghanistan begibt und sich dort nicht nur anschaut, was militärisch geschieht, sondern auch, welche zivilen Maßnahmen noch durchzuführen sind.
Die Ausgestaltung des Engagements in Afghanistan wird national und international ja sehr kontrovers diskutiert. Wir alle wissen, dass auch britische Offiziere vor Ort den Einsatz von OEF-Kräften kritisieren und einen Stopp verlangen. Sie wissen, dass er vor Ort kontraproduktiv ist. Wir wissen, dass die afghanische Regierung das Vorgehen, durch das unverhältnismäßig viele zivile Opfer verursacht wurden, wiederholt kritisiert hat. Wir wissen, dass circa 100 Entwicklungshilfe- und Hilfsorganisationen kritisiert haben, dass es dieses Missverhältnis zwischen dem Militärischen und dem Zivilen gibt. Sie sagen im Übrigen auch: Bei allen Problemen brauchen wir ISAF, weil uns dadurch der zeitliche Spielraum und räumliche Schutz gegeben wird, um überhaupt einen zivilen Aufbau leisten zu können.
Ich sehe, dass diese Entwicklungshelfer die Realität kennen. Sie machen keine naiven Vorschläge, wie man in einem Land wie Afghanistan mit bewaffneten Aufständischen und Selbstmordattentätern einen zivilen Aufbau organisieren kann.
Wir wollen, dass Deutschland als Steller der drittgrößten Truppe und als viertgrößte Gebernation in Afghanistan eine aktive Rolle übernimmt. Unsere Sorge heute ist aber, dass die Bundesregierung die Chancen in Afghanistan nicht erfolgreich verbessert. Sie müssten sich jetzt nämlich kritisch zu OEF äußern, Sie müssten die Mängel beim Polizei- und Armeeaufbau abbauen, und Sie müssten dafür Sorge tragen, dass der Comprehensive Approach vor Ort weiterentwickelt wird, sodass Polizei- und Justizaufbau tatsächlich voranschreiten.
Ich möchte Ihnen aber an einem Punkt, dem Aufbau der Polizei, schildern, was diese Regierung tatsächlich tut. Ich meine, beim Polizeiaufbau verhält sie sich wie ein Juniorpartner.
Sie haben im Juni dieses Jahres die Federführung an die EU abgegeben. Das Ziel war, dass die EU die Ressourcen bündelt, den Aufbau stärkt und das Ganze mit dem EU-Programm Justizaufbau verzahnt. Und was sehen wir in der Praxis? In der Praxis sehen wir, dass man vom Regen in die Traufe gekommen ist. Die Verzahnung findet gar nicht statt. Faktisch ist es so, dass der Aufbau stockt, nur knapp die Hälfte des Personals vor Ort ist. Wir sehen vor Ort, dass die Europäische Kommission ihre Finanzmittel quasi als Faustpfand benutzt, um die Mitgliedstaaten zu erpressen, um mehr Zuständigkeit im Sicherheitsbereich für die Europäische Kommission zu bekommen.
Frau Merkel, an dieser Stelle wäre ein Punkt, an dem Sie einmal auf den Tisch hauen und dafür Sorge tragen müssen, dass EUPOL jetzt und nicht irgendwann im nächsten Jahr tatsächlich personell, technisch und finanziell ausgestattet ist, obwohl selbst das eigentlich zu wenig ist.
Es kann doch nicht sein, dass wir am Ende in anderen Interessen der Europäischen Kommission hängen bleiben, einmal ganz zu schweigen von der zögerlichen Bereitstellung von Beamten durch die Bundesländer. An dieser Stelle - das muss ich sagen - ist es ein Armutszeugnis, dass die Polizeibeamten, die da sind, nicht einmal Fahrzeuge haben, um sich zu bewegen.
Wir wissen auch - das haben wir in unserem Antrag angesprochen -, dass es noch mehr braucht, es braucht nämlich ein Konzept für Pakistan. Wir vermissen, dass dort mit einem sortierten Konzept ordentlich vorgegangen wird. Ein regionales Konzept hat diese Bundesregierung nicht. Sie vertritt eine meines Erachtens kurzfristige Außenpolitik, weil sie Pakistan und Indien aufrüstet, was wir für unverantwortlich halten, weil es kein komplettes Konzept gibt, das auch dafür sorgt, dass diese Grenzregion anders ausgestattet ist.
Wir sind in tiefer Sorge, ob das Zeitfenster für Afghanistan jetzt wirklich genutzt wird. Wir stimmen mehrheitlich nicht zu, aber ich sage ganz klar: Als Opposition haben wir nicht jede Umsetzung in der Hand. Die mehrheitliche Enthaltung ist für uns der Ausdruck von Sorge, ob in Afghanistan im zivilen Bereich genug getan wird.
Es ist der Ausdruck einer Aufforderung, jetzt hinzufahren, die Konzepte zu entwickeln, das Zivile zu stärken, es mehr zu koordinieren und kontraproduktive Militäreinsätze zu unterlassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Heike Hänsel das Wort.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Frau Künast, was Sie hier über Malalai Joya gesagt haben, kann ich so nicht stehen lassen. Diese Frau hat eine Biografie. Sie hat in jüngsten Jahren bereits gegen das Taliban-Regime gekämpft. Sie setzt sich aktiv genau gegen diese Fundamentalisten in Afghanistan ein, die in vielen wichtigen Positionen im Parlament und in den Regionen sitzen. Ich finde es ein Unding, dass Sie sie hier in dieser Art und Weise als eine zweifelhafte Kronzeugin bezeichnen. Das machen Taliban und Fundamentalisten in Afghanistan genauso.
Ihre parlamentarischen Kolleginnen, die Sie zitiert haben, haben dafür gestimmt, dass sie aus dem Parlament ausgeschlossen wird. Daran können Sie auch sehen, wie weit die Demokratisierung in dem Parlament vorangeschritten ist. Wir haben versucht, dass sie eine Möglichkeit bekommt, hier im Auswärtigen Ausschuss zu sprechen. Das wurde ihr auch mit der Begründung verwehrt, sie sei ja nicht Teil der offiziellen Delegation. Also wurde ihre Ausgrenzung hier sogar noch fortgeführt.
In meinen Augen brauchen Sie nach dieser Rede das Wort von Frauenrechten in Afghanistan und der Fortführung von ISAF nicht mehr in den Mund zu nehmen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will nicht in Zweifel stellen, dass für die frühere Abgeordnete Malalai Joya die Situation in Afghanistan schwer war
und dass sie sich dort unter Gefährdung ihres eigenen Lebens engagiert hat. Ich glaube aber trotzdem, dass sie als Kronzeugin für die Zustände in Afghanistan, als die ihre Fraktion sie heranzieht, zweifelhaft ist.
Denn es gibt in Afghanistan - auch ich war dort und habe mit Frauen und Männern geredet - viele Frauen, die meinen, dass sie immerhin inzwischen auf einem Weg sind, dessen Grundrichtung stimmt.
Wir alle wissen, wie extrem schwierig die Situation in Afghanistan ist. Insofern nehme ich mir diese Meinung heraus und weise darauf hin, wie viele Frauen in Afghanistan dem Parlament angehören oder in NGOs kämpfen und wie viele Entwicklungshelfer und Hilfsorganisationen Frauen vor Ort helfen, ihren Lebensalltag zu gestalten, Geld zu verdienen, sich bewegen zu können und Bildung zu erleben.
