134. Sitzung
Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2007
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung vor der Weihnachtspause.
Das wird uns alle in eine hoffentlich noch friedlichere Stimmung versetzen, als sie diese Veranstaltungen ohnehin meist auszeichnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 sowie Zusatzpunkt 8 auf:
30. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
- Drucksache 16/6735 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/7512 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eine Chance für den Wettbewerb - Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Post braucht Wettbewerb - Wettbewerb braucht faire Bedingungen
- Drucksachen 16/6432, 16/6631, 16/7510 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, über den wir später namentlich abstimmen werden, nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit, also 307 Stimmen des Hauses, erforderlich ist.
- Im Augenblick noch nicht, Herr Kollege Brauksiepe, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.
Außerdem liegen zu diesem Gesetzentwurf je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz.
Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden heute einen Beschluss fassen, der die Grundlage dafür schafft, dass der zwischen Tarifvertragsparteien vereinbarte Mindestlohn für den Postsektor Wirklichkeit werden kann. Das ist eine gute Botschaft.
Es ist eine gute Botschaft für diejenigen, die gerade jetzt zur Weihnachtszeit bei schlechtem Wetter die Briefe überall in Deutschland zustellen, weil sie nun wissen, dass sie eine sicherere Zukunft haben, als es ohne die Entscheidung, die wir heute treffen, der Fall gewesen wäre. Es ist eine gute Botschaft für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute Briefdienstleistungen erbringen. Sie wissen nämlich, sie werden am 1. Januar nächsten Jahres einen Anspruch auf höhere Löhne haben.
Es ist auch eine gute Botschaft für diejenigen, die bei der ?alten“ Post arbeiten und sich seit langer Zeit Sorgen machen, was eigentlich aus ihren Löhnen werden soll, wenn Wettbewerber der Post dadurch Konkurrenz machen, dass sie geringere Löhne zahlen, als bei der Post gezahlt werden.
Deshalb profitieren heute viele Menschen davon, dass der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschließt, das ihr Leben verbessert.
Es wird gesagt, das Gesetz, das wir heute beschließen, und der Tarifvertrag, den wir nach der Beratung für allgemeinverbindlich erklären können, würden Arbeitsplätze kosten. Ich halte das für professoralen Unsinn. Aber aus meiner Sicht ist es sehr wohl notwendig, etwas dazu zu sagen. Stimmt dieses Argument eigentlich? Es spricht nichts dafür, dass es ein gutes Argument ist. Denn in Zukunft werden wir im Bereich der Post Wettbewerb haben. Der Wettbewerb wird ab dem 1. Januar des nächsten Jahres sogar zunehmen, weil mehr Wettbewerbsmöglichkeiten auf diesem Markt geschaffen werden, als sie bis heute möglich sind.
Aber es findet ein Wettbewerb statt um das beste Management, um die beste Dienstleistungsstruktur und um die besten Leistungen für die Kunden, die die Dienste der Unternehmen in Anspruch nehmen. Aber es findet kein Wettbewerb um die Frage statt, wer den geringsten Lohn zahlt. Ich glaube, das ist eine gute Botschaft.
Das Argument, dass der Mindestlohn im Postbereich Arbeitsplätze kostet, ist auch deshalb falsch, weil dabei von der Vorstellung ausgegangen wird, Briefe würden nicht befördert werden, weil die Beschäftigten 2 Euro mehr Stundenlohn bekommen. Diese Vorstellung kann man in keiner Weise nachvollziehen. Es ist nämlich nicht so, dass das Postvolumen zu- oder abnimmt, je nachdem, ob Menschen, die diese Briefe zustellen, nur 7 Euro oder 9,80 Euro pro Stunde verdienen.
Aber genau das ist die Behauptung, die hinter den Argumenten steckt, die einige uns hier immer wieder vortragen. Gerade in dem Bereich, über den wir heute debattieren, kann man sich nicht verschwurbelt auf das internationale Geschäft und auf die Globalisierung beziehen. Wer seiner Oma einen Brief schreiben will, hat keinerlei Probleme mit der Globalisierung. Es ist kein Problem, wenn für Briefzusteller ein Mindestlohn von 9,80 Euro gezahlt werden wird.
Darum stimmt das Argument nicht; das muss man ganz eindeutig sagen. Was wir heute beschließen, kostet keine Arbeitsplätze. Das Gegenteil ist wahrscheinlich richtig. Es wird Arbeitsplätze schaffen, weil es ein zukunftsträchtiger Markt ist, auf den sich Menschen gerne orientieren und auf dem sie aktiv werden wollen.
- Herr Westerwelle, seien Sie doch nicht so aufgeregt.
Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir in der nächsten Zeit zwei weitere Gesetze voranbringen werden. Über diese will ich kurz ein paar Worte verlieren.
Es wird eine Weiterentwicklung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geben. Sie wissen, dass es mit der Entscheidung von heute bereits drei Branchen gibt, die in das Entsendegesetz aufgenommen worden sind: die Baubranche, die Gebäudereinigung und jetzt die Briefdienstleistungen.
Wir haben uns darauf verständigt, dass sich bis zum März des nächsten Jahres Branchen melden können, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam der Überzeugung sind, dass es notwendig ist, einen branchenbezogenen Mindestlohn zu vereinbaren. Diese Branchen werden wir dann in das Entsendegesetz zusätzlich aufnehmen.
Es wird immer wieder gefragt, welche Branchen das sind. Das können wir im Deutschen Bundestag nicht beantworten. Denn wir sind Anhänger der Tarifautonomie
und werden deshalb beobachten, welche Branchen sich melden. Ich wundere mich schon, wie schwer Sie sich von der FDP mit Arbeitgebern tun, die sich zu solchen Tarifentscheidungen bekennen. Ich glaube, Sie unterschätzen die Unterstützung für die Sozialpartnerschaft und für Tarifverträge in Unternehmerkreisen. Es gibt viele Unternehmer, die das für eine gute Sache halten und die gerne einen heftigen Wettbewerb untereinander führen, aber nicht indem sie ihre Arbeitnehmer schlechter bezahlen als die anderen.
Wir werden außerdem ein Gesetz aus der Adenauer-Zeit in Richtung der heutigen Verhältnisse weiterentwickeln.
Das Mindestarbeitsbedingungengesetz, das seit 1952 existiert, soll so modern gemacht werden, dass in Branchen, in denen es keinerlei Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt und in denen sehr schlechte Löhne gezahlt werden, dafür gesorgt werden kann, dass sich solche Bedingungen nicht weiter ausbreiten können.
Ich halte das für notwendig. Ich will aber auch ganz klar sagen: Es ist unser Wunsch, dass es im Regelfall überhaupt keine Regelung gibt, weil sich im normalen Tarifgeschehen alles von selbst regelt.
Unser Wunsch ist, dass wir, wenn das nicht funktioniert, mithilfe des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes dafür sorgen, dass tarifliche Vereinbarungen überall gelten. Wir brauchen aber zusätzlich die Möglichkeit, um dort, wo schlimme soziale Missstände herrschen, einzugreifen und anständige Löhne durchzusetzen. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe.
Ich glaube im Übrigen, dass wir mit dem, was wir hier heute tun, einen kleinen Beitrag zur Beantwortung einer Frage leisten, die uns viele Menschen derzeit stellen. Sie sagen: ?Es gibt einen Aufschwung; das sieht man.“ Das kann man zum Beispiel beim Nachbarn sehen, der früher arbeitslos war und jetzt einen Job hat. ?Ich persönlich merke von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung aber nichts.“ Weil ein großer Teil der Menschen das sagt, müssen wir eine Antwort auf die Frage geben, was wir dazu beitragen können, damit sich auch bei ihnen etwas positiv entwickelt. Eine Absicherung der Löhne nach unten ist natürlich ein guter Beitrag dazu, dass der Aufschwung auch tatsächlich bei allen Menschen in unserem Land ankommen kann.
Galileo Galilei hat es schwer gehabt, als er die Auffassung durchsetzen wollte, dass die Erde keine Scheibe ist.
Wir haben es in Deutschland gegenwärtig schwer, die Behauptung zu verbreiten, dass in fast allen mit uns vergleichbaren Ländern Mindestlöhne Realität sind.
Denen, die skeptisch sind, sage ich: Schauen Sie sich um in der Welt, und Sie werden feststellen, dass es in fast allen Staaten, die mit uns vergleichbar sind, gesetzliche Mindestlöhne gibt, und sie haben dort weder Aufschwung noch Wohlstand noch Vollbeschäftigung behindert. Das ist eine Mär, die uns hier erzählt wird.
Sogar in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es Mindestlöhne. Amerikaweite Mindestlöhne, die der Kongress beschließt und die er gerade vor kurzem wieder angehoben hat! Das ist ein Beispiel dafür, dass manches von dem, was hier über die Gefahren der Mindestlöhne erzählt wird, schlichtweg eine Erfindung ist, für die man in keinem Land der Welt einen Beweis findet.
Wir haben in Europa ein sehr gutes Beispiel: Großbritannien. In Großbritannien wurden Ende der 90er-Jahre Mindestlöhne eingeführt; übrigens, nachdem dort Reformen gemacht worden sind, die dem entsprechen, was wir hier als Arbeitsvermittlungsreformen durchgeführt haben.
- ?Hartz-Reformen“ sagen einige. Ich habe aber schon immer ?Arbeitsvermittlungsreformen“ gesagt. - Wir haben also ebenso wie Großbritannien Arbeitsvermittlungsreformen durchgeführt. Nach diesen Reformen sind dort Mindestlöhne eingeführt worden. All die Fragen, über die wir hier zu diskutieren haben, kann man mit Blick auf dieses Land beantworten. Das gilt zum Beispiel für die Frage: Kostet das Arbeitsplätze? In Großbritannien hat das keine Arbeitsplätze gekostet. Dort herrscht Vollbeschäftigung. Man braucht sogar eine Arbeitskräftezuwanderung, um alle im Land existierenden Arbeitsplätze besetzen zu können. Manche Leute, die früher nach Deutschland gekommen sind, um hier eine Saisonarbeit auszuführen, gehen jetzt übrigens nach Großbritannien - wegen der Mindestlöhne. Das ist ein Beleg dafür, dass man Wachstum mit solchen Mitteln sogar befördern kann.
Den vielen Zwischenrufern, die sagen, dass es da zwar Mindestlöhne, aber keinen Kündigungsschutz gibt, will ich noch etwas sagen: Ich bitte Sie, sich auch diesbezüglich ein bisschen in der Welt umzuschauen.
Man sollte über die Globalisierung nicht nur reden und sagen: Es soll da draußen eine Welt geben, und die ist schwierig. - Globalisierung heißt auch, dass man sich in der Welt umschaut. Wenn man das tut, stellt man fest, dass die Behauptung, dass es anderswo keine Kündigungsschutzbestimmungen gibt, eines der meistverbreiteten Gerüchte in diesem Land ist. Viele Länder in Europa, die Kündigungsschutzregelungen haben, die härter und strikter als in der Bundesrepublik Deutschland sind, haben zugleich Mindestlohnregelungen. Deshalb ist auch diese Behauptung kein Beweis, sondern nur ein weiteres nicht überzeugendes Argument gegen das, was wir hier heute tun.
Meine Damen und Herren, Politik ist dazu da, dass sich das Leben der Menschen verbessert. Wir leisten heute mit diesem Gesetz einen Beitrag dazu, dass das Leben vieler Menschen ab dem 1. Januar nächsten Jahres besser wird. Ich glaube, darauf können wir gemeinsam stolz sein.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Ihnen geht es heute nicht um den Schutz von Arbeitnehmern.
Ihnen geht es heute darum, einen Staatsmonopolisten mit dem Namen Post zu schützen.
Das ist das Anliegen, das heute durch den Deutschen Bundestag gebracht wird.
Wenn es Ihnen darum gehen würde, Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu machen, und wenn es Ihnen darum gehen würde, die Gerechtigkeitslücke zu schließen, dann müssten Sie unserem Volk die Nettofrage beantworten: Was nutzt den Arbeitnehmern denn ein Bruttomindestlohn, der auf dem Papier steht, wenn Sie als Regierung ihnen durch Steuer- und Abgabenerhöhungen immer weniger netto in der Tasche belassen? Das ist die soziale Frage, die beantwortet werden muss.
Diese Bundesregierung beklagt eine Gerechtigkeitslücke, die sie selber geschaffen hat.
Sie haben dafür gesorgt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger Geld in der Tasche haben als im vorigen Jahr. Jetzt wundern Sie sich, dass die Mehrheit unseres Volkes sagt: Der Aufschwung geht an uns vorbei.
Eine durchschnittliche vierköpfige Familie hat aufgrund Ihrer Steuer- und Abgabenerhöhungspolitik in diesem Jahr 1 600 Euro weniger zur Verfügung als im letzten Jahr. Da können Sie doch nicht zulasten der Wirtschaft mit Mindestlöhnen kommen! Sie müssen den Handlungsspielraum des Staates endlich auf seine Kernaufgaben begrenzen. Greifen Sie den Bürgern weniger in die Tasche.
Dann haben die Menschen mehr Netto vom Brutto. Das ist sozial und im Sinne derjenigen, die arbeiten und den Karren in Deutschland ziehen.
Herr Minister, weil Sie das Entsendegesetz angeführt haben, möchte auch ich etwas dazu sagen. Das Entsendegesetz ist Mitte der 90er-Jahre verabschiedet worden,
um Deutschland bzw. deutsche Unternehmen in Anbetracht der EU-Osterweiterung vor ausländischer Billigstkonkurrenz und vor Dumpingangeboten zu schützen.
Mit diesem Gesetz verfolgte man also das Ziel, deutsche Unternehmen zu schützen, und zwar vorzugsweise vor osteuropäischer Dumpingkonkurrenz. Jetzt verwenden Sie das Entsendegesetz, um einen deutschen Monopolisten vor deutscher Konkurrenz zu schützen, und das zulasten von Zehntausenden Arbeitsplätzen, die dadurch über die Wupper gehen.
Das, was Sie hier beschließen, ist unsozial.
Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, dass ein sozialdemokratischer Arbeitsminister allen Ernstes amerikanische Verhältnisse fordert, die Sie sonst wie der Teufel das Weihwasser fürchten. Ich will übrigens, anders als Sie, keine amerikanischen Verhältnisse.
Deswegen möchte ich auch nicht, dass wir in Deutschland ein Entsendegesetz mit Mindestlöhnen à la Amerika beschließen. Dort gibt es keine Tarifautonomie, dort gibt es keine gut organisierten Interessenvertretungen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, und dort gibt es keinen Kündigungsschutz, wie wir ihn kennen. Sie sollten einmal auf einem SPD-Parteitag sagen, dass Sie uns allen Ernstes empfehlen, in Deutschland für amerikanische Verhältnisse zu sorgen.
Mal sehen, ob Sie dort lebend herauskommen.
Im Übrigen möchte ich festhalten, dass es in keinem Land der Welt einen Mindestlohn in Höhe von 9,80 Euro gibt. Das, was Sie beschließen, ist der höchste Mindestlohn der Welt. Auch das muss, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes geht, gesagt werden.
Viele Abgeordnete aus den Reihen der Union argumentieren genauso, wie wir es tun; Ihre Begeisterung steht Ihnen doch ins Gesicht geschrieben. Ich stelle fest, dass Frau Wöhrl, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, gesagt hat:
Was vereinbart wurde, ist ökonomisch falsch. Der Mindestlohn führt zu Arbeitsplatzverlusten und verhindert, dass mehr Geringqualifizierte eine Arbeit finden.
Sie ist eine kluge Parlamentarische Staatssekretärin. Aber dass der Bundeswirtschaftsminister in dieser Debatte zulasten des Mittelstandes hier fehlt, ist nicht einmal durch ein Geburtstagsfest zu erklären.
Ich möchte zitieren, was der Ministerpräsident des Landes Thüringen frisch am heutigen Tage dazu veröffentlicht.
Er sagt:
Es ist schön, wenn ein Mindestlohn gezahlt wird. Wenn er aber zum Abbau von Arbeitsplätzen und zur Stabilisierung eines Monopols führt, dann lehne ich ihn ab.
Das sagte der Ministerpräsident am heutigen Tage.
Weil in der Debatte noch ein Vertreter der wirtschaftlich denkenden Unionsabgeordneten sprechen wird, nämlich Herr Kollege Meyer, richte ich das Wort an ihn: Wenn Sie selbst am heutigen Tage sagen, dieses Gesetz sei - wörtlich - ?ein bisschen dazu missbraucht“ worden, ?die Wettbewerbssituation für die Zukunft im Interesse der Post zu beeinflussen“, dann können Sie, meine Damen und Herren von der Union, heute nicht zustimmen.
Nun sprechen wir gelegentlich auch über das, was mit einem angeblichen Niedriglohn und mit Billigstkonkurrenz gemacht wird. Wir wollen, an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet, eines festhalten: Sie sagen, dass die privaten Wettbewerber schäbige Löhne anbieten.
- ?Richtig“ rufen Sie von der SPD. - Ich möchte Ihnen eines sagen: Sie als SPD sind selber indirekt an der PIN AG beteiligt.
Ihnen gehört ein Teil des Unternehmens über ihre Vermögensbeteiligungen. Sie können doch nicht hier im Deutschen Bundestag die Politik eines Unternehmens als unsozial kritisieren, das Ihnen selbst zum Teil gehört. Das, was Sie hier machen, ist eine unglaubwürdige Politik.
Kasse machen mit niedrigen Löhnen und hier darüber klagen - das ist wirklich ein starkes Stück.
Schließlich wollen wir auch einmal darüber reden, warum denn die Löhne bei den privaten Wettbewerbern niedriger als die sind, die von dem Staatsmonopolisten Post gezahlt werden. Das wissen viele unserer Bürgerinnen und Bürger nicht. Die Post zahlt keine Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent, während die Privaten die volle Mehrwertsteuerlast zu tragen haben. Ein solcher Kostenvorteil ist unfair. Dass Private dann versuchen, anders zurechtzukommen, ist marktwirtschaftlich nachvollziehbar, wenn auch sozial falsch. Deswegen wäre es Ihre Aufgabe, wenigstens an das Mehrwertsteuerprivileg heranzugehen. Aber nicht einmal das trauen Sie sich mittlerweile.
Sie - als Deutscher Bundestag - beschließen ein Gesetz und nutzen die gesetzgeberische Macht des Staates, damit Anteile des Staates wertvoller werden. Dieser Staat, der durch die Bundesregierung vertreten wird, hat durch die Mindestlohnentscheidung allein durch das Aktienpaket, das Deutschland an der Post hält, einen Gewinn von ungefähr 1,5 Milliarden Euro gemacht. Es ist ein einmaliger Vorgang, dass der Gesetzgeber seine Macht nutzt, damit der Staat unter Ausschaltung privater Konkurrenz Kasse machen kann. Normal ist das nicht, und auch mit Marktwirtschaft hat das nichts zu tun.
Deswegen appelliere ich an Sie: Das ist eine der folgenschwersten Entscheidungen gegen die soziale Marktwirtschaft,
weil sie nämlich die Tarifautonomie infrage stellt und diese durch staatliche Lohnfestsetzung ersetzen will. Dass das von Linken, von Sozialdemokraten und auch von einem Teil der Grünen gewollt ist, ist nichts Neues. Dass Sie von der Union das mitmachen, ist enttäuschend bis empörend.
Wo sind denn Ihre Mittelständler? Wo sind denn Ihre Leute, die die soziale Marktwirtschaft und Ludwig Erhard noch ernst nehmen? Dass Sie, Herr Kollege Brauksiepe, als Sozialdemokrat damit vielleicht nicht einverstanden sind,
kann ich verstehen. Aber wo sind denn die Mittelständler der Union? Sie müssten jetzt einmal ihre Loyalität zur Verfassung zeigen. Soziale Marktwirtschaft ist besser als bürokratische Staatswirtschaft. Diese Festsetzung staatlicher Löhne ist der Weg in die Planwirtschaft. Dann können wir auch gleich die Preise festsetzen. Das ist DDR - nur ohne Mauer. Wir Freien Demokraten wollen etwas anderes.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt weite Ausflüge in viele politische Felder gehört, die zum Teil wenig mit dem zu tun haben, was heute hier zur Debatte steht.
Ich will mit ein paar Hinweisen zu dem beginnen, was Sie, Herr Kollege Westerwelle, gesagt haben. Sie müssten Ihr Büro einfach bitten, die Redetexte ein bisschen zu aktualisieren.
Wahr ist, dass Sie vor vier Wochen in diesem Hause dagegen gestimmt haben, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erneut - und zwar auf 3,3 Prozent - gesenkt wird.
Wahr ist aber auch, Herr Kollege Westerwelle, dass dieses Haus das trotzdem so beschlossen hat. Wir haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dieser Legislaturperiode allein bei der Arbeitslosenversicherung um 25 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Das ist die Tendenz von Brutto und Netto in Deutschland. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis, auch wenn Sie es vergeblich bekämpft haben.
Es mag ja sein, Herr Kollege Westerwelle, dass Sie die für die Briefdienstleister vereinbarten Löhne für zu hoch halten. Wir, die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, halten uns aus materiellen Fragen der Lohnfindung heraus.
Aber auch diesbezüglich sollten Sie die Realität zur Kenntnis nehmen. Das Briefdienstleistergewerbe ist die dritte Branche, die in das Entsendegesetz aufgenommen wird. Sowohl in der Baubranche als auch bei den Gebäudereinigern haben wir in den verschiedenen Entgeltstufen, die es da gibt, in der Spitze Mindestlöhne im zweistelligen Bereich, also von über 10 Euro. Es ist schlicht die Unwahrheit, wenn man behauptet, für die Briefzusteller würden die höchsten Mindestlöhne überhaupt vereinbart. Nehmen Sie in diesen Fragen bitte wenigstens die Realität zur Kenntnis, Herr Kollege Westerwelle.
Ich komme nun zu dem, was hier heute tatsächlich zur Abstimmung steht. Die Große Koalition hat sich im letzten Juni darauf verständigt, in diesem Land keinen flächendeckenden, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, sondern tariflichen Mindestlohnvereinbarungen dort zum Durchbruch zu verhelfen, wo es von den Tarifpartnern gewünscht wird. Wir haben gesagt, dass wir die Tarifpartner stärken wollen. Wir wollen sie nicht ersetzen. Das ist der richtige Weg, der gemäß der Vereinbarung von Meseberg von der Bundesregierung für die Briefdienstleistungen eingeschlagen worden ist.
Wir sind inzwischen alle um ein paar Erfahrungen reicher. Wir haben inzwischen zwei neue Arbeitgeberverbände. Wir haben eine neue sogenannte Gewerkschaft, die erste, die für niedrige Löhne kämpft.
Für uns als CDU/CSU bleibt es dabei: Wer für tarifliche Mindestlöhne ist, muss ein Interesse daran haben - wir haben dieses Interesse -, dass möglichst viele Beteiligte einer Branche in eine freiwillige Verhandlungslösung einbezogen werden.
