120. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2007
Beginn: 13.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich eine Mitteilung zu machen. Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Haltung der Bundesregierung zu den von den Stromkonzernen angekündigten massiven Strompreiserhöhungen
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln - Unterrichtung und Evaluation verbessern
- Drucksache 16/6770 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Orientierung und verbesserte Berufsperspektiven durch Praktika schaffen
- Drucksache 16/6768 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen
- Drucksache 16/6769 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Sportausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeption entwickeln
- Drucksache 16/6771 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Sportausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bodenschutzrahmenrichtlinie aktiv mitgestalten - Subsidiarität sichern, Verhältnismäßigkeit wahren
- Drucksachen 16/4736, 16/5757 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Detlef Müller (Chemnitz)
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Ferner mache ich auf vier nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 109. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Finanzausschuss (7. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG
- Drucksache 16/5846 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Der in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Dritter Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundespolizeigesetzes
- Drucksachen 16/6292, 16/6570 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Der in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG)
- Drucksache 16/6311 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
mitberatend und gemäß § 96 GO
Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Rechtsausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG)
- Drucksache 16/3658 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/6743, 16/6761 -
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich begrüße Herrn Staatsminister Erler, der zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht.
Ich rufe die dringliche Frage Nr. 1 des Abgeordneten Dr. Norman Paech, Fraktion Die Linke, auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die sich zuspitzende Situation an der türkisch-irakischen Grenze durch den massiven Aufmarsch türkischer Truppen und die immer deutlicher werdende Drohung, in den Irak einzumarschieren, unter dem Gesichtspunkt der Souveränität des Irak und den möglichen Folgen für die Sicherheitslage und Stabilität der Region?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Paech, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet: Die Bundesregierung sieht die jüngsten Entwicklungen an der türkisch-irakischen Grenze mit Besorgnis. Sie verurteilt die terroristischen Angriffe der PKK im türkischen Südosten auf das Schärfste. Die Bundesregierung appelliert an die Regierungen der Türkei und des Irak, auf Grundlage ihres vor kurzem unterzeichneten bilateralen Sicherheitsabkommens gemeinsam für Stabilität in der Region zu sorgen. Die Bundesregierung steht mit der türkischen Regierung in Kontakt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 21. Oktober 2007 mit dem türkischen Außenminister telefoniert und an die türkische Regierung appelliert, mit Augenmaß und Besonnenheit zu reagieren und so eine gefährliche Destabilisierung der Region zu verhindern.
Der Bundesregierung ist bekannt, dass das türkische Parlament am 17. Oktober dieses Jahres einen Beschluss gefasst hat, der die türkische Regierung ermächtigt, grenzüberschreitend gegen die PKK tätig zu werden. Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit ihren EU-Partnern und den Vereinigten Staaten weiterhin dafür einsetzen, dass der Konflikt diplomatisch und unter Ausschöpfung aller nichtmilitärischen Mittel gelöst wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfragen?
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Herr Kollege Erler, ich hatte gefragt, wie Sie diese Drohung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Souveränität des Iraks bewerten. Damit verbinde ich die folgende Frage: Können Sie der weitverbreiteten, immer wieder geäußerten Vermutung zustimmen, dass es der Türkei gar nicht um die PKK-Rebellen geht, sondern darum, die Autonomieentwicklung im Norden des Iraks zu verhindern? Könnte diese Vermutung zutreffen?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass die Bestrebungen, die auf die Errichtung eines eigenen Staates im Nordirak zielen, in der Türkei mit großer Sorge beobachtet werden. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass eine Stabilisierung des gesamten Iraks eine Separation des Nordiraks verhindert. Ich gehe davon aus, dass auch die türkische Politik von entsprechenden Erkenntnissen geleitet wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage?
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. - Ich unterstelle einmal, dass der Bundesregierung aufgrund der weitverbreiteten Presse bekannt ist, dass die Türkei schon seit Monaten Militär im Südosten ihres Landes zusammengezogen hat, dass sie von dort immer wieder Überfälle auf Dörfer und Ortschaften in Südostanatolien unternommen hat und dass sie bisher alle Angebote der PKK in Richtung Waffenstillstand - seit Oktober 2006 bis jetzt, zum jüngsten Datum - abgewiesen hat und immer wieder auf eine militärische Lösung zurückkommt. Was - das ist meine Frage - hat die Bundesregierung bisher unternommen, um es zu dieser absehbaren Zuspitzung der Lage nicht kommen zu lassen?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege, ich glaube, man muss ein bisschen aufpassen, dass man die Dinge jetzt nicht so verkehrt, dass es zu einer Verwechslung von Tätern und Opfern kommt. Uns sind mehrere sehr blutige Überfälle der PKK auf Einheiten der türkischen Armee bekannt, übrigens zum Teil mit zivilen Opfern. Der letzte dramatische Akt hat am 21. Oktober dieses Jahres stattgefunden. Allein bei diesem Vorfall sind zwölf türkische Soldaten zu Tode gekommen.
Selbstverständlich gibt es eine Politik der türkischen Regierung gegenüber den Kurden, die wir seit langem im Dialog begleiten, was wir auch weiterhin machen werden. Wir können dadurch feststellen, dass die gerade erst wieder durch Wahlen bestätigte AKP-Regierung durchaus Anstrengungen in unserem Sinne unternommen hat, was sich übrigens auch darin niederschlägt, dass 40 Prozent der Kurden die AKP gewählt haben. Das ist ein Beleg dafür, dass ein Teil dieser Politik bei der kurdischen Bevölkerung im Südosten der Türkei angekommen ist.
Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass wir unsere Bemühungen fortsetzen werden mit dem Ziel, dass die türkische Regierung auf diese Provokationen nicht militärisch in Form eines Einmarsches in den Nordirak antwortet, weil wir glauben, dass das weder im Sinne der türkischen Interessen noch im Sinne des gemeinsamen Interesses an einer stabilen Entwicklung im Gesamtirak sein kann.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollege Koppelin.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Staatsminister, können Sie Auskunft darüber geben, ob sich Gremien der NATO mit der Angelegenheit beschäftigt haben? Denn immerhin ist die Türkei NATO-Partner.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Soweit ich weiß, ist das bisher nicht der Fall. Wir können erkennen, dass es aktive diplomatische Bemühungen der Vereinigten Staaten gibt, in die der Präsident und die Außenministerin einbezogen sind. Diese Bemühungen umfassen sowohl Kontakte mit der irakischen Seite als auch Kontakte mit der nordirakischen Autonomieregierung als auch Kontakte mit der Türkei. Aber eine formelle Beschäftigung der NATO mit dieser Angelegenheit ist mir nicht bekannt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Dagdelen.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Herr Erler, ist der Bundesregierung bekannt, dass in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem zunehmenden Nationalismus in der Türkei fast schon Rassismus gegenüber kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufgetreten ist, und zwar vor allen Dingen auf Drängen der Partei der Nationalistischen Bewegung, MHP, die jetzt auch ins Parlament eingezogen ist, und der CHP, der Republikanischen Volkspartei? Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklungen? Vor allen Dingen vor dem Hintergrund des Prozesses des EU-Beitritts der Türkei hat die Bundesregierung doch bestimmt eine Position zu diesen Entwicklungen.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Kollegin, ich möchte an meine vorletzte Antwort anknüpfen. Es gibt eine pluralistische Entwicklung in der Türkei. Es gibt bestimmt verschiedene Parteien, deren Ziele wir nicht teilen können oder auch kritisieren müssen. Aber was die offizielle Politik der Türkei in den letzten Jahren angeht, sehen wir durchaus das Bemühen, zu einer politischen Lösung des Kurdenproblems zu kommen. Die Fortschritte dabei sind darin erkennbar, dass der Rückhalt der PKK als Gruppierung, die eine militärische, eine gewaltsame Lösung dieses Problems anstrebt, zurückgegangen ist. Wir sehen die Provokationen der PKK, beispielsweise ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten, durchaus in einem Zusammenhang mit dem Rückgang der Zustimmung für die PKK in der kurdischen Bevölkerung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Paech auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Gespräche zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und US-Außenministerin Condoleezza Rice, in denen heutigen Presseberichten zufolge gemeinsame Aktionen des türkischen und des US-Militärs gegen Guerillas im Nordirak erwogen werden?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Paech, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet: Die Bundesregierung hat keine Kenntnis von dem Inhalt der Gespräche der US-Außenministerin mit dem Ministerpräsidenten der Türkei. Der Bundesregierung ist bekannt, dass zurzeit hochrangige Kontakte zwischen den Regierungen der Türkei, des Irak und der USA - ich habe sie eben schon erwähnt - mit dem Ziel stattfinden, den Konflikt einzudämmen und möglichst mit friedlichen Mitteln zu lösen. Auch von der kurdischen Regionalregierung im Nordirak wird in diesem Zusammenhang erwartet, einen Beitrag zu leisten und zur friedlichen Lösung des Konflikts beizutragen. Die Stabilität der Region liegt im Interesse aller Beteiligten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eine Zusatzfrage?
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Auch ich habe dies natürlich nicht von Herrn Erdogan persönlich, sondern aus der amerikanischen Presse, die darüber berichtet hat, dass die USA angeboten habe, gemeinsam mit der Türkei per Luftunterstützung über die PKK-Stellungen in den Kandil-Bergen herzufallen. Sie wissen, dass die PKK und die Kurden seit 1984 gemeinsam für ihre Rechte - für Menschenrechte, Bürgerrechte, politische Rechte - und überhaupt für die Anerkennung ihrer Identität kämpfen und dass bis jetzt zwar einige, aber immer noch nicht genügend politische Erfolge erzielt worden sind. Jetzt stellen sich die USA an die Seite der Türkei und bieten militärische Unterstützung an. Selbst wenn das nur in der Presse steht, frage ich Sie: Was unternimmt die Bundesregierung in dieser Situation auch gegenüber den USA, um hier beruhigend zu wirken und vor allen Dingen eine Pazifizierung der Situation herzustellen?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Paech, ich habe schon aus Ihrer Formulierung der Frage erkannt, dass Sie sehr genau wissen, dass die Bundesregierung zu Presseberichten, zu deren Gegenstand wir keine eigenen Erkenntnisse haben, keinen Kommentar abgibt. Das erwarten Sie also in Wirklichkeit gar nicht von mir. Insofern kann ich mich mit meiner Antwort auf den zweiten Teil Ihrer Frage konzentrieren.
Wir bemühen uns - auch im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, zum Beispiel unseres Außenministers mit seinem türkischen Kollegen Babacan -, auf eine Nichtnutzung der Ermächtigung durch das türkische Parlament hinzuwirken. Wir glauben, dass eine grenzüberschreitende militärische Aktion der türkischen Regierung, mit der versucht würde, die PKK-Basislager in den Kandil-Bergen anzugreifen, in jeder Hinsicht zum Nachteil der Region und der türkischen Interessen ginge und vielleicht sogar im Sinne der Provokation, die ich beschrieben habe, das Gegenteil der Interessen der türkischen Regierung erreichte. Deswegen ist es unser Bemühen, eine Deeskalation zu erreichen, und dazu nutzen wir die diplomatischen Kanäle. Dies halten wir für den richtigen Weg.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Nur noch eine kurze Nachfrage: Haben Sie diese diplomatischen Kanäle auch gegenüber den USA benutzt? Haben Sie Gespräche aufgenommen, um in diesem Sinne auf die USA einzuwirken?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Wir gehen fest davon aus, dass die Vereinigten Staaten eine exakt gleiche Beurteilung der Lage vor Ort haben und in die gleiche Richtung wirken. Sie haben ja selbst über die Presse wahrgenommen, dass hier diplomatische Kanäle benutzt werden - zum Beispiel von der US-Außenministerin -, um in diesem Sinne auf die Region einzuwirken.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Gehrcke, hatten Sie sich zu einer Zwischenfrage gemeldet? - Bitte schön.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Kollege Erler, Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, wir hatten heute schon im Auswärtigen Ausschuss das Vergnügen, über diese Fragen zu diskutieren. Ihre Antwort auf die Frage meines Kollegen Paech ermutigt mich, nachzufragen, wie die Bundesregierung die Politik der USA in dieser Region beurteilt. Es ist bekannt, dass die kurdischen Formationen im Norden Iraks mit den USA engstens verbündet sind und auch während des Krieges im Irak eine erhebliche Rolle gespielt haben. Hinzu kommt, dass die Erklärung des amerikanischen Kongresses zu Armenien, die ich inhaltlich sehr respektabel finde, die in der Türkei aber Auseinandersetzungen auslösen musste, nicht zufällig in dieser Situation und zu diesem Zeitpunkt abgegeben wurde.
Kann es sein, dass die heftige Reaktion der Türkei zum Teil auch darin begründet ist, die USA erneut in eine engere Gefolgschaft bzw. in ein enges Bündnis zu zwingen, und dass dadurch andere Umfeldbedingungen bestehen? Wie beurteilt die Bundesregierung die Politik der USA in dieser Region?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Die Bundesregierung ist sich mit den Vereinigten Staaten, was das Gesamtinteresse in dieser Region angeht, völlig einig. Es würde für die gesamte Region eine Zuspitzung der Lage und eine bedrohliche Entwicklung bedeuten, wenn es etwa zu einem Zerfall des Iraks käme. Natürlich würde diese Gefahr zum Beispiel durch eine militärische Aktion im Nordirak eher vergrößert als verringert. Insofern sind wir uns, was den Ansatz der Politik der Vereinigten Staaten in dieser Region angeht, einig.
Im Übrigen, Herr Kollege, darf ich, wenn Sie erlauben, sagen: Wenn es den USA wirklich darum ginge, die Türkei zu einem Gefolgsland zu machen, wäre die Armenien-Resolution nicht das geeignete Mittel. Insofern kann ich Ihre Beurteilung dieser Zielsetzung Amerikas, zumindest was den von Ihnen angeführten Beleg betrifft, nicht teilen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Dagdelen.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Herr Erler, auf die Frage meines Kollegen Paech antworteten Sie, man dürfe nicht erwarten, dass die Bundesregierung den Wahrheitsgehalt von Presseberichten beurteilt und danach handelt. Allerdings hebt die Bundesregierung die deutsch-türkischen Verhältnisse auch in der öffentlichen Debatte immer wieder hervor. Darüber hinaus hat sie großes Interesse an der Befriedung der Situation im Nahen Osten, also auch im Irak und ganz speziell im Norden Iraks; darauf haben auch Sie heute hingewiesen.
Ich würde gerne wissen, ob beispielsweise die Berichte in der Chicago Tribune und in der Hürriyet die Bundesregierung zumindest angeregt haben oder in Zukunft anregen werden, den Inhalt solcher Presseberichte mit Blick auf ihre diplomatischen Verhandlungen zu prüfen.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Kollegin, ich bitte doch sehr um Verständnis: Die Arbeitsweise der Bundesregierung ist nicht, auf Presseinformationen zu warten und dann zu versuchen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Bundesregierung verfügt über eigene Handlungsmöglichkeiten, sowohl im Hinblick auf die Türkei - ich habe mehrfach erwähnt, dass wir im Augenblick versuchen, diese Möglichkeiten zu nutzen - als auch über direkte Gesprächskontakte im Hinblick auf unseren amerikanischen Partner. Insofern sind wir nicht darauf angewiesen, nach Presseberichten solche Fahndungsversuche zu unternehmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Wortmeldungen zu diesem Fragenkomplex liegen nicht vor. Staatsminister Erler, ich danke Ihnen.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 der Kollegin Cornelia Hirsch auf:
Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der angekündigten Pauschalkürzung um 15 Prozent der Fördersumme für die im Rahmen des sogenannten Exzellenzwettbewerbs geförderten Hochschulen und den drohenden rechtlichen Konsequenzen (Spiegel Online vom 22. Oktober 2007)?
Bitte schön.
