121. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns für die heutige begrenzte Tagesordnung eine konzentrierte Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
- Drucksache 16/6735 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch; dann ist es so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen miteinander! Wir haben in der Koalition abgemacht, dass wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz ändern und möglichst viele Branchen einladen, Mitte des nächsten Jahres in dieses Gesetz aufgenommen werden zu können.
Allerdings gab es auf dem Weg dahin in den letzten Wochen und Monaten eine Entwicklung, die die Briefdienstleister in besonderer Weise betrifft. Im August stellte sich heraus, dass in Europa der Umgang mit dem Ende des Briefmonopols sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Vereinbart war, dass in Deutschland das Briefmonopol - das sind Briefe bis zu 50 Gramm - zum 1. Januar 2008 ausläuft und dass dies in den anderen europäischen Ländern zum 1. Januar 2009 stattfinden wird. Nun haben uns die anderen europäischen Länder, die Nachbarländer, mitgeteilt: Nein, sie machen das nicht 2009, sondern erst 2011 oder später. Daraufhin haben wir miteinander gesagt: Man darf zwar vorbildlich sein und es ein Jahr vorher machen; aber man muss nicht dumm sein. Man muss auch die Interessen des eigenen Landes sehen. Was wir nicht wollen, ist, dass bei uns das Briefmonopol zu Ende ist, in den anderen Ländern aber die Öffnung noch nicht da ist. Das hieße, andere Länder könnten bei uns agieren, wir aber nicht auf deren Markt. Das wollen wir so nicht.
Also haben wir vereinbart: Wir machen noch in diesem Jahr eine Mindestlohnregelung für den Postbereich und lassen der Post das Privileg im Bereich der Mehrwertsteuer, weil sie flächendeckend Universaldienste anbietet. Dies haben wir innerhalb der Koalition besprochen und vereinbart. Bedingung war: Es gibt einen Antrag. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz funktioniert ja nicht so, dass die Politik sagt: ?Ihr müsst da hinein“; vielmehr kommt es darauf an: Melden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sagen, wir wollen da hinein? Das ist passiert. Mitte September haben sich der Postarbeitgeberverband und Verdi gemeinsam bei mir gemeldet und gesagt: Wir möchten in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit dem Ziel, dass in Form einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Vereinbarung, die wir, Post-Arbeitgeber und Post-Arbeitnehmer, getroffen haben, zum Mindestlohn in unserem Bereich für alle Briefdienstleister wird. - Damit war das, was wir vereinbart haben, als Bedingung erfüllt, und heute machen wir nun sozusagen den ersten Schritt.
Wir haben seitens des Kabinetts einvernehmlich und einstimmig ein Gesetz eingebracht, in dem steht, dass die Briefdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Wenn die Briefdienstleister enthalten sind, muss noch im Verlauf dieses Jahres die Verordnung erlassen werden - das ist auch möglich -, sodass zum 1. Januar des nächsten Jahres Mindestlohn für diese Briefdienstleister gilt. Mit der Beratung heute und der Vorberatung im Bundesrat ist es möglich, dass zum 30. November die letzte abschließende Beratung im Bundesrat stattfindet und anschließend diese Allgemeinverbindlichkeitserklärung in Form einer Verordnung zustande kommt. Ich werde diese Verordnung natürlich in der nächsten oder übernächsten Woche zur Kenntnis geben, damit alle, die in der zweiten und dritten Lesung zu entscheiden haben - dies wird am 8. oder 9. November so weit sein -, wissen, wie diese Verordnung aussieht, sodass alle sehenden Auges die nötigen Entscheidungen treffen können. Das, was wir uns vorgenommen haben, ist erfüllt, nämlich der Antrag seitens der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und ein Mindestlohntarifvertrag.
Ich will noch einmal deutlich machen, weil alle immer ermahnen, man muss an die Tarifautonomie denken: Mehr als das, was wir tun, kann man dabei nicht tun. Wir haben weder auf das Zustandekommen eines Arbeitgeberverbandes noch auf die Verhandlungen Einfluss genommen, die er mit Verdi geführt hat. Beide haben uns gemeinsam einen Vertrag vorgelegt und gesagt: Das ist die Grundlage für den Mindestlohn, die wir in unserem Bereich haben wollen. - Ich bin der Meinung, dass wir dies jetzt so machen sollten.
Es ist eine Diskussion über Prozentzahlen in Gang gekommen und darüber: Wie weit ist eigentlich die Tarifgebundenheit von 50 Prozent gegeben? 93 bis 94 Prozent aller Briefe, die verteilt werden, werden von Beschäftigten der im Arbeitgeberverband Post versammelten Unternehmen verteilt.
Daher bin ich ganz sicher, dass die 50 Prozent an dieser Stelle gut erreicht werden
und dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, in diesem Jahr schaffen können.
Der Mindestlohn ist im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft ein wichtiges Instrument. Vielleicht müssen wir an dieser Stelle eine Grundsatzdebatte miteinander führen, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass der eine oder andere in diesem Hause glaubt, ein Teil der Koalition habe zugesagt, zu versuchen, dass ein Mindestlohn zustande kommt, und ein anderer Teil habe versprochen, es möglichst zu verhindern. Das ist aber so nicht.
Dumpinglöhne und Lohndumping widersprechen den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft.
Wir sind uns in der Koalition völlig einig: Wir wollen die Gesetze so machen, dass zukünftig mehr Branchen innerhalb der Regeln, die wir miteinander aufstellen, Mindestlöhne haben können, und zwar aus zweierlei Gründen:
Dumpinglöhne sind etwas, was gegen die Würde des Menschen verstößt.
Die betroffenen Menschen bekommen Löhne, die so niedrig sind, dass sie sich den Rest ihres Lohnes anschließend bei der Arge oder bei der optierenden Kommune abholen müssen.
- Ja, Herr Kolb. Aber sollen wir den Menschen etwa sagen: ?Du musst jeden Morgen um halb sechs aufstehen und zur Arbeit gehen, und dann hast du am Ende des Monats weniger Geld auf dem Konto als der, der nicht aufstehen kann oder will. Der hat schon mehr auf seinem Konto drauf“? - Das kann so überhaupt nicht sein.
Und die Sache mit dem Lohndumping: Wir reden darüber: Was können wir eigentlich tun, um deutsche Unternehmen, auch strategisch wichtige Unternehmen, davor zu schützen, dass sie von irgendwo auf der Welt durch anonyme Mächte im Wettbewerb benachteiligt werden? Wenn man hier etwas tun will, dann ist der Punkt, über den wir jetzt diskutieren, mindestens genauso wichtig. Wenn es in Deutschland Unternehmen gibt - es gibt sie, auch Lizenzunternehmen im Bereich der Postdienstleister -, die so niedrige Löhne zahlen und die Briefmarken so billig machen,
weil wir den Rest des Lohns anschließend aus der Steuerkasse per Sozialtransfer zahlen, dann ist in Sachen soziale Marktwirtschaft etwas nicht in Ordnung. Ein fairer Unternehmer muss einen ehrlichen Lohn zahlen, auf dem man aufbauen kann.
Es kommen ja nicht nur die Arbeitnehmer; es kommen auch Arbeitgeber und sagen: Helfen Sie uns dabei! Zuletzt waren es die Wachdienste, und zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie haben gesagt: Wir wollen allen, die im Wachdienst arbeiten und aufpassen, dass Ordnung herrscht - das gilt übrigens auch für dieses Gebäude -, einen ordentlichen Lohn zahlen. Wenn aber ein Arbeitgeber, der einen Niedriglohn zahlt, seinen Leuten sagt ?Passt mal auf: Ihr kriegt nicht 7 oder 8 Euro, sondern nur 4 Euro, und den Rest holt ihr euch bei Münte ab!“ - so läuft es in Deutschland doch praktisch -, dann ist etwas nicht in Ordnung. Das wollen wir nicht. Deshalb gehört eine vernünftige Mindestlohnregelung zur sozialen Markwirtschaft.
Es ist ordnungspolitisch vernünftig, das zu fordern. Sie werden sich also bewegen müssen.
Ich sage Ihnen: Auch ich habe darüber noch vor fünf Jahren anders gedacht.
Es ist keine Schande, seine Meinung an dieser Stelle zu ändern. In einer so diversifizierten Situation bei den Löhnen und nachdem sich so viele Niedriglohnbereiche herausgebildet haben, haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr die Kraft und überhaupt nicht mehr die Macht, Vereinbarungen für die Menschen zu treffen, die tarifungebunden sind oder am Rande der Existenzfähigkeit finanziert werden. Deshalb müssen wir uns in unserer sozialen Marktwirtschaft darauf einstellen, dass zukünftig der Mindestlohn in dem Paket unserer arbeitsmarktrechtlichen Regelungen zu einer selbstverständlichen Größe wird - so, wie er es in über 20 europäischen Ländern schon ist. Deshalb: Erste Lesung heute, zweite/dritte Lesung am 8./9. November, am 30. November im Bundesrat, und zum 31. Dezember dieses Jahres wird der Mindestlohn im Bereich der Post stehen. Dafür wollen wir miteinander streiten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Müntefering, zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie auf den Punkt gekommen sind. Sie haben glücklicherweise gar nicht erst den Versuch unternommen, drum herumzureden, sondern Sie haben gesagt, worum es geht -
das ist auch für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion wichtig -: Sie sehen das, was heute hier beschlossen wird, als den Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn.
- Es ist nett, dass Sie das fürs Protokoll noch einmal bestätigen. - Sie begründen dies damit, dass innerhalb der Branche unterschiedlich bezahlt werde. Sie reden von den Briefzustellern und verweisen auf einen Gegensatz zwischen Zustellern der Post und privaten Zustellern. Dazu muss man wissen: Wenn Sie Ihr Gesetz so verabschieden, zementieren Sie das Monopol der Deutschen Post AG. Sie schädigen die Konkurrenz, schalten sie aus. Was Sie hier nicht erzählen, ist, dass durch Ihre Politik 50 000 Arbeitsplätze bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen gefährdet werden.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist ursprünglich eingeführt worden, um deutsche Unternehmen vor ausländischer Billigkonkurrenz zu schützen.
Jetzt soll es ausgeweitet werden, um einen Staatsmonopolisten - das ist es doch in Wahrheit - vor privater Konkurrenz zu schützen. Das ist unanständig.
Warum sind denn die Löhne bei den Privaten anders? Darüber können wir an dieser Stelle gerne einmal reden. Die Löhne der Zusteller bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen sind in der Tat niedriger,
und zwar aus einem einfachen Grund: Die Deutsche Post AG hat dadurch, dass sie die 19 Prozent Mehrwertsteuer spart, einen riesigen Vorsprung - da müssen die Privaten sehen, wo sie bleiben. So funktioniert die Marktwirtschaft.
Schließlich geht es in der Debatte, die in diesen Tagen stattfindet, auch um die Agenda 2010, also um die Richtung der Politik für dieses Land insgesamt. Herr Minister, Sie können sich über den Beifall von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion freuen. Doch an Ihrer Stelle würde ich mir Sorgen machen: Je länger der Beifall mit jeder Rede, die Sie halten, wird, desto mehr riecht er nach Abschied.
In Wahrheit wird heute wieder am Grabstein der Agenda 2010 gemeißelt. Das ist das, was uns am meisten Sorge macht und was auch Deutschland am meisten Sorge machen muss. Die Rhetorik ist noch, man halte am Reformkurs fest - praktisch wird er heute und in den nächsten Wochen zu Grabe getragen. Das ist deshalb außerordentlich bedenklich und verheerend, weil Sie unter dem Strich eine Politik zu Grabe tragen,
die noch nicht einmal die Chance hatte, zu wirken. Kaum geht es Deutschland etwas besser, kaum haben wir ein Jahr etwas bessere Konjunktur, schon geht der Esel wieder aufs Eis und merkt gar nicht, wie dünn das Eis der deutschen Konjunktur ist.
Ich kann die Krokodilstränen in dem Zusammenhang nicht mehr sehen. Die Ministerinnen und Minister sagen in den Zeitungen - dies taten sie gestern auch hier -, es sei für die Bürgerinnen und Bürger doch tragisch, dass die Preise steigen. Es gibt in dieser Republik einige Preistreiber. Die sitzen nicht in irgendwelchen anonymen Zentralen von Stromkonzernen oder bei irgendwelchen anderen Unternehmen, die Preistreiber der Republik sitzen dort auf den Regierungsbänken - übrigens auch am heutigen Tage.
Falls Sie mir das nicht glauben - -
- Frau Schmidt, ich darf Sie bitten, mich durch Ihre Zwischenrufe nicht weiter einzuschüchtern. Sie wissen, ich bin sensibel.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Westerwelle, in diesem Zusammenhang kommt es auf Ihre Empfindlichkeit gar nicht an, weil Zwischenrufe von der Regierungsbank grundsätzlich nicht zulässig sind.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Jetzt haben Sie es amtlich. Das haben Sie davon. Sie konnten es ja nicht lassen.
Herr Präsident, erst einmal natürlich vielen herzlichen Dank für diese eindeutige Unterstützung der Opposition.
Ich komme jetzt aber noch einmal auf die Preisentwicklung in Deutschland zurück. Die Preisentwicklung ist ja nicht etwas, was der Opposition eingefallen ist. Mit Ihrem Gesetzentwurf, den Sie heute einbringen, leisten Sie einen Beitrag dazu, dass die Preise in Deutschland weiter steigen.
Das sagen nicht wir, das sagen Sie selbst in Ihrem Gesetzentwurf; denn unter ?Sonstige Kosten“ steht nichts anderes als - wörtlich -:
Durch die Neuregelung kann die deutsche Wirtschaft mittelbar mit Kosten belastet werden ...
Wenn Sie das Können schon zugeben, dann wissen wir alle, dass es genau so kommt.
Heute geht es um den Mindestlohn, nach dem Bundesparteitag der SPD wird es um das Arbeitslosengeld I gehen.
Das Entscheidende ist, dass beides in Wahrheit die Abwicklung einer Reformpolitik bedeutet, die fortgesetzt werden müsste. Der Reformfrühling hat in Deutschland gerade einmal ein paar Monate gehalten. Jetzt sind wir schon wieder dabei, in den Reformwinter überzugehen. Das Gefährliche an Ihrer Politik ist, dass Sie sehenden Auges Maßnahmen beschließen, von denen Sie genau wissen, dass sie Deutschlands Wirtschaft belasten und dass sie nicht gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.
Sie haben die Steuern und Abgaben erhöht. Unter anderem deswegen steigen die Preise. Sie reden über Mindestlöhne, aber die Frage muss doch lauten: Was nutzt einem Arbeitnehmer ein höherer Bruttomindestlohn, wenn Sie ihm netto immer weniger in der Tasche lassen? Das ist die eigentliche Herausforderung in dieser Republik.
Dasselbe gilt auch für das Arbeitslosengeld I und die Mindestlöhne. Das alles ist ja eine Serie. Wir werden uns in den nächsten Wochen damit befassen. Es sind geschichtsträchtige Wochen in diesem Hause.
Zu den Mindestlöhnen und zum Arbeitslosengeld I muss klar gesagt werden: Sie verlängern das jetzt; Sie werden das tun. Noch zieren Sie sich ein bisschen, aber Sie werden das alles mitmachen, so, wie Sie das hier auch mitmachen.
- Dafür brauche ich kein Hellseher zu sein. Hier nutzt mir einfach die Nähe zu Ihnen, Herr Kauder. Ich kenne Sie lange genug.
Natürlich wird einer nach dem anderen hier umfallen. Sie werden das alles mitbeschließen.
Das Schlimme ist - das ist bedauerlicherweise nicht lustig -: Statt dass während eines Aufschwungs für den Fall vorgesorgt wird, dass ein Abschwung kommt, werden Sie jetzt die alten Fehler wiederholen. Mit dieser Abkehr von der Reformpolitik tragen Sie die Verantwortung dafür, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in der nächsten Konjunkturkrise - sie kommt bestimmt - nicht 5 Millionen, sondern 6 Millionen betragen wird. Das ist die größte soziale und auch demokratische Gefahr für unser Land.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Ralf Brauksiepe ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die Debatte über die Einführung eines Mindestlohns bei der Post jetzt auch das Parlament erreicht hat.
Angesichts der öffentlichen Debatten in den letzten Wochen will ich einige Punkte klarstellen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten.