Deswegen ist das Kriterium der 50-prozentigen Tarifbindung auch nicht willkürlich. Wir wissen, dass eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung in einer sozialen Marktwirtschaft ein scharfes Schwert ist. Deswegen ist es unserer Meinung nach notwendig, dass die Mehrheit der Beteiligten einer Branche eine Vereinbarung schließt; diese muss dann zur Not auch für die Minderheit gelten. Es darf nicht umgekehrt sein, sodass Minderheiten für Mehrheiten verhandeln.
Deswegen haben wir unserem Koalitionspartner schon in der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses vorgeschlagen, einen Mindestlohn für Briefdienstleister einzuführen, wenn der entsprechende Betrieb oder die selbstständige Betriebsabteilung überwiegend gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördert. Das war unser Vorschlag: ein Mindestlohn für Briefdienstleister, für diejenigen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen - für wen auch sonst, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Leider hat sich unser Koalitionspartner noch vor wenigen Wochen außerstande gesehen, diesen Weg mitzugehen. Es hat dann Äußerungen von unserem Koalitionspartner gegeben, man solle das Thema liegen lassen.
Wir haben als CDU/CSU immer klar gesagt: Die Tür steht offen. Denn natürlich sehen wir, dass es in diesem Sektor ein Problem gibt, das gelöst werden muss. Wir sind froh, dass die Tarifvertragsparteien uns inzwischen recht gegeben haben. Wir haben gesagt: Wir wollen einen Mindestlohn für diejenigen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen. Es ist gut, dass die Tarifvertragsparteien dem nun nachgekommen sind und einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen haben, in dem sie exakt das vereinbart haben, was wir für sinnvoll halten.
Das Struck’sche Gesetz gilt auch in dieser Frage: Nicht nur die Tarifvertragsparteien haben sich bewegt, auch unser Koalitionspartner hat das inzwischen akzeptiert. So wird dieses Gesetz heute in geänderter Fassung beschlossen, nachdem klargemacht wurde: Wir machen einen Mindestlohn für diejenigen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen.
Im Ergebnis können wir feststellen: Wir haben unsere Forderungen durchgesetzt, wir haben Kurs gehalten, und wir halten Wort. Deswegen ist es gut, wenn unter den von uns formulierten vernünftigen Bedingungen der Mindestlohn für Briefdienstleister jetzt kommt.
Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir wollen Wettbewerb in der Briefdienstleistungsbranche, und es wird diesen Wettbewerb geben. Sie sprachen von Ludwig Erhard, Herr Kollege Westerwelle. Deshalb will ich Ihnen sagen: Dieses Land ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht durch einen Wettbewerb um möglichst niedrige Löhne wirtschaftlich stark geworden, dieses Land ist durch Wettbewerb um die besten Ideen, um Qualität, um Innovation stark geworden. Ludwig Erhard hat gesagt: Wohlstand für alle! Das haben Sie einmal unterstützt. Wohlstand für alle ist etwas anderes als Tariflöhne oder Mindestlöhne unter 6 Euro. Wohlstand für alle ist damit nicht zu machen. Wir stehen für Wohlstand für alle und nicht für Billiglöhne, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich schmerzen uns Ankündigungen, dass Arbeitsplätze verloren zu gehen drohen. Wir wissen allerdings, dass die Große Koalition keine Möglichkeit hatte, solchen Drohungen durch Tun oder Unterlassen zu entgehen; denn die einen haben gedroht, 32 000 Mitarbeiter zu entlassen, wenn wir nichts machen, und die anderen haben mit Entlassungen gedroht für den Fall, dass wir etwas machen. Deshalb sage ich klipp und klar - ich denke, das kann ich für die ganze Große Koalition sagen -: Wir lassen uns durch Drohungen nach dem Motto ?Wer droht mit mehr Entlassungen?“ nicht einschüchtern. Wir haben uns auf Grundsätze verständigt, die vernünftig sind. Weil diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann es nun einen tariflichen Mindestlohn für Briefdienstleister geben.
Was lehren uns die letzten Monate? Zunächst einmal: CDU und CSU halten sich an Vereinbarungen. Das heißt auch: Es kommt nur das, was die Große Koalition vereinbart hat. Für die Zukunft heißt das im Übrigen: Wir, CDU und CSU, versuchen weder, Branchen zu überreden, Anträge zur Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu stellen, noch, das nicht zu tun. Wir respektieren die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, ob sie wollen, dass ihre Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird oder nicht.
Wir haben in der Koalition vereinbart, dass sich die Branchen bis zum 31. März 2008 melden können. Dann machen wir ein einziges Gesetz, nicht etwa eines je Branche. Das heißt allerdings, dass Tricksereien in einzelnen Branchen das ganze Verfahren verzögern können. Deswegen empfehle ich allen in den Branchen, gerade den Arbeitgebern: Versuchen Sie nicht, einen Sport daraus zu machen, das Kriterium, dass 50 Prozent der in der Branche Beschäftigten der Tarifbindung unterliegen müssen, möglichst knapp zu erfüllen! Das kann ein Spiel mit dem Feuer werden. Es muss darum gehen, möglichst viele - möglichst alle - in solche Branchenvereinbarungen einzuschließen. Das ist das, was die CDU/CSU in dieser Frage anstrebt.
Man mag in diesen Fragen unterschiedlicher Auffassung sein. Deshalb ist es wichtig, sich ein paar Fakten zum Thema Mindestlohn in Erinnerung zu rufen. Zu diesen Fakten gehört: Es gab und gibt in Deutschland aus guten Gründen keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Das hat keine Partei in der Vergangenheit getan.
Es gibt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz seit 1996, um tariflichen Mindestlohnvereinbarungen in der Bauwirtschaft den Weg zu bereiten. Es wurde also unter einer Koalition von CDU/CSU und FDP eingeführt.
In der jetzigen Großen Koalition wurde eine Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes um die Gebäudereiniger und die Briefdienstleister beschlossen.
Das ist das, was hinsichtlich der gesetzlichen und tariflichen Mindestlöhne in der Geschichte dieses Landes gemacht worden ist. Das heißt: CDU, CSU, SPD und FDP sind die Parteien für tarifliche Mindestlöhne in Deutschland - diese und keine anderen, ob es Ihnen passt oder nicht.
Wahr ist auch: Die Union war immer dabei. Alle tariflichen Absicherungen von Mindestlöhnen sind unter der CDU-Kanzlerin und den CDU-Kanzlern eingeführt worden. Wahr ist auch: Sie von den Grünen waren nie dabei. Sie haben viel geredet, getan haben Sie in diesem Bereich nichts. Nicht eine Branche haben Sie in sieben Jahren rot-grüner Regierung in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, obwohl es das Gesetz schon gab. Auf eine späte Erkenntnis können Sie sich also nicht berufen. Sie reden viel, getan haben Sie nichts. Als Sie an der Regierung waren, ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Eine Absicherung der Menschen im Lohnbereich nach unten hat es bei Ihnen nicht gegeben. Das ist die Wahrheit.
Die FDP war auch schon einmal besser. Sie waren damals, als der tarifliche Mindestlohn erfunden wurde, dabei. Sie waren Miterfinder dieses tariflichen Mindestlohns.
Deswegen sagt Norbert Blüm bis heute zu mir, dass der Heinrich Kolb damals im Wirtschaftministerium ein guter Mann war. Er hat mitgeholfen, dem tariflichen Mindestlohn den Weg zu bahnen.
Herr Westerwelle, ich habe auch das noch einmal nachgelesen: Sie sind genau rechtzeitig zur Verabschiedung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes 1996 in den Bundestag nachgerückt. Herzlich Willkommen also im Club derer, die für tarifliche Mindestlöhne in diesem Land streiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Brauksiepe, darf der Kollege Kolb eine Zwischenfrage stellen?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Selbstverständlich.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Einspruch, Herr Kollege Brauksiepe! Weil ich genau wusste, dass das von Ihrer Seite kommen würde, habe ich mir das noch einmal im Detail angeschaut.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Sie haben sich der Stimme enthalten; das ist wahr.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Wenn Sie sich das auch noch einmal anschauen, dann werden Sie feststellen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz von damals mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz von heute allenfalls noch die Überschrift gemein hat.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in seiner ursprünglichen Fassung war auf September 1999 begrenzt. Das heißt, das, was Liberale immer fordern, nämlich einen Eingriff zeitlich zu begrenzen, war Gegenstand dieses Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in seiner ursprünglichen Fassung. Es war auf den Baubereich begrenzt und an die Voraussetzung der Zustimmung des Tarifausschusses geknüpft. All das wurde von Rot-Grün in dem Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte im Dezember 1998 beseitigt.
Deswegen ist dieses Gesetz heute ein vollkommen anderes als das damalige. Deshalb weise ich Ihren Vorwurf mit Nachdruck zurück.
Stimmen Sie mir zu?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Kollege Kolb, zunächst einmal bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Große Koalition unabhängig von dem Wortlaut des aktuell geltenden Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vereinbart hat, dass nur die Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, bei denen es beide Tarifparteien wollen
und bei denen es eine Tarifbindung von über 50 Prozent gibt. Das ist nicht die Formulierung in dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der heutigen Fassung, sondern in der Großen Koalition politisch vereinbart. Ich bitte, das einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Da ich diese Zwischenfrage erwartet habe, kann ich Ihnen auch bestätigen,
dass Sie sich, nachdem Sie mit Norbert Blüm alle Vorarbeiten getroffen hatten, am Ende als einer von drei Fraktionskollegen an dieser Stelle enthalten haben. Das ist wahr.
Das sei Ihnen nach den guten Vorarbeiten aber verziehen.
Ich will Sie aber einmal auf die Zielsetzung hinweisen, die damals im Gesetzentwurf der Bundesregierung genannt worden ist. Es wurde gesagt: Es sollen gespaltene Arbeitsmärkte und die aus ihnen resultierenden sozialen Spannungen vermieden werden. - Das ist doch ein gutes Ziel. Darum ging es damals, und darum geht es beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch heute.
Darum ist es richtig, dass wir das damals gemacht haben. Sie waren damals viel besser, als Sie uns heute selbst suggerieren wollen, lieber Herr Kollege Kolb.
Am Ende eines langen Prozesses können wir heute den Mindestlohn für Briefdienstleister auf den Weg bringen. Es ist ein Erfolg der Großen Koalition, dass das unter diesen Bedingungen gelungen ist. Es war ein nicht ganz einfacher Weg. Völlig klar ist, dass wir die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - in allen Branchen im Übrigen - sorgfältig beobachten werden. Für uns ist völlig klar: Wir gehen zuversichtlich in die weitere Arbeitsmarktpolitik. Wir haben heute 1,3 Millionen Arbeitsplätze im sozialversicherungspflichtigen Bereich mehr als zu Beginn der Amtszeit der Regierung Merkel. Wir sehen der weiteren Entwicklung sehr zuversichtlich entgegen. Deswegen können wir heute dem Mindestlohn für Briefdienstleister zustimmen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Oskar Lafontaine ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion stimmt der Vorlage zur Einführung eines Mindestlohns zu. Wir stimmen auch der eröffnenden Bemerkung des Bundesarbeitsministers zu, dass dieses Gesetz eine positive Nachricht für viele Menschen ist, die davon betroffen sind. Insofern werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Wir sind auch der Auffassung, dass die bisher gegen den Mindestlohn ins Feld geführten Argumente nicht tragen. Das gilt insbesondere für die Argumente, die Kollege Westerwelle von der FDP hier vorgetragen hat. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Westerwelle, vorhalten, dass Sie ein fundamentales Missverständnis von der Funktionsweise der sozialen Markwirtschaft haben.
Dieses fundamentale Missverständnis besteht darin, dass der Wettbewerb in einer sozialen Markwirtschaft auch einen Wettbewerb um möglichst niedrige Löhne zulässt. Genau das haben Sie hier vorgetragen. Dies hat mit der Idee der sozialen Marktwirtschaft überhaupt nichts zu tun. Auch insoweit kann ich die Ausführungen des Bundesarbeitsministers hier unterstützen.
An die Adresse der CDU/CSU möchte ich sagen, dass in Ihren Reihen einst ein Bundestagsabgeordneter war, Franz Böhm, der die Funktionsweise der sozialen Marktwirtschaft an dieser Stelle genau erläutert hat. Er wies darauf hin, dass der Wettbewerb eine staatliche Veranstaltung ist
- das ist ein Zitat, wenn Sie über die Aussage eines der Gründerväter der Freiburger Schule lachen, qualifiziert Sie das nicht gerade -
und dass diese staatliche Veranstaltung natürlich sicherstellen muss, dass es keinen Wettbewerb um niedrige Löhne geben darf. Ihren Ausführungen liegt eine völlig abenteuerliche Vorstellung zugrunde.
Sie haben hier nicht nur ein fundamentales Missverständnis von sozialer Marktwirtschaft offenbart, sondern Sie liegen auch mit Ihrem Vorwurf völlig falsch, hier ginge es darum, ein Abdriften in die Staatswirtschaft zu verhindern. Was der Staat hier macht, ist genau das, was in einer sozialen Marktwirtschaft seine Aufgabe ist: Er legt die Rahmenbedingungen fest, zu denen der Wettbewerb organisiert werden soll. Er möchte darauf hinwirken, dass Wettbewerb um die besseren Produkte, um die besseren Managementmethoden, um die besseren Dienstleistungen, um die besseren Verfahren usw. entsteht, aber nicht um möglichst niedrige Löhne. Das müssen Sie endlich akzeptieren, sonst können wir in diesem Hause nicht auf gleicher Grundlage über soziale Marktwirtschaft diskutieren.
Wenn Sie hier ein Abgleiten in die Staatswirtschaft monieren, dann liegen Sie völlig falsch. Hier setzt der Staat die notwendigen Rahmenbedingungen. Die Forderung, die Sie hier vortragen, wäre tatsächlich ein Abgleiten in die Staatswirtschaft, indem der Private ganz niedrige Löhne zahlt und der Staat den Rest drauflegen muss. Das wäre doch ein Abgleiten in die Staatswirtschaft, die im Grunde genommen von niemandem gerechtfertigt werden kann.
Deswegen ist über Mindestlöhne eine ordnungspolitische Debatte zu führen. Wenn Sie die Freiburger Schule nicht überzeugt, Herr Kollege Westerwelle, dann habe ich für Sie ein Buch mitgebracht: Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Aus diesem Buch möchte ich Ihnen einmal vorlesen:
Der Mensch ist darauf angewiesen, von seiner Arbeit zu leben, und sein Lohn muß mindestens so hoch sein, daß er davon existieren kann. Meistens muß er sogar noch höher sein, da es dem Arbeiter sonst nicht möglich wäre, eine Familie zu gründen.
Wann endlich begreifen Sie, dass das, was wir hier machen, im Grunde genommen die Grundlage jeder sozialen Marktwirtschaft ist?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es geht jetzt nach der üblichen Ordnung: Zunächst frage ich den Redner, ob er bereit ist, eine Zwischenfrage zuzulassen.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Selbstverständlich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Er hat das bestätigt. Damit, Herr Kollege Westerwelle, haben Sie Gelegenheit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Kollege Lafontaine, da Sie die Freiburger Schule meiner Meinung nach sehr aus dem Zusammenhang gerissen zitiert haben, möchte ich einen anderen Ökonomen zitieren, der sagte:
Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher auf einem Irrtum, ist ein unerfüllbarer törichter Wunsch. Er ist die Frucht jenes falschen und platten Radikalismus, der die Voraussetzungen annimmt, die Schlussfolgerungen aber umgehn möchte.
Dieser Ökonom ist Ihnen sicherlich besser bekannt: Es war Karl Marx.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben schon bessere Bemerkungen gemacht. Karl Marx hat selbstverständlich recht, und niemand hat heute gleiche Löhne für alle gefordert.
Entschuldigen Sie, aber Sie liegen völlig daneben. Haben Sie die Logik völlig außer Kraft gesetzt? Es geht nicht um gleiche Löhne für alle. Was Sie vorgetragen haben, ist absurd. Es geht nur darum - um mit Adam Smith zu reden -, dass der Mensch auf einen Lohn angewiesen ist, von dem er leben kann. Kein anständiger Mensch in diesem Hause sollte für Löhne plädieren, die darunter liegen.
Ich wundere mich - an dieser Stelle ist in der Tat ein Zerwürfnis festzustellen -, dass Sie das offensichtlich moralisch nicht erreicht. Adam Smith war nicht in erster Linie Ökonom, sondern Moralphilosoph. Sie sollten ernsthaft über das nachdenken, was er festgestellt hat.
Soziale Marktwirtschaft heißt nicht, die niedrigsten Löhne zu bieten, und der Staat zahlt den Rest dazu. Was Sie vortragen und als liberale Wirtschaftspolitik reklamieren, ist absurd.
Ich möchte darauf hinweisen, dass sich einige Kollegen meiner Fraktion der Stimme enthalten werden, weil sie nach wie vor der Auffassung sind - das ist auch die Auffassung der Gesamtfraktion -, das es heute nicht mehr zulässig ist, bei solchen Dienstleistungen zwischen Ost und West zu differenzieren. Das ist ungerecht.
Diese Zurücksetzung der Ostdeutschen ist nicht akzeptabel - wer auch immer das anstrebt -;
denn man kann keinen Produktivitätsrückstand als ökonomisch vertretbares Argument für diese Differenzierung anführen. Sie haben kein einziges vernünftiges ökonomisches Argument dafür.
Es ist zwar richtig, dass im Osten noch niedrigere Löhne gezahlt werden als im Westen, was die unteren Tarifbereiche angeht,
aber ich muss Ihnen an dieser Stelle Heuchelei vorwerfen, Herr Kollege Brauksiepe. Sie haben als christlicher Demokrat - oder Sozialdemokrat oder was immer Sie inzwischen sein wollen - an die FDP gewandt ausgeführt, dass Sie der Auffassung sind, dass man in Deutschland keinen Lohn unter 6 Euro zulassen sollte. Wenn Sie tatsächlich dieser Auffassung sind, dann sollten Sie endlich aufhören, sich einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zu verweigern. Andernfalls heucheln Sie in diesem Zusammenhang.
Sie stehen auch im Widerspruch zu den Lehren, auf die Sie sich angeblich immer wieder berufen. Ich halte Ihnen noch einmal vor, dass die christliche Soziallehre, die angeblich Fundament Ihrer Politik ist, einen gerechten Lohn fordert. Dass ein gerechter Lohn so definiert ist, dass man davon leben können muss, dürfte eigentlich jedem unmittelbar einsichtig sein. Insofern ist die Haltung der CDU/CSU an dieser Stelle nicht nachvollziehbar. Sie steht im Widerspruch zu Ihrem Bekenntnis zum christlichen Menschenbild. Das ist nicht nachvollziehbar.
Der Verweis auf die Tarifvertragsparteien ist pure Heuchelei oder Zynismus. Gerade Sie verweisen an dieser Stelle auf die Tarifvertragsparteien, obwohl Sie wissen, dass die Tarifvertragsparteien in vielen Fällen gar nichts mehr regeln können. Wenn Sie nur ein bisschen redlich sind, dann müssen Sie auch darauf eine Antwort haben, was geschieht, wenn die Tarifparteien nichts mehr regeln können. Sie müssten dann zu dem Ergebnis kommen, dass der Staat oder die Gesamtgesellschaft gefordert ist.
Ihre Verweigerung des gesetzlichen Mindestlohns ist in höchstem Maße unverantwortlich; denn Sie sind für Ausbeuterlöhne verantwortlich, die in Deutschland immer noch gezahlt werden. Sie sollten sich für die Verweigerung einer solchen zwingenden sozialpolitischen Regelung schämen.
Sie sollten sich vielleicht einmal die Frage stellen - das richte ich auch an Sie, Kollege Westerwelle -, wie die Rente eines Menschen aussehen wird, der mit einem Stundenlohn von 5 Euro nach Hause geht. Haben Sie sich das jemals gefragt? Soll auch dann der Staat Geld drauflegen? Dass man die Mindestlohndebatte von der Rentenentwicklung abkoppelt, halte ich für einen Skandal. Es kann doch nicht wahr sein, dass Volksvertreterinnen und Volksvertreter diesen Zusammenhang nicht herstellen. Es ist unfassbar, was hier vorgetragen wurde.
Wenn wir bei der Lohnentwicklung zulassen, dass Stundenlöhne von 3, 4 oder 5 Euro gezahlt werden, wie wollen wir dann jemals sicherstellen, dass die Menschen im Alter eine armutsfeste Rente beziehen? Insofern ist es auch wegen der Rentenerwartung in Zukunft - und zwar in einigen Jahrzehnten - dringend geboten, der schmutzigen Lohnkonkurrenz in Deutschland endlich durch einen flächendeckenden Mindestlohn einen Riegel vorzuschieben.
Es ist doch überhaupt kein Wunder, dass im Gegensatz zu der anmaßenden Haltung vieler in diesem so genannten Hohen Hause
- schreien Sie ruhig; an dieser Stelle ist es auch die richtige Gruppe, die schreit - 62 Prozent der Bevölkerung sagen: Es geht in Deutschland nicht mehr gerecht zu. Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr. - Diese fast zwei Drittel der Bevölkerung analysieren die Verhältnisse in unserem Lande völlig richtig. Wenn nur noch 24 Prozent sagen, wir haben eine soziale Marktwirtschaft, dann sollte das doch jedem Anlass zum Nachdenken geben. Der gesetzliche Mindestlohn wäre eine Maßnahme, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass wir dafür Sorge tragen wollen, dass es in diesem Land wieder gerechter zugeht.
Der gesetzliche Mindestlohn alleine ist es jedoch nicht. Sie haben, Herr Kollege Kauder, mit anderen zusammen dafür Sorge getragen, dass Deutschland der einzige große Industriestaat ist, in dem seit vielen Jahren die Reallöhne nicht mehr steigen. Das ist eine politisch organisierte Veranstaltung. Da ist nicht nur die Verweigerung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Da ist auch Hartz IV mit der Verpflichtung, jeden Arbeitsplatz unabhängig von der Qualifikation und der Lohnhöhe anzunehmen. Da ist auch die totale Öffnung der Leiharbeit, die Sie alle organisiert haben. Damit sind Sie verantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen zunächst entlassen werden, dann durch die Drehtür wieder hereinkommen und nur noch die Hälfte des Lohnes bekommen. Da ist das grenzenlose Öffnen für befristete Arbeitsverträge, was natürlich dazu führt, dass diejenigen, die davon betroffen sind, sich nicht mehr in ausreichender Form zur Wehr setzen können. Und da ist das Ausufern der Tatsache, dass immer mehr Minilöhne und Minijobs reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzen. Eine faire Lohnfindung ist aufgrund dieses gesetzlichen Rahmenwerkes in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr möglich.