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach den Modalitäten der Finanzierung der Exzellenzinitiative beantworte ich wie folgt: Bund und Länder stellen für die Exzellenzinitiative für die Jahre 2006 bis 2011 insgesamt 1,9 Milliarden Euro bereit. Um die erfreulich hohe Zahl hervorragend begutachteter Anträge innerhalb dieses Finanzrahmens fördern zu können, wurde in beiden Förderrunden eine Reduzierung der Bewilligungssummen im Hinblick auf die ausgewählten Projekte vorgenommen. Dabei wird die Gleichbehandlung der Projekte der ersten und der zweiten Förderrunde sichergestellt. Auf dieser Grundlage berechnen die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat derzeit die konkreten Bewilligungssummen. Bereits die Bewilligungsschreiben an die Gewinner der ersten Förderrunde enthielten eine Sperre bei den bewilligten Mitteln, die nun bestätigt wurde. Ein Eingriff in bereits erfolgte und nicht mit einer Sperre belegte Bewilligungen der ersten Runde erfolgt nicht; rechtliche Konsequenzen sind daher nicht zu erwarten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Danke schön. - Herr Staatssekretär, es ist ja schön, wenn vielleicht in diesem einzelnen Bereich nicht so große Schwierigkeiten aufgetreten sind. Es gab im Rahmen der Exzellenzinitiative aber auch einiges an Kritik. Wir haben das heute Morgen auch im Ausschuss behandelt. Dort ist übereinstimmend festgehalten worden, dass die Rahmenbedingungen für die Finanzierung der Hochschulen insgesamt völlig unzureichend sind und auf jeden Fall Schritte notwendig sind, um daran etwas zu ändern; ansonsten hilft auch die Exzellenzinitiative nicht wirklich weiter.
Die GEW hat vorgeschlagen, möglichst schon im nächsten Jahr einen zweiten Hochschulpakt aufzulegen, um neben der Finanzierung der Forschung, die über die Exzellenzinitiative erfolgen soll, gerade auf eine bessere Lehre hinzuwirken. Meine Nachfrage wäre: Was sagt die Bundesregierung dazu, bzw. - wenn Sie diesen Vorschlag ablehnen - welche anderen Vorschläge hat die Bundesregierung, um das Problem der Unterfinanzierung der Hochschulen zu lösen?
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Frau Abgeordnete Hirsch, ich teile Ihre Beobachtung und Bewertung der heutigen Beratungen im Ausschuss für Bildung und Forschung ausdrücklich nicht. Im Gegenteil, die dort durchgeführte Präsentation der Ergebnisse der Exzellenzinitiative hat gezeigt, dass wir in Deutschland an einer Vielzahl von Standorten Leuchttürme der exzellenten Forschung haben. Die Breite dieser Standorte ist von allen einhellig begrüßt worden. Über die Finanzierungsmodalitäten mussten wir übrigens auch deswegen reden, weil die Zahl der bewilligten Förderprojekte ein Stück weit größer war, als es von vielen erwartet worden ist.
Unabhängig davon stellt sich die Frage nach der Verbesserung der Situation der Lehre an den Universitäten. Hier ist zum einen der Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern beschlossen worden, mit dem der Bund die Länder bis zum Jahr 2010 für die Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten für bis zu 90 000 Studienanfänger mit mehr als einer halben Milliarde Euro finanziell unterstützt. Darüber hinaus überlegen die Länder, der Bund und die Hochschulen auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen aus der Bologna-Folgekonferenz, die im Mai dieses Jahres in London stattgefunden hat, welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Lehre im Zusammenhang mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master ergriffen werden können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage?
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Die überwiegende Anzahl der Hochschulen, die jetzt im Rahmen der Exzellenzinitiative als Spitzenhochschulen definiert worden sind, liegt in Bundesländern, die allgemeine Studiengebühren eingeführt haben. Die Erfahrungen der ersten Runde zeigen, dass die Exzellenzprojekte mit der Einführung von verschärften individuellen Auswahlverfahren an den einzelnen Hochschulen verbunden sind.
Meine Frage ist daher, inwieweit auch die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die Zustimmung von Hochschulen zur Exzellenzinitiative bzw. ihr Erfolg bei der Exzellenzinitiative sehr eng damit zusammenhängt, dass sie sich dem Leitbild unterordnen, dass Hochschulen eher als eine Art Unternehmensform anzusehen sind - wodurch Studierende in die Rolle von Kundinnen und Kunden gedrängt werden. Oder ist so ein Leitbild nicht die Voraussetzung, um im Rahmen der Exzellenzinitiative Erfolg zu haben?
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung teilt Ihre Einschätzung ausdrücklich nicht. Die Beratungen im Fachausschuss heute Morgen haben noch einmal verdeutlicht, dass wir für die Art und Weise, wie die Auswahl der exzellenten Projekte vorgenommen worden ist - in einem Verfahren, in dem von wissenschaftlicher Seite 80 Prozent der Gutachter aus dem Ausland stammen; renommierte Wissenschaftler, die die Anträge bewertet haben -, auch international hervorragende Resonanz bekommen. Diese Art und Weise, wie herausragende Forschungsprojekte für eine staatliche Förderung ausgewählt werden, wird international als beispielgebend angesehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich rufe die dringliche Frage 4 der Kollegin Cornelia Hirsch auf:
Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem vom studentischen Dachverband Freier Zusammenschluss von Student/inn/enschaften und der Bildungsgewerkschaft GEW am 22. Oktober 2007 vorgelegten Bericht, wonach die Bundesrepublik gegen den sogenannten UN-Sozialpakt bezüglich des Rechtes auf Bildung verstoße?
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident, ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 beinhaltet nach Auffassung der Bundesregierung im Ergebnis kein Verbot der Einführung von Studienbeiträgen. Entscheidend ist, dass der Zugang von der Finanzkraft des Einzelnen unabhängig bleibt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Studiengebührenurteil vom 26. Januar 2005 in dem Vertrag kein Studienbeitragsverbot gesehen, sondern den Pakt als Ausdruck und Konkretisierung der eigenverantwortlichen sozialstaatlichen Verpflichtung des Bundes und der Länder zitiert.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Studienbeitragssysteme die Zielsetzung und die Regelungen des Paktes als Konkretisierung ihrer sozialstaatlichen Verpflichtung berücksichtigen. Alle studienbeitragserhebenden Länder haben gleichzeitig mit den Studienbeiträgen zinsgünstige, elterneinkommensunabhängige Kredite zur sozialverträglichen Ausgestaltung eingeführt. Unabhängig von der Einführung von Studienbeiträgen wird die Chancengleichheit beim Zugang zum Hochschulstudium darüber hinaus auch durch das BAföG gesichert. Vor diesem Hintergrund sind Verstöße gegen den Pakt nach Auffassung der Bundesregierung nicht erkennbar.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage?
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
In dem Pakt steht fast wörtlich, dass sich die Bundesregierung verpflichtet, das Hochschulstudium gebührenfrei zu halten bzw. Schritt für Schritt gebührenfrei zu machen. Können Sie nachvollziehen, dass sich ziemlich viele Studierende etwas veralbert vorkommen, wenn sie sich Ihre Antwort hier angehört haben, in der Sie ja gesagt haben, dass in dem Pakt zwar ?gebührenfrei“ steht, womit aber eigentlich nur gemeint sei: Wir bieten euch Darlehen an, sodass ihr euch hoch verschulden könnt?
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Nein, ich teile diese Auffassung nicht. Im Übrigen sind diese Darlehensangebote, die von allen Bundesländern, die Studienbeiträge eingeführt haben, parallel dazu ebenfalls eingeführt worden sind, sozial verträglich ausgestaltet, sodass die Rückzahlung der Darlehen unter besonderen Umständen ganz oder teilweise erlassen werden kann.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage?
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Ja, ich habe noch eine kurze Frage. - Die Bundesregierung ist verpflichtet, einen Bericht darüber vorzulegen, welche Fortschritte sie bei der Umsetzung des UN-Sozialpaktes gemacht hat. In einer Fragestunde vor der Sommerpause wurde das hier schon einmal behandelt. Damals hatten Sie mir zugesichert, dass dieser Bericht baldmöglichst vorgelegt wird. Das ist immer noch nicht passiert. Deshalb habe ich die Nachfrage, wann genau dieser Bericht, der mittlerweile wirklich schon lange überfällig ist, vonseiten der Bundesregierung vorgelegt wird.
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Frau Abgeordnete Hirsch, den genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Das werden wir Ihnen schriftlich nachreichen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich sehe keine weiteren Meldungen für Zusatzfragen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Zur Beantwortung der beiden dringlichen Fragen des Kollegen Rainder Steenblock steht der Staatssekretär Dr. Beus zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 5 auf:
Warum wurde zum jetzigen Zeitpunkt unverzüglich nach den Wahlen in Polen und dem sich abzeichnenden Regierungswechsel das die deutsch-polnischen Beziehungen belastende Thema des Zentrums gegen Vertreibung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei dem Festakt ?50 Jahre Bund der Vertriebenen“ am Montag, dem 22. Oktober 2007, im Kronprinzenpalais angesprochen (Tagesspiegel vom 23. Oktober 2007)?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Anlass der Rede der Bundeskanzlerin war das 50-jährige Jubiläum des Bundes der Vertriebenen, das am Montag, dem 22. Oktober 2007, begangen wurde. Der Termin des Festaktes stand bereits vor dem Termin der Wahlen in Polen fest.
Die Bundeskanzlerin hat sich bei der Veranstaltung hinsichtlich des in Ihrer Frage genannten Themas ausschließlich zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten sichtbaren Zeichen geäußert. Im Koalitionsvertrag ist dazu vereinbart - ich darf zitieren -:
Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher beteiligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten.
Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede ausgeführt, dass damit dem breiten Bedürfnis nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft Rechnung getragen wird. Dabei wird eine angemessene und würdige Lösung angestrebt. Das gute nachbarschaftliche Verhältnis zu Polen war und ist stets im Interesse der Bundesregierung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage, Herr Kollege Steenblock?
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank für die Antwort. - Ich weiß, dass die Terminierung im zeitlichen Ablauf so erfolgt ist, wie Sie es beschrieben haben. Trotzdem war zum Zeitpunkt der Rede bekannt - auch der Bundeskanzlerin -, dass am Vortag ein neues polnisches Parlament gewählt worden ist. Wäre es zum Zeitpunkt der Rede nicht ein gutes Signal gewesen, gerade den Dialog mit der neuen polnischen Regierung bzw. dem neuen polnischen Parlament in den Vordergrund zu stellen? Denn dies hätte sicherlich ein Gegengewicht zu der sehr negativen Presseberichterstattung über die Rede der Bundeskanzlerin in Polen geschaffen.
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, ich denke, Sie wissen, dass der Dialog mit Polen der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin besonders am Herzen liegt. Sie hat das in den vergangenen Wochen und Monaten auch immer wieder unter Beweis gestellt. Der polnischen Seite ist bekannt, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, und sie verfolgt sicherlich auch die Diskussion in unserem Land über dieses Thema. Ich denke, es war deshalb keine Überraschung, dass das sichtbare Zeichen angesprochen worden ist, von dem im Koalitionsvertrag die Rede ist. Es entspricht der Übung der Bundesregierung auch in anderen Bereichen, dass sie Vorhaben, die im Koalitionsvertrag festgelegt worden sind und deren Umsetzung erwartet wird, bei derartigen Veranstaltungen anspricht und sich zu dem Stand der Umsetzung äußert.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. - Kann ich Ihre Antwort auch so verstehen, dass die Bundesregierung tatsächlich beabsichtigt, auch vor dem Hintergrund der schwierigen Auseinandersetzung der vergangenen Jahre mit der neu gewählten polnischen Regierung in einen neuen Dialogprozess über das, was im Koalitionsvertrag ausgeführt worden ist, einzutreten?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Staatsminister Neumann, der innerhalb der Bundesregierung damit betraut ist, führt intensive Gespräche mit allen beteiligten Kreisen und bereitet eine Befassung des Bundeskabinetts mit dem Thema vor. In dem Zusammenhang wird dann sicherlich auch das Parlament zum einen das Konzept erfahren, zum anderen aber auch darüber informiert, wie diese Gespräche verlaufen sind und zu welchem Ergebnis sie bei der Formulierung des Konzepts geführt haben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage? - Herr Kollege Fromme.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, offensichtlich soll der zeitliche Ablauf problematisiert werden. Können Sie vielleicht einmal schildern, wie die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung verläuft? Insbesondere bei komplizierten Themen werden allein mit dem Formulieren der Koalitionsvereinbarung noch keine Ergebnisse erzielt; vielmehr muss man die Ergebnisse im Laufe der Zeit erarbeiten, wobei verschiedentlich auch Rückkoppelungen und Klärungen notwendig sind. Das ist ein Prozess, der zielgerichtet über einen bestimmten Zeitraum geführt werden muss, bevor es zu einem Ergebnis kommt. Was die mögliche Veröffentlichung der Einzelheiten zu diesem Zeitpunkt angeht, frage ich Sie: War das von der Bundesregierung oder von jemand anderem gesteuert?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, ich habe mich in Vorbereitung der Fragestunde damit befasst, ob das Thema bereits im Parlament erörtert worden ist, und habe festgestellt, dass Herr Staatsminister Neumann schon vor mehr als einem Jahr Fragen zu diesem Thema beantwortet hat. Ich glaube, aus dem zeitlichen Ablauf wird deutlich, wie sorgfältig und umfangreich die Gespräche geführt worden sind. Das hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede noch einmal betont.
Der Bundesregierung ist daran gelegen, dem Deutschen Bundestag ein abgestimmtes und in sich schlüssiges Konzept vorzulegen. Das heißt, dass sie kein Interesse hat, dass vorab einzelne Fragen gesondert in der Öffentlichkeit diskutiert werden, weil das zu Missverständnissen führen kann. Vielmehr soll dem Parlament ein geschlossenes Konzept vorgelegt werden - ich glaube, dass das Parlament auch einen Anspruch darauf hat -, über das dann diskutiert werden kann.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage? - Herr Kollege Beck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Aussage so verstehen, dass es vonseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung bislang keine Festlegung auf ein Zentrum gegen Vertreibungen, wie es vom Bund der Vertriebenen gefordert wird, gibt, sondern dass bisher nur das im Koalitionsvertrag erwähnte ?sichtbare Zeichen“ als Konkretisierung und Festlegung vorliegt? Stimmen Sie mir zu, dass es klug wäre, mit der neuen polnischen Regierung über diese Fragen zu reden, bevor man Festlegungen trifft, um die Neuwahl in Polen als Chance für eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen und damit auch des innereuropäischen Reformklimas beizutragen?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, es gibt vonseiten der Bundesregierung die bereits von mir zitierte Festlegung im Koalitionsvertrag, die dort als ?sichtbares Zeichen“ beschrieben ist. Im Übrigen ist klar, dass der Bundesregierung weiterhin und in besonderem Maße an intensiven Kontakten zur polnischen Regierung gelegen ist und dass sich das sicher bald auch in weiteren bilateralen Kontakten ausdrücken wird. Ich denke, daran kann es keinerlei Zweifel geben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Stokar.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Muss ich Ihre bisherigen Ausführungen so verstehen, dass die Nutzung der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin und auch ihr Verständnis von eigenständiger Führung so auszulegen ist, dass Bundeskanzlerin Merkel sich darauf beschränkt, Koalitionsvereinbarungen umzusetzen?
Können Sie sich darüber hinaus vorstellen, dass Bundeskanzlerin Merkel eigenständige positive Akzente im Dialog mit Polen setzt?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Frau Abgeordnete, ich denke, die Politik der Bundeskanzlerin im Verhältnis zu Polen hat in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass sie dort eigenständige Akzente setzt. Die Diskussion, die es im Zusammenhang mit dem EU-Vertrag mit Polen gegeben hat, macht deutlich, wie sehr sich die Bundeskanzlerin um ein gutes Verhältnis zu Polen bemüht hat und sich auch weiter bemühen wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Grund.
Manfred Grund (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass es sich bei dem Vorhaben ?Zentrum gegen Vertreibungen“ um ein Zentrum handelt, bei dem Vertreibungen weltweit in der Gegenwart und in der Geschichte im Mittelpunkt stehen und dass es sich nicht allein um die Vertreibung von 12 Millionen Deutschen infolge des Zweiten Weltkrieges handelt?