Mit Verlaub, die Frage, ob ich für Frauenrechte kämpfe, beantworten nicht Sie; das habe ich in meinen 51 Lebensjahren immer selbst entschieden. Das wird mit Sicherheit so bleiben, und das ist gut so.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind erleichtert und froh, dass Rudolf Blechschmidt endlich freigekommen ist. Wir haben mit ihm und seinen Angehörigen mitgelitten und hoffen, dass er die schweren Belastungen während der Geiselnahme gesund übersteht. Wir fühlen mit ihm und hoffen, dass er die Konsequenzen gut überwinden kann. Ich denke, das kann ich für uns alle sagen.
Ich war selbst im Dezember 2001 nach dem Sturz der Taliban in Kabul. Alle Menschen dort haben es begrüßt, dass wir gekommen sind; sie haben aber auch gefragt, ob wir auch an ihrer Seite bleiben werden, wenn die Lage schwieriger wird, oder ob sich wie 1989 nach dem Abzug der Sowjets die Welt wieder von Afghanistan abwenden wird.
Ich habe damals zugesagt - dieser Verpflichtung fühle ich mich nach wie vor verbunden -: Wir werden an eurer Seite bleiben.
Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen - auch an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen -, die das im Jahr 2001 genauso gesehen haben: Bitte stehen Sie zu dieser Verpflichtung. Internationale Verpflichtungen können nicht alle fünf Jahre verändert werden. Bitte stehen Sie dazu! Ich fühle mich verpflichtet.
Es ist auch völlig falsch, die zivile und militärische Unterstützung auseinanderzudividieren. Das geht an den Realitäten Afghanistans völlig vorbei.
Ohne flankierende Unterstützung durch die Truppen der internationalen Gemeinschaft steht der zivile Wiederaufbau auf verlorenem Posten. Das ist die Wahrheit. Wenn Sie den Truppenabzug fordern, dann heißt das, dass Sie auch den zivilen Wiederaufbau aufgeben. Das kann nicht Ihre Position sein. Deshalb appelliere ich an die Linkspartei: Denken Sie auch in dieser Frage um!
Die Konsequenz wäre, dass Frauen wieder unterdrückt werden. Die afghanische Frauenministerin hat das deutlich geschildert. Sie war sechs Jahre lang im Keller ihres eigenen Hauses eingesperrt, den sie nicht verlassen konnte. Wollen Sie zulassen, dass Frauen wieder unterdrückt werden? Wollen Sie zulassen, dass es wieder zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt? Nein, das dürfen wir nicht zulassen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das UN-Prinzip der ?Responsibility to protect“, das seit einigen Jahren besteht und vorsieht, denen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können oder deren jeweilige Regierung nicht selbst in der Lage dazu ist. Das heißt, wir müssen der Regierung in Afghanistan heute auch deshalb beistehen, damit es nicht wieder zu massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen kommt. Es ist völlig klar, dass wir den zivilen, den wirtschaftlichen und den politischen Wiederaufbau voranbringen müssen. Deshalb müssen wir der Verlängerung des ISAF-Mandats zustimmen. Ich möchte an dieser Stelle Tom Koenigs danken, der hervorragende Arbeit geleistet hat und der Ende dieses Jahres seine Arbeit dort beenden wird. Er hat wunderbare Worte an Ihre Adresse gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Ich hoffe, dass Sie sie bei der Abstimmung beherzigen.
Es wurde bereits viel über die Erfolge gesagt. Deshalb nur so viel: Als ich im Jahr 2001 in Afghanistan war, konnte kein Mädchen in die Schule gehen. Heute gehen etwa 3 Millionen Mädchen in die Schule. Das ist ein wunderbares Ergebnis. Frauen sind zudem beim Zugang zum Gesundheitswesen nicht mehr diskriminiert.
Ich bin mir sicher, dass niemand einen Rückfall akzeptieren wird; das würden wir auch nicht hinnehmen.
Liebe Kollegin Renate Künast, es geht nicht um ein ?Weiter so“, sondern um das Setzen besonderer Schwerpunkte, zum Beispiel bei der Ausdehnung der Rechtsstaatlichkeit und der guten Regierungsführung in alle Regionen. Das bedeutet unter anderem, den Aufbau der afghanischen Polizei in der Fläche voranzubringen. Ich fordere die Europäische Union auf, dazu beizutragen, dass endlich logistische Probleme überwunden werden und volle Handlungsfähigkeit erreicht wird, damit die Polizei in Afghanistan in vollem Umfang ausgebildet werden kann und die Präsenz der europäischen Polizeimission wirkt; das reicht bisher nicht aus. Wir, die Bundesregierung, setzen einen besonderen Schwerpunkt bei der Ausbildung der Polizei. Das gilt sowohl in Kabul als auch - das ist neu - in Masar-i-Scharif. Wir unterstützen zudem den Fonds, aus dem die Gehälter derjenigen, die für den Rechtsstaat tätig sind, mitfinanziert werden.
Der Aufbau des Justizsektors, den wir unterstützen, hängt eng damit zusammen. Hier geht es insbesondere um die Unterstützung und die Hilfe für Frauen; das ist ein besonderer Schwerpunkt. Ein weiterer ist die Einbeziehung der ländlichen Bevölkerung. Renate Künast, wir reden nicht nur, sondern handeln auch praktisch. Wir ergreifen zum Beispiel Maßnahmen, die Einkommen schaffen. Wir haben es im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von KfW-Entwicklungsbank und Aga-Khan-Stiftung geschafft, dass seit 2005 rund 30 000 Kleinstkredite vergeben wurden. Damit wurden 150 000 Haushalte erreicht. Das Netz soll auf 21 Niederlassungen ausgebaut werden. Das ist realer Wiederaufbau. Ihn wollen und werden wir voranbringen.
Im Zusammenhang damit steht ein weiterer Schwerpunkt, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Rund 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre. Wir wollen durch Ausbau des Bildungswesens und vor allen Dingen des Grundbildungsbereichs dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche, gerade Mädchen, die Chance haben, in die Schule zu gehen. Wir unterstützen den nationalen Bildungsplan des zuständigen Ministers mit 17 Millionen Euro. Damit können 1 000 Schulen neu gebaut werden und wird 8 000 Lehrerinnen und Lehrern die Chance eröffnet, mit ihrer Ausbildung dazu beizutragen, dass Kinder eine gute Zukunft haben. Das ist realer Wiederaufbau. Wir dürfen deshalb das Klima der Sicherheit nicht gefährden. Es ist wichtig, den zivilen Aufbau voranzubringen und zugleich das ISAF-Mandat zu bestätigen.
Ich möchte mich noch einmal an die Adresse der Linkspartei wenden. Ich finde, dass Sie die Augen vor einer Situation verschließen, die sich qualitativ verändert hat. Selbstmordattentate sind eine neue Entwicklung. Dieser Entwicklung kann man nicht mit Gewaltfreiheit begegnen. Was würden Sie denn sagen, wenn Selbstmordattentate in unserem Land begangen würden? Wohin ziehen Sie sich dann zurück?
Es ist nicht links, zu sagen, es dürfe keine militärische Aktion stattfinden.
Das ist nicht links, sondern damit würden gerade die Chancen der Menschen eingeschränkt werden, eigene Entscheidungen zu treffen. Aus meiner Sicht heißt links sein, dazu beizutragen, dass Menschen bessere Lebenschancen haben und dass sie selber und eigenständig entscheiden können.
Wer dazu beiträgt, das zu verhindern, der tut das genaue Gegenteil dessen, was man von der Linken erwartet, nämlich Menschen zu schützen und dazu beizutragen, dass sie bessere Lebenschancen und bessere Möglichkeiten haben, ihr eigenes Leben zu gestalten.
Wer wie die Linkspartei sagt, die Bundeswehr müsse raus aus Afghanistan, der versucht eigentlich, sich ganz woanders anzubiedern. Darüber müssen Sie selbst noch einmal nachdenken.
