Rechtsausschuss (Anhörung)
ÜBERWIEGEND KRITISCHES ECHO ZU STRAFVERFAHRENSRECHT-ENTWURF
Berlin: (hib/BOB-re) Ein überwiegend kritisches Echo hat unter Sachverständigen ein Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Beschleunigung von Strafverfahren ( 14/1714) gefunden.
Dies geht aus den vorliegenden schriftlichen Stellungnahmen der Experten zu einer Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwochnachmittag hervor.
So stellt Professor Stephan Barton von der Universität Bielefeld fest, entgegen der Behauptung der Union gebe es keine gravierende Tendenz zu längeren Strafverfahren.
Auch sei entgegen einer anderslautenden These der Abgeordneten die tatsächliche Inanspruchnahme von Rechtsmitteln (Berufung und Revision) durch Beschwerdeführer in den letzten Jahren keinesfalls gestiegen. Das Gegenteil sei vielmehr der Fall.
Kritisch äußert sich auch Professor Gerhard Fezer aus Hamburg: Ein Gesetzgeber, der - um der bedrängten Strafverfolgungspraxis zu helfen - die Strafprozessordnung (StPO) weiterhin nur in zahlreichen einzelnen Stellen ändern wolle, müsse zwangsläufig scheitern.
Ein solches Vorhaben ignoriere die "grundsätzliche Strukturschwäche" der StPO, die sich in den letzten 20 bis 30 Jahren immer deutlicher gezeigt habe.
Statt das zunehmende Auseinanderbrechen des Strafverfahrens noch weiter zu fördern, muss nach Ansicht des Sachverständigen eine Gesamtreform der Strafprozessordnung in Angriff genommen werden.
Professor Felix Herzog von der Humboldt-Universität zu Berlin vertritt die Auffassung, solange an dem Ziel des Strafverfahrens festgehalten werde, ein auf materieller Wahrheit beruhendes gerechtes Urteil zu finden, müsse für den Prozess eine angemessene Zeit eingeräumt werden.
Beschleunigung dürfe sich nicht als Bedrängung von Verfahrensbeteiligten darstellen. Schon gar nicht dürfe die Pflicht, sich zu beeilen, wesentlich der Verteidigung auferlegt werden.
Die Wahrheitsfindung könnte sonst zum Opfer der Beschleunigung werden, zeigt sich der Experte überzeugt.
Herzog ist ebenfalls der Meinung, das Strafverfahrensrecht bedürfe dringend der Modernisierung. Dieses Ziel lasse sich aber nicht mit punktuellen Änderungen erreichen.
Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf aus Frankfurt am Main lässt den Ausschuss in seiner Stellungnahme wissen, es erscheine "untunlich", die mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU eingebrachten Vorschläge zu Änderungen im strafprozessualen Rechtsmittelrecht losgelöst von den Plänen der Bundesregierung zu einer Justizreform im Strafprozess zu behandeln.
Erstaunlich sei auch, so der Sachverständige, dass der Gesetzentwurf, der bereits auf Vorarbeiten der 13. Wahlperiode zurückgreife, zwischenzeitlich veröffentlichte einschlägige Gutachten zur Thematik nicht zur Kenntnis nehme.
Hingegen befürwortet Erhard Becker, Leitender Oberstaatsanwalt in Aschaffenburg, die vorgeschlagenen Regelungen im Wesentlichen und argumentiert dabei aus der Sicht der Praxis.
Die Vorschläge der CDU/CSU seien weitgehend kleine Schritte, die in ihrer Gesamtheit ohne eine Minderung der Rechte von Verfahrensbeteiligten durchaus zu einer Beschleunigung der Strafverfahren beitragen könnten.
Die praktischen Auswirkungen dürften sich allerdings in Grenzen halten, so der Experte. Positiv äußert sich auch Klaus Weber, Präsident des Landgerichts Traunstein: Aus Sicht eines Praktikers sei die Tatsache, dass sich der vorliegende Entwurf auf punktuelle Änderungen beschränke, die ohne Eingriffe in die Struktur der Strafverfahren vorgenommen werden könnten, vernünftig, auch wenn dies aus Sicht eines Professors ein "Herumdoktern" sein möge.
Die Praxis, so Weber, ziehe auch aus kleinen Schritten des Gesetzgebers Nutzen und wolle darauf nicht verzichten.
Grundsätzlich für begrüßenswert hält auch Generalstaatsanwalt a.D. Heinrich Kintzi aus Braunschweig die Intention des Entwurfs.
Der Beschleunigungsgrundsatz habe im Strafverfahren einen hohen Stellenwert. Er sei nicht Selbstzweck, sondern diene allgemeinen Belangen der Rechtsgemeinschaft und denen der Verfahrensbeteiligten.
Einen "kurzen Prozess", der schutzwürdige Belange und legitime Verteidigungsrechte des Beschuldigten verkürze, dürfe es aber nicht geben.