Können Sie weiter bestätigen, dass in der jüngsten Geschichte Vertreibungen und ethnische Säuberungen auch in Europa als Mittel der Politik zurückgekehrt sind, zum Beispiel infolge des Geschehens nach dem Zerfall von Jugoslawien?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, ich denke, es ist klar, dass es nicht nur um die Vertreibung Deutscher, sondern in der Tat darum geht, die Vertreibung insgesamt darzustellen. Das ist auf jeden Fall der Ansatz der Bundesregierung bei dem Projekt ?sichtbares Zeichen“, um das es uns geht. Das wird ja auch Gegenstand des Konzeptes sein, das sich gegenwärtig in der Abstimmung befindet und Ihnen dann vorgelegt werden wird. Ich denke, es ist sinnvoll, dieses Konzept abzuwarten und erst nach seinem Vorliegen konkret zu diskutieren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dann rufe ich die dringliche Frage 6 des Kollegen Steenblock auf:
Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden in dem von der Kanzlerin in ihrer Rede bei diesem Festakt angekündigten neuen Konzept zum Setzen eines sichtbaren Zeichens zur Erinnerung der Vertriebenen enthalten sein?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, Ihre Frage bezieht sich auf Schwerpunkte des eben schon angesprochenen Konzeptes. Auf der Basis der Koalitionsvereinbarungen, die ich bereits zitiert habe, wird unter Federführung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Neumann, ein Konzept zur Umsetzung erarbeitet. Bei der Entwicklung des in der regierungsinternen Abstimmung befindlichen Konzeptes ist historischer Sachverstand ebenso eingebunden worden wie die Auffassung relevanter gesellschaftlicher Gruppen einschließlich der Organisationen der Vertriebenen. Die Vorbereitungen sind weit vorangeschritten. Wir gehen davon aus, dass das Konzept für das sichtbare Zeichen noch in diesem Jahr dem Bundeskabinett vorgelegt werden kann. Es wird danach unverzüglich dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, in diesem Konzept wird ja, wie auch in der Koalitionsvereinbarung, immer vom sichtbaren Zeichen gesprochen. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Bundeskanzlerin auf der Veranstaltung am 22. Oktober den Begriff ?Zentrum gegen Vertreibungen“ ganz bewusst nicht benutzt hat, auch um sich davon zu distanzieren. Wird das inhaltliche Konzept im Vorfeld mit der polnischen Seite erörtert, oder versteht die Bundesregierung das tatsächlich nur als einen nationalen Arbeitsprozess, über dessen Ergebnisse dann erst mit den Polen gesprochen wird?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede auch deutlich gemacht, dass in dem Stadium, in dem wir uns befinden, eine Vielzahl von Gesprächen geführt werden. Dazu gehören sicherlich Wissenschaftler, die das aus polnischer Sicht, aber auch aus Sicht anderer östlicher Nachbarn erläutern. Der Zeitraum, der für die Vorbereitung in Anspruch genommen wurde, zeigt, dass alle Aspekte beleuchtet wurden und, soweit nötig, noch beleuchtet werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eine weitere Zusatzfrage.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie werden mir sicherlich recht geben, dass nach den sehr schwierigen Debatten in der Vergangenheit gerade diese Frage für das deutsch-polnische Verhältnis von zentraler Bedeutung ist.
Eine weitere zentrale Frage betrifft die anstehende Klärung der vermögensrechtlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Ist die Bundesregierung nach der Wahl in Polen, die Chancen eröffnet, bereit, einen Schritt auf die neue polnische Regierung zuzugehen und ein sichtbares Zeichen zu setzen sowie zu einer endgültigen Vereinbarung über die vermögensrechtlichen Verhältnisse zu kommen?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, der Zeitraum, der für die Vorbereitung dieses Konzepts notwendig war, macht deutlich, wie sorgfältig die Bundesregierung hier vorgegangen ist. Das wird sie weiterhin tun. Angesichts dessen muss keine Besorgnis darüber bestehen, dass Irritationen in dem von Ihnen beschriebenen Umfang eintreten werden.
Die von Ihnen angesprochene Klärung der vermögensrechtlichen Verhältnisse ist nicht Gegenstand Ihrer dringlichen Frage. Ich weiß, dass Sie ursprünglich eine Frage dazu eingereicht hatten. Dies ist aber bei uns so nicht angekommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fromme.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass im Vorfeld der Erarbeitung ein Gremium eingeschaltet war, in dem internationale Wissenschaftler vertreten waren und das die gesamte gesellschaftspolitische Bandbreite widergespiegelt hat, und dass gerade die öffentliche Diskussion im Laufe des letzten Jahres in den Medien, insbesondere in Hörfunk und Fernsehen, die mit dem Zentrum gegen Vertreibungen verbundene Intention und den Bedarf deutlich unterstrichen hat, dieses Kapitel der Geschichte zu bewältigen und aufzuarbeiten und ein Mahnmal insbesondere für Jugendliche zu setzen, dass man Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit immer wieder verteidigen muss?
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Ich kann Ihnen gern bestätigen, dass es bei den zahlreichen Gesprächen einen Kreis gegeben hat, dem in der Tat Wissenschaftler unterschiedlicher Herkunft und Ausrichtung angehörten. Es hat sich im Laufe der Diskussion und der Umsetzung dieses Projektes gezeigt - ich glaube, das ist in der aktuellen Diskussion deutlich geworden -, dass es Bedarf nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft gibt. Das ist das Anliegen der Bundesregierung, das sich auch im Koalitionsvertrag wiederfindet.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollege Volker Beck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, ich bin aus Ihrer Antwort nicht ganz schlau geworden. Die Konzeption für ein sichtbares Zeichen einerseits und die Gespräche mit den Polen und Tschechen andererseits scheinen nicht miteinander verbunden zu sein. Könnten Sie dem Parlament sagen, ob die Bundesregierung das Benehmen oder das Einvernehmen mit der polnischen Regierung und der tschechischen Regierung - das sind die Hauptbetroffenen - herstellt, bevor wir mit einem fertigen Konzept in der deutschen Öffentlichkeit und im deutschen Parlament rechnen müssen? Wenn man wieder Porzellan zerschlägt, vertut man möglicherweise die Chancen, die die Neuwahl in Polen eröffnet hat.
Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
Herr Abgeordneter, es geht zuerst darum, dass wir ein eigenes Konzept unter Beachtung dessen entwickeln, was wir aus polnischen Stellungnahmen und aus Stellungnahmen anderer östlicher Nachbarn wissen; das ist in vollem Gang. Damit wird sich die Bundesregierung befassen. Ich glaube, alle Aspekte der Diskussion werden in die Entscheidungsfindung einfließen.
Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass etwas nicht beachtet wird, was wichtig ist. Der Diskussionsprozess findet nicht ohne die Öffentlichkeit statt, sondern er wird von der Öffentlichkeit wahrgenommen und stößt auf ein breites öffentliches Interesse. Ihre Sorge, dass diese Dinge nicht beachtet werden, kann ich deshalb in keiner Weise teilen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nachdem nun die dringlichen Fragen wie auch immer beantwortet sind, kommen wir nun zu den vorher eingereichten Fragen zur mündlichen Beantwortung in der ausgedruckten Reihenfolge der Geschäftsbereiche. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Ich rufe zunächst die Frage 1 des Kollegen Beck (Köln) auf und bitte Herrn Staatsminister Erler um die Beantwortung:
In welcher Weise hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihren jüngsten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einem erneuten gravierenden Rückschritt für die Demokratie in Russland gewarnt, falls die zurzeit im Kreml ventilierten Pläne (Focus Nr. 42 vom 15. Oktober 2007) zu einer Rochade zwischen dem jetzigen Präsidenten und dem amtierenden Ministerpräsidenten verwirklicht würden und Wladimir Putin damit entgegen der russischen Verfassung, die nur zwei aufeinanderfolgende Wahlperioden vorsieht, für eine dritte Amtszeit als Präsident kandidieren würde?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Bundeskanzlerin hat die Frage der verfassungsgemäßen Entwicklung in Russland und die Einhaltung der demokratischen und bürgerlichen Grundrechte in ihren Gesprächen mit Präsident Putin, so auch zuletzt am 14. und 15. Oktober 2007 in Wiesbaden, kontinuierlich angesprochen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Was hat denn die russische Seite zu diesem Thema gesagt? Gibt es Pläne, wie in der Presse ansatzweise zitiert, dass der jetzige Präsident womöglich auch sein eigener Nachfolger werden könnte, unterbrochen durch eine zweimonatige Amtszeit als Ministerpräsident der Russischen Föderation? Das wird kolportiert, und darauf deutet mit der Benennung eines besonders schwachen Ministerpräsidenten manches hin. Dieser würde nach der russischen Verfassung im Falle des Rücktritts des jetzigen Präsidenten automatisch Präsident, was Putin die Möglichkeit gäbe, schon bei der Präsidentschaftswahl als Kandidat für die nächste Präsidentschaft anzutreten, was zwar ein Verbiegen der Verfassung wäre, aber vielleicht vom Verfassungsgericht der Russischen Föderation anders bewertet werden könnte.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Beck, es wird Sie wahrscheinlich nicht überraschen, dass der russische Präsident die Gelegenheit der deutsch-russischen Regierungskonsultationen und des Petersburger Dialoges am vorvergangenen Wochenende nicht benutzt hat, um das im Detail vorzutragen, wozu Sie eben berichtet haben; er hat vielmehr genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt, der Amtswechsel werde nicht nur nach der Verfassung erfolgen, sondern er werde dabei auch den Geist der Verfassung berücksichtigen. Das ist das Einzige, was er uns zu diesem Thema öffentlich gesagt hat. Ich sage Ihnen das gerne, weil ich selber dabei war.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das ist sehr schön. Also, Sie würden sagen, die Gespräche mit der russischen Seite haben ergeben, dass es eine Zusicherung gibt, dass wir nicht im Frühjahr aufwachen und einen neuen Präsidenten Putin als Präsidenten der Russischen Föderation sehen werden?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Wir haben überhaupt keine Veranlassung - obwohl wir natürlich viele Gerüchte aus Moskau und Spekulationen darüber, was dort passiert, hören -, an der Zusage von Präsident Putin, die er öffentlich in Wiesbaden gegeben hat, zu zweifeln. Das würde heißen, es geht nicht nur nach dem Buchstaben der Verfassung, sondern auch nach dem Geist der Verfassung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfragen gibt es dazu nicht.
Dann rufe ich die Frage 2 der Kollegin Dagdelen auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung die Beziehungen zur Schweiz dadurch beeinträchtigt, dass die Bundesratspartei Schweizerische Volkspartei, SVP, die derzeit mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach den Wahlen den Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements stellt, einen Wahlkampf führt, den der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Dienne, als ?rassistisch und fremdenfeindlich“ (Deutsche Welle vom 14. Oktober 2007) bezeichnete und dieser Partei ?Rassenhass“ (Spiegel Online vom 2. Oktober 2007) vorwarf?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz sind eng und vertrauensvoll. In der Schweizer Öffentlichkeit findet eine kontroverse Debatte über die Art des Wahlkampfs der Schweizerischen Volkspartei, SVP, statt. Die Bundesregierung verurteilt jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Zur zukünftigen Regierungsbildung in der Schweiz nimmt die Bundesregierung im Übrigen keine Stellung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Lieber Herr Staatsminister Erler, es ist schön, zu wissen, dass die Bundesregierung jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verurteilt und dass die Beziehungen zur Schweiz so eng und vertrauensvoll sind. Trotzdem interessiert mich, ob die Bundesregierung solch einen Wahlkampf missbilligt. Auch der Sonderberichterstatter der UN hat ihn als ?rassistisch und fremdenfeindlich“ bezeichnet und der Partei ?Rassenhass“ vorgeworfen. Es gibt viele andere Stimmen in dieselbe Richtung. Ist diese Missbilligung vorhanden, und ist sie trotz der so engen und vertrauensvollen Beziehungen zur Schweiz einmal zum Ausdruck gekommen?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Kollegin, ich kann nur wiederholen: Wir haben sehr großes Vertrauen in die kritische Aufarbeitung dieses Wahlkampfes in der Schweiz selber. Ich verweise darauf, dass es eine Rückäußerung des Schweizer Bundesrats zur Kritik des Sonderberichterstatters Dienne gegeben hat: Auf der einen Seite gibt es das Gut der freien Meinungsäußerung, das natürlich auch im Wahlkampf zu beachten ist; auf der anderen Seite wird die Schweiz - das wurde ausdrücklich erklärt - keinerlei Form von Rassismus dulden. Ich finde, das ist eine gute Antwort auf die Kritik von Herrn Dienne.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zweite Zusatzfrage.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Die Bundesregierung hat in ihren engen und vertrauensvollen diplomatischen Beziehungen zur Schweiz also nicht ihre Missbilligung eines nach Auffassung des UN-Sonderberichterstatters rassistischen und fremdenfeindlichen Wahlkampfs zum Ausdruck gebracht. Ist das richtig? Darf ich Sie so verstehen?
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Nachdem schon die Schweiz selber auf die Kritik von Herrn Dienne in der von mir geschilderten Weise reagiert hat - man hat ausdrücklich festgestellt, dass jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass in der Schweiz nicht geduldet wird -, sehen wir keine Veranlassung, so etwas einzufordern. Dem wird ja schon Rechnung getragen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfragen hierzu liegen nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Der Parlamentarische Staatssekretär Altmaier steht zur Beantwortung der Fragen bereit.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Werner Dreibus auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu einem möglichen Verbotsverfahren gegen die NPD ein vor dem Hintergrund, dass die NPD Hessen im hessischen Landtagswahlkampf mit einem von der Schweizerischen Volkspartei, SVP, übernommenen ?Schwarze-Schafe“-Plakat wirbt, welches der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Dienne, als ?rassistisch und fremdenfeindlich“ einstuft (Deutsche Welle vom 14. Oktober 2007)?
Herr Altmaier, bitte.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Kollegen Dreibus wie folgt:
Die NPD ist eine antidemokratische, fremdenfeindliche, antisemitische und verfassungsfeindliche Partei. Sie erfüllt damit grundsätzlich die materiellen Voraussetzungen für ein Parteiverbot. Dies ist die übereinstimmende Einschätzung aller Innenminister des Bundes und der Länder. So wurde es auch in einem Beschluss der IMK vom 11. Februar 2005 klar zum Ausdruck gebracht.
Von dieser materiellen Einschätzung zu unterscheiden ist aber die Frage nach den formellen Anforderungen an eine erfolgreiche Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens. Ich verweise auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2003, durch den hohe Hürden aufgestellt worden sind. Danach wäre ein erneutes NPD-Verbotsverfahren mit hinreichender Aussicht auf Erfolg nur zu betreiben, wenn zuvor die Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln auf deren Leitungsebenen sowie solcher Personen, die maßgeblichen Einfluss auf Willensbildung, Handeln und/oder Außendarstellung der Partei haben, eingestellt würde. Die Bundesregierung beabsichtigt gegenwärtig nicht, einen Verbotsantrag zu stellen.
Im Übrigen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Diskussion nicht auf die bloße Verbotsfrage reduziert werden darf. Sie muss vielmehr mit allen politischen und sonstigen rechtlichen Mitteln geführt werden. Dabei spielen insbesondere die Zivilgesellschaft und die permanente Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus vor Ort eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag die Mittel des Bündnisses für Demokratie und Toleranz erheblich ausgeweitet. Ein Verbot der NPD kann immer nur die Ultima Ratio sein. Eine dauerhafte Lösung im Sinne einer Abkehr von rechtsextremistischen Ideologien ist damit nicht zu erzielen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage.
Werner Dreibus (DIE LINKE):
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, können Sie verstehen, dass sich beispielsweise die Menschen in Hessen, die diese rassistischen, fremdenfeindlichen Plakate der NPD in diesen Tagen sehen, die Frage stellen, ob die von Ihnen noch einmal angesprochene Abwägung zu einem möglichen Antrag beim Verfassungsgericht auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Partei vor dem Hintergrund nachzuvollziehen ist, dass offensichtlich auch ohne nachrichtendienstliche Mittel, nämlich durch Plakate, der Beweis dafür erbracht wird?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege, ich glaube, dass es für die Menschen auch schwer nachvollziehbar wäre, wenn ein erneutes NPD-Verbotsverfahren scheitern würde mit dem Ergebnis, dass wir zweimal eine solche Bestätigung aus Karlsruhe hätten, wenngleich auch nur aus formalen Gründen. Das wäre in der öffentlichen Diskussion nur schwer vermittelbar.
