123. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns gute Beratungen.
Es gibt eine Reihe von Mitteilungen zu machen, bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten.
Ich beginne mit einer rundum erfreulichen Mitteilung. Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte gestern seinen 70. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich herzlich und wünsche alles Gute.
Die Fraktion der FDP teilt mit, dass der Kollege Christian Ahrendt sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Michael Link (Heilbronn) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Link zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Errichtung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals
- Drucksache 16/6925 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989
- Drucksache 16/6926 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren
- Drucksache 16/6927 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Haltung der Bundesregierung zu den durch die Bundeskartellbehörde festgestellten Preis- und Marktabsprachen der vier großen deutschen Stromkonzerne
(ZP 1 bis ZP 4 siehe 122. Sitzung)
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 42)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5811 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5968 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/6945 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Jüngste Entwicklungen in Pakistan
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose verhindern
- Drucksache 16/6933 -
Beschlussfassung /Überweisung
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung stärken
- Drucksachen 16/1675, 16/6987 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei tierischen Produkten ermöglichen
- Drucksache 16/6944 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren
- Drucksache 16/6943 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen
- Drucksache 16/6894 -
Beschlussfassung/Überweisung
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schnellstmögliche Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen
- Drucksache 16/6932 -
Beschlussfassung/Überweisung
ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 16/6924 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes
- Drucksache 16/5052 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 15 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG
- Drucksache 16/5846 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Telekommunikationsüberwachung (... Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung)
- Drucksache 16/3827 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/6979 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Ne¨kovic
Jerzy Montag
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform der Telefonüberwachung zügig umsetzen
- Drucksachen 16/1421, 16/6979 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Neskovic
Jerzy Montag
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit - Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch beschleunigen
- Drucksache 16/6931 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts
- Drucksache 16/1830 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/6980 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern sozial und verantwortungsbewusst den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen
- Drucksachen 16/891, 16/6980 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk
ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes
- Drucksache 16/1829 -
- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)
- Drucksache 16/5444 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Helga Lopez
Sibylle Laurischk
Jörn Wunderlich
Ekin Deligöz
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/5446 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Dr. Ole Schröder
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36, 38, 39 und 40 werden abgesetzt.
Die Tagesordnungspunkte 24 - hierbei handelt es sich um einen Antrag zur europäischen Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik - und 25 - zweite und dritte Beratung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes - werden getauscht.
Der Tagesordnungspunkt 35 b - zweite und dritte Beratung eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes - soll ohne Debatte abgeschlossen werden.
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Verteidigungsausschuss (12. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG)
- Drucksache 16/3658 -
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgetragenen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das sieht so aus. Dann können wir das als beschlossen festhalten.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/6939 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei einem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanistans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode gekommen sind. Unter den Opfern waren - Sie wissen es - sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl ausspreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wünsche.
Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf einen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelungenes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wiederaufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als 2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die Zuckerfabrik in Baghlan.
Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Ereignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalistischen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt, denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan zu stellen hat.
Bevor Sie es gleich sagen, will ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln.
Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal - damals unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New York und Washington - hier im Deutschen Bundestag ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz aller Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terrorismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist keineswegs gebannt.
Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der Schwerpunkt lag und - das darf ich gerade aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten Tagen sagen - liegt immer stärker auf dem zivilen Wiederaufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungshelfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater, Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz wird inzwischen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt und in gleicher Weise dort umgesetzt.
Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unseres Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engagement neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Polizei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon einmal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausgebaut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000 auf 10 000 halbiert.
Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis nehmen, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Deshalb können wir - auch wenn sich viele das wünschen - auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mission in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwendig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Terrorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter verstärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern - auch mit den USA - prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können.
Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen, an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht. Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unseren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Veränderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten - Sie wissen das - sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich - wir werden darauf achten - konsequent umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv - ich hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afghanistan-Politik; Sie kennen es - lautet, sich weder kopflos rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afghanistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einnehmen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine Überprüfung des Afghanistan Compact - damit meine ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen Anteile - im Rahmen einer Konferenz in Europa - und falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland - in der nächsten Zeit vornehmen.
Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheitsrat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Mandatierung des OEF-Einsatzes - oder zunächst nur Teile davon - durch einen eigenen Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern darüber sprechen - sprechen müssen, meine Damen und Herren.
Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats. Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen, eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu erwirken.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDP-Fraktion.
Birgit Homburger (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dankbar. Die afghanische Regierung und das afghanische Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag verurteilen und mit ihnen trauern.
Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht primär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfassende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absicherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will den Menschen Sand in die Augen streuen.
Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in unseren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanistan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsicherer.
Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt erwarten wir - ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen - von der Bundesregierung, dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Strukturen bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssystemen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen.
Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD in ISAF und OEF zu trennen.
Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum. Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, niemals zulassen dürfen.
Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Bekämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanistans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sagen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz erhebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten? Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen Bund und Ländern geregelt? - Diesen Fragen muss sich die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein. Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das können wir uns nicht erlauben.
In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder der Eindruck erweckt worden, es gebe ein ?gutes“ ISAF-Mandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein ?böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verantwortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und natürlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Umgekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Afghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Aufgaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden bleiben.
Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe. Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Einsätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um zivile Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afghanistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte. So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt. Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Operation Enduring Freedom in vollem Umfang übernommen worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskussion, die hier zu einem Umdenken geführt hat.
Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufgeräumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Soldatinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-geführte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation ?Active Endeavour“ gehört dazu. Diese Einsätze werden kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere was die Operation am Horn von Afrika angeht, die Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt, und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig, wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte.
Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestritten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es jedoch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern.
Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von Anschlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwendig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats.
Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum einen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika; das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rückzugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage. 80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit gewährleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentreten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
Im Rahmen der Operation ?Active Endeavour“ im Mittelmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristischen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort die Seesicherheit.
Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl mit politischen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeilichen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander.
Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnismäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergangenen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zurückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskussion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Afghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so wichtig.
Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämpfung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Personalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auftrag im Mittelmeer im Rahmen von ?Active Endeavour“. Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teilkontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreitkräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransportkräfte und 100 Sanitätern.
Dieses Mandat - das will ich ebenfalls unterstreichen - dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlängerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämpfung dient, zuzustimmen.
Besten Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass der internationale Terrorismus bekämpft werden muss. Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist, den wir dazu beschreiten müssen.
Meine Fraktion bleibt bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel ist, den Terrorismus zu bekämpfen.
Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terrorismus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir bleiben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheitsdiensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege geradezu in unser eigenes Land holen.
Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld bestellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterscheiden. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist.
Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher, ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen Deutschlands war.
Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt und Willy Brandt. Helmut Schmidt sagte vor einigen Tagen in einem Interview - jeder von Ihnen konnte das lesen -:
… dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Verantwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympathisch.
...
Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gegeben. ... Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept, das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht verbietet die militärische Intervention in einem souveränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich auch sein mag.
...
Der Grund für die Intervention war ausschließlich al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakistan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort einmarschieren?
Meine Damen und Herren, bisher stand im Grundsatzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD: ?Krieg darf kein Mittel der Politik sein“. - Das galt viele Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulierung aufgehoben: ?Der Einsatz militärischer Mittel bleibt für uns Ultima Ratio“. Das ist eine grundsätzliche Abkehr von der Politik Willy Brandts,
der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971 sagte:
Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche.
Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist, zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan, von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Taliban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Freitod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat gibt es 200 Fälle pro Jahr.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich in einem Aufsatz:
Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher geworden - sie gelten mittlerweile als Kriegspartei …
Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese sogenannte militärische Mission komplett gescheitert.
Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir bleiben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das falsche Mittel.
Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang ein Markenzeichen Deutschlands war.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der militärischen Absicherung bedürfen und dass internationaler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Vielmehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die militärische Antiterroroperation ?Enduring Freedom“ bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und verantwortbar ist.
Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur Zukunft von ?Enduring Freedom“ zu äußern. Vor allem aber geht es aber darum, wie ?Enduring Freedom“ heute aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten Jahren notorisch nichts.
Zur völkerrechtlichen Legitimation von ?Enduring Freedom“: Vor sechs Jahren wurde nach dem 11. September das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch genommen. Sechs Jahre danach wird - so meinen wir - diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dünner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidigungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zersetzen.
Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ursprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht, ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es nicht.
Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spezialkräfte: Dass ein Großteil von ?Enduring Freedom“ inzwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Ausbildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut. Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbildungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet.
Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation ?Enduring Freedom“ dar. OEF war zunächst zur Vertreibung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhalten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Ausweitung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den ursprünglichen Operationsgebieten von ?Enduring Freedom“ geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeutig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Operationsweise von ?Enduring Freedom“ mit folgenden Worten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum, Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe gnadenlos niedergemacht.
Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über ?Enduring Freedom“ der letzten Tage und Wochen auf der entsprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über 19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbombern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala - manchen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt -: Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begründet, allerdings in den Zusammenhängen von Stammesgesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der Knarre herumläuft, unterscheiden kann.
In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregierung steht folgender Satz: Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung des Landes gelingen. - Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisation von ?Enduring Freedom“ ist äußerst zwiespältig. Militärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich werden dabei - das ist die Botschaft, die wir aus Afghanistan immer wieder hören - fortwährend Köpfe und Herzen der Bevölkerung verloren.
Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen längst kontraproduktiv geworden.
Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindämmung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei. Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deutschen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist.
Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass militärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zuletzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden ist.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant, dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afghanistan stattfindet, wir aber insbesondere - das ist auch nachvollziehbar - über Afghanistan reden. Herr Kollege Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagierter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afghanistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als solcher - ich beziehe mich ebenfalls mit ein - bezeichnen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich begrenzt.
Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bilder verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gegeben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine sehr interessante Untersuchung von kanadischen Instituten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rundfunkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müssen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven entwickelt haben, zu übersehen.
Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Dieses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein Attentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden. Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren Familien sind sehr groß.
Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ihren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin, dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen haben. Ich glaube, dass wir Etliches dazu beigetragen haben und manches - ob Strategiewechsel oder stärkeres ziviles Engagement - mit darauf zurückzuführen ist.
Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanistan diskutiert wird - das übrigens gegenwärtig nicht den großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parlament immer noch erreichen -, dann finde ich es vernünftig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich wird in der Regel immer im November über dieses Mandat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen.
Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Bereich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus größere Anstrengungen unternehmen.
Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz, den europäischen Einsatz und den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist verglichen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich erfahren, dass sich die Europäische Union - das ist gut und richtig - mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Überträgt man das auf Afghanistan, wo dies dringend notwendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister einmal ein Signal dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternommen werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise sogar 300 Ausbilder zu schicken.
Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde. Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf achten - dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse auf -, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine entsprechende Dynamik sorgen.
Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht. Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem 13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck aufforderte - das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt -, endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals - zu Recht - darum gebeten, militärische Präsenz zu zeigen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum Schluss.
Detlef Dzembritzki (SPD):
Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon bemerkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsverantwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat.
- ?Rauswurf“ ist vielleicht sogar die bessere Bezeichnung. - Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurückkehrten - das möge der liebe Gott verhüten -, drehen müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jahren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen! Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung.
Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interessant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hinblick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar: Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Landes. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Afghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Sicherheit unseres Landes.
Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundumschlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Landes vorbei.
Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung, dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn.
Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Lesen.
Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Feigenblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ihren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan aufzubauen.
Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan.
Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung eingegangen und werden auch in Zukunft daran festhalten, Herr Lafontaine.
Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klammern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesserungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau Homburger haben das immer wieder benannt, auch was die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Gegenstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskomponente. Sie umfasst den größten Teil dessen - der Herr Bundesminister hat das benannt -, was unter OEF stattfindet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Beitrag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegentlich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen.
Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaupten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptionen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Parteitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine eigene VN-Resolution zur Operation ?Enduring Freedom“? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen angeht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch einfach zugeben.
Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre, ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man heute besonders auf die Ausbildungskomponente von OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF.
OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen. Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlichkeit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie nicht hinwegreden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):
Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbildungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont, dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein Schwerpunkt der Operation ?Enduring Freedom“.
Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die Resolutionen 1386 ff, 1373, 1368, 1444 - weitere ließen sich nennen - mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertrages verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Nationale Integrationsplan
Neue Wege - Neue Chancen
- Drucksache 16/6281 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich weise schon jetzt darauf hin, dass nach diesem Tagesordnungspunkt, also in etwa 90 Minuten, eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte, sich darauf in der weiteren Zeitplanung einzurichten.
Im Übrigen wäre es schön, wenn diejenigen, die dem nächsten Tagesordnungspunkt nicht folgen können oder wollen, dazu beitragen würden, dass diejenigen, die bleiben oder gerade hinzukommen, mit der notwendigen Aufmerksamkeit der Debatte folgen können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Staatsministerin im Kanzleramt, Frau Professor Böhmer.
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Land leben mehr als 15 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen haben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer Herkunft in unserem Land.
Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationsprobleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht genügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos. Darunter sind viele - viel zu viele - junge Menschen. Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Gesellschaft eine verlorene Generation gibt.
Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln unseres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutschland Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjenigen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert.
Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst. In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte geschehen. Wir binden sie gleichberechtigt ein.
Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatlichen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor allen Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspolitik mitgestaltet.
Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem Land.
Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Integrationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt. Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan zum Ausdruck.
Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonseiten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklärung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, geschieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zusammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein. In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwickelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedingungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen.
Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verordnet und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vorangebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive Bürgergesellschaft.
Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integrationsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zeigen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkreten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bundesregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen eingebracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass Integration in unserem Land vorankommt. All dieses unterstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben. Ich danke ganz besonders der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrationsplan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anregungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Nationalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke ich mich ebenfalls.
Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrationsplan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrationsgipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umsetzung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu verlieren.
Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integrationsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache beherrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten, die unser Land bietet, finden.
Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat gesagt: ?Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Wir wollen helfen, dass diese Grenzen überwunden werden können.
Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein entscheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kindergärten und zur flächendeckenden Durchführung von Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen wichtigen Schritt.
Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integrationskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge, die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind, gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das Angebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt zügig umgesetzt.
Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitgestellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen 155 Millionen Euro zur Verfügung hätten.
Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, bedeutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir haben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Richtung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik daran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich verständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausgeschlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Weichenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenommen haben, so wichtig.
Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Integration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur 30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssituation für Lehrerinnen und Lehrer.
Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fortbildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprachförderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können, dass in jedem Fach - nicht nur in Deutsch - Sprachförderung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kinder verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unserem Land keine Frage der Herkunft sein.
Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrieben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jahren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungssituation nicht so profitiert haben wie die deutschen Jugendlichen.
Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbildungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist. Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländischer Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung stellen. - Die Bundesregierung sorgt mit der Initiative ?Aktiv für Ausbildung“, dem Jobstarter-Programm und der Flankierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die Chancen besser werden.
Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Ausbildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Deshalb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in den Familien - ob das die türkische Familie oder die italienische Familie ist - sagen: Schickt eure Kinder in den Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule und beim Übergang in die Ausbildung! - Wir wollen den Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk ?Bildungspaten“ aufbauen.
Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die ?Charta der Vielfalt“ auf den Weg gebracht.
So haben wir vieles in den Nationalen Integrationsplan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der 400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unserem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine Woche der Integration mit dem Titel ?Wohngemeinschaft Deutschland“. Das kann nicht bedeuten, dass es ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten, füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselseitig Verantwortung zu übernehmen.
Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht lockerlassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird - für ein gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipieren können.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Laurischk für FDP-Fraktion.
Sibylle Laurischk (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Nationalen Integrationsplan haben wir in den vergangenen Monaten schon so manches gehört, aber heute wird zum ersten Mal im Deutschen Bundestag darüber diskutiert. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung sich des Themas annimmt. Wir sind aber skeptisch, ob der Plan auch wirklich zu den Ergebnissen führen wird, die gewünscht sind und die Frau Böhmer gerade vorgetragen hat. Daran wird der Erfolg zu messen sein.
Zu den Problemen mit dem Thema Integration haben wir alle selbst beigetragen - das sollten wir nicht vergessen -; denn wir haben lange die Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein, geleugnet und ignoriert. Lange herrschte die Fehlvorstellung, dass Ausländer wieder in ihre Heimat zurückgehen und Zuwanderer mit deutscher Staatsangehörigkeit ohnehin problemlos dazugehören. Wir haben mangelhafte rechtliche Rahmenbedingungen für Zuwanderung und Integration zu lange nicht wahrgenommen. Außerdem besteht das Problem mangelnder Kommunikation zwischen der deutschen Gesellschaft und den Zugewanderten.
Die FDP-Fraktion hält es insofern für sehr wichtig, dass die Kommunikation mit den Akteuren, die den Integrationsplan aufgestellt haben, gesucht wird. Wir halten es aber für schlecht, dass dies hinter verschlossenen Türen geschieht.
Das Thema Integration geht alle an und muss öffentlich diskutiert werden. Für die FDP-Fraktion ist es inakzeptabel, dass die demokratische Vertretung des Souveräns in diesem Land, der Deutsche Bundestag mit allen Fraktionen, zur Erstellung des Nationalen Integrationsplans nicht eingeladen wurde.
Die Kanzlerin nennt in ihrem Vorwort zu diesem Plan die Integration ?eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit“, welche ?in Zusammenarbeit mit allen staatlichen Ebenen“ umgesetzt werden müsse. Ich frage Sie: Ist der Deutsche Bundestag keine staatliche Ebene? Es gibt die demokratische Tradition in diesem Land, dass politische Entscheidungen von erheblicher Tragweite möglichst fraktionsübergreifend geregelt werden. Die Probleme der Integration werden Deutschland noch Jahrzehnte begleiten, egal welche Regierung dieses Land hat. Politische Einigkeit und damit Sicherheit für alle Bürger und Bürgerinnen wären daher ein vornehmes Ziel von Regierungshandeln gewesen. Dieses wurde leider zugunsten von Gipfeln mit Showeffekten vertan.
Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Am 14. Juli 2006 wurde mit großem Medienauftrieb der erste Integrationsgipfel abgehalten. Der Gipfel dauerte drei Stunden, die Pressekonferenz dazu ungefähr eine Stunde. Die Teilnehmer des Integrationsgipfels hatten eine durchschnittliche Redezeit von knappen zweieinhalb Minuten. Dieser erste Gipfel, auf dem Migranten kaum zu Wort kamen, dauerte gerade einmal doppelt so lange wie die heutige Debatte.
Ist ein Integrationsgipfel also nur eine Abnickveranstaltung der Regierungspolitik ohne Beteiligung des Parlaments, und dient er leider hauptsächlich der Selbstdarstellung von Regierungspolitik mit hübscher Kulisse?
Frau Böhmer, in Ihrer Einleitung zum Integrationsplan stellen Sie zwei Leitlinien und zehn Themenfelder vor, unter denen Bildung und Spracherwerb besondere Bedeutung haben. Dies halten wir für gut und wichtig. Wir haben als FDP-Fraktion ja auch den Antrag zur deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration vorgelegt. Der Erfolg des Integrationsplans wird ganz entscheidend davon abhängen, dass wir es schaffen, alle jungen Menschen, schon die Kinder im Kindergarten, zum deutschen Spracherwerb hinzuführen. Dies gilt nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund; es gilt immer mehr auch - dessen sollten wir uns bewusst sein - für deutsche Kinder.
In den Details bleibt der Plan seltsam vage. Absichtserklärungen sind aufgereiht; die Realisierung der Themenfelder steht in den Sternen. Ich habe es bereits gesagt: Wir werden den Erfolg des Plans an den Ergebnissen messen.
Angesichts der aktuellen Haushaltsdiskussion wird jedoch deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit weiter auseinanderklaffen. Das Familienministerium gibt bisher 66 Millionen Euro per annum für die ?Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer“ aus. Dieser Titel wurde um 58 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro gekürzt. 44 Millionen Euro davon wurden in den Kinder- und Jugendplan in einen neuen Integrationstitel verschoben. Es bleibt eine reale Kürzung um 14 Millionen Euro für die Integration junger Menschen im Haushaltsjahr 2008. Ich finde, hier wird ein falsches Zeichen gesetzt.
Außerdem verkündet die Bundesregierung stolz, dass im Finanzplanungszeitraum 750 Millionen Euro per annum für Maßnahmen der Integration zur Verfügung gestellt würden. Das soll beeindrucken. Prüft man die Zahlen jedoch nach, stellt man fest, dass der Bund künftig keinen Cent mehr - keinen Cent mehr! - für Integration ausgeben wird als bisher.
Meine Damen und Herren von der Koalition, solch eine Effekthascherei ist unaufrichtig und beschämend. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die bisherigen Ausgaben des Bundes für Integration ausreichend sind, sagen Sie das und erwecken Sie nicht den Anschein, dass der Bund demnächst mehr tun würde.
Frau Böhmer, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie die im Zuwanderungsrecht bestehende Einschränkung in Bezug auf Sprachtests für zuwandernde heiratswillige Frauen für richtig halten. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in dieser Debatte gerade nicht das Signal gegeben hätten - Sie haben es heute wiederholt -, dass in dieser Frage ein unterschiedliches Maß angesetzt wird. Wir halten diese Regelung für verfassungswidrig; das haben wir im Rahmen der Zuwanderungsdebatte deutlich gesagt.
Ich möchte darauf hinweisen, dass heute auch ein Entschließungsantrag der Linken vorliegt, in dem, wie ich meine, richtigerweise die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums aus Vertretern aller Fraktionen vorgeschlagen wird, so wie wir für die Einrichtung einer Enquete-Kommission zum Thema Integration werben. Allerdings steht in diesem Entschließungsantrag auch die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Ein solcher ist für die FDP nun wirklich nicht akzeptabel. Mit einem Taschenspielertrick werden wir nicht dazu bewogen, über die Einführung eines Mindestlohns zu diskutieren.
Integration kann nur gelingen, wenn wir alle diese Zielsetzung unbefangen annehmen und wechselweise Wünsche und Erwartungen aussprechen und verstehen. Integration erreicht man nicht durch Unterrichtung von oben nach unten, sondern nur dann, wenn wir nicht mehr ausgrenzen und abspalten. Integration geschieht, wenn wir uns selbst nahe sind und die Angst vor Fremden ablegen. Integration ist möglich, wenn wir integriert handeln - im Deutschen Bundestag und mit allen Bürgern und Bürgerinnen in diesem Land.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion.
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ob der Kollege Koschyk es geahnt hätte: Ich wollte in der Tat mit einem Lob beginnen
und mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion insbesondere bei Staatsministerin Frau Maria Böhmer für die gute Zusammenarbeit im Rahmen der Integrationsfragen bedanken - nicht nur, weil sie aus Rheinland-Pfalz kommt, sondern auch deswegen, weil sie eine wirklich gute Zusammenarbeit praktiziert hat.
Daran anschließend möchte ich sagen: Die in diesem Integrationsplan vorgesehenen Maßnahmen können nur dann gelingen, wenn wir auf allen politischen Ebenen - ob auf Bundes-, Länder- oder kommunaler Ebene - zusammenarbeiten und zu den vereinbarten Zielen stehen. Angesichts der leeren Bundesratsbank zu meiner linken Seite habe ich jedoch Bedenken, ob das Interesse auf der Länderseite so groß ist, wie es dem Thema angemessen wäre.
Die Situation der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten geht eigentlich auf das Jahr 1955 zurück, in dem die ersten ausländischen Arbeitnehmer nach Deutschland gekommen sind. Im Jahre 1964 wurde der einmillionste Arbeitnehmer bzw. Gastarbeiter - es war ein Portugiese - begrüßt. Er bekam ein Begrüßungsgeschenk, ein kleines Moped.
Das Erreichen dieser Zahl wurde allseits als Grund zum Feiern angesehen, bezeugte es doch die Stärke des sogenannten Wirtschaftswunders durch den damit einhergehenden Bedarf an Arbeitskräften. Die Freude bezog sich also durchaus auch auf uns selbst. Den Beteiligten war damals nicht so sehr bewusst, was Max Frisch auf den Punkt bringen sollte:
Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.
Es kamen Menschen - so muss man hinzufügen -, die sich selbst nicht bloß als Gastarbeiter betrachteten, sondern als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einer eigenen Lebensplanung.
Beispielsweise gab es im Jahr 1969 zum ersten Mal einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeit, der Zahlen zur Lage ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland enthielt.
Meine Damen und Herren, der Begriff des ?Gastarbeiters“ war eine Abwandlung des älteren Begriffes des ?Saisonarbeiters“. Der gemeinsame Hintergrund beider Begriffe ist die zeitliche Begrenzung des Arbeitsaufenthaltes, die wie selbstverständlich erwartet wurde.
Die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes in Deutschland wurde im Übrigen nicht nur stillschweigend erwartet, nein, sie wurde vielmehr in den Anwerbeabkommen der ersten Zeit rechtlich verankert. Es war im Grunde genommen ein sogenanntes Rotationsprinzip vorgesehen. Es kamen viele Gastarbeiter zwischen 1955 und 1973.
Auch in der DDR wurden solche Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Man nannte sie ?Vertragsarbeiter“. Sie kamen aus bestimmten Ländern, und ihr Aufenthalt war äußerst restriktiv geregelt. Ein Familiennachzug beispielsweise war nicht möglich.
Meine Damen und Herren, seit den 50er-Jahren sind Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Motiven zu uns gekommen. Darum haben mittlerweile 15 Millionen Menschen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund.
Mit Blick auf diesen Teil unserer Bevölkerung gibt es ein paar Entwicklungen, die uns Sorge machen müssen. Der Anteil derjenigen zwischen 25 und 35 Jahren, die über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen, liegt bei den Personen mit Migrationshintergrund bei 41 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand.
- Das sagen wir gleich. - Die Ausbildungsquote bei den jugendlichen Ausländern ist leider rückläufig. Auch das ist nicht hinnehmbar.
Eine pragmatische Lösung dieser Probleme, die es nicht erst seit kurzem gibt, ist leider dadurch ein Stück verzögert worden, dass lange Zeit in einem bestimmten politischen Raum nicht anerkannt worden ist, dass Deutschland eigentlich ein Einwanderungsland ist.
Mit diesem Problem haben wir zu kämpfen.
Die politische Debatte - lieber Herr Grindel, ich bin dieser Auffassung - wurde nach meinem Dafürhalten lange Zeit mit unnötigem ideologischen Ballast befrachtet, der uns nicht weitergebracht hat. Ich finde, dass wir hier glücklicherweise auf einem besseren Weg sind.
Ich begrüße ausdrücklich, dass wir einen Integrationsgipfel initiiert haben - die SPD-Bundestagsfraktion hat sich da aktiv eingebracht -, dessen Ergebnis wir jetzt in Form des nationalen Aktionsplans sehen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns da aber ein Stück in die Selbstverpflichtung nehmen, damit die gut gemeinten Maßnahmen dann nicht nur in diesem Integrationsplan aufgeschrieben werden.