Diese Regierung wird in der Arbeitsmarktpolitik in erster, zweiter und dritter Linie daran gemessen, ob und inwieweit es ihr gelingt, Arbeitslosigkeit abzubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir sind stolz darauf, dass diese Regierung unter Angela Merkel eine arbeitsmarktpolitische Bilanz vorgelegt hat, die sich sehen lassen kann. Das ist es, woran wir in erster Linie gemessen werden.
Wir stehen als CDU/CSU-Fraktion zu den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss und zu den Vereinbarungen der Regierung in Meseberg. Es ist auch eine Selbstverständlichkeit - das gilt für uns genauso wie für unseren Koalitionspartner -, dass niemand das Denken einstellt, wenn ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgelegt wird. Ich habe auch noch keinen Sozialdemokraten erlebt, der das Denken eingestellt hat, nur weil der Name Angela Merkel unter einem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht. Eine sorgfältige Prüfung jedes Gesetzentwurfes ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Das hat nichts mit Abrücken zu tun. Es ist unser Wählerauftrag. Wir sagen klipp und klar: Wir leisten uns - anders als der Kollege Stiegler, der hier kürzlich angekündigt hat: Wir pausieren erst einmal bei der Unterstützung der Regierung - keine Pause auf diesem Weg; wir erfüllen vielmehr unseren Wählerauftrag und werden auch diesen Gesetzentwurf wie jeden anderen sorgfältig prüfen.
Uns geht es darum, bei den Briefdienstleistungen zu mehr Wettbewerb zu kommen. Das ist unser Ziel, und es ist politisch vereinbart worden. Wir wissen aber auch, dass Wettbewerb, der dieses Land groß und wirtschaftlich erfolgreich gemacht hat, auch immer ein Wettbewerb um die besten Ideen - ein Innovations- und Qualitätswettbewerb - gewesen ist. Es geht nicht um den Wettbewerb um die niedrigsten Löhne; den wollen wir in diesem Land nicht.
Deswegen sind wir auch für tarifliche Mindestlöhne.
Aus diesem Grund haben wir als Große Koalition den Branchen, die über mindestens 50 Prozent Tarifbindung verfügen, angeboten, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, wenn sie dies gemeinsam wollen. Das haben wir vereinbart.
In diesem Zusammenhang muss, denke ich, eines betont werden: Wer tarifliche Mindestlöhne will, der muss ein Interesse daran haben, dass wir auf einer möglichst breiten Basis zu freiwilligen Vereinbarungen und Verhandlungslösungen kommen. Es ist richtig, dass man nicht ohne weiteres zu einer 100-prozentigen Tarifbindung kommen kann. Wenn eine Mehrheit zu einer bestimmten Regelung kommt, dann sind wir unter Abwägung aller Gesichtspunkte bereit, das für allgemeinverbindlich zu erklären, sodass es auch für eine Minderheit gilt, die keine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen hat. Es kann aber nicht das Ziel sein, dass womöglich 50,1 Prozent eine Regelung treffen, die dann 49,9 Prozent aufs Auge gedrückt wird.
Wer tarifliche Mindestlöhne will, muss ein Interesse daran haben, dass möglichst viele freiwillig an einer solchen Vereinbarung teilhaben.
Die Politik kann das nicht alleine leisten. Der Gesetzgeber kann in dieser Frage nicht alleine handeln. Wir brauchen ein vernünftiges Miteinander des Gesetzgebers und der Tarifvertragsparteien. Lassen Sie uns einen Blick auf die Situation werfen! Man kann feststellen, dass die Gewerkschaften in dieser Frage ihre Hausaufgaben erfüllt haben. Es gibt einen Tarifvertrag des Arbeitgeberverbandes Postdienste mit der Gewerkschaft Verdi und einen gleichlautenden Anschlusstarifvertrag, den die DPVKOM und die CGPT - die zuständigen Fachgewerkschaften im Deutschen Beamtenbund und im Christlichen Gewerkschaftsbund - abgeschlossen haben. Das ist die maximale Bindung auf der Seite der Gewerkschaften. Hier sind die Voraussetzungen optimal erfüllt.
Zur Wahrheit gehört auch, dass das, was auf Arbeitgeberseite bisher gelaufen ist, mit ?suboptimal“ noch vornehm umschrieben ist. Es geht uns nicht darum, zurückzuschauen und zu fragen, wer wann mit wem gesprochen hat - wir waren schließlich nicht dabei - und wer wen überfahren, ausgetrickst oder was auch immer hat. Es ist aber zumindest legitim, im Laufe dieser Gesetzgebung den Versuch zu unternehmen, das, was in der Vergangenheit nicht geklappt hat, zu korrigieren. Das ist kein Eingriff in die Tarifautonomie; es entspricht vielmehr dem Geist und Sinn unserer Vereinbarung in der Koalition, zu einem möglichst breiten Konsens und einer möglichst weiten Einbeziehung aller Akteure auf dem Briefdienstleistungssektor zu kommen. Das ist unser Ziel.
Letzten Endes müssen wir - weil Politik kein Wunschkonzert ist - auf der Basis dessen, was vorliegt, entscheiden. Wir müssen prüfen, ob die Vereinbarungen zu tariflichen Mindestlöhnen, die wir im Juni im Koalitionsausschuss getroffen haben und die auch die Regierung in Meseberg getroffen hat, erfüllt sind.
Da tun sich an mehreren Stellen noch Fragen auf. Eine wichtige Frage ist: Ist das von uns politisch vereinbarte Kriterium einer 50-prozentigen Tarifbindung erreicht? Da hören wir die unterschiedlichsten Zahlen von unterschiedlichsten Interessenverbänden. Es ist eben nicht damit getan, festzustellen, wie viel Prozent der Briefe von wem transportiert werden; denn es geht nicht um Briefe, sondern es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht vor allem nicht nur um diejenigen, die zustellen, sondern es geht um die gesamte Wertschöpfungskette, die das Einsammeln, das Sortieren und Transportieren von Briefen mit umfasst. Im Tarifvertrag, der uns bekannt ist, wird geregelt, dass jeder einbezogen werden soll, unabhängig davon, welches Ausmaß diese Arbeit bezogen auf seine gesamte Tätigkeit hat. Deswegen muss diese Frage kritisch geprüft werden.
Damit verbunden ist die Frage: Was soll aus den sogenannten Erfüllungsgehilfen werden, also denjenigen, die in den Postagenturen in erster Linie anderes machen und darüber hinaus auch Briefdienstleistungen erbringen? Ich höre von den Tarifpartnern selbst, dass es um die eigentlich gar nicht gehen soll. Deswegen müssen wir wissen, wie diese Regelung nach den Vorstellungen der Bundesregierung aussehen soll.
Natürlich stellt sich auch die Frage, welche Entwicklungen es sonst noch in dieser Branche gibt. Der ehemalige Arbeitsminister von Herrn Beck tummelt sich jetzt ja auf einem anderen Gebiet. Da gibt es jetzt einen Verband, und da gibt es auch eine Organisation, die sich Gewerkschaft nennt und sich öffentlich gegen staatliche überhöhte Zwangslöhne wendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als jemand, der dem Deutschen Beamtenbund angehört und dessen Fachgewerkschaft den Tarifvertrag geschlossen hat, von dem wir gesprochen haben, habe ich eine politische Ansicht darüber, was ich von einer Organisation halten soll, die sagt: Wir sind eine Gewerkschaft und fordern niedrige Löhne. - Eine politische Meinung habe ich dazu. Aber natürlich ist die Frage, wie diese Entwicklungen rechtlich zu beurteilen sind. Dazu erwarten wir eine Antwort der Bundesregierung.
Wir befinden uns in der ersten Lesung, in einem ganz normalen Gesetzgebungsverfahren. Wir hoffen auf befriedigende Antworten der Bundesregierung auf diese Fragen. Ich sage ganz deutlich: Wir wünschen uns befriedigende Antworten, weil wir uns eine Lösung für den Bereich der Postlöhne wünschen. Wir wollen hier zu einer Regelung kommen. Deswegen haben wir die Vereinbarungen getroffen, und deswegen hoffen wir, dass die Fragen, die hier gestellt werden müssen, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens befriedigend beantwortet werden.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich habe Ihnen zugehört. Sie haben die These aufgestellt, dass schlimm sei, wenn man bei einem höheren Bruttolohn zu viel abziehe. Stattdessen solle es lieber einen niedrigeren Bruttolohn geben. Also, verstanden habe ich das Ganze nicht;
denn bei den niedrigen Löhnen wird ja auch viel abgezogen. Weshalb Sie gegen höhere Löhne sind, ist nicht nachzuvollziehen, es sei denn, Sie wollen ganz einseitige Interessen in der Gesellschaft vertreten.
Herr Westerwelle, Sie nehmen bestimmte Tatsachen nicht zur Kenntnis, so zum Beispiel die Tatsache, dass 10 Prozent der oberen Haushalte in Deutschland 47 Prozent des Vermögens und 50 Prozent der unteren Haushalte 4 Prozent des Vermögens besitzen. Daran muss man etwas ändern, wenn man eine gerechtere Gesellschaft will.
Sie ignorieren, dass wir beim Pro-Kopf-Einkommen in der EU bei einem Vergleich der alten 15 Mitgliedsländer jetzt auf Platz 11 sind. Es besteht die Gefahr, dass uns Spanien im nächsten Jahr überholt. Dann liegen hinter uns nur noch Griechenland, Portugal und Italien. Ich muss sagen: Da kann man aber doll stolz sein, was das Pro-Kopf-Einkommen unserer Bevölkerung betrifft.
Deshalb brauchen wir dringend einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Lohndumping in Deutschland endlich aufhört.
Da sagen wir, preisbereinigt bräuchten wir einen Mindestlohn von 8,44 Euro. Allerdings fügen wir hinzu, dass das heute nicht mehr ausreicht; denn dort, wo höhere Löhne gezahlt werden, besteht bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes die Gefahr, dass die höheren Löhne auf die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gesenkt werden. Deshalb haben wir gesagt, wir brauchen ein Verfahren, das sicherstellt, dass Lohnsenkungen überhaupt nur in ökonomischen Ausnahmesituationen genehmigt werden; ansonsten müssen sie untersagt werden, weil das nicht die Entwicklung unserer Gesellschaft sein soll.
Nun geht es heute aber nur um die Briefzustellerinnen und Briefzusteller. Es geht ja noch gar nicht um einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie haben die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unter der Bedingung vereinbart, dass sich die Betreffenden einigen. Nun haben wir eine Einigung - dazu hat hier noch niemand etwas gesagt - auf einen gesetzlichen Mindestlohn Ost in Höhe von 9 Euro
- Entschuldigung, es ist ein tariflicher Mindestlohn - und einen Mindestlohn West in Höhe von 9,80 Euro. Ich muss Ihnen sagen: Im 18. Jahr der deutschen Einheit bei einer gleichen Kostenstruktur in Ost und West ist ein unterschiedlicher Mindestlohn nicht mehr hinnehmbar.
Ich meine das als Kritik am Arbeitgeberverband und an meiner Gewerkschaft Verdi. Dass sie das unterschrieben haben, ist ein Skandal; ich sage das so offen. Ich hätte mir gewünscht, dass auch jemand von den anderen Fraktionen gesagt hätte, dass wir das im 18. Jahr der deutschen Einheit nicht mehr wollen.
Nun spielt Herr Gerster - Sie haben es bereits gesagt; ich kann es gut verstehen - eine bestimmte Rolle. Von 1991 bis 1994 war der Mann, Mitglied der SPD, Minister für Europaangelegenheiten in Becks Rheinland-Pfalz. Dann wurde er Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit. Dann wurde er Leiter der Bundesanstalt für Arbeit. Irgendwann ging er. Was macht er nun? Er hört von dieser Vereinbarung, gründet einen eigenen, neuen Arbeitgeberverband und hilft offensichtlich dabei, eine kleine, neue Gewerkschaft zu gründen und Räume anzumieten, und das Ganze nur mit dem Ziel, den Mindestlohn zu unterschreiten. Sie sprechen bei Oskar Lafontaine immer von Verrat. Aber das, was Herr Gerster macht, ist ein wirklicher Verrat an der Sozialdemokratie.
Damit müssten Sie sich einmal auseinandersetzen. Der Superminister von Herrn Schröder, Herr Clement, haut in dieselbe Kerbe. Damit Sie das als Verrat entlarven können, müssten Sie sich zuerst einmal mit der unsozialdemokratischen Agenda 2010 und mit Hartz IV selbstkritisch auseinandersetzen. Aber das wollen Sie nicht.
Herr Gerster organisiert unter Beteiligung von TNT und PIN einen neuen Arbeitgeberverband und sagt, man wolle einen niedrigeren Lohn. Dann macht er Folgendes - eine solche Demütigung habe ich selten erlebt -: Er schickt die Beschäftigten der Unternehmen zur Demonstration auf die Straße und bezahlt sie, damit sie sagen, dass sie einen niedrigeren Lohn haben wollen. Schlimmer kann man Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht demütigen, als das hier gemacht wurde.
Ich möchte noch über einen anderen Punkt sprechen, der zwar nicht ganz dazu gehört, aber in die gleiche Richtung geht: die 58er-Regelung. Monitor wird darüber berichten, was für ein Skandal das ist. In der letzten Sitzungswoche haben Sie unseren Antrag auf Fortsetzung der 58er-Regelung abgelehnt. Das bedeutet, dass Sie einem Arbeitslosen, der 58 Jahre oder älter ist, sagen, er werde nicht mehr vermittelt, und ihn nach § 5 SGB zwingen - er hat nicht einmal mehr die Wahl -, die Frühverrentung zu beantragen und damit eine Kürzung der Rente um bis zu 18 Prozent hinzunehmen. Das gilt auch noch, wenn der Betreffende 87 oder 88 Jahre alt ist. Ich halte das für grundgesetzwidrig.
Niemand darf gezwungen werden, eine Kürzung der Rente hinzunehmen, wenn er die Möglichkeit hat, eine höhere zu erwerben. Aber Sie tun das. Korrigieren Sie das! Setzen Sie wenigstens die 58er-Regelung fort! Das alles gehört zur Ungerechtigkeit, die es in unserem Land gibt.
- Ich habe ja gesagt, dass es nicht ganz dazugehört. Aber ein wichtiges Thema ist es; das können Sie doch nicht bestreiten.
Sagen Sie heute doch, dass Sie das korrigieren werden und dass die 58er-Regelung nach dem 31. Dezember fortgesetzt wird! Das wäre für 350 000 Betroffene eine wichtige Entscheidung.
Wir brauchen einen Mindestlohn. Wir brauchen eine Allgemeinverbindlichkeit. Wir brauchen das für die Postbediensteten bzw. die Briefzustellerinnen und Briefzusteller deshalb jetzt, weil das Briefmonopol am 1. Januar 2008 aufhört zu existieren. Sie wissen um die vorhandenen Niedriglöhne. Dagegen muss der Bundestag etwas tun. Des Weiteren sind viele noch gar nicht berücksichtigt. Denken Sie an die Sortiererinnen und Sortierer! Denken Sie an die Verkäuferinnen und Verkäufer bei TNT und PIN! Sie bekommen einen Bruttolohn von 5 Euro bzw. 6,72 Euro pro Stunde. Niemand von uns könnte davon leben. Wir sollten auch nicht so tun, als könnten wir davon leben. Gegen solche Löhne müssen wir etwas unternehmen. Der Bundestag muss ein Zeichen setzen und sagen: Das lassen wir in Deutschland nicht zu.
Danke.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Müntefering hat recht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nein, ich bin froh, wenn es der Einwirkung des Präsidenten gar nicht bedarf, weil die Friedlichkeit der Beratung die nahtlose Rednerabfolge sicherstellt. Aber da ich nicht ganz sicher bin, ob vor allen Dingen die Millionen Fernsehzuschauer, die uns heute bei dieser Debatte begleiten, alle wissen, wer jetzt das Wort erhalten hat, schlage ich doch der guten Ordnung halber vor, dass die Kollegin Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erhält.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Herr Präsident und ich haben uns per Blickkontakt verständigt, meine Damen und Herren.
Herr Müntefering hat recht, wenn er sagt, Lohndumping widerspreche der sozialen Marktwirtschaft. Aber die Art und Weise, wie die Union mit den Hoffnungen und Ängsten der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, umgeht, widerspricht Sitte und Anstand, und das widerspricht den Regeln einer sozialen Politik.