Insofern sind wir alle gehalten, jeden der Schritte, die wir tun, gründlich abzuwägen. Es ist auch Aufgabe der demokratischen Parteien, die politische Auseinandersetzung vor Ort zu führen.
Ich darf darauf hinweisen, dass in dem Bundesland, das Sie genannt haben, in Hessen, die NPD jedenfalls keine Chance hatte, in den parlamentarischen Gremien vertreten zu sein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage.
Werner Dreibus (DIE LINKE):
Umso schlimmer ist es, dass die NPD weiterhin unterstützt mit öffentlichen Mitteln zu solchen Wahlkämpfen antreten kann, wie das in Hessen jetzt wieder geschieht. Insofern muss ich schon noch einmal nachfragen, ob solche offensichtlichen Aktivitäten - das ist der eigentliche Anlass für die Frage gewesen - bei der Bundesregierung nicht doch zu einer Veränderung der von Ihnen dargestellten bisherigen Position führen müssten.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege, aus meiner Antwort ist deutlich geworden, glaube ich, dass wir die Aktivitäten der NPD sehr genau beobachten und dass wir uns auch immer wieder die Frage stellen, welche Gegenmaßnahmen und Reaktionen angezeigt sind. Im Augenblick gilt allerdings, dass die Bundesregierung ein Verfahren nicht beabsichtigt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Höhn.
- Dann Kollege Beck, Frau Stokar, Frau Dagdelen, Frau Enkelmann. Habe ich jemanden übersehen? - Kollege Seifert. Es wird alles notiert.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich denke, Herr Staatssekretär, es besteht Einigkeit im Haus darüber, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei ist und dass sie aggressiv-kämpferisch vorgeht. Sie meinen, dass deshalb die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot schon gegeben sind. Legt man die Entscheidungen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei und der Kommunistischen Partei Deutschlands zugrunde, ist dies sicherlich richtig. Inwiefern unterscheidet sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Parteienverboten von den damaligen Urteilen und den Kriterien für ein Verbot?
Meines Wissen ist es so, dass bei den Verboten der islamistischen Parteien in der Türkei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Hürde für Parteienverbote höher gelegt hat, als das bei der sehr alten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall war, nämlich: Die Partei muss auch tatsächlich in der Lage sein, die verfassungsrechtliche Ordnung außer Kraft zu setzen. - Ich glaube, das kann man von der NPD nicht sagen, weil unser Land stabile demokratische Institutionen und eine stark demokratisch eingestellte Bevölkerung hat.
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu diesen Parteienverbotsverfahren für die Frage, ob es tatsächlich materiell-rechtlich als sicher angesehen werden kann, dass ein Verbotsverfahren zum Erfolg führt?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Sie wissen, Herr Kollege Beck, dass die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs grundsätzlich inter partes wirken. Das heißt, man kann sie nicht ohne Weiteres auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen, zumal nach meiner Einschätzung der Kontext auch nicht ganz vergleichbar ist. Trotzdem gebe ich Ihnen recht, dass wir das von Ihnen zitierte Urteil zum Anlass nehmen müssen, uns über die Erfolgsaussichten - über das rein Formale, Prozedurale hinaus - Gedanken zu machen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich mit konkreten Schlussfolgerungen aus diesem Urteil zurückhalte, weil die Ausgangslage aus meiner Sicht nicht ganz vergleichbar ist.
Aber richtig ist: Auch die Bundesrepublik ist der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten. Wir müssen davon ausgehen, dass selbst im Falle eines erfolgreichen Verbotsverfahrens in Karlsruhe die Unterlegenen den Weg zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gehen würden - mit allen Risiken, die dies beinhaltet.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich der Kollegin Stokar das Wort für eine Zusatzfrage erteile, weise ich darauf hin, dass wir in zwei Minuten die für die Fragestunde vereinbarte Zeit verbraucht haben werden. Deswegen wäre ich den angemeldeten Fragestellern aus der Fraktion Die Linke dankbar, wenn sie sich vielleicht untereinander darüber verständigten, wessen Zusatzfrage ich noch aufrufen soll. Ich bitte dazu um einen entsprechenden Hinweis.
Bitte schön, Frau Stokar.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, können Sie es nachvollziehen, dass es der Öffentlichkeit außerordentlich schwierig zu vermitteln ist, dass der Staat mit Millionenbeträgen die NPD, die ja zu Recht von der Innenministerkonferenz als verfassungswidrig oder verfassungsfeindlich eingestuft wird, finanziert, und können Sie es darüber hinaus nachvollziehen, dass die Praxis der Landesämter für Verfassungsschutz, fast sämtliche Vorstände der NPD auf ihren Gehaltslisten als V-Leute zu führen, auch nicht zu vermitteln ist? Mittlerweile ist die Praxis der Landesämter für Verfassungsschutz und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, über Jahre V-Leute bis in die Spitzen dieser Partei zu führen, zu einem Garanten für die NPD geworden. Ist das wirklich Ziel des Einsatzes von V-Leuten im nachrichtendienstlichen Bereich?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Zu Ihrer ersten Frage, die auf die Wahlkampfkostenerstattung abzielt, kann ich Ihnen nur antworten, dass wir verpflichtet sind, nach Recht und Gesetz vorzugehen, dass ich aber überzeugt bin, dass der Umstand, dass man die NPD politisch bekämpft, und zwar auf allen möglichen Ebenen, insbesondere auch in Wahlkämpfen, in der politischen Diskussion leichter zu vermitteln ist - auch wenn man ihr die Behandlung im Hinblick auf die Kostenerstattung, die andere, demokratische Parteien bekommen, nicht verwehren kann - als ein erneutes Verbotsverfahren, mit dem wir in Karlsruhe oder in Straßburg scheitern würden.
Die Antwort auf Ihre zweite Teilfrage haben Sie vermutlich schon erwartet. Ich würde mich gerne mit dieser Frage und den Unterstellungen, die darin enthalten sind, auseinandersetzen, aber Sie wissen, dass es sich hier um Angelegenheiten der Nachrichtendienste handelt und dass die Bundesregierung dazu nur im Parlamentarischen Kontrollgremium Auskunft gibt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die nächste Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Frau Enkelmann.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, in Mecklenburg-Vorpommern ist die Situation anders, als Sie sie für Hessen beschrieben haben. Hier ist die nach Ihren Worten verfassungsfeindliche Partei NPD im Landtag vertreten, und aufgrund der Erfahrungen mit dieser Partei auch im Landtag haben die demokratischen Parteien SPD, CDU, FDP und Linke gemeinsam den Beschluss gefasst, ein Verbotsverfahren gegen die NPD auf den Weg zu bringen. Wie bewertet die Bundesregierung diesen Beschluss?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Die Bundesregierung beobachtet nicht nur die NPD und ihre Aktivitäten sehr genau, sondern auch die Diskussion im politisch-parlamentarischen Raum. Ich habe Ihnen allerdings vorhin schon gesagt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der Bundesregierung nicht angezeigt ist, ein solches Verfahren einzuleiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die für die Fragestunde vereinbarte Zeit ist zu Ende. Die nicht aufgerufenen Fragen werden im üblichen Verfahren schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den von den Stromkonzernen angekündigten massiven Strompreiserhöhungen
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Hill für die Fraktion Die Linke.
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Bürgerinnen und Bürger ist am Strom- und Gasmarkt offenbar, was falsches Handeln und Untätigkeit der Regierung kosten. Anders gesagt: Die Stromkunden können das Versagen der Großen Koalition mittlerweile am Zähler ablesen.
Aber nun zu den Fakten:
Erstens: Abschaffung der Aufsicht über die Stromtarife. CDU/CSU und SPD haben einmütig die einzige Kontrollschranke zwischen dem Energiekartell und den Stromkunden ersatzlos gestrichen. Was ist die Folge? Drei Preiserhöhungen in einem Jahr. Im Januar 2008 werden die Stromkosten für private Haushalte um 27 Prozent höher liegen als noch 2004. Die Gaspreise steigen im selben Zeitraum um sage und schreibe 45 Prozent. Was ist im gleichen Zeitraum mit den Reallöhnen passiert? Sie sinken weiter. Anpassungen bei Hartz-IV-Empfängern oder bei den Rentnerinnen und Rentnern? Ebenfalls Fehlanzeige. Das ist völlig inakzeptabel.
Mit Ihrer unsozialen Energiepolitik schüren Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, auch den sozialen Unfrieden in diesem Land.
Zweitens: Einführung der Anreizregulierung für Strom- und Gasnetzbetreiber. Schon der Name klingt widersprüchlich. Das ist es auch. Die Regulierung der Netze senkt zwar die Kosten. Aber dies geschieht insbesondere zulasten der kleinen Stadtwerke, und zwar überwiegend durch den Abbau von Personal. Die Energieriesen bleiben weitgehend außen vor. Die Anreizregulierung wird die kleinen Stadtwerke in die Arme von Eon und RWE treiben und verstetigt die Monopolstruktur im Energiesektor. Außerdem kann die Bundesnetzagentur nach Belieben in die Lohnstruktur bei den Stadtwerken eingreifen und per Verordnung die Gehälter kürzen. Das ist ein eklatanter Eingriff in die Tarifautonomie. Das können wir so nicht zulassen.
Zu erwähnen ist noch, dass der Effekt für private Stromkunden gleich null ist. Die Anreizregulierung wird dem Endverbraucher erst 2013 eine Ersparnis von etwa 50 Euro pro Jahr bringen. Vattenfall hat aber in diesem Sommer den Strom in Berlin um 62 Euro je Haushalt verteuert. Wo das hinführt, kann man sich an fünf Fingern abzählen.
Drittens: Verschärfung des Kartellrechts. Wenn die Monopolisten die Preise um 10 Prozent willkürlich anheben können, muss, wie sich aktuell zeigt, die Hälfte der Regionalversorger und Stadtwerke mitziehen, da sie am Tropf der Konzerne hängen. Die vorgeschlagene Kartellrechtsänderung wird deshalb weitgehend wirkungslos bleiben. Denn: Wenn über 300 Energieversorger durch Preisanstiege vom Durchschnitt abweichen, ist das der neue Durchschnitt - in der Regel unter 10 Prozent - und somit maßgebend, und das Kartellamt kann nur noch tatenlos zusehen.
RWE und Eon beherrschen nach wie vor rund 60 Prozent des Strom- und des Gasmarktes. Diese Kartellstrukturen wurden maßgeblich von ehemaligen SPD-Ministern systematisch aufgebaut. Das ist das Problem. Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Kartellstrukturen zu zerschlagen, bleiben die Ankündigungen der Großen Koalition nur heiße Luft. Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger mit überhöhten Strom- und Gaspreisen.
Die Linke fordert deshalb ganz konkrete Schritte: erstens die Wiedereinführung einer wirksamen Preisaufsicht über die Strom- und Gastarife;
zweitens verpflichtende Sozialtarife für Privathaushalte mit geringem Einkommen;
drittens Offenlegung der Stromhandelspreise, um Missbrauch durch die Energieversorger zu unterbinden, und viertens die Überführung der Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand.
Zum Schluss einer der für uns wichtigsten Punkte: unbürokratische Heizkostenzuschüsse für Haushalte mit geringem Einkommen und zusätzlich die Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf mindestens 435 Euro.
Ich bedanke mich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass der Aufschwung weiter anhält. Dazu gehört natürlich auch das Ziel der Bundesregierung, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern von Strom und Gas nicht tiefer in die Tasche gegriffen wird, als es unbedingt sein muss.
Wir wissen, dass hohe Strompreise einerseits die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und andererseits den Geldbeutel der Endverbraucher stark belasten.
Nun haben mehrere große Energiekonzerne angekündigt, dass sie zur Jahreswende Preiserhöhungen von bis zu 10 Prozent vornehmen wollen. Erhöhungen in dieser Größenordnung sind für mich nicht nachvollziehbar. Ich meine, sie sind eine Zumutung für die Verbraucher.
Die allgemeinen Tarife waren früher genehmigungspflichtig; das ist richtig. Zu diesen allgemeinen Tarifen wird aber nur noch ein sehr geringer Teil des Stromes abgesetzt, weil Strom und inzwischen auch Gas ein Stück weit über im Wettbewerb befindliche Anbieter geliefert werden können. Das geht auf einen Beschluss der früheren Koalition zurück. Unser Ziel ist, dass auf den Märkten ein stärkerer Wettbewerb herrscht.
Nun argumentiert die Versorgungsindustrie mit gestiegenen Terminmarktpreisen zum Beispiel an der Leipziger Strombörse. Aber dort werden nur 15 Prozent des Stromes gehandelt. Wir haben leider noch keine funktionierende europäische Strombörse. Leider haben wir auch noch zu wenig Wettbewerb innerhalb Europas. Deswegen möchten wir, dass Leitungstrassen, die Wettbewerb zwischen den Ländern im Strombereich erlauben, häufiger genehmigt werden. Zudem brauchen wir, was die Preise angeht, vor allen Dingen mehr Transparenz.
Das andere Argument, das immer wieder gebraucht wird, betrifft die hohen Beschaffungskosten. Wenn wir nachrechnen, ergibt sich allerdings ein sehr differenziertes Bild. Die Beschaffungskosten machen bei dem Preis, den ein normaler Haushalt bzw. der Privatmann zahlt, nur circa 25 bis 30 Prozent des Stromendpreises aus. Um eine Erhöhung des Endpreises um 10 Prozent zu rechtfertigen, hätten also die Beschaffungskosten um 20 bis 25 Prozent steigen müssen. Diese Steigerung sehen wir nicht.
Ich bringe ein paar Beispiele: Strom wird in Deutschland in hohem Maß in abgeschriebenen Kernkraftwerken produziert. Strom wird aus der Verarbeitung von preiswerter, in Deutschland befindlicher Braunkohle gewonnen; das ist die andere große Stromquelle. Er wird aus importierter Steinkohle gewonnen - deren Preis ist allerdings etwas angestiegen - und zum Teil aus Gas. Der Gaspreis, der ein Stück weit an den Ölpreis gekoppelt ist, ist in der Tat etwas stärker gestiegen. Ein geringer Teil des Stroms kommt aus erneuerbaren Energien. Bei den erneuerbaren Energien steigen allerdings die Kosten, die über die Umlage erhoben werden, nicht weil die Sätze steigen, sondern deswegen, weil die Mengen steigen. Aber dies ist im Verhältnis zu den Strombeschaffungskosten immer noch ein Betrag, der meiner Ansicht nach zu verkraften wäre.
Nun argumentieren auf ganz andere Weise die Oligopole, die wir in Deutschland bei der Stromerzeugung haben. Wir gehen von einem Wert von 80 Prozent aus. Ich habe aber unlängst in einer Fernsehsendung - Frau Höhn, Sie waren auch dabei - mit einem führenden Manager diskutieren dürfen, der von 73 Prozent gesprochen hat. Belassen wir es also bei diesen 73 Prozent. Wir wollen - das ist das Ziel der Bundesregierung -, dass es mehr Wettbewerb gibt, dass mehr Strom in das Stromnetz eingespeist wird und sich über diesen Wettbewerb ein günstigerer Preis entwickelt.
Dazu haben wir - ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgewirkt haben - die Netzzugangsverordnung verbessert. Dadurch hat derjenige, der neu Strom anbietet, bevorrechtigt Zugang zum Netz, auch vor denjenigen Anbietern, denen das Netz zum großen Teil gehört. Wir haben durch eine Regulierung der Stromnetze und eine Überprüfung der Kosten zu einer Netzkostensenkung um bis zu 20 Prozent beigetragen; ansonsten wäre der Strombezug für die Privatkunden noch teurer. Wir haben eine Netzanreizregulierung in Kraft gesetzt, die sich künftig an den technisch am besten betriebenen Netzen orientiert und mit der Druck auf die Durchleitungskosten ausgeübt werden soll. Wir brauchen vor allen Dingen neue Kraftwerke und neue Anbieter auf dem Strommarkt. Auch das haben wir, wie gesagt, geregelt.