Vielmehr müssen sie auch umgesetzt werden. Es ist richtig, dass wir dies angehen.
Ich wünsche mir, dass wir uns als Parlament an dem notwendigen Kontrollprozess aktiv beteiligen können. Ich will mich insbesondere bei den Kollegen Bürsch und Veit bedanken, die sich hier aktiv eingebracht haben. Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Sprache und Sprachvermittlung eine ganz wichtige Brücke für das Gelingen der Integration darstellen. Deswegen ist es richtig, darauf den Schwerpunkt zu setzen.
Es wäre auch gut, wenn wir bei den Haushaltsberatungen erreichen könnten, dass auf die 155 Millionen Euro noch etwas draufgepackt wird, um die Sprachkurse noch ein Stück effektiver zu machen.
Was ist darüber hinaus zu tun? Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Bildung. Wir brauchen nicht nur eine qualifizierte Zuwanderung, sondern auch eine Qualifizierung der bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten. Daher ist es richtig und wichtig, auf die Themen Bildung und berufliche Ausbildung besonderes Augenmerk zu legen. Damit komme ich zu den Ländern. Die Länder sind für Bildung und berufliche Ausbildung weitgehend zuständig. Man kann nur hoffen, dass sie diese Forderungen und Maßnahmen durch aktive Politik unterstützen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich will noch auf wenige Punkte zu sprechen kommen, die nach meinem Dafürhalten über diesen Nationalen Integrationsplan hinausreichen und über die wir miteinander diskutieren müssen:
Erstens. Die Einbürgerung ist aus unserer Sicht nicht der Abschluss der Integration, sondern eine wichtige Voraussetzung für ihr Gelingen. Erst die Einbürgerung macht die volle gesellschaftliche und politische Teilhabe möglich. Deshalb sollten wir die Einbürgerungsbedingungen überprüfen und in der Praxis zu Erleichterungen kommen.
Zweitens. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die lange in Deutschland leben, sollten aus den gleichen Gründen das kommunale Wahlrecht erhalten.
Drittens. Wir müssen eine den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft angepasste, also eine herausforderungsgerechte Zuwanderungspolitik entwerfen.
Viertens sollten wir uns noch einmal - ich weiß, dass der eine oder andere darin ein Steckenpferd von Rüdiger Veit oder mir sieht - dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zuwenden und ihn so ausgestalten, dass das Kindeswohl bei der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis stärker in den Vordergrund gerückt wird. Auch das ist eine Maßnahme, die wir angehen wollen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Sevim Dagdelen für die Fraktion Die Linke.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereignissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrations- und Integrationspolitik werden können; denn zum ersten Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemeinsam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Initiativen von hohem Symbolwert.
Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeutlichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Migrations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller in unserem Land lebenden Menschen zu schaffen.
Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Benachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter denen Migranten besonders leiden.
Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirtschaftlichen Sinne.
Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspolitik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land lebenden Menschen.
Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Migranten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsverboten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssystem schützen.
Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffenen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre Integration tagtäglich erschweren.
Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rahmenbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben, kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze und Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die sogenannte Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Ausschluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit verweigerten politischen Teilhabe in einem zentralen Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Einbürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zustand der grundlegenden Ungleichbehandlung und minderer Rechte belassen, und kein Wort über ein sozial höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes dreigliedriges Schulsystem.
Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die unzureichende Integration im Unvermögen und im Unwillen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Migranten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim Fordern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden, bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wissen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern - Zwang und Ausbeutung - war die Politik sehr effizient und erfolgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklärungen.
Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang an war klar: Während die Bundesregierung mit den Organisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässliche und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie, Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln verstehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe in Grundrechte statt Ausbau von Rechten.
Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht, von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem krassen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen sollten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrationsfeindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat genau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlreiche Verbände den Gipfel boykottiert haben?
Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich.
Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel der Integration redet, darf über rechtliche und soziale Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Migranten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert, dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehrheitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen. Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben, müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten.
Die Linke will, dass politische Rechte dort gewährleistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke fordert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungs- und Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des dreigliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächen- und bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots.
Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung. Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.
Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rauben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen.
Ganz besonders fordern wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die dringend erforderliche Förderung und Stärkung der bereits laufenden und bestehenden eigenständigen Integrationsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle vermeintlichen Probleme fast von selbst erledigten.
Am deutlichsten macht sich dies bei der Sprache bemerkbar. Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem Ort zu Ihnen spreche, dann doch nicht deswegen, weil man mich in Sprachkurse gesteckt hätte. Sprache ist Herzenssache.
Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld ermöglicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss.
Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integration, sondern vor allem ihre tägliche Folge.
Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um diese zu überwinden.
Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle Menschen in diesem Land! Und Sie werden erleben, dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen, ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt.
Danke sehr.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Böhmer, ich weiß nicht, ob es Ihrerseits Chuzpe oder Naivität war, die Sie uns hier vorgeführt haben, als Sie den Nationalen Integrationsplan vorgestellt haben. Sie haben darüber geredet, dass der 14. Juli des letzten Jahres ein historisches Datum gewesen sei, weil an diesem Tage der Integrationsgipfel stattgefunden und man sich große Dinge vorgenommen habe. Sie haben in einem Punkt recht: Es war gut, dass man hochrangig angefangen hat. Es war gut, dass sich Vertreter der Ebenen Bund, Länder und Kommunen, des öffentlichen Lebens und der NGOs zusammengesetzt haben. Sie haben an einer Stelle allerdings nicht recht: Dies ist kein historisches Datum. Denn dabei - das sage ich Ihnen klipp und klar - ist wenig bzw. fast gar nichts herausgekommen.
Frau Böhmer, nicht mehr als Absichtserklärungen ist dabei herausgekommen. Schauen wir es uns einmal an! Man hat in großem Stile angefangen, und es gab viele Teilnehmer, aber als Erstes wurden die Mitglieder des Deutschen Bundestages aus den Arbeitsgruppen ausgeladen.
- Doch, das stimmt schon, meine Damen und Herren!
- Ja, vielleicht durften Sie weitermachen, aber andere wurden ausgeladen, Herr Grindel.
- Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es im O-Ton im Ohr.
Hier wird auf hohem Ross geritten, und am Ende kommt - jetzt muss ich einmal vier Punkte nennen - wenig heraus.
Erstens kommen 134 Selbstverpflichtungen der Bundesregierung heraus, bei denen es allein um die Fortführung von Maßnahmen der Vorgängerregierung geht. Mit denen schmücken Sie sich allerdings hier. Es ist also bedeutend weniger.
Es ist ein klarer Fall von Selbstbeweihräucherung: Es sind lauter Kurse, die Sie früher bekämpft haben. Beispielhaft nenne ich den Integrationskurs, das Programm ?Soziale Stadt“, Ganztagsschulprogramme, EQUAL, Xenos und KAUSA. Meine Herren von der CDU, all diese Programme laufen und hätten von den CDU-Ländern von Anfang an viel besser gefördert werden können. Dann hätten Sie sie heute nicht noch einmal als neu verkaufen müssen.
Zweitens. Nun wird über eine Charta der Vielfalt und Ähnliches geredet. Sie können viele Chartas verfassen, aber es reicht nicht, am Ende nur blumige Absichtserklärungen zu machen. Das sieht geradezu putzig aus.
Ich glaube, dass der CDU-Integrationsminister aus NRW vollkommen recht hat. Ich möchte ihn zitieren, weil man es treffender nicht sagen kann. Er hat gesagt: All diese blumigen Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen entziehen sich jeder Evaluierung und unterliegen keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. - Meine Damen und Herren, Programme, von denen man weiß, dass man ihren Erfolg nicht kontrollieren kann, kann auch ich schreiben. Sie bringen aber nichts.
Drittens. Der Integrationsgipfel hat einen zentralen Fehler - darauf haben auch andere schon hingewiesen -: Für die Konservativen endet Integration immer dann, wenn es darum geht, den Migrantinnen und Migranten Rechte zu geben;
das hat meine Vorrednerin bereits angesprochen. In Ihrem gesamten Integrationsplan wird der Zusammenhang zwischen Integration und Rechtssicherheit für die Betroffenen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Zusammenhang ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett ?ausgebürgert“.
Wo steht denn etwas zum Einbürgerungsrecht? Wo steht denn etwas zur Erweiterung der Teilhaberechte? Wir kämpfen seit sehr vielen Jahren für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Migranten. Sie wollen, dass sich die Menschen integrieren und ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagern. Ich frage Sie: Warum erhalten diese Menschen nicht einmal das Wahlrecht auf kommunaler Ebene, um dort teilhaben und mit organisieren zu können?
Integration auf kommunaler Ebene heißt: mit die Verantwortung für das Geldausgeben zu haben. Dabei geht es auch um die Fragen: Wie spricht man die Menschen, auch die in den Problemstadtteilen, an? Wie schafft man dort Frieden, und wie sorgt man für ein Miteinander? Wie engagiert man sich für mehr Bildung? Wie schafft man es, die Communities dazu zu bewegen, miteinander zu reden, zu feiern und gemeinsam Deutsch zu lernen? Vor den Antworten auf diese Fragen haben Sie sich komplett gedrückt. Der Wille und die Fähigkeit zur Integration sind ohne sicheres Aufenthaltsrecht und ohne rechtliche Teilhabe aber nicht zu erwarten.
Am Beispiel der Rütli-Schule wurde es ja deutlich. Die jungen Männer sagen: Ich? Schulabschluss? Wozu denn? Ich kriege doch nachher sowieso keine Lehrstelle. - Denn ganze Familienkohorten müssen sich von kurzer Duldung zu kurzer Duldung hangeln. Frau Böhmer, vor diesen Problemen haben Sie sich bei der Erarbeitung Ihres Nationalen Integrationsplans gedrückt. Deshalb ist er nicht als historisch zu bezeichnen.
- Auch Sie werden das irgendwann verstehen; so lange begründen wir das,
meine Herren von der CDU.
- Es ist gut, dass Sie diesen Zuruf gemacht haben. Ich wollte mich aber ganz besonders auf die Herren von der CDU fokussieren.
- Auch auf die CSU? Dann wird es ja noch doller.
Viertens. Frau Böhmer, ich finde, wenn Sie schon die Vergangenheit ansprechen, wäre ein wenig Demut angebracht gewesen. Man darf nicht nur von den Migrantinnen und Migranten mehr Engagement verlangen; vielmehr muss auch die aufnehmende Gesellschaft ein kritisches Wort über sich selbst sagen.
Es waren nämlich die Ministerpräsidenten von der CDU, die viele Jahre lang dagegen gekämpft haben, dass die Kosten der Sprachkurse übernommen werden.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mir Vertreter der CDU in Kreuzberg vor 20 Jahren gesagt haben: Was? Das sollen wir noch bezahlen? Kommt gar nicht in die Tüte! - Lassen wir das Thema Sprachkurse jetzt aber beiseite.
Ich möchte noch auf die Situation der Frauen eingehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie müssen sich aber ein bisschen beeilen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. Ich beeile mich, Herr Präsident. - Die CDU hat an dieser Stelle immer gegen die Interessen der Migrantinnen gekämpft, wenn es um ihre körperliche Unversehrtheit ging; so klar muss man das sagen.
Sie haben die Einführung des humanitären Aufenthaltsrechts für ausländische Ehegattinnen abgelehnt, Sie haben beim Zuwanderungsgesetz bis zum Schluss gegen die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe gekämpft, und jetzt setzen Sie beim Thema Zwangsehen die frauenfeindliche Linie fort.
Obwohl alle Experten - von Terre des Femmes bis PAPATYA - darauf aufmerksam machen, dass die Frauen ein eigenes Aufenthaltsrecht brauchen, ducken Sie sich weg. Ich kann Ihnen, Frau Böhmer, nicht ersparen, darauf hinzuweisen: Wenn Sie das Aufenthaltsrecht anders organisiert hätten, dann wäre Sazan Bajez-Abdullah im Oktober 2005 in München nicht ermordet worden. Sie hatte nämlich kein eigenständiges humanitäres Aufenthaltsrecht. Sie hatte in einem bestimmten Bezirk eine Residenzpflicht. Sie konnte sich nicht im Münchener Frauenhaus aufhalten, weil es die ?falsche“ Adresse hatte. Diesen Umstand hat ihr geschiedener Ehemann zu einem sogenannten Ehrenmord genutzt. Meine Damen und Herren, würde man endlich ein Aufenthaltsrecht für diese Frauen schaffen, würde sich zeigen, dass man Integration will.
Frau Böhmer, wenn ich Ihre Leistungen mit denen all Ihrer Vorgängerinnen - damals wurden sie noch ?Ausländerbeauftragte“ genannt - vergleiche, muss ich sagen: Sie sind die schlechteste Integrationsbeauftragte, die die Bundesrepublik je hatte.
Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie für die Frauen kämpfen und sich für die Perspektive einer Einbürgerung einsetzen. Dann müssen Sie auch von der aufnehmenden Gesellschaft etwas fordern, dann müssen Sie rechtlich normieren - Bildung, Sprache, Arbeit, Einbürgerung, kommunales Wahlrecht und Teilhabe - und den Islam europäisieren. Nichts davon haben Sie getan.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, aus Ihren Worten hat man ganz klar erkennen können: Sie können es nicht verwinden, dass unter dieser Bundesregierung das Thema Integration
endlich dort angekommen ist, wo es hingehört,
nämlich ins Bundeskanzleramt,
mit einer Staatsministerin für Migration und Integration, also ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik.
