Innenausschuss
STASIAKTEN: SÜNDENFALL DER SPEICHERUNG
Berlin: (hib/WOL-in) Vom Sündenfall der Speicherung der Stasiakten sprach der Vorsitzende des Innenausschusses, Willfried Penner (SPD), als er am Mittwochabend die unterschiedlichen Rechtspositionen der Gauck-Behörde und des Datenschutzbeauftragten gegenüber den Ausschussmitgliedern und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zusammenfasste.
Penner betonte, kaum ein Gesetz sei vom Deutschen Bundestag so sorgfältig bedacht, aus allen Richtungen betrachtet und abgewogen worden.
Nachdem man sich einmal entschlossen habe, die Stasiakten zu verwenden, könne niemand die Gauck-Behörde von der Ausübungspflicht befreien, die sich an Sachverhalten und nicht am Strafverhalten orientiere.
Zuvor hatten Joachim Gauck als unabhängiger Beauftragter des Bundes für die Verwendung von Stasiakten gemäß dem Stasiunterlagengesetz (StUG) und Dr.
Joachim Jacob als unabhängiger Beauftragter des Bundes für den Datenschutz ihre unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Verwendung von Stasiakten gegenüber den Mitgliedern des Innenausschusses dargelegt.
Gauck erläuterte, man habe sich seinerzeit mit breitem Konsens und im Bewusstsein, dass rund 70 Prozent der Stasiakten "grob rechtsstaatswidrig" gewonnen worden seien, dazu entschlossen, die Unterlagen aufzubewahren und zur Klärung offener Sachverhalte im Interesse der Menschen zu nutzen.
Man sei sich von vornherein darüber klar gewesen, dass ein solches Verfahren das Grundsgesetz verfassungsrechtlich tangiere - man habe aber auch dokumentieren wollen, dass es keine Schlussstrichmentalität zu Gunsten der Oberen geben könne.
Auf Nachfrage erläuterte Gauck, die Unterlagen lägen in drei Fassungen vor: als Tonbänder, als Abhörprotokolle und als zusammenfassende Vermerke des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
Umfang und Art der herausgegebenen Dokumente würden durch den Verwendungszweck bestimmt, die Betroffenen hätten ein "sehr weitgehendes Recht" auf Herausgabe, während die Verwendung zu amtlichen Zwecken absolut sicher von jeglichen persönlichen Details bereinigt sei.
Jacob stellte fest, die Herausgabe von Akten durch die Gauckbehörde an Untersuchungsausschüsse und in vielen anderen Verfahren decke sich nicht mit dem vereinbarten Auftrag zur Verwendung von Stasiakten.
Nach seiner Rechtsauffassung seien die Akten grundsätzlich nur zur Rehabilitierung von Opfern, zum Nachweis von Täterbeteiligung und zum Nachweis der Verstrickung in Stasiangelegenheiten zu verwenden, zulässig auch zum Aufspüren und Sichern von DDR-Vermögen, zur Abwehr möglicher Gefahren sowie zur Aufklärung und Verhütung von Straftaten.
Bei der Aufklärung nicht strafbewehrter Gesetzesverstöße, wie etwa im Fall der Parteienfinanzierung oder "schwarzer Konten", sei dieser Tatbestand nicht gegeben.
Jacob verwies auf den Rechtsgrundsatz, wonach rechtswidrig aufgenommene Informationen durch irgendeinen Nachrichtendienst "zu keiner Zeit" von einer Behörde, einem Gericht oder einem Untersuchungsausschuss der Bundesrepublik Deutschland als Information oder Beweismittel entgegengenommen, akzeptiert oder zugelassen worden wären.
Mit ihrer Haltung zur Herausgabe von rechtswidrig erworbener Informationen wie auch durch die Interpretation des Stasiunterlagengesetzes stelle sich die Gauckbehörde über die verfassungsrechtlich verankerten Werte des Grundsgesetzes.
Die F.D.P. stützte die Haltung des Datenschutzbeauftragten, die Verwertung der Stasiunterlagen außerhalb des Stasibezugs abzulehnen.
Angesichts des einmaligen Falles einer Nutzung rechtswidrig erworbener Daten dürfe deren Nutzung zur Wahrheitsermittlung "gerade nicht um jeden Preis stattfinden".
Der in der Diskussion festgestellte Dissens wurde bedauert, da Vorwürfe die großartige Arbeit der Gauck-Behörde in Mitleidenschaft zögen. Dennoch sei das Stasiunterlagengesetz "kein Steinbruch für jedermanns Bedarf".
Die Union begrüßte die verfassungsrechtlich klare Rechtsauffassung des Datenschutzbeauftragten und verwies gleichzeitig darauf, es gehe ihr nicht um Personen.
Gerade in Anerkennung der Verdienste der Gauck-Behörde wolle man sich nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen, wenn die grundgesetzlichen Vorgaben neu zu klären seien.
Innenminister Otto Schily (SPD) könne sich seiner Aufsichtspflicht als Dienstherr nicht entziehen. Dem hielt Schily entgegen, seine dienstliche Aufsichtspflicht sei angesichts der rechtlich gewährleisteten Unabhängigkeit des Stasibeauftragten sehr schmal.
Man habe jedoch erwogen, angesichts des Dissens "zweier in ihrer Arbeit sehr anerkannter unabhängiger Bundesbeauftragter", einen neutralen Sachverständigen für ein Gutachten heranzuziehen.
Schily warnte davor, parteipolitische Interessen ins Spiel zu bringen. Die Materie eigne sich nicht für parteipolitische Polemik.
Auch die SPD betonte, es habe seinerzeit breiten Konsens gegeben, die Stasiakten zu bewahren, und warnte davor, den Dissens zu nutzen, um aus aktueller Interessenlage das Amt zu beschädigen.
Man sei zu jedem vernünftigen Gespräch bereit, um zu klären, wie man in besonderen Lagen mit besonderen Akten umgeht. Die SPD betonte aber auch, wegen einer Person werde das Stasiunterlagengesetz nicht geändert.
Die Bündnisgrünen erklärten, der Aufklärungswert der Akten sei so hoch, dass es keinen Anlass gebe, die bisherige Handhabung zu ändern.
Auch wollten sie wissen, wie der Datenschutzbeauftragte dazu komme, festzustellen, welche Unterlage für welche Ausschuss in Frage komme.
Erst wenn Informationen zur Verfügung stünden, könnte man die damit verbunden Nachteile abwägen. Auf die Frage zum Gesamtumfang der Stasiakten und im Hinblick auf die Parteienfinanzierung verwendbare Materialen hatte Gauck erklärt, insgesamt gebe es 730 laufende Meter Dokumente, davon 120 Meter Abhörprotokolle.
5 Meter - mit eventuellen Informationen zur Parteienfinanzierung oder über westdeutsche Politiker - seien noch nie geöffnet.
Bislang könne er nur vermuten, wisse aber von keiner einzigen Akte über Helmut Kohl. Die PDS stellte klar, dass sie - obwohl sie seinerzeit gegen das Stasiunterlagengesetz gestimmt habe, die Arbeit der Gauck-Behörde für in sich stringent halte und für die Fortführung plädiere.
Betroffenheit zeige sich jedoch, wenn man im Vergleich zum Fall Gysi feststellen müsse, dass es eine sehr unterschiedliche Bewertung und große Unterschiede in der Akzeptanz gebe.