Humanitäre Entscheidung zugunsten von Kurnaz
Humanitäre Aspekt für die Freilassung ausschlaggebend
Nach den Ausführungen des CDU-Politikers wurden im Fall Kurnaz von November 2005 an die humanitären Aspekte den Sicherheitsbedenken übergeordnet, die auch zu jenem Zeitpunkt "nicht gänzlich ausgeräumt waren". Laut de Maizière gestalteten sich die von der Botschaft in Washington mit US-Stellen geführten Verhandlungen über die Modalitäten der Überstellung von Kurnaz in die Bundesrepublik schwierig und zogen sich Monate hin, bis die Entlassung aus Guantanamo schließlich im August 2006 erfolgte.
Rechtsstaatlich problematische Zustände in Guantanamo
Im Oktober 2002 hatten die Geheimdienstspitzen unter der Verantwortung des damaligen Kanzleramtschefs und heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) für den Fall einer damals im Raum stehenden Freilassung des Guantanamo-Häftlings eine Einreisesperre verhängt, weil von Kurnaz eine Gefährdung ausgehen könne. Laut de Maizière war zum Jahreswechsel 2005/2006 eine neue Situation entstanden, die zu einer Abwägungsentscheidung zugunsten des Türken geführt habe. Merkel habe erklärt, dass die rechtsstaatlich problematischen Zustände in Guantanamo auf Dauer nicht hinnehmbar seien. Wegen der innenpolitisch wachsenden Kritik an den Verhältnissen in dem Gefangenenlager hätten sich die USA zu Verhandlungen über eine Freilassung von Kurnaz bereit erklärt. Zudem habe man dessen mehrjährige Haft ohne Gerichtsverfahren berücksichtigen müssen. Angesichts des "engen Deutschlandbezugs" des Bremers, so der Kanzleramtsminister, habe bei einer Freilassung nur die Rückkehr in die Bundesrepublik zur Debatte gestanden, da Ankara den türkischen Staatsbürger nicht habe aufnehmen wollen.
Urteil des Verwaltungsgerichts und Regierungswechsel
Eine Rolle habe überdies gespielt, dass im November 2005 das Bremer Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung der früheren Regierung geurteilt habe, die Aufenthaltsberechtigung von Kurnaz sei nicht erloschen. Wie de Maizière weiter ausführte, war zum Jahreswechsel 2005/2006 die Situation für eine Intervention gegenüber den USA im Interesse von Kurnaz auch deshalb günstig, weil nach dem Regierungswechsel Berlin und Washington die Chance zu einem Neubeginn in den deutsch-amerikanischen Beziehungen gesehen hätten.
De Maizière: Keine Kritik an der damaligen Regierung
Zu den auch seinerzeit noch nicht völlig ausgeräumten Sicherheitsbedenken bei Kurnaz sagte der Zeuge, diese Einschätzung habe auf den aus dem Jahr 2002 stammenden Erkenntnissen beruht, die von den beteiligten Behörden allerdings unterschiedlich bewertet worden seien. Im Blick auf die 2002 gegen Kurnaz verhängte Einreisesperre meinte de Maizière, er maße sich nicht an, Kritik an der damaligen Regierung zu üben: "Ich bin froh, dass ich die Entscheidung 2002 nicht treffen musste. Ich bin mir nicht sicher, dass ich sie so getroffen hätte wie 2005/2006."
Opposition ist sich einig
Durch den Auftritt des Kanzleramtsministers sahen sich FDP, Linkspartei und Grüne in ihrer Kritik an der alten Regierung bestätigt. Wolfgang Nescovic (Linkspartei) bezeichnete de Maizière als "Zeugen der Opposition". Die Entscheidungen im Fall Kurnaz seien eine Frage der "politischen Opportunität" und nicht der Sicherheitsbedenken gewesen. Die Abwägung zugunsten des Türken 2005/2006 hätte auch schon 2002 stattfinden können. Max Stadler (FDP) erklärte ebenfalls, bei entsprechendem politischen Willen hätte man schon früher im Interesse von Kurnaz vorgehen können. De Maizière habe Steinmeier widersprochen, nach dessen Aussage nicht daran zu zweifeln gewesen sei, dass der Häftling im Falle einer Freilassung in die Türkei hätte reisen können und dass deshalb die Einreisesperre die Gefangenschaft in Guantanamo nicht verlängert habe. Für Hans-Christian Ströbele (Grüne) sind die Aussagen des Zeugen "wertvoll und glaubhaft". SPD-Obmann Thomas Oppermann hingegen betonte, de Maizière habe die von der Regierung im Herbst 2002 getroffene Entscheidung nicht kritisiert. Erst 2005/2006 seien die USA zur Entlassung von Kurnaz bereit gewesen.