Gerade Sie, die Grünen, haben bei diesem Thema in sieben Jahren Rot-Grün immer nur den Mund gespitzt - wir pfeifen jetzt. Was die Integrationsbeauftragten der grünen Partei in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung an Vorschlägen unterbreitet haben, hat bei der Integration in unser Land nicht weitergeführt. Ich verweise nur auf den Vorschlag von Frau Beck, den Islam in Deutschland kirchenrechtlich anzuerkennen. Das sind Vorschläge, die nicht weitergeführt haben.
Wir packen das Thema an. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie durch zwei Integrationsgipfel dieses Thema zu einem Topthema der deutschen Politik gemacht hat. Unsere Staatsministerin Maria Böhmer leistet hervorragende Arbeit
und sorgt dafür, dass bei diesem Thema nicht nur geredet, sondern gehandelt wird.
Ich rate Ihnen, Frau Künast: Kommen Sie aus der Schmollecke heraus! Beteiligen Sie sich an der Diskussion über dieses Thema und verzichten Sie auf überflüssige Polemik! Die ist diesem Thema nicht angemessen.
Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Nationalen Integrationsgipfel und den Nationalen Integrationsplan vorgeschlagen hat. Wir freuen uns, dass diese Anregung so schnell und erfolgreich aufgegriffen wurde. Frau Staatsministerin Böhmer hat davon gesprochen, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat:
Es wird nicht über die, sondern es wird mit den Migranten gesprochen. Es ist unsere Überzeugung: Zuwanderung muss gewollt sein - von der Aufnahmegesellschaft, aber auch von den Zuwanderern selbst. Bund, Länder und Gemeinden - das ist das Historische, auf das Frau Böhmer hingewiesen hat - haben erstmals in der Geschichte unseres Landes circa 400 Selbstverpflichtungen übernommen. Dass Integration keine Aufgabe ist, die nur den Bund etwas angeht, und keine Aufgabe, die nur die Länder etwas angeht, sondern auch eine kommunale Aufgabe, zeigt das Beispiel der bayerischen Großstadt Augsburg.
So hat mein Kollege Ruck zu Recht darauf hingewiesen, dass 2007 in dieser bayerischen Großstadt erstmals mehr Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult worden sind als einheimische Kinder. Das zeigt: Mit dem Thema Integration muss sich schon die kommunale Ebene beschäftigen, und das muss über die Länder und den Bund bis auf die europäische Ebene gehen.
Heute sagt jeder in Deutschland: Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und wer auf Dauer in Deutschland leben will, muss Deutsch sprechen. Frau Künast, das ist ein Satz, der vor zehn Jahren in Deutschland keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist er es. Dass er das ist, ist auch dem beharrlichen Bemühen unserer Fraktion zu verdanken.
Liebe Frau Künast, an Ihren Worten hat man eines deutlich gemerkt: Sie müssen böse sein und ein Stück weit dagegen ankämpfen, weil die Mehrheit der Deutschen heute begriffen hat, dass das, was Sie lange Zeit unter Integration verstanden haben - wovon die Grünen in ihrem letzten Integrationspapier dankenswerterweise Abstand genommen haben -,
nämlich Multikultiseligkeiten, ausgeträumt ist und ein solcher Weg nicht weiterführt.
Ich will Ihnen etwas zum Thema Frauen sagen. Stellen Sie sich doch an unsere Seite! Wir wollen, dass Schluss ist mit der Gleichgültigkeit bei Verstößen gegen die Gleichberechtigung. Das gilt im Kleinen - wenn Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen -, und das gilt im Großen: Wir wollen mit allen, auch mit rechtlichen, Mitteln die Zwangsverheiratung bekämpfen. Wir wären dankbar, wenn auch die Grünen bereit wären, einen Beitrag zu einer Initiative für eine wirkliche rechtsstaatliche Bekämpfung von Zwangsverheiratung und gegen arrangierte Ehen zu leisten. Da spitzen Sie immer nur den Mund, während wir pfeifen.
Natürlich ist Integration auch ein Thema, das ein weites Feld für bürgerschaftliches Engagement bietet. Gerade mit dem Sport verbinden sich große Chancen für mehr Integration der Menschen in Deutschland. Das gilt für den Spitzensport; das gilt aber auch für den Breitensport. Wir freuen uns, wenn Gerald Asamoah und David Odonkor erfolgreich in unserer Nationalmannschaft stürmen, aber ich sage auch sehr bewusst: Kein Platz in einer deutschen Auswahlmannschaft sollte für einen Nationalspieler sein, der nicht spielen will, wenn ein Spiel in Israel ansteht. Das nicht hinzunehmen, ist auch ein Beitrag zur Integration in Deutschland.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Koschyk, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? - Nein.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU):
Klare Werte und klare Worte im Dialog - das ist der richtige Weg zur Integration.
Ich sage für unsere Fraktion sehr deutlich: Es ist gut und richtig, dass diese Bundesregierung mit Wolfgang Schäuble - neben dem Integrationsplan und dem Integrationsgipfel - auch eine Islamkonferenz einberufen hat;
denn Verständnis kann nur wachsen, wenn im Dialog der Religionen in Deutschland auch kritische Fragen gestellt werden.
Wir danken den Kirchen, dass sie diesen schwierigen Weg mutig und entschlossen gehen. Durch die Handreichung ?Klarheit und gute Nachbarschaft“ des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland werden wichtige Anstöße für einen aufrichtigen und zielführenden Dialog zwischen Muslimen und Christen gegeben. Die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis von Religion und Gewalt war ebenso bemerkenswert wie die Reaktion von 30 führenden muslimischen Geistlichen aus aller Welt.
Ein ganz wichtiges Feld der Integration ist das Erwerbsleben; denn es ist keine Frage: Wer Teilhabe an beruflicher Bildung und Ausbildung sowie an beruflichen Chancen hat, dem fällt Integration leichter. Wir wollen durch die gezielte Integration gerade auch im Erwerbsleben dafür sorgen, dass diejenigen, die in unser Land kommen, unabhängig von staatlicher Unterstützung werden. Deshalb ist es richtig, Zuwanderung in unsere Sozialsysteme durch gezielte Integration zu unterbinden.
Der Integration durch gleichberechtigte Beteiligung der Zuwanderer in den Betrieben, in den Sozialversicherungen, in der Wirtschaft und in den Gewerkschaften verdanken wir die meisten Erfolge hinsichtlich eines guten Zusammenlebens in Deutschland. Frau Staatsministerin Böhmer, ich bedanke mich, dass Sie auch mit Unternehmerpersönlichkeiten mit Integrationshintergrund, mit jungen Leuten, die Auswahlstipendien erhalten, und mit wichtigen Partnern im Ausland einen Dialog führen. Ich will nur an eine von Ihnen organisierte Konferenz erinnern, auf der die Bundeskanzlerin mit Bill Gates darüber gesprochen hat, was wir von Amerika lernen können.
Lieber Reinhard Grindel, wir waren ebenfalls auf dieser Konferenz. Für uns war es sehr interessant, dass Bill Gates deutlich gemacht hat, dass auch die USA, die sich als ein klassisches Einwanderungsland verstehen, im Bereich der Zuwanderung von unqualifizierten und nicht an Bildung teilhabenden Zuwanderern dieselben, wenn nicht sogar größere Probleme als wir in Deutschland haben. Deshalb sage ich: Wir als Parlament werden dafür sorgen, dass die Verpflichtungen, die der Bund gemäß dem Nationalen Integrationsplan übernommen hat, auch umgesetzt werden.
Ich möchte dem Kollegen Grindel herzlich dafür danken, dass er ein ganz wichtiges Thema für unsere Fraktion betreut, nämlich das Thema Integrationskurse. Ich meine, Integration ist dann gelungen, wenn sich die Menschen in Deutschland heimisch fühlen. Das darf nicht die Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeuten. Dies wäre Assimilation. Das muss aber die Bereitschaft bedeuten, unsere Sprache zu sprechen, unsere Verfassungs- und Rechtsordnung auch innerlich anzunehmen, sie gegen Bedrohungen zu verteidigen und sich für die gewachsenen Traditionen unseres Landes innerlich zu öffnen, so wie sich auch Deutschland immer für die mitgebrachten Traditionen von Zuwanderern geöffnet hat und weiter öffnen wird.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Hartfrid Wolff ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hätte schon früher der Frage einer offensiven Integrationspolitik mehr Aufmerksamkeit widmen sollen.
Frau Künast, auch das müssen Sie sich vorhalten lassen. Aber es ist gut, dass es nun begonnen wurde. Es ist dringend überfällig, dass sich die Gesellschaft über die Grundlagen ihres Zusammenlebens Gedanken macht. Die Mehrheitsgesellschaft stellt an Zuwanderer bestimmte Anforderungen, und der Bundestag als Gesetzgeber ist gut beraten, diese Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger auch angemessen zu berücksichtigen.
Integration ist ein stetiger Dialog und kann nur bei klarer Definition der Perspektiven geführt werden. Ich halte es für nicht richtig, wenn bestimmte Kreise so tun, als wären die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an Zuwanderer nur Stammtischgeschwätz oder Islamphobie. Fraglos gibt es solche Probleme; aber jede kritische Anmerkung zum Integrationserfolg unserer Zuwanderer in solche Kategorien einzusortieren, berücksichtigt zu wenig die Beidseitigkeit der Integration.
Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber hat dankenswerterweise solche Kritik artikuliert, als er eine Debatte über Moscheebauten in Deutschland angestoßen hat. Die Befürchtungen, die Huber äußerte, sollten nicht einfach als islamfeindlich abgetan werden, sondern zum Nachdenken darüber anregen, wie die Akzeptanz eines verfassungstreuen Islam in Deutschland verbessert werden kann. Der Anspruch auf öffentliche Religionsausübung in würdigen Moscheen ist berechtigt. Bauten aber, die als Machtanspruch empfunden werden können, sind dafür kaum nötig. Auch Forderungen an Moscheevereine nach Öffnung, nach Kommunikation von Zielen und Veranstaltungen in deutscher Sprache, nach Achtung der rechtlichen Vorschriften, nach in Deutschland ausgebildeten Imamen oder nach Transparenz bei Willensbildung und Finanzierung sind keine Schikane, sondern berechtigter Anspruch einer Gesellschaft, die ein hohes Maß an Religionsfreiheit gewährt.
Gerade das Beherrschen der deutschen Sprache ist fundamentale Bedingung für die Akzeptanz und damit auch Integration von Zuwanderern.
Daran ändert keine Einbürgerung etwas, auch keine parallelgesellschaftliche Infrastruktur, die vielleicht ein Durchlavieren ohne Deutsch erleichtert.
Wer die sprachlichen Anforderungen reduzieren möchte oder sie gar zum Diskriminierungstatbestand erhebt, wie es die Linken gelegentlich tun, trägt lediglich dazu bei, Zuwanderer langfristig und nachhaltig von Integration und Partizipation in Deutschland fernzuhalten. Dadurch arbeitet man obskuren Mittlern in die Hände, und es kann Menschen in die Hinterzimmer der Abhängigkeit bringen.
Meine Damen und Herren, die Investition in frühkindliche Bildung ist für unsere Gesellschaft zentral. Die Unionsparteien tun unserem Land insgesamt, den Familien und insbesondere der Integration von Zuwanderern keinen Dienst, wenn sie, wie unlängst in Baden-Württemberg, verpflichtende Sprachtests im Alter von vier Jahren und die Förderung der frühkindlichen Bildung auf die lange Bank schieben wollen.
Wer Kindern so den Zugang zu integrierender Bildung verwehrt, handelt unverantwortlich gegenüber diesen Kindern und ihren Familien.
Aber auch die Elterneinbindung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Schul- und Ausbildungsabschlüsse von Zuwandererkindern und -jugendlichen müssen wichtige Bausteine der Integrationspolitik sein. Es gilt festzuhalten: Obwohl in Deutschland von Regierungsseite lange keine Anstrengungen zur Integration unternommen wurden, haben sehr viele Zuwanderer genau dies geschafft. Sie sind hier angekommen und haben unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert: wirtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiter und Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, als Nachbarn und Freunde. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und unsere Solidarität. Wir heißen sie willkommen.
Wenn wir die Leistung dieser Menschen richtig würdigen, dann können Zuwanderer nicht immer nur als problembeladene Menschen angesehen werden, die sich selbst nicht zu helfen wissen und staatlicher Fürsorge bedürfen, sondern dann müssen sie als freie und kluge Köpfe anerkannt werden, die gerne bereit sind, sich in unsere Gesellschaft einzubringen. Hierfür sind klare Orientierungen und Erwartungen erforderlich. Integration heißt, diese Menschen mitzunehmen und teilhaben zu lassen. Integration heißt aber auch, dass diese Menschen bereit sind, sich mitnehmen zu lassen und Teil unserer Gesellschaft werden zu wollen. Auf die Umsetzung kommt es an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael Bürsch für die SPD-Fraktion.
Dr. Michael Bürsch (SPD):
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es vorweg: Durch den Nationalen Integrationsplan ist Integration im Zentrum der Politik angekommen. Sie hat damit eine politische und gesellschaftliche Dynamik erreicht, die Dank und Anerkennung verdient. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich Frau Böhmer und die Bundesregierung; das kann an diesem Tag, glaube ich, von allen Seiten des Hauses anerkannt werden.