Wir sind der einzige Staat, in dem es seit vielen Jahren keine Reallohnzuwächse mehr gibt. Sie können darüber lachen, es ignorieren und die ökonomischen Folgen, die sich im Übrigen bald wieder bemerkbar machen werden, übersehen. Laut OECD haben wir eine Rentenformel, die demjenigen, der im Monat 1 000 Euro brutto bekommt, eine Rentenerwartung von 390 Euro in Aussicht stellt. Diese Entwicklungen sind politisch mitorganisiert worden. Sie zeigen, dass die Politik in den letzten Jahren auf dem völlig falschen Weg war. Man kann sich nicht hier immer zu der Formel ?Wohlstand für alle“ bekennen, die immer zur Grundlage hatte, dass der Produktivitätszuwachs - so steht es im Buch des Säulenheiligen - den Konsumentinnen und Konsumenten voll zugutekommt. Auch diese Regel ist seit vielen Jahren verletzt worden. Schon seit vielen Jahren ist der Produktivitätszuwachs nicht mehr der Arbeitnehmerschaft in Deutschland zugutegekommen.
Wir als Vertretung der Bevölkerung sollten zur Kenntnis nehmen, dass zwei Drittel der Bevölkerung seit langem der Auffassung sind, dass es in diesem Land nicht mehr gerecht zugeht. Wir werden nach wie vor dafür eintreten, dass eine erste Maßnahme, um Gerechtigkeit wiederherzustellen, sein wird, in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, unterhalb dessen niemand beschäftigt werden darf, weil es menschenunwürdig ist, Leute unter dieser Einkommensgrenze zu beschäftigen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Brigitte Pothmer.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Merkel hat gesagt, dass sie es falsch findet, dass Leute, die auf der ganzen Linie versagt haben, hinterher mit Geld überschüttet werden. Das finde ich auch falsch. Ich halte es aber gleichfalls für falsch, dass Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, von diesem Einkommen nicht leben können. Vieles deutet darauf hin, dass auch Frau Merkel dieses inzwischen eingesehen hat. Leider ist diese Erkenntnis aber bei großen Teilen der CDU/CSU-Fraktion immer noch nicht angekommen, denn sonst wäre die Debatte um den Mindestlohn in den letzten Monaten anders verlaufen.
Ich möchte den Uneinsichtigen in der CDU/CSU-Fraktion und vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen von der FDP sagen: Sie müssen darüber nachdenken, ob es nicht Konsequenzen für Ihr politisches Handeln haben sollte, wenn nur noch 15 Prozent der Bevölkerung der Auffassung sind, dass es bei uns sozial zugeht. Herr Westerwelle, wenn die soziale Marktwirtschaft, die Sie hier beschwören, nur noch von einem kleinen Teil als sozial empfunden wird, dann wird das zu einem Problem für die Politik, aber auch zu einem Problem im Hinblick auf die Substanz des demokratischen Systems. Herr Westerwelle, Sie behaupten, uns gehe es um gleichen Lohn für alle. Davon sind wir meilenweit entfernt. Das sollte Ihnen angesichts der Debatte, die wir in den letzten Wochen geführt haben, eigentlich klar sein: Traumgehälter auf der einen Seite, Hungerlöhne auf der anderen Seite. Die Kluft bei der Bezahlung unterschiedlicher Arbeit wird zunehmend größer. Sie können diese Kluft nicht allen Ernstes mit der Leistung begründen, die jeweils erbracht wird. Die Einkommensunterschiede haben zunehmend weniger mit Leistungsgerechtigkeit zu tun, Herr Westerwelle. Nichtsdestotrotz tun Sie so, als gehe es in der Mindestlohndebatte um gleiche Löhne für alle. Welch ein Unsinn!
Es gehört leider zur Wahrheit, dass der Konjunkturaufschwung nichts zur Lohngerechtigkeit beigetragen hat. Schlimmer noch: Gerade in den unteren Lohnbereichen sind die Einkommen noch weiter gesunken. Die Zahl derjenigen, die trotz Vollzeitbeschäftigung ALG II beantragen müssen, ist weiter angewachsen, Herr Westerwelle. Nur noch 15 Prozent der Deutschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen tatsächlich ankommt. Das ist ein historischer Tiefstand. Das muss ein Alarmsignal für uns alle sein.
Frau Merkel hat uns in Meseberg Wohlstand für alle versprochen. Wenn diese Zusicherung nur ansatzweise umgesetzt werden soll, dann ist der Postmindestlohn ein kleiner Baustein. Deshalb stimmen wir ihm zu. Aber es muss weitergehen. Die Branchen, die sich auf einen Mindestlohn verständigen, müssen unterstützt werden. Ihnen dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden, Herr Brauksiepe. Es ist viel von Tarifautonomie die Rede. Dazu will ich deutlich sagen: In den Branchen, in denen Mindestlöhne am dringendsten notwendig sind, ist die Tarifautonomie leider kein Garant mehr für sichere Löhne,
weil die Tarifstrukturen weitestgehend zerstört sind. Für die dort Beschäftigten müssen wir dringend etwas tun. Die Einrichtung einer Mindestlohnkommission nach englischem Vorbild erscheint uns geboten.
Sonst wird es niemals Mindestlöhne in der fleischverarbeitenden Industrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder für Friseurinnen geben. Aber dort sind sie am allernötigsten, um Armutslöhne zu verhindern.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin nicht sehr optimistisch. Herr Brauksiepe, nach Ihrer Rede ist klar, dass die wichtigste Botschaft, die die CDU/CSU in diesem Zusammenhang sendet, lautet: Macht euch keine Hoffnung; der Postmindestlohn ist in keiner Weise eine Vorentscheidung zugunsten von Mindestlöhnen in anderen Branchen. - Die Union ist in der Mindestlohnfrage tief gespalten. Frau Merkel hat auf dem Parteitag in Hannover sich selbst und ihre Partei zum Mittelpunkt der Welt erklärt. Aber die Frage, ob eine Mindestlohnpolitik auch zur Politik gehört, die in der Mitte der Gesellschaft und Ihrer Partei steht, haben Sie nicht beantwortet. Weil Sie nichts entschieden haben, geht das Gezerre weiter, und zwar zulasten derjenigen, die im Niedriglohnbereich arbeiten und Unterstützung brauchen. Was daran christlich sein soll und was daran sozial sein soll, das müssen Sie den Menschen einmal erklären.
Sie haben hier wieder gebetsmühlenartig - das kann man wirklich sagen - vorgetragen, dass der Mindestlohn ein ordnungspolitischer GAU sei, der Wettbewerb verhindere und Arbeitsplätze im großen Stil vernichte.
Herr Westerwelle, sind unsere europäischen Nachbarn Ihrer Meinung nach eigentlich alle bescheuert? Sie haben schon vor Jahren Mindestlöhne eingeführt, und - siehe da - sie sind doch nicht untergegangen. Im Gegenteil: Dort hat sich herausgestellt, dass die Einführung von Mindestlöhnen zur Zunahme von Arbeitsplätzen führen kann. Herr Lafontaine hat recht - das sage ich ausdrücklich -: Nicht Mindestlöhne widersprechen der sozialen Marktwirtschaft - durch sie wird ein Rahmen geschaffen, in dem Wettbewerb stattfinden kann -, sondern Lohndumping und Hungerlöhne widersprechen der sozialen Marktwirtschaft.
An die Adresse der Regierung will ich hier ausdrücklich sagen: Zu einem fairen Wettbewerbsrahmen gehört natürlich, dass das Umsatzsteuerprivileg der Post fällt. Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Glos aufhört, sich gegen den Mindestlohn zu stemmen, und hier einen Vorschlag dazu vorlegt, wie in dem Bereich der Umsatzsteuer ein fairer Rahmen geschaffen werden kann.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Pothmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, bitte.
Dirk Niebel (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Pothmer, Sie haben eben dargestellt, dass andere europäische Staaten Lohndumping und Hungerlöhne durch Mindestlöhne verhindern. In Bulgarien liegt der Mindestlohn bei 53 Cent pro Stunde.
In Lettland liegt der Mindestlohn bei 99 Cent pro Stunde. Den höchsten europäischen Mindestlohn, 9,08 Euro, hat Luxemburg.
Sind Sie angesichts dessen tatsächlich der Ansicht, dass dieses Beispiel ein guter Beleg dafür ist, dass Hungerlöhne und Lohndumping durch Mindestlöhne verhindert werden können?
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Niebel, sind Sie der Auffassung, dass die Volkswirtschaften von Bulgarien, Rumänien und Litauen mit unserer vergleichbar sind? Ist es nicht vielmehr so, dass zum Beispiel die Volkswirtschaften von Großbritannien, Schweden, Dänemark, Frankreich und Spanien unserer Volkswirtschaft ähnlich sind?
Bei der Festlegung der Höhe von Mindestlöhnen werden natürlich die jeweiligen Rahmenbedingungen berücksichtigt. - Herr Niebel, das war meine Antwort. Sie dürfen sich gerne wieder setzen.
Ich möchte insbesondere der FDP-Fraktion sagen: Ich finde, Sie unterliegen einem schwerwiegenden Trugschluss. Wettbewerb ist kein Ziel an sich.
Wettbewerb ist ein Instrument zur Erreichung von Zielen. Mir wäre es lieb, wenn Sie sich für Ziele einsetzen würden und nicht immer um das Instrument wie um ein goldenes Kalb tanzen. Hören Sie auf, das anzubeten! Kämpfen Sie für die Erreichung von Zielen! Wenn Sie das tun, dann erreichen wir - vielleicht gemeinsam - wieder mehr von dem, was die Menschen als Gerechtigkeit empfinden.
Wenn das Postmonopol fällt, dann wird es - ich glaube, das ist klar - einen harten Verdrängungswettbewerb geben, falls es keine Mindestlöhne gibt. Möglicherweise kann - das wird hier immer wieder gesagt - die Pleite bei der PIN AG abgewendet werden; ich weiß es nicht. Eines ist jedenfalls klar: Wenn es keine Mindestlöhne gäbe, wären die Arbeitsplätze bei der Post in Gefahr. Ist es das, was Sie anstreben?
In der Anhörung ist eines ganz und gar deutlich geworden: dass ein großer Teil der Beschäftigten der neuen Briefdienstleister so wenig verdient, dass sie ergänzend Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Das heißt letztlich doch nichts anderes, als dass die Allgemeinheit die Gewinne der neuen Postanbieter subventioniert. Ich weiß nicht, ob das Ihrer Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft entspricht. Meiner Ansicht nach hat das damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Herr Westerwelle, Sie behaupten: Mindestlöhne, das ist DDR pur ohne Mauer.
Das ist doch an Peinlichkeit wirklich nicht mehr zu überbieten.
DDR pur - das war ein Unrechtsstaat. DDR pur - das war der 17. Juni. Wollen Sie das wirklich miteinander vergleichen, Herr Westerwelle?
Wenn Sie Aufmerksamkeit erheischen wollen, dann kennen Sie, glaube ich, wirklich gar keine Grenzen. Ich wäre Ihnen zutiefst dankbar, wenn Sie endlich aufhören würden, uns und die Öffentlichkeit mit dieser Maßlosigkeit aus Ihrem neoliberalen Sprüchealmanach zu belästigen.
Ganz kurz noch einmal zu dem, was bei Springer passiert. Wenn der Axel-Springer-Verlag als Mehrheitsaktionär der PIN Group auf der Grundlage von Hungerlöhnen investiert
und wenn dieses Engagement mit der Hoffnung, profitable Geschäfte zu machen, verbunden wird, dann ist das falsch.
Noch viel schlimmer wäre es, wenn diese Hungerlöhne mit dem ALG II aufgestockt werden würden. Von wem wird denn diese Aufstockung bezahlt? Sie wird mit den Steuergeldern derjenigen bezahlt, die zum Beispiel bei der Post arbeiten. Diese Menschen subventionieren die Löhne derjenigen, die hinterher ihre Arbeitsplätze in Gefahr bringen. Das ist doch absurd! Das können wir auf gar keinen Fall zulassen.
Ganz offensichtlich hat der Springer-Verlag versucht, in einen Markt einzusteigen, von dem er schlicht und ergreifend nichts versteht. Es ist Klassenkampf von oben, wenn jetzt versucht wird, die Schuld dafür der Politik in die Schuhe zu schieben. Da sollten wir den Rücken gerade machen und sagen: Das ist ein Problem von Springer. Dafür stehen wir hier nicht gerade. Das kann man uns nicht in die Schuhe schieben. - Das darf nicht funktionieren!
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.
Andrea Nahles (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,
wenn Sie in diesen Tagen Ihre Weihnachtskarten schreiben. Ich muss sagen: Bei mir fließt die Tinte wesentlich freudiger,
wenn ich weiß, dass ab 1. Januar 2008 alle, die diese Karten und Briefe austragen, für den harten Job, den sie bei Wind und Wetter machen, auch einen guten Lohn, einen anständigen Mindestlohn bekommen.
Ich muss an diesem Morgen der Wahrheit die Ehre geben. Die Wahrheit ist, dass es den Mindestlohn in der Postdienstleistungsbranche in Deutschland nicht geben würde, wenn die SPD in den letzten Wochen in der Großen Koalition nicht so beharrlich darum gerungen hätte.
Ich möchte mit einigen Legenden aufräumen, die heute Morgen wieder verbreitet wurden. Erstens. Wir seien hier Wettbewerbsbehinderer, habe ich gehört. Ich muss sagen: Da war die FDP 1995 schon mal weiter, Herr Westerwelle. Damals wurde die Post-Privatisierung auch mit Ihrer Zustimmung betrieben, und es wurde eine Sozialklausel eingeführt, die bei der Lizenzvergabe an private Postdienstleister einen höheren Stunden- und Mindestlohn vorgesehen hat als den, den wir heute hier verabschieden werden. Das ist eben der Unterschied zwischen Marktwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft. Ihre Vorgänger haben diesbezüglich noch eine Orientierung gehabt. Bedauerlicherweise ist diese bei der FDP auf der Strecke geblieben.
Insoweit bitte ich Sie sehr darum, hier keine Legenden zu verbreiten. Der Wettbewerb wird ab 1. Januar auch für Briefe unter 50 Gramm gelten und damit für die gesamte Palette dessen, was an Postdienstleistungen angeboten wird. Es gibt mehr und nicht weniger Wettbewerb - das ist auch richtig und gut -; aber wir wollen nicht, dass dieser Wettbewerb auf dem Rücken der Leute ausgetragen wird. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Zum Zweiten müssen wir Folgendes klarmachen: Um was geht es denn, wenn bei PIN AG und TNT 60 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geringfügig beschäftigt sind, bei der Post aber nur 4 Prozent? Da das so ist, ist doch das Reden von der Arbeitslosigkeit, die durch die Einführung eines Mindestlohns entstehen soll, in Wirklichkeit folgendermaßen zu verstehen: Diejenigen, die jetzt ordentlich bezahlte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben, werden morgen durch Billigkonkurrenz, durch Menschen mit geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, ersetzt, und wir, der Staat, sollen dann das, was den Betroffenen zum Leben fehlt, obendrauf packen. Das ist nicht akzeptabel und ordnungspolitisch falsch. Deswegen müssen wir da einen Riegel vorschieben.
Ich will ganz ehrlich sagen: Wettbewerb ist zwar große Klasse; aber hier findet Wettbewerb in einem Bereich statt, in dem wir über ein öffentliches Gut verhandeln. Ich möchte, dass es auch in Zukunft eine hohe Qualität der Briefzustellung in der Eifel, woher ich komme, in Berlin, aber auch auf Usedom gibt. Dies ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten neben dem reinen marktwirtschaftlichen Prinzip, das einige feiern, ein Wettbewerbskriterium. Insofern vertreten wir die Position: Wir wollen, dass es in jedem Dorf - von oben herab hieße das so typisch ?im letzten Kaff“; auch ich komme aus einem Dorf - eine hohe Qualität bei den Postdienstleistern gibt und dass diejenigen Menschen, die diese Arbeit machen, einen guten Lohn dafür bekommen.
Ich will darüber hinaus sagen, dass jetzt nicht Schluss ist. Wer das vielleicht hofft, muss sich mit uns auseinandersetzen. Es gibt in diesem Lande weitere Branchen, die bereits an uns herangetreten sind und gesagt haben: Wir brauchen einen Mindestlohn. - Es sind interessanterweise die Arbeitgeber, die das sagen, heute wieder Arbeitgeber der Entsorgungsbetriebe und des Wach- und Sicherheitsgewerbes, aber auch aus dem Bereich der Zeitarbeit. Das sind die nächsten Bereiche, um die wir uns kümmern wollen.
Ich sage klipp und klar: Die Arbeitgeber haben es vielfach verstanden, was einige von den Liberalen noch nicht begriffen haben. Die Arbeitgeber haben nämlich verstanden, dass dann, wenn man um Hungerlöhne konkurriert, am Ende niemand mehr wirklich Gewinn macht. Die Arbeitgeber haben auch begriffen, dass das Entsendegesetz sie in den nächsten Jahren vor zusätzlicher Konkurrenz aus europäischen Nachbarländern schützt. Ein guter Mittelständler, der das nicht begreift, schadet sich und seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Gott sei Dank gibt es aber viele, die dies längst verstanden haben.
Lassen Sie mich hinzufügen: Ich komme aus Rheinland-Pfalz. In Rheinland-Pfalz gibt es seit 2000 - es geht hier nicht um Ostdeutschland - keinen Tarifvertrag mehr im Friseurhandwerk. Deswegen reicht es nicht, nur branchenbezogene Mindestlöhne zu vereinbaren. Wir brauchen auch da gesetzliche Regelungen.
Das werden wir mithilfe des Mindestarbeitsbedingungengesetzes durchsetzen. Dort, wo es keine Tarifverträge mehr gibt, brauchen wir gesetzliche Mindestlöhne. Das ist unsere Position, und die werden wir auch so vertreten.
In diesem Sinne wird die Frage des Mindestlohns auch nach Weihnachten im Deutschen Bundestag wieder auf der Tagesordnung sein. Die SPD wird auch da an der Seite derjenigen sein, die eine gute Arbeit machen und einen guten Lohn dafür verdienen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion,
der, wie er hoffentlich weiß, allerdings nur eine von einer Kurzintervention unwesentlich unterscheidbare Redezeit zur Verfügung hat.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Präsident, drei Minuten sind eine lange Zeit; ich will mir Mühe geben.
Eine Bemerkung vorab, Frau Kollegin Nahles. Sie weisen hier mit Krokodilstränen darauf hin, dass das Schreiben von Weihnachtskarten dieses Jahr großen Spaß macht angesichts dessen, dass die Briefträger nächstes Jahr einen anständigen Lohn erhalten. Ich würde Ihnen empfehlen: Lassen Sie die Karten bis nach dem 1. Januar liegen. Dann haben die Briefträger viel mehr davon, als wenn sie jetzt vor Weihnachten noch zum alten Lohn tätig werden müssen.
Eine zweite Bemerkung. Herr Minister Scholz, Sie haben gesagt, die Einführung eines Mindestlohns auf dem Postsektor sei eine gute Botschaft. Das mag so bei den Mitarbeitern der Deutschen Post ankommen; aber ich frage mich, wie das zum Beispiel für die Mitarbeiter der PIN klingen muss, die sich in diesen Tagen ernsthaft Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen.
Für die ist es alles andere als ein frohes Weihnachtsfest, das sie erleben werden. Es klingt in meinen und auch in deren Ohren - da bin ich mir ziemlich sicher - zynisch, was Sie hier gesagt haben.
Sie sagen, ein Mindestlohn koste nicht nur keine Arbeitsplätze, sondern schaffe sogar Arbeitsplätze. Wenn Sie das zu Ende denken, Herr Minister Scholz, wenn also höhere Löhne mehr Arbeitsplätze schaffen, dann müssten ja noch höhere Löhne noch mehr Arbeitsplätze schaffen. Das sind doch Auffassungen einer wirtschaftlichen Klippschule, die Sie hier vortragen. Es ist wirklich erschreckend, dass ein Minister, der in dieser Bundesregierung Verantwortung trägt, hier so etwas sagt.
Entscheidend ist - darauf hat Guido Westerwelle hingewiesen -, was für die Arbeitnehmer am Ende dabei herauskommt. Dem Kollegen Brauksiepe, der hier treuherzig davon sprach, man habe durch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung eine Entlastung um 25 Milliarden Euro vorgenommen, entgegne ich: Alleine die Mehrwertsteuererhöhung hat die Menschen in diesem Land mit 25 Milliarden Euro belastet.
Dazu kommt die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung, um nur einmal diese drei Dinge zu nennen. Im Endeffekt ergibt sich ein Negativimpuls für unsere Volkswirtschaft von mehr als 10 Milliarden Euro. Das ist die Wahrheit.
Frau Nahles, Herr Brauksiepe, ich muss Ihr Weltbild etwas zurechtrücken: Ein Unternehmer, der Mindestlöhne fordert, tut dies in der Regel nicht aus altruistischen Motiven, also um anderen etwas Gutes zu tun, sondern er fordert diese, weil er sich davon einen Vorteil erhofft. Hier geht es konkret darum, dass diejenigen Unternehmer, die Mindestlöhne fordern, damit einen Schutzzaun um ihre Branche herum ziehen wollen. Das kann man doch nicht ernsthaft zulassen. Wie attackiert man einen Monopolisten, wenn man einen Markt aufbrechen will? Sie organisieren den Wettbewerb getreu dem Motto: Alle sollen 100 Meter laufen, aber einigen binden wir eine Metallkugel ans Bein. Bei solch einer Vorgabe kann doch am Ende kein fairer Wettbewerb entstehen.
Die Realität ist doch: 19 Prozent Mehrwertsteuervorteil, 3 Prozent Vorteil bei der Unfallversicherung und dann noch Mindestlöhne. Sie wollen hier wahrlich ein Wettbewerbsparadies für den Monopolisten aufrechterhalten. Wir tragen das nicht mit.
In den wenigen Sekunden, die mir verbleiben, möchte ich kurz darauf eingehen, wie es weitergeht. Es besteht wirklich Anlass zur Sorge, dass auch in den Branchen, in denen Müllmänner und Zeitarbeiter tätig sind, Mindestlöhne festgesetzt werden und 9,80 Euro dabei nicht das Ende der Fahnenstange sind, sondern ein Überbietungswettbewerb nach oben stattfinden wird. Ich wünschte mir wirklich, Angela Merkel könnte nach Ludwig Erhard rufen, wie es einst der Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht getan hat:
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd’ ich nun nicht los.
Genauso wird es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, in den nächsten Monaten nachhängen, dass Sie jetzt einmal umgefallen sind und nun Zug um Zug bei weiteren Branchen über den Tisch gezogen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Bundesarbeitsminister Scholz, auch ich werde in den nächsten Tagen beobachten, ob bei uns der Briefträger freudestrahlend und pfeifend durch die Gegend läuft.
Möglicherweise ist es wirklich so. Vielleicht liegt das aber an dem bevorstehenden Weihnachtsfest.
Ich bin überzeugt davon, dass der liebevolle Enkel, den Sie, Herr Scholz, ins Spiel gebracht haben, den Brief an die Oma nicht nur mit 45 oder 55 Cent, sondern, wenn er sie ganz arg liebt, auch mit 1,50 Euro frankieren würde, nur damit er seine Grüße übermitteln kann.