In Meseberg haben Sie noch versprochen: Wohlstand für alle. - Im Überschwang der Gefühle haben Sie sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die Postbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Aber das Gruppenfoto war noch nicht ganz im Kasten, und die Schlosstreppe war noch nicht geräumt, da kamen schon Wirtschaftsminister Glos und die Wahlkämpfer Wulff und Koch daher und haben versucht, diese Vereinbarung zu hintertreiben. In deren Schlepptau sind unvermeidlich Röttgen und Ramsauer, die schreien: ?Nix da, den Mindestlohn gibt’s nicht!“. Herr Brauksiepe, das, was Sie uns mit dem Wort ?Prüfung“ weiszumachen versuchen, ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick und nichts anderes als eine Milchbubenrechnung, mit der Sie versuchen, sich aus der Vereinbarung herauszuwinden. So weit zu der Vertragstreue der CDU/CSU.
Ihre Ankündigung, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, ist nichts weiter als ein Vertragsbruch und ist die Aufkündigung Ihrer Geschäftsfähigkeit. Dabei ist doch bereits im Postgesetz festgeschrieben, dass die Einkommens- und Arbeitsbedingungen bei der Lizenzvergabe an private Wettbewerber berücksichtigt werden sollen.
Genau das steht bereits darin. Der Wettbewerb - darum geht es - soll über die Qualität der Leistungen erfolgen, der Wettbewerb soll nicht über Lohndrückerei ausgetragen werden. Deshalb brauchen wir einen Mindestlohn.
Herr Westerwelle, wenn Sie sagen, dass Sie ein sensibler Mensch sind, dann sage ich Ihnen: Ich vermisse Ihre Sensibilität in Bezug auf die Interessen der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten,
und ich vermisse Ihre Sensibilität gegenüber Ihren eigenen Anhängern. 68 Prozent der Anhänger der FDP wollen einen Mindestlohn.
Herr Westerwelle, machen Sie doch da nicht dicht! - Das sind Umfrageergebnisse. Nehmen Sie die doch einfach einmal zur Kenntnis, wenn Sie so sensibel sind, Sie Sensibelchen.
Die Union steckt in einem echten Dilemma. Sie wollen auf der einen Seite Ihr sozialpolitisches Profil stärken, Sie wollen damit die Sozialdemokraten ärgern
und die Kompetenz, die ihnen in Sachen sozialer Gerechtigkeit zugeschrieben wird, für sich reklamieren. Andererseits wollen Sie Ihr wirtschaftspolitisches Profil nicht aufgeben, das schon einmal gar nicht, wenn drei Landtagswahlen vor der Tür stehen.
Diese rein wahltaktische Profilbildung wird auf dem Rücken der Briefzusteller ausgetragen. Ich finde das wirklich unanständig.
Das Gerangel um den Postmindestlohn zeigt erneut die Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition; denn die Aufnahme der Branche in das Entsendegesetz ist doch nur ein erster Schritt. Nach der Rede von Herrn Brauksiepe ist eines klar: Bei der nächsten Hürde geht der Streit weiter. Selbst wenn wir heute hier ein Stück weiterkommen, ist das Problem noch lange nicht gelöst. Herr Müntefering, ich bin mir ganz sicher, Sie wissen das ganz genau.
- Sie, Herr Brauksiepe, können doch einmal klatschen. Sie wissen ganz genau, dass ich recht habe. Sie wissen doch, was in Ihrer Fraktion vorgeht.
Ich bitte Sie, mit Ihren profilneurotischen Sandkastenspielereien endlich aufzuhören! Tun Sie endlich, was Ihre Wähler von Ihnen erwarten, und handeln Sie! Es gibt in diesem Bereich eine Deadline - Herr Müntefering hat darauf hingewiesen -: Das Briefmonopol fällt am 1. Januar 2008. Bis dahin brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört der Mindestlohn.
Natürlich gehört dazu auch Chancengerechtigkeit für die Mitbewerber. Es dürfen nicht zweierlei Regeln hinsichtlich der Umsatzsteuer gelten.
Es geht nicht an, dass der ehemalige Monopolist von der Umsatzsteuer befreit wird, seine Konkurrenten aber nicht. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt. Wir wollen unbedingt, dass auch in diesem Bereich gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Ich würde mich darüber freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.
Wir brauchen einen fairen Rahmen. Es ist die Aufgabe der Politik, genau diesen Rahmen zu setzen. Hier droht die Koalition leider erneut zu versagen. Herr Brauksiepe, Ihre Rede spendete jedenfalls denjenigen nicht gerade Hoffnung, die ihre Hoffnungen auf diese Regierung gesetzt haben.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Anette Kramme hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
Anette Kramme (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr ?Wildwesterwelle“,
Sie werden wieder einmal Ihrem Ruf gerecht: Bei Ihnen knirscht das Eis gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dieses Landes. Sie quellen fast über vor Arroganz.
Die große Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben hat sich in den vergangenen Wochen in ihren Schlagzeilen schlichtweg überschlagen: ?Mindestlohn - Ist das wirklich gut für die Beschäftigten?“, ?Mindestlohn? Dann gehen wir pleite!“, ?Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze!“.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich möchte Sie vorsichtig fragen, ob Sie geneigt sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zu akzeptieren.
Anette Kramme (SPD):
Ich schlage vor, wir warten einen Moment, bis ich in die Thematik eingestiegen bin.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe mich diesem Vorschlag gerne an.
Anette Kramme (SPD):
Kommen wir zurück zu dieser Zeitung mit den vier Buchstaben. Sie gab Tag für Tag publizistische Kriegserklärungen gegen den Mindestlohn im Allgemeinen und gegen den Mindestlohn für Briefzusteller im Besonderen ab. Verwunderlich ist diese wenig seriöse Antimindestlohnkampagne nicht. Die Axel Springer AG hat schließlich vor kurzem für eine stolze Summe die Mehrheit am Postkonkurrenten PIN AG erworben. Die Meinung der Bürger und Bürgerinnen vertritt diese selbsternannte Stimme des Volkes allerdings nicht. Diese sieht komplett anders aus. Nach Infratest dimap sind 12 Prozent der Bundesbürger gegen einen Mindestlohn; aber 27 Prozent plädieren für Mindestlöhne in bestimmten Branchen. 59 Prozent der Menschen möchten sogar eine flächendeckende Regelung. Im Übrigen ist auch die Mehrheit Ihrer Wähler für einen Mindestlohn.
Zum 1. Januar 2008 fällt das Briefmonopol der Post. Ab diesem Zeitpunkt dürfen also sowohl die inländischen als auch die ausländischen Postkonkurrenten den sogenannten Standardbrief austragen. Ich sage ganz deutlich: Liberalisierung - in Ordnung, Wettbewerb - ebenfalls in Ordnung. Aber: Wettbewerb braucht klare Spielregeln und faire Rahmenbedingungen.
Es kann nicht sein, dass die seriösen Anbieter der Branche von zwei Seiten unter Druck gesetzt werden: einerseits durch den freien Wettbewerb in Deutschland, während deutsche Unternehmen im europäischen Ausland nur beschränkt tätig sein dürfen, andererseits durch einige Unternehmen, deren Konkurrenzfähigkeit lediglich auf Lohn- und Sozialdumping zurückzuführen ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, der Wunsch des Kollegen Niebel, Ihre Redezeit durch eine Zwischenfrage zu verlängern, ist ungebrochen.
Anette Kramme (SPD):
Selbstverständlich ist der Wunsch des Herrn Niebel ein besonderes Anliegen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön, Herr Kollege Niebel.
Dirk Niebel (FDP):
Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. Nachdem ich Ihnen jetzt längere Zeit zugehört habe, ist mein Fragebedarf noch größer geworden.
Würden Sie mir bestätigen, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Mehrheitseigner der hannoverischen Verlagsgruppe Madsack ist, die wiederum ein wesentlicher Anteilseigner der PIN-Gruppe ist?
Wenn Sie mir das bestätigen, frage ich weiter: Können Sie mir sagen, ob Frau Hendricks, nachdem sie in der nächsten Woche vermutlich Schatzmeisterin der SPD sein wird, unmittelbar Einfluss auf die Lohnfindung der PIN-Gruppe nehmen wird?
Anette Kramme (SPD):
Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich die Konzernstrukturen einer SPD-Holding nicht kenne.
Ich kann ohne weiteres die Unternehmen aus meiner Region nennen.
Sie können sicher sein, dass ich auch in der Vergangenheit diesbezüglich tätig geworden bin. Sie können sicher sein, dass wir unseren Laden sauber halten werden.
Die Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist notwendig und zielführend. Mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen darf ich sagen: Die SPD hat der Aufgabe des Briefmonopols nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Vorkehrungen zur Sicherung sozialer Mindeststandards in der Postdienstleistungsbranche getroffen werden. Das war Teil des politischen Kompromisses, und Sie können sicher sein: Wir nehmen Spielchen zulasten der Menschen nicht hin.
Bei den neuen Postunternehmen gibt es faktisch keine betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungsstrukturen. Die Folgen sind sichtbar: im Vergleich zur Deutschen Post AG wesentlich schlechtere Lohn- und Arbeitsbedingungen. Am 8. Oktober befasste sich Report mit der Thematik. ?Hungerlöhne in der Postbranche“ titelte man:
Lothar Daniel ... Ab morgens fünf ist er auf den Beinen, oft bis abends um halb acht. Eine 60-Stunden-Woche. Sein Stundenlohn: 4,50 Euro brutto. Der 49-Jährige hat in Kiel keinen besseren Job gefunden. Er ist Zusteller beim privaten Postunternehmen PIN.
Eine Untersuchung von Input Consulting bestätigt dies.
Die durchschnittlichen Lohnkosten bei den beiden Hauptkonkurrenten PIN Group und TNT liegen je nach Beschäftigtengruppe zwischen 30 und 60 Prozent unterhalb derjenigen der Deutschen Post AG. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass der Anteil der geringfügig Beschäftigten an allen Arbeitsverhältnissen bei den neuen Postdienstleistern bei über 60 Prozent liegt.
Die Weichen zur Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind gestellt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dafür den notwendigen Mindestlohn ausgehandelt. Wir haben Anfang Oktober ein Schreiben des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste erhalten, mit dem man uns überzeugen will, dass unser Vorgehen nicht rechtmäßig ist. - Vorweg ist zu sagen, dass die Mitbewerber natürlich zu Tarifverhandlungen eingeladen waren.
Doch zurück zum Thema. Man behauptet, dass wir die 50-Prozent-Quote für die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht erreichen. Ich sage ganz klar: Florian Gerster argumentiert mit Mondzahlen, mit Eigenkreationen, die nicht belegbar sind.
Herr Gerster behauptet auch, der Arbeitgeberverband Postdienste sei undemokratisch. Ich kann Ihnen nur sagen: Werfen Sie einmal einen Blick in das Betriebsverfassungsgesetz! Es ist durchaus üblich, dass sich das Stimmrecht nach der Zahl der jeweils vertretenen Beschäftigten richtet.
Von Vollzeitarbeit muss man leben können, muss man seine Existenz sichern können. All denjenigen, die Wettbewerb auf dem Rücken der Menschen wollen, müssen wir eine ganz deutliche Absage erteilen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Eine Holding? Nein, Herr Niebel, aber ich hätte gerne eine.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Herr Bundesminister Müntefering hat bereits darauf hingewiesen: Anlass der heutigen Gesetzesänderung sind der Wegfall des Postmonopols und die damit verbundenen Ängste, dass es zukünftig Verwerfungen im Bereich der Briefzustellung geben könnte.
Vorweg möchte ich feststellen, dass die Liberalisierung der Postmärkte in der Vergangenheit große Erfolge für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für das Unternehmen Deutsche Post gebracht hat.
Die Deutsche Post ist besonders wettbewerbsfähig; das hat sie in der Vergangenheit am Markt bewiesen. Dies zeigt sehr deutlich, dass es bisher auch ohne so genannte Mindestregelungen gesetzlicher Art - es gab nur Mindestregelungen auf der Grundlage von Tarifverträgen - gelungen ist, erfolgreich am Wettbewerb teilzunehmen.
Natürlich sehen wir, dass es in einzelnen Bereichen durchaus Verwerfungen geben kann. Ich pflichte dem Kollegen Brauksiepe ausdrücklich bei: Es geht nicht um den Wettbewerb niedrigster Löhne. Vielmehr wollen wir, dass die Menschen ein gutes Gehalt, einen guten Lohn erhalten. Dies erreichen wir am besten durch den Abbau der Arbeitslosigkeit. Wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgebaut wird, dann gibt es - das sieht man jetzt - eine größere Nachfrage nach Arbeitskräften, was wiederum dazu führt, dass die Löhne steigen. Wir sehen die Lohnforderungen verschiedener Branchen und die Lohnabschlüsse, die heuer schon getätigt worden sind. Wir können durchaus von steigenden Löhnen in Deutschland sprechen. Das spricht für die Politik der Bundesregierung, den Abbau der Arbeitslosigkeit konsequent voranzutreiben. Damit wird die beste soziale Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland geleistet.
Wir stehen natürlich zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung, durchaus darüber nachzudenken, in einzelnen Bereichen, wo es notwendig ist, Lohnuntergrenzen bzw. entsprechende Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. In einer sozialen Marktwirtschaft ist das in einzelnen Bereichen notwendig. Auch aufgrund der Antragstellung des Arbeitgeberverbandes und von Verdi müssen wir uns mit dieser Frage beschäftigen. Bevor im Jahr 2007 - das ist Beschlusslage - Postdienste in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden und damit die Allgemeinverbindlichkeit erklärt wird, bedarf es einer besonderen Prüfung. Unsere Entscheidung, Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, ist nicht nur daran gekoppelt, dass ein Organisationsgrad von 50 Prozent erreicht sein muss, sondern auch daran, dass die Tarifausschüsse darüber zu befinden haben. Wenn Tarifausschüsse, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, miteinander eine Lohnuntergrenze festlegen wollen, sind wir bereit, dem zuzustimmen und dies zu unterstützen.
Wenn das Gesetz jetzt geändert wird, stellt dies ein besonderes Verfahren dar: Der Tarifausschuss ist dann nicht beteiligt; die Regelung hängt allein vom Verhalten der Bundesregierung, auch des Bundesarbeitsministeriums, ab und wird dann per Gesetz in Kraft gesetzt. Vorweg sind durchaus die Fragen zu beantworten: Ist ein Organisationsgrad von 50 Prozent erreicht? Wer zählt überhaupt dazu? Zählen nur alle Direktbediensteten der Post dazu? Zählen auch die Beschäftigten in Postagenturen dazu, die vielleicht drei oder vier Briefe am Tag entgegennehmen und damit eine Vorleistung im Hinblick auf die Verteilung erbringen? Zählen auch Taxifahrer oder Kurierdienste dazu? Gehören dazu auch Mitarbeiter von Paketdiensten und Zeitungszusteller? Alle diese Gruppen können am Briefverteilungssystem teilnehmen. Diese Fragen müssen beantwortet werden, um festzustellen, ob der notwendige Organisationsgrad erreicht wird.
Es ist wichtig, dass alle Arbeitgeber dieses Bereiches und alle Briefzusteller eingebunden sind. Der geschlossene Vertrag hat schon ein gewisses Geschmäckle. Es scheint sich um einen Haustarifvertrag der Deutschen Post zu handeln, der aber in den eigenen Reihen kaum zur Anwendung kommt, weil 80 Prozent der Beschäftigten einen weit höheren Lohn bekommen.
Dies muss meines Erachtens einer intensiven Prüfung unterzogen werden.
Ich bin schon verwundert, dass trotz der Liberalisierung - nur Briefe mit einem Gewicht bis 50 Gramm fallen noch unter das Postmonopol - in einem Tarifvertrag vereinbart worden ist, dass zukünftig Briefe mit einem Gewicht bis 1 000 Gramm unter diese Regelung fallen sollen. Diese Vereinbarung muss intensiv geprüft werden, um eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu schaffen.
Die Bundesregierung kann ich nur auffordern, uns diese Fragen zu beantworten. Ich bin überzeugt, dass wir in der Koalition in diesem zugegebenermaßen schwierigen Punkt eine gemeinsame Lösung finden werden. Aber ich sage auch ganz deutlich, dass es hier nicht um Schnelligkeit, sondern um Gründlichkeit geht.