Wir wissen natürlich, dass wir ein Instrument brauchen, um den Stromkonzernen auf die Finger schauen zu können, solange es keinen echten Wettbewerb gibt. Deswegen haben wir eine Novelle zum Kartellgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Diese Novelle steht zur Verabschiedung an. Ich kann nur an alle appellieren, diese Novelle möglichst rasch zu verabschieden. Meines Wissens soll noch eine Anhörung stattfinden und das Gesetz spätestens zum 1. Januar in Kraft treten.
Wir haben das Gesetz - was ich gut finde - befristet. Ich hoffe, dass dieses Gesetz durch den Wettbewerb in Europa überflüssig wird. Wenn dieses Gesetz im Jahr 2011, also in der nächsten Legislaturperiode, nicht verlängert wird, läuft die Regelung automatisch aus.
Das Wehklagen der großen Stromkonzerne kann ich nicht verstehen. Ich finde, dieses befristete Gesetz kann ihnen in Sachen Glaubwürdigkeit sogar helfen. Die Konzerne könnten beweisen, dass die überdurchschnittlichen Preissteigerungen nicht auf mangelnden Wettbewerb, sondern auf echte Mehrkosten zurückzuführen sind. Das Kartellamt kann die Beweislastumkehr verlangen. Das heißt, solange es keinen echten Wettbewerb gibt, müsste nicht das Kartellamt beweisen, dass die Strompreiserhöhung nicht gerechtfertigt ist, sondern die Konzerne müssten beweisen, dass die Erhöhung gerechtfertigt ist. Das Kartellamt könnte außerdem künftig schneller eingreifen.
Das hat nichts damit zu tun, dass ich Gegner der freien Marktwirtschaft wäre, was mir unterstellt wird. Im Gegenteil: Die freie, die soziale Marktwirtschaft ist nur dann glaubwürdig, wenn sie dafür sorgt, dass es nicht zu Monopolgewinnen kommt, die nicht sein müssen.
Eine letzte Bemerkung. Es wird gefordert, die Konzerne zu zerschlagen, ihnen die Netze wegzunehmen usw. Das ist billig. Damit ist niemandem gedient. Wir brauchen nach wie vor ein sehr leistungsfähiges Leitungsnetz. Das gilt insbesondere, wenn wir mehr Windstrom, mehr Strom aus erneuerbaren Energien einspeisen wollen. Dafür sind gewaltige Investitionen in das Netz erforderlich. Das könnte die öffentliche Hand nicht schaffen.
Deswegen ist der Weg, den die Bundesregierung beschritten hat, der richtige Weg. Wir müssen ihn nur konsequent weitergehen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gudrun Kopp ist die nächste Rednerin für die Fraktion der FDP.
Gudrun Kopp (FDP):
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich möchte dieser scheinheiligen Debatte zunächst einmal ein Ende setzen.
All denjenigen, die uns zuhören, egal ob hier im Saal oder außerhalb, möchte ich sagen: Bei allem Wehklagen über die zweifellos sehr hohen Energiepreise bleibt festzuhalten, dass der Staat der größte Preistreiber ist.
Sehr geehrter Herr Minister Glos, Sie haben es fertiggebracht, die Probleme im Strombereich aufzuzeigen, ohne die Verantwortung des Staates in irgendeiner Weise zu erwähnen.
Ich rufe in Erinnerung, wie sich der Strompreis zusammensetzt: 40, 30, 30. 40 Prozent des Strompreises - es sind exakt 41 Prozent - sind auf Steuern und Abgaben auf Energie zurückzuführen. Von 1998 bis heute ist der Staatsanteil - ich drücke es in Prozenten aus - von 25 Prozent auf 41 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen heißt das: von rund 2 Milliarden Euro auf 13 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl, die man unbedingt nennen muss. Nur in Dänemark ist der Staatsanteil noch höher. Häufig wird Großbritannien angeführt, wo es einen recht gut funktionierenden Wettbewerb gibt. Der Staatsanteil liegt in Großbritannien bei gerade einmal 9 Prozent, während er bei uns bei 41 Prozent liegt. Diese circa 40 Prozent staatlichen Lasten müssen berücksichtigt werden.
Hinzu kommen die Mehrkosten, die sich aus der Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien ergeben. Diese Kosten haben sich von 2006 auf 2007 um 1 Milliarde Euro auf jetzt 4,2 Milliarden Euro erhöht. Auch diese Zahl muss man nennen.
Die 40 Prozent habe ich genannt. 30 Prozent betreffen Netzentgelte. Die Netze werden jetzt reguliert. Eine starke Anreizregulierung ist in dem Bereich dringend notwendig. Das ist in Ordnung. Dazu haben wir Ja gesagt. Es hat im Strom- und im Gasbereich bislang eine Senkung der Netzkosten um 2,8 Milliarden Euro gegeben. Das ist sehr gut.
Die letzten 30 Prozent betreffen das - darüber hat Herr Minister Glos hier gesprochen -, was bei der Preisgestaltung von der Energiewirtschaft aufgeschlagen wird. Es ist tatsächlich so, dass wir am deutschen Markt immer noch ein Wettbewerbsproblem haben. Trotz der Steigerung durch die EEG-Umlage und des Anstiegs bei den Beschaffungskosten von Öl und Gas ist das, was einige Energieversorger jetzt fordern, für uns, für die FDP-Bundestagsfraktion, nicht nachvollziehbar.
Da muss man hinschauen. Das Bundeskartellamt macht das jetzt und prüft. Das ist sehr richtig.
Ich kann nur sagen: Es ist darauf zu achten, dass die Staatsanteile, die ich eben nannte, zu senken sind. Denken Sie zum Beispiel daran, dass die Erlöse aus der Versteigerung der CO2-Zertifikate - diese Erlöse wird es ja demnächst geben; hier sind Einnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro vorgesehen - eigentlich den Verbrauchern, den Endkunden, die die hohen Kosten zu tragen haben, zurückzugeben sind, indem die Stromsteuer gesenkt wird. Das wäre ein Anfang, um den hohen Staatsanteil zu senken. Das fordern wir ausdrücklich.
Des Weiteren fordern wir eine konsequente Regulierung. Man kann den Verbrauchern und Verbraucherinnen nur sagen: Wir brauchen mehr neue Wettbewerber. Wir fordern die Kunden angesichts der hohen Preisen ganz massiv zum Wechsel ihres Stromanbieters auf. Die Quote liegt im Moment bei rund 10 Prozent; da ist sehr viel mehr möglich. Ich kann nur ermuntern, diesen Weg weiterzugehen.
Es ist geradezu unverantwortlich - Herr Minister Glos, das sage ich an Ihre Adresse und an die Adresse der Kanzlerin -, in Meseberg ein Klimapaket zu verabschieden, aber die Kosten-Nutzen-Analyse nachreichen zu wollen. Sie kennen noch nicht einmal die Auswirkungen dessen, was Sie beschlossen haben. Das ist allenfalls eine sehr oberflächliche Wohlfühlpolitik, aber hat mit einer konsequenten Energiepolitik gar nichts zu tun. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist völlig intransparent.
Klimapolitik muss so kostengünstig wie möglich betrieben werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Gudrun Kopp (FDP):
Sie dürfen nicht auf Kosten der Verbraucher ins Blaue agieren. Deshalb fordern wir Sie auf: Rufen Sie nicht ?Haltet den Dieb!“ in Richtung Energiewirtschaft, sondern schauen Sie auf sich selbst! Senken Sie die Kosten und lassen Sie uns gemeinsam für mehr Wettbewerb und hoffentlich niedrige Energiepreise sorgen!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.
Rolf Hempelmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gudrun Kopp, ich habe schon oft gehört, dass der Staat der Preistreiber Nummer eins bei den Energiekosten sei.
Ich denke, es ist wirklich Zeit, mit dieser Mär ein Stück weit aufzuräumen. Wir reden über einen Staatsanteil an den Stromkosten von 40 Prozent, meinetwegen: 41 Prozent. Wenn wir uns das im Einzelnen anschauen, dann werden wir sehr schnell feststellen, dass wir bestenfalls über Teilbereiche davon diskutieren können.
14 Prozent Mehrwertsteuer. Das sind weniger als die 19 Prozent, die auf viele andere Produkte genommen werden.
9 Prozent Konzessionsabgabe. Da wird eine Leistung bezahlt, die von den Kommunen erbracht wird. Auch darüber kann man nicht wirklich diskutieren.
Dann gibt es in der Tat eine Stromsteuer in Höhe von 11 Prozent. Ich rufe hier aber erstens in Erinnerung, dass wir mit dem Aufkommen aus der Stromsteuer diejenigen haben entlasten können, die Beiträge in das Rentensystem zahlen. Wenn Sie also Vorschläge machen, die die Stromsteuer betreffen, dann müssen Sie auch sagen, wie Sie das finanzieren wollen; denn Sie nehmen das Geld an anderer Stelle weg.
Zweitens ist es unbestritten - dies bestätigen viele Fachleute -, dass die Stromsteuer auch eine Lenkungswirkung entfaltet hat. Wenn es heute Minderverbräuche und ein Stück weit Bewusstsein gibt, dann hat dies genau damit zu tun.
Bleiben also noch 2 Prozent, die wir ausgeben, um die umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplung zu fördern, und 4 Prozent für die erneuerbaren Energien. Wer das in Abrede stellen will, während wir in der Öffentlichkeit ständig die Wichtigkeit erneuerbarer Energien propagieren, der macht sich erst recht unglaubwürdig.
Stehen wir also zu diesen 40 Prozent und sagen, dass sie notwendig sind und dass sich Strom in keiner Weise negativ von anderen Produkten und Waren unterscheidet.
So negativ müssen wir auch gar nicht in die Zukunft schauen. Natürlich haben Sie recht: In der Vergangenheit haben nur etwa 10 Prozent der Verbraucher ihren Stromanbieter gewechselt. Die jüngste Emnid-Umfrage macht aber deutlich, dass die Wechselbereitschaft mittlerweile bei etwa 40 Prozent angelangt ist und in den letzten Monaten in dieses Thema ganz erheblich Tempo hineingekommen ist. Das ist auch kein Zufall. Dass wir das vor zwei, drei Jahren so noch nicht erleben konnten, hat auch etwas damit zu tun gehabt, dass wir zu jenem Zeitpunkt die politischen Rahmenbedingungen noch nicht gesetzt hatten. Zwischenzeitlich haben wir ein Energiewirtschaftsgesetz entwickelt und eine Bundesnetzagentur aufgebaut. Letztere hat für diskriminierungsfreien Netzzugang sowie dafür gesorgt, dass das Netz keine Barriere für Wettbewerb mehr ist. Wir brauchen dazu auch keine eigentumsrechtliche Entflechtung. Nach Aussagen der Netzagentur selbst ist sie in der Lage, einen diskriminierungsfreien Netzzugang sicherzustellen.
Dies führt dazu, dass es mittlerweile echten Anbieterwechsel gibt. Viele Barrieren, die zu Beginn noch bestanden, sind mittlerweile abgebaut worden. Von den Kunden wird heute nicht mehr verlangt, dass sie neue Zähler einbauen, Wechselgebühren zahlen und vieles anderes mehr. Der Wechsel ist eine ganz einfache Angelegenheit geworden. Hier hat Politik in durchaus positiver Weise positive Rahmenbedingungen entwickelt.
Natürlich können dabei viele mithelfen, beispielsweise die Medien, die dies teilweise schon tun. Sie können auf die Wechselmöglichkeiten hinweisen und auch einmal Tarifvergleiche öffentlich machen. Die Verbraucherberatungsstellen sind in diesem Bereich ebenfalls sehr aktiv.
Jeder, der seinen Stromanbieter wechselt, hilft dadurch, den bisherigen Anbieter unter Druck zu setzen. Wir bemerken, dass es zunehmend auch von etablierten Anbietern neue Angebote gibt. Dies alles ist kein Allheilmittel; aber es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Vieles andere war zu tun und ist teilweise auch getan worden. Der Minister hat bereits die Kraftwerksanschlussverordnung erwähnt, die dazu dienen soll, dass neue Kraftwerke und neue Anbieter auf dem Erzeugermarkt erscheinen. Wenn uns dies gelingen sollte - vieles spricht dafür -, dann wäre dies ein Weg hin zu mehr Wettbewerb und damit auch zur Ausschöpfung von Preissenkungsspielräumen, die trotz steigender Primärenergiekosten vorhanden sind. Andere Dinge haben wir implementiert, etwa ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, damit wir auch zu mehr und schnellerem Netzausbau kommen. Hier werden wir noch nachlegen müssen; es funktioniert noch nicht ganz so, wie wir es uns vorstellen. Der Minister hat schon die GWB-Novelle erwähnt, die wir jetzt angehen werden. Ich verspreche dem Minister nochmals, dass wir es schneller als das Ministerium schaffen werden. Es hat anderthalb Jahre gebraucht; wir werden es vor Weihnachten hinbekommen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für immer mehr Menschen werden in diesem Land die steigenden Strompreise zu einem ernsten sozialen Problem. Frau Kopp, Herr Hempelmann hat sehr genau einiges zu den Steuern und Abgaben des Staates gesagt.
Ich möchte noch etwas zu den Gewinnen der Energiekonzerne sagen, unter denen nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch große Teile der Wirtschaft leiden, nämlich jene Teile, die selbst keine Energie erzeugen. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass die Gewinne der Energiekonzerne exorbitant gestiegen sind. Im Jahr 2006 verbuchten die vier Großen in der Energiebranche allesamt Rekordgewinne. RWE Power zum Beispiel verzeichnete eine Kapitalrendite von unglaublichen 40 Prozent. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen, meine Damen und Herren: 40 Prozent Kapitalrendite.
Wenn Sie sich den Gewinn vor Steuern von Eon ansehen, stellen Sie fest: Im Jahr 2002 betrug er 4,2 Milliarden Euro, im Jahr 2006 lag er schon bei 8,1 Milliarden Euro. Es kam also zu einer Gewinnsteigerung von durchschnittlich 1 Milliarde Euro pro Jahr. Es darf nicht sein, dass die großen Energiekonzerne in diesem Land immer höhere Gewinne machen und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Wirtschaft immer höhere Energiepreise zahlen müssen.
Die Begründungen der Konzerne für die Preiserhöhungen wechseln. Ob die Brennstoffpreise steigen oder sinken und ob CO2-Zertifikate billiger oder teurer werden, auf eines können wir uns verlassen: Die Richtung, die die Strompreise einschlagen, ist immer die gleiche; die Preise steigen. Auch das darf nicht sein. Das ist Folge des fehlenden Wettbewerbs auf dem Strommarkt. Die Energiekonzerne können momentan schalten und walten, wie sie wollen. Das muss ein Ende haben.
Wir brauchen faire Preise in Deutschland; wir wollen faire Preise zahlen.
Ich spreche von fairen Preisen. Das bedeutet nicht unbedingt: billigen Strom. Auch das muss man klar sagen. Die Strompreise müssen die wahren Kosten der Stromerzeugung, aber auch die wahren Kosten für Umwelt und Klima zum Ausdruck bringen. Der Strom aus erneuerbaren Energien wird immer günstiger. Dagegen sind angesichts der knapper werdenden fossilen Rohstoffe bei Energie aus Öl, Gas und Kohle deutliche Preissteigerungen vorprogrammiert. Umso wichtiger ist, dass wir verstärkt auf erneuerbare Energien setzen; denn sie sind die Zukunft der Stromerzeugung.
Der Strom wird nicht billig. Er darf aber auch nicht überteuert sein. Andersherum ausgedrückt: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Energiekonzerne die Strompreise beliebig erhöhen. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung vorschlägt, um den Kampf gegen überhöhte Strompreise aufzunehmen, sind allerdings völlig unzureichend. Im Rahmen der GWB-Novelle will sie die Vorschriften zur Bekämpfung von Preismissbrauch verschärfen. Die Strukturen, die dem Preismissbrauch Tür und Tor öffnen, lassen Sie aber intakt. Statt die Krankheit, den fehlenden Wettbewerb, zu kurieren, doktern Sie an den Symptomen herum. Das wird nicht funktionieren; damit können Sie Eon, RWE & Co. nicht beikommen.