Letzter Punkt: Ich danke all denjenigen, die die Arbeit vor Ort leisten. Ich bin ganz sicher, dass der Wiederaufbau in Afghanistan ein Erfolg für die Menschen, die so lange gelitten haben, sein kann und dass der Erfolg auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit ist.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion.
Hellmut Königshaus (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen schon sehr viel über die Erfolge, die in Afghanistan erzielt wurden, gesprochen. Ja, die gibt es, und es gibt sicherlich wesentlich mehr, als die Kollegen von der Linksfraktion zuzugeben bereit sind. Würden wir uns von dort zurückziehen, würde alles das, was wir erreicht haben, zusammenbrechen. Deshalb müssen wir diese Erfolge im wahrsten Sinne des Wortes verteidigen.
Wenn Sie, Herr Bisky, sagen, der gute Zweck heilige nicht die militärischen Mittel, dann möchte ich wissen, wann denn militärische Mittel überhaupt gerechtfertigt sind, wenn nicht für einen guten Zweck.
Das ist der Grund, weshalb die FDP-Fraktion der Verlängerung des Mandats zustimmen wird. Ohne Sicherheit - das ist das Credo, das wir immer wieder von den Entwicklungspolitikern, aber auch von anderen im Hause gehört haben - gibt es keine Entwicklung. Das müssen wir konkret umsetzen. Dazu dienen nicht solche unwürdigen Wortwechsel, wie wir sie hier gerade erlebt haben. Dazu ist das Thema viel zu wichtig. Frau Künast, was nun eigentlich Ihre Empfehlung an Ihre Fraktion ist, das ist, so glaube ich, niemandem hier im Raum klargeworden, Ihrer eigenen Fraktion wahrscheinlich auch nicht.
Wir dürfen uns bei diesem Thema nicht in die Büsche schlagen. Wenn wir unsere Bekenntnisse zu den Menschenrechten und zur weltweiten Entwicklung wirklich ernst meinen, dann müssen wir uns zur Solidarität mit Afghanistan bekennen. Dazu gehört, dass wir klare Bekenntnisse abgeben, wie wir tatsächlich weiter verfahren wollen. Wir jedenfalls, die Liberalen, sagen Ja zum zivilen Aufbau und deshalb auch Ja zu den militärischen Einsätzen; denn unter diesen konkreten Bedingungen sind das zwei Seiten einer Medaille. Diejenigen, die auf Fortschritte verweisen, haben völlig recht, aber auch diejenigen, die Zweifel anmelden, ob das schon reicht. Wenn wir nicht durchhalten - das müssen wir sehen -, werden wir keine Fortschritte machen, weder schnelle noch langsame, sondern wir werden im Gegenteil alles zerstören. Deshalb müssen wir zunächst einmal denen, die vor Ort tätig sind, unsere Solidarität zeigen, unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen und unsere Unterstützung gewähren.
Das zentrale Problem in Afghanistan ist die ausufernde Drogenwirtschaft. Das ist hier viel zu wenig erörtert worden. Sie ist die wirtschaftliche Basis für den Terror, der dort ausgeübt wird. Wir werden dem Problem nicht begegnen können, wenn wir unsere Konzepte nicht entschieden ändern. Wir haben bisher kein Konzept der Bundesregierung zu diesem Thema gehört. Ein solches fordern wir hier ein.
Es geht vor allem darum, dass unsere dort tätigen Helfer, die militärischen wie die zivilen, die notwendige Unterstützung bekommen, nicht nur unsere ideelle. Wohlfeile Worte werden ihnen da nicht helfen. Die Soldaten brauchen Ausrüstung. Die zivilen Aufbauhelfer brauchen Konzepte und vor allem ein ausreichendes Budget. Daran fehlt es nach wie vor.
Wenn wir einfach einmal vergleichen, wo wir wirklich Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit und beim Aufbau setzen, dann werden wir feststellen: Der Schwerpunkt liegt noch immer nicht auf Afghanistan. Wir tun viel zu wenig für den zivilen Aufbau. Wenn wir das, was wir tun, mit dem vergleichen, was die Kanadier dort in diesem Bereich leisten - die Kollegen des kanadischen Parlaments haben die Besuchertribüne gerade verlassen -, dann stellen wir fest, dass wir immer noch viel zu wenig tun.
Wie bereits angesprochen wurde, haben wir in vielen Bereichen unsere Schulaufgaben noch nicht gemacht. In den wesentlichen Fächern, für die wir die Verantwortung übernommen hatten, haben wir noch nicht einmal angefangen, sie zu machen. Nehmen wir die Polizeiausbildung: Das ist doch eine Blamage sondergleichen, was wir dort erleben. Ich bin froh, dass Sie, Herr Minister Huber, hier sind. Auch die Länder haben dort eine Verpflichtung. Sie verfügen über die meisten Polizeikontingente. Auch sie müssen bereit sein, dort etwas mehr zu tun, als sie bisher getan haben. Wir Deutsche können uns nicht hinter Europa verstecken. Die Länder sind mit dabei.
Was die Drogen- und Korruptionsbekämpfung angeht, erleben wir eine klassische Kopf-in-den-Sand-Politik. Frau Bundeskanzlerin, dass besser koordiniert und dass die Schwerpunktsetzung besser betrieben wird, hat übrigens nichts mit Reisen zu tun, sondern mit Führung, auch durch Sie. Sie müssen hier dafür sorgen, dass die Menschen vor Ort tatsächlich eine Friedensdividende spüren. Nur dann werden wir etwas erreichen.
Unsere Soldaten brauchen die erforderliche Ausrüstung. Das Trauerspiel um die Hubschrauber ist schlichtweg unverständlich. Auch Sie, Herr Struck, haben als Verteidigungsminister über viele Jahre in Kenntnis dieses Problems nichts unternommen. Wir haben unsere Probleme mit dem gegenwärtigen Verteidigungsminister; aber er war immerhin derjenige, der neue Beschaffungen veranlasst hat. Ich weise darauf hin, auch wenn es uns noch viel zu lange dauert.
Ich komme zum Schluss. Wenn wir unsere Anstrengungen nicht massiv verstärken, werden wir nicht vorankommen, sondern zurückfallen. Rupert Neudeck hat kürzlich bei einer Anhörung unserer Fraktion gesagt, noch sei Afghanistan nicht verloren. Er hat das Wort ?noch“ betont. Noch ist nichts verloren, meine Damen und Herren, aber die Zeit wird knapp. Darum müssen wir zusammenstehen.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwa 60 Prozent der Menschen in Deutschland antworten auf die Frage, ob die Bundeswehr in Afghanistan bleiben soll: Holt sie nach Hause. Hingegen sagen 80 Prozent der Menschen in Afghanistan: Bitte, bleibt bei uns; wir brauchen euch so lange, bis wir selber für unsere eigene Sicherheit sorgen können. Diese unterschiedlichen Meinungsspiegel in den jeweiligen Bevölkerungen machen deutlich: Man hat in Afghanistan sehr wohl verstanden, dass die Absicherung des zivilen Aufbaus durch Streitkräfte - sie müssen noch aus dem Ausland kommen, weil man selber nicht stark genug ist - unabdingbar ist, während in Deutschland - gerade unter dem Eindruck der Berichterstattung über den Irakkrieg - der Eindruck entsteht, dass es in Afghanistan so ähnlich wie im Irak werden könnte und dass man sich deshalb lieber früher als später zurückziehen müsse.
Es stellt sich die Frage: Warum sind wir dort? Das müssen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern hier in Deutschland besprechen. Wenn die Talibanregierung Bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September an die USA ausgeliefert hätte, dann wären unsere Truppen wahrscheinlich nicht in diesem Land. Weil sie das aber nicht getan haben, weil sie vielmehr den Eindruck erweckt haben, entschlossen zu sein, weiterhin mit al-Qaida zusammenzuarbeiten und ihr einen Zufluchtsort zu gewähren, hat sich die Entwicklung dann so vollzogen, wie sie sich vollziehen musste, im Interesse unserer eigenen Sicherheit.