Gründlichkeit bedeutet, dass wir diese Fragen intensiv behandeln und letztendlich auch beantworten. In diesem Sinne wünsche ich uns ein gutes Gesetzgebungsverfahren und weiterhin intensive Beratungen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
Klaus Barthel (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zentrale Auseinandersetzung betrifft das Verständnis von Wettbewerb und Marktwirtschaft. Herr Westerwelle hat vorhin zwei Thesen vertreten: Erstens. Hungerlöhne schaffen Aufschwung. Zweitens. Hungerlöhne schaffen Wettbewerb.
Ich bin über Ihre Aussagen sehr erstaunt, Herr Westerwelle; denn Ihre Partei war an der Regierung beteiligt, als das Postgesetz auf den Weg gebracht wurde. Wir haben damals mit Ihrem Minister Rexrodt, der sich jetzt leider nicht mehr wehren kann, eine Passage ins Postgesetz aufgenommen, mit der Lohndumping im Postsektor ausgeschlossen werden soll. Wettbewerb soll nämlich nicht über Lohndumping stattfinden. Im Postgesetz steht, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen dieser Branche nicht unterschritten werden sollen. Wenn sie unterschritten werden, dann gibt es für die betroffenen Unternehmen keine Lizenz. Das war das damalige Verständnis der FDP. Ich frage Sie: Waren Sie damals noch nicht für Wettbewerb?
Ferner beklagen Sie das Verhältnis von Brutto- zu Nettoeinkommen. Einer der Gründe, warum so hohe Sozialabgaben gezahlt werden müssen, ist, dass sich der Niedriglohnsektor ausweitet. In diesem Bereich werden kaum Sozialabgaben abgeführt. Im Gegenteil: Die Hartz-IV-Leistungen in diesem Sektor verursachen sogar noch Kosten. Auch das haben Sie hier unterschlagen.
Jetzt komme ich zum Thema ?Schnelligkeit und Gründlichkeit“. Es ist völlig klar, dass wir bis zum 1. Januar dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben müssen, weil sich sonst die in dieser Branche vorherrschenden Zustände sozusagen multiplizieren.
Wovon reden wir hier? Das Gesetz spricht ausdrücklich von Briefdienstleistungen. Herr Straubinger, zu den Briefdienstleistungen gehört gemäß dem Postgesetz die Beförderung von Briefen mit einem Gewicht bis 1 000 Gramm. Das kann man alles nachlesen. 91 Prozent dieser Briefe werden von der Deutschen Post AG befördert.
Herr Meyer, bevor Sie an dieser Stelle einen Zuruf machen - ich kann Ihnen alle relevanten Zahlen nennen -, frage ich Sie, wie es denn sein kann, dass der Springer-Konzern, der einen Anteil von 70 Prozent an der PIN AG hat, und die cleveren Kaufleute von TNT aus den Niederlanden behaupten, sie hätten 270 000 Beschäftigte in einem Segment, das nur einen Anteil von 9 Prozent an den Briefdienstleistungen hat.
Die haben doch nicht alle Tassen im Schrank, wenn sie das behaupten.
Man braucht doch nur einmal die Berichte der Bundesnetzagentur anzuschauen. Da ist eindeutig festgehalten, dass 150 000 Beschäftigte bei der Deutschen Post AG und 46 000 Beschäftigte bei den neuen Wettbewerbern in den Tarifvertrag eingebunden sind. Davon sind übrigens 27 000 geringfügig Beschäftigte. Das heißt, wir haben ein Zahlenverhältnis von 3 : 1. 75 Prozent sind also nach dem Postgesetz organisiert und erfüllen das Kriterium der Tarifgebundenheit.
Sie sprechen von Erfüllungsgehilfen. Schauen wir uns das einmal an. Dazu sagt der Herr mit dem goldenen Parteibuch - er lässt sich jetzt 1 Million Euro bezahlen -: 445 000 sind bei den Erfüllungsgehilfen beschäftigt. - Ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt - ich kann das in den vier Minuten meiner Redezeit nicht weiter ausführen -, dass, wenn man alle Beschäftigten in diesem Bereich, der dafür infrage kommt, zusammenzählt, also auch die Zeitungszusteller, die Beschäftigten der Kurierdienste sowie des Express- und Paketservices, allerhöchstens 186 000 beschäftigt sind. Von diesen ist wiederum höchstens ein Drittel mit Briefen befasst. Das alles kann man in den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit nachlesen. Übrigens: 126 000 Menschen in diesem Bereich haben einen Minijob.
Wenn man sich das alles anschaut und das vorgesehene Quorum berücksichtigt, stellt man fest: 173 000 sind bei der Post beschäftigt und an den Tarifvertrag, von dem wir hier reden, gebunden. 66 500 sind bei den Postdiensten - einschließlich der Erfüllungsgehilfen - beschäftigt. Das heißt, wir kommen auf ein Zahlenverhältnis von drei Vierteln zu einem Viertel. Wir sind also auf der sicheren Seite. Daran ändert auch das Argument des Haustarifvertrags bei der Deutschen Post AG nichts; denn ich habe noch nie gehört, dass das Vorhandensein von Haustarifverträgen in der Wirtschaft der Sache einen Abbruch tut. Trotzdem gilt der Flächentarifvertrag. Hier kann also überhaupt kein Widerspruch bestehen.
Herr Westerwelle, ich frage Sie deswegen zum Schluss: Findet in der deutschen Wirtschaft, wo über 50 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlt werden, kein Wettbewerb statt, weil es dort einen Flächentarifvertrag und damit einen Mindestlohn gibt? Findet in der Europäischen Union, wo 20 der Mitgliedsländer einen Mindestlohn definiert haben, der deutlich höher ist als der, der bei uns in der Diskussion ist, kein Wettbewerb mehr statt?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Barthel!
Klaus Barthel (SPD):
Findet in den Niederlanden, wo es einen Mindestlohn von über 9 Euro gibt und wo TNT seinen Sitz hat, kein Wettbewerb im Postsektor statt, weil es Mindestlöhne gibt? Dies ist doch eine absurde Diskussion. Der Wettbewerb betrifft andere Bereiche; das wissen Sie ganz genau. Da geht es um Qualität, mehr Dienste usw.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Barthel!
Klaus Barthel (SPD):
Das war die Verheißung der Liberalisierung der Postmärkte. Setzen wir das doch bitte auch um!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen - Herr Westerwelle, das ist übrigens ein Auftrag, der sich schon aus dem Postgesetz ergibt; da hat Kollege Barthel völlig recht - soziale Mindeststandards in diesem Bereich. Das haben Sie mitbeschlossen. Von daher ist Ihre Argumentation nicht ganz schlüssig. Sie sollten sich mit der Umsetzung dessen beschäftigen, was Sie selber mitbeschlossen haben.
Herr Müntefering hat zu Beginn der Debatte etwas Wichtiges gesagt. Er hat nämlich die Debatte, die wir jetzt führen, in die Gesamtdebatte eingeordnet, die wir im nächsten Frühjahr führen wollen. Für ihn sei das jetzt der Auftakt. Deswegen, Herr Müntefering, müssen wir uns vom Vorgehen her an das halten - dies ist meine eindringliche Bitte, wenn Sie das schnell über die Runden bekommen wollen -, was zwischen uns vereinbart ist.
Es soll nämlich nach Tarifvertragsgesetz gehen, und die Bedingungen, zum Beispiel das 50-Prozent-Quorum, sollen eingehalten werden. Das muss nachgewiesen werden. Dies kann nicht über Briefdienstleistungen definiert werden, sondern schlicht über Zahlen. Dazu will ich Ihnen sagen: Sie drängen das einfach weg. Sie ändern einfach den vorliegenden Tarifvertrag. Von dem Tarifvertrag wird auch der erfasst, der als Zeitungszusteller einmal einen Brief mitnimmt.
- Entschuldigung, Herr Barthel, aber so steht es im Tarifvertrag. Wenn Sie als Gewerkschafter die vorgelegten Tarifverträge nicht ernst nehmen, dann ist das Ihre Sache. Ich nehme sie ernst.
Wir müssen genau hinschauen, um Fehlentwicklungen vermeiden zu können. Herr Müntefering, eine Fehlentwicklung muss uns ernsthaft Sorgen machen: In einigen Bereichen wollen nicht nur die Arbeitnehmer Mindestlöhne bzw. Mindeststandards. Es ist vielmehr so, dass wir bei großen Arbeitgebern in allen möglichen Wirtschaftsbereichen die Tendenz feststellen können, über Mindestlöhne und das Entsendegesetz weniger Wettbewerb in ihrer Branche zu erreichen. Das ist egoistisch und muss uns große Sorgen machen.
Frau Nahles, Sie sind intelligent genug, um zu sehen, dass das so läuft. Wir müssen genau hinschauen. Das funktioniert nach dem Motto: Wettbewerb ist gut, aber bitte nicht in meiner Branche. Wir müssen aufpassen, dass dieses Instrument, das der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern dienen soll, nicht von Arbeitgebern missbraucht wird, um mittelständische und kleine Konkurrenten wegzudrücken. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Das wollen wir nicht.
In der Postbranche ist das ganz augenfällig. Das, was sich hier abspielt, ist - ich sage das ganz bewusst - pervers. Ein Monopolunternehmen gründet einen eigenen Arbeitgeberverband, und der Präsident dieses Arbeitgeberverbandes verkündet, dass die Löhne eigentlich gar nicht hoch genug sein können.
Daraufhin will die Gegenseite eine eigene Gewerkschaft gründen. Deren Arbeitnehmer verkünden dann, dass die Löhne gar nicht niedrig genug sein können. Das ist doch pervers. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir stoppen müssen. Darüber müssen wir diskutieren.
Ich verstehe diese Diskussion nicht. Herr Barthel, das, was Sie und Ihre Kollegen hier gesagt haben, ist nicht logisch. Vor dem Parteitag ist das vielleicht taktisch. Sie haben gesagt, dass bei den Briefzustellern Mindestlöhne erforderlich sind. Warum soll das nicht - das wäre nur konsequent - auch für sämtliche Zeitungszusteller gelten? Wenn Mindestlöhne in diesem Bereich erforderlich sind, warum wollen Sie dann die Zeitungszusteller herausnehmen? Sie wollen sie nur herausnehmen, damit der Vertrag von den Zahlen her genehmigungsfähig ist.
Das zweite Argument in diesem Zusammenhang ist, dass hier die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband, mit dem Monopolisten Post, einen Vertrag geschlossen hat. Ich will ausnahmsweise einen Punkt aufgreifen, den Herr Gysi genannt hat. Ich verstehe nicht, warum ostdeutsche Unternehmen auf Basis ihrer Löhne nicht in Westdeutschland als Konkurrenz auf dem Markt auftreten sollen. Warum macht man das?
Wir müssen über verschiedene Aspekte dieses Tarifvertrages reden. Uns muss es darum gehen - dieser Auftrag ergibt sich aus dem Postgesetz -, für diesen neuen Wettbewerbsbereich hinsichtlich sozialer Mindeststandards gemeinsam eine saubere Lösung zu finden, die Wettbewerb ermöglicht und Dumpinglöhne verhindert. Herr Müntefering, ich denke, Sie hatten vor dem SPD-Parteitag viel zu tun. Nach dem Parteitag sollten Sie aber, wenn Sie an einer schnellen Lösung interessiert sind, alle Beteiligten - wie auch immer - an einen Tisch holen und eine Lösung für die Probleme dieses neuen Wettbewerbssektors finden. Die Arbeitnehmer müssen geschützt werden, und wir müssen die Diskussion über Mindestlöhne und das Entsendegesetz auf einer sauberen vertraglichen Grundlage, wie zwischen uns vereinbart, weiterführen können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6735 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick begeht heute seinen 50. Geburtstag. Das kommt auch bei anderen gelegentlich vor, aber dass er seinen Geburtstag im Plenum des Deutschen Bundestages beginnt, spricht für sein Stilempfinden, was die angemessenen Rahmenbedingungen einer solchen Geburtstagsfeier angeht. Ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des ganzen Hauses.
Sie haben ja begründete Aussicht, dass aus Anlass Ihres Geburtstages heute eine Massenveranstaltung auf die nächste folgt, sodass ich zuversichtlich bin, dass Sie diesen Tag in besonders lebhafter Erinnerung behalten werden.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 19 a bis 19 f:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit - Gutes Leben
Initiative für eine gerechte Arbeitswelt
- Drucksache 16/6698 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern
- Drucksache 16/4909 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung bei der Deutschen Telekom AG
- Drucksache 16/5677 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Soziale Sicherung verbessern - Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung verhindern
- Drucksache 16/5809 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängern
- Drucksachen 16/3538, 16/5685 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes
- Drucksachen 16/2080, 16/5813 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache eine Stunde andauern. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche hat der Deutsche Bundestag über die Entwicklung der Beschäftigung diskutiert. Die regierenden Koalitionsparteien waren ganz stolz auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes und haben darauf hingewiesen, dass von ehemals 5 Millionen Arbeitslosen nur noch 3,5 Millionen Arbeitslose übrig geblieben seien
und dass insofern alles zum Besten stehe.
Natürlich wird jeder bei der ersten Betrachtung sagen: Es ist gut, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt und neue Arbeitsplätze entstehen. Aber bei der zweiten Betrachtung muss man fragen: Welche Arbeit ist eigentlich entstanden? In dieser Situation ist es gut, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund ein Thema gesetzt hat, das wir gerne aufgreifen. Das Thema lautet: ?Gute Arbeit“. Die Frage, die wir zu beantworten haben, ist, ob der Stolz, den Sie hier aufgrund der Entwicklung des Arbeitsmarktes gezeigt haben, berechtigt ist, ob Sie also in den letzten Jahren gute Arbeit organisiert haben. Leider fällt an dieser Stelle die Antwort äußerst negativ aus. Es ist zwar richtig, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind, aber es ist leider so, dass immer schlechtere Arbeitsplätze entstanden sind.
Sie sind schlecht bezahlt und befristet; es handelt sich um Leiharbeit usw.
Dies ist eine ganz negative Entwicklung in unserer Gesellschaft. Da Sie dem, wenn ein Abgeordneter der Linken so etwas sagt, sicherlich wenig Gewicht beimessen, möchte ich jetzt eine Autorität zitieren, bei der Sie es vielleicht schwer haben, zu widersprechen. Insbesondere Sie von den christlich-demokratischen Parteien haben in den letzten Jahren in großem Umfang prekäre Arbeit organisiert.
Papst Benedikt XVI. hat sich kürzlich zu diesen Arbeitsverhältnissen geäußert. Er hat sie als eine Bedrohung für die Gesellschaft bezeichnet. In einer Botschaft an die italienischen Katholiken zählte er instabile Beschäftigungsverhältnisse zu den ethischen und sozialen Notständen, wie in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera berichtet wird. Diese Entwicklung beeinträchtige den gesellschaftlichen Zusammenhalt; denn sie erlaube jungen Menschen nicht, eine Familie zu gründen.
Das ist der eigentliche Skandal der schlechten Arbeit, für den die große Mehrheit dieses Hauses die Verantwortung trägt. Uns ist völlig unverständlich, was es da zu feixen gibt. Das ist auch der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande völlig unverständlich.
Die schlechte Arbeit, die Sie organisiert haben, hat einen Namen. Das sind Mini- und Midijobs. Von ihnen kann man nicht leben. Das sind Niedriglöhne, die sich immer weiter ausbreiten. Von niedrigen Löhnen in Deutschland kann man nicht leben. Das Bedauerliche daran ist, dass 70 Prozent dieser Arbeitsplätze Frauenarbeitsplätze sind. Was soll das Gerede über die Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft, solange wir immer noch diesen gesellschaftlichen Skandal haben?
Schlechte Arbeitsplätze sind 1-Euro-Jobs, auf die viele ja noch stolz waren. Sie haben immer wieder darauf verwiesen, dass sie eine gute Lösung seien für Menschen, die arbeitslos sind. Sie fänden so eine Gelegenheit, in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Schlechte Arbeit sind befristete Arbeitsplätze, für die Sie in großem Umfang aufgrund Ihrer fehlerhaften Entscheidungen in den letzten Jahren gesorgt haben. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass der Papst völlig recht hat. Sie sind verantwortlich dafür, dass das Familienleben in Deutschland zerstört wurde, dass junge Menschen sich nicht mehr entschließen können, Kinder zu bekommen, weil die finanziellen und materiellen Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind.