Meine zweite Feststellung aber ist: Integration hat nicht erst am 14. Juli 2006 angefangen - das kann durch die Debatte, wie sie bisher geführt worden ist, vielleicht missverstanden worden sein -;
vielmehr hat sie in den letzten 50 Jahren stattgefunden, und zwar mit großem Erfolg. Ob die Politik das in den letzten Jahrzehnten immer richtig erkannt hat, ist eine andere Frage. Integration hat aber stattgefunden. Über 30 Millionen Menschen sind in unser Land gekommen - über 20 Millionen Menschen haben das Land verlassen -, Millionen Menschen sind von der Bürgergesellschaft integriert worden. Das hat keine großen Wellen geschlagen. Das haben die Medien und die Politik vielleicht nicht richtig wahrgenommen, aber wir können an dieser Stelle feststellen: Jawohl, Deutschland hat sich als Land der Integration erwiesen. Anders wäre es nicht möglich gewesen, die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und viele andere Menschen wie die Russlanddeutschen bei uns willkommen zu heißen.
Es verdient Dank und Anerkennung, dass das Thema Integration in der Politik angekommen ist. Dass ein Nationaler Integrationsplan vorliegt, kann ich nur begrüßen.
Aus Sicht der SPD weise ich - um auch hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - darauf hin, dass es nie gelingen wird, allein vonseiten des Staates oder der Politik Integration zu fördern. Wer das glaubt, unterliegt einem Irrtum. Es wird immer eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft notwendig sein, damit Integration gelingt. Wir werden aufseiten der Politik bzw. des Staates die Verantwortung haben, Sprachkurse bzw. Kurse zur Förderung von Jugendlichen anzubieten. An dieser Stelle beginnt die Integration oft erst. Wir müssen im Blick behalten, das zu unterstützen und zu fördern, was die Bürgergesellschaft auf diesem Gebiet leisten kann.
Lassen Sie mich - weil Politik auch von Anregungen und konstruktiver Kritik lebt - einige Punkte ansprechen. Wir haben jetzt einen Plan - das ist gut -, aber es wird sich in einem Jahr zeigen, was aus diesen Absichtserklärungen geworden ist. Dass es 400 freiwillige Selbstverpflichtungen gegeben hat, klingt numerisch zunächst einmal wunderbar. Entscheidend ist aber, was drinsteckt, und noch entscheidender ist, was dabei herauskommt.
In diesem Zusammenhang meine ich, Frau Böhmer - darin stimme ich mit Frau Laurischk überein -, dass spätestens jetzt das Parlament eingebunden werden sollte. Spätestens an dieser Stelle sollten wir in objektiver Form evaluieren und beurteilen, was bei den Selbstverpflichtungen herausgekommen ist. Es geht mir nicht um Hochglanzbroschüren und Erklärungen der Betroffenen nach dem Motto ?Friede, Freude, Eierkuchen“; ich will vielmehr wissen, was wirklich erreicht wurde. Die Bundesregierung soll angeben, wie viele Auszubildende mit Migrationshintergrund sie einstellt. Zurzeit ist der Anteil erschreckend niedrig; es sind 1,2 Prozent. In der Absichtserklärung werden 7 Prozent angestrebt. Die Zahl könnte noch etwas höher sein. Ich will aber in einem Jahr wissen, ob diese 7 Prozent auch erreicht worden sind. Wir können nicht nur den Mund spitzen, sondern müssen auch wirklich Ergebnisse liefern. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Neben dem Verfahren und der Notwendigkeit, sich in einem Jahr zur Evaluation zusammenzufinden, sind noch einige weitere Stichworte anzusprechen. Was Ausbildung und Beschäftigung angeht, haben wir den großen Block von 7 Millionen Ausländern oder 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Lassen Sie uns einmal genauer hinschauen - das entspricht vielleicht der speziellen Sichtweise der SPD -: Es gibt Gruppen, die es besonders schwer haben, zum Beispiel die etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die schon bei uns sind. Dies ist aus meiner Sicht der soziale Sprengstoff in den nächsten zehn, 20 Jahren, wenn wir hier nichts tun. Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen flexible und individuelle Antworten finden. Wir müssen diese 50 000 jungen Menschen quasi an die Hand nehmen und ihnen mit allem, was uns zur Verfügung steht, eine Chance geben; denn sonst haben sie keine Perspektive. Sie werden dann 50 oder 60 Jahre - mit Fug und Recht - in Deutschland leben und können keinen Beitrag leisten. Aber sie haben wie jeder andere in Deutschland den Anspruch auf Unterstützung.
Ich erwarte ein deutliches Zeichen, dass wir auch solche Menschen mit besonderen Problemen ernst nehmen.
Ein weiteres Stichwort ist - das ist schon gefallen - das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Ich halte das für einen ausgesprochen wichtigen Schlüssel zur Integration, weil es deutlich signalisiert: Jawohl, ihr sollt beteiligt sein; ihr habt die Möglichkeit zur Teilhabe. - Wir fordern - das wäre aus meiner Sicht ein mutiger Schritt - ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EU-Bürger. Das ist das richtige Signal an die Menschen, die zu uns kommen. Es macht deutlich: Ihr sollt nicht nur hier leben, sondern könnt auch mitwirken und mitbestimmen.
Nun komme ich zum Stichwort ?doppelte Staatsangehörigkeit“; ein schwieriges Thema, auf das Herr Grindel wahrscheinlich gleich eingehen wird. Seit 1999 befasse ich mich in meiner Fraktion mit dem Thema ?doppelte Staatsangehörigkeit“. Ich habe mit großer Freude vernommen, dass Herr Koschyk gesagt hat, Integration dürfe nicht Aufgabe der eigenen Identität bedeuten.
Das ist genau richtig.
Aber warum bitte schön ist dann die doppelte Staatsangehörigkeit für Sie noch immer Teufelszeug? Das kann doch nicht sein.
Die doppelte Staatsangehörigkeit bietet doch beste Möglichkeiten, die Identität zu wahren und Brücken zwischen der alten und der neuen Heimat zu bauen.
Wir wollen dieses Thema voranbringen. Politik ist das Bohren dicker Bretter, und zwar mit Leidenschaft und Augenmaß.
Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Die Welt hat sich in den letzten zwei Jahren auch innerhalb der Koalition verändert. Ich lebe vom Prinzip Hoffnung. Herr Koschyk, ich werde auf Ihre Ausführungen zurückkommen und Sie sozusagen dingfest machen. Ich habe schon vor sieben Jahren in der Debatte über die doppelte Staatsangehörigkeit gesagt: Beatrix, Königin der Niederlande, hat vier Staatsangehörigkeiten.
Aber niemand fürchtet den Untergang der Niederlande, weil sie vier Pässe hat. Herr Kollege Koschyk, die Bayern haben zwei Staatsangehörigkeiten. Das sollten wir also nicht so eng sehen. Seien Sie ein bisschen liberaler und toleranter und versuchen Sie, sich die Sichtweise des 21. Jahrhunderts anzueignen! Der sogenannte Doppelpass ist kein Teufelszeug. Wir sind weltoffen und kosmopolitisch.
- Darüber können wir gerne Tage und Nächte reden. Das ist kein grober Unfug, sondern der richtige Weg, um zu zeigen, dass wir weltoffen sind und Menschen zu uns lassen. Ein ähnliches Signal setzen wir auch mit der von mir propagierten Punktereglung.
Nun kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Wir brauchen - das wäre für mich die sinnvolle Fortsetzung des Integrationsplanes - ein mittel- bzw. langfristiges, nachhaltiges und stimmiges Zuwanderungskonzept, das nicht nur ökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir diese Debatte nur unter ökonomischen Gesichtspunkten führen und ausschließlich danach fragen, wer uns wirtschaftlich nutzt und wo wir Arbeitsplätze, zum Beispiel im IT-Bereich, mit Zuwanderern besetzen können. Das verkürzt die ganze Diskussion dramatisch. Dabei fällt unter den Tisch, dass wir Zuwanderung in einer globalisierten Welt dringend benötigen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt und nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen verliert. Es waren in der Moderne stets die Einwanderungsgesellschaften, die aufgrund neuer Ideen und neuer Impulse von Zuwanderern für Innovationen gesorgt haben. Kulturelle Vielfalt ist in der heutigen Welt aus meiner Sicht eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Voraussetzung, und zwar auch für ökonomischen Wohlstand.
Vor kurzem habe ich mit dem Innenausschuss die baltischen Länder besucht. Ich habe bemerkt, wie schwierig es ist, in diesen Aufbruchländern über das Thema Staatsbürgerschaft zu diskutieren. Es gibt in diesen Ländern noch Hunderttausende Nichtbürger, also Menschen, die gar keine Staatsangehörigkeit haben. Wir haben bei diesem Besuch gesehen, wie wichtig die Frage der Staatsbürgerschaft ist, um eine Gesellschaft zu entwickeln.
Zusammenfassend: Der Integrationsplan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich erwarte mir davon, nachdem die Absichtserklärungen nun in der Welt sind, Ergebnisse und in einem Jahr eine hervorragende, objektive Evaluation, die bestätigen wird: Jawohl, wir können Erfolge melden, vielleicht nicht an 400 Stellen, aber an 200.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Nun erteile ich Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke, das Wort.
Petra Pau (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr engagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen, in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jüdisches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Religionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusammenführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitgliedern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deutsche Benimmregeln zu lernen hätten.
Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu oft wird die allgemeine politische Debatte genau in diesem Gestus geführt.
Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter anderem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status genießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch ausgegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen.
Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bildungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubrechen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen. Wir sollten bundesweit dafür werben.
Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche Recht im Jahr 2007.
Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept?
Der Nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von Alibiveranstaltungen.
Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leistet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind unverzichtbar. Aber solange die große Politik die großen Fragen eher umsteuert und den Hebel nicht tatsächlich umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Berufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten.
Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völkischer Diskriminierung von Migranten und Asylsuchenden. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben.
Kurzum und in Anlehnung an Goethes Faust: Der Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns nun endlich Taten sehen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Bürsch hat es angesprochen: Integration ist erfolgreich in Deutschland. Bei allen Problemen möchte ich das als Erstes betonen. Integration gelingt - jeden Tag, überall im Land. Besonders erkennbar ist das im Sport.
Zu Recht ist dem Sport im Nationalen Integrationsplan ein eigenes Kapitel gewidmet. Sport bringt Menschen zusammen, ist international, vermittelt Werte wie Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Akzeptanz von Regeln. Beim Sport ist es egal, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast oder an welchen Gott du glaubst. Sport ist gelebte Integration, und darum wollen wir ihn weiter stärken.
Doch seine Integrationskraft entwickelt sich nicht quasi automatisch. Wir erleben - zum Glück sehr selten -, dass es bei Sportereignissen zu Gewalt und zu rassistischen Vorfällen kommt. Dem treten wir mit dem organisierten Sport gemeinsam entgegen. Ein weiteres Thema sind kulturelle und soziale Barrieren. Muslimische Mädchen etwa würden gerne häufiger Sport treiben. Es gibt Eltern, nicht nur ausländischer Herkunft, die sich den Sport der Kinder nicht so recht leisten können. Diese Probleme müssen wir angehen. Es muss möglich sein, dass alle Bürger Sportangebote wahrnehmen können. Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die Sportvereine sensibilisieren und Migranten in die Organisation von Sport einbeziehen. Wir brauchen Teilhabe durch Sport, und deswegen müssen wir Teilhabe im Sport organisieren.
Der Sport übernimmt gesellschaftliche Aufgaben. Er macht das gerne und erfolgreich. Dabei dürfen wir allerdings nie vergessen, dass der Sport vor allem von den vielen Ehrenamtlichen gestaltet wird. Deren Engagement ist von unschätzbarem Wert. Sie haben wirklich unseren Dank und unsere Anerkennung verdient.
Die verbesserten Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche - ich verweise auf die Initiative ?Hilfen für Helfer“ - waren da ein handfester Fortschritt.
Dem Ehrenamt sind aber gewisse Grenzen gesetzt. Wir müssen die Leute auch vor einer Überbeanspruchung schützen. Manchmal kommt ein Jugendtrainer bei bestimmten Problemen oder Konflikten nicht mehr weiter. Da ist Hilfe von außen nötig. Deshalb ist eine bessere Verzahnung von Sportförderung und anderen Programmen, etwa zur sozialen Stadtentwicklung, sinnvoll.
Wie erfolgreich Zusammenarbeit sein kann, zeigt beispielsweise der deutsch-türkische Treff hier in Berlin im Kreuzberger Wasserturm. Wir, die SPD-Fraktion, waren neulich mit Franz Müntefering dort. Was wir da gesehen haben, war wirklich sehr beeindruckend. Über den Sport kommen dort die Mitarbeiter mit den Jugendlichen in Kontakt. Sie helfen für die Schule, betreiben Sprachförderung, bieten Berufsorientierung an oder haben einfach einmal ein offenes Ohr für Probleme. Das ist ein starkes Projekt. Davon brauchen wir mehr in Deutschland, und das wollen wir unterstützen.
Sport hat viel mit Bildung zu tun. Auch das ist im Nationalen Integrationsplan gewürdigt. Ich habe bereits von der Wertevermittlung gesprochen; man kann auch ?Herzensbildung“ sagen. Aber es geht auch um kluge Köpfe; denn Sport fördert die geistige Leistungskraft. Das sollte übrigens auch manchem von uns hier im Saal zu denken geben. Der Landessportbund betreibt Kindertagesstätten, in denen mit großem Erfolg Bewegung und Spracherwerb verbunden werden. Da sind weiterer Ausbau und Unterstützung nötig. Darum sage ich jetzt in Richtung unseres geschätzten Koalitionspartners: Dort, wo wirklich mit größtem Engagement Bildungsarbeit geleistet wird, versteht kein Mensch, warum Betreuungsgeld gefordert wird, anstatt mit aller Kraft den Kitas zu helfen.
