"Verrechtlichung" der Verbändevereinbarung Gas umstritten
Berlin: (hib/VOM) Die geplante "Verrechtlichung" von Verbändevereinbarungen auf dem Strom- und Gassektor über den Netzzugang ist unter Sachverständigen umstritten. Dies trat am Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftausschusses zutage, der die Gesetzentwürfe der Bundesregierung ( 14/5969) und der PDS ( 14/6796) zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts sowie Anträge der CDU/CSU ( 14/7164) und der PDS ( 14/6795) zum Netzzugang zugrunde lagen. Der Bundestag wird über die Vorlagen am kommenden Freitag entscheiden. Den Sachverständigen lag ein Änderungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu ihrem eigenen Entwurf vor. Danach ist vorgesehen, die Bedingungen näher zu konkretisieren, zu denen Netzbetreiber den Netzzugang einzuräumen haben. Die Fraktionen wollen eine Vermutungsregelung für eine "gute fachliche Praxis" in das Gesetz aufnehmen und sie bis Ende 2003 befristen. Die Anforderung guter fachlicher Praxis soll grundsätzlich auch durch eine von den Verbändevereinbarungen abweichende Gestaltung der Netzzugangsbedingungen entsprochen werden können. Umgekehrt soll bei besonderen Umständen im Einzelfall eine Abweichung von der Verbändevereinbarung möglich sein. Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung soll in der Regel eine "gute fachliche Praxis" zu vermuten sein. Die Fraktionen erhoffen sich dadurch mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Der Präsident des Bundeskartellamts, Dr. Ulf Böge, machte zum Maßstab, ob es zu Diskriminierungen und zu einer unangemessenen Höhe des Netznutzungsentgelts kommen kann. Das Kartellamt lege dabei das so genannte Vergleichsmarktkonzept zugrunde, das auf Preisen und Verträgen basiert, die im Wettbewerb zustande gekommen sind. Wenn ein Vergleichsmarkt nicht vorhanden sei, müssten die Kartellbehörden die Möglichkeit haben, auch in eine Kostenkalkulation einzutreten. Ein Investitionshindernis, wie aus den Reihen des Ausschusses gefragt, sieht Böge in der Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts nicht. Das Kartellamt habe deutlich gemacht, dass es die Verbändevereinbarung toleriere und den Beteiligten Sicherheit für deren Anwendung gebe. Die Behörde sei nur eingeschritten, wenn durch die Anwendung der Vereinbarung der Wettbewerb nicht befördert worden sei. Die geplante Verrechtlichung ist nach Auffassung Böges für die Planungssicherheit der Unternehmen nicht erforderlich.
Der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft begrüßte den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Damit erhielten die deutschen Unternehmen die gleiche Rechtssicherheit wie Unternehmen in den anderen EU-Staaten. Der Verband Kommunaler Unternehmen hätte sich eine stärkere Verrechtlichung gewünscht. Die jetzt geplante widerlegbare Vermutungsregelung für eine "gute fachliche Praxis" stelle eine Verrechtlichung auf kleinster Stufe dar. Die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VdEW) sprach in diesem Zusammenhang von einer "innovativen Konstruktion". Die Verrechtlichung bedeute eine einheitliche Basis, auf der alle Beteiligten planungssicher arbeiten könnten. Die Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamts sei nach wie vor möglich, argumentierte der Vertreter des VDEW. Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft wies darauf hin, dass man im Gasbereich noch nicht so weit wie auf dem Stromsektor. Erhebliche Probleme im Bereich der Verbändevereinbarung Gas diagnostizierte Dr. Ines Zenke von der Anwaltskanzlei Becker, Büttner, Held aus Berlin. Wie zuvor der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sprach sie sich gegen die geplante Verrechtlichung im Gasbereich aus. Einige Händler und Netznutzer nutzten die Rechtsunsicherheit aus um überhöhte Netznutzungsentgelte zu beanstanden. Die Verbändevereinbarung Gas bezeichnete sie als "Schnellschuss unter Zeitdruck" und regte Nachverhandlungen an.