Wer nicht weiß, ob er in einigen Monaten noch Geld auf dem Konto hat, würde verantwortungslos handeln, wenn er eine Familie gründen und Kinder in die Welt setzen würde. Das ist der Zusammenhang. Mit dieser Tatsache müssen Sie sich konfrontieren. Ich sage auch hier: Ihr Feixen ist an dieser Stelle völlig unverständlich. Man hat die Vermutung, dass Sie gar nicht mehr nachempfinden, was schlechte Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft für viele Familien bedeuten.
Schlechte Arbeitsplätze sind auch Leiharbeitsplätze. Wir reden nun schon seit Jahren über die negative Entwicklung bei den Leiharbeitsplätzen - nichts ist geregelt worden. Die vielen Beschlüsse auf Parteitagen ändern an dem Sachverhalt überhaupt nichts: Leiharbeitsplätze bringen es mit sich, dass Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit wie andere Arbeitnehmer leisten, mit der Hälfte des Lohns jener zufrieden sein müssen, mit einem Lohn, der kaum die Existenz sichert. Schaffen Sie endlich diese skandalösen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ab, und reden Sie nicht über gute Arbeit!
Der Zwang zu schlechter Arbeit ist durch Hartz IV begründet worden. Jeder, der heute die Agenda 2010 rechtfertigt, jeder, der auf Hartz IV noch stolz ist, sollte sich schämen, wenn er von guter Arbeit spricht. Er sollte sich wirklich schämen, weil er überhaupt nichts, aber auch wirklich nichts verstanden hat.
Hartz IV brachte schlicht und einfach den Zwang mit sich, jede Arbeit anzunehmen, sei sie auch noch so schlecht bezahlt
und sei sie auch überhaupt nicht mehr in Übereinstimmung mit der Qualifikation desjenigen, der diese Arbeit annehmen muss. Hartz IV ist nicht nur Armut per Gesetz, sondern auch Demütigung per Gesetz!
Eine demokratische Gesellschaft sollte niemanden demütigen.
Sie haben den Weg zur schlechten Arbeit auch noch gepflastert, indem Sie in großem Umfang Privatisierungen durchgeführt haben. Davon war ja bereits die Rede. Haben Sie sich überhaupt einmal - ich greife die Debatte von vorhin auf - angeschaut, was sich zum Beispiel im Arbeitsleben der Beschäftigten der Post verändert hat? Der Briefträger war früher eine Institution im Dorf bzw. auf dem Lande. Dem Briefträger kam in manchen Dörfern eine solche Rolle zu, dass er im Ansehen gleich nach dem Lehrer und dem Pfarrer stand. Heute haben Sie nur noch gehetzte Beschäftigte, die schlecht bezahlt werden und nicht mehr wissen, wie sie ihre Arbeit überhaupt noch bewältigen sollen. Das haben Sie alle mit Ihrem Privatisierungswahn angerichtet, und Sie haben immer noch nicht begriffen, was der zur Folge hat.
Ein anderes Beispiel: Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der Löhne bei den Beschäftigten der Bahn, auch die der Lokführer - jawohl! -, und die Entwicklung der Bezüge beim Bahnvorstand an. Dann sehen Sie, was Privatisierung heißt. Warum lernen Sie nicht daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Eine Folge davon ist auch, dass jetzt 2,6 Millionen Kinder in Armut leben. Das ist nämlich eine Folge dieser negativen Entwicklung zu schlechten Löhnen und schlechter Arbeit. Eine weitere Folge ist, dass diejenigen, die niedrige Löhne haben, eine Rente in Höhe von nur 39 Prozent ihrer Bruttolöhne erwarten können. Das alles haben Sie angerichtet. Es ist zwar gut, wenn im SPD-Grundsatzprogramm jetzt der schöne Satz steht: ?… nicht jede Arbeit ist gute Arbeit.“ Es ist zwar gut, wenn eine Partei sich auf Werte bezieht und sich sogar christlich nennt, aber es wäre doch, wenn die Soziallehre der Kirche eindeutig sagt, dass eine entsprechende materielle Absicherung da sein muss, um entsprechende Lebensbedingungen für Familien zu schaffen, und dass Arbeitsplätze angeboten werden müssen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, an der Zeit, dass christliche Politiker hieraus Konsequenzen ziehen.
Es tut mir leid, aber es muss gesagt werden: Sie waren in den letzten Jahren eine Versammlung zur Organisierung von schlechter Arbeit und zur Zerstörung der Familienverhältnisse.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Gitta Connemann ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Sie sahen gerade eine weitere Folge aus der Staffel unserer beliebten Telenovela ?Oskar - Wege zum Glück“ bzw. ?Verwirrt in Berlin“.
In den Hauptrollen sehen Sie neben Oskar Lafontaine und Gregor Gysi Charakterdarsteller wie Katja Kipping.
Es erwarten Sie Pathos, Leidenschaft und das wohlige Gefühl der Wiederholung. Das Drehbuch der linken Fraktion verblüfft einmal mehr durch große Worte und dramatische Inhalte. Lassen Sie sich weiter überraschen! - Klappe.
Meine Damen und Herren von der Linken, es wirkt wie eine Seifenoper, wenn man wie Sie den Deutschen Bundestag Woche um Woche durch Massenanträge - heute sind es gleich sechs an der Zahl - als Bühne instrumentalisiert.
Viel Masse, wenig Klasse, immer getreu dem Motto: Einmal Vollwaschgang für die Volkswirtschaft. - Und das immer wieder aufs Neue. Blendend daran sind nur die Überschriften wie ?Gute Arbeit - Gutes Leben“. Das ist Politik für den Boulevard, Herr Kollege Lafontaine.
Es geht Ihnen nicht um Wirksamkeit, sondern lediglich um Wirkung. Die Inhalte Ihrer Anträge sind deshalb handwerklich lieblos und beliebig; siehe nur die Höhe des Mindestlohns: Heute zeigt Ihr Mindestlohn-DAX 8,44 Euro an. Dieser kann sich aber täglich ändern. So jedenfalls zeigen es Ihre Anträge in der vergangenen Zeit; es gab eigentlich fast keine Zahl, die Sie nicht schon vertreten hätten.
Zugespitzt sind lediglich die Begrifflichkeiten, mit denen Sie arbeiten, polemisieren und ausgrenzen. Da gibt es neue Wortschöpfungen wie ?Solo-Selbstständige“, und es ist von befristeten und deshalb prekären Arbeitsverhältnissen die Rede. Meine Damen und Herren von der Linken, wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich tagtäglich um ihren Lebensunterhalt bemühen, als Prekariat zu verunglimpfen?
Niemand, insbesondere nicht Ihre Wähler; denn diese haben Sie beauftragt, nicht zu polemisieren, sondern Sachpolitik zu machen. Ihr Politikgebaren, meine Damen und Herren von der Linken, ist Auftragsverweigerung an Ihren Wählern.
Wie wenig es Ihnen um objektive Darstellung und wie sehr nur um politische Meinungsmache geht, mache ich an einem einzigen Beispiel aus Ihren Anträgen deutlich, über das sich auch schon mein Vorredner ereifert hat: dem Thema Zeitarbeit. Sie wird von Ihnen als atypische Beschäftigung diffamiert, durch die - ich zitiere - ?sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt, Standards unterlaufen und so Kosten gespart werden“.
Die Zahlen belegen, meine Damen und Herren von der Linken, dass Sie die Tatsachen verdrehen.
Durch Zeitarbeit entstehen Chancen.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren zwei Drittel - genau 68 Prozent - der Zeitarbeitnehmer, die im Jahre 2006 neu eingestellt wurden, vor ihrer Beschäftigung arbeitslos. Jetzt stehen sie bei einem Arbeitgeber in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, lediglich mit wechselnden Arbeitsorten. Die Zeitarbeit ist ein Sprungbrett. Jeder dritte Zeitarbeitnehmer wird von einem Entleiher übernommen. Damit hat die Zeitarbeit erheblich zum Aufschwung beigetragen.
Lassen Sie mich auch mit folgender Mär aufräumen: Zeitarbeit ist für einen Entleiher nicht günstiger. Die Kosten für ein entleihendes Unternehmen werden immer höher sein, da zu den Personalbestellungskosten noch die Verwaltungskosten für die Zeitarbeitsfirma hinzukommen. Aber die Zeitarbeit gibt Entleihern die so dringend erforderliche Flexibilität. In keiner anderen Branche sind deshalb so viele neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden, und zwar mit tarifentlohnter Bezahlung. Es gibt keine andere Branche, in der die Tarifbindung so hoch wie im Bereich der Zeitarbeit ist. Auch dies müssen Sie zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren von der Linken.
Rund ein Viertel der neuen Vollzeitstellen geht auf die Einstellungen von Zeitarbeitsunternehmen zurück. Die Branche leistet vor allem mit der Qualifizierung im Rahmen der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit. Ich weiß, dass dies in Ihr Schwarz-Weiß-Gemälde nicht passt und in Ihr Gut-und-böse-Drama keinen Eingang finden darf. Dies zeigt einmal mehr, dass Sie sich mit Realitäten in den Betrieben nicht auseinandersetzen. Informierten Sie sich, wüssten Sie, dass in dieser Branche ab August nächsten Jahres ein neuer Ausbildungsberuf in Form des Personaldienstleistungskaufmanns angeboten wird und dass im Falle der Zulassung von Verbundausbildung weitere neue Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten. Auch in Zukunft kann die Zeitarbeit ein Beschäftigungsmotor sein, wenn die Politik nicht Sand ins Getriebe streut, wie Sie es wollen, meine Damen und Herren von der Linken.
Politik gestaltet. Dass sie dies mit Erfolg tun kann, zeigt die Bilanz am Arbeitsmarkt. Im September war die Arbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Es gibt 1 Million weniger arbeitslose Menschen als vor zwei Jahren und fast 700 000 weniger als vor einem Jahr. Gerade unter 25-Jährige und über 50-Jährige konnten den Weg zurück in Arbeit finden. Über zwei Drittel der 55- bis 59-Jährigen sind wieder in Beschäftigung.
Hinzu kommt, dass es 1 Million offene Stellen gibt und dass der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit einen Überschuss von mehr als 11 Milliarden Euro ausweist. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Hier können wir zu Recht sagen: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, wird uns auch im Jahresgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigt. Auch 2008 wird ein Jahr des Aufschwungs sein. Die Chancen, die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen zu senken, sind gut. Wir müssen sie nutzen.
Eines dürfen wir allerdings nicht tun: den eingeschlagenen Kurs verlassen. Genau darauf zielen aber die vorliegenden Anträge. Sie sind eine Rolle rückwärts. Ihre Anträge beinhalten wieder einmal die stereotype Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren von der Linken, das Ausmaß der sozialen Gerechtigkeit lässt sich nicht am Umfang sozialer Leistungen festmachen, sondern an größerer Teilhabe an Bildung, Ausbildung und Arbeit. Die Schaffung besserer Beschäftigungschancen für ältere Menschen ist gerechter als Frühverrentung, und die stärkere Befähigung zur Selbsthilfe ist gerechter als die Zahlung höherer staatlicher Transfers.
Das oberste Ziel der schwarz-roten Bundesregierung ist und bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie ist nach wie vor zu hoch; auch hier sind wir uns einig. Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit, und wir dürfen nicht vergessen: Hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal. Mehr als die Hälfte davon sind Geringqualifizierte: Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung und damit zuhauf ohne Perspektive. Wenn wir diesen Menschen wirklich helfen wollen, müssen wir am Kurs des Förderns und Forderns festhalten.
Wir fördern übrigens auch im Rahmen des neuen Haushalts, indem wir den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro mehr an Eingliederungsmitteln zur Verfügung stellen, und das bei einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 1 Million. Wir erkennen, dass die Qualifizierung und Vermittlung der jetzt noch Arbeitslosen natürlich schwieriger ist, weil sie es mit mehr Problemen und größeren Hemmnissen zu tun haben. Wir stehen gerade bei den Menschen in der Pflicht, die bemüht sind. Ihnen muss geholfen werden, zum Beispiel durch Qualifikation.
Wir müssen aber auch die Fragen, die sie haben, beantworten. Manche dieser Menschen leben im ländlichen Raum und fragen sich: Wie komme ich an einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, wenn mir der öffentliche Personennahverkehr keine ausreichenden Möglichkeiten bietet? Das sind Probleme, die vor allem in ländlichen Regionen, auch in meiner Heimat, bestehen. Hier muss der Gesetzgeber entsprechende Möglichkeiten schaffen.
So wie wir unsere Pflicht tun, müssen auch die Leistungsempfänger ihren Beitrag leisten. Manchmal bedarf es dafür auch Sanktionen. Darauf zu verzichten oder das Zumutbarkeitserfordernis zu begrenzen, würde die Arbeitsanreize vermindern. Das wäre ein vollkommen falsches Signal; denn wir haben erlebt, dass insbesondere diese Mittel für den Erfolg am Arbeitsmarkt gesorgt haben.
Das wäre gerade für diejenigen das falsche Signal, die die Steuermittel erwirtschaften. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen endlich wieder den Eindruck haben, dass sich Arbeit lohnt. Zurzeit ächzen sie unter der Steuer- und Abgabenlast; das ist unstrittig. Deswegen gehen viele Menschen im Rahmen eines 400-Euro-Jobs - Sie wollen ja, dass diese Jobs abgeschafft werden - einer Nebenbeschäftigung nach; der Reiz besteht hier in der Sozialabgabenfreiheit.
Der Aufschwung, den wir erleben, ist das Gemeinschaftswerk der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Betriebe und der richtigen Politik. Insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen an diesem Aufschwung beteiligt werden. Die Teilhabe daran steht ihnen zu. Deshalb werden wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent senken.
Allein dieser Schritt hat eine Erhöhung der Kaufkraft in einer Größenordnung von mehr als 21 Milliarden Euro zur Folge. Keinen einzigen dieser Wege geht die Linke mit. Statt die Lohnnebenkosten zu senken, macht sie sich lieber stark für populäre Sozialtransfers, auch wenn die letztlich zulasten der Arbeitnehmer und des Arbeitsmarktes gehen. Die Spendierhosen anziehen, ohne dass das gegenfinanziert ist - dafür sind wir nicht zu haben. Denn eines dürfen wir bei allen Erfolgen nicht vergessen: Der Staat braucht Ausgabendisziplin. Das können die nachfolgenden Generationen von uns erwarten, ja verlangen. Das gilt ebenso für Investitionen in Bildung - die wir vornehmen werden -; denn sie sind die Basis für das Wachstum und den Wohlstand von morgen und übermorgen.
Mit Ihren Anträgen leisten Sie dazu keinen Beitrag. Deshalb werden wir sie ablehnen. So wie Sie es in Ihren Anträgen fordern, funktioniert es nicht. Der Weg zum Glück ist nun einmal mühsam und arbeitsintensiv, und es ist notwendig, diesen mühsamen Weg zu gehen; denn wir befinden uns im Bundestag eben nicht in einer Seifenoper.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Karin Binder.
Karin Binder (DIE LINKE):
Frau Kollegin Connemann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Leiharbeitsfirmen Beschäftigte zum Teil um ein Drittel niedrigere Löhne und Gehälter beziehen als Menschen, die dieselbe Tätigkeit verrichten, aber zur so genannten Stammbelegschaft gehören? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die so genannten Stammbelegschaften von den Arbeitgebern dank dieser Lohndumpingpolitik ständig reduziert werden?
Die dadurch erzeugte Arbeitslosigkeit führt dazu, dass sich die Lohndumpingspirale weiterdreht; denn wenn sich die Menschen in diese Leiharbeitsverhältnisse begeben müssen, führt das, weil sie ihren Lebensstandard drastisch senken müssen, zu Kaufkraftverlusten etc. Diese Lohndumpingpolitik, die von Ihnen mithilfe der Leiharbeitsfirmen betrieben wird, senkt die Standards aller Menschen in diesem Land. Nicht nur die Löhne und Gehälter, auch die Arbeitsbedingungen sind davon betroffen, zum Beispiel die Arbeitszeit.