Die Biografien der Attentäter vom 11. September, die aus verschiedenen Ländern kamen und ganz unterschiedliche Personen waren, hatten eines gemeinsam, sie waren alle für Wochen und Monate in Trainingscamps der al-Qaida in Afghanistan gewesen. Wir wissen inzwischen, dass die Anschläge der al-Qaida europaweit, weltweit Opfer gefordert haben - darunter auch Deutsche in anderen Teilen der Welt. Die Anschläge in London und Madrid und das, was im Sauerland geplant wurde, gehen ebenfalls auf al-Qaida zurück.
Die Menschen bei uns fragen sich: Wie lange muss die Bundeswehr in Afghanistan bleiben? Die Antwort ist relativ einfach zu geben. Die Bundeswehr muss dort so lange bleiben, bis von Afghanistan keine Gefahr mehr für unsere Sicherheit ausgeht, bis Afghanistan selbst für seine eigene Sicherheit sorgen kann. Denn der Satz: ?Ohne Frieden in Afghanistan gibt es keine Sicherheit für uns“, ist richtig.
Zum Aufbau der eigenen Sicherheitsstrukturen braucht Afghanistan Hilfe: zum Aufbau einer loyalen Armee, der Polizei, eines funktionierenden Justizwesens und einer funktionierenden Rechtsordnung. Dabei sind sicherlich noch stärkere Anstrengungen als bisher nötig. Insbesondere bei der Polizeiausbildung, bei der wir ursprünglich als Führungsnation eine besondere Verantwortung getragen haben - bei EUPOL stellen wir nach wie vor einen starken Anteil -, müssen wir mehr tun. Denn im Bewusstsein der Afghanen tritt ihnen ihr eigener Staat in den existenziellen Vorsorgevorkehrungen gerade auch durch die Polizei gegenüber. Vor ihrer alten Polizei hatten sie oft Angst. Sie war korrupt; sie war ein Werkzeug von Warlords, von anderen. Deshalb ist es so wichtig, eine zivile Bürgerpolizei aufzubauen, auf die sich die Afghanen verlassen können. Das ist auch ein Schlüssel für die Akzeptanz der afghanischen Regierung in der afghanischen Bevölkerung.
Deshalb haben wir hier eine nachlaufende Verantwortung aus unserer früheren Position als Führungsnation. Ich würde mir wünschen, dass wir hier verstärkt darüber sprechen - trotz unserer föderalen Probleme bei der Polizeiausbildung -, wie wir hier mehr tun können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei. Ganz offenkundig möchten Sie sie zulassen. Bitte Herr Kollege Nachtwei, Sie haben das Wort.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Kollege Polenz, Sie haben völlig zu Recht die Bedeutung des Polizeiaufbaus für eine nachhaltige Sicherheitsstruktur in Afghanistan angesprochen und woran es da bisher so eklatant fehlt. Wir waren gemeinsam auf der NATO-Parlamentarier-Versammlung in Reykjavík, bei der glücklicherweise auch acht Länderinnenminister dabei waren. Ist Ihnen bei den Länderinnenministern, die zum Polizeiaufbau in Afghanistan durch Polizisten auch etwas beitragen, irgendein sonderliches Interesse an der Afghanistanfrage aufgefallen,
unter anderem des nordrhein-westfälischen Innenministers Wolf von der FDP?
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Nachtwei, dass die Innenminister von Bund und Ländern auf der einen Seite das Problem haben, dass im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung die Präsenz der Polizei etwa auf der Straße, an sozialen Brennpunkten stärker sein könnte, als sie es ist. Von daher haben sie den Eindruck, sie hätten schon in Deutschland an allen Ecken und Enden mit dem Polizeieinsatz zu knapsen. Andererseits wissen sie im Sinne einer Sicherheitsvorsorge und Prävention, dass die Hilfe für Afghanistan auch Vorkehrungen erleichtert, die sie sonst im Hinblick auf Terroranschläge, Prävention vor solchen Attentaten, hier leisten müssten. Von daher kann man wohl die Innenminister davon überzeugen oder sie sind davon überzeugt, dass ein Einsatz deutscher Polizeikräfte zu Ausbildungszwecken in Afghanistan der Sicherheit hier in Berlin auf dem Prenzlauer Berg oder in München oder in Münster, wo wir beide herkommen, in gleicher Weise dient.
Wir müssen natürlich darüber nachdenken, was wir machen können, um Polizeikräfte schneller verfügbar zu haben, damit wir die Lücke, die zwischen Militäreinsatz und ziviler Verwaltung beim Aufbau von sogenannten Failed States entsteht, rascher und schneller schließen können.
Lassen Sie mich etwas zur Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit sagen. Wir sind im Auftrag der Vereinten Nationen in Afghanistan. Diejenigen, die heute sagen, wir können der Verlängerung des Bundeswehrmandates nicht zustimmen, oder die sich der Stimme enthalten, geben im Grunde den Vereinten Nationen diesen Auftrag zurück. Wir sind auf Bitten der afghanischen Regierung im Land. Wer sich heute der Stimme enthält oder dagegen stimmt, der sagt: Ihr habt uns vergebens gebeten, seht zu, wir ihr klarkommt! Wir sind im Bündnis mit der NATO in Afghanistan. Wer sich heute der Stimme enthält oder dagegen stimmt, der sagt: Es ist uns egal, wie ihr dort weitermacht. Wir verabschieden uns jetzt.
Machen Sie es sich mit den Signalen nicht so einfach! Das sage ich an die Adresse der Grünen. Sie können vielleicht noch der deutschen Öffentlichkeit das komplizierte Verfahren erklären, wie Ihre Abstimmungen hier stattfinden. In der Weltöffentlichkeit und in Afghanistan wirkt eine mehrheitliche Enthaltung Ihrer Fraktion wie der Einstieg zum Ausstieg. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei. Ich glaube, dass diese Verantwortung auf manchen von Ihnen schwer lastet. Vielleicht führt dies ja noch dazu, dass der eine oder andere sagt: Das Signal, das von dieser Bundestagsabstimmung in Kabul ankommt, ist wichtiger als das, was bei meiner eigenen Parteibasis vor Ort ankommt. Das ist die Frage, vor der Sie stehen.
Wir stehen zu Afghanistan und unserer Rolle, dabei mitzuhelfen, das Land zu befrieden und aufzubauen. Wir brauchen nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg einen politischen Versöhnungsprozess. Grundlage dafür muss die demokratisch verabschiedete neue afghanische Verfassung sein.
Priorität hat der zivile Wiederaufbau. Die Erhöhung der Mittel auf 125 Millionen Euro ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, aber es müssen weitere folgen. Es geht um Good Governance und um Arbeitsplätze in Afghanistan. Die militärische Bekämpfung der Aufständischen muss gemeinsam mit unseren Bündnispartnern fortgesetzt werden. Die Bundeswehr muss und wird so lange bleiben, bis afghanische Sicherheitskräfte selbst für die Sicherheit der Afghanen sorgen und gewährleisten können, dass von afghanischem Territorium keine Gefahren mehr für uns und die internationale Gemeinschaft ausgehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Mogg für die SPD-Fraktion.
Ursula Mogg (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ehrt dieses Parlament und unsere Gesellschaft insgesamt, dass wir über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte immer wieder neu miteinander ringen. Das tun wir heute einmal mehr. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns nur eine absolut offene und intensive Diskussion vorwärtsbringt und letztlich auch eint.
