Als Johannes Jendrsczok sich vor fünf Jahren für Darmstadt als Studienort entschied, hatte er nicht nur die Universität gewählt, an der er sich am wohlsten fühlte. Dem Informatiker war auch bewusst, dass er an einer Hochschule gelandet war, die "wenig Geld hatte, schon immer sehr erfinderisch sein musste" und dennoch zu den Top-Universitäten in Deutschland zählte. Jendrsczok kam mitten hinein in einen ehrgeizigen Reformprozess, der für die Technische Universität Darmstadt (TUD) 1993 mit einem eigenen Globalhaushalt begann und kontinuierlich weitergeführt wurde bis hin zu einer eigenem Grundordnung im Jahr 2004 und einem klaren Profil als technische Hochschule, die einerseits rege Kontakte in die Wirtschaft unterhält, andererseits aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften und damit das interdisziplinäre Arbeiten fördert.
Seit Beginn des Jahres 2005 sichert ein eigenes Gesetz der TUD mit ihren 14 Fachbereichen und rund 18.000 Studierenden für die nächsten vier Jahre einen bundesweit einmaligen autonomen Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. "Wir sind keine Privatuni", betont Hochschulpräsident Johann-Dietrich Wörner. Mit dem TUD-Gesetz jedoch sind entscheidende Kompetenzen vom hessischen Wissenschaftsministerium auf Wörner und seine beiden Stellvertreter übergegangen. So hat die Hochschulleitung die alleinige Personalverantwortung, kann ohne Rücksprache mit dem Ministerium Studiengänge zulassen und sich eine eigene Prüfungsordnung schaffen. Auch die so genannte Bauherreneigenschaft ist auf die Universität übertragen worden. In der Praxis bedeutet dies zum Beispiel, dass die TUD selbst Professoren auf dem Markt einwerben, berufen und einstellen kann. Verbeamtet werden müssen die neuen Hochschullehrer nicht mehr. Dafür geht das Berufungsverfahren wesentlich schneller über die Bühne. Finanziell speist sich die Hochschule im Wesentlichen aus drei Töpfen: Landesmitteln in Höhe von 173 Millionen Euro jährlich für Forschung, Lehre und Bauunterhaltung, weiteren 20 Millionen Euro pro Jahr vom Land für Baumittel und derzeit 65 Millionen Euro pro Jahr an Drittmitteln. Das Budget wird dezentral in den einzelnen Fachbereichen verwaltet.
"Autonomie ist nicht der Start der Beliebigkeit", betont Wörner. Rechenschaftspflicht gegenüber dem Land, interne und externe Evaluation in Verbünden und die Realisierung klarer und überprüfbarer Ziele sind für den Bauingenieur selbstverständlich, der seine Universität auf einem Spitzenplatz positionieren möchte. So haben die Hochschulgremien - Präsidium, Senat und Hochschulversammlung - sich auf einen Leistungskatalog verständigt, an dem die TUD sich wird messen lassen müssen, wenn ihr Sonderstatus Ende 2009 ausläuft. Er umfasst die Mittelzuweisung an die einzelnen Fachbereiche nach Leistungskriterien, leistungsbezogene Zulagen für die Lehrenden, eine Absolventenquote von 80 Prozent, eine stufenweise Erhöhung der Drittmittel von derzeit 65 auf 100 Millionen Euro pro Jahr, die Verkürzung der Berufungsverfahren auf ein halbes Jahr sowie unter anderem 3.000 Veröffentlichungen und 40 Patentanmeldungen pro Jahr.
Das Programm ist straff und ohne viel Moderation innerhalb der Hochschule nicht umzusetzen. "Natürlich gibt es auch Skeptiker", gibt Wörner zu. So hören sich die Zielvereinbarungen für Fachschaftler Jendrsczok "erstmal gut an". Bei genauerem Hinsehen stelle sich aber die Frage nach dem Wie, und das werde durchaus kontrovers diskutiert. So bleibe zum Beispiel für die Erreichung einer Absolventenquote von 80 Prozent bei knappen Kassen nur eine Reduzierung der Studentenzahl entweder über Auswahlgespräche oder Orientierungsprüfungen nach einem Jahr. "Autonomie macht nicht alles besser und toller", sagt der Informatikstudent, "aber nun wird wenigstens in der Uni diskutiert und nicht mit dem Ministerium". Insgesamt seien die hochschulpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten gestiegen und: "Man muss sich als Vertreter der Studierenden jetzt mehr kümmern."