Sind Sie sich darüber im Klaren, dass die Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungen, die ?Lohnnebenkosten“, wie Sie sie ständig bezeichnen, Lohnbestandteile sind, die, weil das Geld angeblich nicht da sei, seit Jahren zulasten der Beschäftigten gesenkt werden, wodurch ihr Anspruch auf Leistungen reduziert wird?
Das sind die Konsequenzen der Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Begreifen Sie endlich, dass es sich um Lohnbestandteile handelt!
Ferner habe ich die große Bitte an Sie, sich unseren Antrag wirklich anzuschauen, sich mit unseren Forderungen zu beschäftigen und zu registrieren, dass Finanzierungsvorschläge damit verbunden sind.
Ich danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Frau Connemann. Bitte schön.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Nein, Frau Kollegin.
Sie haben mich gefragt, ob ich mich mit Ihren Anträgen auseinandergesetzt habe. Leider muss ich das Woche für Woche tun, weil Sie uns mit einer Masse von Anträgen überziehen. Mir ist einmal mehr aufgefallen, dass es in Ihren Anträgen enorme inhaltliche Ungenauigkeiten gibt. Da widerspricht der eine Antrag dem anderen. Sie haben, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sechs Anträge vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Anträge selbst gelesen haben. Sie würden schon - darauf habe ich bereits hingewiesen - einen Beitrag zur Verbesserung Ihrer Anträge leisten, wenn Sie sich auf ein einziges Mindestlohnniveau verständigen könnten; das nur als kleinen Rat.
Im Übrigen muss ich sagen, dass mir natürlich klar ist, dass Ihnen die Zahlen, die belegen, dass die Zeitarbeit nicht das ist, als das Sie sie hinzustellen versuchen, nämlich als das Schmuddelkind einer Branche, nicht passen. Aber ich empfehle Ihnen sehr, sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen.
Dann werden Sie sehen, dass ein Zeitarbeitsunternehmen mit einem Zeitarbeitnehmer einen ganz normalen Arbeitsvertrag abschließt, der zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis führt. Das ist eben anders als in den anderen europäischen Ländern, wo es das Prinzip der Agenturverträge gibt, sodass dort tatsächlich ein Hopping von Zeitarbeitnehmern stattfindet. Gerade dagegen hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden.
Das hat auch die jetzt erfolgte Anhörung auf EU-Ebene zur Vorbereitung von Regelungen für die Zeitarbeit gezeigt, sodass es in Deutschland keinen Handlungsbedarf gibt. Der soziale Standard und der Schutz von Zeitarbeitnehmern sind in keinem Land Europas so hoch wie bei uns. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen - vor allen Dingen liebe Kollegin Binder, die sich hier gerade abwendet! Ich habe mich auch der Mühe unterzogen, alle sechs Anträge von Ihnen zu lesen, die Sie heute vorgelegt haben. Ich komme zu dem Ergebnis: So viel blauäugige Weltverbesserung war nie.
Wir haben hier in den letzten Jahren zwar schon einiges von der Fraktion Die Linke präsentiert bekommen, aber in der heutigen massierten Form habe ich das, wie ich feststellen muss, noch nicht erlebt, Herr Kollege Dreibus. Es heißt zwar so schön ?Honi soit qui mal y pense“, also ein Schuft, wer Böses dabei denkt, aber ich werde gleichwohl das Gefühl nicht ganz los, dass das etwas mit dem bevorstehenden SPD-Parteitag zu tun hat.
Es soll Druck auf die SPD ausgeübt werden. Nach dem Umschwenken der SPD bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I scheint jetzt mehr, wenn nicht alles möglich. Das muss man hier auch an die Adresse der Koalitionäre sagen.
Kurt Beck und Angela Merkel haben sich vielleicht gedacht, dass mit ein wenig Nachgeben beim Arbeitslosengeld I der Spuk vorbei sei.
Das war es wohl nicht, Herr Brandner. Die Liste der Wünsche ist lang. Sie reicht von der Leiharbeit über die geringfügige Beschäftigung und die Ausweitung des Kündigungsschutzes bis hin zum Mindestlohn,
frei nach dem Motto: Anything goes, alles ist möglich. Geld spielt keine Rolle.
Bei der Lektüre der Anträge und vor allen Dingen des zusammenfassenden Antrags zur guten Arbeit,
die Sie formuliert haben, lässt erneut - ich muss das so sagen - Pipi Langstrumpf grüßen: Ich mache mir die Welt, wiediewiediewie sie mir gefällt.
Ich könnte meine Rede abkürzen,
indem ich kurz und bündig feststelle: Die FDP vertritt bei allem, was die Linken fordern, die genau entgegengesetzte Position.
Herr Kollege Lafontaine, Sie haben hier die Zeitarbeit verteufelt, indem Sie sagen, dass, wenn jemand befristet beschäftigt ist, er keine Perspektive mehr hat, Kinder zu bekommen. Wenn das, was Sie sagen, richtig wäre, dann dürften sich in Deutschland nur noch Beamte fortpflanzen,
weil jedem Arbeitnehmer beispielsweise durch den Konkurs des eigenen Arbeitgebers ein solches Schicksal drohen kann.
Um das hier auch deutlich zu sagen: Ich finde, ein befristeter Arbeitsplatz in einem Zeitarbeitsunternehmen ist allemal besser als unbefristete Arbeitslosigkeit. Das sollten wir hier auch gemeinsam feststellen.
Ich muss sagen: Bei dem, was ich gelesen habe, drängen sich mir schon einige Fragen auf. Was gute Arbeit ist, lässt sich am Ende Ihres Antrags ja nachlesen: Das ist ein unbefristeter, sicherer - gemeint ist: unkündbarer - Arbeitsplatz mit einem verlässlichen und sicheren Einkommen.
Mal ehrlich: Wer von uns würde sich das nicht wünschen?
Deswegen sehe ich die Strategen der SPD, Kurt Beck, Andrea Nahles und andere, schon darüber grübeln, wie man jetzt auch hier der Linken das Wasser abgraben kann.
Dem Vernehmen nach soll es in Hamburg ja auch schon einen Antrag ?Gute Arbeit“ geben. Auch die CDU wird bei dem Gedanken, die SPD könne in der öffentlichen Wahrnehmung sozialer erscheinen als sie selbst, bestimmt schon wieder ganz unruhig.
Allerdings fehlt in dem Antrag der Linken das entscheidende Kapitel: Wer stellt die guten Arbeitsplätze zur Verfügung,
und warum tut er oder sie das eigentlich? Das müssen ja in jedem Fall ganz besondere Arbeitgeber sein, Arbeitgeber neuen Typs, denen die Nächstenliebe über jede Form von Gewinnstreben - in Ihrem Jargon: Profitgier - geht. Das sind Menschen mit hoffentlich viel Kapital bzw. viel Liquidität; denn sie zahlen ja nicht nur überdurchschnittlich hohe Löhne, sondern sie entlassen die Arbeitnehmer im Falle eines Rückganges der Geschäftstätigkeit auch nicht mehr, und sie verlängern weder deren Arbeitszeit noch kürzen sie deren Lohn. Neue Arbeitgeber braucht das Land also. Die Linken werden sicherlich auch diese Lücke in ihrer Programmatik noch schließen. Notfalls springt eben der Staat ein.
Die DDR lässt grüßen. Sie feiert fröhliche Urständ. Aber dieses Experiment ist schon einmal gescheitert, und wir wollen uns nicht erneut darauf einlassen.
Denn das ist das Problem, Herr Kollege Lafontaine: Wenn es am Ende allen gleich gut gehen soll, wie es Ihren Vorstellungen entspricht, dann wird es am Ende allen gleich schlecht gehen.
Das ist die Erfahrung, die wir aus der DDR mitgenommen haben. Darum kann es uns nicht gehen.
Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, kann ich nur kurz anreißen: Was passiert eigentlich, wenn jemand keine gute Arbeit hat? Nach den von Ihnen vorgelegten Zahlen haben nur 12 Prozent der Menschen eine gute Arbeit.
54 Prozent sind in mittelmäßigen und 34 Prozent in schlechten Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Kann man es diesen Menschen noch zumuten, morgens zur Arbeit zu gehen? Muss der Staat nicht ersatzweise eintreten und für das Auskommen dieser Menschen sorgen?
Was Sie vorgelegt haben, enthält so viele Ungereimtheiten, dass man es nicht mittragen kann. Ihre Anträge ignorieren von vorne bis hinten ökonomische Gesetzmäßigkeiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Sie sind zum Scheitern verurteilt, wie schon zuvor die DDR zum Scheitern verurteilt war, weil sie glaubte, solche Gesetzmäßigkeiten vernachlässigen zu können.
Ich bin am Ende meiner Redezeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Längst.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Darauf wird mich der Präsident jetzt hinweisen. - Selbst wenn Sie sie noch so massiert einbringen, werden Ihre Anträge nicht besser. Sie müssen von uns konsequent abgelehnt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
Andrea Nahles (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeit gehört zum menschenwürdigen Leben, aber sie muss auch menschenwürdig sein. Nicht jede Arbeit in Deutschland ist gute Arbeit. Gute Arbeit bedeutet für uns Sozialdemokraten Arbeit, die gerecht entlohnt ist, die nicht krank macht, die Anerkennung für das bietet, was geschaffen wird, und die vor allem die eingebrachte Qualifikation erhält und weiter ausbaut.
Gute Arbeit ist durchaus auch selbstständige Arbeit. Sie kann auch ehrenamtlich motiviert sein. Gute Arbeit ist jede Arbeit, das heißt auch jede einfache Tätigkeit. Ich denke dabei an Toni Schaaf, der früher die Müllmänner vertreten hat. Das ist für mich genauso gute Arbeit wie die der Krankenschwester oder des Ingenieurs. Das verdient Anerkennung und Respekt.
Wir haben an dieser Stelle aber festzuhalten, dass nicht das sozial ist, was Arbeit schafft; es muss noch etwas dazukommen: Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Sie sollten bei Ihrem Bild der Zeitarbeit auf den Weichzeichner verzichten, Frau Connemann.
Ich kenne einen Frank Winkler, der bei BMW als Zeitarbeiter beschäftigt ist und für dieselbe taktgebundene harte Arbeit 1 263 Euro verdient, für die sein Kollege nebenan das Doppelte bekommt. Das ist auf Dauer nicht in Ordnung.
Frank Winkler wird nicht über die Personalabteilung beschäftigt, sondern über den Materialeinkauf. Wenn Menschen so zu Ware werden, dann stimmt in diesem Land etwas nicht.
Deswegen sagen wir klipp und klar: Wir haben damals - übrigens zusammen mit Frank Bsirske von Verdi und mit Jürgen Peters - verstärkt Leiharbeit ermöglicht, weil sie durchaus ein sinnvolles Instrument ist, wenn es darum geht, Auftragsspitzen abzudecken. Ich bin nicht prinzipiell dagegen.
Wir haben damals eine Equal-Pay-Regelung vereinbart, die in der Praxis aber nicht funktioniert, weil durch so genannte christliche Gewerkschaften systematisch Dumpingtarifverträge angeboten werden, die die Equal-Pay-Regelung unterlaufen.
Deswegen brauchen wir - das betone ich - eine Equal-Pay-Regelung ohne Ausnahme der christlichen Gewerkschaften.
Es kann aber dieser Großen Koalition wahrlich nicht vorgeworfen werden - wie es heute Morgen der Fall war -, wir hätten das Ziel der guten Arbeit nicht im Blick. Wenn seit letztem Jahr 550 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden sind, dann ist das ein richtiger Schritt in Richtung guter Arbeit. Das ist unsere gemeinsame Leistung, die wir in der Großen Koalition zusammen mit den Unternehmen und den Arbeitnehmern in diesem Land erbracht haben.
Ich glaube, wir brauchen auch eine Debatte darüber, wie es um die Leistungsverdichtung bei denjenigen, die Arbeit haben, in unserem Lande bestellt ist. Wir haben nicht nur über diejenigen zu reden, die keine Arbeit haben - das ist schlimm genug, und dafür müssen wir noch mehr tun -,
sondern wir müssen auch über diejenigen reden, die in Arbeit sind und deren Arbeitsbedingungen sich durch zusätzliche unbezahlte Überstunden, durch Leistungsverdichtung und Produktivitätssteigerungen verändert haben.
Ich sehe Arbeitszeit immer auch in Korrelation zu Lebenszeit. Gute Arbeit ist das eine und gutes Leben das andere. Das gehört für uns zusammen. Deswegen brauchen wir zum Beispiel auch Pflegezeiten, damit man zehn Tage Auszeit nehmen kann und Zeit zur Pflege von Angehörigen hat.
Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum der Koalitionspartner an dieser Stelle einfach dicht gemacht hat und diese Forderung abgelehnt hat. Das ist nicht anständig.
Es müssen eben Arbeits- und Lebenszeit miteinander verbunden werden. Insoweit hoffe ich an dieser Stelle doch noch auf Besserung.
Wenn es richtig ist, was wir alle festgehalten haben, nämlich dass wir mehr tun müssen, um die Qualität von Arbeit in das Zentrum zu rücken, dann ist aus meiner Sicht die DGB-Kampagne die richtige. Aber ich möchte noch eine andere erwähnen. Sie ist von der IG Metall in Nordrhein-Westfalen aufgelegt worden und hieß ?besser statt billiger“. Aus dieser Idee - ?besser statt billiger“ - speist sich im Kern eigentlich ganz klar das, was in Deutschland unsere Stärke ist. Wir sind ein Hochlohnland. Wir werden es nur bleiben - mit hohen Löhnen, mit fairen Arbeitsbedingungen, mit guter Arbeit, mit Arbeit, die nicht krank macht -, wenn wir es tatsächlich schaffen, auch in Zukunft besser ausgebildete Facharbeitskräfte im eigenen Land zu haben.
Deswegen dürfen wir auch nicht einfach sagen: ?Scheunentor auf, jetzt kommen die Facharbeiter aus den anderen Ländern, die dort ausgebildet worden sind“, sondern wir müssen durch mehr Investition in Bildung unsere eigenen Potenziale bis auf den letzten Mann und die letzte Maus nutzen, damit wir an dieser Stelle die Zukunft nicht verpassen und das Hochlohnland Deutschland und damit auch gute Arbeit absichern können.
Letzter Punkt. Bei den Anträgen, die hier heute diskutiert werden, habe ich mich wirklich darüber geärgert, dass ein Antrag den Appell enthält, die Sozialdemokratie soll sich doch bitte einmal um Kündigungsschutz kümmern. - Keine Sorge, der ist bei uns in guten Händen; der ist bei der Sozialdemokratie in guten Händen. Am Kündigungsschutz wird auch in der Großen Koalition nicht gerüttelt, auch wenn das einige hier im Saal anders sehen.
Zu guter Arbeit gehört für uns Sozialdemokraten ganz elementar: Teilhabe am Haben und Sagen, Mitbestimmung. Deswegen wünsche ich mir, dass Betriebsräte in diesem Land noch mehr Initiativrechte bekommen, um etwas gegen Leiharbeit tun zu können, aber auch mehr Initiativrechte bekommen, um in den Betrieben zum Beispiel mehr für eine qualifizierte Weiterbildung gerade auch von Älteren tun zu können, als es derzeit möglich ist. Wir haben in diesen Tagen einen Bericht vorgelegt, in dem wir sagen, was wir tun können, damit Ältere tatsächlich lange fit und gut ausgebildet im Erwerbsleben bleiben. Auch an dieser Stelle ist es ein Schwerpunkt, die Weiterbildungsoptionen in unserem Land zu verbessern.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Nahles, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Andrea Nahles (SPD):
Ich kann das leider nicht tun; denn ich habe eine Verabredung in Hamburg.
Ich muss jetzt leider Schluss machen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.
Gute Arbeit ist für mich ein gutes Anliegen. Wenn es dafür in diesem Land breite Unterstützung von Gewerkschaften und anderen gibt, dann ist uns das sehr willkommen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das begeistert Sie doch sicherlich, Herr Brauksiepe, nicht wahr?
Herr Lafontaine, wenn ich das richtig sehe, haben Sie die Inhalte der Anträge Ihrer Fraktion in der Broschüre mit dem Titel ?Manifest für gute Arbeit“ zusammengefasst und sie der Presse vorgestellt. Sie sind, als Sie in grauer Vorzeit saarländischer Ministerpräsident waren - lang ist’s her -, wegen Ihres Führungsstils als Napoleon von der Saar bezeichnet worden. Ich finde, der versuchte Rollentausch vom Kaiser zum Karl will Ihnen nicht so richtig gelingen. Das liegt nicht nur an der fehlenden Lockenpracht, Herr Lafontaine.