Wir erwarten heute eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag zur Fortsetzung des militärischen Engagements in Afghanistan einschließlich des Einsatzes der Tornados. Das ist das Ergebnis fortgesetzter Debatten - oft schwierig, zugegeben. Diese Debatten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, folgen keiner Kriegslogik; ganz im Gegenteil.
Unsere Medien berichten über jede einzelne Variante unserer Diskussion, und das ist auch gut so. Wir tauschen uns mit afghanischen Kolleginnen und Kollegen ebenso aus wie mit den Kolleginnen und Kollegen im Bündnis. Als Fachpolitiker suchen wir das Gespräch mit den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und selbstverständlich mit all denen, die in den unterschiedlichsten Organisationen Verantwortung für den demokratischen und zivilen Aufbau des Landes übernommen haben.
Uns erreichen in diesen Tagen viele Hinweise und Ratschläge von Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Gerade heute Morgen haben Menschen vor diesem Parlament ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Einsatz zum Ausdruck gebracht. Ich möchte feststellen: Wir wägen jedes einzelne Argument. Wir geben nicht einfach Prokura, liebe Kollegin Künast. Das sage ich in Würdigung Ihres persönlichen Meinungsfindungsprozesses, aber auch des Meinungsfindungsprozesses Ihrer Fraktion und Partei. Die Erfahrung lehrt, dass wir das ganz ordentlich machen. Dafür ist die Debatte über den Einsatz der Aufklärungs-Tornados ein gutes Beispiel. Nach einer mehr als kritischen und intensiven Diskussion ist der Auftrag der Tornados klar: Sie leisten keine militärische Luft-Boden-Unterstützung. Sie führen topografische Aufklärung durch. Das Lagebild, das nach der Rückkehr erstellt wird, ist mehrere Stunden alt und somit untauglich für eine direkte Zieldatenübermittlung.
Vor dem Hintergrund einer erkennbar schwierigen Lage wird der Ruf nach einem Strategiewechsel laut. Welche Strategie aber ist notwendig und richtig? Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in dieser Debatte schon kritisch mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ja, es ist wahr, wir können und müssen noch mehr tun für den zivilen Aufbau. Ja, wir können und müssen noch mehr tun für Schulen und Bildung. Ja, wir können und müssen noch mehr tun für den Aufbau und den Dialog mit der Zivilgesellschaft. Ja, der Zugang zu medizinischer Basisversorgung ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Aber stellt die Aufstockung von Mitteln für zusätzliche Projekte allein schon einen Strategiewechsel dar? Ich meine: Nein.
Notwendig und richtig aber ist es, die unterschiedlichen Ansätze und Akteure zu einem abgestimmten und kohärenten Ansatz zusammenzuführen.
Ich möchte mit einem kleinen Beispiel arbeiten: Viele fleißige Arbeiter haben sich vorgenommen, ein großes schönes Haus zu bauen. Sie haben auch viele gute Ideen, wie dieses Haus aussehen soll. Allerdings sind zu viele Architekten am Werk. So ist an eine Realisierung der guten Idee nicht zu denken.
Der Kollege Bartels hat die unterschiedlichen Vorgehensweisen gestern in einem Beitrag in der Financial Times Deutschland am Beispiel des Sicherheitssektors beschrieben: Einheiten unter NATO-Kommando, Einheiten unter OEF-Kommando, nationale Kräfte, die keinem der beiden Kommandos unterstellt sind, und private Sicherheitsfirmen, mit deren Arbeit sich aus guten Gründen derzeit der US-Kongress beschäftigt. Darüber hinaus gibt es die afghanische Armee und die afghanische Polizei. Ich füge hinzu: Jeder dieser Akteure hat jenseits der Kommandostruktur und des Auftrags gelegentlich auch eine sehr spezielle Idee davon, wie der Auftrag, Sicherheit für Land und Leute herzustellen, erreicht werden kann. Zugegeben, das ist etwas vereinfacht. Aber es geht im Kern in der Tat um ein Konzept für Afghanistan, das die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte des internationalen Engagements auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Nur so ist das Ziel zu erreichen.
Als Verteidigungspolitikerin unterstreiche ich klar und deutlich die Notwendigkeit, noch mehr in zivile Projekte zu investieren. Was sonst? Es ist jedoch meine Aufgabe, insbesondere einen Blick auf das ebenso unbestritten notwendige militärische Engagement zur Absicherung der Gesamtentwicklung zu werfen. Ministerin Wieczorek-Zeul unterstreicht zu Recht, dass eine rasche Stabilisierung der Situation in Afghanistan durch Entwicklungshilfe allein nicht zu leisten ist. Was also ist zu tun?
Aufgabe Nummer eins: alle Maßnahmen kritisch überprüfen und, wenn notwendig, neu justieren.
Aufgabe Nummer zwei: afghanische Sicherheitskräfte, Soldaten und Polizisten weiter ausbilden und damit in die Lage versetzen, die Sicherheit des Landes selbst gewährleisten zu können. Dazu gehört auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie so zu bezahlen, dass sie zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht darauf angewiesen sind, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen.
Wenn der Tagelöhner im deutschen Feldlager mehr verdient als ein Polizist, darf man sich über nichts wundern. Die aktuellen Berichte nach der Befreiung der deutschen Geisel sind ein Beispiel dafür.
Aufgabe Nummer drei: Das PRT-Konzept muss weiter in die Fläche wirken können. Dazu sind kleine Teams aus zivilen und militärischen Kräften zu bilden, die die ländliche Bevölkerung in den oft weglosen Regionen erreichen. Ihre Aufgabe muss es sein, mit der Bevölkerung vor Ort sinnvolle Projekte zu identifizieren und zu realisieren. Dabei geht es auch um die Stärkung der Afghan Ownership. Dabei müssen die finanziellen Mittel, die den PRTs zur Verfügung stehen, im Interesse einer schnellen und flexiblen Hilfe aufgestockt werden.
Aufgabe Nummer vier: Kohärenz erarbeiten für alle Bereiche. Das ist nicht nur naheliegend - siehe Beispiel Sicherheitssektor -, sondern zwingend notwendig.
Last, not least Aufgabe Nummer fünf: Wir müssen uns offen und ehrlich mit der Situation in Afghanistan befassen. Das bedeutet auch, dass wir unseren eigenen militärischen Beitrag kritisch an der Herausforderung messen. Darauf hat unter anderem der ehemalige Bundeswehrgeneralinspekteur Kujat in einem Beitrag in der Ausgabe des Tagesspiegel von vorgestern hingewiesen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick auf ein Ereignis dieser Woche werfen: die Fotoausstellung des Bundesministeriums der Verteidigung, nur einige Meter von hier entfernt im Paul-Löbe-Haus. Es sind fantastische Bilder von grandiosen Landschaften, von Menschen, jungen, dynamischen Menschen, Kindern, zum Beispiel einem Jungen, der sich mit seiner Jacke als Fan des FC Bayern München präsentiert.
Ich rate Ihnen allen, diese Ausstellung anzusehen. Herr Minister, ich schlage Ihnen vor, darüber nachzudenken, diese Ausstellung auf Reisen gehen zu lassen, damit sie überall im Land gesehen werden kann. Sie ist wirklich absolut fantastisch.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich wünsche sehr, dass das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen möglichst bald möglichst vielen Afghanen viele neue Perspektiven bietet; denn im Kern geht es um unser aller Sicherheit. Zur Fortsetzung des Mandates gibt es derzeit keine Alternative.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bernd Schmidbauer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Zitat von Herrn Naumann beginnen, der jüngst unter dem Titel ?Bündnisfall im Bundestag“ zu der aktuellen Debatte über Afghanistan Stellung bezogen hat. Ich stimme ihm zu. Er verweist auf eine Kommission des britischen Parlaments, die festgestellt hat:
Afghanistan braucht eine dauerhafte militärische und finanzielle Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft. Wenn sie am Hindukusch Erfolg haben will, muss der Umfang ihres Engagements sehr groß sein - wesentlich größer, als es die Weltgemeinschaft gegenwärtig wahrhaben will, geschweige denn zu leisten bereit ist.