Übergangen fühlen sich die politisch aktiven Studenten an der TUD beim Umstrukturierungsprozess jedenfalls nicht. Nicht nur der Informationsfluss sei gut, sagen die beiden Maschinenbau-Fachschaftler Felix Brinckmann und Marcel Herzwurm. Die Beteiligung der Studis beschränke sich zudem nicht nur auf Beratung. Man habe die Reformen auch aktiv beeinflussen können. Die mit dem neuen Gesetz gestärkte Hochschulleitung sehen beide nicht als Bedrohung an, sondern als Chance für die Universität auf die ständig wechselnden Anforderungen im Wissenschaftsbetrieb schnell reagieren zu können. Der Maschinenbau gehört zu den Fachbereichen, die den Autonomieprozess wohl mit am engagiertesten umsetzen. Dies erstaunt nach Meinung von Dekan Eberhard Abele nicht, weil gerade die Maschinenbauer traditionell einen starken Bezug zur Wirtschaft und ihren Managementstrategien haben.
"Es ist letztlich eine Frage der Mentalität, und wir arbeiten hier wie in einem Ingenieurbüro, das Forschungsprojekte realisiert", erklärt Abele. Innerhalb seines Fachbereichs herrsche "ein hoher Konsens zur Leistungsbereitschaft". Die Maschinenbauer verfügen bereits über ein eigenes Budget. "Jeder Fachbereichsleiter wird zunehmend nach klar definierten Leistungskriterien für Forschung und Lehre bewertet", sagt Abele. Auch das von der Universität zugeteilte Budget orientiere sich an diesen nachvollziehbaren Kriterien, zum Beispiel der Höhe der eingeworbenen Drittmittel oder der Anzahl der Studierenden. Als Dekan wiederum ist Abele ermächtigt das Geld nach ähnlichen Leistungsparametern nach unten weiter zu verteilen.
Mächtigere Dekane bergen auch in den Augen von Soziologin Martina Löw Chancen auf eine professionellere Leitung der Fachbereiche, aber auch Konfliktpotenzial. Wenn im Turnus gewählte Kollegen als Dekane Gehaltsverhandlungen führten und Ressourcen eigenständiger verteilen könnten, dann stelle das die Zusammenarbeit vor neue Herausforderungen. Klare Zielvereinbarungen hält die 40-jährige Professorin jedoch für sinnvoll - auch wenn sie mehr Bürokratie bedeuten. "Man reflektiert mehr über die eigene Arbeit", beobachtet Löw, die unter anderem gemeinsam mit Architekten, Bauingenieuren und Historikern am Projekt "Stadtforschung" und damit an einem der elf fächerübergreifenden Vorhaben der TUD mitarbeitet. Der Reformprozess habe eine hohe Identifikation mit der Universität ausgelöst. "Wir gestalten gemeinsam", versucht sie die Atmosphäre zu beschreiben.
Doch nicht überall stößt das straffe Reformprogramm auf uneingeschränkte Begeisterung. Tom Kehrbaum, Pädagogikstudent im fünften Semester zum Beispiel fürchtet, dass bei dem Versuch eine Hochschule wie ein Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Gesetzen zu steuern vieles "auf der Strecke bleibt - vor allem die kritische Wissenschaft". Ein rein nutzenorientiertes Bildungskonzept, so warnt er, stelle nicht nur die Freiheit von Forschung und Lehre in Frage, sondern könne auch soziale Unterschiede verschärfen. Mit Begriffen wie Manager, Aufsichtsrat und Betrieb jedoch sieht TUD-Präsident Wörner das Reformkonzept nicht richtig wiedergegeben: "Das gibt ein falsches Bild", sagt er und: "Ich sehe mich eigentlich immer noch als Universitätspräsident." Wörner ist bewusst, dass die TUD auf dem Prüfstand steht und wegen ihres besonderen Status von der Öffentlichkeit mit Argusaugen beobachtet wird. "Wenn sie gut mir ihren Kompetenzen umgeht, geht es weiter", sagt er. Das Projekt könne aber am Ende auch scheitern, einzelne Maßnahmen sich einfach als nicht haltbar herausstellen. Wörner warnt auch vor dem Versuch, das Modell Darmstadt eins zu eins auf andere Hochschulen zu übertragen. "Jede Universität muss sich ihren eigenen Status erarbeiten."
Die Autorin ist freie Journalistin, surpress Wiesbaden.