Sie von der Linken weisen zu Recht auf die Zunahme der Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse hin. Das will ich hier deutlich sagen, Frau Connemann. Es gibt unbestritten Fehlentwicklungen und Missbräuche, die wir dringend bekämpfen müssen. Das Problem ist aber, dass Sie es sich zu einfach machen. Ihre Ideen sind nicht mächtig, sondern zielen leider mächtig an den Zielen vorbei, die wir eigentlich gemeinsam verfolgen sollten. Sie reagieren auf die Probleme von heute im Wesentlichen mit Lösungen von gestern,
auch wenn Sie behaupten, Ihr Zurück sei eigentlich ein Vorwärts. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Gefühl für die Richtung vollständig verloren gegangen ist.
Das ist in zweifacher Hinsicht problematisch. Sie versprechen den Menschen etwas, was Sie garantiert nicht halten können. Überall dort, wo Sie in der Regierungsverantwortung sind, beweisen Sie, dass Sie Ihre Versprechen nicht halten können.
Das ist der Grund dafür, dass diejenigen, die von der Linken bzw. der PDS in der Regierungsverantwortung sind, über den Populismus, den Sie, wo Sie gehen und stehen, betreiben, so verzweifelt sind. Sie erwecken Illusionen, denen Sie nicht ansatzweise gerecht werden. Herr Lafontaine, Opposition ist aber noch kein Freibrief für Verantwortungslosigkeit. Enttäuschung und fortgesetzter Vertrauensverlust sind bei Ihrer Politik vorprogrammiert.
Sie verweigern sich den Lösungen, mit denen wir tatsächlich mehr Sicherheit und mehr Gerechtigkeit für die Menschen schaffen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dafür brauchen wir jeden Bündnispartner. Schade, dass Sie nicht dabei sein wollen.
Ich will die Herausforderungen und ein paar Lösungsansätze an einigen Beispielen deutlich machen. Nehmen wir einmal das Arbeitslosengeld. Ja, es gibt hier Handlungsbedarf. Aber es geht nicht um eine Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I für Ältere. Was uns umtreibt und womit Sie sich eigentlich beschäftigen müssten, ist die Tatsache, dass die Zahl unsteter Erwerbsverläufe sowie Projekt- und Saisonarbeit zunehmen und dass viele Menschen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aufgrund der kurzen Einzahlungsdauer nichts herausbekommen. Das müssen wir verändern.
Natürlich können wir versuchen, die Arbeit zu normieren. Aber das wird leider nichts ändern. Wir müssen vielmehr die Sicherungssysteme den veränderten Arbeitsbedingungen und den Herausforderungen, denen die Menschen gegenüberstehen, anpassen.
Ich nehme die Leiharbeit als weiteres Beispiel. Ich gebe Ihnen recht: Es gibt Unternehmen, die die Leiharbeit als Lohndrückerei und für den Ersatz regulärer Arbeitsplätze missbrauchen. Frau Connemann, es ist nicht richtig, dass Sie das alles ignorieren und gesundbeten. Es gibt hier Probleme. Aber Zeitarbeit ist erwiesenermaßen - das können Sie nicht leugnen - auch eine Brücke für Arbeitslose in den Erwerbsarbeitsmarkt. Also müssen wir versuchen, Regelungen zu finden, die den Missbrauch verhindern und gleichzeitig die Brücke zur Beschäftigung nicht abreißen.
Aber was machen Sie? ?Hau weg den Scheiß“ ist Ihre Parole. Aber damit kommen wir leider nicht voran. Damit schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.
Nehmen wir die Minijobs als Beispiel. Ich finde, diese Beschäftigungsverhältnisse gehören abgeschafft. Arbeit darf nicht länger an unseren sozialen Sicherungssystemen - mit fatalen Folgen für die Beschäftigten - vorbei organisiert werden. Aber einfach abschaffen ist eben nicht genug, weil wir für diese Menschen andere Bedingungen schaffen müssen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit diese Arbeitsplätze nicht einfach verschwinden, sondern unter anderen und besseren Bedingungen bestehen bleiben können.
Auch dafür haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, nämlich das Progressivmodell, das dieser Herausforderung gerecht wird.
Beispiel Mindestlohn: Ja - das haben wir vorhin hier diskutiert -, wir sind ausdrücklich für einen Mindestlohn in allen Branchen. Aber wenn wir es so machen würden, wie Sie es wollen, nämlich einen Lohn für alle - Herr Gysi, Sie haben darauf hingewiesen -, dann hätten wir in der Postbranche niemals einen Mindestlohn von 9 Euro oder 9,80 Euro, wobei ich übrigens Ihre Kritik an unterschiedlichen Mindestlöhnen in Ost und West teile. Das ist auch aus meiner Sicht nicht richtig. Ich glaube, Sie kriegen das Problem dann in den Griff, wenn Sie branchenspezifische Mindestlöhne einführen. Dann können Sie den jeweiligen Bedingungen gerecht werden.
- Darunter brauchen wir eine Marge, unter die keiner fallen darf.
Das ist leider nicht richtig.
Wir haben tatsächlich viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Das lässt sich überhaupt nicht bestreiten. Aber durch das Herbeireden der guten alten Zeit lassen die sich leider nicht lösen. Wir brauchen differenzierte Antworten. Wir müssen nach vorne schauen. Es nützt nichts, die Räder einfach zurückzudrehen. Ich kann Sie, Herr Lafontaine, nur auffordern: Machen Sie sich auf von den Höhen der postsozialistischen Rhetorik in die Niederungen und Mühen der Wirklichkeit. Dann lässt sich außer Parolen etwas schaffen, nämlich Sicherheit und Arbeit. Das wollen wir.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erhält der Kollege Paul Lehrieder das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch an unsere Kollegen von der Linksfraktion.
Mit Ihrem Fahrplan in die schöne neue Arbeitswelt haben Sie bewiesen, dass Sie fleißig sein können. All Ihre früheren Anträge haben Sie zu einem einzigen ?Worst-of“ zusammengefasst. So viel Service hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ihre gute Arbeit führt allerdings nicht zu gutem Leben, sondern direkt in die Sackgasse.
Qualität steht nicht in Ihrem Antrag, sondern auf einem anderen Blatt. Auf dem finden Sie die Vorstellungen und Beschlüsse der Großen Koalition. Die Überschriften Ihrer Anträge und Entwürfe hören sich ganz vielversprechend an: ?Initiative für eine gerechte Arbeitswelt“, ?Soziale Sicherung verbessern“, ?Stärkung des Kündigungsschutzes“ etc. etc. Wer aber weiterliest, weiß spätestens nach dem zweiten Satz: Wenn wahr wird, was Sie wollen, sind Berufstätige und Arbeitslose von guter Arbeit in einer gerechten Welt so weit entfernt, wie Sie, liebe Kollegen von der Linken, schon jetzt von der Regierungsfähigkeit und Realität entfernt sind.
- Auch Sie haben einmal regiert, aber Sie sind davongelaufen, Herr Lafontaine. - Wenn man das auf die Spitze treibt und Ihre Anträge fortschreibt, dann kommen wir genau zu dem Ergebnis, das gestern Nacht in der Sendung Hart aber fair quasi als Ziel Ihrer Vorschläge gekommen ist: Mehr Sonnenschein für alle. - Eine utopischere Welt als die, die Sie mit diesen Anträgen hier im Hohen Haus erreichen wollen, können Sie gar nicht basteln.
Zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen kann ich mir einige unfreundliche Worte im Detail leider nicht verkneifen. Sehen wir uns nur einmal Ihre Vorstellung zum Mindestlohn an. Wer die Seite drei in Ihrem Antrag ?Gute Arbeit - gutes Leben. Initiative für eine gerechte Arbeitswelt“ liest, weiß, wohin die Reise geht. Noch vor einigen Monaten wollten Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, jetzt sind wir schon bei 8,44 Euro. Damit deutet sich jetzt schon an, was in dem von Ihnen immer wieder gern zitierten Frankreich traurige Realität ist. In den letzten Jahren ist der Mindestlohn dort immer wieder angehoben worden.
Er liegt derzeit, wie von Ihnen erwähnt, bei 8,44 Euro. Da haben Sie recht. Seit 2002 stieg er, auch aufgrund zum Teil populistischer Maßnahmen, auf diese Weise um 20 Prozent. Betriebsgrößen und Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Branchen wurden bei den Anhebungen überhaupt nicht berücksichtigt.
Die Folgen: Vor allem im Niedriglohnsektor wurden viele Arbeitsplätze vernichtet. Unternehmen verlagerten die Fertigung ins Ausland. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt mittlerweise 30 Prozent. Sie ist mitverantwortlich für die Krawalle in den Pariser Vorstädten.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon oft über den gesetzlichen Mindestlohn gesprochen. Dennoch betone ich noch einmal: Eine gesetzliche Lohnuntergrenze in der von Ihnen geforderten Höhe hat das Potenzial, weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten stillzulegen und die Tarifautonomie auszuhebeln. Der Staat kann nicht Ersatz für Tarifparteien sein.
Nach einer Studie des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 7 bis 8 Euro bis zu 60 Prozent der gegenwärtig im Hauptberuf ausgeübten Mini- und Midijobs treffen. Betroffen wären vor allem Frauen, für die ein Minijob bisher eine willkommene Gelegenheit ist, Familie und Beruf zu vereinbaren bzw. einen Hinzuverdienst zu erlangen.
Wir von der Union wollen Minijobs ganz gewiss nicht überprivilegieren; aber wir sind weit davon entfernt, sie zu verteufeln, wie Sie dies in Ihrem Antrag ?Soziale Sicherung verbessern“ tun. Minijobs sind ein wichtiges Ventil für den Arbeitsmarkt und für viele Arbeitnehmer die einzige legale Möglichkeit, ihr Haushaltseinkommen aufzubessern. Unsere Fraktion hat diese Woche begonnen, darüber zu sprechen, wie man die Minijobs rechtlich besser behandeln, das heißt auf eine vernünftige rechtliche Basis stellen kann. Stichwort: Haushalt als Arbeitgeber.
Auch Ihre Position zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz läuft ins Leere. ?Ab dem ersten Tag gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ klingt natürlich erst einmal gut. Sie müssen aber bedenken: Es handelt sich hier um eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein großer Teil derjenigen, die vermittelt werden, sind Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Wozu würde die Umsetzung Ihres Vorschlags führen? Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose hätten künftig überhaupt nicht mehr die Chance, über Arbeitnehmerüberlassung einen festen Job zu bekommen. Frau Kollegin Connemann hat bereits kompetent und zutreffend darauf hingewiesen: Jährlich werden etwa 30 Prozent aller Mitarbeiter - das entspricht etwa 200 000 Mitarbeitern aus der Leiharbeit - in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Geringqualifizierte würden kaum mehr in die Zeitarbeit vermittelt werden, sondern nur noch Hochqualifizierte und Facharbeitskräfte; alle anderen fielen aus dem Markt heraus.
Sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei, zu den von Ihnen in diesem Zusammenhang angegriffenen abweichenden Tarifverträgen nur so viel: Die am 1. April 2004 eingeführte Neuregelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit der Möglichkeit des Abschlusses abweichender Tarifverträge bietet gerade die Chance, die Rahmenbedingungen in der Leiharbeit im Spannungsverhältnis zwischen Arbeitnehmerschutz und wirtschaftlicher Notwendigkeit sozial ausgewogen zu gestalten. Dies zeigen die bislang erfolgten Tarifabschlüsse, die hinsichtlich des Arbeitsentgeltes sowohl dem Entleiher als auch dem Verleiher hinreichend flexiblen Spielraum und dem Arbeitgeber Flexibilität bei kurzfristigen Auftragsüberhängen einräumen.
Zum nächsten Punkt: Kündigungsschutz. Sicherlich ist die Weiterentwicklung des Kündigungsschutzrechtes erforderlich; schließlich handelt es sich derzeit zum Teil um reines Richterrecht, das für die Beschäftigten und die Arbeitgeber nicht immer Rechtssicherheit bietet. Der Kündigungsschutz muss die Schutzfunktion des Arbeitsverhältnisses nachhaltig sichern, darf aber andererseits keine Hürde für Neueinstellungen, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, darstellen.
Aber genau das wäre der Fall, wenn Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei, Ihre Vorstellungen auch nur annähernd realisieren würden. Sie wollen jede ordentliche Kündigungsmöglichkeit ab einem Alter von 55 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren ausschließen. In der Praxis bedeutet das für einen Kleinbetrieb, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr möglich sein werden und der Zusammenbruch des Unternehmens in vielen Fällen unausweichlich sein wird. Würde ein über 45-Jähriger dann überhaupt noch eingestellt? Vielleicht könnte diese Frage ein Arbeitgeber aus den Reihen der Linken beantworten - wenn es denn einen gäbe. Ich weiß nicht, ob ein Mitglied Ihrer Fraktion Arbeitgeber ist. Offensichtlich nicht, sonst käme von Ihnen nicht so viel unausgegorenes Zeug.
Die Linkspartei lädt den Kündigungsschutz ideologisch auf und stellt ihn auf einen Sockel aus falschen Sicherheiten. Sie will den Status quo nur einmauern, und sie will Stellschrauben, die helfen würden, auf Veränderungen am Arbeitsmarkt flexibel zu reagieren, gleich mit einbetonieren. Ihre Forderungen nach mehr Kündigungsschutz, liebe Kollegen von der Linksfraktion, zielen auf Besitzstandswahrung nur für Arbeitsplatzbesitzer, lassen neue Arbeitsplätze aber sicher nicht mehr zu.
Zum Jugendarbeitsschutz. Liebe Kollegen von der Linken, in Ihrem Antrag ?Gute Arbeit - Gutes Leben“ fordern Sie auch, das Jugendarbeitsschutzgesetz in seinem Geltungsbereich auf junge Auszubildende bis 21 Jahre auszuweiten. Ein 16-jähriger Jugendlicher dürfte dann, statt bisher zwei Jahre bis zum 18. Lebensjahr, bis zum 21. Lebensjahr nicht mehr als acht Stunden täglich und nur an fünf Tagen in der Woche arbeiten. Drei Jahre länger dürfte er in den meisten Branchen weder in der Nachtzeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens noch am Wochenende arbeiten. Drei Jahre länger müssten Haupt- und Realschüler warten, bis sie sozusagen als fertige Berufstätige gelten. Sie hätten dann gegenüber Abiturienten kaum noch Chancen.
Eigentlich möchte ich noch einige Punkte ansprechen, aber aus Zeitgründen muss ich zum Ende kommen.
Die derzeit gute Konjunktur ist kein Ding der Ewigkeit. Auch deshalb muss es unser wichtigstes Ziel sein, die Arbeitslosigkeit gerade Älterer dauerhaft zurückzudrängen, und zwar mit den richtigen Mitteln. Anträge, die dermaßen populistisch an der Realität vorbeigehen, haben nur ein Votum verdient: Ablehnung.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Katja Mast von der SPD-Fraktion.
Katja Mast (SPD):
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unrealistische Versprechen helfen überhaupt nichts. Mit möglichst radikalen Forderungen kann man viel Papier beschreiben. Das haben die Jusos auf ihrem Bundeskongress 1996 von Oskar Lafontaine erfahren,
und da hat er recht. Das ist das Problem Ihrer Anträge, über die wir heute diskutieren. Fordern ist schön, aber wenn man nichts umsetzen will, ist das so überflüssig wie ein Kropf.
Dass Sie nicht regieren wollen, sagen Ihre Parteivorderen in letzter Zeit erschreckend häufig. Gestern Morgen sagte Ihr Vorsitzender Lothar Bisky im Deutschlandfunk:
Wir werden sicher die Wahlen 2009 ... mit einem klaren oppositionellen Profil angehen.
Ihr Bundesvorstandsmitglied Gehrcke hat am Wochenende in Baden-Württemberg klargemacht, dass die Partei bei der nächsten Bundestagswahl keine Regierungsbeteiligung anstreben sollte.
Das macht doch eines klar: Sie von der Partei, die sich derzeit Die Linke nennt, wollen nicht regieren. Sie fordern, was das Zeug hält. Sie wollen keine Verantwortung.
So sind auch Ihre Anträge geschrieben.