Noch ein paar Worte zur Schule. Schüler, die mehr Sportunterricht haben, werden in anderen Fächern besser; das haben Untersuchungen gezeigt. Darum ist die Ausweitung des Sportunterrichts nötig und überfällig, übrigens auch mit Blick auf muslimische Mädchen. Die Länder müssen es zustande bringen, dass der Sportunterricht nicht ausfällt, dass, im Gegenteil, die tägliche Sportstunde eingeführt wird. Das wäre ein wirklich starker Beitrag.
Am besten ist der weitere Ausbau der Ganztagsschulen. Sie werden im Nationalen Integrationsplan ausdrücklich gelobt. Dort können die Schülerinnen und Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend optimal gefördert werden, unabhängig davon, welches Leistungsniveau sie haben oder woher sie kommen. Da gibt es dann auch ausreichend Zeit, etwa für Sport und Musikangebote - für alle und ohne Hürden. Das ist ein praktischer Beitrag zur Integration.
Rot-Grün hat mit dem Ganztagsschulprogramm viel bewirkt, und das muss weitergehen. Wir brauchen die qualifizierten Menschen. Es kann doch nicht wahr sein, dass so viele Jugendliche ausländischer Herkunft ohne Ausbildung bleiben und gleichzeitig händeringend gesuchte Fachkräfte aus dem Ausland hierhin geholt werden sollen. Es ist die Aufgabe des Staates und der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hier leben, auch tatsächlich qualifiziert werden.
Dieses Land braucht Chancengleichheit, weil wir keinen Menschen verloren geben wollen und dürfen.
Sport und Bildung sind wichtige Säulen der Integration; sie sind auch im Nationalen Integrationsplan enthalten. Er hat einige gute Ansätze, aber wir haben noch sehr viel an praktischer Politik vor uns. Die SPD ist dazu bereit.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Josef Philip Winkler, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte Revue passieren lässt, kann man eigentlich nur festhalten, dass von den Punkten, die umgesetzt werden sollen, kein einziger konkret genannt wurde.
Ich halte es wirklich für eine Schande, dass man das ?Nationaler Integrationsplan“ nennt. Es liegen nur freiwillige Selbstverpflichtungen, die nicht überprüfbar sind, vor; gleichzeitig wird von einem historischen Datum gesprochen. Das ist absolut unglaubwürdig.
Frau Staatsministerin, Sie sagen, für den Nationalen Integrationsplan seien zusätzliche 750 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Auf die klare und konkrete Frage meiner Fraktion, wo das Geld denn liege, kamen keine klaren und konkreten Antworten. Alles Mögliche fällt darunter, zum Beispiel der Haushaltstitel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Wir sind gespannt, welchen Beitrag dieser zur Integrationsförderung leisten wird. Bei der Überprüfung dessen werden wir Sie nicht im dunklen Kämmerchen alleine lassen.
Sie sind gestartet als Mutter Courage der Integration, aber das, was Sie vorgelegt haben, kommt eher von einer Mutter Beimer des Kanzleramtes: irgendwie ganz nett, aber irgendwie auch unkonkret und relativ erfolglos.
Beim kommunalen Wahlrecht gibt es keine Fortschritte. Beim Thema ?zusätzliche Sprachkurse“ gibt es keine konkreten Ergebnisse. Für die 15 Millionen Euro, die Sie jetzt draufgesattelt haben, haben Sie im vorigen Jahr 75 Millionen Euro abgezogen. Kein Mensch glaubt Ihnen, dass es da Forschritte gibt.
Ich möchte jetzt noch auf die Ungeheuerlichkeiten von Herrn Koschyk eingehen, auch wenn das der Ehre fast zu viel ist, lieber Kollege. Was Sie über meine Fraktion zum Thema Zwangverheiratung gesagt haben, hat mich wirklich geärgert. Wir haben unter der rot-grünen Bundesregierung die Zwangverheiratung unter Strafe gestellt. Da haben Sie nicht vorneweg mitgemacht.
Es steht bereits im Strafgesetzbuch, dass Zwangverheiratung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Diesbezüglich sollten wir als demokratische Parteien zusammenhalten und uns nicht in Kleinlichkeit verlieren. Dass im Rechtsausschuss des Bundesrates Anträge von unionsregierten Ländern liegen, wonach geprügelten Frauen, die in Ehen gezwungen werden, nicht schon nach zwei Jahren, sondern erst nach vier Jahren ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gegeben werden soll, haben Sie in dem Zusammenhang wohlweislich verschwiegen!
Wenn es um das Problem der Aufenthaltserlaubnis geht, gibt es nicht nur den Fall, dass man nach Deutschland einreist und zwangsverheiratet wird. Es gibt vielmehr auch den Fall, dass man aus Deutschland heraus im Ausland zwangsverheiratet wird. Wir haben immer wieder festgestellt, dass die Union diesbezüglich überhaupt nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Wenn man sechs Monate ins Ausland verschleppt wurde, gibt es keine Möglichkeit mehr, den ursprünglichen Aufenthaltstitel zurückzuerlangen. Da könnten Sie konkrete Hilfe leisten, da verweigern Sie sich aber, meine Damen und Herren von der Union.
Auch von Frau Staatsministerin Böhmer werden immer wieder die Sprachkurse angesprochen. Wir sind überhaupt nicht dagegen - das entspricht aber einer häufigen Verdrehung der Tatsachen -, dass die Frauen und Männer, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen. Es waren die Unionsländer, die sich im Vermittlungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz vehement dagegen verwahrt haben, dass sie Mittel für die Sprachförderung einstellen sollen. Wir als Grüne haben gesagt, dass wir beim gesamten Zuwanderungsgesetz nicht mitmachen, wenn die Sprachförderung nicht Teil des Gesetzespaketes ist. Wir haben dies durchgesetzt. Das ist Teil der historischen Wahrheit.
Die Folge ist, dass jetzt überwiegend der Bund die Lasten trägt, obwohl Integration vor allem auf der lokalen Ebene zu gestalten ist. Insofern fordern wir Sie auf: Loben Sie Herrn Koch nicht nur für irgendwelche Dinge, die nicht nachprüfbar sind, sondern fordern Sie ihn auf, dass er neben den Sprachkursen in den Kindergärten endlich seiner Verpflichtung nachkommt und die Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, durch Eigenmittel verdoppelt. Das wäre ein Beitrag zu mehr Integration und zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land.
Wir werden Sie mit dem so genannten Nationalen Integrationsplan nicht alleine lassen. Darin sind sehr viele indirekte und unkonkrete Punkte. Wie gesagt, es sind kaum konkrete Projekte, sondern alles Dinge, die entweder schon da waren oder nicht besonders viel Arbeit kosten. Die Selbstverpflichtung von Unternehmen, nach 50 Jahren Bundesrepublik gern auch einmal Ausländer in ihre Belegschaft aufzunehmen, verkaufen Sie als ?Charta der Vielfalt“. Das ist nun wirklich nicht historisch. Man müsste sich eigentlich dafür schämen, das als historisch zu verkaufen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.
Reinhard Grindel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Winkler, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Konkrete? - Ich will Ihnen konkret sagen: Ihre Strafvorschrift zur Zwangsverheiratung, die Sie hier so hervorgehoben haben, hat bisher keine einzige Verurteilung zur Folge gehabt.
Das ist Ihre Politik: Nach außen sieht es gut aus, aber tatsächlich hilft es nicht. - So kommen wir im Kampf etwa gegen Zwangsverheiratungen nicht weiter.
Der Nationale Integrationsplan enthält nicht nur Absichtserklärungen, sondern auch - das ist einfach die Wahrheit - ganz konkrete Maßnahmen, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Als Beispiel nenne ich die Integrationskurse. Das sind nicht nur Sprachkurse, sondern darin wird auch etwas über die Kultur, die rechtlichen Grundlagen und das Wertesystem unseres Landes vermittelt. 250 000 Teilnehmer haben diese Kurse bereits besucht. Wir werden die Kurse weiter verbessern. Wir erhöhen die Stundenzahl, damit die Teilnehmer die Abschlussprüfung bestehen. Wir bieten Zielgruppenkurse für junge Mütter und Jugendliche an. Wir übernehmen Fahrtkosten und die Kosten der Kinderbetreuung, obwohl das eigentlich eher Sache der Kommunen wäre. Wir werden im Haushalt 2008 noch einmal 14 Millionen Euro mehr ausgeben und dann 154 Millionen Euro allein für diese Integrationsmaßnahme vorsehen.
Kollege Körper hat gesagt, man solle noch etwas draufpacken. Darauf kann ich nur erwidern: Dann fragen Sie Finanzminister Steinbrück einmal, ob er uns das zusätzliche Geld gibt! - Das ist ein bisschen widersprüchlich. Die SPD-Innenpolitiker wollen mehr Geld für die Integrationskurse, und der SPD-Finanzminister gibt es uns nicht. Ganz überzeugend, Kollege Körper, war das nicht.
Wir haben natürlich Integration gehabt, aber ich glaube, dass sie bei vielen Menschen noch nicht angekommen ist, und das ist das Entscheidende. Da müssen wir etwas tun, über formale Zuständigkeiten hinaus.
Wer erlebt hat, wie gerade Frauen, die seit 17, 18 Jahren in Deutschland sind und praktisch kein Deutsch können, sich freuen, im Kurs zu sein, weil sie das erste Mal aus ihrer häuslichen Umgebung herauskommen und durch den Kurs andere Frauen mit anderen kulturellen Hintergründen kennenlernen, Kontakte knüpfen, auch über den Kurs hinaus, wer erlebt hat, wie engagiert dort im Kurs gearbeitet wird, der fragt nicht nach Zuständigkeiten, aber er fragt sich schon - das sage ich mit Blick gerade auf die Grünen und Frau Künast, die sieben Jahre zuständig gewesen wären -: Was haben Sie eigentlich in der Vergangenheit ganz konkret getan, um zum Beispiel diesen Frauen bei der Integration zu helfen?
Die konkrete Lebenssituation dieser Menschen hat Sie nicht interessiert. Sie haben sich mit Ideologien befasst, aber nicht mit der konkreten Lebenssituation der Menschen.
Frau Künast, es wäre ganz schön, wenn Sie einem Redner, der sich mit dem Beitrag der Fraktionsvorsitzenden der Grünen auseinandersetzt, nicht unbedingt den Rücken zukehrten, aber das ist eine Stilfrage. - Frau Künast hat hier gesagt, der Integrationsgipfel habe keine große Konsequenz. In Wirklichkeit ist sie natürlich neidisch, dass gerade wir als CDU/CSU das Integrationsthema besetzt haben.
Otto Schily hat in sieben Jahren gemeinsamer Regierung mit den Grünen noch nicht einmal eine Teestunde zur Integration veranstaltet, geschweige denn einen Gipfel. Das haben wir gemacht, und darauf sind wir mit Recht auch ein bisschen stolz.
Frau Künast, es wäre schon ein Gebot der Höflichkeit, wenn Sie jetzt zuhörten. - Sie haben uns in Zusammenhang mit einem ?Ehrenmord“ in München vorgeworfen, dass wir wegen der Residenzpflicht im Aufenthaltsrecht - eine solche galt für das Opfer - die Frauen hier nicht richtig schützen würden.
Ich habe mir den Fall eben noch einmal sehr genau angesehen. Was Sie behauptet haben, ist die glatte Unwahrheit.
Die Frau war im Frauenhaus in München; sie hätte dort auch bleiben können. Sie ist aus eigener Entscheidung nach Garching im Landkreis München zurückgegangen. Der Täter hatte seinerseits eine Residenzpflicht für die Stadt München; er hätte also gar nicht in den Landkreis gehen dürfen. Aber das Entscheidende ist: Er war geduldet. Die rot-grüne Stadtregierung von München hätte längst die Chance gehabt, ihn abzuschieben.
Insofern ist es unerhört, wenn Sie einen solchen Fall vor dem Forum des Deutschen Bundestages in dieser Weise sinnentstellen, um uns hier einen Vorwurf zu machen.
Der große Wert des Nationalen Integrationsplans besteht auch darin, dass er deutlich macht, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen: Bund, Länder und Gemeinden. Maria Böhmer hat hier zu Recht angesprochen, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen und bei der beruflichen Bildung mehr machen müssen; denn mit Blick auf die demografische Entwicklung muss man feststellen: Wenn wir bei der Integration gerade der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht für eine gute Zukunft sorgen, dann hat unser Land keine gute Zukunft.
Dabei kommt es auch auf ganz konkrete Einzelmaßnahmen an. Ich bin den Ländern Niedersachsen und Hamburg sehr dankbar, die im Rahmen des Integrationsgipfels ganz konkret angekündigt haben, mehr Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Das ist eine doppelte Integration: Auf der einen Seite wird Jugendlichen eine berufliche Perspektive eröffnet; auf der anderen Seite legt man damit die Wurzeln dafür, dass ausländische Mitbürger bei den Behörden, in den Rathäusern auf mehr Menschen mit Migrationshintergrund stoßen. Das ist echte, ganz konkrete Integrationspolitik.
Herr Kollege Körper, lassen Sie uns doch endlich die Debatte ?Einwanderungsland oder nicht?“ beenden. Wir sagen ganz bewusst: Wir sind ein Integrationsland.