Meine Damen und Herren, wir haben es auf dem Arbeitsmarkt - das zeigt die heutige Diskussion - mit einem handfesten und tiefgreifenden Strukturwandel zu tun, dem nicht mit nebenwirkungsfreien Wundermitteln beizukommen ist. Was würde uns das deutlicher zeigen als der schwierige Weg zur Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz? Anlass der Regelung war - darauf möchte ich noch einmal hinweisen -, dass das Briefmonopol in Deutschland für Briefe bis zu 50 Gramm am 1. Januar 2008 ausläuft. In den anderen europäischen Ländern wird das aber erst sehr viel später der Fall sein. Das bedeutet, dass Firmen aus Ländern, die ihr Briefmonopol erst später aufgeben, auf unserem Markt agieren könnten, Firmen von uns aber nicht auf deren Markt. Das wollen wir so nicht. Wir wollen unsere Arbeitnehmer vor Billiglohnkonkurrenz aus dem Ausland schützen. Wir wollen - das werden wir auch mit der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz erreichen - mehr Wettbewerb, der jedoch nicht zulasten der Löhne gehen soll.
Für diesen Fall und ähnliche Fälle haben wir als Große Koalition den Branchen, die über mindestens 50 Prozent Tarifbindung verfügen, angeboten, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden. Dazu müssen die Tarifpartner uns eine entsprechende Einigung vorlegen. Wenn sich eine Mehrheit auf eine bestimmte Regelung einigt, dann sind wir unter Abwägung aller Gesichtspunkte bereit, sie für allgemeinverbindlich zu erklären. Sie gilt dann auch für die Minderheit, die dem Abschluss der entsprechenden Vereinbarung nicht zugestimmt hat oder an ihr nicht beteiligt gewesen war.
Im Vorfeld der Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Entsendegesetz, die wir heute beschließen, ist manches nicht ganz so gelaufen, wie wir uns das gewünscht hätten. Wir schulden es aber der Tarifautonomie, dass wir auf der Basis dessen, was uns vorgelegt wurde, entscheiden. Wir müssen prüfen, ob die Bedingungen für betriebliche Mindestlöhne auch tatsächlich erfüllt sind. Dazu gehört zunächst das Kriterium, nach dem mindestens 50 Prozent der Beschäftigten von der Tarifregelung abgedeckt sein müssen. Ich lege ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass es hier um tariflich vereinbarte Löhne und nicht um einen vom Bundesgesetzgeber festgelegten flächendeckenden Lohn geht.
Wir haben dazu in der letzten Zeit die unterschiedlichsten Zahlen von den unterschiedlichsten Interessenverbänden gehört. Unbeantwortet blieb zunächst die Frage, wer überhaupt als Briefdienstleister infrage kommt. Sind es nur die direkt Bediensteten der Post oder auch die Beschäftigten in den Postagenturen, die vielleicht drei oder vier Briefe am Tag entgegennehmen? Wie sieht es mit den Taxifahrern und den Kurierdiensten aus? Wir von der Union haben beständig darauf gedrungen, diesen Sachverhalt eindeutig klarzustellen und erst dann unsere Zustimmung zu geben. Das war der Grund für die harten Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner. Es ging uns nicht um Schnelligkeit, sondern vor allem um Gründlichkeit.
Die Frage, wer letztendlich unter die Ausweitung des Entsendegesetzes fallen wird, konnten wir nun zusammen mit unserem Koalitionspartner klären. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt ab dem 1. Januar 2008 für Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die überwiegend gewerbsmäßig und geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördern. So weit, so klar.
Kompliziert war der Weg zur Aufnahme der Briefdienstleister in das Entsendegesetz. Viel ist in den vergangenen Wochen darüber gestritten worden, ob hier durch die Deutsche Post AG mithilfe des betrieblichen Mindestlohns ein Verdrängungswettbewerb geführt wird. Wir sollten es uns mit der Meinungsbildung jedoch nicht zu einfach machen. Deshalb ist es nötig, hier noch einige Aspekte zu betrachten.
Jeder will seine Post pünktlich, regelmäßig, vertraulich und - Frau Nahles, Sie haben es ausgeführt - flächendeckend zugestellt bekommen. Das gilt überall: von der Eifel über Berlin und Usedom bis hin zum Landkreis Würzburg.
- Danke schön. - Deshalb ist es wichtig, Wettbewerb in diesen Bereichen über Kundenorientierung, Innovation, Service und Qualität anzustreben. Wir erwarten auch in Zukunft Versorgungssicherheit von der Post, die letztendlich mit Dumpinglöhnen nicht gewährleistet werden kann. Das geht nur mit auskömmlichen Löhnen. Auch das muss ausdrücklich hier klargestellt werden. Es muss ein echter Wettbewerb sein, kein Verdrängungs-, aber auch kein Unterbietungswettbewerb bei den Arbeitsbedingungen.
Wir müssen im Blick behalten, dass das Instrument Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern dienen soll, nicht von den Arbeitgebern missbraucht wird, um mittelständische und kleine Konkurrenten auszuschalten. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die in ihrem Bereich eine Monopolstellung haben.
Tatsache ist aber auch, dass sich bei den Wettbewerbern der Deutschen Post AG wie TNT und PIN die Tendenz in einigen Bereichen abzeichnet, zu einem hohen Anteil geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Deren Anteil liegt dort über 60 Prozent. Vielfach sind die Arbeitnehmer der neuen Briefdienstleister auf ergänzende Sozialtransfers angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Der vormalige Arbeitsminister Müntefering hat ausgeführt: Es kann nicht sein, dass ein Arbeitgeber aufgrund eines Unterbietungswettbewerbs niedrige Löhne zahlt und die Arbeitnehmer darauf verweist: Den Rest könnt ihr euch beim Arbeitsminister, sei es Müntefering oder Scholz, holen. - Das kann nicht der richtige Weg sein.
Der betriebliche Mindestlohn erhöht sicher teilweise die Kosten einiger Konkurrenten des Noch-Monopolisten Deutsche Post. Allerdings haben diese auch keinen Anspruch auf indirekte Subventionen. Um nichts anderes handelt es sich aber, wenn einige Briefträger neben ihrem Lohn noch staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen müssen, um über die Runden zu kommen. Ein Geschäftsmodell auf solchen Löhnen aufzubauen, ist gewagt.
Wer die Situation auf dem Postmarkt richtig bewerten will, muss sich klarmachen, dass dort die Liberalisierung ganz anders wirkt als auf dem Markt für Telekommunikation. Liebe Freunde von der FDP, lieber Herr Kolb, Sie haben in dieser Woche im Ausschuss gesagt, wir würden heute noch mit grauen Apparaten mit Wählscheiben telefonieren, wenn wir damals bei der Telekommunikation über die gleichen Instrumente wie bei der Post diskutiert hätten. Diese Bereiche kann man aber nur schlecht bzw. überhaupt nicht miteinander vergleichen.
Denn nach der Liberalisierung auf dem Telekommunikationsmarkt gab es viele technische Innovationen, niedrigere Preise und ein steigendes Angebot. Dagegen ist der Postmarkt, jedenfalls beim Briefgeschäft mit Privatkunden, ein schrumpfender Markt. Immer mehr Menschen schreiben E-Mails statt Briefe. In der Vorweihnachtszeit gibt es eine Ausnahmesituation. In dieser Zeit nehmen mehr Menschen den Stift in die Hand, und die Tinte fließt flüssiger, wie Frau Nahles vorhin gesagt hat. Aber über das Jahr gesehen ist es sicherlich so, dass mehr E-Mails geschrieben werden, als Briefe versandt werden. Das haben Sie selber gesagt, Frau Nahles.
Fällt das letzte Teilmonopol, nämlich das für Briefe bis 50 Gramm, im Januar, wetteifern mehr Anbieter um eine schrumpfende Nachfrage. Sollte sich das Geschäft aus all diesen Gründen für die Springer AG nicht rechnen, so muss der Konzern diese Sparte in Gottes Namen schließen. Niemand sollte das Unternehmen deshalb angreifen. Hier geht es allein um wirtschaftliches Risiko. In diesem Fall den Schwarzen Peter an die Politik weiterzureichen, ist bequem, aber unangebracht. Nicht wir haben das Problem geschaffen, sondern es ergibt sich aus dem Tarifvertrag.
Die Politik wird sich mit dem vorliegenden Fall auch nach Verabschiedung des Gesetzes eingehend auseinandersetzen müssen. Weitere Aufnahmen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz müssen sehr detailliert, genau und gründlich geprüft werden.
Der flächendeckende Mindestlohn ist ein zweischneidiges Schwert. Liegt er über dem bisherigen Lohn, gibt es für die Betroffenen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie werden mehr verdienen, oder sie werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Dieses Risiko müssen wir uns bewusst machen. Wir müssen daher eine Lösung finden, die Unternehmen den höchsten Anreiz bietet, auch für Geringqualifizierte Jobs anzubieten, die aber auch den Arbeitslosen Anreize bietet, solche Jobs anzunehmen, und die Mitnahmeeffekte minimiert.
Nach Abwägung des Für und Wider aller Argumente hat sich eine Mehrheit in unserer Fraktion für die Aufnahme der Postdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgesprochen. Ich bitte Sie, heute diesem Gesetz zuzustimmen.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine frohe Weihnachtszeit. Schreiben Sie viele Briefe. Schicken Sie sie meinetwegen schon im Dezember ab.
Das Porto in Höhe von 55 Cent kann sich sicher jeder Abgeordnete leisten. Den Kollegen von der Linkspartei wünsche ich eine schöne Jahresendfeier.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.
Anette Kramme (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, Sie haben vorhin das ach so schwere Los der neuen Postkonkurrenz beklagt.
Schauen wir uns doch einmal genau an, was passiert ist. Ich sage: Es ist eine falsche Strategie gefahren worden. Man hat Verhandlungen erst arrogant abgelehnt; dann, nachdem der Mindestlohntarifvertrag verabschiedet worden ist, hat man gesagt: Na ja, dann machen wir halt einen eigenen Arbeitgeberverband auf. - Man dachte, dass Verdi ganz locker mal eben zustimmen würde. Nachdem auch das nicht funktioniert hat, hat man versucht, eine eigene Gewerkschaft zu gründen. Professor Thüsing musste in der Sachverständigenanhörung zugestehen, dass es nur 19 Gewerkschaftsmitglieder gibt. Das Ganze kann man auch verspekuliert nennen.
Die PIN AG und der Springer-Verlag müssten uns eigentlich äußerst dankbar dafür sein, dass wir nun den Mindestlohn für die Briefdienstleister verabschieden. Wir liefern ihnen den scheinbar perfekten Vorwand für den Stellenabbau. Schaut man sich den Sachverhalt näher an, wird man feststellen, dass bei der PIN AG bis Ende September ein Minus von 47,8 Millionen Euro gemacht worden ist, und das ohne Mindestlohn. Am Jahresende werden die Verluste dort 55 Millionen Euro betragen, und auch das wieder ohne Mindestlohn.
Der Mindestlohn wird hergenommen als Sündenbock für eigene Fehler.
Man kann zu folgender Wertung kommen: Missmanagement, Geldvernichtung und Inkompetenz der Führungsspitze.
Ich sage ganz klar: Wir akzeptieren keine Geschäftskonzepte, die darauf hinauslaufen, dass mit den Beschäftigten Sozialdumping betrieben wird. Ich sage auch ganz klar: Wir akzeptieren keine Geschäftskonzepte, die vorsehen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Dauer ergänzend Arbeitslosengeld II gezahlt werden muss. Es ist doch pervers, wenn gefordert wird, dass der Staat solch einen Wettbewerb auch noch subventioniert.
In Richtung der Union sage ich ganz klar: Es ist nicht Aufgabe des Staates, Tarifverträge abzuändern und Tarifpartner zu erpressen.
Wir wissen, dass der Brief, der durch die schwarzen Schafe der Branche nun nicht mehr zugestellt wird, durch Unternehmen zugestellt wird, die den Mindestlohn zahlen. Das ist eine beruhigende Entwicklung.
Am 1. Januar 2008 wird das Postmonopol in Deutschland auslaufen. An sich war geplant, dass das Postmonopol zum 1. Januar 2009 auch in den anderen europäischen Ländern endet. Die anderen europäischen Länder haben sich entschieden, das hinauszuzögern. Ich sage: Wettbewerb ist gut. Er darf aber nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden.
Es ist richtig, dass wir die Post- bzw. Briefdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen. Wir wissen, dass in dieser Branche die Löhne in Westdeutschland momentan um 40 Prozent und in Ostdeutschland um 50 Prozent unterhalb der Einstiegsgehälter bei der Deutschen Post liegen.
Wir wissen, dass dort in skandalöser Weise Minijobverhältnisse ausgenutzt werden.
Es ist unvorstellbar, wenn man sich die Zahlen vor Augen hält: 62,3 Prozent aller Jobs sind Minijobs, Teilzeitbeschäftigung ist nur begrenzt vorhanden, und eine normale Vollzeittätigkeit ist fast die Ausnahme.
Dank der Tarifvertragsparteien haben wir hinsichtlich des Geltungsbereichs des Gesetzes eine Klarstellung erzielt. Das mussten wir zugunsten unseres Koalitionspartners machen, dessen Gesicht ein ganz klein wenig gewahrt werden musste.
Wie lautete die alte Formulierung? Ursprünglich war verabredet, dass der Postmindestlohn für alle Unternehmen in dieser Branche gelten soll. Jetzt haben wir vereinbart: Er soll nur für die Betriebe und selbstständigen Betriebsabteilungen gelten, die ganz überwiegend Briefdienstleistungen erbringen.
Das ist keine erhebliche Veränderung. Man muss sich einmal vor Augen halten, was das bedeutet: Letztlich kann kein Betrieb, der über eine vernünftige Arbeitsorganisation und über eine vernünftige Kostenkontrolle verfügt, davon Abstand nehmen, eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit zu gründen. Es ist allerdings so, dass Taxifahrer und Zeitungszusteller nicht erfasst sein werden; hier war Verdi wirklich sehr ehrgeizig.
Lassen Sie mich zum Schluss Peter Bofinger zitieren:
Deutschland braucht auf keinen Fall mehr Niedriglöhne, es ist im westeuropäischen Vergleich bereits ein ausgeprägtes Niedriglohnland.
In diesem Sinne wird die SPD handeln.
Zum Schluss wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten - hier hat der berühmte Abgeordnete Gerold Reichenbach zur Feder gegriffen -
und sage: Mindestlohn für alle Postdienstleister!
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Und das alles ohne Briefmarke.
Nun kommt der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion zu Wort.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine aufregende Debatte, die wir heute Morgen erleben;
denn ausgerechnet Herr Lafontaine trat hier als Adam-Smith-Ikone auf.
Herr Westerwelle, bei Ihnen muss ich leider Gottes beklagen, dass Sie mit Ihrer Darstellung immer hemmungslos übertreiben. Sie würden viel glaubwürdiger wirken, wenn Sie das nicht tun würden.
Wenn man vom Untergang der sozialen Marktwirtschaft spricht, sich aber schon vom nächsten Redner vorhalten lassen muss, dass man das, was jetzt im Hinblick auf die Post vereinbart ist, beim Bau mit beschlossen hat, dann wird einem sofort der Boden unter den Füßen weggezogen.
Das Postgesetz, das die Grundlage der heutigen Beschlussfassung ist, ist mit Ihrer Zustimmung verabschiedet worden.
Auf diese Problemlage will ich aber nicht weiter eingehen. Damit müssen Sie selber fertig werden.
Der Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU, den ich in dieser Diskussion feststelle, besteht darin, dass die SPD - Frau Kramme hat das gerade in bemerkenswerter Deutlichkeit gezeigt -
tendenziell immer über die vorhandenen Arbeitsplätze spricht - Sie beschäftigen sich selbst im Hinblick auf die Monopolunternehmen immer mit der bestehenden Situation -, während wir stärker über die Schaffung neuer Arbeitsplätze und zukünftiger Beschäftigungsmöglichkeiten im Interesse der heute Arbeitslosen nachdenken. Dieser Unterschied, den man sehen muss, ist allerdings gewaltig.
Frau Kramme, nachdem ich gehört habe, was Sie eben gesagt haben - leider Gottes klang das vorher schon einmal an -, weise ich Sie darauf hin - denn auch ich komme beruflich aus einer Branche, in der damals eine Monopolsituation bestand -: Es ist nun einmal so, dass in Bereichen, in denen es ein Monopol gibt, Zustände herrschen, die auf Kosten der Verbraucher und der Steuerzahler gehen und die man, wenn man im Wettbewerb steht, nicht dauerhaft beibehalten kann. Das muss man wissen, und das haben alle, die für Wettbewerb im Postbereich waren, gewollt.
Lassen Sie mich sagen: Sie orientieren sich, was die bestehenden Arbeitsverhältnisse betrifft, zu stark an den Gewerkschaftsstrukturen. Hier sind Sie strukturkonservativ. Das beklage ich zutiefst.
Herr Scholz, Ihnen will ich sagen: Sie haben nahtlos den Übergang zu zukünftigen Diskussionen geschaffen. Ich sage hier für unsere Fraktion klipp und klar: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen dem heutigen und möglichen zukünftigen Verfahren. Alle weiteren Vorgänge werden geordnet nach dem Tarifvertragsgesetz ablaufen oder gar nicht. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu dem jetzigen Verfahren. Das ist überhaupt keine Frage. Der Ausgangspunkt war, dass die Tarifpartner Deutsche Post AG und Verdi - das wurde jetzt verhindert; deswegen haben wir heute eine ganz andere Situation als noch vor wenigen Wochen - in einer Monopolsituation einen Tarifvertrag abgeschlossen haben, der alle Zeitungszusteller und alle Paketboten, die einmal einen Brief austragen, die Mitarbeiter im Einzelhandel in den Poststellen, Taxifahrer usw. umfasste.
Die Gestaltungsmöglichkeiten, die dieser Gesetzentwurf bietet, sind für Unternehmen, die im Wettbewerb stehen und in der Anfangsphase eine geringere Produktivität haben, wesentlich andere als die, die aufgrund der Regelungen bestanden, die wir zunächst auf dem Tisch hatten. Es ist doch klar, dass jemand, der neu in den Wettbewerb eintritt, eine wesentlich geringere Produktivität hat als die Post, deren Briefzusteller alle 30, 40 oder 50 Meter einen Brief abgeben, während die Zusteller der neuen Wettbewerber wegen des geringeren Briefaufkommens möglicherweise 300 oder 400 Meter laufen müssen, um einen Brief abzugeben. Paketdienstleister, die in ländlichen Regionen auch Briefe zustellen, sind von diesem Tarifvertrag künftig nicht erfasst. Wenn Zeitungszusteller Briefe mitnehmen, aber überwiegend Zeitungen verteilen, sind auch diese nicht erfasst. Dasselbe gilt für Taxifahrer und Einzelhandelskräfte. Es kommt darauf an, welche Tätigkeit überwiegt. Genau darum ging es uns.
Es bleiben zwei ganz wesentliche Punkte, die zu regeln sind. Zum einen handelt es sich um die Mehrwertsteuer, die hier mehrfach angesprochen worden ist. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen das Mehrwertsteuerprivileg hat, während die anderen in die Röhre schauen. Wir werden dieses Problem gemeinsam zu regeln haben.
Das ist die Voraussetzung, unter der unsere Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmt. Zum anderen handelt es sich - darauf bin ich selbst, offen gesagt, erst durch die Diskussion gekommen - um die Unfallversicherung und die Privilegien, die die Post gegenüber den Wettbewerbern hat. Wir werden regeln müssen, wie wir diesen Kostenvorteil in Höhe von 3 Prozent korrigieren.
Ich habe mich - das gilt auch für verschiedene Kollegen meiner Fraktion und anderer Fraktionen - gefragt, was man tun kann, um eine soziale Mindestabsicherung, wie im Postgesetz vorgesehen, herzustellen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen für die Verbraucher und den Wettbewerb in Grenzen zu halten. Die Lösung mag unvollkommen gelungen sein, aber ich glaube, dass wir hier eine Ausgangssituation haben, die den Wettbewerbern einen Einstieg ermöglicht, wenn er auch möglicherweise zusätzliche Kreativität der Wettbewerber erfordert. Die Diskussionen, die stattfinden, sind deswegen durchaus verständlich. Es bleiben sicher bei dem einen oder anderen Restbedenken. Ich glaube, wir werden letztlich auf der Basis des Postgesetzes und der Diskussionen, die wir geführt haben, zustimmen können.
Herr Arbeitsminister, ich sage Ihnen für die Zukunft klipp und klar: Sie müssen davon ausgehen, dass die Diskussion mit unserer Fraktion über die Post wegen der besonderen Voraussetzungen eine andere Diskussion war als die, die wir über andere Branchen führen werden. Ich habe eben der SPD gesagt, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht zu nahe an den bestehenden Strukturen sind. Wir müssen auch gemeinsam aufpassen, dass wir nicht in die Falle laufen, die ich zurzeit sehe. Die Entsorgung und andere Bereiche sind angesprochen worden. Wir müssen uns als Politiker gemeinsam dagegen wehren, dass große Arbeitgeber in den verschiedenen Branchen - meistens gegen kleinere und mittlere Arbeitgeber - das Entsendegesetzes und die Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, was der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern dient, instrumentalisieren und nach dem Motto missbrauchen: Wettbewerb ist gut, aber um Gottes willen nicht in meiner eigenen Branche. -
Dagegen muss die Politik sich wehren.
Denn unsere Grundphilosophie, dass Tarifverträge die entscheidende Größe bei der Lohnfindung sind, wird ausgehebelt, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf gesetzlichem Wege die Möglichkeit erhalten, Verträge zulasten Dritter zu schließen, sei es zulasten kleiner und mittlerer Betriebe, sei es zulasten der Verbraucher.
Diesen Abwägungsprozess werden wir in den kommenden Verfahren in jedem einzelnen Fall vorzunehmen haben. Wir werden beurteilen müssen, was bei dieser Zielsetzung überwiegt. Geht es darum, soziale Absicherung für Arbeitnehmer und ihre Familien zu gewährleisten, oder geht es den Beteiligten darum, Verträge zulasten Dritter zu schließen? Den Weg, Verträge zulasten Dritter zu schließen, wird die CDU/CSU-Fraktion nicht mitgehen.
Wenn wir diese Philosophie beachten, werden wir etwas dazu beitragen können, dass sich die Menschen in diesem Land sozial sicherer fühlen, und trotzdem die Voraussetzung dafür schaffen, dass in Zukunft neue Arbeitsplätze in diesem Land entstehen können. Dafür treten wir ein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen noch nicht zur Abstimmung. Wir haben noch einen Redner, und ich bitte Sie, ihm in Ruhe zuzuhören. Ich bitte auch diejenigen weiter hinten, sich auf den hinreichend vorhandenen Plätzen niederzulassen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege Klaus Barthel von der SPD das Wort.