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die zwar das Blaue vom Himmel versprechen, aber nichts in die Tat umsetzen wollen?
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die fordern, ohne Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen?
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die jede Woche eine andere Position vertreten?
Sie wollen nicht regieren. Wir Sozialdemokraten schon.
Nicht Forderungen verändern die Welt, sondern Verantwortung und Taten.
Sie mäkeln immer nur an Einzelpunkten herum. Das Ganze haben Sie nie im Blick.
Sonst würden Ihre Anträge nämlich damit beginnen, was sich am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren alles Positives getan hat, beispielsweise beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Immerhin sind es 1 Million Arbeitslose weniger als vor zwei Jahren. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ist seit 1998 von knapp 38 Prozent auf rund 52 Prozent gestiegen. Zu nennen ist auch das Ende der Frühverrentungspraxis.
Das gleiche Bild zeigt sich beim Ausbildungsmarkt: deutlich mehr gemeldete Lehrstellen, deutliche Zuwächse bei der Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge in Industrie, Handel und Handwerk, 40 Prozent weniger unvermittelte Bewerber als im Vorjahr. Wenn man das Positive nennt, kann man auch besser darauf hinweisen, was noch nicht so gut läuft. Dafür brauchen wir Sie aber nicht.
Der Aufschwung ist da. Wir sorgen dafür, dass er bei allen ankommt. Den Mindestlohn setzen wir ohne Sie durch. Das wissen auch die 200 000 Beschäftigten der Postdienste. Wir sorgen dafür, dass der Kündigungsschutz bleibt. Wir stehen an der Seite der Arbeitnehmer, wenn es darum geht, sie an Unternehmensgewinnen zu beteiligen.
Dinge verändern sich nur, wenn man bei einer Strategie bleibt und anerkennt, was ist. Beides tun Sie nicht. Heute beraten wir Anträge von Ihnen, die nichts miteinander zu tun haben. In einem Antrag wird ein Mindestlohn von 8 Euro gefordert, in einem anderen schlagen Sie mal einfach so fast einen halben Euro drauf. Eine seriöse Begründung? Fehlanzeige! Das ist beliebige Politik. Aber ich vergaß: Sie wollen ja auch gar nicht regieren. Sie akzeptieren nicht, was ist.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine solidarische Risikoversicherung
wie die Brandschutzversicherung. Brennt das Haus heute, bekomme ich aus meinem gestern abgeschlossenen Vertrag die volle Leistung.
Das ist Solidarität im Sinne der Sozialdemokraten.
Sie sind da der CDU näher - frei nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist für jeden gesorgt. Das ist Ellbogengesellschaft. Sie wollen eine Sparkasse. Wer lange eingezahlt hat, soll auch mehr bekommen, egal welche Chance er oder sie hat, wieder einen Job zu finden. Jürgen Rüttgers lässt grüßen.
Ihre Vorschläge erinnern an die Märchen der Gebrüder Grimm und nicht an die Realpolitik Ferdinand Lassalles, August Bebels oder Willy Brandts. Ich bleibe dabei: Sie fordern und wollen nicht gestalten, Sie reden und wollen nicht verändern, Sie schreiben Anträge und wollen nicht regieren.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Mast, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Katja Mast (SPD):
Da ich jetzt noch sieben Sekunden Redezeit habe, kann er anschließend etwas sagen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Sie erlauben sie also nicht?
Katja Mast (SPD):
Richtig.
Lassen Sie mich mit Ferdinand Lassalle schließen:
Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Ernst.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Meine Damen und Herren! Nachdem ich wegen einer dringenden Reise schon von Frau Nahles abgewiesen wurde, möchte ich meiner Vorrednerin sagen: Ich habe den Eindruck, dass der Antrag nicht gelesen wurde. Im Antrag steht nichts über unsere Regierungsfähigkeit oder Nichtregierungsfähigkeit. Vielmehr stehen dort konkrete Punkte, konkrete Vorschläge für Verbesserungen, die die Arbeitnehmer erwarten.
Kann ich Ihre Ausführungen so werten, dass Sie die Zustände am Arbeitsmarkt - Leiharbeit ersetzt normale, unbefristete Beschäftigung und führt inzwischen dazu, dass selbst Ferienarbeiter, um billigere Löhne durchzusetzen, nicht mehr direkt in Unternehmen eingestellt werden, sondern als Leiharbeiter, mit dem Ergebnis eines um zwei Euro niedrigeren Lohnes - akzeptieren? Von Ihnen, werte Kollegin Mast, habe ich überhaupt nichts dazu gehört, sondern eher den Eindruck gewonnen, dass Sie mit diesen Verhältnissen am Arbeitsmarkt einverstanden sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frage beantworten würden.
Ich habe den Eindruck, dass es in Ihrer Fraktion durchaus den einen oder anderen gibt, der das anders sieht. Bei Ihnen habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie damit einverstanden sind, wie Sie, die Sozialdemokratische Partei, zusammen mit den Grünen und jetzt mit der CDU/CSU den Arbeitsmarkt gestaltet haben. All das, was gegenwärtig teilweise von Vertretern Ihrer Fraktion kritisiert wird - die Verhältnisse bei der Leiharbeit und der Befristung -, haben Sie selbst mit Ihrer eigenen Politik herbeigeführt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Mast zur Erwiderung. Bitte schön.
Katja Mast (SPD):
Lieber Kollege Ernst, wenn Sie Dinge in meine Aussagen hineininterpretieren, ist das zunächst einmal Ihr Problem.
Zweitens. Sie sind darauf eingegangen, dass ich betont habe, Sie wollten nicht regieren. Man kann es auch so interpretieren, dass sie sich nicht zu Ihrer Regierungsfähigkeit äußern. Ich finde, ich muss dazu weiter nichts sagen.
Drittens. Meine Kollegin Andrea Nahles hat für die gesamte SPD-Bundestagsfraktion ausreichend Stellung zum Thema Leiharbeit bezogen. Damit will ich es an dieser Stelle bewenden lassen, um den Tag nicht unnötig zu verlängern.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein von der FDP-Fraktion.
Heinz-Peter Haustein (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war 1986 in einem volkseigenen Betrieb der DDR. Ich bin zum Betriebsleiter gegangen und habe gesagt: Genosse Betriebsleiter, ich mache mich selbstständig; ich kündige, ich höre auf. Da hielt er mir einen Vortrag über Marxismus-Leninismus und sagte zum Schluss: Haustein, das ist ein gesellschaftlicher Rückschritt; es wird bald kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr geben.
Beim Lesen Ihrer Anträge bin ich daran erinnert worden und habe mir gedacht: Sie leben immer noch in dieser Scheinwelt.
Sie denken, wir haben immer noch volkseigene Betriebe.
Sie knüpfen mit Ihrer Beschreibung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem, an den Klassenkampf an. Die Zeit ist aber vorbei, Herr Lafontaine.
Wir haben nicht mehr den Manchester-Kapitalismus. Wir haben eine soziale Marktwirtschaft.
Wer das nicht glaubt, sollte sich einmal die Zahlen anschauen: Wir geben 50 Prozent unseres Haushaltes für Soziales aus, über alle Haushalte in diesem Land verteilt 686 Milliarden Euro.
Trotzdem wird so getan, als sei dies ein unsoziales Land. Dem ist nicht so.
Sie fangen an, die Arbeitgeber in die Ecke zu stellen: Das sind die Bösen, die Ausbeuter, die Schlechten. Aber die Arbeitgeber übernehmen Verantwortung und laufen nicht weg. Sie kämpfen darum, dass es Arbeit gibt und dass der Lohn gezahlt werden kann. Sie arbeiten auch gerne einmal 60 Stunden in der Woche und verzichten auf Urlaub. Wenn es darauf ankommt, verpfänden sie ihr Haus, ihren Hof und ihre eigene Großmutter für einen Kredit.
Das alles machen Arbeitgeber, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Arbeitgeber haben längst erkannt, dass die Arbeitnehmer das Kapital der Unternehmen sind. Niemand will seine Arbeitnehmer schlecht behandeln.
Es ist ein Miteinander. Das weiß heute jeder moderne Arbeitgeber. Das ist Fakt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Heinz-Peter Haustein (FDP):
Selbstverständlich.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Gysi.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Erstens. Herr Kollege Haustein, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass uns zumindest in den neuen Bundesländern deutlich mehr Unternehmerinnen und Unternehmer wählen als die FDP und dass das vielleicht Gründe hat?
Zweitens. Sie bewundern die Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich sage Ihnen aber, Sie unterschätzen die Tatsache, dass diese soziale Gerechtigkeit und damit Kaufkraft der Menschen brauchen.
Ansonsten können ihre Unternehmen nicht existieren.
Jetzt zu meiner eigentlichen Frage an Sie. Sie sagen, es sei alles sozial gerecht. Stimmen Sie mir zu, dass es in Deutschland 2,5 Millionen arme Kinder, 7,4 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben, 5 Millionen Menschen in Mini- und Midijobs, 1,2 Millionen Vollbeschäftigte, die noch Hartz IV beantragen müssen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, und 800 000 Menschen in Leiharbeit gibt?
Würden Sie sagen, dass das sozial gerecht ist?
Heinz-Peter Haustein (FDP):
Herr Gysi, ich stimme Ihnen nicht zu, weil Sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Sie erzählen nämlich nur das eine, das andere aber nicht. Sie reißen Fakten aus dem Zusammenhang heraus.
Natürlich ist jedes System zu verbessern. Daran arbeiten wir. Wenn die FDP an der Regierung ist, wird es auch besser werden.
Kommen wir jetzt zu den einzelnen Punkten. Sie reden vom Kündigungsschutz und suggerieren den Menschen, ein sicherer Arbeitsplatz sei wichtig. Das stimmt. Aber was kann ein Unternehmer tun? Wenn er viele Aufträge hat, muss er Leute einstellen. Wenn er das Auftragsvolumen nicht mehr halten kann, dann muss er die Zahl der Beschäftigten dieser Situation anpassen; denn sonst würde er das gesamte Unternehmen gefährden, und alle würden ihre Arbeit verlieren.
Das trifft auch auf die Telekom zu. Auch sie muss reagieren und sich dem weltweiten Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung stellen. Wir müssen reagieren. Es ist doch kein böser Wille, wenn man Leute entlässt. Die Unternehmer sind doch froh, wenn sie Facharbeiter und Experten in ihren Betrieben haben. Das ist eine Tatsache.
Sie bewirken mit Ihren Anträgen das Gegenteil dessen, was Sie vielleicht wollen. Die Menschen in diesem Lande begreifen, dass Sie nur verschleiern und Versprechungen machen, die Sie nicht halten können.
Sehen Sie das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern! Dazwischen stehen noch die Gewerkschaften, die ebenfalls wichtig sind. Hören Sie auf, mit Klassenkampf die Marx’sche Theorie wiederzubeleben!
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller von der SPD-Fraktion.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gute Arbeit, gutes Leben: Wer möchte das nicht? Wer Politik macht, so empfiehlt schon Aristoteles, sollte den möglichen Staat im Auge haben, nicht den besten. Denn dieser führe, so sagt er, in die Tyrannei.
Handlungsfähige Politik entsteht, wenn man verantwortungsvoll mit widerstreitenden Interessen umgeht. Doch das Maß des Möglichen und Machbaren finde ich in dem Kaleidoskop Ihrer Anträge, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken, nicht.
Das überrascht allerdings auch nicht. Denn klar ist, dass eine politische Kraft Ihrer Art einen riesigen Abstand aufweist zwischen dem politisch Geforderten einerseits und der Realpolitik, die Sie gelegentlich verantworten, andererseits. Nirgends ist diese Differenz größer als bei Ihnen.
Ich finde den Begriff Talkshow-Sozialismus, den ich heute in der Süddeutschen Zeitung las, zutreffend. Sie gehören zu einer Gruppe der Anscheinerwecker, die von sich sagen: Wir sind die Guten, aber die anderen lassen uns nicht. Wir würden alles richtig machen, aber die anderen hindern uns daran. Mit uns gäbe es gute Arbeit und ein gutes Leben,
aber die anderen wollen euch das vorenthalten.
Ich kann nur sagen: Dies sind die Botschaften hinter Ihren Anträgen und Debattenbeiträgen. An diesem Kurs wollen Sie festhalten.
Das mag zwar Ihr Recht sein, gut ist es aber nicht. Denn verhindern können auch Sie nicht, dass immer mehr zutage tritt, dass Sie kneifen, wenn es um die faktische Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen geht.
So unterscheiden sich Protestlinke von Gestaltungslinken; auch das habe ich gerne übernommen.
Beispiel Arbeitsmarktpolitik - denn darum scheint es Ihnen ja heute zu gehen -: Wir geben jungen Menschen die Hilfen, die sie brauchen, um einen besseren Einstieg in die Arbeitswelt hinzubekommen.
Sie lehnen das ab. Wir fördern mit dem Programm ?50 plus“ ältere Arbeitnehmer. Sie lehnen das ab. Wir geben Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen erstmals eine Chance auf Beschäftigung - sozialversicherungspflichtig und mit Tariflohn. Wir sagen: Das ist eine Jobperspektive. Sie lehnen das ab. Das ist die Wirklichkeit, in der Sie Politik machen. Was ist das für eine Botschaft für Arbeitssuchende? Sie stellen Ihre politischen Ansprüche höher als die Sorgen der Menschen. Das unterscheidet Sie von den Sozialdemokraten.
Beispiel gute Arbeit: Zu Recht stellen wir dies in den Mittelpunkt der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch dieser Legislaturperiode. Zu Recht wird dies eine große Rolle auf unserem Parteitag spielen. Aber um das Ziel ?gute Arbeit“ zu erreichen, bedarf es harter Arbeit in der Politik. Wir stellen uns dieser Aufgabe; Sie stellen einen Antrag.
Sie von den Linken fordern in diesem Antrag ein neues Leitbild für die Arbeitsmarktpolitik. Was ist das? Die wesentlichen Grundsätze kamen mir extrem bekannt vor. Sie haben erfolgreich von der SPD abgeschrieben; ich finde das in Ordnung. Dabei geht es allerdings nur um die Grundsätze. Denn besser wäre gewesen, Sie hätten weiter abgeschrieben. Dann wären Sie zu Konkretionen gekommen, die eine ordentliche Politikgestaltung möglich machen würden. Aber Sie wären dann - um auf Aristoteles zurückzukommen - gefährlich nahe an das Mögliche in der Politik gekommen.
Wirkliche Sorgen bereitet mir Ihr offenkundig geringes Vertrauen in die Kraft der Tarifvertragsparteien und damit auch in die der Gewerkschaften in Deutschland. Wie ein roter Faden zieht sich das durch Ihre Anträge. Lesen Sie sich diese doch noch einmal durch! Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen weitere staatliche Regelungen, wo sie nötig sind, wie beim Mindestlohn. Aber wir setzen auf starke Gewerkschaften und auf kraftvolle Arbeitnehmervertretungen.
Überlegen Sie sich doch einmal, ob Sie nicht genau dieses Ziel infrage stellen, wenn Sie immer mehr Staat fordern, Herr Lafontaine!
Zurück zu Ihren Anträgen, über die wir gleich abstimmen werden. Politik im Sinne Aristoteles, also die Polis, ist als Ganzes mehr als die Summe ihrer Teile; darin werden Sie mich bestätigen. Sehe ich mir die vorliegenden Anträge an und betrachte sie als Teile, sage ich: Sie haben versucht, Aristoteles zu widerlegen. Bei Ihnen ist die Summe, das Ganze, eben nicht mehr als all das Einzelne. Dies ist ein Ausdruck von Anscheinerweckungspolitik. Das halte ich für sehr schade. Gerade Sie, die dauernd für sich in Anspruch nehmen, sie seien die Einzigen, die das wirkliche Leben kennen würden, haben einen gewaltigen blinden Fleck. Der ist immer da, wo unsere Politik erfolgreich ist. Weil sie erfolgreicher werden wird, wird Ihr Fleck leider immer größer werden.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6698, 16/4909, 16/5677 und 16/5809 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5685, den Antrag der Fraktion die Linke auf Drucksache 16/3538 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5813, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2080 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion die Linke angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1675 mit dem Titel ?Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung stärken“ zu erweitern und als Zusatzpunkt 7 im vereinfachten Verfahren zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 121. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 26. Oktober 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]