Das ist eine Seite der Debatte über unseren Einsatz in Afghanistan.
Zu Recht führt Herr Naumann aus, dass der Bundeswehreinsatz in Afghanistan keine Frage von Monaten, sondern von Jahren ist. Ich teile auch die Ansicht, dass, wenn sich die internationale Gemeinschaft aus Afghanistan zurückzieht, das Land zurück in die Hände der Taliban fällt und wieder eine Brutstätte des Terrorismus wird. Die Gefahren würden von dort zu uns kommen, und wir müssten ihnen auf unserem Boden begegnen. Wer hier noch Anschauungsunterricht braucht, sollte einmal die letzten terroristischen Angriffe in Europa analysieren; dann sieht er, woher sie eigentlich gekommen sind. Wenn wir unser Engagement aufgeben, dann hat nicht nur die NATO, sondern die ganze zivilisierte Welt verloren.
Es wird mehrfach betont, dass Afghanistan eines der ärmsten und am meisten geschundenen Länder dieser Welt ist. 30 Jahre lang befindet sich Afghanistan im Krieg. Die Menschen leben unter furchtbaren Umständen; sie haben viele Familienangehörige und Freunde verloren, ebenso ihre Häuser, ihr Hab und Gut. Außerdem gibt es kaum Erwerbsmöglichkeiten in dieser Zeit.
Hinzu kommen schwierige Umweltbedingungen. Die Wüste breitet sich immer stärker aus; die Menschen haben unter Dürreperioden zu leiden. Die Menschen fliehen, die Menschen werden vertrieben. Walter Kälin, der Beauftragte des UN-Generalsekretärs für die Menschenrechte von Binnenflüchtlingen, hat aktuell darauf hingewiesen, dass es mindestens 80 000 Binnenflüchtlinge gibt.
Wenn von humanitärer Leistung geredet wird, wird oft vergessen, dass der Zugang zu dieser Hilfe ein großes Problem darstellt. Sie ist kaum mehr möglich, da Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angegriffen oder sogar getötet werden. Diesen Umstand nicht zu beachten, ist ein Schwachpunkt in der Argumentation vieler. Ich bin dafür, dass wir humanitäre Hilfe leisten. Aber es kann nicht angehen, dass gleichzeitig der militärische Einsatz verteufelt wird. Dabei wird nämlich vergessen, dass das eine ohne das andere völlig unmöglich ist.
Seit sechs Jahren unternimmt die Weltgemeinschaft den Versuch, aus Afghanistan, einem - um es vornehm auszudrücken - sehr instabilen Land, in dem zum Teil katastrophale Zustände herrschen und das zum Teil Brutstätte des Terrorismus war und noch immer ist, ein Land mit Perspektiven für die Bevölkerung zu entwickeln. Eines ist aber klar: Wunder sind nicht zu erwarten. Viele Dinge - das wird deutlich - laufen gut; viele Dinge laufen schlecht oder nur sehr schleppend. Viele Fragen und Probleme sind nicht gelöst. Ich nenne beispielsweise den Drogenanbau, Drogenhandel, Korruption, fehlende oder kaum belastbare Sicherheitsstrukturen sowie die Ausbildung der Polizei- und der Armeekräfte. Hier muss es Druck auf die Karzai-Regierung geben.
Lieber Herr Kollege Nachtwei, ich möchte noch etwas zu Ihrer Argumentation von vorhin bezüglich der Länder sagen. Ich glaube, wir können feststellen, dass der Innensenator von Berlin, Herr Dr. Hanning und andere mehrfach in Afghanistan waren und sich um diese Dinge gekümmert haben. Es ist nicht so, dass man alles schleifen lässt. Trotzdem gehört zur Wahrheit, dass sich die internationale Gemeinschaft, insbesondere Europa, intensiver um diese Fragen kümmern muss und dafür eintreten muss, dass bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Es darf letztendlich nicht über Reisekosten debattiert werden, sondern man muss über die Probleme vor Ort wie den Aufbau von Sicherheitsstrukturen reden.
Eine Bemerkung noch zum Thema Drogenanbau, das schon ein Kollege angesprochen hat. Es ist wahr, dass 92 Prozent des Rohopiums aus diesem Land kommen und damit überall Unheil angerichtet wird. Es ist aber auch wahr - der Kollege von Klaeden hat darauf hingewiesen -, dass in einigen Provinzen kein Opium mehr produziert wird. Es gibt also einen leichten Rückgang bei der Opiumproduktion. Was heißt aber schon leichter Rückgang? Dies sind nur sehr kleine Fortschritte. Aber sie gehören zur Beschreibung der Realität dazu.
Es muss deutlich werden, dass wir nicht nur den militärischen Aspekt in den Vordergrund stellen und nur über die Fortsetzung unseres militärischen Engagements reden. Auch der zivile Wiederaufbau ist von ganz entscheidender Bedeutung. Es muss hier ein Zusammenspiel von Sicherheits- und Entwicklungspolitik geben. Das ist die Forderung, die an uns herangetragen wird und die sich in der Konzeption der Bundesregierung niederschlägt. Auch die NGOs können ihre Arbeit nicht ohne den Schutz des Militärs leisten.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, nämlich auf die Nachbarländer. Wenn wir über Afghanistan reden, verkennen wir oft die Situation im Iran und in Pakistan. Dieser Mangel soll jetzt mithilfe der Vorschläge der G 8 behoben werden. Herr Bundesaußenminister, eine wichtige Bitte: Lassen Sie an dieser Stelle nicht locker! Pakistan ist der Schlüssel für die Befriedung Afghanistans.
Wer anderes erzählt, verkennt die Wirklichkeit. Er sieht nicht, welche Kämpfe sich in den Provinzen im Grenzgebiet zu Pakistan abspielen. Dieses Gebiet ist ein Rückzugsgebiet der Taliban, wo sie sich mit al-Qaida-Kämpfern treffen, um Anschläge vorzubereiten und um Menschen auszubilden, die dann in unser Land zurückkehren.
Ich muss nicht besonders darauf hinweisen, wie sensibel derzeit der Dialog mit dem Iran ist. Denn auch der Iran leidet unter der Bedrohung, die von Afghanistan ausgeht.
Sicherlich geht es mit dem Fortschritt nur langsam voran. Aber es geht voran. Es gibt keine Alternative zu unserer Politik. Ich will, ohne alles aufzuzählen, auf folgende Fortschritte hinweisen: 50 Prozent der schulpflichtigen Kinder haben Zugang zu Schuleinrichtungen. Vor einigen Jahren waren es nur 20 Prozent. Insgesamt wurden 3 500 Schulen, allein 300 von der Bundesrepublik Deutschland, gebaut. Es besteht eine medizinische Grundversorgung in weiten Teilen des Landes. All diese Dinge sind nicht zu übersehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Bei aller Kritik dürfen wir jetzt das kleine Pflänzchen Hoffnung, dass wir angebaut haben, nicht der Zerstörung preisgeben. Wenn wir jetzt aufgeben und kapitulieren, dann haben die Gegner der zivilisierten Welt gewonnen. Das wollen wir nicht zulassen. Wir werden den Menschen in Afghanistan zur Seite stehen und helfen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Gehen Sie mit!
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum wird die SPD dem Antrag der Bundesregierung zustimmen?