Klaus Barthel (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident! Ich werde versuchen, die Zeit bis zur Abstimmung sinnvoll zu nutzen.
Ich glaube, heute ist nicht nur ein guter Tag für die Briefträger und die Postbranche, sondern auch für die Demokratie. Denn wir werden sehen, dass die Entscheidung, die wir heute treffen, nicht davon geprägt ist, wer die größeren Anzeigen schalten kann, wer wen auf diesem Wege erpressen kann und wer in seinen Zeitungen die größeren Buchstaben hat. Wir als Parlament entscheiden heute nach wirtschaftlicher Vernunft und im Sinne der Interessen der Bevölkerung. Ich bin sehr froh, dass auch unser Koalitionspartner diesem Druck widerstanden hat.
An dieser Stelle muss man einmal daran erinnern, was uns außerhalb dieses Hauses seit Tagen beschäftigt. Ich möchte zum Beispiel an den Pressekodex des Deutschen Presserats erinnern, in dem es heißt, dass Verleger, Herausgeber und Journalisten eine besondere Verantwortung haben. Ich zitiere aus dem Kodex
Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr.
In den Leitlinien eines großen Verlages heißt es:
Die Journalisten bei Axel Springer ... nutzen ihre Berichterstattung nicht, um sich oder anderen Vorteile zu verschaffen.
Die Ankündigungen von Entlassungen und die Kampagne gegen den Mindestlohn spielen auf übelste Weise mit den Ängsten der Bevölkerung und mit den Schicksalen der Menschen, die in den Betrieben davon betroffen sein werden.
Die Antimindestlohnkampagne und die Drohung mit Entlassungen sind ein Verstoß gegen die Grundsätze des Presserechts und gegen die eigenen Grundsätze von bestimmten Verlagen.
Die Ankündigungen von Entlassungen - das ist schon gesagt worden - sind das Ergebnis eigenen Scheiterns, weil manche den Postmarkt falsch eingeschätzt haben: Sie glaubten dem Gerede über den Niedriglohnsektor und einfache Tätigkeiten. Sie meinten, man könne einfach daherkommen, eine halbe Milliarde Euro auf den Tisch legen, ein paar Niedriglohnbeschäftigte einstellen, leichten Markteintritt erhalten und leichten Gewinn machen. Dann glaubte man auch noch, das Risiko auf die Beschäftigten verlagern zu können, indem man behauptet, ein Arbeitnehmer sei weniger produktiv, wenn er weiter laufen muss, um einen Brief zuzustellen. Was ist das denn für ein Argument? Er muss mehr arbeiten, um einen Brief zuzustellen - und dafür bekommt er weniger Lohn, weil ihm vorgehalten wird, er sei weniger produktiv? Was für eine Vorstellung von moderner Volkswirtschaft liegt dem zugrunde?
Es ist DDR-Philosophie, zu sagen: Die wenige Arbeit, die wir haben, verteilen wir, und dann bekommen alle weniger.
Das Interessante dabei ist doch, dass trotz des Lohndumpings, das wir haben - 5 bis 6 Euro werden im Durchschnitt gezahlt -, diese Verluste aufgelaufen sind und dass man sich hoffnungslos in Widersprüche verwickelt hat. Ich darf zitieren:
Der Mindestlohn sei zwar ordnungspolitisch bedenklich und für die kleinen Wettbewerber durchaus gefährlich, weil sie keine Chance mehr haben. Aber für die großen wie PIN und TNT könne eine Beschränkung des Wettbewerbs trotz des Lohnkostennachteils Vorteile haben und die Marktchancen verbessern. Deswegen würden bei PIN auch bei der Einführung eines Mindestlohns keine Abschreibungen nötig.
So hieß es noch vor einem Monat aus dem Hause Springer.
Jetzt haben wir eine andere Situation, jetzt werden die verpassten Chancen diskutiert. Da heißt es: Ach hätten wir doch einen allgemeinen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen; das wäre billiger gewesen! Herr Austermann sagt: Ach hätten wir doch das Briefmonopol verlängert! Der PIN-Chef sagt: Ach hätten wir doch einen Stufenplan mit den Gewerkschaften vereinbart! - Ja: Hätten wir, hätten wir! Dann wäre es vielleicht billiger geworden. Aber das ist nicht getan worden.
Stattdessen haben die Wettbewerber der Post gegen das Lizenzrecht verstoßen. Selbst die Bundeskanzlerin hat ihnen vorgestern vorgehalten - ich zitiere -: Ohne die Einführung einer Sozialklausel für die Beschäftigten wäre das frühere Staatsunternehmen nicht privatisiert worden. Der Mindestlohn sei eine Folge dieser Vereinbarung, sagte Merkel laut Welt vom 12. Dezember. - Wie wahr, wie wahr! Keine Lizenz ohne branchenübliche Arbeitsbedingungen, Klammer auf: Postgesetz; Klammer zu.
Es hat etwas Makaberes, wenn manche Wettbewerber jetzt lautstark versuchen, dem Mindestlohn den Geruch der Rechtswidrigkeit anzuheften. Da ist die Rede von Schadenersatz, da ist die Rede vom Bundeskartellamt, von der EU-Kommission, vom Bundesverfassungsgericht; das Einzige, was noch fehlt, ist die UN-Menschenrechtskonvention. Mit einem Rechtsstaat habe ein Mindestlohn nichts zu tun, wird gesagt.
Wir müssen feststellen, dass ein großer Teil der Wettbewerber, die jetzt schreien, gegen Recht und Gesetz verstoßen hat,
und zwar indem sie Arbeitsbedingungen geboten haben, die weit unter dem Branchenüblichen liegen. Wer das nicht getan hat, braucht auch keine Angst vor dem Mindestlohn zu haben.
Noch etwas zum Thema Mehrwertsteuer. Wir haben doch, wie wir jetzt wieder sehen, folgende Lage: Der Wettbewerb in Europa ist unfair. Die Niederlande - die selber einen Mindestlohn haben - haben jetzt angekündigt, wegen unseres Mindestlohns die Liberalisierung ihres Postsektors womöglich hinauszuschieben. Für die Deutsche Post gilt die Universaldienstpflicht. Kein anderer Wettbewerber muss sich diesen Auflagen stellen. Deswegen haben wir in Meseberg vereinbart, dass das Mehrwertsteuerprivileg für Universaldienstleister bleibt. Das ist natürlich eine Besserstellung im Wettbewerb. Doch dafür können die Wettbewerber bei ihren Löhnen mit dem Mindestlohn um etwa ein Drittel unter dem bleiben, was bei der Deutschen Post AG üblich ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Barthel, Sie achten bitte auf die Redezeit.
Klaus Barthel (SPD):
Sie haben die Chance, sich die Geschäftsfelder auszusuchen, ohne Universaldienstpflicht.
Ich muss mich deswegen schon sehr wundern, wie hier über Wettbewerb diskutiert wird. Manche haben offensichtlich die Vorstellung, dass Wettbewerb nur durch Lohn- und Sozialdumping geht. Das ist nicht unser Wettbewerbsverständnis; das müssen wir am Beispiel des Postbereichs deutlich machen. Wir werden das auch in anderen Bereichen, in denen es ähnliche Zustände gibt, in denen ähnlicher Handlungsbedarf besteht, deutlich machen.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und um Ablehnung der Anträge, insbesondere des Entschließungsantrags der FDP, in dem gefordert wird, die Mehrwertsteuer auf alle Postdienstleistungen auszudehnen. Das müssten letzten Endes - dank FDP als Steuererhöhungspartei - die kleinen Einzelverbraucher bezahlen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das haben wir jetzt, glaube ich, alle verstanden, Herr Kollege. Da Ihre Redezeit reichlich überschritten ist, ist sie hiermit nun zu Ende.
Klaus Barthel (SPD):
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7512, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6735 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass mir hierzu eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegt - sowohl von Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der CDU/CSU als auch aus der Fraktion Die Linke.
Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist für die Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind 307 Stimmen - erforderlich. Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das scheint überall der Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.
Hat irgendjemand seine Stimmkarte noch nicht abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Abstimmungsergebnis werden wir, wie meistens, später vortragen.
Ich möchte die Abstimmungen fortsetzen und komme zu den Entschließungsanträgen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/7555? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7556? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit der Mehrheit aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Zusatzpunkt 8. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/7510. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6432 mit dem Titel ?Eine Chance für den Wettbewerb - Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6631 mit dem Titel ?Post braucht Wettbewerb - Wettbewerb braucht faire Bedingungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 31:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetzänderungsgesetz - AÜGÄndG)
- Drucksache 16/4805 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/7513 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Dazu besteht offenkundig Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion.
Wolfgang Grotthaus (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Mindestlohn steht nunmehr das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf der Tagesordnung. Beide Themen haben aus unserer Sicht eines gemeinsam: Den Auswüchsen am Arbeitsmarkt soll entgegengewirkt werden. Dazu sind von den Fraktionen der Linken und der Grünen Anträge formuliert worden, über die hier und heute diskutiert wird. Lassen Sie mich zu diesen beiden Anträgen eingangs eines sagen: Die Zielrichtung ist aus meiner Sicht richtig,
aber, Kollege Schneider, der Ansatz ist zu kurz gesprungen und aus meiner Sicht mit der heißen Nadel gestrickt.
Ich sage dazu: Schade, denn dieses Thema verdient mehr Aufmerksamkeit. Regelungsbedarf ist vorhanden, aber nicht in der Weise, wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es hier vorschlagen. Das bloße Streichen von Ausnahmeregelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz führt nicht zwingend zur konkreten Umsetzung des Gleichbehandlungsansatzes, den wir als Sozialdemokraten immer im Auge haben.
Um die Aufgeregtheit aus diesem Thema zu nehmen, will ich Schritt für Schritt vorgehen. Es ist ja nicht so, als erkenne die SPD die Probleme nicht. Zum Beispiel kommt es vor, dass ganze Abteilungen eines Konzerns outgesourct werden, diese Abteilungen sich dann außerhalb des Konzerns in Gänze ansiedeln, und dieselben Menschen, die in diesen Abteilungen beschäftigt waren, vom Konzern ausgeliehen werden und für die gleiche Arbeit auf einmal nach einem anderen Tarifvertrag, nämlich einem, der ein niedrigeres Gehalt vorsieht, bezahlt werden.
Das war wahrlich nicht der Sinn des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Deswegen sagen wir: Wenn das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zum Zwecke von Lohndumping benutzt wird, dann haben wir darauf zu reagieren.
Wie dem gegenzusteuern sein wird, muss mit der nötigen Sorgfalt geprüft werden. Dazu haben wir am Montag dieser Woche eine Expertenanhörung im Fachausschuss durchgeführt. Es gab ein Spektrum an Vorschlägen für Verbesserungen, gerade auch von jenen Experten, die aus der Praxis kommen; das war nicht erstaunlich. Die Vorschläge sind nunmehr von allen Fachpolitikern genau auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Die Einschätzungen, ob dieses Gegensteuern über Tarifverträge oder über eine gesetzliche Regelung zu erreichen ist, gingen dabei durchaus weit auseinander.
Deswegen mein Hinweis an die beiden Antragsteller: Ziehen Sie Ihre Anträge hier und heute zurück. Überprüfen Sie die Aussagen der Fachexperten.
Suchen Sie den ganzheitlichen Ansatz, und lassen Sie uns dann gemeinsam einen Antrag formulieren, der den Menschen in diesem Metier im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes insgesamt entgegenkommt. Wir werden uns - dies sei an dieser Stelle schon gesagt - von Ihren Anträgen nicht treiben lassen. Dazu ist uns die Angelegenheit zu wichtig.
Ich komme zurück auf die Intention, die wir mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verfolgt haben. Wir wollten mehr Beschäftigte in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bringen. Dazu wollten wir eine größere Flexibilität erreichen. Gewünscht war dabei, Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer über den sogenannten Klebeeffekt in dauerhafte Arbeitsverhältnisse in den Betrieben zu bringen.
Dass sich nun herausstellt, dass dies nicht in dem erhofften Maße erfolgt, veranlasst uns jedoch nicht, das Konzept der Arbeitnehmerüberlassung infrage zu stellen. Denn eines ist Fakt: Zeitarbeit hat durchaus Erfolge vorzuweisen. Davor sollte man nicht die Augen verschließen.
Es darf aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass es dabei zu Auswüchsen wie Lohndumping, Vernichtung von regulären Arbeitsplätzen durch Umwandlung in Zeitarbeitsplätze und Aufteilung der Belegschaft durch unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Arbeit kommt. Das ist ebenfalls Fakt.
Aus diesem Grund steht auch unsererseits nicht die Zeitarbeit als solche infrage; es geht nur darum, wie die Auswüchse, die zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen, korrigiert werden können.
- Wir sind auf dem Weg, Kollegin Pothmer,
aber das, was Sie machen, ist zu kurz gesprungen. Der Ansatz ist zwar richtig, aber es ist nur ein Punkt in dem Wust vieler Notwendigkeiten, die wir in diesem Bereich sehen.
Zeitarbeitskräfte werden in allen Wirtschaftszweigen eingesetzt. Auffällig ist aber, dass dies besonders häufig dort der Fall ist, wo die Löhne der Zeitarbeitsbranche niedriger sind als die Tariflöhne in der Branche, in der Zeitarbeitnehmer eingesetzt werden. Hier muss tatsächlich der Grundsatz ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Dabei ist aber die Umsetzung von gravierender Bedeutung.
Ich frage mich, nach welchem Tariflohn ein Zeitarbeitnehmer bezahlt wird, der eine Woche nach dem IG-Metall-Tarifvertrag arbeitet, dann zwei Wochen nach dem Verdi-Vertrag und dann wieder eine Woche nach NGG-Vertrag.
Wir müssen uns damit beschäftigen, ob man ein arithmetisches Mittel zugrunde legen sollte, ob man den Zeitarbeitnehmertarifvertrag wählt und mit welchen finanziellen Belastungen der bürokratische Aufwand verbunden ist, wenn tatsächlich jeder Tarifvertrag sinngemäß angewendet wird.
Eine weitere Frage ist, wie etwa ein LKW-Fahrer zu behandeln ist - das Beispiel wurde schon genannt -, der in einem Betrieb anfängt und von seinem Arbeitgeber, nämlich dem Entleiher, eine Probezeit vorgeschrieben bekommt. Ein LKW-Fahrer verlernt natürlich nicht von heute auf morgen das LKW-Fahren. Insofern stellt sich die Frage, ob eine Probezeit notwendig ist. Ich verneine diese Frage zunächst einmal. Es stellt sich aber auch die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn Probezeiten notwendig sind. Es ist unstrittig, dass dies in manchen Betrieben der Fall ist.
Wie kann man das unter Kontrolle bekommen? Es kann nicht dem Arbeitgeber alleine überlassen werden, die Probezeiten zu definieren und eine Frist festzulegen, sodass ein Arbeitgeber drei Monate und ein anderer sechs verlangt. Hier sind die Tarifvertragsparteien in den Betrieben gefordert. Einige Betriebe haben das schon vorgemacht. Sie haben ihre betrieblichen Tarifverträge vorbildlich abgeschlossen. Diesen Aspekt werden wir zu berücksichtigen haben. Dabei werden wir - das steht fest - die Tarifvertragsparteien, die Betriebsräte aus den Betrieben, die Leiharbeitnehmer aufnehmen, aber auch die Arbeitgeber mit ins Boot holen müssen.
Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass noch ein großer Regulierungsbedarf besteht. Wenn eine solche Vorgehensweise, wie ich sie gerade am Beispiel des LKW-Fahrers geschildert habe, nur dazu dient, Menschen nicht qualifikationsgerecht einzustellen und ihnen entsprechende Löhne vorzuenthalten, dann sind wir als Gesetzgeber gefordert.
An diesem Beispiel sehen Sie schon, dass die Thematik komplexer ist, als es Ihre Anträge vermitteln. Aus diesem Grund werden wir heute Ihre Anträge ablehnen. Wir kündigen aber an,
dass wir zu gegebener Zeit im Plenum mit eigenen Überlegungen auf das Thema zurückkommen werden.
Dann wird sich ein Teil Ihrer Überlegungen natürlich in unseren Anträgen wiederfinden, weil die Thematik zwischen uns allen unstrittig ist. Aber wir werden das natürlich weiter aufsplitten, wie ich es gerade dargestellt habe.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Drucksachen 16/6735 und 16/7512, bekannt. Abgegebene Stimmen: 552. Mit Ja haben 466, mit Nein 70 gestimmt. Stimmenthaltungen: 16. Zur Annahme des Gesetzentwurfes ist gemäß Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit - das sind 307 Ja-Stimmen - erforderlich. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht.
Der nächste Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Drucksachen 16/6735 und 16/7512, bekannt. Abgegebene Stimmen: 552. Mit Ja haben 466, mit Nein 70 gestimmt. Stimmenthaltungen: 16. Zur Annahme des Gesetzentwurfes ist gemäß Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit - das sind 307 Ja-Stimmen - erforderlich. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht.
Der nächste Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fürchte, es ist kein Zufall, dass nach der Mindestlohndebatte heute Morgen jetzt die Zeitarbeit in den Fokus unserer Beratungen kommt. Denn es gibt einige in diesem Hause, die sehr wohl ideologisch an das Thema Zeitarbeit herangehen und diese in den Betrieben weitestgehend unmöglich machen möchten.
- Nein, Herr Kollege Schneider. - Auch Zeitarbeit, also Arbeit, die im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geleistet wird, ist gute Arbeit. Für das entleihende Unternehmen ist diese Art der Beschäftigung in der Regel auch nicht billiger, wenn man die Gesamtkosten betrachtet, sondern - verglichen mit den Kosten eigener Mitarbeiter - oft sogar teurer. Aber Zeitarbeit schafft Flexibilität, die es zum Beispiel braucht, um Auftragsspitzen zu bewältigen, Flexibilität, mit der Unternehmen auf einen beginnenden Aufschwung reagieren können, von dem sie noch nicht wissen, ob er dauerhaft tragfähig sein wird. Das hat man doch gerade im aktuellen Konjunkturzyklus sehr schön beobachten können. Zu Beginn des Aufschwungs waren 75 Prozent der neu geschaffenen Stellen im Bereich der Zeitarbeit. Jetzt, in der reiferen Phase des Aufschwungs, sind es gerade einmal noch 25 Prozent. Der Klebeeffekt, von dem hier schon die Rede war, hat dazu geführt, dass viele, die vormals Leiharbeiter gewesen sind, jetzt eine Festanstellung beim entleihenden Unternehmer gefunden haben. Das heißt, die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt wirkt. Wir sollten sie nicht unpassierbar machen.
Ende 2007 sind etwa 680 000 Mitarbeiter in der gewerblichen Zeitarbeit beschäftigt. Dies ist eine deutliche Zunahme gegenüber der jüngeren Vergangenheit. Das ist für mich keine Schreckens-, sondern eine Erfolgsmeldung. Ich finde die zunehmende Polemisierung in der Debatte über die Zeitarbeit überhaupt nicht angebracht,
und zwar auch deswegen, weil sich viele Argumente, die gegen die Leiharbeit vorgebracht werden, bei näherer Betrachtung oft recht schnell widerlegen lassen.
Eines der Vorurteile lautet, dass dadurch reguläre Arbeitsplätze im Betrieb verdrängt würden. Dieses Argument hat gerade auch Kollege Grotthaus aufgegriffen. Herr Kollege Grotthaus, das ist falsch. Eine IAB-Studie - die FDP ist nicht immer unkritisch, wenn es um IAB-Studien geht - vom Herbst letzten Jahres hat belegt, dass Leiharbeitsjobs in der Regel nur kurze Phasen im Erwerbsleben eines Arbeitnehmers darstellen. Das widerspricht klar der immer wieder vorgetragenen Befürchtung, dass Leiharbeiter reguläres Personal verdrängen.
Nach der IAB-Studie waren gerade einmal 13 Prozent der Leiharbeiter ein Jahr oder länger ununterbrochen beim gleichen Entleiher tätig. Das, Herr Kollege Dreibus, spricht doch für sich.
Des Weiteren haben Untersuchungen gezeigt, dass durch die Arbeitnehmerüberlassung nicht wenige Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz erreichen konnten, den sie unter anderen Umständen nicht bekommen hätten. Eine aktuelle Studie des IWG vom November dieses Jahres kommt zu dem Ergebnis, dass viele gering qualifizierte Arbeitslose ohne Zeitarbeit wahrscheinlich überhaupt keine Chance mehr auf einen Job hätten. Nach einer Studie des Marktforschungsinstitutes Lünendonk kamen zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer aus der Arbeitslosigkeit. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit - Frank Weise im Ausschuss in dieser Woche - erfolgt jede vierte Vermittlung eines Arbeitslosen in die Arbeitnehmerüberlassung. Das macht doch deutlich: Ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung würde sich gerade für gering qualifizierte Arbeitslose negativ bemerkbar machen. Das wollen wir nicht.
Ein ?equal pay - equal treatment“, Herr Kollege Dreibus, ist aus unserer Sicht wegen der Fülle unterschiedlicher Tarifverträge nicht handhabbar.
Mehr als 64 000 existieren davon in Deutschland.
Nun sind aber, wie der Sachverständige Mumme in der Anhörung am letzten Montag ausführte, von den 760 000 Erlaubnisinhabern, die überwiegend Zeitarbeit betreiben, 63 Prozent Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern. Daher stellt sich für mich die Frage, wie gerade diese mittelständischen Verleiher bei 64 000 Tarifverträgen mit einem obligatorischen ?equal pay - equal treatment“ und dem damit verbundenen bürokratischen und administrativen Aufwand klarkommen sollen.
Herr Kollege Dreibus, Sie sind doch manchmal durchaus vernünftig, aber hat jemand bei Ihnen einmal darüber nachgedacht, was ?equal pay - equal treatment“ für diese kleinen Betriebe bedeutet? Nichts anderes als das Aus! Auch das wollen wir nicht.
In Ihrem Gesetzentwurf heißt es:
Praktische Erfahrungen in Unternehmen verschiedener Branchen … belegen, dass der Tarifvorbehalt von den Arbeitgebern zum Lohndumping missbraucht wird.
Herr Dreibus, hier werden alle Arbeitgeber unter Generalverdacht gestellt. Das ist nicht akzeptabel.
Niemand wird leugnen können, dass es auch in dieser Branche schwarze Schafe gibt. Aber diese generelle Vorverurteilung zeigt, durch welche ideologische Brille der Autor bei der Formulierung dieses Gesetzentwurfs geblickt hat.