Das ist ein gewaltiger Unterschied. Einwanderungsländer zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zuwanderung steuern können. Wir konnten die Zuwanderung von Ausländern nicht steuern. Asylbewerber, Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge, all diese Menschen sind ohne Steuerung auf Grundlage eigener Rechte zu uns gekommen. Wir müssen uns jetzt um eine nachholende Integration bemühen, um Versäumtes aufzuholen. Der Streit um Begriffe hilft dabei nicht. Wir müssen etwas tun. Deswegen sagen wir: Wir sind ein Integrationsland. Da liegt unser Schwerpunkt.
Ich will hier gerne zitieren, was die Anwältin Seyran Ates in ihrem neuen Buch ?Der Multikulti-Irrtum“ geschrieben hat:
... vor allem viele Linke glauben noch immer, der Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte Verantwortungslosigkeit.
Mit dem Nationalen Integrationsplan übernehmen wir Verantwortung. Früher waren Ausländerbeauftragte im Arbeits- oder Frauenministerium versteckt. Unsere Integrationsbeauftragte sitzt im Bundeskanzleramt,
als Zeichen dafür, dass Integration für uns Querschnittsaufgabe und vor allen Dingen Chefsache ist.
Kollege Bürsch, Sie haben gefordert, ich solle etwas zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen. Nur in aller Kürze - auch das ist so eine formale Debatte -: Viele derjenigen, die in den letzten Wochen hier in Berlin als Türken und Kurden gewalttätige Auseinandersetzungen hatten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber sie haben trotzdem vor allem und in erster Linie eine türkische oder eine kurdische Identität. Deswegen ist es richtig, was wir sagen: dass nur dann ein Zusammenleben in Deutschland funktioniert, wenn die Einbürgerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses steht, wenn wir uns auf gemeinsame Werte verständigen. Das Ganze darf nicht am Anfang, sozusagen als gute Hoffnung oder Eintrittskarte, eines Integrationsprozesses stehen, der sich dann am Ende als schwierig und meistens als erfolglos herausstellt.
Frau Staatsministerin Böhmer, herzlichen Glückwunsch zu diesem Nationalen Integrationsplan. Wir werden ihn umsetzen, auch, Herr Kollege Körper - weil Sie das hier angesprochen haben -, im Bereich Bleiberecht. Wir haben hier Entscheidungen getroffen. Am häufigsten wird das Bleiberecht in Bayern und Baden-Württemberg ausgesprochen. Dort haben die Menschen Sicherheit. Die wenigsten Bleiberechte werden in Berlin ausgesprochen. Jeder hat vor seiner eigenen Tür zu kehren.
Entscheidend ist - dies soll mein Schlusssatz sein -: Dieser Nationale Integrationsplan, liebe Maria Böhmer, ist in der Tat ein großer Wurf, ein Meilenstein. Aber damit er richtig erfolgreich wird, müssen wir alle in unseren Wahlkreisen vor Ort an seiner Umsetzung mitarbeiten.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegin Caren Marks, SPD-Fraktion.
Caren Marks (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Familienpolitikerin begrüße ich, dass sich die Bundesregierung und das Parlament intensiv mit dem Thema Integration beschäftigen, dabei den Dialog mit Migrantinnen und Migranten suchen und gemeinsam Handlungsfelder erarbeiten. Nach dem vielversprechenden Integrationsgipfel und dem damit einhergehenden Integrationsplan dürfen Regierung und Parlament in ihrem Handeln nicht hinter den erweckten Erwartungen zurückbleiben.
Das Themenfeld des Nationalen Integrationsplans ?Von Anfang an deutsche Sprache fördern“ ist von zentraler Bedeutung. Die Überschrift enthält mehr als eine Botschaft. Sie ist ein Auftrag, den wir politisch auf allen Ebenen mit Leben füllen müssen. Das gilt für Bund, Länder und Kommunen.
Es gilt, mit aller Ernsthaftigkeit daran zu arbeiten, dass sich die Chancen der Migrantenkinder wirklich verbessern. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung; denn jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat einen Migrationshintergrund. In einigen Großstädten sind vier von zehn Jugendlichen nicht deutscher Herkunft. Viel zu viele Kinder sind vom schulischen und beruflichen Erfolg abgehängt, weil sie in den ersten Lebensjahren häufig unzureichende Deutschkenntnisse erwerben.
Wir haben es heute schon oft gehört - man kann es nicht oft genug betonen -: Sprachkompetenz ist der Schlüssel zu Bildung und Integration. Deshalb muss die Sprachförderung ein zentraler Bestandteil der frühkindlichen Bildung werden.
Die sprachliche Bildung ist eine vordringliche und gemeinsame Aufgabe von Eltern, Erziehern und Pädagogen. Der frühe Besuch von Kindern in Tageseinrichtungen bietet - so heißt es im Integrationsplan - ?eine besondere Chance“ für Migrantenkinder. Die natürliche Aneignung der deutschen Sprache kann so erheblich gesteigert werden. Kinder sind gern mit Kindern zusammen. Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig Freunde. Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, lernen Deutsch in der Krippe spielend, im wahrsten Sinne des Wortes.
Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei wichtig, um deren Kompetenz bezüglich der Sprachentwicklung ihrer Kinder zu stärken. Positiv sind niedrigschwellige Angebote für Kinder und deren Familien, die den gezielten Erwerb der deutschen Sprache unterstützen. Projekte wie ?Mama lernt Deutsch“ sind sehr erfolgreich. Wir müssen Eltern mit Migrationshintergrund motivieren bzw. darin bestärken, dass ihre Kinder frühzeitig die Vorteile einer Betreuungs- und Bildungseinrichtung nutzen.
Auch der von der SPD durchgesetzte Rechtsanspruch - er gilt ab 2013 - auf einen Betreuungsplatz ab eins wird sich positiv auf die Integration auswirken.
Das Betreuungsgeld hingegen, wie es die Union nach wie vor fordert, ist nicht nur bildungs- und gleichstellungspolitisch fatal, sondern auch integrationspolitisch. Eine monatliche Zahlung an Eltern, die ihre Kinder im Alter bis zu drei Jahren ausschließlich zu Hause betreuen, wäre auch unter Integrationsgesichtspunkten falsch.
Wir würden diesen Kindern einen Bärendienst erweisen. Ein Betreuungsgeld würde für viele der benachteiligten Familien einen hohen Anreiz setzen, ihre Kinder von frühkindlichen Bildungseinrichtungen fernzuhalten. Norwegen hat genau diese negativen Erfahrungen gemacht und will das Betreuungsgeld deswegen abschaffen. Auch in Thüringen bewirkt das dortige Erziehungsgeld, dass Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten verstärkt abmelden. Wir sollten aus diesen Erfahrungen lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es muss klar sein: Integration kann nicht verordnet werden. Sie braucht die Mitwirkung aller, auch der Migranten. Insbesondere den Müttern mit Migrationshintergrund kommt eine Schlüsselstellung für die Integration ihrer Kinder zu. Die Berufstätigkeit von Migrantinnen fördert nicht nur Selbstbewusstsein und finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch deren Integration. Gut integrierte Eltern, Mütter und Väter, die an der Gesellschaft teilhaben, sind Vorbilder für ihre Kinder. Auch an diesem Punkt setzt das Betreuungsgeld für Frauen falsche Anreize, nämlich nach der Geburt eines Kindes länger zu Hause zu bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Beispiele zeigen: Ein Betreuungsgeld läuft der Integration vielfältig entgegen. Es würde eine erfolgreiche Umsetzung des vielversprechenden Integrationsplanes konterkarieren. Das Betreuungsgeld ist schlicht eine ?Optimierung“ des Unsinns.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6976. Interfraktionell ist vereinbart, über den Entschließungsantrag abweichend von der Geschäftsordnung heute abzustimmen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf. Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte:
42. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)
- Drucksache 16/5107 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union
- Drucksache 16/6563 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern, Laserfax- und Kopiergeräten
- Drucksache 16/5776 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5811 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5968 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/6945 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis 43 u sowie 35 b. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf zu Tagesordnungspunkt 43 d, Zweites Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes, namentlich abstimmen werden. Vor der namentlichen Abstimmung haben wir noch drei einfache Abstimmungen. Bitte begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe.
Tagesordnungspunkt 43 a:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 16/6540 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/6986 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß (Groß-Gerau)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6992 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6986, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6540 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Linken angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Soziale Sicherheit von vorübergehend im Hoheitsgebiet des anderen Staates beschäftigten Personen (?Ergänzungsabkommen“)
- Drucksache 16/6567 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/6829 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Kipping
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6829, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6567 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksachen 16/6293, 16/6568 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/6978 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Wolfgang Ne¨kovic
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6978, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6293 und 16/6568 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksachen 16/6560, 16/6740 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/6993 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Reinhard Schultz (Everswinkel)
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/6993, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6560 und 16/6740 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind 307 Stimmen - erforderlich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.
Ich bitte Sie, sich wieder zu Ihren Plätzen zu begeben, damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz, damit wir einigermaßen übersichtlich die Abstimmungen fortsetzen können.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 43 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Legehennenbetriebsregistergesetzes
- Drucksache 16/6559 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)
- Drucksache 16/6862 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6862, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6559 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren - Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006
- Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/563 mit dem Titel ?Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Innern - Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/359 mit dem Titel ?Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
EU-Waffenembargo gegen China beibehalten
- Drucksachen 16/969, 16/2574 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2574, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im Technologiebereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen
- Drucksachen 16/1565, 16/3587 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Berninger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3587, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1565 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz
KOM (2007) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07
- Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Hennrich
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung bestimmter Verordnungen (inkl. 11361/07 ADD 1 und 11361/07 ADD 2)
KOM (2007) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07
- Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Gustav Herzog
Dr. Volker Wissing
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 43 k bis 43 u.
Tagesordnungspunkt 43 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
- Drucksache 16/6801 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 286 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 287 zu Petitionen
- Drucksache 16/6802 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 287 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 288 zu Petitionen
- Drucksache 16/6803 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 288 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 289 zu Petitionen
- Drucksache 16/6804 -
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 289 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 290 zu Petitionen
- Drucksache 16/6805 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 290 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 291 zu Petitionen
- Drucksache 16/6806 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 291 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 292 zu Petitionen
- Drucksache 16/6807 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 292 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 293 zu Petitionen
- Drucksache 16/6808 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 293 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 294 zu Petitionen
- Drucksache 16/6809 -
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 294 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 295 zu Petitionen
- Drucksache 16/6810 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von FDP und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 296 zu Petitionen
- Drucksache 16/6811 -
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen von FDP und Linken angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
- Drucksache 16/6309 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)
- Drucksache 16/6828 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6828, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken und der FDP angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von FDP und Linken angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 43 d zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen 553, gültige Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 507, mit Nein haben gestimmt 0, Enthaltungen 46. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jüngste Entwicklungen in Pakistan
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
Walter Kolbow (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bestürzender Vorgang, dass der Präsident Pakistans, Musharraf, die Demokratie außer Kraft gesetzt hat. Zu Recht befassen wir uns hier im Parlament in einer Aktuellen Stunde mit diesem bestürzenden Vorgang.
Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakistanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der angekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur. Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kommentierung nicht einschüchtern lassen.
Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistanischen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. November wird als weiterer dunkler Tag in die politische, rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. - Die massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezustand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft erstarkt ist. Das ist positiv.
Wir fordern von der pakistanischen Regierung die Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilassung der 40 festgenommenen Projektpartner der Heinrich-Böll-Stiftung.
An die internationale Gemeinschaft richten wir die Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unternehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bundesregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ihren Bemühungen.
Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsident der USA die Wiederherstellung der Demokratie eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Europäische Union zu Recht getan.
Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleichwohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeutschen Zeitung feststellt:
Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die Islamisten nicht besiegen kann.
Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht bleiben kann.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überlegungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wichtige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Händen.
Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktuelle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidungen in Pakistan haben.
Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Initiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauerhafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelingen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Regierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzuarbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Mechanismen der Vereinten Nationen. Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den Terror stabilisiert werden können.
Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm. Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch instabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmierende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Gebiete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr beherrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere Soldaten bei ISAF zu spüren.
Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wiederaufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unabdingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung des internationalen Terrorismus.
Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch werden, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokratische Parteien, also starke Institutionen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern sie unterstützt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen.
Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter absetzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die anderen helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und - das sage ich an dieser Stelle - der kann auch kein Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird.
Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen - Herr Kolbow hat darauf hingewiesen -, welch zentrale Rolle Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afghanistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben. Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee geliefert haben - 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen Dollar jeden Monat -, mit dem Ziel, Pakistan zu stabilisieren.
Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit diesem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet. Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu diesem Schritt getrieben wurde.
Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen, dass Pakistan stabil ist. - In ein solches Land kann man dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher gemacht worden ist.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist, U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fähigkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen, dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans gedient hat.
Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu erreichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiterhin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ihnen.
Ich will das auch noch einmal unter einem anderen Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozesses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Islamisten - sie werden immer stärker -, eine aufgeweckte Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelligenz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten, ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte, die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müssten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Putschisten nicht in dieser Form - mit solchen Rüstungslieferungen - unterstützen dürfen.
Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensichtlich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter einem Ausnahmezustand abhalten.
Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demokratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unterdrückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pakistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube - jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen -, keine Differenzen.
Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche es ausdrücklich.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll,
die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geopolitische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschätzen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kaschmir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Afghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar. Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Bewaffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorredner ebenfalls schon hingewiesen.
Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhalten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Islamismus so dringend braucht, und damit die Voraussetzungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Sicherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich, dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demokratischeren Verhältnissen - ich bin mir der Ambivalenz dieses Komparativs durchaus bewusst - zurückkehrt, dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich aufgehoben wird und die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen geschaffen werden.
Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist, dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten.
Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwicklungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft in Pakistan erforderlich.
Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäische Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Antwort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und Zustände in Pakistan gegeben hätte.
Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesellschaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands; vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobachten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Musharrafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakistans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert.
Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu entwickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesellschaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pakistan, die es beeindruckenderweise gibt - der Kollege Kolbow hat darauf hingewiesen -, gestärkt werden und sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass wir an ihrer Seite sind.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Deswegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Aufhebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokratischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unterstreiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden eben gesagt hat.
Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakistan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszugehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakistanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gesprochen worden; ich weise ausdrücklich auch auf Parlamentarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in dieser Situation Flagge zu zeigen.
Wir haben heute Morgen über Afghanistan gesprochen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt. Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwierigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht, sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit vielen Jahren haben.
Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem Thema befassen.
Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation analysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zusammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwischen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungsdefiziten enormer Dimensionen und der unbedingten Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu halten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolonialvergangenheit und nicht zuletzt - man muss das wohl so deutlich sagen - auch die Bereitschaft staatlicher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken.
Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan - auch wir waren daran beteiligt - in den letzten Jahren gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hinblick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials. Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt, selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Taliban zu arrangieren versuchte, was uns allen am 11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist.
Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit erzielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preisgibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Elemente auf der Strecke bleiben.
Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu können, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am Ende mit leeren Händen dastehen.
Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen, wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nuklearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht, wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff bekommen. Die Restoptionen, die dann politisch verbleiben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwischen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr bedenklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferationsklausel gewonnen werden konnte.
Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikanischen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahrscheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden Projekten und Vertragswerken eine klare Position finden. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenminister dieses Themas kraftvoll annehmen wird.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur. Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat, nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt. Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie, Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind richtig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlogen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschgeneral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen schauen.
Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Beispiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner al-Qaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzugängliche Trainingslager, exzellente elektronische Technologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Sicherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamistische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Afghanistan und im Irak findet dort die Operation ?Enduring Freedom“ nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen zudem - das wurde bereits erwähnt - über 75 Atomsprengköpfe.
Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Magazine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed States, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns einmal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat! Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angereichertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle geratene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außerdem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sowjets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Widerstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle. Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die anschließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen. Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schufen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen. Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation;
denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Freifahrtschein ausgestellt. Was hat sie - das frage ich die Regierung - eigentlich in Sachen Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie gegen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und verstößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie gegen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren. Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001 ist Pakistan mit der Operation ?Enduring Freedom“ im Antiterrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbündeten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA angeblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rückzugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden.
Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger existieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokratie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Beseitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterrorkampfs zu trennen?
Danke schön.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwierigere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärtigen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik versucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner Ansicht nicht.
Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Tagen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan, aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Region Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über 160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt versinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbarland Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dürfen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von islamistischen Terroristen geraten.
Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpolitischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Taliban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan, vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß - das ist kein Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so -, dass dieser Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist.
Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwerken konfrontiert, die - jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern Benazir Bhutto - täglich Terror schüren, finanzieren und ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstören wollen.
Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation Entschiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar verlangen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade wegen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich beschreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem gefährlichen Irrweg.
Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen: Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politischer Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentlichen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ordnung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pakistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen richten sich ganz offensichtlich - das hat auch jemand von Ihnen gesagt - gerade gegen die Kräfte, die Pakistan braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu gewinnen.
Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen in aller Offenheit am Telefon erläutert.
Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen, wer die Menschen gegen religiöse und politische Extremisten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen.
Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie, und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vielen politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen.
Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt hat - der pakistanische Außenminister hat es mir gestern am Telefon noch einmal versichert -, dass die in Aussicht genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüglich dieser Ankündigung beim Wort nehmen.
Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt worden sind, ernst ist.
Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie möglich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen Ereignisse überprüfen müssen.
Das heißt auch - Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in diesen Tagen bereits angekündigt -, dass wir jedenfalls Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen. Unsere Politik - deshalb sage ich das - richtet sich gerade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Verhältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitragen können.
Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Alles andere würde ich auch für nicht verantwortlich halten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer der wichtigen Gründe - ich bin Herrn Kolbow dankbar, dass er daran erinnert hat -, warum wir den afghanischen und den pakistanischen Außenminister im Juni gemeinsam nach Potsdam eingeladen haben, um die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu verbessern.
Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung angeht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Interesse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einsetzen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern, Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unterstreicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit, Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Prozess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzumachen, die wir in diesem Haus gar nicht haben.
Wir müssen in dieser Situation aber auch genau schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan machen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Projekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die anderen Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen.
Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch konstatieren, dass der feste Wille von Musharraf und den Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in jeder der Meldungen über die Situation in Pakistan, die wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die eigentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es einmal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Eindruck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat staatlicher Gewalt sind.
Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem einmal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen, dass sich Pakistan inzwischen - die Bundesregierung hat gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt - in den Top Zehn befindet.
Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch intensiver Handelstourismus von verschiedensten Ministern der Bundesregierung in dieser Region betrieben wird - der Verteidigungsminister, aber auch andere waren da schon unterwegs -, und wenn man sieht, was da an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststellen: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Restriktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekommen ist.
Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lieferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsinstrument, selbst konventionell eine ganz erhebliche Herausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um Pakistan herum.
In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien. Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, sondern vernachlässigen den Charakter der Region als Krisenregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen ziehen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches nationale Interesse, welches besondere außen- und sicherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie bis heute.
Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außen- und sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern, zumal wir wissen - vor einem halben Jahr wussten wir es auch schon -, dass niemand sagen kann, wer eigentlich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie hier ankündigen, mehr als angezeigt.
Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäischen Position ausgesprochen werden, eine große Herausforderung für die Linie der Bundesregierung darstellen.
Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei anderen Projekten muss man sich einmal anschauen, welches Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen stattfindet - erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird - in der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über die wir hier sprechen, liefern darf.
Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen. Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegenüber Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Krisengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltenskodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrücklich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen aber leider eine andere Sprache.
Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt, dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen, dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Minister.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle anerkennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat - unabhängig von all den Problemen, die hier zu Recht beschrieben worden sind -, und zwar zum Ersten wegen seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhindern können? - Wir müssen einfach erkennen, dass der Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätsproblem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können. Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusammenhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zunehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerikanisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den Islam begründet hat, war von Anfang an der Widerspruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezielle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt.
Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhängigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde, weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klammer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und anderswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhältnisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, anschließen.
Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwierigen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren 40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist, den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kontrolle zu bekommen. Wir haben natürlich - dazu will ich noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der Kollege Hoyer angesprochen hat - das unmittelbare vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Gefahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen.
Wir haben, wenn wir ehrlich sind - das hat mein Kollege von Klaeden richtigerweise gesagt -, wenig eigene Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland; diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die Europäische Union muss - das würde ich mir, gerade im Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Militärzusammenarbeit, wünschen - hier zu gemeinsamen Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit wem wir es nach der - hoffentlich erfolgreichen - Bewältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben.
Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachdenken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie Indien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zurückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden.
Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indisch-amerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt werden sollten.
Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird immer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien besonders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Unsere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck gebracht werden, mit welchen Partnern wir den internationalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig - dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen -, dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämpfen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis dieser Aktuellen Stunde.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPD-Fraktion.
Johannes Pflug (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung gewesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung: Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ursprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche Wiederwahl bestätigen würde.
Nun kann man solche historischen Betrachtungsweisen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man damit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980 oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabilisiert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjetischen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pakistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen, die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. - Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminiszenzen.
Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Monate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die alten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben das Land an den Abgrund gebracht.
Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus versucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewahren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaftungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den Garanten eines Übergangs in eine demokratische Entwicklung zu sehen.
Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er allerdings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwicklung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition gezwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande einerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Damit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensgefährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im eigenen Lande und mit seinem Geheimdienst.
Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Integration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise gelungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von 8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt, welches Potenzial dahintersteckt - ich unterstelle einmal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest 1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen -, dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der Vergangenheit von den sogenannten demokratischen Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden. Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden die Anhänger auf die Straße geschickt.
Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszenarien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zerfällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanistan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islamischer Gottesstaat. Drittes Szenario - das ist die augenblickliche Entwicklung -: Die vom Militär gestützte Regierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungseliten wieder ins Amt.
Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen, alle unsere Möglichkeiten zu nutzen - es sind nicht viele; sie haben eher appellatorischen Charakter -, das zu fordern, was wir für notwendig halten.
Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon gesagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Vereinigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen. Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maßnahmen überprüfen wolle.
Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan alsbald zur Demokratie zurückkehrt - wobei ich einschränkend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit oder ohne Musharraf.
In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. - Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regierung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokratischen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Johannes Pflug (SPD): Ja. - Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert, verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen. Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. Solange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich stabilisieren.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.
Holger Haibach (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles von dem, was heute gesagt worden ist.
Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man versucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte über Afghanistan, das militärische Engagement und die Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das angesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall angemessen und dieser Debatte nicht würdig.
- Dazu komme ich gleich. - Wenn Sie sagen, Deutschland habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kaschmir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist daran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbessern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. - Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine oder andere sagen.
Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen: Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deutlich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendeiner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demokratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, sehen.
Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat: Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabilisierung des Landes und um das Problem, dass die Extremisten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natürlich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? - Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. - Er trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einsetzen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb meine ich, dass ihm klargemacht werden muss - auch in seinem eigenen Interesse -, dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen.
Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die internationale Staatengemeinschaft doch in höchstem Maße beunruhigen.
Es ist vollkommen evident - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, dass Pakistan für uns ein wichtiger Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Partner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen.
- Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergangenheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind, anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesentlich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber die Verantwortung des anderen nicht nennen.
Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhältnissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden. Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsident Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastrophe - nicht nur für die USA oder die westliche Welt, sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakistan -, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem Land bewahrheiten würde.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für die SPD-Fraktion.
Uta Zapf (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist geworden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüglich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz hautnah betrifft - auch, aber nicht nur wegen Afghanistan -, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung leisten können.
Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror ist - gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen -, ist erwähnt worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die weitere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup: Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Verfassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Oppositionellen werden verfolgt.
Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen. Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekommen und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten. Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokratische Oppositionelle gebärdet.
Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat die Richter und die anderen Oppositionellen, die es gewagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Machtkampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf gemeint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erzfeind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Menschen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhören lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stücke gerissen. - Das ist in der Tat eine schöne bildliche Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Außerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Verfassung zu opfern.
Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert werden. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf seine Armeeuniform auszieht.
Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig. Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien, weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellungen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wissen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisieren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem Land zu leben und Demokratie zu praktizieren.
Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht bekämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militärhilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht einstellen.
Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken darüber zu machen, wie wir helfen können - ebenso massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land, geholfen haben -, diese Regionen zu stabilisieren. Das ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im Zusammenhang gesehen werden müssen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren Gesichte des Bundestages erinnern, nämlich an den 17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag eingebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur Demokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen, notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie damals desavouiert war und das sich durch korruptionsbehaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Regierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufgefordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt, dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine entwicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft.
Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erinnern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungspolitik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Erfolg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden, und - das ist vor allem zu nennen - der wirtschaftliche Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans an.
Man muss jedoch klar sehen - das wurde heute bereits angesprochen -, dass der Krieg gegen die Terroristen in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstellung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakistans regional und international enorm erhöht haben, sondern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie echten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen kann.
Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zu Tage treten. Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halbherzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu suchen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archaische Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feudalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie zum Beispiel in Pandschab.
Wenn es zutrifft - das ist zweifellos der Fall -, dass die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung Pakistans - keine Grabesruhe - für den Erfolg unserer Afghanistanmission entscheidend sind, dann ist es in der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen Antrags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschaftswachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommt und bis nach Waziristan und die Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive Entwicklung in Pakistan geben kann.
Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen - die Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits angesprochen -, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns, Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können.
Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederhergestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfreiheit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig, dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig, dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zurzeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische Maßnahmen verhandeln.
Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine Bildungsoffensive braucht - gegebenenfalls gegen den Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen wir mit unseren Appellen verbinden -, dass Pakistan ein viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssystem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakistan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pakistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht.
Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stellen, dann müssen wir gleichzeitig - das liegt in unserem ureigenen Interesse - den Umfang unserer Reform- und Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei Seiten ein und derselben Medaille sein.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.
Sebastian Edathy (SPD):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt beschrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Abgrund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden weiterer Wendepunkte.
Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land - auf die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehrfach hingewiesen worden -: ein Atomwaffenstaat; ein Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen besitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat, dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Talibankämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert.
Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Entlassung der Oppositionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Richter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach 12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsident und General Musharraf erklärt haben soll, dass er bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uniform anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch mehr getan werden.
Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern:
Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohlgeformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf. Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung gesorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten. Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen.
Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokratisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Aufsicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat den Daumen draufhalten können.
Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren - diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole -, haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bundestagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jahren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert haben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dialog deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte.
Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen, die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspendiert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin definiert sind, durchgesetzt? - Wir haben dort Folgendes beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radikalen Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden massiv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zeitungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zweifel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl ordnungsgemäß verlaufen sei.
Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen: Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pakistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten, damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das genügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobachtern - warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? -, dass die Wahlen fair und transparent durchgeführt werden.
Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Machthaber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu engagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können: zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen, zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakistani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil man sich die Medikamente nicht leisten kann.
In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der Perspektive - das wird Jahrzehnte dauern - sagen: In Pakistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt: ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir haben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen Bürger auf der einen Welt.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 123. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 9. November 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]