Mit unserem Ja werden wir deutlich machen und dazu beitragen, dass die afghanische Bevölkerung ihre Lebensbedingungen durch ihr eigenes Handeln verbessern kann. Damit die afghanische Bevölkerung dies tun kann, braucht sie ein Mindestmaß an Sicherheit. Deshalb ist es nötig, dass wir die Mandate verlängern, und deshalb ist es nötig, dass ISAF gestärkt wird.
ISAF hat kein zentral militärisches Ziel; das wissen alle, die sich intensiv mit der Sache befassen, lieber Kollege Gehrcke. ISAF hat das Ziel, politisch dazu beizutragen, die Institutionen - den gewählten Präsidenten, das gewählte Parlament und die Provinzräte - und die Zivilgesellschaft in Afghanistan zu stärken. Die Menschen in Afghanistan sollen die Chance erhalten, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Deshalb brauchen wir die Verlängerung des Mandats. Das wissen alle, die sich mit Afghanistan im Detail befassen.
Ich empfehle denjenigen, die in ihrer Entscheidung noch schwanken, sich zu überlegen, ob sie nicht einmal in dieses Land fahren sollten, um den Menschen vor Ort zu begegnen.
Versperren Sie doch nicht die Augen vor der Realität in Afghanistan! Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie sich die Ohren zustopfen, weil Sie die Klagen der Menschen in Afghanistan nicht hören wollen.
Die Menschen in Afghanistan wollen, dass wir dort sind. Sie wollen, dass wir uns nicht wieder abwenden, und sie wollen sich gemeinsam mit uns auf einen neuen Weg begeben.
Gibt es irgendeinen Zweifel daran, was geschehen würde, wenn wir heute mit Nein stimmen würden? Lieber Kollege Ströbele, Sie werden das ja gleich tun. Meinen Sie nicht, dass Ihr Nein dazu führen könnte, dass die Tweede Kamer, die in den Niederlanden im nächsten November über die Verlängerung entscheiden wird, das Mandat beendet? Meinen Sie nicht, dass dann auch die Kollegen im Abgeordnetenhaus in Ottawa mit Nein stimmen und sich dem Mandat verweigern werden?
Was wäre denn die Konsequenz? Afghanistan würde wieder in die Hände der Taliban fallen. Lieber Kollege Ströbele, wollen Sie das etwa? Das kann ich mir nicht vorstellen. Deswegen bitte ich Sie, noch einmal sehr genau darüber nachzudenken, ob ein Nein nicht vielleicht doch dem Terrorismus die Chance böte, sich weiter einzunisten, den Menschen zu beleidigen und Frauen zu unterdrücken. Das wollen wir beenden, und deswegen brauchen wir die Verlängerung des ISAF-Mandats.
Lieber Kollege Ströbele und alle anderen, die noch nachdenken: Stimmen Sie mit Ja, damit ISAF mithelfen kann, dafür zu sorgen, dass Afghanistan eine Chance hat, sich gut und friedlich zu entwickeln.
Frau Kollegin Mogg hat darauf hingewiesen, dass man sich im Paul-Löbe-Haus gegenwärtig eine Ausstellung über Afghanistan anschauen kann. Ich bitte Sie herzlich, sich diese Ausstellung anzuschauen. Die Bilder, die Sie dort sehen können, zeigen Menschen aus Afghanistan, die, wenn wir mit Nein stimmen würden, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren würden.
Schauen Sie sich das eindrucksvolle Bild an, das eine Witwe zeigt! Sie heißt Sakina. Dort steht in der Dokumentation, dass sie mit ihren drei Kindern in einer Felshöhle lebt. Sie hat eine ganz kleine Tür, die sie vor Eindringlingen schützt. Diese Tür hat aber nicht vor den Taliban geschützt, die gekommen sind und ihren Mann vor ihren Augen erschossen haben. Sakina sagt - auch das können Sie in der Dokumentation lesen -: Alle Tränen habe ich schon vergossen.
Ich hoffe sehr, dass wir alle bei unseren Entscheidungen, die wir hier treffen, genau solche Menschen vor Augen haben, die ihre Hoffnung darauf setzen, dass sie von dieser Schreckensherrschaft befreit werden. Unser Ja dient dazu, dass diese Menschen wissen: Es gibt weit weg von ihnen, in Europa, in Deutschland und anderswo, gewählte Frauen und Männer in den Parlamenten, die ihr Schicksal sehr genau kennen und mit ihnen gemeinsam versuchen, Elend, Hunger und Not abzuwenden. Das brauchen diese Menschen. Unser Ja ist ein Ja zu ihrer guten Zukunft.
Deshalb bitte ich Sie alle, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gysi das Wort.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Weisskirchen, ich habe Ihnen und auch Frau Wieczorek- Zeul sehr genau zugehört. Ich möchte kurz darauf erwidern.
Erstens. Es gibt viele zivile Aufbauhelfer - das erwähnen Sie nie -, die sagen, dass sie überhaupt nur aktiv in Afghanistan tätig sein können, wenn der erste Soldat zehn Kilometer entfernt ist. Das widerlegt Ihre These, dass sie die Soldaten dringend benötigen, um Aufbauhilfe zu leisten.
Zweitens. Sie setzen sich nicht mit der Frage auseinander, dass wir nur ein Fünftel der Mittel für Entwicklungshilfe und vier Fünftel der Mittel für die Bundeswehr zur Verfügung stellen. Das Verhältnis ist grob falsch.
Drittens. Sie haben mich hier das letzte Mal ausgelacht, als ich von Selbstbefreiung gesprochen habe. Herr Weisskirchen, worauf hoffen wir beide in Birma? Wir hoffen auf Selbstbefreiung und nicht darauf, dass die Bundeswehr das regelt.
Wir müssen die Mönche und die Zivilbevölkerung unterstützen, damit es dort eine Selbstbefreiung gibt. Allerdings weise ich darauf hin: Anschließend darf der Westen sich nicht die Reichtümer des Landes aneignen. Auch das ist wichtig, damit es eine Selbstbefreiung wird.
Lassen Sie mir meine Logik. Sie haben Ihre Logik, aber auch ich habe eine. Versuchen Sie doch einmal, sie zu verstehen. Es gibt entsetzliche terroristische Akte. Darüber sind wir uns völlig einig. Wie reagiert der Westen? Mit Bomben. Wir führen Krieg. Bomben führen immer zu Kollateralschäden, auch in Afghanistan. Dort wurden zum Beispiel eine Geburtsfeier und eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert. Es gibt also unter Unbeteiligten Tote. Was ist die Folge? Als Folge entsteht Hass. Dann findet sich jemand wie Bin Laden, der den Hass dieser Leute nutzt und aus ihnen Terroristen macht. Dann erleben wir die nächsten Anschläge in Madrid und London. Daraufhin kommen von uns wieder Bomben. Verstehen Sie nicht, dass wir aus dieser Spirale der Gewalt herausmüssen? Das ist unser Anliegen.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Lieber Kollege Gysi, offenbar hat es das, was im September 2001 geschehen ist, nicht gegeben. Haben Sie vergessen, dass die Brutstätte jener Terroristen in Afghanistan war?
Haben Sie vergessen, dass al-Qaida dort ihren Mordzug begonnen hat? Haben Sie vergessen, dass es Bin Laden war, der unsere eigene Zivilisation zum Ziel gemacht hat, um seine instrumentelle Sicht, seinen Terrorismus durchzusetzen? Haben Sie das alles vergessen, lieber Kollege Gysi? Ich habe es nicht vergessen.
Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass die Antwort, die die UNO gibt - sie ist völkerrechtlich gesichert, steht auf dem Boden unserer nationalen Rechte und wird durch das Bundesverfassungsgericht unterstützt -, völkerrechtlich fragwürdig ist, dann muss ich Ihnen sagen: Sie sind Jurist. Was für ein Jurist sind Sie denn? Was ist denn das für eine völkerrechtliche Argumentation?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion. Dann wird es noch eine Erklärung zur Abstimmung geben, Herr Kollege Ströbele, die nach unserer Geschäftsordnung am Schluss der Aussprache erfolgt. - Kollege Raidel.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. - Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil mich der Kollege Weisskirchen in seiner Rede mehrfach angesprochen und aufgefordert hat, statt mit Nein mit Ja zu stimmen. Er hat einige Gründe vorgetragen, zu denen ich etwas sagen möchte.
Herr Kollege Weisskirchen, ich hatte den Eindruck, Sie haben Ihre Rede von vor drei Jahren gehalten. Diesen Eindruck hatte ich auch bei der Rede der Ministerin und bei einigen Reden aus den Reihen der Koalition, weil keiner von Ihnen - auch Sie nicht, Herr Weisskirchen - mit einer einzigen Silbe dazu Stellung genommen hat, dass sich die Situation in Afghanistan in den letzten drei Jahren dramatisch verändert hat.
Sie sagten, Sie wollen die Herzen der Menschen in Afghanistan gewinnen. Wir sind immer weiter davon entfernt, die Herzen der Menschen zu gewinnen.
Ich will mich jetzt nicht mit Ihnen darüber streiten, ob es überhaupt noch viele Leute in Afghanistan gibt, die sagen: Die Militärs sollen bleiben. Aber eines ist klar: Die OEF-Einsätze, die im Süden Afghanistans stattfinden, tragen dazu bei, das Hass gesät wird und den Taliban neue Kämpfer zugetrieben werden.
Sie können doch nicht heute Ihre Rede von damals halten, ohne darauf einzugehen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan dramatisch verschärft hat, dass die Zahl der Gewalttaten um 30 Prozent gestiegen ist und dass allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres viel mehr Menschen in Afghanistan im Krieg umgekommen sind als im ganzen letzten Jahr. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Art der Kriegsführung in die Irre führt, dass ein Strategiewechsel dringend erforderlich ist, dass man der Fortsetzung des ISAF-Mandats nicht zustimmen kann, wenn kein Strategiewechsel stattfindet,
und dass die Bundesregierung zu einem Strategiewechsel verpflichtet ist.
Die Bundesregierung hat deshalb dankenswerterweise einen neuen Afghanistan-Plan beschlossen. Die Erhöhung der Sicherheit und die Fortsetzung des zivilen Aufbaus werden neu bewertet und verbessert. Wir begrüßen diesen Fortschritt und unterstützen alle Einzelmaßnahmen.
Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Beschluss zur Verlängerung dieses Mandats stehen unsere Glaubwürdigkeit und unsere Zuverlässigkeit bei der Bevölkerung in Afghanistan auf dem Prüfstand. Wir dürfen nicht nur Staub aufwirbeln, sondern wir müssen dort auch Spuren hinterlassen. Deswegen bitte ich Sie alle: Geben Sie unseren Soldaten mit Ihrer Zustimmung den notwendigen parlamentarischen Rückhalt! Setzen wir für Afghanistan ein weiteres Zeichen der Hoffnung!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/6612 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO.
Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstimmung von Mitgliedern des Hauses vor, die dem Protokoll beigefügt werden.
Bevor wir mit der Abstimmung beginnen, erhält nach § 30 unserer Geschäftsordnung der Kollege Ströbele die Gelegenheit, eine Erklärung zur Aussprache abzugeben, in der die Möglichkeit besteht, Äußerungen klarzustellen, die sich auf die eigene Person bezogen haben. Diese Erklärung erfolgt nach unserer Geschäftsordnung nach Schluss der Aussprache, also jetzt. Sie müssen sich daher noch einen kleinen Augenblick gedulden. Ich schlage vor, dass Sie das im Sitzen tun.
Bitte schön, Herr Kollege Ströbele.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. - Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil mich der Kollege Weisskirchen in seiner Rede mehrfach angesprochen und aufgefordert hat, statt mit Nein mit Ja zu stimmen. Er hat einige Gründe vorgetragen, zu denen ich etwas sagen möchte.
Herr Kollege Weisskirchen, ich hatte den Eindruck, Sie haben Ihre Rede von vor drei Jahren gehalten. Diesen Eindruck hatte ich auch bei der Rede der Ministerin und bei einigen Reden aus den Reihen der Koalition, weil keiner von Ihnen - auch Sie nicht, Herr Weisskirchen - mit einer einzigen Silbe dazu Stellung genommen hat, dass sich die Situation in Afghanistan in den letzten drei Jahren dramatisch verändert hat.
Sie sagten, Sie wollen die Herzen der Menschen in Afghanistan gewinnen. Wir sind immer weiter davon entfernt, die Herzen der Menschen zu gewinnen.
Ich will mich jetzt nicht mit Ihnen darüber streiten, ob es überhaupt noch viele Leute in Afghanistan gibt, die sagen: Die Militärs sollen bleiben. Aber eines ist klar: Die OEF-Einsätze, die im Süden Afghanistans stattfinden, tragen dazu bei, das Hass gesät wird und den Taliban neue Kämpfer zugetrieben werden.
Sie können doch nicht heute Ihre Rede von damals halten, ohne darauf einzugehen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan dramatisch verschärft hat, dass die Zahl der Gewalttaten um 30 Prozent gestiegen ist und dass allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres viel mehr Menschen in Afghanistan im Krieg umgekommen sind als im ganzen letzten Jahr. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Art der Kriegsführung in die Irre führt, dass ein Strategiewechsel dringend erforderlich ist, dass man der Fortsetzung des ISAF-Mandats nicht zustimmen kann, wenn kein Strategiewechsel stattfindet,
und dass die Bundesregierung zu einem Strategiewechsel verpflichtet ist.
Sie haben hier behauptet, ISAF hat lediglich die Aufgabe, den Aufbau sicherzustellen und die Bevölkerung zu schützen. Das war das ursprüngliche Mandat von ISAF. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass heute jeden Tag, jede Woche ISAF-Soldaten an dem Offensivkrieg im Süden Afghanistans beteiligt sind, dass sie genauso wie die OEF-Soldaten an der offensiven Kriegführung schuld sind, bei der immer wieder Dutzende, Hunderte von Zivilisten umkommen. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie das Herrn Generalmajor Kasdorf, der vorgestern in der FAZ erklärt hat: 90 Prozent der Spezialeinsätze von OEF geschehen mit Unterstützung durch ISAF-Einsätze, sind überhaupt nicht denkbar ohne die Unterstützung durch ISAF-Einsätze.
Wer das alles zur Kenntnis nimmt, der muss einen Strategiewechsel fordern. Ohne einen Strategiewechsel führt das in die Irre. Auch die Bedrohung, in Deutschland, in Europa durch terroristische Anschläge getroffen zu werden, bomben Sie und andere in Afghanistan geradezu herbei. Deshalb werde ich dabei bleiben, hier mit Nein zu stimmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun mache ich noch einmal darauf aufmerksam, dass es zu diesem Antrag der Bundesregierung eine Beschlussempfehlung gibt. Diese Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/6612 hat zum Inhalt, diesem Antrag zuzustimmen.
Es ist hier namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte noch einmal, bei der Stimmabgabe darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Ich nehme an, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer an den vorgesehenen Stellen ihre Plätze eingenommen haben. - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung werden wir später bekanntgeben.
Ich komme jetzt zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/6613 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/6461 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die weiteren Entschließungsanträge:
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6663? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP und Ablehnung des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6660? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des übrigen Hauses ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6661? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen des übrigen Hauses ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6662? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher abgelehnt.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 119. Sitzung - wird am
Freitag, den 12. Oktober 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]