Zum Schluss ein Zitat aus dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates:
Bedenklich wäre es ferner, wenn Forderungen Gehör fänden, die Flexibilisierung bei der Leiharbeit wieder auf breiter Front zurückzudrehen. Denn diese Form der dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eröffnet in Ermangelung namentlich einer Lockerung beim Kündigungsschutz wichtige Flexibilitätsspielräume und verzeichnete daher insbesondere in der Anfangsphase des Aufschwungs deutliche Zuwächse.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Vorlagen sind immer für eine Überraschung gut bzw. schlecht. Heute sehen Sie mich nicht nur verblüfft, sondern auch einigermaßen ratlos; denn Sie legen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vor. Ich bin selbst Arbeitsrechtlerin, aber dieses Gesetz kenne ich nicht. Auch ein Blick in die offizielle Sammlung der Arbeitsgesetze machte mich nicht schlauer. Dort findet sich aber - das war wohl von Ihnen gemeint - das Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung abgedruckt. Ein einfacher Schreibfehler? Nein, denn die falsche Formulierung zieht sich konsequent durch einen immerhin vierseitigen Gesetzentwurf. Ich glaube, dass diese Nachlässigkeit einmal mehr die mangelnde Ernsthaftigkeit Ihrer Arbeit zeigt. Schnelligkeit statt Gründlichkeit, das hat schon Methode; denn Sie produzieren wirklich Vorlagen im Stundentakt. Damit vergeuden Sie Ressourcen. Damit meine ich nicht die Zeit der Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Vielmehr denke ich mit Schrecken an die Bäume, die für Ihre Papierflut abgeholzt werden mussten.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie fügen dem deutschen Wald mehr Schaden zu, als es der saure Regen jemals vermochte.
Das Schlimmste ist aber: Diese Nachlässigkeit zeigt einmal mehr, dass es Ihnen an Respekt vor denjenigen mangelt, zu deren Anwälten Sie sich stets ausrufen, nämlich den Arbeitnehmern und Arbeitslosen. Diese Bürgerinnen und Bürger können von uns allen Sorgfalt und Sachlichkeit verlangen. Mit Ihrem Gesetzentwurf werden Sie beidem nicht gerecht, insbesondere der Sachlichkeit nicht. Ideologie pur: die Welt als Schwarz-Weiß-Gemälde, Arbeitgeber als Ausbeuter.
Jetzt nehmen Sie die Zeitarbeitsbranche ins Visier. Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen die Ausnahmen, die das Gesetz zum sogenannten Gleichbehandlungsgrundsatz enthält, gestrichen werden. Sie haben dafür zwei Begründungen. Als erste Begründung führen Sie an, dass die gültige gesetzliche Regelung Lohndumping begünstige. Einen Nachweis für diese Behauptung liefern Sie wie immer nicht. Vielmehr beziehen Sie sich auf Berichte von DGB-Gewerkschaften und Betriebsräten, die Sie aber nicht vorlegen. Auch in der Anhörung am Montag wurden laut Protokoll keine konkreten Zahlen genannt. Das wäre auch schwierig; denn zum Beispiel haben die DGB-Gewerkschaften, auf die Sie sich beziehen, für den Bereich der Zeitarbeit Tarifverträge abgeschlossen, die vom Grundsatz ?equal pay - equal treatment“ abweichen und Mindestentgelte von 7,15 Euro im Westen und 6,22 Euro im Osten festlegen. Auch das gehört zur Wahrheit.
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits jetzt einen Schutz vor Lohndumping geschaffen, auch im Hinblick auf Tarifverträge: Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind tarifvertragliche Lohnvereinbarungen sittenwidrig, wenn der Tariflohn unter Berücksichtigung aller Umstände des räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages sowie der im Geltungsbereich des Tarifvertrages verrichteten Tätigkeiten einen Hungerlohn darstellt. Tarifverträge, die einen Hungerlohn regeln, sind also unwirksam. Auch das ist schon heute Rechtswirklichkeit. Zur Vermeidung von Lohndumping ist also die von Ihnen beantragte Streichung der Ausnahmetatbestände im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht notwendig.
Sie begründen Ihren Antrag weiter damit, dass Stammbeschäftigte in den Entleihfirmen durch Leiharbeitnehmer verdrängt werden. Das ist ein sehr gängiges Argument. Auch für diese Behauptung fehlt einmal mehr jeder Nachweis. Der ist auch nicht möglich; denn die Statistik besagt etwas anderes - der Kollege Kolb hat bereits darauf hingewiesen -: Die Verweildauer eines Leiharbeitnehmers in einem Kundenunternehmen ist nur kurz und liegt bei durchschnittlich zwei bis drei Monaten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur, auf das Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, sich beziehen - nur eben nicht vollständig; die unangenehmen Wahrheiten lassen Sie aus - kommt deshalb zu dem Ergebnis - ich zitiere -:
Für die häufig formulierte Begründung, dass Entleiher systematisch reguläre Arbeitskräfte durch Leiharbeiter ersetzen, liefern die Auswertungen keine empirische Evidenz. Die Zeitarbeitsbranche ist vielmehr durch einen hohen Turnover geprägt. Langfristige Einsätze - und nur sie sind geeignet, reguläres Personal zu ersetzen - gibt es nur selten.
Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis!
Ich bin mit dem Kollegen Grotthaus einig, dass es unter den Zeitarbeitsfirmen sicherlich auch schwarze Schafe gibt. Unbestritten: Wir sehen gewisse Verwerfungen - unter anderem im Verlagsbereich -, über die wir werden reden müssen. Aber es gibt auch schlechte und gute Abgeordnete, auch in diesem Haus.
Die Initiative, die Sie gegen die Zeitarbeitsbranche in Gänze starten, hat keinen einzigen sachlichen Grund. Das gilt auf jeden Fall für die beiden von Ihnen angeführten Begründungen; denn es lässt sich ohne Weiteres erkennen, dass sie falsch sind. So stellt übrigens auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Grünbuch Arbeitsrecht fest - ich zitiere -,
dass ein angemessener Schutz der Beschäftigten im Leiharbeitsverhältnis gewährleistet ist und dass somit derzeit ein Regelungsbedarf hinsichtlich des sozialen Schutzes von Leiharbeitnehmern weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene besteht.
Es geht Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, also einmal mehr nicht um den Schutz von Arbeitslosen und Arbeitnehmern. Sie spielen einmal mehr nur mit Worten. Auf den ersten Blick suggeriert die Forderung nach Gleichbehandlung von Zeitarbeitnehmern bessere Bezahlung und mehr Gerechtigkeit. Aber gesetzt den Fall, Ihre Forderungen würden tatsächlich umgesetzt, würden sie genau das Gegenteil bewirken. Zeitarbeitnehmer sind in allen Wirtschaftszweigen tätig. In einigen dieser Wirtschaftszweige sind aber Entlohnungen vorgesehen, die deutlich geringer sind, als in den Tarifverträgen für Zeitarbeitnehmer vereinbart ist. Mehr als 90 Prozent der Zeitarbeitnehmer sind tarifvertraglich beschäftigt. Ein Beispiel dafür ist das Hotel- und Gaststättengewerbe in Mecklenburg-Vorpommern. Hier sieht die Entlohnung 5,13 Euro vor. Das ist weniger, als die für die Zeitarbeitnehmer vereinbarten Tarife festlegen. Würde hier der Gleichbehandlungsgrundsatz umgesetzt, müssten die Zeitarbeitskräfte erhebliche Einkommensverluste hinnehmen.
Ein weiteres Problem ergäbe sich dadurch: Derzeit ist sichergestellt, dass Zeitarbeitnehmer in den verleihfreien Zeiten dieselben Löhne und Entgelte erhalten wie in den Einsatzzeiten. Würde diese Tariföffnungsklausel gestrichen, fiele diese Regelung ersatzlos weg. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten dann individuelle Regelungen schaffen. Ob die Arbeitnehmer dadurch immer bessergestellt würden, sei dahingestellt. Ich halte eine tarifvertragliche Regelung hier für weitaus sinnvoller.
Eines bitte ich im Übrigen zu bedenken: Die Zeitarbeitsbranche ist mittelständisch geprägt. Dem bürokratischen Aufwand, der mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz verbunden wäre, wäre keines dieser Unternehmen gewachsen. Es müsste schließlich für jeden Mitarbeiter vor jedem Einsatz im Einzelnen geklärt werden, wie die jeweiligen Arbeitsbedingungen sind. Das betrifft nicht nur die Lohnhöhe, sondern auch Urlaubstage, Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
Sozialleistungen, Anspruch auf Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen usw.
Kleine und mittelständische Unternehmen wären durch einen solchen Personalaufwand immens belastet.
Es gäbe eine Marktbereinigung, und zwar zulasten des Arbeitsmarktes,
zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zugunsten der Arbeitslosigkeit.
Das heißt, Ihre Initiative gegen Zeitarbeit in dieser pauschalen und wieder einmal ideologischen Form ist nichts anderes als eine Initiative gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Arbeitslosigkeit.
Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Werner Dreibus, Fraktion Die Linke.
Werner Dreibus (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will nur eine Bemerkung zu Frau Connemann machen:
Es ist - zumindest für mich - relativ schwer nachvollziehbar, wie man, gerade als Frau und als Mitglied einer sich auf christliche Fundamente gründenden Partei, einen Grundsatz aus Prinzip und aus sogenannten bürokratischen Gründen infrage stellen kann, einen Grundsatz, der am Ende des 19. Jahrhunderts aus der christlichen Soziallehre entstanden ist, einen Grundsatz, der sich im 20. Jahrhundert nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa weitgehend durchgesetzt hat, nämlich den Grundsatz ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der übrigens auch ein Ergebnis der Frauenbewegung ist. Wie man ihn infrage stellen kann, ist mir wirklich unerklärlich.
Wie bei den Themen ?Mindestlohn“ und ?Managergehälter“ geht es auch beim Thema der Leiharbeit im Kern immer um die Frage: Wie gerecht soll unsere Gesellschaft sein?
Wie beim Mindestlohn und bei den Managergehältern müssen wir auch beim Thema Leiharbeit eine Gerechtigkeitslücke konstatieren.
Es ist eben so - das kann man auch mit noch so beschwörerischen Reden nicht aus der Welt schaffen -: Viele - nicht alle - Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter erhalten für die gleiche Arbeit bis zu 50 Prozent weniger als die Kollegin oder der Kollege, die oder der nebenan die gleiche Arbeit macht. Wer sich ab und zu einmal in einem Betrieb Arbeitsplätze ansieht und mit den Menschen redet, der findet für diese These von mir vielfältige Belege.
Ich bitte Sie, zumindest ab und zu in die Praxis zu schauen.
?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist heute, im 21. Jahrhundert, für Hunderttausende nur noch ein Wunsch. Wir wollen, dass die Verwirklichung des Sozialstaatsgebots auch in diesem Bereich von uns Politikern wieder ernst genommen wird.
Wir von der Linken haben im Oktober unter dem Titel ?Gute Arbeit - Gutes Leben“ ein Manifest vorgelegt. Wir haben eine Rahmeninitiative dazu in den Bundestag eingebracht. Uns geht es nicht nur darum, generell mehr Arbeitsplätze zu schaffen - das wollen wir alle -, sondern auch darum, die Qualität von Arbeit in den Mittelpunkt unserer Tätigkeit zu rücken.
Wir haben im Bereich der Leiharbeit vor allen Dingen ein Problem bei der Qualität von Arbeit. Millionen Menschen jobben in zwei oder drei Jobs, weil, vor allem in der Zeitarbeit, ein Verdienst allein nicht ausreicht, um davon zu leben.
Neueinstellungen werden häufig nur noch über Leiharbeit vorgenommen. Beispiel: Im BMW-Werk in Leipzig sind, wie wir alle wissen, mehr als ein Drittel der Beschäftigen Leiharbeitskräfte. Die decken keine Auftragsspitzen ab - das ist überhaupt kein Thema mehr -; die erledigen die ganz normal anfallende, die reguläre Arbeit bei BMW in Leipzig. Man kann sogar sagen: Das Geschäftsmodell von BMW in Leipzig basiert darauf, dass es dauerhaft Leiharbeitsplätze und eben keine Stammarbeitsplätze gibt.
Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Immer mehr Unternehmen verlagern Beschäftigte in eigene Verleihfirmen und verleihen diese Beschäftigten anschließend an sich selbst zurück. Das ist eine brutale Ausnutzung einer Gesetzeslücke. Die müssen wir schließen.
So geschieht es in der kommunalen Seniorenbetreuung in Mülheim in Nordrhein-Westfalen. So geschieht es bei der Nordwest-Zeitung in Oldenburg, der Region, aus der Frau Connemann kommt. Da wurden Redakteurinnen und Redakteure entlassen, und anschließend wurden dieselben Redakteurinnen und Redakteure als Leiharbeitskräfte am gleichen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt, nur zu 30 Prozent weniger Entgelt. Das ist Missbrauch. Diesem Missbrauch müssen wir einen Riegel vorschieben.
Neben den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern leidet auch die Qualität der übrigen Arbeitsplätze. Tarifstandards geraten unter Druck, Beschäftigte trauen sich immer weniger, ihre Rechte einzufordern, usw. Es ist unerlässlich, die Leiharbeit wieder auf ihre Funktion als zeitlich begrenzte zusätzliche Beschäftigungsform zurückzuführen, mit der Arbeitsspitzen und Personalausfälle kompensiert werden können. Unternehmen, die das wollen, werden auch den gleichen Lohn für gleiche Arbeit zahlen.
Wir können nicht hinnehmen, dass die Tariföffnungsklausel all diese Umgehungs- und Dumpingmöglichkeiten schafft. Wir können auch nicht hinnehmen, dass dubiose Organisationen, die sich sinnvollerweise auch noch ?christliche Gewerkschaften“ nennen - ich sage bewusst: dubiose Organisationen -, im Bereich der Leiharbeit Tarifverträge abschließen, die einen Stundenlohn von 4 bis 5 Euro vorsehen. Damit wurde und wird der Gleichbehandlungsgrundsatz sozusagen prinzipiell ausgehebelt. Wir fordern deshalb die Streichung dieser Öffnungsklausel, um damit dem Prinzip ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder Geltung zu verschaffen.
Ich möchte ein paar Missverständnisse, ein paar sogenannte Scheinargumente, die auch die Vorredner angeführt haben, kurz benennen:
Erstens zur Behauptung, Leiharbeit stelle vor allem eine Chance für Geringqualifizierte dar und höhere Löhne würden diese Chancen zunichtemachen.
Untersuchungen des Instituts der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass geringqualifizierte Arbeitslose mittels Leiharbeit nicht leichter dauerhaft - die Betonung liegt auf ?dauerhaft“ - in Arbeit kommen; entsprechende Zahlen sind schon genannt worden. Das IAB selbst spricht von einem Anteil von etwa 15 Prozent, der dauerhaft in Arbeit kommt. Vielleicht sind es auch 20 Prozent. Das bedeutet, von fünf Menschen sind nach Beendigung der Leiharbeit vier wieder arbeitslos. Es ist also überhaupt kein Argument, dass daraus dauerhaft Arbeitsplätze entstehen.
Zweitens wird gerne von den Befürwortern der Leiharbeit auf den hohen Anteil an neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnissen hingewiesen. Jeder, der schon einmal ein Unternehmen von innen gesehen hat, weiß, dass es eine ziemlich naive Vorstellung ist, dass Arbeitsplätze sozusagen von sich aus entstehen. Sie entstehen natürlich nur, wenn die Auftragslage besser geworden ist und mehr Arbeit benötigt wird. Wenn statt regulären Arbeitsplätzen aber nur Leiharbeit angeboten wird, dann ist dies den schlechten Löhnen für Leiharbeit geschuldet. Wenn es die Möglichkeit der Zahlung solcher schlechten Löhne nicht gäbe, sondern die Tariflöhne für alle Gültigkeit hätten, würden Unternehmen selbstverständlich wie sonst auch wieder mehr reguläre, unbefristete Arbeitsplätze schaffen. Wir alle hätten ein Problem weniger.
Drittens wird die ungleiche Bezahlung von Leiharbeitskräften und regulär Beschäftigten gerne mit der angeblich geringeren Produktivität von Leihbeschäftigten gerechtfertigt - auch das ist hier gesagt worden -, weil sie nur für kurze Zeit im Entleihbetrieb tätig seien und nicht wie Festangestellten über das notwendige betriebliche Wissen verfügten. Tatsache ist: Leiharbeitskräfte werden überwiegend für einfache Tätigkeiten herangezogen, die keine besondere Einarbeitungszeit erfordern. Der Lkw-Fahrer oder die Frau, die im Supermarkt Regale einräumt, arbeiten nach ein paar Stunden genauso gut wie ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen.
Viertens zur Behauptung, wenn man Leiharbeitskräfte schon gleich bezahle, so reiche es aus, dies beispielsweise erst nach sechs Wochen oder nach drei bzw. sechs Monaten ihres Einsatzes zu tun: Hierzu muss man wissen - auch laut IAB -: Rund 60 Prozent der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind kürzer als drei Monate in einem Entleihunternehmen eingesetzt. Bei 15 Prozent - diese Zahl wurde schon genannt - dauert der Einsatz sogar weniger als eine Woche. Das bedeutet, jede Regelung, die eine längere Wartefrist - Wochen, Monate - bis zu einer gleichen Bezahlung vorsieht, würde vollkommen ins Leere laufen und für die überwiegende Zahl der Leiharbeitskräfte überhaupt keine Wirkung entfalten. Bereits heute werden übrigens in Tarifverträgen Einarbeitungsfristen geregelt. Man braucht also nur in den Tarifvertrag der jeweiligen Branche zu schauen, und schon findet man für dieses Problem schon heute Lösungen. Wir brauchen da keine neuen.
Die Bundesregierung selbst hat bereits in verschiedenen Berichten die miserable Qualität der Bedingungen der Leiharbeit dokumentiert. Nur, es liegt uns kein Vorschlag vor - auch nicht von der SPD -,
wie wir diesem erkannten Problem nun endlich entgegentreten können. Im Gegenteil: Der neue SPD-Arbeitsminister hat noch vor zwei Wochen auf EU-Ebene die Verabschiedung einer Richtlinie zur Leiharbeit blockiert. Darin sollte als ein erster Schritt zumindest eine Frist von sechs Wochen vorgesehen werden, bis ein gleicher Lohn gezahlt wird. Das ist blockiert worden. Das heißt, es tut sich nichts, auch wenn gestern der Parteivorsitzende der SPD darüber redet, dass man nun eine EU-Regelung für eine gleiche Bezahlung bei Leiharbeit braucht. Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie das eine oder das andere wollen.
Es ist gut, wenn jetzt auch die Fraktionen der SPD und der Grünen die Ausbreitung schlechter Arbeit beklagen. Besser wäre es allerdings, wenn Sie auch den Mut fänden, die politischen Fehler der Agenda 2010 zu berichtigen. Heute haben Sie bei dieser Debatte ein weiteres Mal die Gelegenheit dazu.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Im Protokoll steht jetzt, glaube ich: Lebhafter Applaus bei den Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt gerade in der Debatte über den Mindestlohn das Gezerre, das es in der Großen Koalition in dieser Frage gibt, mitbekommen. Schon liegt der nächste Zankapfel auf dem Tisch. Über die Zeitarbeit wird es - darauf deutet alles hin - auch Gezänk in der Großen Koalition geben. Auch hier liegen die Vorstellungen der SPD und die Vorstellungen der Union meilenweit auseinander. Es ist schon absehbar, dass es um die Einführung eines Mindestlohns in der Zeitarbeitsbranche eine ebenso unappetitliche Auseinandersetzung geben wird wie um die Einführung des Post-Mindestlohns. Nicht nur Frau Connemann jetzt, sondern auch Herr Meyer vorhin in der Mindestlohndebatte haben dafür ein beredtes Zeugnis abgelegt. Insoweit ist alles wie gehabt: Der Wirtschaftsminister warnt; der SPD-Fraktionsvorsitzende kündigt neue Mindestlohnregelungen für die Zeitarbeitsbranche an.
Ich würde sagen: Wo Große Koalition draufsteht, ist großes Gezänk drin. Das können wir heute gleich zweimal erleben.
Es ist so, dass jetzt, knapp fünf Jahre, nachdem das reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft getreten ist, diese Beschäftigungsform tatsächlich kräftig zugenommen hat. Es gibt ungefähr 700 000 Menschen, die in diesem Bereich tätig sind. Es handelt sich also wirklich nicht um Peanuts. Es ist auch vorhersehbar, dass die Zahl der Beschäftigten in dieser Branche noch zunehmen wird.
Durch die Flexibilisierung ist die Zeitarbeit insbesondere für die Arbeitgeber attraktiver geworden. Dass die Arbeitgeber das toll finden, ist für Sie, Frau Connemann, offensichtlich Grund genug, das auch toll zu finden.
Ich aber finde das nicht okay, und zwar deswegen nicht, weil für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Zeitarbeitsbranche nun wahrlich nicht alles in Ordnung ist, ganz im Gegenteil. Es stimmt zwar - das haben wir als Grüne auch immer gesagt -, dass Zeitarbeit für ehemalige Arbeitslose tatsächlich eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein kann. Das finden wir gut. Wir wollen auch, dass das so bleibt. Wir dürfen aber nicht verkennen, dass das nur die eine Seite der Medaille ist. Ehe Sie, Herr Kolb, hier über ideologische Scheuklappen reden, sollten Sie erst einmal Ihre Brille genauer untersuchen.
Die ist nämlich völlig ideologisch gefärbt.
Zunehmend wird Zeitarbeit dazu genutzt, um Löhne zu drücken, um Stammbelegschaften zu ersetzen und um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Das finden wir schlecht. Deswegen wollen und müssen wir in diesem Bereich auch etwas ändern.
Frau Connemann, Sie können wirklich in vielen Statistiken nachlesen, was ich Ihnen jetzt vortrage:
Fast 10 Prozent derjenigen, die trotz Vollzeitbeschäftigung zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen, arbeiten in der Zeitarbeit. Diese machen eine große Gruppe in der Zahl der Aufstocker aus. Es gibt Lohnabstände von 30 bis 50 Prozent, in einigen Branchen bis zu 60 Prozent, zu den Beschäftigten in der Stammbelegschaft.
Das kann nicht so bleiben. Das müssen wir ändern. Es gibt leider erheblichen Missbrauch.
- Frau Connemann, es handelt sich nicht um Einzelfälle. Weil es sich nicht um Einzelfälle handelt, sind auch Sie gefordert, hier etwas zu tun.
Zeitarbeit wird genutzt, um Löhne ganz systematisch abzusenken. Stammbelegschaften werden in großem Umfang durch Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer ersetzt. Tochtergesellschaften werden in erheblichem Umfang nur zu dem Zweck gegründet, um die gleichen Beschäftigten als Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer zurückzuholen.
Das Beispiel von der Zeitungsredaktion ist hier schon genannt worden. Dies ist ein skandalöser Zustand und wahrlich kein Einzelfall. Herr Dreibus hat schon darauf hingewiesen, dass auch die öffentlichen Arbeitgeber so handeln. Zum Beispiel findet so etwas auch im Krankenhausbereich statt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, die Frau Kollegin Connemann würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie möchte mir sicher sagen, dass ich recht habe. Bitte, Frau Connemann.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Pothmer, Sie haben mich mit dem Hinweis direkt angesprochen, dass 10 Prozent der Leiharbeiter aufstocken müssen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die konkrete Quelle für diese Zahl nennen würden; denn auch ich habe in meiner Rede konkrete Quellen genannt. Es reicht mir schon eine einzige Quelle. Bitte sagen Sie jetzt nicht, diese Zahl stehe in vielen Statistiken. Ich würde nämlich gerne in der konkreten Quelle nachlesen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das IAB, Frau Connemann.