Es kommt noch schlimmer. Nicht nur, dass Sie die Krankheit nicht kurieren; Sie fallen dem behandelnden Arzt auch noch in den Arm. Wer ist der behandelnde Arzt? Die EU-Kommission. Sie hat sich das eindeutige Ziel gesetzt, für mehr Wettbewerb zu sorgen. Sie hat auch das Mittel genannt, mit dem sie dieses Ziel erreichen will: die Entflechtung von Netz und Produktion. Herr Glos, ich muss Ihnen sagen: Es kann nicht sein, dass Sie diesen guten Vorschlag der EU-Kommission zunächst verwässern und dann den schlechten Kompromiss kritisieren und Ihren Widerstand ankündigen. Unterstützen Sie die EU-Kommission, statt ihr in den Arm zu fallen!
Das Ergebnis dieser Politik hat die Financial Times Deutschland mit der Überschrift ?EU knickt vor Stromlobby ein“ beschrieben. Das hat die Bundesregierung mit ihrer Politik erreicht.
Interessant finde ich eine Aussage von Außenminister Steinmeier, der auf der gestrigen Abendveranstaltung von EnBW einmal ganz undiplomatisch die Wahrheit gesagt hat. Ich zitiere die dpa; dort heißt es:
Steinmeier kritisierte die Haltung der Energiekonzerne nach der Ankündigung von Strompreiserhöhungen durch Eon und RWE-Töchter. Dies erschwere die gemeinsamen Bemühungen bei der EU-Kommission, eine mögliche Entflechtung der Energiekonzerne zu verhindern.
Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Hier hat der Außenminister ganz offen ausgesprochen, dass die Bemühungen der EU zur Schaffung von mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt verhindert werden sollen, und zwar gemeinsam mit den Energiekonzernen. Das, meine Damen und Herren, ist die falsche Politik.
Herr Minister Glos, meine Damen und Herren der Koalition, das ist keine Politik zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher, das ist keine Politik zur Schaffung von mehr Wettbewerb. Das ist eine Politik, mit der Sie sich zum Schutzpatron der Stromkonzerne und ihrer Monopolgewinne machen. Deshalb sollten Sie diese Politik beenden. Wir sollten insbesondere im Sinne der Verbraucher und im Sinne des größten Teils der Wirtschaft in diesem Land deutlich machen: Wir brauchen mehr Wettbewerb, und wir brauchen faire Preise. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie der Entflechtung von Produktion und Netz zu! Denn dadurch wird der Wettbewerb auf dem Energiemarkt garantiert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile jetzt dem Kollegen Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Höhn, zur Verschärfung der Missbrauchsaufsicht gibt es kurzfristig keine Alternative. Was uns die großen Energieversorger Eon und RWE in den vergangenen Wochen an Ankündigungen geliefert haben, ist die direkte Aufforderung an uns Parlamentarier, die Missbrauchsaufsicht zu verschärfen.
Das größte deutsche Unternehmen, Eon, kündigt eine dramatische Preiserhöhung um 10 Prozent an. Die kurze Begründung war: Die Beschaffungskosten und die Kosten durch die erneuerbaren Energien sind erheblich gestiegen. Wir haben das nachgeprüft: Die Beschaffungskosten und die Kosten durch die erneuerbaren Energien sind in diesem Zeitraum nur unwesentlich gestiegen. Zudem sind die Konzessionsabgaben nicht gestiegen, und auch die Stromsteuer ist nicht gestiegen. Ganz im Gegenteil: Die Netzentgelte sind in diesem Zeitraum sogar gesunken. Kurzum - ich glaube, da herrscht Übereinstimmung -: Eine Preiserhöhung um 10 Prozent ist sachlich in keiner Weise nachzuvollziehen.
Auf die wiederholte Nachfrage, wie diese Preiserhöhung denn im Detail zu rechtfertigen sei, antwortet Eon: Es handelt sich um Geschäftsgeheimnisse, und die gehen niemanden etwas an. - Die einzige Erklärung, die uns bleibt, ist: Eon missbraucht seine Marktmacht, um überhöhte Preise durchzusetzen. Die Zeche zahlen die Verbraucher. Das ist vollkommen inakzeptabel.
Eine zeitlich befristete Verschärfung der Missbrauchsaufsicht ist zwingend notwendig. Die beiden wesentlichen Änderungen, die wir im November im Parlament beschließen wollen, sind die Beweislastumkehr und der Sofortvollzug. Ab dem 1. Januar 2008 muss Eon dem Kartellamt detailliert begründen, wie eine Preiserhöhung zu rechtfertigen ist. Wenn Eon das nicht kann, wird - das ist die zweite zentrale Neuerung - eine sofortige Preissenkung angeordnet. Die Missbrauchsaufsicht wird ein scharfes Schwert. Es wird nicht nur geredet, es wird gehandelt; das erwarten die Verbraucher zu Recht von uns.
Einige wenige Anmerkungen zu den Vorstellungen der anderen Fraktionen: Ich kann die bisherige Ablehnung der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht durch die FDP nicht nachvollziehen.
Die Missbrauchsaufsicht ist eine zentrale Aufgabe der Kartellbehörden; dies war in der Vergangenheit stets auch die Position der FDP. Der richtige Weg war nie ein Entweder-oder - entweder Wettbewerb oder Missbrauchsaufsicht -, sondern stets ein Sowohl-als-auch: kurzfristig die Missbrauchsaufsicht stärken, aber mittelfristig vor allem für funktionierenden Wettbewerb sorgen. Die FDP weicht hier mit ihrer ablehnenden Haltung von ihrer historischen Grundlinie ab. Ich glaube, das ist ein Fehler.
Ich glaube zudem, dass die starke Konzentration der Grünen und der Linken auf die eigentumsrechtliche Entflechtung viel zu kurz gesprungen ist.
Man kann die eigentumsrechtliche Entflechtung unterschiedlich bewerten; aber eines ist wohl unstrittig: Kurzfristig bringt eine eigentumsrechtliche Entflechtung keine Lösung. Sie müssen den Verbrauchern schon erklären, was für eine Lösung Sie für 2008, 2009, 2010, 2011, 2012 zu bieten haben; denn früher wird eine eigentumsrechtliche Entflechtung, so sie überhaupt kommt, nicht vollzogen werden, geschweige denn wirksam sein.
In der Zukunft zu schwelgen, ohne konkrete Lösungen für die Gegenwart vorzulegen, ist zu wenig.
Seit einigen Tagen gibt es den Vorschlag vonseiten der SPD-Fraktion, statt einer sofortigen Preissenkung das strittige Geld auf ein Treuhandkonto einzuzahlen. Ich glaube, dass das der falsche Weg wäre; da wir dadurch den Sofortvollzug verwässern würden. Es würde vor Gericht jahrelang um das Geld auf diesem Treuhandkonto gestritten werden. Selbst wenn das Kartellamt letztendlich gewinnen würde, ist kein Verfahren vorstellbar, wie man das Geld den Verbrauchern erstatten könnte. Zuletzt bliebe alles beim Alten: Die Novelle würde verpuffen, und die Verbraucher würden keine Verbesserung erleben. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Deswegen plädiere ich inständig dafür, dass wir den Sofortvollzug in der vorliegenden, vom Kabinett beschlossenen scharfen Form im Parlament verabschieden.
Von der heutigen Debatte sollten klare Botschaften ausgehen, die Botschaft, dass die parlamentarische Mehrheit ganz klar hinter der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht steht, die Botschaft, dass ab dem 1. Januar 2008 gegen Machtmissbrauch und überhöhte Preise scharf und wirkungsvoll ermittelt wird, die Botschaft an das Kartellamt, dass bereits heute die Vorbereitungen für die Verfahren getroffen werden, damit im Januar 2008 auch vollzogen werden kann, und nicht zuletzt die Botschaft an die Verbraucher, dass die deutsche Politik nicht vor Machtstrukturen einknickt, sondern die Kraft hat, zum Wohle der Verbraucher wirkungsvoll gegen überhöhte Preise vorzugehen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort ?Machtstrukturen“ ist hier oft gefallen, und die Machtstrukturen sind natürlich der Kern des Problems. Es war richtig, dass Sie die Machtstrukturen angesprochen haben, aber wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die jetzt vorhandenen Machstrukturen geschaffen hat.
Mit anderen Worten: Im Grunde haben Sie hier gesagt, dass wir zeigen wollen, dass wir nicht vor den Machtstrukturen einknicken, die wir selbst geschaffen haben.
Sinnvoll wäre es, aus dieser Analyse die Konsequenz zu ziehen, einmal darüber nachzudenken, ob wir an den Machtstrukturen, die wir selbst geschaffen haben, nicht irgendetwas ändern müssen. Darüber möchte ich jetzt reden.
Zunächst einmal muss auf die langjährige Entwicklung hingewiesen werden, in der der Wettbewerb im Strommarkt immer weiter ausgeschaltet worden ist. Es hat überhaupt keinen Sinn, darüber zu reden, dass man hier Wettbewerb will, wenn die Strukturen dafür überhaupt nicht gegeben sind. Insofern kann ich der Kollegin Höhn nur zustimmen. Wir brauchen Strukturen, durch die Wettbewerb tatsächlich ermöglicht wird. Bei den gegenwärtigen Strukturen in Deutschland werden Sie keinen Wettbewerb organisieren können.
Herr Minister Glos, die Wirkung Ihrer Novellierung des Kartellrechts ist ja von meinem Kollegen Hill infrage gestellt worden, indem er Sie gefragt hat, was Sie tun, wenn sich die Durchschnittspreise, auf die man Bezug nimmt, bei den jetzigen Strukturen erhöhen. Darauf haben Sie keine Antwort gegeben. Deshalb möchte ich hier für meine Fraktion feststellen, dass die Absicht zwar löblich ist, dass es aber nicht funktionieren wird. Ohne eine Veränderung der Strukturen bei den Erzeugern und beim Netz werden Sie nichts bewirken und niemals Wettbewerb in Deutschland organisieren können.
Meine Fraktion vertritt die Auffassung, dass wir alles tun müssen, um die Strom- und die Energieversorgung zu rekommunalisieren,
weil die damalige Struktur die Grundlage für vernünftigen Wettbewerb war. Das möchte ich einmal am Beispiel einer Stadt darstellen, in der ich jahrelang Oberbürgermeister war. Dort gab es drei Erzeugungsanlagen, die nichts mit Eon, RWE oder einem sonstigen Großanbieter zu tun hatten; sie befanden sich im Besitz der Stadt. Es handelte sich um ein Kohlekraftwerk, das abgeschrieben und insoweit aus Sicht der Stadtwerke eine Gelddruckmaschine war. Daneben gab es eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage, die notwendig war, um Energieversorgung einigermaßen ökologisch gerecht zu ermöglichen. Um Spitzen abzufangen, gab es dann noch eine Gasturbine, die in einem dicht besiedelten Wohngebiet stand. So sah die damalige Struktur aus. Nur aufgrund dieser Struktur konnten wir preisgünstig Strom anbieten. Wir waren nicht auf irgendwelche Oligopole angewiesen, die die Preise gewissermaßen diktieren. Deswegen sage ich noch einmal: Rekommunalisierung der Energieversorgung ist der beste Weg, um ökologisch und verbrauchergerecht eine Neuorganisation der Energieversorgung zu erreichen.
Außerdem, Herr Kollege, versuchen Sie jetzt im Nachhinein, etwas auf den Weg zu bringen, was Sie abgeschafft haben; denn letztendlich wollen Sie eine Art Preiskontrolle durch das Kartellamt installieren. Das Kartellamt soll prüfen, ob die Preiserhöhungen richtig sind. Wenn sie es nicht sind, dann soll es eingreifen und die Preise festsetzen. So habe ich Sie hier verstanden; das haben Sie hier vorgetragen. In dieser Situation müssen Sie den Zuhörerinnen und Zuhörern aber doch einmal erklären, warum Sie die Preiskontrolle mit vereinten Kräften abgeschafft haben. Das ist doch unsinnig.
Die Preiskontrolle hat über viele Jahre funktioniert. Ich war auf verschiedenen Ebenen selbst daran beteiligt. Es gab auch Missbrauch - ich will das hier nicht alles darlegen; es wird auch in Zukunft Missbrauch geben -, aber die Preiskontrolle hat funktioniert. Deswegen sage ich hier für die Fraktion Die Linke: Es ist auf regionaler und gesamtstaatlicher Ebene notwendig, Preiskontrollen wieder einzuführen. Die Abschaffung war ein Fehler. Wir sollten diesen Fehler korrigieren.
Wenn man Wettbewerb organisieren will, dann darf man sich nicht allein auf die Erzeugerseite beschränken - das ist aber ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, wie ich anhand der kommunalen Energieversorgung darzustellen versucht habe -, sondern man muss beim Netz beginnen. Wenn man das Netz monopolisiert, dann wird man ähnliche Erfahrungen machen wie jetzt auf der Erzeugerseite. Deshalb ist der Vorschlag, die Netze mehr oder weniger zu regulieren, mit größtem Vorbehalt zu betrachten. Es wäre sinnvoll, bei dem anzusetzen, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat, und zunächst einmal auf eine unabhängige Besitzstruktur beim Netz hinzuwirken. Wir sind der Auffassung, dass die Netze in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung sein müssen.
Das ist der richtige Weg. Darüber, wie die Eigentümerstruktur beschaffen sein muss, kann man dann reden.
Wenn Liberale skeptisch sind, dann empfehle ich, nachzulesen, was John Stuart Mill einst über die Frage von Wettbewerb und leitungsgebundenen Strukturen geschrieben hat. Er hat darauf hingewiesen, dass bei leitungsgebundenen Wirtschaftsstrukturen Wettbewerb im klassischen Sinne nicht möglich ist und dass es eine Instanz geben muss, die den Wettbewerb durchsetzt und funktionsfähig hält.
In diesem Zusammenhang stelle ich fest: Sie haben die Machtstrukturen geschaffen, die zu den gewaltigen Preisschüben geführt haben, die derzeit im Energiesektor festzustellen sind. Die Leidtragenden sind insbesondere Arbeitnehmer, Rentner und Empfänger sozialer Leistungen, die niedrige Einkommen haben. Es wäre dringend geboten, nicht wie seit Jahren über die Preisschübe zu reden, sondern endlich die Strukturen im Energieversorgungssektor durchgreifend zu ändern.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.
Manfred Zöllmer (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lafontaine, wir sind angetreten, um die Zukunft zu bewältigen. Das schaffen wir nicht, wenn wir zu John Stuart Mill in die Vergangenheit zurückblicken.
- Das haben wir gemerkt. Die Nostalgie hat Ihre Rede von vorne bis hinten durchzogen. Die sicheren 70er-Jahre haben wieder fröhliche Urständ gefeiert.
Wenn Umfragen ergeben, dass Finanzämter inzwischen beliebter sind als Stromkonzerne, dann zeigt das deutlich, wie ernst die Lage ist.
Die Strompreise haben sich in den vergangenen Jahren, seit der Liberalisierung zum Teil drastisch erhöht. Dies ist eine Zumutung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich zu Recht gegen die Abzocke wehren. Das ist hier deutlich geworden.
Wichtigste Preistreiber sind einem Gutachten der TU Dresden zufolge in der Tat die vier großen Energiekonzerne, die ihre Marktmacht nutzen und für überhöhte Großhandelspreise an der Leipziger Strombörse sorgen. Beispielsweise haben sich zwischen 2005 und Juni 2006 die Preise rechnerisch zwischen 20 und 30 Prozent über dem Niveau bewegt, das bei besserem Wettbewerb herrschen würde. Wir brauchen mehr Transparenz bei der Preisbildung an der Strombörse. Es wurde bereits erwähnt, dass nur ein geringer Teil des Stroms dort gehandelt wird. Trotzdem bestimmt dieser Preis weitgehend das Preisniveau insgesamt. Mein Eindruck ist, dass in Leipzig sozusagen ein schwarzes Loch der Preisbildung entstanden ist.