Dies ist ein anerkanntes Institut, das relativ viel in diesem Bereich untersucht hat. Ich lasse Ihnen das gerne zukommen, Frau Connemann. Diese Hausaufgabe will ich gerne erledigen.
Ich finde, wir können diese Entwicklung nicht ignorieren. Herr Grotthaus, wir können sie auch nicht aussitzen. Denn es gibt tatsächlich einen dringenden Handlungsbedarf. Wir brauchen in Deutschland in diesem Bereich Regelungen, mit denen der Missbrauch von Leiharbeit verhindert werden kann. Gleichzeitig darf die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt nicht zerstört werden. Herr Dreibus, ich glaube, da unterscheiden sich die von uns jeweils vorgelegten Konzepte.
Der Vorschlag, den wir vorgelegt haben, hat zum Inhalt, dass das Prinzip ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt und dass die vorhandenen Ausnahmen auch Ausnahmen bleiben, es also auf einzelne Fälle beschränkt bleibt und nicht flächendeckend angewandt wird. Wir wollen verhindern, dass Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer ersetzt werden.
Auch das findet in großem Umfang statt. Auf diese Bereiche sollten wir uns konzentrieren.
Unsere Vorschläge, Herr Grotthaus, haben in der Sachverständigenanhörung eine breite Unterstützung erfahren, interessanterweise aus dem Arbeitgeber- und aus dem Arbeitnehmerlager. Denn wir haben mit diesen Vorschlägen berücksichtigt, dass es kein Übermaß an bürokratischem Aufwand geben darf, den Sie vorhin als Problem dargestellt haben. Wenn Sie für dieses Problem wirklich eine Lösung suchen und wirklich etwas tun wollen, dann schließen Sie sich unserem Vorschlag an.
Ich weiß, dass Sie, Herr Grotthaus, ganz heimlich mit uns einer Meinung sind.
Die SPD-Fraktion insgesamt ist mit uns ganz und gar einer Meinung. Für die Betroffenen in der Leiharbeit ist es schade, dass sich Ihre Unterstützung in der Sache nicht im Abstimmungsverhalten niederschlägt.
Aus dem Konzept, das wir vorgelegt haben, ergibt sich, dass wir einen Mindestlohn auch für die Zeitarbeitsbranche brauchen.
Denn für die ersten drei Monate müssen wir sicherstellen, dass es eine soziale Absicherung gibt. Deswegen brauchen wir für die Zeitarbeitsbranche sehr schnell die Einführung von Mindestlöhnen.
Wir müssen die ominösen Haustarifverträge wegbekommen. Denn sie stellen keinerlei Absicherung dar. Wir müssen das, was zwischen dem DGB und den verantwortlichen Zeitarbeitsfirmen vereinbart worden ist, für allgemeinverbindlich erklären.
Wir wissen, dass die verantwortungsbewussten Arbeitgeber in der Zeitarbeitsbranche das dringend wollen.
Wer so tut, als müsse das gegen die Arbeitgeber durchgesetzt werden, der irrt.
Herr Kolb, ich würde gerne einmal wissen, mit welchen Arbeitgebern Sie Kontakt haben. Ich kenne insbesondere im Gebäudereinigerhandwerk sehr viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die sagen: Gott sei Dank haben wir das jetzt; jetzt kann uns die Konkurrenz endlich nicht mehr dazu zwingen, unsere Beschäftigten, die eine gute Arbeit leisten, schlecht zu bezahlen. Diese Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind froh und dankbar, dass sie diesen Rahmen haben, weil sie mit ihren Beschäftigten fair umgehen wollen.
Verantwortungsvolle Arbeitgeber in der Zeitarbeitsbranche wollen also Mindestlöhne. Verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker sollten ihnen dabei nicht im Wege stehen, sondern sie unterstützen. Wir jedenfalls begreifen das als unseren Auftrag. Ich wünsche mir, dass die Große Koalition das Gleiche tut.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.
Anette Kramme (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zeitungen bezeichnen Leiharbeit ganz unterschiedlich. In der einen, die mir unter die Finger gekommen ist, steht: ?Leiharbeit - moderne Sklaverei, die floriert“. In der anderen Zeitung steht: ?Billig und willig“; gemeint ist damit natürlich genau das gleiche Phänomen.
Leiharbeit hat tatsächlich zwei Gesichter. Sie hat ein Sonnengesicht: Das ist eine Branche, die boomt. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Zahl der Zeitarbeitsplätze verdoppelt.
- Darüber kann man streiten. Herr Kolb, wenn Sie sich die Statistiken genau anschauen, werden Sie feststellen, dass die Linie seit 1993 im Prinzip ungebrochen ist.
Davon abgesehen: Wir haben nichts gegen Zeitarbeit als solche.
Es geht um die Schattenseiten. - Kommen wir aber zunächst auf die positiven Seiten der Leiharbeit zurück: Leiharbeit ermöglicht in Spitzenauslastungs- und Vertretungssituationen eine einfache Personaleinstellung. In einem gewissen Umfang gibt es den sogenannten Klebeeffekt, allerdings darf er nicht überschätzt werden.
Es ist aber so, dass einige dieser Arbeitnehmer nach einer Tätigkeit im Leihbetrieb einen festen Job erhalten. Wir wissen, dass 60 Prozent der aktuell tätigen Zeitarbeitnehmer unmittelbar vorher nicht beschäftigt waren.
Die Zeitarbeit hat also gewisse arbeitsmarktpolitische Effekte, die man nicht verkennen kann.
Zeitarbeit hat aber auch ganz viele dunkle Seiten, ein Schattengesicht.
Das kann man an verschiedenen Punkten festmachen. Wir beobachten ganz intensiv, dass es zu einer Ersetzung von Stammarbeitern durch Leiharbeitnehmer kommt. Das kann man an der Tatsache festmachen, dass es Betriebe gibt, deren Belegschaft zu 50 Prozent aus Leiharbeitern besteht. In der Sachverständigenanhörung hat der Sachverständige Felix Weitenhagen für das Berliner Siemens-Schaltwerk erklärt, dass die Leiharbeiterquote in den produzierenden Abteilungen bis zu 40 Prozent betrage.
Wir beobachten ein besonders perverses Phänomen, das Outsourcing heißt. An uns sind Journalistenverbände herangetreten, die davon berichtet haben, dass Tochterunternehmen gegründet werden, die Journalisten einstellen, die vorher mit befristeten Verträgen bei den eigentlichen Verlagen angestellt waren. Nun sind sie als Leiharbeiter tätig.
Wir wissen, dass das insbesondere auch für den Bereich der Kliniken gilt.
Wenn man sich diese beiden Aspekte zusammen anschaut, weiß man, dass die Unternehmen, die entleihen, nur eine Zielsetzung haben, nämlich, die regulären Tarifverträge, die Tarifverträge für die Stammarbeitskräfte, zu umgehen. Dahinter steht nichts anderes als die Absicht, Lohndumping zu betreiben und die Arbeitnehmer auszunutzen.
Wie sieht Lohndumping aus? Wir wissen, dass es Lohnabstände von 30, 40 und 50 Prozent gibt. Manchmal ist es sogar noch mehr.
Die Tariflöhne beginnen bei 4,81 Euro; das ist natürlich nicht viel, und davon kann man nicht leben. Wir wissen, dass es beim Arbeitslosengeld II zu Missbrauch kommt; jeder achte Zeitarbeitnehmer bezieht Arbeitslosengeld II. Ich habe bereits vorhin gesagt: Es kann nicht sein, dass sich der Staat an der Subventionierung von Unternehmen beteiligt, die nichts anderes als Lohn- und Sozialdumping im Sinn haben.
Hier kommt es zu einer ungeheuren Fluktuation - das muss man sich einmal vor Augen halten -: 50 Prozent der Leiharbeitnehmer sind nach drei Monaten wieder draußen.
Aufseiten der Betriebsräte ist eine Interessenvertretung fast nicht existent. Auch die starken Betriebsräte bei den Entleihern haben fast keine Handlungsmöglichkeiten.
Wir befinden uns also in einer Situation, in der die Betreuung durch Gewerkschaften nur eingeschränkt funktionieren kann.
Das hat einfache Ursachen: Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik sind einseitig auf jeweils einige wenige Branchen ausgerichtet. Leiharbeit funktioniert aber branchenübergreifend. Aus dieser Ausgangslage, die mehr als schwierig ist, ergibt sich, dass es einen Regelungsbedarf und darüber hinaus einen Regelungszwang gibt.
Heute liegen uns zwei Anträge vor. Zumindest faktisch sind es zwei Anträge. Einen Antrag haben die Linken eingebracht. Die Grünen haben formal einen Änderungsantrag gestellt, der aber im Prinzip eine vollständige Änderung zum Inhalt hat.
Wenn man sich diese Anträge genau anschaut, stellt man fest, dass sie zu kurz greifen.
An manchen Stellen sind auch intensivere Überlegungen erforderlich.
Ich sage Ihnen: Die SPD hat zu diesem Thema einen exzellenten Parteitagsbeschluss gefasst.
Er sieht wie folgt aus: Wir wollen zunächst eine Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Leiharbeitsbranche.
Dadurch decken wir zwei Phasen ab: die Phase, in der nicht verliehen wird, also die verleihfreien Zeiten, und die sogenannte Einarbeitungsphase.
Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Der Mindestlohntarifvertrag ist vereinbart. Die 50-Prozent-Klausel ist nach unserer Einschätzung erfüllt. Im Übrigen ist das eine rein politische Vorgabe; das möchte ich jetzt gegenüber der Union klarstellen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erinnern, dass die Aufnahme in das Gesetz nicht nur ein Wunsch der Arbeitnehmerseite, sondern ein beidseitiger Wunsch ist: Arbeitnehmer und Arbeitgeber wollen das.
Wir dürfen in dieser Branche aber beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht stehen bleiben. Es muss der Grundsatz gelten: Gleiche Bezahlung und gleiche Behandlung nach einer Einarbeitungsphase.
Dieser Grundsatz findet sich überall wieder. Das ist ein allgemeines Prinzip des Arbeitsrechts. Genau das wollen wir.
Wir wissen, dass wir den Verdrängungswettbewerb, der stattfindet, nur unterbinden können, indem wir das finanzielle Interesse am Sozialdumping einschränken bzw. indem wir dem Sozialdumping den Boden entziehen.
Alle anderen Regelungen würden dazu führen, dass unsere Schutzvorschriften auf irgendeine Art und Weise unterlaufen werden; denn die Unternehmen sind clever, und das ist auch legitim. Wir als Gesetzgeber müssen hier vorausschauend handeln.
Ich möchte ganz klar darauf hinweisen - das sei zusätzlich angemerkt -, dass auch die Betriebsräte in der Verantwortung stehen. Ich möchte, dass es erzwingbare Betriebsvereinbarungen gibt: einerseits über den Umfang der Leiharbeit, andererseits zur Festlegung der Zeitdauer der Überlassung.
- Meine Damen und Herren von der FDP, mir ist klar, dass Ihnen bei diesem Thema graue Haare wachsen.
Das macht aber nichts.
Graue Haare haben ihren eigenen Charme.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir akzeptieren nicht, dass Leiharbeit ein Normalarbeitsverhältnis ist, und wir akzeptieren nicht, dass Leiharbeit als reguläre Beschäftigung angesehen wird, solange sich Leiharbeit nach wie vor überwiegend in der Schmuddelecke befindet. Wir werden uns in dieser Angelegenheit weiter engagieren.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jörg Rohde, FDP-Fraktion.
Jörg Rohde (FDP):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kramme, ich muss Ihnen direkt antworten. Sie reden davon, dass graue Haare wachsen. Schauen Sie mich an! Nach zwei Jahren Schwarz-Rot sehe ich so aus. Das ist hart.
Ich möchte erst einmal auf die Vorredner eingehen. Herr Grotthaus, Sie haben gesagt, eine sorgfältige Prüfung sollte bei den Änderungen erfolgen. Das finde ich sehr gut. Man sollte nicht überstürzt handeln. Ich möchte aus Sicht der Liberalen hinzufügen: Prüfen Sie bedächtig, prüfen Sie langsam, lassen Sie sich ruhig Zeit! Zu dem Thema Probezeit für Lkw-Fahrer möchte ich sagen: Vielleicht geht es dem Arbeitgeber in diesem Beispiel weniger um die Fahrpraxis des neuen Arbeitnehmers als um andere Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.
Es gibt also gute Gründe für eine Probezeit, Herr Kollege Grotthaus. Darüber müssen wir uns entsprechend austauschen.
Frau Connemann, Gratulation zu Ihrer Rede. Wir haben heute offenbar viele gemeinsame Ansichten. Bei der sorgfältigen Prüfung der nächsten Schritte sollten wir Ihre Beispiele unbedingt einmal durchgehen. Für die aufgeworfenen Fragen werden Antworten gefunden werden müssen. Als Liberale werden wir darüber wachen, wie die Union später abstimmt, wenn der Koalitionspartner SPD bei diesem Thema die Daumenschrauben anzieht. Wir bauen auf Ihre Standfestigkeit, meine Kolleginnen und Kollegen von der Union.
Herr Dreibus, Frau Kramme, warum sind denn die Arbeitnehmer so kurz bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt?
In vielen Fällen gibt es diesen Klebeeffekt. Die heutige Initiative der Linken geht wieder in die völlig falsche Richtung.
Frau Pothmer, Sie hatten eben eine Zahl genannt: 10 Prozent Aufstocker. Wir kennen die Quelle nicht so genau, aber auch wir werden zum Jahreswechsel beim IAB nachlesen. Worin besteht denn Ihre Alternative? Soll der Staat diese Arbeitnehmer zu 100 Prozent finanzieren? Sollen die arbeitslos bleiben?
Das ist doch die Alternative, wenn das Geld, das man für den Job erhält, nicht reicht.
Nun konkret zum Vorschlag der Linken. Ich kann die Enttäuschung so mancher Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter über unterschiedliche Löhne für ähnliche Tätigkeiten nachvollziehen. Auch ich übersehe nicht, dass die Löhne in einigen Bereichen der Zeitarbeit sehr niedrig sind. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich sehe auch, dass immer noch rund 3,4 Millionen Menschen im Land überhaupt keine Arbeit haben. Die Kraft des Aufschwungs reicht leider noch nicht aus, um auch diese Menschen jetzt in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Deshalb halte ich ausnahmslos jede Maßnahme für falsch, die Arbeit verteuert und Neueinstellungen verhindert.
- Sie haben Löhne, muss ich zunächst einmal entgegnen, Herr Dreibus. - Aber statt jetzt konsequent die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern, diskutieren wir dieser Tage nicht nur über Mindestlöhne, sondern auch über Maxilöhne. Meine sehr geehrten Freunde der Überregulierung, beides ist Unsinn. Liegt ein Mindestlohn über dem Marktwert einer Arbeit, zerstört er Jobs, liegt er darunter, ist er logischerweise wirkungslos.
Das sagen wir gebetsmühlenartig. Sie hören das von vielen unserer Kollegen. Wenn die Löhne für alle steigen sollen, müssen wir vielmehr die Nachfrage nach Arbeitskräften anheizen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Wir müssen eine Entbürokratisierung durchsetzen und den Arbeitsmarkt deregulieren, wir müssen Subventionen abbauen, wir müssen die Lohnnebenkosten reduzieren, wir müssen in Bildung und Forschung investieren, und wir müssen ein einfaches und gerechtes Steuersystem installieren. Aber von diesen Forderungen wollen leider die meisten Fraktionen in diesem Haus außer der FDP nichts wissen.
Im Gegenteil: Statt die Zeitarbeitsbranche zu unterstützen, weil sie einen maßgeblichen Anteil am Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland hat, legen Sie ihr Steine in den Weg. Systematisch sollen innovative Konzepte plattgemacht werden. Erst wurden die privaten Postdienste ihrer Marktfähigkeit beraubt, jetzt soll die Zeitarbeit daran glauben; denn nichts anderes würde passieren, wenn Ihre Vorschläge, werte Linke, umgesetzt werden würden. Sie sehen überhaupt nicht die Chance, die für viele Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte in der Zeitarbeit liegt.
Sie beklagen den Klebeeffekt von 15 bis 30 Prozent als zu niedrig, anstatt anzuerkennen, dass auf diese Weise viele Zehntausend Menschen jährlich wieder einen festen Job finden und die übrigen Zeitarbeiter immerhin vorübergehend in Arbeit waren.
Das ist allemal besser, als gar keine Arbeit zu haben.
Meine Damen und Herren von der Linken, ich komme zum Hauptproblem Ihrer Politik: Mit Ihren unrealistischen und marktfernen Forderungen tun Sie weder den Arbeitslosen noch den Beschäftigten einen Gefallen.
Im Gegenteil, Sie vertiefen die Kluft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen und spalten die Gesellschaft. Sie wollen die Latte für die Schaffung neuer Jobs immer höher legen und machen bestehende Jobs unprofitabel. Damit fallen sie weg, und wir haben mehr Arbeitslose.
Das ist nicht sozial, nicht solidarisch und schafft Armut. Darüber sollten Sie einmal in Ruhe nachdenken.
Hören Sie endlich damit auf, die Zeitarbeit pauschal zu dämonisieren! Es ist wirklich nicht so, dass alle Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer die Zeitarbeit nur aus schierer Not heraus gewählt haben. Als Informatiker kann ich berichten, dass es beispielsweise in der IT-Branche Arbeitnehmer gibt, die es ablehnen, einen festen Arbeitsplatz in dem Start-up-Unternehmen anzunehmen, in dem sie als Zeitarbeiter eingesetzt sind. Für insgesamt 10 Prozent der Arbeitnehmer gilt, dass sie lieber Zeitarbeiter sind als fest beschäftigt in einem Unternehmen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Rohde.
Jörg Rohde (FDP):
Das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Diesen Jobmotor wollen Sie aus ideologischen Gründen abwürgen. Lassen Sie das!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion.
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Freunde der Fraktion der Talkshowsozialisten, liebe Freunde der Linkspartei!
Herr Dreibus, ich wehre mich gegen die Grundhaltung Ihres Gesetzentwurfs, die Zeitarbeit pauschal zu verteufeln.
- Manchen muss man es ein paar Mal sagen, damit sie es verstehen. - Zeitarbeit hilft vielen Unternehmen, im globalen Wettbewerb flexibel reagieren zu können; darauf wurde bereits von einigen Rednern hingewiesen. Durch Zeitarbeitsverhältnisse werden Beschäftigungspotenziale nutzbar gemacht, die ansonsten ungenutzt bleiben würden.
Gerade in Zeiten von Engpässen und unsicheren Auftragslagen hat die Zeitarbeit bereits vielen Unternehmen geholfen. Mit Zeitarbeit können die Unternehmen schnell und flexibel auf Arbeitsausfall, Krankheit, aber auch Mutterschutz reagieren. Gerade kleine und mittlere Betriebe können sich so schnell auf Auftragsspitzen einstellen und schwankende Produktionszyklen abfedern.
Gleichzeitig ist Zeitarbeit für viele Beschäftigte zum Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt geworden. Jährlich werden etwa 30 Prozent aller Zeitarbeiter - das entspricht etwa 200 000 Beschäftigten - in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen, davon sind etwa 15 Prozent Langzeitarbeitslose gewesen.
Das Zeitarbeitsverhältnis ist ein reguläres Arbeitsverhältnis in einer inzwischen vollständig anerkannten, eigenständigen Branche. Es ist die Branche, in der Tarifverträge fast flächendeckend angewandt werden. Die Deckung liegt bei 98 Prozent.
Ja, es gibt zum Teil Lohnabstände zwischen Stammarbeitern und Zeitarbeitnehmern. Aber das ist nur in ganz bestimmten Fällen, ganz bestimmten Branchen und überhaupt nicht flächendeckend der Fall. Gerade diesbezüglich wollte der Gesetzgeber mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Regeln setzen.
Natürlich kann die Inanspruchnahme fremden Personals zahlreiche Probleme mit sich bringen. Um Missbräuche zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt. Dieses Gesetz wurde zum 1. Januar 2004 umfassend reformiert. Zahlreiche Beschränkungen der Leiharbeit sind entfallen, unter anderem die Beschränkung der Überlassungsdauer auf 24 Monate und das Verbot der wiederholten Einstellung eines Leiharbeiters nach vorangegangener Kündigung durch den Verleiher. Das Prinzip des ?equal pay“ ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 1. Januar 2004 weitestgehend verankert.
Im Gegenzug müssen die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern denen der Stammbelegschaft immer dann entsprechen, wenn nicht tarifvertraglich eine andere Regelung getroffen wurde. Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung darf dann nicht genehmigt werden, wenn der Verleiher nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, des Lohnsteuerrechts, des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsvertraglichen Pflichten nicht einhält.
Seit dem 1. Januar 2004 darf die Arbeitnehmerüberlassung auch dann nicht genehmigt werden, wenn der Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitern des Entleihers nicht eingehalten wird. Um diesen Gleichbehandlungsgrundsatz erfüllen zu können, müssen die Zeitarbeitsfirmen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten beim Entleiher in Erfahrung bringen. Dazu wird ihnen in § 12 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Entleiherunternehmen zuerkannt.
Diese Verpflichtung besteht jedoch dann nicht, wenn die Voraussetzungen einer der beiden im Gesetz genannten Ausnahmen vom Schlechterstellungsverbot vorliegen. Liebe Kollegen von der Linkspartei, beide Ausnahmen hatten und haben ihre Berechtigung. Auch die Begründung Ihres Gesetzentwurfs kann diese nicht ernsthaft infrage stellen.
Zunächst zur Sechswochenfrist. Es ist vorgesehen, dass Verleiher und Leiharbeitnehmer - das betrifft zuvor arbeitslose Arbeitnehmer - sich einmalig darauf einigen können, dass der Leiharbeitnehmer für insgesamt sechs Wochen der Überlassung lediglich ein Nettoarbeitsentgelt mindestens in Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes erhält. Damit soll dem Verleihunternehmen ein Anreiz gegeben werden, Arbeitslose überhaupt einzustellen. Zugleich soll die Bereitschaft der Arbeitgeber erhöht werden, ein Arbeitsverhältnis mit einem vormals Arbeitslosen zu versuchen.
Wenn Sie gleichen Lohn vom ersten Tag an fordern, müssen Sie aber bedenken, dass es sich hier um eine Arbeitsförderungsmaßnahme handelt.
Ein großer Teil derjenigen, die hier vermittelt werden, sind Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Wenn Ihr Gesetzentwurf Gesetz würde, hätten Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose künftig nicht mehr die Chance, über Arbeitnehmerüberlassung einen festen Job zu bekommen. Sie würden kaum mehr in Leiharbeit, in Zeitarbeit vermittelt werden. Alle außer den Hochqualifizierten und Facharbeitskräften fielen aus dem Markt heraus.
Equal Pay wirkt sich besonders auf die Kalkulation der vielen kleinen und mittleren Betriebe in Deutschland aus. Von den 760 000 Betrieben, die überwiegend Zeitarbeit betreiben, beschäftigen 63 Prozent weniger als 50 Mitarbeiter; sie sind sogenannte Kleinunternehmer. Viele von ihnen würden durch gleichen Lohn vom ersten Tag an gefährdet. Außerdem würde Equal Pay die Verwaltungskosten in die Höhe schrauben; meine Kollegin hat bereits darauf hingewiesen. Denn in jedem Fall einer Arbeitnehmerüberlassung müsste ermittelt werden, inwieweit Leiharbeitnehmer und Stammbeschäftigte vergleichbar sind. Zudem müssten die vereinbarten Arbeitsbedingungen im Entleiherbetrieb und im Verleiherunternehmen verglichen werden. Damit würde an sich jeder einzelne Arbeitnehmerüberlassungsvorgang überwachungspflichtig. Man muss sich den Verwaltungsaufwand dafür einmal vorstellen.
Vom ersten Tag an Equal Pay anzuwenden, ist in vielen Fällen schlicht unpraktikabel. Wie soll, bitte schön, jemand bezahlt werden, Herr Dreibus, der im ersten Monat an Firma A, im zweiten Monat an Firma B und anschließend noch an Firma C entliehen wird, wenn die Firmen unter Umständen ganz unterschiedliche Lohnstrukturen haben? Im ungünstigsten Fall müssten Leiharbeitnehmer dann Lohneinbußen hinnehmen. Darüber hinaus wüssten sie nicht mehr, wie es im konkreten Fall um ihre Rechte als Arbeitnehmer bestellt ist. Frau Kollegin Connemann hat schon auf diese Punkte hingewiesen. Sie hat ferner darauf hingewiesen, dass der verliehene Arbeitnehmer auch in der arbeitsfreien bzw. in der verleihfreien Zeit einen Lohnanspruch gegenüber dem Leiharbeitsunternehmen hat.
Herr Kollege Dreibus, wenn Sie sich von diesem Podium anschicken, uns von der CDU/CSU Vorhaltungen über das christliche Verständnis vom Arbeitsrecht zu machen, dann ist das mehr als gewagt.
Über christliche Arbeitsmoral diskutiere ich aus verständlichen Gründen lieber mit meiner KAB als mit den Freunden von unserer Linkspartei.
Hinzu kommt bei Equal Pay, dass sich die Arbeitsgerichte auf mehr Arbeit einstellen müssten, weil sich dann viele Arbeitnehmer falsch bezahlt fühlen.
Nun zum Tarifvorbehalt. Nach dem Tarifvorbehalt kann ein Tarifvertrag vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung tarifvertraglicher Regelungen individualrechtlich vereinbaren.
Sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei, Ihre pauschale Unterstellung, dass die Tariföffnungsklausel im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von den Arbeitgebern zu Lohndumping missbraucht wird, entbehrt jeder Grundlage.
Entsprechend schwammig ist in Ihrem Gesetzentwurf die Rede von ?praktischen Erfahrungen“, ohne dass konkrete Zahlen oder Fakten benannt werden. Mit Blick auf die Tarifabschlüsse der drei großen Verbände der Zeitarbeit wird schnell klar, dass diese Unterstellung nicht haltbar ist. Wenn nämlich Ungelernte und Geringqualifizierte im Westen an die 7 Euro Stundenlohn, im Osten um die 6 Euro pro Stunde erhalten, kann das wohl kaum als Lohndumping bezeichnet werden, insbesondere dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass in einigen Branchen Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung laut Tarifvertrag zwischen 4 und 5 Euro bekommen. Meine Kollegin hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass, wenn Equal Pay gilt, zum Beispiel im Hotel- und Gaststättenbereich den Leiharbeitnehmern der Lohn sogar gekürzt werden müsste. Das werden Sie doch nicht ernsthaft wollen.
Der Tarifvorbehalt soll Fehlentwicklungen vorbeugen. So wurde gegen das Diskriminierungsverbot bei der Leiharbeit immer wieder vorgebracht, dass ein positiver Beschäftigungseffekt nicht zu erwarten sei. Durch eine Pflicht zur Gleichbehandlung würde sich die Leiharbeit derart verteuern, dass sie für Entleiher und Verleihunternehmen wirtschaftlich nicht mehr rentabel wäre. Die Möglichkeit, die Personalkosten zu reduzieren, ist jedoch zentraler Beweggrund, Leiharbeitnehmer im eigenen Betrieb zu beschäftigen. Diesen Bedenken sind wir mit der am 1. April 2004 eingeführten Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes begegnet. Seitdem können abweichende Tarifverträge abgeschlossen werden. Ich sehe deshalb keine Veranlassung, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im von der Linkspartei gewünschten Sinne zu ändern.
Ich wünsche von dieser Stelle aus den Kolleginnen und Kollegen abermals ein frohes Weihnachtsfest aus dem sonnigen Mainfranken.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe der Kollegin Katja Mast, SPD-Fraktion, das Wort.
Katja Mast (SPD):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Leiharbeit ist kein Teufelszeug, Leiharbeit ist nicht von Rauschgoldengeln. Gute Arbeit wird auch nicht von Engeln oder Teufeln gemacht, sondern von uns auf dem Boden der Tatsachen.
Rund 600 000 Menschen arbeiten in Leiharbeit - Tendenz steigend. Das sind meist voll sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. 2003 waren rund 43 Prozent der Zugänge in die Leiharbeit zuvor arbeitslos. Als wir das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verabschiedet haben, war genau das unser Ziel: Klebeeffekte für Arbeitslose und das Auffangen von Auftragsspitzen in den Unternehmen. Wenn man so will, ist das das Engelsgesicht der Leiharbeit.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Der Klebeeffekt existiert zwar, aber 10 bis 15 Prozent sind einfach noch zu wenig, um von einem effizienten arbeitsmarktpolitischen Instrument sprechen zu können. Im Übrigen gilt für die Leiharbeit das Gleiche wie für den Arbeitsmarkt im Allgemeinen: Bildung ist die beste Arbeitslosenversicherung. Der Klebeeffekt hilft den qualifizierten Leiharbeitern, den anderen kaum.
Leiharbeit hat aber auch Teufelsgesichter:
Lohnstrukturen, die nicht zum Leben reichen, und der Abbau von Arbeitsplätzen der Stammbelegschaft. Die Mitbestimmung der Betriebsräte wird geschwächt. Es besteht die Gefahr einer Spaltung der Belegschaft in Beschäftigte erster und zweiter Klasse. Trotz des Übergangs von Arbeitslosigkeit in Leiharbeit stimmt eben auch, dass 2003 rund 34 Prozent der Neuzugänge in die Arbeitslosigkeit aus der Leiharbeit gekommen sind. Außerdem schließen Zeitarbeitsunternehmen mit Nicht-DGB-Gewerkschaften Haustarifverträge ab,
durch die Dumpinglöhne ermöglicht werden, obwohl es einen Mindestlohntarifvertrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und dem Bundesverband Zeitarbeit gibt, die rund 60 Prozent der Zeitarbeitnehmer organisieren. Wenn man so will, sind das die Teufelsgesichter der Leiharbeit.
Die Zahl der Presseberichte, in denen von Löhnen in der Leiharbeit die Rede ist, die unter 6 Euro liegen, nimmt zu. Der Tagesspiegel und die Financial Times Deutschland berichten, dass jeder achte Zeitarbeitnehmer bei Vollzeitarbeit nebenher auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist. Wohlgemerkt: Das sind die Steuermittel, die die Arbeiter bezahlen, die von den billigeren Leiharbeitnehmern aus dem Job gedrängt werden.
Da ist der Wurm drin, und wir müssen handeln.
Es gibt in Unternehmen Leiharbeitsquoten von 30 oder gar 40 Prozent, und zwar dauerhaft. Es fällt schwer, zu glauben, dass es sich da um Auftragsspitzen handelt.
Doch auch hier gilt: Wo Schatten ist, muss auch Licht sein. Am Montag wurden in unserer Expertenanhörung neben den Schatten der Zeitarbeit auch die positiven Seiten erwähnt. Der Betriebsrat von Audi, Ingolstadt, hat uns die Betriebsvereinbarung im Werk zur Zeitarbeit vorgestellt. Ziel war es, eine Obergrenze von 5 Prozent für den Einsatz von Leiharbeit festzuschreiben, um die Lohnspirale nach unten zu verhindern. Der Grundsatz ?gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist bei Audi, Ingolstadt, nahezu umgesetzt. Das Beispiel Audi ist Vorbild für andere Betriebe. Soziale Balance im Betrieb und Flexibilität sind kein Widerspruch. Das ist ein weiteres Engelsgesicht der Zeitarbeit und der gelebten Mitbestimmung in Deutschland.
Heute beraten wir den Antrag der Fraktion, die sich gerade Die Linke nennt. Was ist denn die Kernbotschaft des Antrags? Die Teufelsgesichter der Zeitarbeit verschwinden, wenn wir den Grundsatz ?gleiche Arbeit und gleicher Lohn“ für Zeitarbeiter vom ersten Tag an umsetzen.
Das wäre eine simple Pauschallösung für das vielschichtige Phänomen der Leiharbeit und greift aus meiner Sicht zu kurz; denn wir brauchen mehr, gerade dann, wenn wir akzeptieren, dass es Licht und Schatten in der Zeitarbeit gibt.
Wir brauchen Antworten auf folgende Fragen: Wie erreichen wir gleiche Vertragsbedingungen für Leiharbeitnehmer? Wie erreichen wir bessere Mitbestimmungsrechte für Leiharbeitnehmer? Wie verhindern wir, dass Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer ausgetauscht werden? Wie definieren wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Wie schaffen wir es, dass in Nichtentleihzeiten ein angemessener Lohn gezahlt wird? Wie schaffen wir es, dass unsere Regelungen nicht durch ausländische Firmen unterlaufen werden? Wie können wir die maximale Verleihzeit im Betrieb begrenzen? Wie erreichen wir es, dass Leiharbeitnehmer nicht nur für einen Auftrag angeheuert werden? All diese Fragen und die dazu notwendigen Antworten bedürfen der Sorgfalt und einer gesetzgeberischen Gesamtstrategie.
Wir Sozialdemokraten wollen, dass die Lösungen in den Betrieben gefunden werden. Erst wenn wir sehen, dass das nicht geht, wollen wir eingreifen. Dabei ziehen wir mit den Gewerkschaften an einem Strang. Bestes Beispiel hierfür ist die erst jüngst von der SPD-Bundestagslandesgruppe Baden-Württemberg gemeinsam mit der IG Metall Baden-Württemberg gestartete Initiative zur Verbesserung der Leiharbeit. Kern ist die Forderung nach Mindestlöhnen für die Leiharbeitsbranche.
Nachdem wir in dieser Legislaturperiode für Gebäudereiniger und Briefdienstleister Mindestlöhne durchgesetzt haben, muss der Mindestlohntarifvertrag nun für die gesamte Leiharbeitsbranche gelten.
Ich hoffe, die Zeitarbeitsbranche stellt beim Bundesminister für Arbeit und Soziales einen entsprechenden Antrag auf Aufnahme in das Entsendegesetz.
Schritt für Schritt werden wir die Union in die Pflicht nehmen
und Branche für Branche für einen anständigen Lohn in unserem Land kämpfen. Denn gute Arbeit heißt für uns Sozialdemokraten: Arbeit, die fair entlohnt ist.
Doch wir bleiben da nicht stehen. Gute Arbeit ist auch Arbeit, die Qualifikation erhält und ausbaut, die nicht krank macht, die Anerkennung bietet, die die volle Teilhabe an den sozialen Sicherungssystemen ermöglicht, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht und die demokratische Teilhabe garantiert.
Recht hatte Willy Brandt damals wie heute: Kleine Schritte sind mehr als große Worte. Die SPD-Bundestagsfraktion will das in der Zeitarbeit steckende Potenzial nutzen und die soziale Absicherung verbessern. Wir kämpfen für gerechte und sichere Arbeitsbedingungen.
Ich bleibe dabei: Leiharbeit ist nicht Teufelszeug, Leiharbeit ist nicht von Rauschgoldengeln. Gute Arbeit wird auch nicht von Engeln oder Teufeln gemacht, sondern von uns auf dem Boden der Tatsachen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst im Zusammenhang mit der Zwischenfrage von Frau Connemann etwas ausräumen. Frau Pothmer, Sie brauchen uns diese IAB-Studie nicht zu geben; wir haben sie. Sie haben aus der Studie zu den Aufstockern zitiert. Allerdings haben Sie falsch zitiert. Dort steht, dass rund 10 Prozent der vollzeitbeschäftigten Aufstocker weniger als 800 Euro verdienen. Das hat mit Zeitarbeit gar nichts zu tun. Wir können uns im Ausschuss gern weiter darüber unterhalten.
Jetzt zu Ihnen, verehrte Kollegin Katja Mast. Ich kann mir, nachdem Sie deutlich am Schluss Ihrer Rede gesagt haben, dass Sie uns Schritt für Schritt treiben wollen, jetzt nicht verkneifen, Ihnen zu sagen: Es gibt einen Unterschied zwischen SPD-Parteitagsbeschlüssen und Koalitionsbeschlüssen. Einen Koalitionsbeschluss gibt es noch nicht.
- Ja, ich fühle mich in die Pflicht genommen, aber ich orientiere mich auch ein bisschen an den Zahlen;
denn vieles, was hier gesagt wird, ist mit Zahlen nicht zu belegen.
Die Zeitarbeit kommt aus einer Schmuddelecke. In den 60er-Jahren war Leiharbeit verpönt. Die Linke will mit ihrem Antrag die Zeitarbeit offensichtlich wieder in diese Schmuddelecke bringen. Wir als Union wollen das nicht. Zeitarbeit ist inzwischen Wirtschaftsmotor geworden. Deswegen werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.
Über lange Zeit stand im Vordergrund, wie man den Zeitarbeitsmarkt regulieren kann. Das ging über die letzten 30 Jahre so. Es dauerte einige Zeit, bis sich die Zeitarbeit zum Wirtschaftsmotor entwickelte. Seit Ende der 90er-Jahre, also in den letzten zehn Jahren, hat sich die Zahl der Zeitarbeitnehmer in Deutschland mehr als verdoppelt. Dies zeigt, dass es etwas mit Regulierung - zu viel oder zu wenig - zu tun.
Ich stimme dem zu, was Laurenz Meyer heute Morgen hier gesagt hat, nämlich dass es einen Unterschied zwischen den beiden Koalitionsparteien gibt. Wir als Union sind immer daran interessiert, Menschen in Arbeit zu bringen und Brücken zu bauen. Zeitarbeit gehört dazu. Bei Ihnen steht immer die Frage im Vordergrund, wie man möglichst gerecht vorgehen kann. Dabei berücksichtigen Sie vielleicht nicht immer, ob das zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könnte. Ich finde, wir sind immer auf einem guten Weg, wenn es uns gemeinsam gelingt, einen Kompromiss zu finden.
Der Stellenwert der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt ist eindeutig. Ein Zeitarbeitsverhältnis ist ein reguläres Arbeitsverhältnis in einer inzwischen vollständig anerkannten, eigenständigen Branche. Das war die Entwicklung der letzten vierzig Jahre. Für die Beschäftigen in der Zeitarbeitsbranche gelten - wie für andere Beschäftigte auch - alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen, inklusive Kündigungsschutz und Befristung. Ich will nicht verhehlen, dass es Probleme gibt, aber ich glaube nicht, dass sie in dem Maße verallgemeinert werden dürfen, wie das zum Teil heute Morgen der Fall war.
Das alles sind Punkte, die uns am vergangenen Montag in der Anhörung zum Antrag der Linken von Experten vorgetragen wurden. Wir als Union stimmen mit den Experten überein: Zeitarbeit ist eine wichtige Wachstumsbranche. Ich will die Zahlen nicht wiederholen; sie sind vorhin genannt worden. Gerade im letzten Jahr hat die Zeitarbeit deutlich zugenommen.
Die Zeitarbeit ist ein Wachstumsmotor. Im vergangenen Jahr ging der gesamte Beschäftigungsaufbau zu einem Viertel auf die Zeitarbeit zurück. Für die Beschäftigten ist Zeitarbeit eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt. Zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer waren zuvor arbeitslos; 15 Prozent waren sogar langzeitarbeitslos. Man geht davon aus, dass ungefähr ein Drittel aller Zeitarbeitnehmer über die Zeitarbeit eine Möglichkeit erhält, entweder im entleihenden Unternehmen oder in einem anderen Unternehmen Beschäftigung zu finden. Diese Daten zeigen, dass Zeitarbeit ein Motor unserer Wirtschaft ist.
Zum Argument, Zeitarbeit gehöre in die Schmuddelecke, will ich ein paar Zahlen nennen. Nur ein Drittel aller Arbeitnehmer bei Personaldienstleistern sind sogenannte Helfer. Die Facharbeiterquote liegt bei 63 Prozent; 7 Prozent sind Akademiker. Das zeigt, dass Zeitarbeit längst aus der Schmuddelecke herausgefunden hat. Deshalb rede ich auch nicht von Leiharbeit, sondern von Zeitarbeit als eigenständiger Branche.
Die Zeitarbeit ist ein wichtiges Flexibilitätsinstrument für die Wirtschaft. Sie bietet neben der Befristung die Möglichkeit, Arbeitskräfte nach Auftragslage einzusetzen. Das erklärt möglicherweise den Boom. Wenn wir insgesamt die Möglichkeit hätten, Änderungen am System vorzunehmen, dann müsste man die Zeitarbeit überdenken. Das erfordert aber möglicherweise Maßnahmen, die wir in dieser Großen Koalition nicht durchsetzen können.
Was die Vorstellungen der Linken angeht, habe ich kein Verständnis für die Easy-Gysi-Vorschläge, die Sie einbringen, auch wenn Sie aus dem Westen kommen. Sie machen es sich zu einfach. Sie versprechen allen alles und stellen stets die Gerechtigkeit in den Vordergrund. Das kann man machen, solange man es nicht umsetzen muss. Sie laufen ja nicht Gefahr, mehrheitsfähig zu werden. Deswegen können Sie das Blaue vom Himmel versprechen.
- Sie wissen genau, worüber ich rede, Frau Enkelmann. Dort, wo es real versucht wurde, ist es gescheitert. Auch die neuen Namensgebungen Ihrer Partei werden nichts daran ändern, dass Ihre Politik fehlgeleitet ist.
- Sie müssen sich das Woche für Woche anhören. Ob SED, PDS oder Linke - am Ende kommt immer DDR heraus. Wir jedenfalls wollen das nicht.
Das liegt daran, dass Ihnen jegliches Grundverständnis für Wirtschaft, Arbeit und Finanzen fehlt. Sie haben nie diejenigen im Blick, die all das bezahlen müssen, was Sie in sozialpolitischer Hinsicht versprechen. Sie haben nicht begriffen, dass die Menge des Geldes weder im Staat noch in der Wirtschaft vermehrbar ist.
Die Themen Soziales und Wirtschaft sind bei uns im Begriff der sozialen Marktwirtschaft verankert. Sozial wird groß geschrieben, aber es ist mit der Marktwirtschaft gekoppelt. Worüber sich SPD und CDU/CSU möglicherweise verständigen müssen, ist die Akzentsetzung, ob gerade der soziale Aspekt wichtiger ist, ob der Markt stärker berücksichtigt werden muss und ob Änderungen in der Marktwirtschaft vielleicht sogar sozialer sind. Das ist die Spannbreite. Aber Sie als PDS haben von sozialer Marktwirtschaft überhaupt keine Ahnung.
- ?Mecklenburg“ würde ich noch akzeptieren, aber ?Meckerberg“ nicht. Vielleicht habe ich jetzt etwas gut; dann nenne ich Sie tapferes Schneiderlein. Machen Sie weiter so!
Sie haben mit sozialer Marktwirtschaft nichts im Sinn. Sie ist in Ihrem Programm nicht zu finden. Sie wollen etwas anderes. Sie sind Partei des populistischen Sozialismus. Darin kommt der Markt nicht vor; deswegen können Sie nicht sozial sein. Sie wollen sozialistisch und populistisch sein. Machen Sie so weiter! Sie rennen aber ins Leere.
Zum Abschluss möchte ich etwas zu den drei hier aufgestellten Behauptungen sagen. Die erste Behauptung lautet: Zeitarbeit ist schlechte Arbeit. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, lieber Zeitarbeit als gar keine Arbeit zu haben. Ich beziehe mich auf Dr. Lembke aus der Anhörung, der gesagt hat: Was ist sozialer? Arbeit gegen Entgelt, selbst wenn es nicht existenzsichernd ist, oder lieber Geld ohne Arbeit?
- ?Hungerlöhne für alle“, das ist Unsinn;
das will niemand in diesem Parlament. - Mir ist Arbeit gegen Entgelt lieber, auch wenn wir es etwas aufstocken müssen. Hauptsache, jemand ist erst einmal im Arbeitsmarkt.
Das zweite Argument lautet: Zeitarbeit führt zu Lohndumping. Bisher gibt es dafür keinen Beweis. Es gibt ja sogar den Fall, dass in bestimmten Branchen, in denen die Tarife höher sind, die Löhne gesenkt werden müssten, wenn Zeitarbeitnehmer beschäftigt werden und Ihre Forderung nach Equal Pay umgesetzt werden soll. Das wollen Sie sicher nicht. Das ist also sehr kompliziert.
Das dritte Argument lautet: Zeitarbeit verdrängt normale, gute Arbeit. Ich zitiere hier aus dem IAB-Kurzbericht:
Leiharbeiterjobs stellen in der Regel nur kurze Phasen im Erwerbsverlauf der Beschäftigten dar.
Mehr möchte ich dazu nicht sagen, da meine Redezeit abgelaufen ist.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Zeitarbeit ist Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsmotor. Zeitarbeit ist prinzipiell nicht infrage zu stellen. Sozialpolitische Forderungen, die diesen Arbeitsmarkt kaputtmachen, sind nicht akzeptabel. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf der Linken ablehnen. Wir wollen Zeitarbeit als eigenständige Branche erhalten und sie weiterhin als Wachstumsmotor einsetzen.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Schneider, Sie wissen, dass wir in diesem Parlament sehr darauf achten, von persönlichen Beleidigungen abzusehen. Ich finde, dass das kreative Verändern des Namens eine Art persönliche Beleidigung von Herrn Meckelburg ist.
- Herr Kollege Schneider, bitte lassen Sie mich ausreden. Ich bitte Sie, sich zu überlegen, ob Sie sich bei dem Kollegen entschuldigen. Im Übrigen können Sie den Namen in unserem wunderbaren Kürschner nachlesen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7513, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4805 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 134. Sitzung - wird am
Montag, den 17. Dezember 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]