Wir brauchen Wettbewerb und eine gute Regulierung. Wettbewerb ist zwar der Schlüssel für marktgerechte Preise, aber nicht unbedingt auch für niedrigere Preise. Frau Höhn hat dankenswerterweise darauf hingewiesen. Ich hüte mich davor, den Verbraucherinnen und Verbrauchern weismachen zu wollen, dass mit jedem neuen Anbieter automatisch die Preise sinken. Einen Preisverfall, wie wir ihn etwa im Telekommunikationssektor erlebt haben, wird es im Energiebereich nicht geben; dort gibt es ganz andere Rahmenbedingungen.
Für einen funktionierenden Wettbewerb tragen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher Mitverantwortung. Ich habe insbesondere bei den Beiträgen von den Vertretern der Linken ein merkwürdiges Verbraucherbild erlebt. Sie nehmen die Verbraucherinnen und Verbraucher als Akteure im Wirtschaftsgeschehen nicht ernst.
Der Anbieterwechsel wurde vom Gesetzgeber so stark vereinfacht, dass diese Möglichkeit von jedermann völlig unbürokratisch genutzt werden kann. In diesem Bereich liegen erhebliche Einsparpotenziale; Herr Kollege Hempelmann hat darauf hingewiesen. Die Verbraucherzentralen helfen vor Ort. Der Anbieterwechsel ist eine wirksame Maßnahme gegen überhöhte Energiepreise.
Wer die vorhandenen Möglichkeiten nutzt, um Preise zu vergleichen - ganz wichtig -, sollte allerdings nicht auf unseriöse ?Billigheimer“ hereinfallen. Keinesfalls sollte man Vorkasseangebote akzeptieren. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten mit ihrer Anbieterwahl den Wettbewerb und die Anbietervielfalt stärken, auch zum Beispiel Stadtwerke unterstützen, lieber Herr Kollege Hill, die für ihre Kommunen häufig wichtige zusätzliche Dienstleistungen erbringen, so etwa im Nahverkehr.
- Nein, es gibt sie ja,
und sie machen das wirklich gut. Ich glaube, darauf sollte man auch einmal hinweisen.
Natürlich geht es auch darum - das muss man deutlich sagen -, Einsparpotenziale beim Energieverbrauch im Haushalt zu nutzen. Stand-by-Geräte zum Beispiel sollten abgestellt werden, und bei Neuanschaffungen sollte auf die Energieeffizienz geachtet werden. Hier gibt es ein sehr großes Aufgabenfeld der EU. All das sind wichtige Punkte.
Wenn mehr Wettbewerb der Schlüssel ist, dann ist zu sagen, dass seitens der Politik - Herr Kollege Hempelmann hat darauf hingewiesen - einiges getan worden ist, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Ich will kurz auf die Diskussion um die Netze eingehen. Wir haben in Deutschland eine gesellschaftsrechtliche Trennung und eine strikte Regulierung durch die Bundesnetzagentur. Dass sie erfolgreich dabei war, haben wir gesehen: Sie hat die Durchleitungsgebühren um bis zu 20 Prozent gesenkt.
Der Vorschlag der EU - Eigentumsentflechtung oder einen unabhängigen Netzbetreiber - muss auf jeden Fall sehr sorgfältig geprüft werden. Schauen Sie sich doch einmal den Zustand der Netze in den USA und in anderen Ländern an! Wenn der Strom ausfällt, dann hat derjenige, der den Inhalt seiner Tiefkühltruhe entsorgen muss, extrem hohe Kosten. Die Versorgungssicherheit ist aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ein sehr wichtiges Gut.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!
Manfred Zöllmer (SPD):
Jede Regelung muss sich daran orientieren, dass auch zukünftig in die Netze investiert wird. Wir brauchen mehr Investitionen und nicht weniger.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist ein sehr schöner Schlusssatz, Herr Kollege Zöllmer.
Manfred Zöllmer (SPD):
Schade, ich wollte noch auf Frau Höhn eingehen, die den Wettbewerb damit garantiert sah. Leider ist es nicht so. Frau Höhn, das müssen wir dann privat klären.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Genau. Vielleicht setzen Sie sich am Rande des Plenums noch einmal zusammen.
Manfred Zöllmer (SPD):
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der nächste Redner ist der Kollege Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, dass der Wirtschaftsminister hier völlig zu Recht eingreift, indem er mit der GWB-Novelle, die sein Ministerium nach vorne bringt, dafür sorgt, dass wir die Strukturen und die Gründe für diese Preiserhöhungen erkennen. Der Kollege Rupprecht hat das sehr eindrucksvoll ausgeführt. § 29, durch den die Beweislast umgekehrt wird, ist genau der richtige Weg. Das brauchen wir, damit endlich Klarheit in dieses Geschäft hineinkommt. Dass es nicht klar ist und dass da Strukturen herrschen, die mit Wettbewerb nicht viel zu tun haben, darüber sind wir uns, glaube ich, alle im Klaren. Wir sollten dafür sorgen, dass sich das ändert.
Allerdings sollten wir auch darüber nachdenken, welche Fehler wir selbst machen. Was ist denn eigentlich der Grund für diese hohen Strompreise? Ich will Ihnen nicht ersparen - das wird meinen geschätzten Koalitionspartner nicht unbedingt in jeder Hinsicht erfreuen -, darauf hinzuweisen, dass wir an verschiedenen Strukturen festhalten, die dazu führen, dass die Strompreise so hoch sind. Da bin ich sehr schnell bei dem Thema Kernkraft.
Wir alle wissen, dass es uns die Kernkraft durchaus ermöglicht, den Strompreis günstiger zu halten, als er ist.
Wir sollten uns bitte schön nichts vormachen: Wer heute sagt - wie Sie, Frau Höhn -, dass er die Stromversorgung in der Zukunft nur mit erneuerbaren Energien sicherstellen will, der muss dem Verbraucher dann auch sagen, dass der Strom noch erheblich teurer wird.
Ich will das an einem Beispiel klarmachen. In meinem Wahlkreis befindet sich ein Unternehmen, das heißt Kimberly-Clark. Es ist mehr unter dem Markennamen Kleenex bekannt und stellt Papiertücher etc. her. Ich habe dort vor kurzem eine Betriebsbesichtigung gemacht und mir dabei natürlich auch die Papiermaschine angesehen. Die Papiermaschinen kauft Kimberly-Clark weltweit. Eine solche Maschine steht beispielsweise in Rouen; das ist gerade einmal 250 Kilometer von meinem Wahlkreis entfernt.
Die Papiermaschine verbraucht in Koblenz für 25 Millionen Euro Strom im Jahr. In Rouen verbraucht dieselbe Maschine für dieselbe Leistung nur 17 Millionen Euro Strom im Jahr. Das ist ein Unterschied von 8 Millionen Euro. Wenn man in der Zentrale des Unternehmens in Dallas irgendwann einmal auf die Landkarte schaut, dann wird man nur zwei Stecknadelköpfe sehen - so nahe liegen Koblenz und Rouen beieinander - und sich fragen, ob man das Werk in Koblenz nicht nach Frankreich verlegen sollte. Wir müssen uns fragen, ob die Energiepreise, die wir durch unsere Politik mitverursachen, sozialverträglich sind oder ob sie dazu führen, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Das hätten wir dann mitzuverantworten.
Machen wir uns bitte nichts vor: Wer nicht darüber nachdenkt, wie wir im Rahmen eines vernünftigen Energiemixes - dazu gehören selbstverständlich auch die erneuerbaren Energien und neue Technologien und alles andere, was damit zusammenhängt - vernünftige Preise behalten können, der macht meiner Meinung nach einen gewaltigen Fehler und ist nicht glaubwürdig. Herr Kollege Lafontaine, wenn die Linke nichts Besseres zu fordern weiß als die sofortige Abschaffung der Kernkraft, dann kann ich Sie nicht ernst nehmen. Das ist Ihr üblicher Populismus. Darin sind Sie Weltmeister. Aber mit realer Politik hat das sicherlich nichts zu tun. Das ist erst recht keine Politik im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Unternehmen.
Wir brauchen vernünftige, bezahlbare Energiepreise. Die Mietnebenkosten dürfen nicht höher sein als die Miete. Wenn es aber so weitergeht, werden wir auch bei den KdU erhebliche Probleme bekommen. Deswegen sind wir alle gefordert, auf vernünftige, bezahlbare Energiepreise zu achten. In diesem Zusammenhang werden wir um die Diskussion über die Kernkraft nicht herumkommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nur zur Erläuterung vergeblicher Anfragen: Zwischenfragen sind in Aktuellen Stunden laut unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen.
Das setzt selbst besonders großzügigen Präsidenten natürliche Grenzen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Berg für die SPD-Fraktion.
Dr. Axel Berg (SPD):
Verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Linke, ich finde es gut, dass Sie heute dieses Thema aufgeworfen haben, obwohl mir nicht ganz klar ist, in welche Richtung Sie gehen wollen. Zuerst fordert Herr Hill mehr Planwirtschaft. Dann strebt Herr Lafontaine mehr Wettbewerb an. Vielleicht werden Sie sich darüber noch einig, was genau Sie wollen. Dann fällt es uns leichter, darüber nachzudenken, ob wir das übernehmen werden.
Die Argumentation der Großkonzerne - das ist der Anlass für die heutige Aktuelle Stunde -, die erklären soll, warum die Preise erhöht werden müssen, hinkt nicht nur, sondern ist schlichtweg falsch. Es wurden schon viele Punkte genannt. Ich möchte insbesondere auf die erneuerbaren Energien eingehen. Wir verschweigen nicht, dass das Modell des EEG auf den ersten Blick Mehrkosten zu verursachen scheint, aber nur, wenn man nicht die gesamte Rechnung aufmacht. Wenn man über Energie diskutiert, geht es immer um drei Kostenpunkte. Der erste Punkt sind die Investitionskosten. Dabei geht es um die Frage, wie viel ein Kraftwerk kostet. Der zweite Punkt ist der Brennstoff. Dabei geht es um die Frage, wie sich diese variablen Kosten in Zukunft entwickeln werden. Der dritte Punkt betrifft die Entsorgung. Dabei geht es um die Frage, was die Entsorgung der nach der Energieproduktion anfallenden Reststoffe kostet. Wenn man alle Kostenpunkte berücksichtigt - die Fachleute sprechen hier von der Internalisierung der externen Kosten -, dann stellt man fest, dass die erneuerbaren Energien in der Gesamtheit keine Mehrkosten verursachen; denn bei den erneuerbaren Energien - bis auf die Biomasse - fällt der Brennstoff als Kostenfaktor total weg. Die Sonne, der Wind oder das Meer schicken keine Rechnung. Zudem entfällt eine Entsorgung bei den erneuerbaren Energien fast ganz, da Reststoffe nach der Energieproduktion kaum vorhanden sind. Wenn die Gesamtbilanz erstellt würde, dann wäre erkennbar, dass schon heute die fossilen Energien und die atomaren erst recht überhaupt nicht rentabel sind. Entsprechend hätten erneuerbare Energien die Marktreife schon längst erreicht, wenn man überhaupt einen Markt hätte. Diese wären natürlich gegenüber den fossilen Energien im Vorteil.
Von den eingesparten Emissionen - das wäre ein weiterer finanzieller Vorteil der erneuerbaren Energien, wenn sie im Emissionshandel angemessen berücksichtigt würden - will ich jetzt gar nicht sprechen. Das müssen wir in Zukunft ausbauen. Lassen Sie uns eines im Blick behalten: Die durch das EEG aktuell verursachten Abgaben sind Investitionen in die Zukunft. Sie machen die erneuerbaren Energien marktfähig. Sie werden mittel- und langfristig die Kosten für Energie gerade in unserem Land auf einem bezahlbaren Niveau halten.
Als ein weiteres Argument für Preiserhöhungen führen die Herren aus den Führungsetagen von Eon etc. die gestiegenen Rohstoffpreise an. Die meisten Menschen denken gleich an Öl, wenn es um Rohstoffpreise geht. Der Ölpreis ist massiv gestiegen. Ich bin 1998 in den Bundestag gekommen. Damals lag der Barrelpreis bei 10 bis 12 Dollar, jetzt liegt er bei 90 Dollar. Das ist eine Steigerung von 800 Prozent. Das ist eine irre Steigerung. Die Preise für Kohle sind praktisch stabil geblieben. Die Hälfte unseres Stroms wird aber aus Kohle gewonnen. Wie viel Öl wird denn für die Stromproduktion in unserem Land genutzt? Praktisch nichts. Insofern handelt es sich hier um eine Rosstäuschung der EVUs.
Denken Sie an mein Bild von den drei Rechnungen. Die Investitionen für die Kraftwerke in unserem Land sind längst abgeschrieben. Auch die Entsorgung ist kein Problem. Diese überlässt man lässig den nächsten Generationen. Also geht es doch nur um den zweiten Posten. Personal wurde im großen Stil in den letzten Jahren gefeuert, und die Rohstoffe sind billig geblieben. Nach der Logik der Energieversorger müssten jetzt die Preise sinken, weil die Kosten extrem niedrig sind. Wenn Investitionen in den Bau neuer Kraftwerke getätigt werden, dann steigen die Kosten der Energieversorger tatsächlich. Doch derzeit werden gerade keine höheren Kosten weitergereicht, sondern es werden einfach die Gewinne erhöht.
Die Philosophie der Konzerne ist verständlich: Gewinnmaximierung durch Erhöhung der Preise. Das muss dann aber auch so gesagt werden. Die Konzerne handeln zwar illegitim, aber nicht illegal. Sie nutzen nur das System aus. Deswegen ist es unser Job, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das nicht mehr ermöglichen.
Die totale sofortige Liberalisierung des Strommarkts vor ungefähr zwölf Jahren war ein Fehler. Das hat uns damals die Regierung Kohl eingebrockt, und die Regierung Merkel muss jetzt die Suppe auslöffeln. Hat Herr Fuchs - er ist, so glaube ich, leider gerade gegangen - gerade die Forderung nach einem AKW-Neubau in Koblenz aufgestellt, oder wie will er die Welt retten?
- Entschuldigung, Herr Dr. Fuchs, ich sehe Sie erst jetzt. - Man wüsste gerne noch mehr über Ihre Ansichten. Insbesondere die Koblenzer wüssten gerne mehr von Ihnen.
Wir sind jetzt langsam da, wo wir schon vor zehn Jahren hätten sein können. Langsam beginnt der Wettbewerb auf dem Strommarkt, auf dem Gasmarkt noch nicht so richtig. Aber auch dieser wird kommen. Energieversorger, bitte nutzt die Chance und verdient auch mit anderen Produkten Geld! Ich denke an Energieeffizienz. Das wäre vorausschauende Konzernpolitik. Man kann nicht nur mit dem Verkauf von Kilowattstunden Geld verdienen, sondern auch mit dem Verkauf von Energiedienstleistungen, Stichwort ?Contracting“.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Berg, es tut mir leid, weitere Stichworte können Sie jetzt nicht mehr ausführen. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Axel Berg (SPD):
Ich komme zu meinem letzten Satz. Ich bitte um Vergebung.
Auf geht’s, Freunde, wechseln Sie zum günstigsten Anbieter, den es gibt! Letztlich schießen sich Eon und die anderen selbst ins Knie, weil die EU das alles beobachtet.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das Wort.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Preisveränderungen sind in der Marktwirtschaft eigentlich selbstverständlich, und zwar nach oben und nach unten.
Aber sie müssen natürlich das Resultat des Wettbewerbs und fundamentaler Marktdaten sein. Es ist in der Tat die Frage, ob die Erhöhung des Strompreises um 10 Prozent, die zum 1. Januar nächsten Jahres angekündigt wurde, richtig ist.
Ich will das gerne im Einzelnen darlegen. Es ist richtig ausgeführt worden, dass staatlich administrierte Abgaben und Belastungen in der Tat für über 40 Prozent des Haushaltsstrompreises verantwortlich sind. Daran ändert sich zum 1. Januar 2008 aber nichts: Weder bei der Konzessionsabgabe noch bei der Stromsteuer noch im Bereich der erneuerbaren Energien kommt es zu Veränderungen. Auch auf dem Gebiet des Emissionshandels, wo im nächsten Jahr eine teilentgeltliche Vergabe und eine Auktionierung beginnen - die Kosten dafür sind schon eingepreist -, ändert sich nichts. Mit diesen 40 Prozent kann eine Stromerhöhung im nächsten Jahr also nicht begründet werden.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Stromkosten sind die Netznutzungsentgelte. Der Betreiber des Netzes verfügt über ein natürliches Monopol. Kraft Definition ist ein solches Monopol durch Marktversagen gekennzeichnet. Diese Entgelte machen 35 Prozent des Strompreises aus. Was diesen Wert angeht, hat die Bundesregierung schon jetzt viel getan - sie hat den richtigen Weg beschritten -: Dadurch, dass wir 2005 die Regulierung eingeführt haben, sind die Netznutzungsentgelte bereits jetzt gleichbleibend, oder sie sind sogar gesunken. Die Höhe der Netznutzungsentgelte liegt bei 23 Milliarden Euro. Netznutzungsentgelte in Höhe von 2,3 Milliarden Euro wurden im letzten Jahr nicht genehmigt bzw. gekürzt. Von den Netznutzungsentgelten kann also ebenfalls keine den Preis zum 1. Januar 2008 erhöhende Wirkung ausgehen.
Daraus folgt: 75 Prozent des Strompreises können nicht herangezogen werden, um eine 10-prozentige Strompreiserhöhung zu begründen. Wenn 25 Prozent der Stromkostenbestandteile die Preiserhöhung um 10 Prozent rechtfertigen sollen, dann müssten damit verbundenen Kosten um 40 Prozent gestiegen sein.
Es lohnt sich ein Blick auf die Details. 30 Prozent der Stromproduktion in Deutschland erfolgt - wenn es nach uns geht, bleibt es so - durch die Nutzung von Kernkraft. Diese Energieproduktion ist versorgungssicher und preiswert. Weniger als 5 Prozent der Kosten für den Betrieb eines Kernkraftwerks gehen auf die Verwertung von Uran zurück. Der Uranpreis ist zwar gestiegen, aber in einer vernachlässigbaren Höhe. Das heißt, diese 30 Prozent sind ebenfalls nicht mit höheren Kosten verbunden. Auch die Braunkohlenpreise - die Nutzung von Braunkohle macht immerhin 25 Prozent der Stromproduktion aus - sind stabil. So könnte man fortfahren.
Ich komme zu dem Ergebnis: Die Erhöhung der Strompreise kann in keiner Weise mit gestiegenen Bezugskosten gerechtfertigt werden; schließlich sind die Kosten für Öl und Gas vernachlässigbar. Was diesen vermeintlichen Wettbewerbsbereich angeht, liegt in der Tat der Schluss nahe, dass ein Oligopol, das 90 Prozent des Stroms erzeugt, Marktmissbrauch betreibt. Dieser Marktmissbrauch muss beendet werden.
Er wird aber sicher nicht beendet, indem wir den Marsch in die Planwirtschaft und in die Staatswirtschaft antreten, aus der wir kommen. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg; die DDR wollen wir nicht zurückhaben. Wohin dieser Weg dort geführt hat, war offensichtlich.
Auch die vielgelobte staatliche Tarifpreisfestsetzung wäre absurd. So etwas haben wir gerade abgeschafft. Das war eine Einladung zur Kostenverursachung und zur Strompreiserhöhung. Das Ganze hat so funktioniert, dass die Deckung aller nachgewiesenen, tatsächlich angefallenen Kosten - egal ob sie begründet waren oder nicht - genehmigt werden musste. Hinzu kam ein Gewinnaufschlag. Das ist die Politik, die Sie wieder einfordern. Sie versuchen wirklich, die Leute an der Nase herumzuführen. Würde man diesen Weg gehen, wären die Strompreise und die Kosten weit höher, als dies jetzt der Fall ist.
Unsere Reaktion, die Reaktion der Union, auf den bisher noch nicht in ausreichendem Maße funktionierenden Wettbewerb ist nicht, den Wettbewerb wieder abzuschaffen und durch ein staatliches Monopol - durch ein Monopol der Kommune, des Landes, des Bundes oder wessen auch immer - zu ersetzen, sondern, den Wettbewerb funktionsfähig zu machen. Ein konkreter weiterer Schritt dazu ist die zügige Umsetzung der GWB-Novelle, wodurch der Marktmissbrauch durch ein Oligopol ab 1. Januar 2008 abgestellt werden kann. Wir würden den entsprechenden Gesetzentwurf gern schon früher verabschieden. Wir alle können nur daran arbeiten, dass dies zügig geschieht.
- Natürlich ist es logisch. Wir können es machen.
Auch das Ownership-Unbundling, das hier als Allheilmittel gefordert wird, würde in der Tat nicht morgen wirken können. Es könnte eine Art Ultima Ratio sein; aber jetzt muss gehandelt werden. Wir handeln jetzt mit der GWB-Novelle, wir handeln jetzt mit der Kraftwerksanschlussverordnung, und wir handeln jetzt mit der Umsetzung der Anreizregulierung, die zu weiteren Netznutzungsentgeltsenkungen auf diesem Gebiet eines natürlichen Monopols führt. Wir wollen auch aus dem staatlichen Bereich den Bürgern wieder etwas zurückgeben; mithilfe der beim Emissionshandel erzielten Versteigerungserlöse können wir die Stromsteuer senken. So wird ein Schuh daraus.
Alle können ihren Beitrag leisten. Wir müssen den Wettbewerb stärken. Der Staat darf die staatlich administrierten Abgaben nicht weiter nach oben treiben, und beim natürlichen Monopol ?Netz“ muss Wettbewerb stimuliert bzw. geschaffen werden.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Pfeiffer, Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Dann werden wir die Strompreise stabil halten bzw. senken können. Das ist unser Ziel. Unser Konzept zur Erreichung dieses Ziels habe ich dargelegt. Ich fordere Sie auf, uns zu unterstützen und nicht den Leuten Sand in die Augen zu streuen, etwa mit der Behauptung, dass wir mit staatlicher Preissetzung hier weiterkommen würden.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Martin Burkert das Wort.
Martin Burkert (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die angekündigten Preissteigerungen bei Eon und RWE von 10 Prozent sind für uns alle, glaube ich, nicht nachvollziehbar. Die Konzerne verschleiern ihre wahren Beweggründe und reden sich damit heraus, höhere Beschaffungskosten, größere Belastungen durch den Staat und vor allem - das betrifft mich als Umweltpolitiker besonders - die Förderung der erneuerbaren Energien seien an den Strompreiserhöhungen schuld. Diese Argumentation ist schlichtweg falsch.
Übrigens ist auch das Bundeskartellamt sehr verärgert, was die angeführten Begründungen angeht. Als fadenscheinig und nicht nachvollziehbar werden sie heute von den Wettbewerbshütern beurteilt. Die Sache ist jetzt in der Prüfung. Es werden sicherlich Vorschläge für Maßnahmen gegen die unverschämten Preiserhöhungen auf den Tisch gelegt werden. Dann gilt es, zu handeln.
Dass es sich bei dem, was Eon und RWE vortragen, um eine Milchmädchenrechnung handelt, will ich beispielhaft an der Förderung der erneuerbaren Energien aufzeigen:
Nach aktuellen Berechnungen macht die Förderungsumlage nach dem EEG tatsächlich nur einen Bruchteil der angekündigten Strompreissteigerung und nicht die Hälfte aus, wie zum Teil behauptet wird. Die Preissteigerung bei Eon ist 15-mal so hoch wie der Anstieg der EEG-bedingten Kosten. Die erneuerbaren Energien sollen offensichtlich wieder einmal als Sündenbock herhalten.
Die Förderung von erneuerbaren Energien macht für einen Durchschnittshaushalt in unserem Land nur 0,7 Cent an Mehrkosten pro Kilowattstunde aus. Am derzeitigen Strompreis von durchschnittlich 22 Cent pro Kilowattstunde hat die Förderung der erneuerbaren Energien also nur einen Anteil von 3,3 Prozent.
Im kommenden Jahr wird sich die EEG-Umlage um etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde erhöhen. Das macht für den Durchschnittshaushalt in Deutschland dann unter dem Strich maximal - maximal! - 30 Cent im Monat zusätzlich aus. Die angekündigten Preiserhöhungen bedeuten aber für den Haushalt im Schnitt 5 Euro Mehrkosten pro Monat. Da geht doch die Rechnung von RWE nicht auf, wonach 50 Prozent der Anhebung allein auf die gestiegenen Kosten für die Einspeisung erneuerbarer Energien zurückgingen. Die 30 Cent an Mehrkosten, die im nächsten Jahr dem EEG zuzuschreiben sind, können für eine 5-Euro-Erhöhung also mit Sicherheit nicht herhalten.
Noch etwas möchte ich in diesem Zusammenhang klar sagen: Tatsächlich führt das mittlerweile große Angebot von rund 14 Prozent an Strom aus erneuerbaren Energien sogar zu niedrigeren Großhandelspreisen für Strom. Im Umweltministerium werden die preisdämpfenden Effekte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf 5 Milliarden Euro im Jahr beziffert. Berücksichtigt man, dass erneuerbare Energien Importkosten für fossile Brennstoffe senken und Umweltschäden vermeiden, betrug der volkswirtschaftliche Nutzen im Jahr 2006 sage und schreibe etwa 9 Milliarden Euro. Ich wiederhole: Der volkswirtschaftliche Nutzen im Jahr 2006 betrug etwa 9 Milliarden Euro. Aufgrund der höheren Einspeisungen von erneuerbaren Energien in diesem Jahr wird der volkswirtschaftliche Gewinn 2008 sogar zweistellige Milliardenwerte erreichen; etwa 10,7 Milliarden Euro werden prognostiziert. Aber die Versorger haben diese enormen Einsparungen bisher nicht an die Verbraucher weitergegeben. Die Strompreise wurden nicht gesenkt. Das Gegenteil ist der Fall.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Erfolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes noch einmal betonen. Schließlich hat es den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass wir in Deutschland unsere bis 2010 geplanten Ausbauziele bereits in diesem Jahr erreichen und Ende 2007 mit mehr als 14 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien das Ziel bereits übertreffen werden. Deshalb müssen wir an eine Novellierung des Gesetzes vorsichtig und sorgfältig herangehen. Wir dürfen dieses erfolgreiche Gesetz nicht beschädigen, sondern müssen es zukunftsfähig ausbauen.
Den kleinen Anteil des EEG am Strompreis, derzeit weniger als 4 Prozent, halte ich hinsichtlich der zentralen Rolle der erneuerbaren Energien beim Kampf gegen den Klimawandel für angemessen. Ich kann nur an die Verbraucher appellieren, die Preise zu vergleichen und gegebenenfalls den Anbieter zu wechseln. Diejenigen, die sich nach einem neuen Anbieter umschauen, sollten dabei die Gelegenheit nutzen, auf klimafreundlich erzeugten Strom umzusteigen. Wer seinen Strom von einem Ökostrom-Anbieter bezieht, handelt nicht nur umwelt-, sondern auch kostenbewusst; denn häufig sind die heutigen alternativen Stromangebote nicht einmal teurer als konventionell erzeugter Strom.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner für die Unionsfraktion.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf als letzte Rednerin in dieser Runde jetzt das nachholen, was heute bisher nicht zur Sprache kam, nämlich das Lob für die Bundesregierung.
Ich kann Ihnen das Lob für unseren Bundeswirtschaftsminister Michael Glos auch begründen. Er hat nämlich auch den Mittelstand und die Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick, während es bei der Linksfraktion ja nur die bösen Großkonzerne und die armen, machtlosen Verbraucher gibt. Ich möchte erwähnen, dass das Haus von Herrn Glos den Verbraucherzentralen 7,1 Millionen Euro für eine effektive Energieberatung zur Verfügung stellt.
Mein zweiter Hinweis betrifft den Verbraucherschutz. Frau Heinen vom Verbraucherschutzministerium ist anwesend. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben zusammen eines erwirkt: Sie haben das nachgebessert, was Frau Künast versäumt hat. Bei ihr wäre 2007 der wirtschaftliche Verbraucherschutz ausgelaufen.
- Das ist Ihnen neu? - Das zeigt mal wieder, dass Sie nicht richtig im Thema sind.
Wir werden den wirtschaftlichen Verbraucherschutz bei den Verbraucherzentralen auch im kommenden Jahr mit 2,5 Millionen Euro mitfinanzieren.
Die Verbraucherzentralen sind bei den Menschen. Die Menschen brauchen keine Diskussion auf hoher Ebene, sondern eine Beratung unmittelbar vor Ort. Deshalb sind wir für einen aktiven Verbraucherschutz.
Natürlich ist der Wechsel von einem Stromanbieter zum anderen emotional und mental nicht so ganz einfach,
wenngleich der Wechsel des Stromanbieters einfacher ist als der Wechsel des Mobilfunkanbieters. Wir haben aber festgestellt, dass nach dem Aufruf durch die Verbraucherzentralen der Länder und des Bundes mittlerweile schon 1,4 Millionen Haushalte den Anbieter gewechselt haben, wenngleich man natürlich auch einräumen muss, dass der Verbraucher machtlos ist, wenn alle marktbeherrschenden Anbieter gleichzeitig die Preise erhöhen.
Der Weg, den die Bundesregierung jetzt geht, ist richtig. Die Beweislast wird umgekehrt, und in Zukunft wird man Preiserhöhungen wirklich begründen müssen. Diese Regelung wird sofort greifen, und wir werden nicht erst den langen Klageweg abwarten müssen.
Sie wird sofort greifen, auch wenn es die Linksfraktion nicht kapiert und nicht glaubt. Das tut mir leid für Sie, aber wir machen es halt.
Bei allem, was ich immer wieder von der Linksfraktion höre, habe ich den Eindruck, dass Ihnen die kommunalen Gegebenheiten nicht klar sind. Sie sagen immer - auch in Interviews -, dass wir den Hartz-IV-Satz anheben müssen, weil die Energiekosten so stark gestiegen sind. Es sind aber die Kommunen, die diese höheren Kosten tragen müssen. Letztlich sind diejenigen gekniffen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und deren Verdienst über dem Hartz-IV-Satz liegt, weil sie doppelt zahlen: zum einen die Steuerabgaben und zum anderen die höheren Preise. Es ist wichtig, das einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Wir müssen nach vorne schauen und uns fragen, was wir unmittelbar tun können. Wir müssen Anreize schaffen, dass der Wettbewerb bei energiesparenden Geräten auf den Weg gebracht wird.
Letztlich machen Waschmaschinen - Sie kennen sich damit wahrscheinlich nicht aus, Herr Kollege -, Spülmaschinen und Kühlschränke 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs eines Durchschnittshaushaltes aus.
Energiekennzeichnung ist eine ganz wichtige Forderung von uns. Außerdem ist Transparenz wichtig. Denn der Verbraucher soll einen Teil seines Energieverbrauchs selber in der Hand haben. Uns geht es auch darum, Energieverluste zu minimieren. Es ist sehr ärgerlich, dass es in Haushalten nach wie vor energiefressende Elektrogeräte gibt, deren Stand-by-Betrieb man nicht ausschalten kann. Energiekennzeichnung und der Wettbewerb bei der Energieeffizienz sind für uns also entscheidende Punkte.
Zum Abschluss möchte ich das aufgreifen, was mein Kollege Michael Fuchs zur Kernenergie vorhin gesagt hat. Wir sollen die Quadratur des Kreises schaffen. Zum einen wollen wir Energieeffizienz, und zum anderen soll die Energiesicherheit gewährleistet sein. Außerdem soll die Energie bezahlbar und gleichzeitig umweltverträglich sein.
Wenn man aufgrund mangelnder Umweltverträglichkeit Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke abschalten will, dann weiß ich nicht, wie man es schaffen kann, abends nicht nur bei Kerzenlicht zu sitzen.
Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Wettbewerb ist unserer Meinung nach der beste Verbraucherschutz.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 120. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 25. Oktober 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]